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25 Jahre nach dem KPD-Verbot Historische und aktuelle Überlegungen | APuZ 46/1981 | bpb.de

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APuZ 46/1981 25 Jahre nach dem KPD-Verbot Historische und aktuelle Überlegungen Politische Apathie und Kaderpolitik Zum Streit um kommunistische Einflußstrategien und ihre Wirkungen in Gewerkschaften und Hochschulen

25 Jahre nach dem KPD-Verbot Historische und aktuelle Überlegungen

Christian Bockemühl

/ 25 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Das Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) durch das Bundesverfassungsgericht vor genau 25 Jahren ist nicht nur von historischem Interesse, weil damals zum letzten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eine politische Partei verboten worden ist. Das Urteil hat bis heute auch aktuelle politische und demokratietheoretische Aspekte, und dies vor allem aus zwei Gründen: 1. Das Bundesverfassungsgericht hat bei dem KPD-Urteil — ähnlich wie bei dem vorangegangenen Urteil gegen die rechtsradikale Sozialistische Reichspartei (SRP) — nicht nur über die jeweils beklagte politische Partei entschieden, sondern auch grundsätzliche Aussagen über die Grenzen der politischen Betätigungsmöglichkeiten jeder Partei gemacht, die bis heute weiter gelten. 2. Seit dem KPD-Verbot ist in der Bundesrepublik keine andere Partei verboten worden. Dennoch gab und gibt es politische Parteien, die zumindest im Verdacht der Verfassungswidrigkeit stehen und deshalb vom Verfassungsschutz observiert werden, ohne daß gegen sie ein Verbotsantrag gestellt würde. Das Verhältnis des Staates zu Parteien, die von ihm als extremistisch eingestuft werden, hat sich seit 1956 also geändert. Der Staat ist zwar seither nicht weniger scharf gegenüber Extremisten vorgegangen, hat aber nicht zu dem Mittel des Parteiverbots gegriffen. Die vorliegende Abhandlung schildert zunächst deskriptiv das Verbotsverfahren gegen die KPD von der Antragstellung bis zur Urteilsverkündung, versucht aber auch, den Antrag politisch und das Urteil rechtlich zu werten und zieht daraus Schlüsse auf das heutige Verhältnis des Staates zu extremistischen Parteien.

Vor genau 25 Jahren — am 17. August 1956 — hat das Bundesverfassungsgericht die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) für verfassungswidrig erklärt und verboten. Nach dem Verbot der rechtsradikalen Sozialistischen Reichspartei (SRP) vom 23. Oktober 1952 war dies das zweite, bis heute jedoch letzte Parteiverbot, das das höchste deutsche Gericht ausgesprochen hat. Es war zugleich eine seiner ersten wesentlichen — damals noch weit selteneren — „politischen“ Entscheidungen im engeren Sinne. Wesentlich deshalb, weil das Gericht — ähnlich wie im Urteil über die SRP — nicht nur über die Verfassungsmäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit der damals beklagten politischen Partei entschieden, sondern zugleich grundsätzliche Aussagen über die rechtlichen und politischen Anforderungen getroffen hat, die in der Bundesrepublik Deutschland nach den Vorschriften des Grundgesetzes an Programm, Organisation und praktisch-politische Tätigkeit von Parteien schlechthin gestellt werden müssen -insbesondere an solche, die zumindest im Verdacht stehen, sich am Rande oder gar außerhalb der von der Verfassung gesetzten Normen zu bewegen. Schon aus diesem Grunde hat es auch ein Vierteljahrhundert danach noch einen über das rein historische Interesse hinausgehenden Sinn, sich mit dem Urteil von 1956 zu beschäftigen.

Ein weiterer Anlaß für eine Rückbesinnung auf die politischen Gründe für den Verbotsan-rag durch die damalige Bundesregierung und 1e rechtlichen Gründe für das Urteil selbst er-8ibt sich aus den Auswirkungen des Urteils, les vor allem deshalb, weil es nicht nur Konsequenzen für die betroffene politische Partei datte, sondern auch aus einem weitergehen-den verfassungspolitischen und demokratie-theoretischen Gesichtspunkt. Seit 25 Jahren iStkein Verbotsantrag mehr gegen eine politi-She Partei gestellt worden, so daß das Bun-desverfassungsgericht in einer solchen Frage seither nicht mehr zu entscheiden brauchte, ennoch sind in der Bundesrepublik Deutsch-dnd bis heute weiterhin politische Parteien

I. Einführung

Abbildung 1

tätig, die von der Bundesregierung und allen Landesregierungen als verfassungsfeindlich und somit potentiell verfassungswidrig eingestuft und daraufhin von den Organen des Verfassungsschutzes observiert werden. Daraus ergibt sich die Frage, warum die nach dem Gesetz zuständigen Verfassungsorgane dennoch keinen Verbotsantrag gegen eine oder gar mehrere dieser Parteien gestellt haben oder steilen.

Auf der anderen Seite gehen und gingen alle drei Staatsgewalten weiterhin — und z. B. in der ersten Hälfte der siebziger Jahre in besonders unmißverständlicher Form — gegen Extremisten von rechts oder links vor. Sie greifen dabei jedoch zu anderen politischen und rechtlichen Mitteln als zu dem Instrument des Parteiverbots. Das bedeutet: Die Auseinandersetzung von Staat und Justiz mit Extremisten hat seit dem Urteil von 1956 nicht nachgelassen, aber neue Formen angenommen. Die Gründe für den Wandel dieses Verhältnisses liefern einen weiteren Anlaß, auf das KPD-Verbotsurteil vom 17. August 1956 zurückzublicken.

Die heutige Beschäftigung mit diesem Urteil hat somit zunächst einen historischen, darüber hinaus aber auch einen aktuell politischen und schließlich einen demokratietheoretischen Bezug.

Vor der Darstellung und Bewertung des Verbotsantrages und des Urteils sind ein kurzes Resümee der verfassungsrechtlichen Grundlagen, auf denen sowohl der Antrag als auch das Urteil beruhten, ebenso erforderlich wie eine Darstellung der historischen Gründe, die den Verfassungsgeber überhaupt zur Aufnahme des Rechtsinstituts des Parteiverbots in das Grundgesetz veranlaßt haben. Dies erscheint nicht nur zum Verständnis des Antrages und des Urteils wesentlich, sondern auch deshalb, weil die verfassungsund gesetzmäßigen Grundlagen für ein (auch in Zukunft immer denkbares) Parteiverbot in den letzten 25 Jahren weithin aus dem Blick der öffentlichen Diskussion geraten sind, obwohl sie zu den spezifischen Merkmalen der deutschen Verfassung und Gesetzgebung gehören. Allenfalls die Kontroverse über einen möglichen Verbotsantrag gegen die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) vor der Bundestagswahl 1969 hat diese Diskussion noch einmal zwar lebhaft, aber nur kurzfristig entfacht.

II. Die rechtlichen Grundlagen für ein Parteiverbot

Die rechtliche Grundlage für jedes mögliche Parteiverbot bildet Artikel 21 Absatz 2 Grundgesetz und damit ein verfassungsrechtliches Novum in der deutschen Geschichte, das es weder in der Weimarer Reichsverfassung von 1919 noch in den damaligen Länderverfassungen gegeben hatte. Außerdem enthält selbst heute noch keine Verfassung eines vergleichbaren westeuropäischen Landes die rechtliche Möglichkeit, eine Partei zu verbieten. Eine Ausnahme bildet nur die Verfassung der Italienischen Republik von 1947, die ausdrücklich und von vornherein die Gründung einer einzigen, nämlich der Faschistischen Partei aufgrund der historischen Erfahrungen Italiens verboten hat. Andere vergleichbare demokratische Staaten haben allenfalls Spezial-gesetze oder allgemeine verfassungsrechtliche Ermächtigungen geschaffen, aufgrund derer die Exekutive im Falle einer drohenden Gefährdung des Staates gegenüber extremistischen Parteien oder einzelnen Extremisten tätig werden kann

Artikel 21 Grundgesetz faßt die rechtlichen und politischen Voraussetzungen zusammen, unter denen eine politische Partei in der Bundesrepublik Deutschland tätig werden darf. Absatz 1 umschreibt die Funktionen von Parteien im Rahmen der politischen Willensbildung des Volkes allgemein, Absatz 2 grenzt den vorhergehenden Absatz durch Bestimmungen über das mögliche Verbot von Parteien ein, die den Vorschriften des Absatzes 1 nicht entsprechen. In der öffentlichen Diskussion wird Absatz 1 häufig aus ganz anderen als den hier interessierenden Gründen zitiert. Dennoch sei hier der vollständige Artikel 21 wiedergegeben, weil ein Parteiverbot nach Absatz 2 nicht ohne die vorausgehenden Bestimmungen des Absatzes 1 verstanden werden kann. Der Artikel lautet:

(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildunp des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müs- sen über die Herkunft ihrer Mittel öffentlich Rechenschaft geben.

(2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger daraufausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig. über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht. (3) Das Nähere regeln Bundesgesetze. Dieser Artikel schafft somit die verfassungsmäßige Handhabe, eine Partei zu verbieten, und nennt die grundlegenden rechtlichen Kriterien, nach denen ein Verbot erfolgen kann. Wie Verbotsantrag und Verbot im gegebenen Fall im einzelnen zu regeln sind, geht aus den Paragraphen 43 bis 46 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 12. März 1951 hervor. Dort heißt es u. a.: § 43 Absatz 1:

Der Antrag auf Entscheidung, ob eine Partei verfassungswidrig ist (Artikel 21 Absatz 2 des Grundgesetzes), kann von dem Bundestag, dem Bundesrat oder von der Bundesregierung gestellt werden ...

§ 46:

(1) Erweist sich der Antrag als begründet, so stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dal die politische Partei verfassungswidrig ist.

(2) Die Feststellung kann auf einen rechtlich oder organisatorisch selbständigen Teil einer Partei beschränkt werden.

(3) Mit der Feststellung ist die Auslösung der Partei oder des selbständigen Teiles der Partei und das Verbot, eine Ersatzorganisation zu schaffen, zu verbinden. Das Bundesvenassungsgericht kann in diesem Fall außerdem die Einziehung des Vermögens der Partei oder des selbständigen Teiles der Partei zugunsten des Bundes oder des Landes zu gemeinnützigen Zwecken aussprechen.

Auf diesen rechtlichen Grundlagen hatten im Verbotsverfahren gegen die KPD sowohl der Antrag der Bundesregierung als auch das Ur teil des Bundesverfassungsgerichts aufzubau en. Hinzu kamen die Maßstäbe, die das Bun desverfassungsgericht selbst in seinem »e botsurteil gegen die SRP nicht nur zur Beurte lung dieser Partei gesetzt hatte, sondern auch zu den grundsätzlichen rechtlichen und politischen Anforderungen an jede Partei sowie einzelne weitere, weniger grundsätzliche Entscheidungen des Gerichts zu vergleichbaren Problemen.

Das Bundesverfassungsgericht kann nach § 43 Absatz 1 des Gesetzes vom 12. März 1951 also nicht von sich aus das Verbotsverfahren gegen eine politische Partei einleiten, sondern es bedarf hierzu der Antragstellung durch eines der im Gesetz vorgesehenen Verfassungsorgane. Ebensowenig kann eines dieser Verfassungsorgane, etwa die Bundesregierung, von sich aus eine Partei verbieten An einem Parteiverbotsverfahren sind deshalb immer sowohl eine politische Instanz — im Falle des KPD-Verbotes die damalige Bundesregierung — als auch das Bundesverfassungsgericht als recht-sprechende Instanz beteiligt. Aus diesem Grunde kann kein Parteiverbot ausschließlich unter politischen oder rechtlichen Gesichtspunkten analysiert und gewürdigt werden; dies hat statt dessen immer sowohl unter politischen als auch unter rechtlichen Aspekten zu geschehen. Dabei betrifft die politische Analyse und Kritik die Frage, aus welchen politischen Beweggründen das antragstellende Verfassungsorgan den Verbotsantrag überhaupt gestellt hat und wie die politische Zweckmäßigkeit des Antrages zu beurteilen ist In der öffentlichen Diskussion über das KPD-Verbot sind solche Fragen oft fälschlicherweise auch an das Bundesverfassungsgericht selbst gestellt worden. Das hat das Gericht anläßlich der Urteilsverkündung zu der Klarstellung veranlaßt, es stehe „in ihrem [der Bundesregierung] politischen Ermessen und unter ihrer ausschließlichen Verantwortung, ob sie den Antrag stellen will und soll. Ist der Antrag gestellt, dann ist das Gericht verpflichtet, darüber zu entscheiden. Das Gericht hat seine Entscheidung nach rein rechtlichen Gesichtspunkten zu treffen; daher sind ihm politische Zweckmäßigkeitserwägungen versagt." Das Urteil selbst kann deshalb — im Unterschied zum Antrag der Bundesregierung — nur nach rechtlichen, nicht nach politischen Kategorien analysiert und bewertet werden; allenfalls können die politischen Auswirkungen des Urteils einer nicht nur rechtlichen Analyse unterzogen werden.

Warum sich der Verfassungsgeber zur Aufnahme von Artikel 21 Absatz 2 in das Grundgesetz und der Bundesgesetzgeber daraufhin zur Aufnahme der Paragraphen 43 bis 46 in das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht entschieden haben, geht auf die Konsequenz zurück, die beide aus dem Scheitern der Weimarer Demokratie gezogen haben und die auch in der Begründung des Bundesverfassungsgerichts zum KPD-Urteil ausführlich dargelegt werden.

In der Weimarer Republik hatte sich jede Partei juristisch unangefochten betätigen können — selbst solche Parteien, die die Reichsverfassung und die staatlichen Institutionen vom Grundsatz her ablehnten und durch ihre praktisch-politische Aktivität bekämpften. Sie hatten dies sogar dann tun können, wenn ihnen oberste Gerichte bescheinigt hatten, daß sie das Ziel verfolgten, die bestehende Staatsordnung gewaltsam durch eine andere zu ersetzen. Diese Neutralität gegenüber jeglicher parteipolitischer Betätigung — soweit sie nicht im Widerspruch zu strafrechtlichen Bestimmungen stand — war schließlich einer der Gründe dafür, daß eine verfassungsfeindliche Partei wie die NSDAP diese Toleranz des Staates in militanter Weise für ihre eigenen politischen Zwecke ausnutzen und nach ihrer „Machtergreifung" diese Verfassung selbst außer Kraft setzen konnte.

Solche Erfahrungen mit der Manipulierbarkeit einer betont liberalen Verfassung durch extremistische Parteien haben den Parlamentarischen Rat veranlaßt, durch die Schaffung des Instituts des Parteiverbots einen Riegel vor die Wiederholung vergleichbarer Möglichkeiten des „legalen" Außerkraftsetzens einer demokratischen Verfassung zu schieben. Die Bundesrepublik Deutschland sollte — im Unterschied zur Weimarer Republik — vom Grundsatz einer „wehrhaften" oder „streitba-ren" Demokratie geprägt sein und nach dem Prinzip „Keine unbedingte Freiheit für die Feinde der Freiheit" leben. Eines der rechtli-chen Mittel, um dieses Grundprinzip durchzusetzen, sollte die Möglichkeit des Verbots von verfassungswidrigen Parteien sein.

III. Der Verbotsantrag der Bundesregierung gegen die KPD

Am 22. November 1951 hat die Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht den Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD gestellt. Vor einer politischen Würdigung des Antrages seien zunächst sein Wortlaut und die entscheidenden Passagen aus der Antragsbegründung wiedergegeben:

1. Es wird festgestellt, daß die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) verfassungswidrig ist.

2. Die Kommunistische Partei Deutschlands mit allen ihren Teilorganisationen wird aufgelöst. 3. Es wird verboten, für die Kommunistische Partei Deutschlands oder eine ihrer Teilorganisationen Tarn-oder Ersatzorganisationen zu schaffen.

4. Das Vermögen der Kommunistischen Partei Deutschlands und ihrer Teilorganisationen wird zugunsten des Bundes fürgemeinnützige Zwecke eingezogen. 5)

Die Bundesregierung teilte die Begründung ihres Verbotsantrages in folgende Gesichtspunkte auf, die die inhaltliche Akzentuierung der Antragsbegründung deutlich werden lassen und bereits erste Rückschlüsse auf die politischen Hintergründe des Antrages erlauben: Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und die politischen Parteien — Die inneren Grundsätze der KPD — Die Ziele der KPD— Unvereinbarkeit der Verfassungswirklichkeit in der sowjetischen Besatzungszone mit den Verfassungsgrundsätzen der Bundesrepublik — Das verfassungswidrige Verhalten der KPD undihrerAnhänger — Zusammenfassende rechtliche Würdigung. — Anlage: Zeittafel derBolschewisierung der Satellitenstaaten und der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. 6)

Die „zusammenfassende rechtliche Würdigung" am Ende der Antragsbegründung muß zum richtigen Verständnis der politischen Hintergründe für den Verbotsantrag in ihren wichtigsten Auszügen zitiert werden:

Die unter Beweis gestellten Tatsachen ergeben für sich allein und als Glieder einesgrößeren Zusammenhangs, daß die KPD elementare Grundsätze des Grundgesetzes verletzt. Sie verstößt gegen den Grundsatz des Art. 20 Abs. 2 GG, daß die Staatsgewalt vom Gesamt volk ausgeht, indem sie die fferrschaft einer Klasse zum Endziel ihrer politischen Wirksamkeit innerhalb der gegenwärtigen Staatsform macht. Sie wünscht die Einführung eines Systems, das alle Anschauungen, die ihm nicht in vollem Umfange entsprechen, diffamiert und ausschließt und damit entgegen dem Grundsatz der Gleichheit und dem Prinzip des Mehrparteienstaates, die in Art. 3 und Art. 21 GG begründet sind, den Einparteienstaat repräsentiert... Das insoweit ungesetzliche Endziel der Politik der KPD wird deshalb auf revolutionärem Wege verfolgt, wie am Verhalten der Mitglieder der KPD dargelegt worden ist.

Die KPD ist eine politische Partei, die nach ihren Zielen und auch nach dem Verhalten ihrer Anhänger daraufausgeht, die freiheitliche demokratische Grundordnung und auch den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Sie erfüllt damit den höchsten Grad der Verfassungswidrigkeit, der in einem Staatswesen denkbar ist. Sie ist nach ihrem inneren Gesetz verfassungfeindlich und muß von der Beteiligung an der politischen Willensbildung des deutschen Volkes ausgeschlossen werden. 7)

Grundsätzlich hätten der Bundesregierung zur Begründung ihres Verbotsantrages zwei Möglichkeiten der Argumentation offengestanden: eine aktuell politische und eine prinzipiell verfassungsrechtliche. Im ersten Fall hätte sie damit argumentieren können, daß die KPD eine unmittelbare Gefahr im Sinne einer akuten Bedrohung für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland darstelle. Sollte diese Argumentationsmöglichkeit aufgrund der tatsächlichen politischen Gegebenheiten entfallen, so hätte sie grundsätzlich argumentieren und vor Gericht darlegen müssen, daß die KPD — auch wenn sie keine akute Bedrohung für die Grundordnung und den Bestand des Staates darstellen sollte — schon a -lein aus prinzipiellen Erwägungen heraus eine Gefahr für das Fortbestehen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und/oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland i de.

Die erste Argumentationsmöglichkeit entti ganz offensichtlich aufgrund der tatsächlK gegebenen politischen Situation im Ja r 1951. Die ursprünglich — besonders in manchen Bundesländern — nicht unbeachtlichen Wahlerfolge der KPD hatten sich bis zum Zeitpunkt der Antragstellung in den Landtags-und Kommunalwahlen nahezu sämtlicher Bundesländer in eine eindeutige Absage der Wähler an diese Partei verwandelt. Das belegen die folgenden ausgewählten, nach amtlichen Unterlagen zusammengestellten Zahlen, die auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Urteilsbegründung zitiert

Die Wahlen zum ersten Deutschen Bundestag am 14. August 1949 ergaben für die KPD 5, 7 Prozent der Stimmen, die Wahlen zum zweiten Deutschen Bundestag am 6. September 1953 nur noch 2, 2 Prozent der Stimmen. Die Wahlen zum zweiten Deutschen Bundestag fanden zwar fast zwei Jahre nach der Antragstellung durch die Bundesregierung statt; dennoch sprachen die oben zitierten dazwischen liegenden Wahlergebnisse aus den Bundesländern ganz eindeutig für ein Absinken der KPD in der Wählergunst, das sich im Ergebnis der Bundestagswahlen von 1953 offensichtlich nicht unter dem Eindruck des inzwischen bereits gestellten Verbotsantrages, sondern wegen einer grundsätzlichen Ablehnung der KPD durch die Wähler fortsetzte.

Diesem politischen Tatbestand mußte die Bundesregierung in ihrer Antragsbegründung Rechnung tragen. So hat sie selbst festgestellt, daß „die Bemühungen der KPD, auf demokratischem Wege, nämlich durch die Stimmen ihrer Wähler, zu entscheidendem Einfluß auf die deutsche Politik zu gelangen, heute als gescheitert zu betrachten (sind), da die KPD im Gebiet der Bundesrepublik auf den Stand ei-ner Splitterpartei herabgesunken ist" Sie mußte weiterhin eingestehen, daß „die ständig rückläufige Bewegung der Wählerstimmen der KPD" zeige, „daß die Bevölkerung trotz großer materieller Schwierigkeiten für die KPD-Propaganda unzugänglich“ sei und daß der deutsche Staatsbürger erkannt habe, „daß der Marxismus-Leninismus-Stalinismus, den die KPD heute repräsentiert, den Untergang jeder menschlichen Freiheit, schlechthin die Vernichtung der Persönlichkeit zugunsten eines oligarchisch gelenkten Staatskollektives bedeutet"

Das heißt: Erstens sprachen die tatsächlichen politischen Verhältnisse — insonderheit die stark rückläufigen Wahlergebnisse — gegen die Berechtigung des theoretisch denkbaren Arguments, die KPD stelle eine akute Bedrohung dar. Zweitens zwangen diese politischen Gegebenheiten die Bundesregierung, die diese Beweisnot selbst eingestehen mußte, zum Ausweichen auf die zweite, nun allein noch verbleibende Argumentationsmöglichkeit, die KPD bilde aus grundsätzlichen Erwägungen heraus eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung und den Bestand der Bundesrepublik Deutschland.

Das bedeutet wiederum folgendes: Das mögliche Argument der Bundesregierung , die KPD stelle eine akute Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung und den Bestand der Bundesrepublik Deutschland dar, hätte vermutlich im Falle seiner Richtigkeit breiteste Zustimmung zum Verbotsantrag in der Öffentlichkeit gefunden. Das prinzipielle verfassungspolitische Argument, auf das sich die Antragstellerin aber nunmehr zurückziehen mußte, weil das aktuell politische Argument keine Beweiskraft besaß, hat von Anfang an Zweifel und Kritik an der politischen Zweckmäßigkeit des Verbotsantrages ausgelöst und zu Überlegungen Anlaß geben müssen, welches wohl die wahren politischen Beweggründe gewesen seien, die die Bundesregierung zum Verbotsantrag veranlaßt haben — Gründe, die offensichtlich oder zumindest möglicherweise gar nicht in erster Linie mit der Existenz und der politischen Tätigkeit der KPD zusammenhingen. Die Vermutung lag also nahe, daß die Bundesregierung mit ihrem Verbotsantrag ganz andere politische Ziele verfolgte, als die „auf den Stand einer Splitterpartei herabgesunkene" KPD aus dem politischen Leben der Bundesrepublik auszuschalten.

Diese Vermutung wird noch durch die ungewöhnlich lange Dauer des Verfahrens be-stärkt. Das Bundesverfassungsgericht selbst, dem von seinem gesetzlichen Auftrag her bei einem Parteiverbotsverfahren politische Zweckmäßigkeitsüberlegungen fremd sein müssen, hat sich ganz offensichtlich — aus welchen Erwägungen auch immer — nur sehr zögernd mit dem Verbotsantrag der Bundesregierung befaßt. Obwohl der Antrag der Bundesregierung am 22. November 1951 gestellt wurde, hat die mündliche Verhandlung erst am 23. November 1954 — also fast auf den Tag drei Jahre nach der Antragstellung — begonnen. Bis zur Urteilsverkündung sind insgesamt mehr als viereinhalb Jahre vergangen. Dieser Umstand fällt um so mehr ins Gewicht, wenn man die Frist von der Antragstellung bis zur Urteilsverkündung beim KPD-Urteil mit dem zeitlichen Ablauf des Verfahrens gegen die SRP vergleicht. Gegen diese Partei ist der Antrag der Bundesregierung am 18. November 1951 gestellt worden; das Gericht hat darüber aber bereits am 23. Oktober 1952 — also nach nur elf Monaten — entschieden. Die lange Dauer des Verfahrens gegen die KPD könnte auch mit der im Falle der KPD möglicherweise besonders schwierigen Beweislage erklärt werden; dadurch jedoch, daß das Bundesverfassungsgericht dem Antrag der Bundesregierung in allen Anklagepunkten gefolgt ist (siehe weiter unten), wird deutlich, daß es beim Bundesverfassungsgericht von Anfang an keine nennenswerten Zweifel an der verfassungsmäßigen Berechtigung des Verbotsantrages gegen die KPD gegeben haben kann. Die ungewöhnlich lange Dauer des Verfahrens muß demnach auf die (vermutete) Auffassung des Gerichts zurückgeführt werden, daß aufgrund der tatsächlichen Entwicklung der KPD keine besondere Eilbedürftigkeit gegeben sei

Zur Erklärung der vermutlich wahren Gründe der damaligen Bundesregierung für ihren Verbotsantrag gegen die KPD muß man sich die gesamtpolitische Situation der Bundesrepublik gegen Ende des Jahres 1951 in Erinnerung rufen, was hier selbstverständlich nur mit wenigen kurzen Hinweisen geschehen kann, die die Gefahr der Verkürzung in sich bergen.

Im Zuge des Ost-West-Konflikts begann sich die Bundesrepublik außenpolitisch und ideologisch zusehends am Westen zu orientieren. Der nachhaltige Einfluß der Besatzungsmächte in den drei ehemaligen Westzonen, der allmählich einsetzende wirtschaftliche Aufschwung auf der ökonomischen Basis der nur im Westen praktizierten „freien“ Marktwirtschaft, die beginnende Konsolidierung der DDR als eines eigenen Staates und andere grundsätzliche und aktuelle Erfahrungen (z. B. mit dem Korea-Krieg im gleichen Jahr) schienen nach Auffassung der damaligen Bundesregierung keinen anderen Weg offen zu lassen, als die einmal begonnene West-Orientierung der Bundesrepublik verstärkt fortzusetzen — und dies um den Preis einer zumindest einstweiligen Absage an alle Wiedervereinigungsbestrebungen oder gar Neutralisierungsabsichten. Diesen Auffassungen nachzugeben, hätte nach Ansicht der Bundesregierung nur eine unvertretbare Kompromißfreudigkeit gegenüber den Absichten des ideologischen und außenpolitischen Hauptgegners — des Kommunismus bzw.der Sowjetunion und ihres „Satelliten“, der DDR — dargestellt.

Als Konsequenz dieser Politik mußte es der damaligen Bundesregierung nur als folgerichtig erscheinen, auch innenpolitisch entsprechende Zeichen zu setzen. Eines dieser Zeichen sollte offenbar der Verbotsantrag gegen die KPD bilden, mit dem die Bundesregierung nach innen und außen sichtbar machen wollte, daß sie entschlossen sei, ihrer ideologischen Abgrenzung gegenüber dem Kommunismus und ihrer wachsenden außenpolitischen Distanz gegenüber den kommunistischen Staaten, insbesondere der DDR, entsprechende innenpolitische Taten folgen zu lassen, indem sie mit den ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten versuchte, die Kommunistische Partei Deutschlands von der politischen Willensbildung des deutschen Volkes auszuschließen. Angesichts der programmatischen Aussagen und der praktisch-politischen Tätigkeit der KPD bot das von der Bundesregierung eingeleitete Verbotsverfahren zudem mit großer Wahrscheinlichkeit auch hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Diese politische Interpretation wird auch von anderen Autoren geteilt. So schreibt beispielsweise Otto Kirchheimer: „Der Regierung lag daran, eine . weiche'Haltung im Ost-West-Konflikt möglichst unpopulär zu machen. Es stärkte ihre innenpolitische Position, wenn sie zeigen konnte, daß, wer für eine . sanfte'Außenpolitik eintrete, in Wirklichkeit Kompromisse mit einer politischen Kraft befürworte, der das oberste Gericht des Landes bescheinigt habe, daß sie die demokratische Staatsordnung mit allen Mitteln bekämpfe. Es war zweifellos einfacher, Bemühungen um freundlichere Beziehungen oder intensivere Verhandlungen mit dem Osten entgegenzutreten, wenn sich mit Hilfe eines Gerichtsurteils beweisen ließ, daß eine solche Politik Kräfte in den Sattel zu heben drohte, deren wichtigstes Ziel die Zerstörung der demokratischen Grundlagen jeder staatlichen Ordnung war... Das alles bestärkt nur die Vermutung, daß die wirklichen Beweggründe der Regierung mit der Notwendigkeit der Verteidigung der demokratischen Ordnung wenig, sehr viel mehr dagegen mit dem Bedürfnis zu tun hatten, ihre Außenpolitik auf eine breitere Basis zu stellen und ihre Frontstellung in dem zweigeteilten Land zu festigen.“

IV. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Am 23. November 1954 hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts die mündliche Verhandlung über den Antrag der Bundesregierung auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Kommunistischen Partei Deutschlands eröffnet und nach 51 Verhandlungstagen am Juli 1955 abgeschlossen. Im Verfahren gegen die rechtsradikale SRP hatte das Gericht ein halbes Jahr nach der Antragstellung und drei Monate vor dem Urteil eine einstweilige Anordnung erlassen, die der Partei jede weitere Propaganda und jede öffentliche Betätigung untersagte. Nach Abschluß der Verhandlung über den Verbotsantrag gegen die KPD sah es sich zu einer vergleichbaren Maßnahme nicht veranlaßt. Außerdem sind noch weitere dreizehn Monate bis zur endgültigen Urteilsverkündung vergangen; auch hatte es während des Zeitraums der mündlichen Verhandlung mehrwöchige Verhandlungspausen gegeben. Das Bundesverfassungsgericht hat also das Verfahren gegen die KPD nicht eben überstürzt vorangetrieben.

Am 17. August 1956 kam es schließlich zu folgendem Urteil im Namen des Volkes:

1 1 Die Kommunistische Partei Deutschlands ^verfassungswidrig.

2 Die Kommunistische Partei Deutschlands " ird aufgelöst.

Esist ver^°t-en, Ersatzorganisationen für le kommunistische Partei Deutschlands zu scnasfen oder bestehende Organisationen als rsatz°rganisationen fortzusetzen.

i Das Vermögen der Kommunistischen Pars' L>^‘. tsc^an ^s wird zugunsten der Bundes^Pubhk Deutschland zu gemeinnützigen decken eingezogen.

den Ländern werden die Minister (Senaten) des Innern mit der Durchführung der ^ischeidung zu Ziffer 12 und 3 beauftragt; inoweit stehen ihnen unmittelbare Weisungs^tugnisse gegenüber allen Polizeiorganen Die Einziehung des Vermögens wird dem Bundesminister des Innern übertragen, der sich der Hilfe der Minister (Senatoren) des Innern der Länder bedienen kann.

III. Vorsätzliche Zuwiderhandlungen gegen diese Entscheidung oder gegen die im Voll-züge dieser Entscheidung getroffenen Maßnahmen werden gemäß 47, 42 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht mit Gefängnis nicht unter 6 Monaten bestraft. 13) Von Details in der Formulierung abgesehen, ist das Gericht damit in allen Punkten dem Antrag der Bundesregierung gefolgt. Wenn man Ausführungen des Gerichts über das Verfahren selbst einmal beiseite läßt, gliedern sich die einzelnen Gesichtspunkte der Urteils-begründung anders als im Antrag der Bundesregierung; so heißt es jetzt:

A. Die allgemeine Zielsetzung der KPD — B.'Die allgemeine Betätigung der KPD im Sinne des Marxismus-Leninismus — C. Die aktuelle Zielsetzung der KPD (I. Die Entwicklung der Wiedervereinigungspolitik der KPD; II. Das Programm der nationalen Wiedervereinigung als wichtigste Grundlage für die Beurteilung der aktuellen Zielsetzung der KPD) — D. Der politische Gesamtstil der KPD. 14)

Das Gericht hat — vermutlich aus systematischen Gründen — eine andere Einteilung seiner Begründung vorgenommen als die Antragstellerin, sich aber inhaltlich auf die gleichen Problemkreise konzentriert (Ziele — Verhalten der Anhänger — aktuelle Wiedervereinigungsproblematik).

Aufgrund seiner Beurteilung der programmatischen Erklärungen der KPD und des praktisch-politischen Verhaltens ihrer Parteiorganisationen und ihrer Anhänger in der damaligen politischen Auseinandersetzung in der Bundesrepublik Deutschland hat es das Gericht als erwiesen angesehen, daß die KPD den Vorschriften des Artikels 21 Absatz 1 Grundgesetz nicht entsprach. Dem Verbotsantrag der antragstellenden Bundesregierung mußte insoweit entsprochen werden.

Unter mehreren anderen waren es insbesondere zwei gravierende Gründe, die das Bundesverfassungsgericht in seiner in der Druck-fassung mehr als 150seitigen Urteilsbegründung gegen die KPD vorgebracht hat. Der eine betraf die Unvereinbarkeit des Staats-und Gesellschaftsbildes der Diktatur des Proletariats mit den Leitprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, insbesondere mit den nach dem Grundgesetzvorgeschriebenen Prinzipien des Parlamentarismus, des Pluralismus und des Mehrparteienstaates. Der andere wesentliche Verbotsgrund bezog sich auf das aktuelle politische Verhalten der KPD-Funktionäre und -Anhänger in Wort und Schrift und den „politischen Gesamtstil der KPD" in ihrem Verhältnis nicht nur zur Politik der damaligen Bundesregierung, sondern zu den obersten Grundprinzipien der Verfassung. Während die Darstellung des Prinzips der Diktatur des Proletariats und seiner Kritik durch das Bundesverfassungsgericht ausführliche Darlegungen nötig machen würde, die den Rahmen dieser Untersuchung sprengen müßten, seien zum politischen Gesamtstil der KPD immerhin einige Ausführungen des Gerichts zitiert, zumal sie in ihrer besonders plakativen Form die Einstellung der KPD zum Grundgesetz und zu den Institutionen des Staates in besonders eindrucksvoller Weise deutlich werden lassen.

In diesem Zusammenhang hat das Bundesverfassungsgericht eine Fülle von schriftlichen Äußerungen der KPD zusammengestellt, dokumentiert und rechtlich bewertet. Danach ist in parteioffiziellen Verlautbarungen z. B. von „Faschisten aller Spielarten innerhalb und außerhalb der Adenauer-Regierung“ oder von den Wahlgesetzen der Bundesrepublik Deutschland als „Wahlbetrugsgesetzen", bisweilen als „faschistischen Wahlbetrugsgesetzen" ebenso die Rede wie von der Bundesregierung als einer „Regierung des Krieges und der Zerstörung Deutschlands“ oder des damaligen Bundeskanzlers als eines „Repräsentanten der extremsten, chauvinistischsten und abenteuerlichsten Kräfte Westdeutschlands". Danach steckt der Bundeskanzler „mit Faschisten, Verbrechern und Banditen N. unter einer Decke“; seine (und seiner Minister) Lügen gleichen wie „ein Haar dem anderen ...den Lügen Hitlers, Himmlers und Goebbels“; der Bundeskanzler Adenauer ist „der Hitler von heute"; oder: „Hitler und Adenauer, die gleichen Paroa die gleichen Methoden“

Zu diesen Angriffen auf die damalige Bundes-regierung traten herabwürdigende Äußerun. gen über den Deutschen Bundestag. Seine Qualität wird gekennzeichnet durch die „reak. tionären" und „faschistischen Gesetze", die er beschlossen hat. Die Bundesregierung wird bei ihren Plänen unterstützt von einem „amerikahörigen“ Parlament, das nur durch „Schwindelwahlen“ und „Pseudowahlen“ und mit Hilfe von „Gesinnungsterror, Korruption und Betrug" gebildet werden konnte.

Das Bundesverfassungsgericht schließlich wird als „sogenannte Verfassungsgerichtsbarkeit" abqualifiziert; Willkür-und Tenorurteile werden ihm durchaus zugetraut Aufgrund der Erfüllung derartiger Tatbe-! stände hat das Bundesverfassungsgericht die Kommunistische Partei zwar für verfassungswidrig erklärt; es hat aber bei der Beurteilung des Programms und der aktuellen Zielsetzung und politischen Praxis der KPD nicht etwa besonders rigorose Maßstäbe angelegt, sondern im Gegenteil die Grenzen der Betätigungsmöglichkeiten einer jeden politischen Partei — gerade auch solcher, die im Verdacht der Verfassungswidrigkeit stehen — außerordentlich weit gezogen. Das Urteil zeichnet sich durch ein ungewöhnlich hohes Maß an Liberalität gegenüber der Tätigkeit jeglicher politischer Parteien in der Bundesrepublik Deutschland aus, wie die folgenden kurzen Auszüge aus der Urteilsbegründung belegen. Daß dennoch die KPD verboten worden ist, zeugt nur davon, daß es das Gericht als erwiesen angesehen hat, daß diese Partei die Grenzen sogar dieser betont liberalen und toleranten Auslegung der Betätigungsmöglichkeiten einer politischen Partei gesprengt hat. Die folgenden Auszüge aus der Urteilsbegründung sind deshalb nicht nur von speziellem Interesse im Zusammenhang mit dem Verbot der KPD, sondern auch von prinzipiell verfassungsrechtlichem Interesse, weil das Gerih dabei — ähnlich wie im Urteil über die SRP — grundsätzliche Aussagen zur Funktion un zu den Grenzen der politischen Betätigung jeder Partei getroffen hat.

Auszugehen ist davon, daß eine politische tei nur dann aus dem politischen Leben ausge schaltet werden darf, wenn sie, wie das Bundesverfassungsgericht in dem SRP-Urteil vom 23. Oktober 1952[.. ]ausgeführt hat, „die obersten Grundsätze der freiheitlichen Demokratieablehnt". .. Eine Partei ist nicht schon dann verfassungswidrig, wenn sie einzelne Bestimmungen, ja ganze Institutionen des Grundgesetzes ablehnt. Sie muß vielmehr die obersten Werte der Verfassungsordnung verwerfen, die elementaren Verfassungsgrundsätze, die die Verfassungsordnung zu einer freiheitlichen demokratischen machen, Grundsätze, über die sich mindestens alle Parteien einig sein müssen, wenn dieser Typus der Demokratie überhaupt sinnvoll funktionieren soll.

Die Liberalität des Urteils wird noch deutlicher, wenn das Gericht fortfährt, daß eine Partei auch nicht schon dann verfassungswidrig sei, wenn sie diese obersten Prinzipien einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung nichtanerkennt, sie ablehnt, ihnen andere entgegensetzt. Es muß vielmehr eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung hinzukommen; sie muß planvoll das Funktionieren dieser Ordnung beeinträchtigen, im weiteren Verlauf diese Ordnung selbst beseitigen wollen. Das bedeutet, daß der freiheitlich-demokratische Staat gegen Parteien mit einerihm feindlichen Zielrichtung nicht von sich aus vorgeht; er verhält sich vielmehr defensiv, er wehrt lediglich Angriffe aufseine Grundordnung ab. Schon diese gesetzliche Konstruktion des Tatbestandes

schließt einen Mißbrauch der Bestimmung im Dienste eifernder Verfolgung unbequemer Oppositionsparteien aus. 19)

Nach nahezu einhelliger Auffassung hat das Bundesverfassungsgericht im Falle des Verbotsantrages gegen die KPD aufgrund der verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Prämissen nicht anders entscheiden können. Kritik am Urteil konnte und kann deshalb — außer von interessierter Seite — kaum vorgebracht werden. Urteilsschelte ist aufgrund der Ver-fassungsund Gesetzeslage auf der einen und der politischen Tätigkeit der damaligen KPD auf der anderen Seite kaum möglich — insbesondere dann nicht, wenn man die soeben beschriebene Toleranz des Gerichts selbst gegenüber solchen Parteien berücksichtigt, die im Verdacht der Verfassungswidrigkeit stehen. Wenn sich die Wissenschaft dennoch gelegentlich nicht unkritisch mit dem KPD-Verbot auseinandergesetzt hat, so geschah dies zunächst wegen der verfassungsrechtlichen Neuartigkeit und damit möglicherweise auch Fragwürdigkeit von Parteiverbotsverfahren schlechthin, weniger zur Verteidigung der inzwischen verbotenen Partei. Außerdem richten sich die bisher geäußerten kritischen Einwände nicht in erster Linie gegen das Urteil des Gerichts, sondern eher gegen die politische Zweckmäßigkeit und Vernünftigkeit des Verbotsantrages durch die damalige Bundesregierung 20).

V. Auswirkungen des KPD-Verbots bis in die Gegenwart

Nach dem 17. August 1956 wurde die Kommunistische Partei Deutschlands aufgelöst; die im Urteil vorgeschriebenen behördlichen Maßnahmen wurden durch die Innenminister des Bundes und der Länder durchgeführt und die KPD dadurch von der politischen Willensbil-Bung des deutschen Volkes ausgeschlossen. Die Jahre danach waren durch illegale Untergrundtätigkeit, z. T. auch durch Verurteilungen einer ganzen Reihe von ehemaligen KPDunktionären gekennzeichnet. Eine neue kommunistische Partei hat sich zunächst nicht zugründen versucht; erst 1960 haben sich früere KPD-Mitglieder, allerdings auch Vertre-ter anderer politischer Gruppen zur Deut-sChen Friedens-Union (DFU) zusammenge-Kolossen, der freilich bei den nachfolgenden ahlen noch weniger Erfolge beschieden wa-pnals der KPD zum Zeitpunkt ihres Verbotes, m später gegründeter „Initiativausschuß für ie Wiederzulassung der KPD" konnte aus rechtlichen Gründen mit seinem Begehren nicht durchdringen. Erst 1968 gründete sich dann in Essen die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) als der Versuch zur Schaffung einer neuen politischen Organisationsbasis für ehemalige KPD-Mitglieder und neue Anhänger.

Seit ihrer Gründung wird die DKP von der Bundesregierung und allen Landesregierungen als zumindest potentiell verfassungswidrig eingeschätzt und daraufhin durch die Organe des Verfassungsschutzes observiert. Zahlreiche programmatische Erklärungen der DKP, weniger dagegen das Verhalten ihrer Anhänger in der Öffentlichkeit, nähren den Verdacht, daß die DKP vom Grundsatz, wenn auch nicht von ihrem taktischen Verhalten her eine Nachfolge-oder Ersatzorganisation der verbotenen KPD ist Allerdings hat sie aus der Urteilsbegründung für das KPD-Verbot für ihr kurzfristig taktisches und ihr langfristig strategisches Auftreten in der Öffentlichkeit Lehren gezogen, um nicht das gleiche Schicksal zu erleiden wie die damalige KPD. Wichtiger für unseren thematischen Zusammenhang ist die Frage, warum die Bundesregierung oder eines der anderen nach dem Gesetz hierzu berechtigten Verfassungsorgane seit der Gründung der DKP vor nunmehr dreizehn Jahren keinen Verbotsantrag gegen diese Partei beim Bundesverfassungsgericht gestellt haben, obwohl sie von der Verfassungsfeindlichkeit der DKP überzeugt sind.

Eine erste Erklärung hierfür liefert das bereits angesprochene taktische Verhalten der Partei, die sich in ihrem Programm und in ihrem mündlichen und schriftlichen Auftreten in der Öffentlichkeit immer an der Urteilsbegründung zum KPD-Verbot orientieren muß. Da sie aber zweifelsfrei vom Grundsatz her die gleichen oder ähnliche Ziele verfolgt wie die verbotene KPD wenn man von der seinerzeit wesentlich aktuelleren Wiedervereinigungsproblematik absieht, befindet sie sich stets in dem Dilemma, ihre grundsätzlichen politischen Endziele mit der praktischen Notwendigkeit in Einklang zu bringen, diese Ziele aufgrund des Urteils von 1956 in der politischen Öffentlichkeit nur vorsichtig und mit sehr zurückhaltendem politischem Sprachgebrauch zu vertreten.

Eine vergleichbare Verlegenheit kennzeichnet die politische Tätigkeit der NPD, die ihre eigenen Lehren aus dem Verbotsurteil gegen die SRP ziehen mußte — übrigens auch aus dem KPD-Urteil wegen dessen prinzipieller Ausführungen über die Grenzen parteipolitischer Betätigung. Insbesondere wegen des radikalen Verhaltens vieler ihrer Anhänger in der Öffentlichkeit ist allerdings 1969 von der Bundesregierung ein Verbotsantrag zumindest lebhaft diskutiert, dann allerdings wieder verworfen worden.

Die Bundesregierung oder eines der anderen Verfassungsorgane, die zu einem Verbotsantrag berechtigt sind, standen und stehen also vor der Schwierigkeit, daß sie einerseits die Tätigkeit, vor allem aber die politischen Endziele dieser Parteien mit großer Skepsis verfolgen, weil sie von deren Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz überzeugt sind, andererseits aber aufgrund des aktuellen politischen Verhaltens dieser Parteien keinen konkreten Anlaß für einen Verbotsantrag sehen; hinzu kommt in beiden Fällen die Überlegung, daß sich das Bundesverfassungsgericht aus verfassungsrechtlichen Gründen wegen des aufgrund der Urteile von 1952 und 1956 taktisch gewandelten Verhaltens beider Parteien oder Nachfolgeparteien womöglich gezwungen sähe, einen eventuellen Verbotsantrag zurückzuweisen. Eine solche Entscheidung würde genau das Gegenteil dessen bewirken, was die Antragstellerin beabsichtigt hätte: Die jeweils nicht verbotene Partei könnte dann mit dem Argument, das höchste deutsche Gericht habe ihre Übereinstimmung mit der Verfassung bestätigt, zusätzliche Wählerstimmen gewinnen. Das vergleichsweise verfassungskonforme Verhalten der in Rede stehenden Parteien vermindert somit Möglichkeiten und Chancen eines denkbaren Verbotsantrages.

Eine weitere Erklärung dafür, daß keines der im Gesetz vorgesehenen Verfassungsorgane bisher einen Verbotsantrag gegen die DKP gestellt hat, bildet die hohe Toleranzgrenze, die das Bundesverfassungsgericht gegenüber als verfassungswidrig verdächtigten Parteien gezogen hat, ebenso wie die im Laufe der Jahre von den zuständigen politischen Instanzen offenbar gewonnene Überzeugung, daß eine politische, nicht juristische Auseinandersetzung mit verfassungsfeindlichen Parteien mehr Erfolg verspricht als der Weg über das Parteiverbot. Die bisherigen Wahlergebnisse sprechen für die Richtigkeit dieser zurückhaltenden Anwendung des Rechtsinstituts des Parteiverbots. Eine solche Zurückhaltung der antragsberechtigten Verfassungsorgane gegenüber dem Parteiverbot als äußerstem Mittel der politischen Auseinandersetzung entspricht insoweit der Liberalität, die das Bundesverfassungsgericht in seiner Begründung zum KPD-Urteil gegenüber extremen Parteien hat walten lassen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Es entbehrt nicht der politischen Pikanterie, wenn im Jahre der 25. Wiederkehr des KPD-Verbotes vier Mitglieder der neuen französischen Regierung aus den Reihen der dortigen Kommunistischen Partei berufen wurden.

  2. Urteil vom 23. Oktober 1952 auf Antrag der Bundesregierung vom 18. November 1951; abgedruckt n: BVerfGE (Entscheidungen des Bundesverfassngsgerichts) 2, 1, S. 10 ff. und S. 73.

  3. Dieser für einen Verfassungsrechtler sicher unnötige Hinweis erscheint aufgrund der praktischen Währungen in der politischen Bildung immer wieder PAerlich. In Veranstaltungen zur Funktion teiv h eien im allgemeinen und zu Fragen des Parteiverbots im besonderen sind stets Ansichten wie die zu hören, daß „die Regierung" diese oder jene Partei Verbieten solle — Ansichten, die rechtlich unso unhaltbar sind wie die weit verbreitete Auffassung, es handele sich bei dieser oder jener Partei zu eien zugelassene" Partei, obwohl Artikel 21 Ab-Gründung s Grundgesetz ausdrücklich sagt: Ihre Gründung ist frei

  4. Zitiert nach: Gerd Pfeiffer und Hans-Georg Strik-kert (Hrsg.), KPD-Prozeß. Dokumentarwerk zu dem Verfahren über den Antrag der Bundesregierung auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Kommunistischen Partei Deutschlands vor dem Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 1— 3, Karlsruhe 1955— 1956; das obige Zitat findet sich in Bd. 3, S. 583.

  5. Ebd, Bd. 3, S. 590 f.

  6. Ebd., Bd. 1, S. 3.

  7. Ebenda.

  8. Wenn das Gericht überhaupt „schon“ nach viereinhalb Jahren über den Verbotsantrag gegen die KPD entschieden hat, so wohl auch aus folgendem Grund: Der Bundestag hatte am 21. Juli 1956 eine Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht beschlossen. Danach mußte der Erste Senat des Gerichts bereits schwebende Verfahren — z. B.den KPD-Prozeß — bis zum 31. August 1956 abschließend behandeln, weil danach die Zuständigkeit für Parteiverbotsverfahren aus arbeitstechnischen Gründen auf den Zweiten Senat übergegangen wäre. Der Erste Senat, bei dem das KPD-Verfahren anhängig war, sah sich dadurch zur Eile gezwungen. Das läßt zumindest die Vermutung zu, daß das Bundesverfassungsgericht mit der Entscheidung über die KPD noch länger gewartet hätte, wenn es nicht vom Bundesgesetzgeber zu einer raschen Entscheidung gedrängt worden wäre.

  9. Otto Kirchheimer, Politische Justiz. Verwendung juristischer Verfahrensmöglichkeiten zu politischen Zwecken, Neuwied 1965, S. 235.

  10. Ebd., S. 616— 744.

  11. Ebd., S. 739 f.

  12. Ebd., Bd. 3, S. 740.

  13. Zum Urteil über die SRP vgl. Otto Büsch/ete Furth, Rechtsradikalismus im Nachkriegsdeus land. Studien über die Sozialistische Reichspar (SRP), Berlin/Frankfurt 1957.

  14. Pfeiffer/Strickert, a. a. O.. Bd. 3. S. 612.

  15. Ebd., Bd. 3, S. 612.

  16. Von dieser Feststellung ist zumindest nach allen seit Jahren veröffentlichten Unterlagen des Bundesministers und der Länderminister des Innern auszugehen.

Weitere Inhalte

Christian Bockemühl, Dr. phil., geb. 1937; elf Jahre hauptberuflich in der Erwachsenenbildung (z. T. in der politischen Bildung) tätig; heute freiberuflicher Journalist und Referent in der politischen Bildung. Veröffentlichungen u. a.: Gegen die NPD — Argumente für die Demokratie, Bonn 1969; Wider die Thesen der DKP — Argumente für die Demokratie (gemeinsam mit drei weiteren Autoren), Bonn 1972; Zur politischen und gesellschaftlichen Funktion der Erwachsenenbildung, in: Recht der Jugend und des Bildungswesens, Heft 3/1977-, Reverenz ohne Konsequenz? Die Funktion der Politischen Bildung in den Landesgesetzen zur Erwachsenenbildung, in: Materialien zur Politischen Bildung, Heft 2/1978; Ordnungsmodelle der Erwachsenenbildung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 19/78.