Perspektiven der Arbeitsmarktentwicklung in den achtziger Jahren
Hans-Jürgen Krupp
/ 24 Minuten zu lesen
Link kopieren
Zusammenfassung
Die Bundesrepublik Deutschland befindet sich in der schwersten Beschäftigungskrise seit ihrem Bestehen. Neben einem demographisch und durch einen starken Ausländerzustrom bedingten kräftigen Anwachsen des Erwerbspersonenpotentials hat auch das Zurückbleiben des Wirtschaftswachstums seit Anfang der siebziger Jahre hinter der Produktivitätsentwicklung hierzu beigetragen. Demgegenüber ist die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland nach wie vor beachtlich; die Zahl der für den Export Tätigen hat zugenommen. Für die achtziger Jahre muß mit einer weiteren Verschärfung der Beschäftigungsprobleme gerechnet werden. In der politischen Diskussion spielen insbesondere Strategien zur Begrenzung des Produktivitätswachstums sowie nachfrage-und angebotsorientierte Strategien eine zentrale Rolle. Diese sollten nicht als Alternativen betrachtet werden, da voraussichtlich nicht einmal ihre Kombination Vollbeschäftigung in den achtziger Jahren garantieren kann. Konzepte zur Begrenzung des Produktivitätsanstieges knüpfen entweder an der Produktivität je Arbeitsstunde — dies bedeutet einen Verzicht auf die Ausschöpfung des durch den technischen Fortschritt möglichen Produktivitätszuwachses — und zum anderen an der Produktivität je Erwerbstätigen an; dies bedeutet eine Verminderung der Arbeitszeit. Während die Bundesrepublik Deutschland sich eine Begrenzung des technischen Fortschritts schon aus Gründen ihrer Wettbewerbsfähigkeit nicht leisten kann, sollten Arbeitszeitstrategien behutsam angewandt werden, wobei man weder die zu erwartenden Beschäftigungseffekte überschätzen noch die damit verbundenen Kosten unterschätzen sollte. Nachfrageorientierte Wachstumsstrategien sehen in der unzureichenden Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage einen Grund für die Wachstumsschwäche. Es gibt noch zahlreiche Wachstumsfelder im privaten und öffentlichen Bereich, die bei einer Änderung in der Nachfragestruktur für ausreichendes Wachstum sorgen könnten. Die Hauptschwierigkeiten einer derartigen Strategie dürften auf der Finanzierungsseite liegen. Angebotsorientierte Wachstumsstrategien sehen in den verschlechterten Rahmenbedingungen für die Unternehmen eine Hauptursache für die gegenwärtigen Probleme. Während man die Möglichkeiten einer Politik der Lohnzurückhaltung nicht überschätzen sollte, muß auch der Einfluß der Zinssätze in die Überlegungen einbezogen werden. Dessenungeachtet gibt es eine Anzahl von Möglichkeiten, die Angebotsbedingungen der Unternehmen zu verbessern. Angesichts einer notwendigen gemischten Strategie steht insbesondere die Finanzpolitik vor einer schwierigen Aufgabe. Bei einer mittelfristig notwendigen Konsolidierung der Staatsfinanzen dürfen Wachstums-und beschäftigungspolitische Aspekte nicht außer Acht gelassen werden. Zieht man die Fehler in Betracht, die bei der falschen Anwendung einer an sich wirksamen antizyklischen Finanzpolitik gemacht wurden, spricht viel für eine Ver-stetigung der Finanzpolitik. Eine Lösung der anstehenden Probleme kann nur dann erreicht werden, wenn die verschiedenen Träger der Wirtschaftspolitik — Bund, Länder und Gemeinden, Tarifpartner und Bundesbank — enger als bisher Zusammenarbeiten.
I. Zur Ursachenanalyse der Beschäftigungskrise
Für die Unterstützung bei der Vorbereitung und Überarbeitung des Beitrages möchte ich Dietmar Edler danken.
Abbildung 5
Schaubild 5: Komponenten 2) der jährlichen Entwicklung des Industriewarenexports 1) der Bundesrepublik Deutschland 1959/1979 jeweiliges Vorjahr-100 40-300 -Wettbewerbskomponente, nominal 108 Str-u* ktu 7 rk-o-m--pa ol n 3 e 3 nte, Ay /II -106 104 102 100 Wettbewerbskomponente, real Entwicklung des Industriewarenexports” der Bundesrepublik Deutschland (in vH gegen50r Vorjahr)
I Export, nominal Export, real I II -
tUm-BLU 98 96 94 92 1) SITC 5 bis 8; Basis US-Dollar-2) Berechnet auf der Grundl윘ؒ:
Schaubild 5: Komponenten 2) der jährlichen Entwicklung des Industriewarenexports 1) der Bundesrepublik Deutschland 1959/1979 jeweiliges Vorjahr-100 40-300 -Wettbewerbskomponente, nominal 108 Str-u* ktu 7 rk-o-m--pa ol n 3 e 3 nte, Ay /II -106 104 102 100 Wettbewerbskomponente, real Entwicklung des Industriewarenexports” der Bundesrepublik Deutschland (in vH gegen50r Vorjahr)
I Export, nominal Export, real I II -
tUm-BLU 98 96 94 92 1) SITC 5 bis 8; Basis US-Dollar-2) Berechnet auf der Grundl윘ؒ:
Inzwischen kann kein Zweifel mehr daran bestehen, daß die Bundesrepublik Deutschland in die schwerste Beschäftigungskrise ihrer Geschichte geraten ist. Diese Krise ist spätestens seit 1978, zum Teil schon früher, vorhergesagt worden -Ihre Ursachen sind nach wie vor strittig. Man kann aber wohl feststellen, daß alle monokausalen Erklärungsversuche, in denen eine einzige Ursache zur Erklärung der Krise herangezogen wurde, widerlegt worden sind. Die Ölkrise, die amerikanische Hochzinspolitik, die nationale oder internationale Geldpolitik, die Finanzpolitik, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, diese Faktoren erlauben jeweils allein nicht die Erklärung des Umfanges der heute gegebenen Beschäftigungsschwierigkeiten.
Abbildung 6
Schaubild 6: Arbeitsmarktbilanz 1965 bis 2000
Quelle: Institut für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit. Nürnberg
Schaubild 6: Arbeitsmarktbilanz 1965 bis 2000
Quelle: Institut für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit. Nürnberg
Im Jahre 1982 wird die Arbeitslosigkeit im Jahresdurchschnitt 1, 8 Millionen erreichen.
Gegen Jahresende wird damit selbst saisonbereinigt ein Wert von fast 2 Millionen erreicht werden. Die aktuelle Zahl dürfte höher, bei 2, 1 Millionen liegen. Dieser sehr hohe Wert ist sicher zum Teil konjunkturell bedingt. Es ist sehr problematisch, den konjunkturellen Anteil quantifizieren zu wollen. Er dürfte im Jahresdurchschnitt wohl kaum mehr als 500 000 Arbeitslose ausmachen. Dies zeigt aber deutlich, daß bei der beobachtbaren Arbeitslosig-
keit strukturelle Gründe dominieren. Im Mittelpunkt der folgenden Überlegungen sollen daher auch die strukturellen Ursachen stehen.
Da ist zunächst die Entwicklung des Erwerbspersonenpotentials in der Bundesrepublik Deutschland zu erwähnen. Dies ist in den letzten Jahren durch ein starkes Ansteigen, das auch noch weiter anhalten wird, und durch einen starken Ausländerzustrom gekennzeichnet. Der Politik ist es nicht gelungen, den Zustrom der Ausländer so zu begrenzen, wie dies beabsichtigt war. Hieraus resultiert eine weitere Verschärfung der Situation. Schaubild 1 zeigt zunächst die Entwicklung der Zahl der deutschen und der ausländischen Erwerbspersonen. Zugleich ist angegeben, welcher Teil jeweils arbeitslos geblieben ist. Die sogenannte „Stille Reserve" ist als zusätzliche Information in diesem Schaubild wiedergegeben.
Es besteht gar kein Zweifel, daß die sich hier abzeichnende demographische Entwicklung eine große Herausforderung an die Wirtschaftspolitik zur Schaffung neuer Arbeitsplätze darstellt. Genauso wenig kann es frei-3 lieh zweifelhaft sein, daß es auch in der Vergangenheit schon derartige Situationen gegeben hat, die ohne wesentliche Arbeitslosigkeit bewältigt worden sind.
Ein zweiter, langfristig strukturell wirkender Faktor ist die Produktivitätsentwicklung. Diese ist im Unternehmensbereich von einer beachtlichen Konstanz, wie Schaubild zeigt. Langfristig ist die Produktivität pro Arbeitsstunde um etwa 5, 5% pro Jahr gestiegen. Dies ist eine erhebliche Zunahme, die es erlaubt hat, immer mehr zu produzieren. Damit waren freilich auch traditionelle Verwendungsstrukturen in Frage gestellt. An vielen Stellen bestand kein Bedarf an zusätzlicher Produktion, so daß die Produktivitätsentwicklung zu einem Rückgang des Arbeitseinsatzes führte.
Gesamtwirtschaftlich ist das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts immer etwas hinter der Produktivitätsentwicklung zurückgeblieben, wie Schaubild 3 verdeutlicht. Der Rückstand war aber zunächst so gering, daß er durch den Rückgang der Arbeitszeit je Erwerbstätigen aufgefangen werden konnte, tei weise kam es sogar zu einer Zunahme der E werbstätigenzahl. In der ersten Hälfte di siebziger Jahre wurde dieser Wachstumsrücl stand aber so groß, daß es auch zu einem e heblichen Rückgang der Erwerbstätige kam.
Interessanter als die globale Entwicklung i freilich die dahinter stehende strukturell Veränderung. Für den Strukturbericht de Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschun wurde errechnet, wie sich die Zahl der für di verschiedenen Endnachfragebereiche tätige Beschäftigten geändert hat 2). In Schaubild sind drei Perioden unterschieden, von dene die erste und die dritte jeweils eine Expai sions-und Kontraktionsphase umfaßt, wäh rend die zweite tendenziell eher expansive'Charakter hat. Man sieht deutlich, daß di dem privaten Verbrauch zuzuordnende Beschäftigung in allen drei Perioden rückläufig ist. Im Zeitraum von 1963 bis 1978 ist die inlän-sdische Beschäftigung, die dem privaten Verbrauch zurechenbar ist, um rund 2 Millionen Personen zurückgegangen. Bei den Bruttoinvestitionen zeigt sich eine ähnliche Entwicklung. Auch wenn hier der Konjunktureinfluß stärker ist, ergibt sich in dem genannten Zeitraum per saldo erneut ein Rückgang um 2 Millionen Beschäftigte. Das Schaubild zeigt auch, wie dies zunächst kompensiert worden ist. Neben einer ins Gewicht fallenden Expansion des öffentlichen Sektors um rund eine Million Beschäftigte ergab sich eine weit größere Expansion der für den Export Tätigen um etwa 1, 7 Millionen Beschäftigte. Dieser Ausweitung des Exports steht eine, wenn auch geringere Expansion des Imports gegenüber. Am Ende der siebziger Jahre standen die beiden eben genannten Kompensationsmöglichkeiten nicht mehr zur Verfügung. Das Wachstum des öffentlichen Sektors war von der Finanzierungsseite her an deutliche Grenzen gestoßen; die schwieriger werdenden Verhältnisse auf den Weltmärkten setzten der ohnehin sehr beachtlichen Expansion des Exports eine Grenze.
Schon diese Überlegung zeigt, daß die häufig geäußerte Vermutung, unsere Beschäftigungsschwierigkeiten seien auf den Rückgang unserer internationalen Wettbewerbsfähigkeit zu-Schaubild rückzuführen, nicht zu halten ist. Ganz im Gegenteil hat der Export wesentlich dazu beigetragen, unsere Beschäftigungsschwierigkeiten zu mildern. Eine genauere Analyse zeigt, daß die Wettbewerbsfähigkeit nach wie vor hoch ist, was von der Exportentwicklung des letzten Jahres eindrucksvoll unterstrichen wird. Für die Strukturberichterstattung hat das DIW den Versuch gemacht, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft von anderen Einflußfaktoren auf den Export zu isolieren. Man kann die Exportentwicklung in eine Wachstumskomponente, eine Strukturkomponente und eine Wettbewerbskomponente zerlegen Die Wachstumskomponente berücksichtigt das insgesamt ja beachtliche Wachstum des Welthandels, das mit der deutschen Leistung nichts zu tun hat. Die Strukturkomponente berücksichtigt Verschiebungen in der regionalen undWarenstruktur unseres Exports. übrig bleibt die Wettbewerbskomponente, die ein Indikator für unsere Wettbewerbsfähigkeit ist. Diese kann man real und nominal ausweisen. Sicher ist auch hier eine reale Betrachtungsweise angemessen. Schaubild 5 zeigt, daß die reale Wettbewerbskomponente sich in den letzten 20 Jahren nicht wesentlich verschoben hat. Allerdings gibt es insbesondere in der nominalen Wettbewerbs-komponente relativ große Ausschläge. Global gesehen besteht aber auch nach diesem Ergebnis kein Anlaß, sich um die Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft Sorge zu machen. Etwas anders sieht das Ergebnis übrigens aus, wenn man eine Analyse nach Branchen vornimmt. Hier zeigt sich, daß die Wettbewerbsfähigkeit in einigen der Branchen, die üblicherweise als Zukunftsbranchen angesehen werden, abgenommen hat, eine Entwicklung, die auf lange Sicht durchaus Schwierigkeiten bereiten könnte. Die zur Zeit vorhandenen Beschäftigungsschwierigkeiten sind hierauf aber sicher nicht zurückzuführen.
Das Institut für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung in Nürnberg hat seine Sicht der Dinge gerade wieder neu dargestellt Schaubild 6 zeigt die voraussichtliche Entwicklung in Abhängigkeit von verschiedenen Grundannahmen über die Entwicklung der Ausländer-zahl und das Wirtschaftswachstum. Inzwischen hat sich nämlich herausgestellt, daß in früheren Projektionen die Entwicklung der Ausländerzahl falsch eingeschätzt worden ist. Selbst wenn der Wanderungssaldo null bleibt, also so viele Ausländer zuwandern wie abwandern, nimmt die Zahl der Ausländer zu, da ja bei uns eine junge Ausländergeneration heranwächst. Zugleich sieht man, daß bei dem mittelfristig zu erwartenden Wirtschaftswachstum von 2 bis 21/2 Prozent die Arbeitslosigkeit noch bis zum Ende der achtziger Jahre zunimmt. Erst ein Wachstum in der Größenordnung von 4 Prozent könnte dazu führen,
II. Ansatzpunkte für Strategien zur Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung
Abbildung 2
Schaubild 2: Strukturelle Einflüsse auf die Veränderungsrate der Arbeitsstundenproduktivität”
Quelle: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Abschwächung der Wachstumsimpulse. Analyse der strukturellen Entwicklung der deutschen Wirtschaft. Strukturberichterstattung 1980. Beiträge zur Strukturforschung, Heft 61/1981. Duncker und Humblot. Berlin. S. 84. Arbeitsstundenproduktivität bei Ausschaltung von Struktureinflüssen -Unternehmen ohne Wohnungsvermietung-
Schaubild 2: Strukturelle Einflüsse auf die Veränderungsrate der Arbeitsstundenproduktivität”
Quelle: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Abschwächung der Wachstumsimpulse. Analyse der strukturellen Entwicklung der deutschen Wirtschaft. Strukturberichterstattung 1980. Beiträge zur Strukturforschung, Heft 61/1981. Duncker und Humblot. Berlin. S. 84. Arbeitsstundenproduktivität bei Ausschaltung von Struktureinflüssen -Unternehmen ohne Wohnungsvermietung-
Eine Volkswirtschaft hat zur Lösung wirtschaftlicher Probleme in der Regel nur ein begrenztes Instrumentenbündel zur Verfügung. Die These, daß alles machbar sei, ist mit der Reformeuphorie der frühen siebziger Jahre geschwunden. Man kann auch sagen, die begrenzten Erfolge groß angelegter Reformbemühungen haben sie widerlegt. Dies heißt nicht, daß sich die Wirtschaftspolitik, dies gilt sowohl für die Finanz-wie die Geldpolitik, so zurückziehen kann, wie wir dies zur Zeit beobachten. Das Gegenteil ist der Fall. Die geringere Wirksamkeit des wirtschaftspolitischen Instrumentariums erfordert besondere Anstrengungen der Wirtschaftspolitik.
Dies gilt um so mehr, wenn die zu bewältigenden Probleme rein quantitativ ein erhebliches Ausmaß haben, wie dies für die Beschäftigungsprobleme der achtziger Jahre gilt, und wenn die Lösung unter Beachtung bestimmter,, kaum änderbarer Restriktionen erfolgen muß. Bestimmte verteilungspolitische Positionen können nicht geändert werden, ohne den sozialen Frieden zu gefährden, was in der Regel zusätzliche Wachstumseinbußen zur Folge hätte. Auch die Produktionsstruktur kann nur langsam neuen Erfordernissen angeglichen werden, wenn man nicht die Obsoleszenz des vorhandenen Kapitals in Kauf nehmen will. Eine international so stark verflochtene Wirt-7 schäft wie die deutsche kann schließlich auch nicht am Weltmarkt und an den dort stattfindenden Strukturwandlungen vorbeigehen.
In der politischen Diskussion spielen insbesondere drei Strategien eine zentrale Rolle: 1.
Strategien zur Begrenzung des Produktivitätswachstums 2.
Die nachfrageorientierte Wachstumsstrategie 3.
Die angebotsorientierte Wachstumsstrategie Angesichts des Ausmaßes des zu lösenden Problems ist es wenig sinnvoll, diese Strategien als Alternative zu diskutieren. Es spricht vieles für die Vermutung, daß nicht einmal die Kombination dieser Strategien in der Lage sein wird, in den achtziger Jahren Vollbeschäftigung sicherzustellen, geschweige denn eine dieser Strategien allein.
Das DIW hat die hier liegenden Schwierigkeiten erkannt und im April 1978 „Eine mittelfristige Strategie zur Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung" vorgelegt Ein Jahr später, im März 1979, wurden Finanzierungsstruktur und Verteilungswirkungen der inzwischen fortgeschriebenen Strategie vorgestellt Im Dezember 1979 wurde ein großes Symposium veranstaltet, auf dem auch die Kritiker dieser Vorschläge zu Wort kamen
Strategien zur Begrenzung des Produktivitätswachstums Angesichts der Tatsache, daß global gesehen eine Lösung des Problems nur über hohe Wachstumsraten, partiell gesehen vielleicht auch über eine Begrenzung der Ausländerpopulation zu erreichen ist, wird der Ausweg häufig in einer Begrenzung des Produktivitätsanstiegs gesehen. Dabei kann man einmal von der Produktivität je Arbeitsstunde ausgehen.
Dies bedeutet einen Verzicht auf die Aus Schöpfung der Produktivitätssteigerung, di der technische Fortschritt erlaubt. Man kn aber auch bei gegebener Produktivität j Stunde von der Produktivität je Erwerbstäti gen ausgehen und kommt dann zu Strategie: zur Begrenzung der Arbeitszeit.
Beide Strategien sind nur bedingt sinnvoll um allein wenig aussichtsreich, auch wenn viele dafür spricht, sie zumindest teilweise hinzu nehmen. Dies gilt für die Arbeitszeitstrategi vielleicht stärker als für die Behinderung de technischen Fortschritts.
Strategien zur Begrenzung der Stundenpro duktivität werden von sehr unterschiedliche: Seiten vorgeschlagen. Auf der einen Seih steht der Versuch, die Einführung neuer Tech nologien durch bürokratische Interventionei zu verhindern. Dieses wird glücklicherweist in der Bundesrepublik Deutschland zumindes nicht von den großen gesellschaftlichen Grup pen und Parteien vertreten, auch wenn mar sich darüber im klaren sein muß, daß sich die: bei einer weiteren Zunahme der Arbeitslosig keit schnell ändern kann. Auf der anderer Seite steht der Vorschlag, das Produktivitäts Wachstum durch Lohnzurückhaltung zu be grenzen. Nach dieser Auffassung haben die zi hohen Löhne dazu geführt, daß die Unterneh mer zunehmend Rationalisierungsinvestitio nen vorgenommen haben, die zu hohen Pro duktivitätssteigerungen führten und Arbeits kräfte freisetzten.
Diese These spielt in der gesellschaftspolitischen Diskussion durchaus eine Rolle, so daf eine Auseinandersetzung mit ihr sinnvoll ist Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß es hiei nicht um Lohnniveau und internationale Wettbewerbsfähigkeit geht (ein Spezialproblem, das angesichts der Ausgleichsfunktior von Wechselkursen in einer offenen Wirtschaft ohnehin keine wesentliche Rolle spielt) sondern um die Frage, ob die zu hohen Löhne die Unternehmer zu zu hohen Rationalisierungsinvestitionen veranlaßt hätten. Empirisch ist zunächst festzustellen, daß das deutsche Investitionsniveau in den letzten Jahren ohnehin zu wünschen übrig läßt. Von diese: Seite her könnte man die Argumentation ehe: umdrehen. Darüber hinaus stellt sich an diese: Stelle die strategische Frage, ob es nicht seh: viel sinnvoller ist, auf Wachstum zu setzen, um damit sowohl eine hohe Produktivität als auch ein hohes Lohnniveau zu erreichen. Es ist sicher richtig, daß die hohen deutschen Löhne nur durch ein hohes Produktivitätswachstun zu verteidigen sind. Dies kann man sehr schnell am Beispiel der Strukturpolitik verdeutlichen. Die technische Entwicklung und der Wandel der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung führen dazu, daß die Bundesrepublik Deutschland für Massenproduktion mit niedrigerer Produktivität zu einem ungeeigneten Standort wird. Da über den Wechselkurs nur globale Lohndifferenzen ausgeglichen werden, können derartige Produktionen nur durch sehr niedrige Löhne oder Subventionen im Lande gehalten werden. Dabei ist es langfristig in der Regel gar nicht möglich, im Lohnniveau mit Entwicklungsländern zu konkurrieren. Auf lange Sicht ist aber auch der Verzicht auf Strukturwandel — gekoppelt mit hohen Subventionen und niedrigen Löhnen — keine sinnvolle Alternative. Langfristig muß der Strukturwandel hingenommen werden, dies bedeutet dann auch, daß das Lohnniveau verteidigt werden kann. Die Lohnpolitik ist hier also nicht in ihrer globalen Komponente gefordert, sondern in ihrer Lohn-strukturkomponente. Eine Veränderung des gesamten Lohnniveaus erleichtert die hier vorliegenden Schwierigkeiten nicht. Eine Vergrößerung der Lohndifferenzierung zwischen Branchen — im übrigen auch zwischen Qualifikationen — kann dagegen hilfreich sein. Insgesamt ist es aber sicher für eine Volkswirtschaft, die international wettbewerbsfähig bleiben und ihr Einkommensniveau verteidigen will, keine sinnvolle Strategie, auf mögliches Produktivitätswachstum zu verzichten.
Es ist sehr viel sinnvoller, die hier liegenden Produktionsmöglichkeiten durch ein entsprechendes Wachstum auszuschöpfen.
Sicher ist in einer reichen Gesellschaft auch die Frage zu stellen, ob man einen Teil der Produktionsmöglichkeiten nicht für mehr Freizeit verwenden sollte. Damit sind wir bei der Diskussion von Arbeitszeitstrategien.
In der Bundesrepublik Deutschland ist es zur Zeit unschicklich, über Probleme der Arbeitszeitverkürzung zu sprechen. Dabei muß man sich darüber im klaren sein, daß auch in der Vergangenheit die Effekte hoher Produktivitätsfortschritte teilweise durch Arbeitszeit-verkürzungen kompensiert worden sind. Von 1960 bis 1975 bestand ein langfristiger Trend der Arbeitszeitverkürzung von jährlich einem Prozent. Es besteht also aller Anlaß, die Frage der Arbeitszeitverkürzung wieder emotionsfreier zu diskutieren, als dies zur Zeit geschieht. Dabei darf man sich keine Illusionen über die beschäftigungspolitischen Auswirkungen von Arbeitszeitpolitik machen. Die in der politischen Diskussion so beliebten „Milchmädchenrechnungen" treffen in der Regel nicht zu. Das IAB hat bei der Analyse der Wirkungen von Arbeitszeitänderungen Pionierarbeit geleistet Es geht zunächst vom Bruttobeschäftigungseffekt aus, der die rein rechnerische Auswirkung, die meist in den üblichen „Milchmädchenrechnungen“ enthalten ist, darstellt. Nun wird aber keineswegs in entsprechendem Umfang neu eingestellt. Arbeitszeitverkürzung hat Produktivitätssteigerungen zur Folge. Es kommt zu Erhöhungen der Arbeitsintensität. Es gibt Organisationsänderungen. Das IAB berechnet dementsprechend einen Nettobeschäftigungseffekt, der die Kompensationen berücksichtigt, die sich einstellen, wenn man die Arbeitszeit verkürzt. Nun, auch dieser Netto-Beschäftigungseffekt stellt noch nicht das letzte Ergebnis dar. Denn ein Teil dieser zusätzlichen Beschäftigung wird durch die „Stille Reserve“ aufgenommen, d. h. von Personen, die nicht offiziell auf dem Arbeitsmarkt als arbeitslos registriert sind. So ergibt sich der Arbeitslosenentlastungseffekt.
Für 1973 bis 1979 hat das IAB den Bruttobeschäftigungseffekt der Arbeitszeitverkürzung mit 1, 434 Millionen Personen berechnet. Der Netto-Beschäftigungseffekt betrug nur noch 824 000, das sind nur noch 57 Prozent des Bruttoeffekts. Und der Arbeitslosenentlastungseffekt wird vom IAB dann mit 549 000 Personen, das sind 38 Prozent des Bruttoeffektes, angegeben. An dieser Stelle muß man also zur Vorsicht mahnen, insbesondere da jede Arbeitszeitverkürzung mit Kostenerhöhungen für die Sozialversicherung und/oder dieUnternehmen und/oder Einkommenseinbußen verbunden ist.
Die Möglichkeiten der Arbeitszeitstrategie sind sicher begrenzt, insbesondere wenn man die langfristige Entwicklung, in der es ja wieder zu einem Rückgang des Erwerbspersonenpotentials kommt, mit berücksichtigt. Arbeitszeitpolitische Maßnahmen sollten daher auf jeden Fall reversibel, d. h. umkehrbar sein. Dies gilt freilich nicht für den generellen Trend der Arbeitszeitverkürzung, der auch in Zukunft zugelassen werden sollte. Darüber hinaus ist das Potential freiwilliger Wünsche nach Arbeitszeitverkürzung bisher nicht ausgeschöpft. Dies spielt sicher in den Schichten mit niedrigem Einkommen eine geringere Rolle, da hier eine Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich zu nicht hinnehmbaren Einkommenseinbußen führt. Häufig ist in diesen Bereichen die Mitarbeit der Frau notwendig, um einen einigermaßen akzeptablen Lebensstandard aufrechtzuerhalten. Auf der anderen Seite gibt es Einkommensschichten, hier wäre zum Beispiel an Akademikerehepaare, bei denen beide Partner gut verdienen, zu denken, die durchaus bereit wären, eine kürzere als die normale Arbeitszeit zu leisten. Bei ihrem Einkommensniveau könnten sie es sich leisten, Freizeit höher einzuschätzen als den letzten Teil ihres Einkommens. Hier könnten Angebote durch die Arbeitgeber sehr hilfreich sein. Zumindest dieses Potential von Wünschen nach freiwilliger Arbeitszeitverkürzung sollte ausgeschöpft werden. Auch die Verkürzung der Lebensarbeitszeit entspricht sehr häufig einem Wunsche der Betroffenen. Hierbei sind die Fragen der Finanzierung dieses Wunsches zu klären. Auf jeden Fall muß man sich darüber im klaren sein, daß die Verkürzung der Lebensarbeitszeit nicht ohne Kosten möglich ist.
Insgesamt spricht also viel dafür, auch die Instrumente der Arbeitszeitstrategie behutsam zur Lösung der Beschäftigungsprobleme einzusetzen. Man darf aber den Beitrag zur Lösung des Gesamtproblems, der von dieser Seite kommen kann, nicht überschätzen.
Die nachfrageorientierte Wachstumsstrategie Die nachfrageorientierte Wachstumsstrategie knüpft an die Vermutung an, daß die zu beobachtenden und erwartbaren Wachstums-schwächen auch auf Probleme in der Nachfrage zurückgehen. Insgesamt wird bezweifelt, ob die inländische Nachfrage nach Konsum-wie Investitionsgütern ausreicht. Dabei wird in der Regel mit Recht ein Zusammenhang zwischen Konsum-und Investitionsgüter-nachfrage gesehen. Konsumgüterproduzenten werden Investitionen nur dann vornehmen, wenn sie sich Absatzchancen im Konsumgüterbereich versprechen.
Es ist zwar nach wie vor strittig, ob es sich hierbei um eine sehr kurzfristige konjunkturelle Erscheinung handelt oder um eine mittelfristige Entwicklung, die zumindest die erste Hälfte der achtziger Jahre prägen wird. Vieles spricht für die letzte These.
Im Konsumgütersektor sind gewisse Sättigungstendenzen nicht zu übersehen, auch wenn man diese Sättigung keineswegs als unabänderliches Naturereignis interpretieren muß. Die Politik linearer Lohnerhöhungen führt zu sehr hohen absoluten Steigerungsbeträgen in den oberen Einkommensschichten. Die nur stark verzögerte Anpassung des Einkommensteuertarifs macht in diesem Bereich steuersparende Kapitalanlagen attraktiv. Zusammen mit dem relativ hohen Versorgungsgrad, der in diesen Einkommensschichten in bezug auf alle Güter gegeben ist, ergibt sich dann eine relativ hohe Sparquote.
In dieser Situation erscheint es nach wie vor am aussichtsreichsten, Änderungen in der Nachfragestruktur zugunsten von Zukunftsinvestitionen im privaten und öffentlichen Bereich in die Überlegungen einzubeziehen. Es gibt noch zahlreiche Problemfelder, in denen derartige Investitionen notwendig sind.
Im Energiesektor können durch Fernwärmenetze und neue Energiespartechnologien wesentliche Energieersparnisse erreicht werden, die langfristig zu niedrigeren Energiepreisen, aber auch zu einer größeren Unabhängigkeit der Bundesrepublik in der Energieversorgung führen können.
Im Verkehrssektor könnte der Fernverkehr gerade in einem Land wie der Bundesrepublik Deutschland durch die Einführung von Höchstgeschwindigkeitszügen — zum Beispiel nach französischem Muster — wesentlich verbessert werden. Auch Investitionen im Personennahverkehr sind nach wie vor sinnvoll.
Neue Kommunikationstechnologien eröffnen wichtige Möglichkeiten zur Verbesserung der Informationsversorgung der Gesellschaft, auch wenn die Möglichkeiten für die privaten Haushalte hier sicher überschätzt werden. Die Entwicklung in diesem Bereich ist zugleich Voraussetzung für unsere langfristige Wettbewerbsfähigkeit auf wichtigen Zukunftsmärkten.
Die Wiedergewinnung und Verbesserung der Umweltqualität dient nicht nur sentimentalen Wünschen von Bürgerinitiativen, sondern ist angesichts des gewandelten Umweltbewußtseins einerseits und der tatsächlich in manchen Bereichen inzwischen sehr hohen Umweltbelastungen andererseits eine der Voraussetzungen zur Beseitigung von Investitionshemmnissen. Die Industrieansiedlung wird in einem so dicht bevölkerten Land wie der Bundesrepublik Deutschland immer schwieriger werden, wenn es nicht gelingt, die Umweltproblematik zu lösen. Auch im Bereich neuer Technologien sind nach wie vor zahlreiche Innovationsinvestitionen notwendig. Es sei nur an die Mikroelektronik und die Biotechnik erinnert.
In einem reichen Land wie der Bundesrepublik Deutschland spielt aber auch die Verbesserung der Lebensqualität der Wohnumwelt eine wesentliche Rolle. Auch in diesem Bereich sind nach wie vor umfangreiche Investitionen notwendig, auch wenn es sich hierbei vielleicht nur in zweiter Linie um den Neubau von Wohnungen handelt.
Schließlich ist darauf zu verweisen, daß es auch im Sozial-und Ausbildungsbereich noch wichtige Aufgaben gibt. Hier sei zum Beispiel an die Ausbildung der heranwachsenden Ausländergeneration erinnert. Wenn es nicht gelingt, ihnen eine ausreichende Grundqualifikation zu verschaffen, werden an dieser Stelle soziale Probleme ungeahnten Ausmaßes erzeugt, unter denen letztlich jeder Bürger, zum Beispiel in Form von Jugendkriminalität, zu leiden hat.
Es gibt also noch eine ganze Anzahl wichtiger Wachstumsfelder. Teilweise gehören sie dem privaten, teilweise dem öffentlichen Bereich an, teilweise auch beiden gleichzeitig. Die Aufzählung dieser Wachstumsfelder macht auch deutlich, daß der weit verbreitete Wachstums-pessimismus in bezug auf die Nachfrageseite nicht berechtigt ist.
Die Hauptschwierigkeiten einer derartigen nachfrageorientierten Wachstumsstrategie werden in den achtziger Jahren sicher auf der Finanzierungsseite liegen. Um so wichtiger ist es, die nachfrageorientierte Politik nicht einseitig als eine Angelegenheit des staatlichen Sektors zu begreifen. Die Induzierung und Förderung privater Nachfrage sind sicher erheblich wichtiger. Daneben bleibt die Umstrukturierung der öffentlichen Haushalte eine wichtige Aufgabe, auch wenn man sich hiervon quantitativ keine großen Entlastungen versprechen darf. Insgesamt darf man die Augen nicht davor verschließen, daß die Finanzierungssituation der öffentlichen Hände such in den achtziger Jahren schwierig bleiben muß.
Die Finanzpolitik muß zu Verhältnissen komMen, die von der Bevölkerung akzeptiert werden. Da ein an sich unproblematischer Verschuldungskurs nicht weiter akzeptiert wird, iSt es notwendig, mittelfristig die Staatsfinan-
zen zu konsolidieren. Kurzfristig ist dies freilich in der jetzigen Konjunktursituation nicht zu verantworten. Die Konsolidierungsdiskussion darf nicht global geführt werden, sie ist nur sinnvoll, wenn in den einzelnen Bereichen der Umfang der notwendigen Staatsaufgaben diskutiert wird. Dies gilt insbesondere auch für die soziale Sicherung, weil eine globale Diskussion über die Kürzung von Sozialleistungen das Vertrauen in unsere Gesellschaft untergräbt. Letztlich kann der Staat sich aber nicht der Diskussion über die Sinnhaftigkeit seiner Ausgaben entziehen. Angesichts der Schwierigkeiten der achtziger Jahre spricht nicht viel für die Vermutung, daß es zu einer wesentlichen Reduzierung der Staatsausgaben kommen kann. Wahrscheinlich bedürfen die nächsten Jahre eher zusätzlicher Aktivitäten. Bei der Beschaffung der dann notwendigen zusätzlichen Staatseinnahmen ist der Gesichtspunkt der Leistungsanreize zu berücksichtigen.
Die angebotsorientierte Wachstumsstrategie Auch hinter der angebotsorientierten Wachstumsstrategie steht zunächst eine Analyse der Ursachen für die zu erwartende Wachstums-schwäche. Hier wird auf die Entmutigung des Unternehmers verwiesen, die in gestiegenen Steuern und überhöhten Löhnen zu suchen sei und über eine Gewinnkompression die Investitionsneigung zerstört habe.
Nun besteht kein Zweifel, daß in der Phase von 1975 bis Mitte 1978 die Investitionsneigung der Unternehmen tatsächlich sehr niedrig war. Man wird wohl kaum leugnen können, daß die beobachtete Gewinnkompression einer der Gründe hierfür war, aber eben nur einer. Es ist mehr als fragwürdig, ob der Umkehrschluß gilt, ob also eine Verbesserung der Gewinnsituation automatisch zu höheren Investitionen führt. Dagegen spricht, daß die beobachtbare Investitionsschwäche mit sehr hohen Unternehmensliquiditäten korreliert war. In diesem Zusammenhang sollte man die Möglichkeit einer Politik der Lohnzurückhaltung nicht überschätzen. Hat ein hoher Lohn-satz erst einmal Rationalisierungsinvestitionen ausgelöst, wird auch eine Lohnsenkung nicht dazu führen, daß diese wieder rückgängig gemacht werden. Darüber hinaus muß man sich fragen, ob diese Investitionen nicht letztlich gesamtwirtschaftlich wünschenswert waren. Wie schon ausgeführt, ist die Bundesrepublik Deutschland ohnehin nicht in der Lage, ihre Löhne so weit zu senken, daß das Lohnniveau dem von Schwellenländern entspricht. Auch der Einfluß der Zinssätze muß hier erwähnt werden. Sie wirken in zweifacher Weise: Einerseits stellen sie insbesondere bei einem hohen Anteil der Fremdfinanzierung einen wichtigen und nicht zu vernachlässigenden Kostenbestandteil dar. Zum anderen, und dies ist in der Entwicklung der letzten Jahre wahrscheinlich noch wichtiger gewesen, bedeutet ein hohes Zinsniveau bei festverzinslichen Anlagen eine attraktive Alternative zur Investition in Sachkapital. Die Entwicklung der letzten Jahre ist, sieht man einmal von normalen konjunkturellen Entwicklungen ab, weniger dadurch geprägt, daß die Rendite des Sachkapitals verfallen ist als vielmehr dadurch, daß das hohe Zinsniveau monetäre Anlagen sehr viel attraktiver machte als Investitionen in Sachkapital. Entgegen landläufigen Vorstellungen ist das hohe Zinsniveau nicht nur auf staatliche Kreditaufnahme zurückzuführen. Eine sehr einseitige Geldpolitik und der internationale Zinszusammenhang spielen hier eine gewichtige Rolle.
Dessenungeachtet gibt es eine ganze Anzah. von Möglichkeiten, die Angebotsbedingunger der Unternehmen zu verbessern, insbesondere bei der Industrieansiedlung sind bürokratische Hemmnisse zu beseitigen. Eine deutliche Verminderung des Zinsniveaus ist notwendig Bei der Gestaltung von Besteuerung und Subventionierung ist der Gesichtspunkt der Leistungsanreize stärker als bisher zu berücksichtigen. Eine massive Investitionsförderung ist für die nächsten Jahre notwendig, selbst wenn hierbei problematische Verteilungseffekte in Kauf genommen werden müssen. Eine nicht auf die indirekte Förderung beschränkte Technologiepolitik muß dazu beitragen, daß neue Produkte und neue Produktionsverfahren stärker als bisher entwickelt werden. Zur Verbesserung der Angebotsbedingungen gehört auch eine Verbesserung der Qualifizierung von Arbeitnehmern. An dieser Stelle muß wahrscheinlich in nächster Zukunft die höchste Priorität bei der Überwindung der Beschäftigungsschwierigkeiten liegen.
III. Konsequenzen einer gemischten Strategie für die Haushaltspolitik
Abbildung 3
Schaubild 3: Wachstum und Produktivitätsentwicklung Index 1960 = 100
Schaubild 3: Wachstum und Produktivitätsentwicklung Index 1960 = 100
Die Finanzpolitik steht vor einer sehr schwierigen Aufgabe, die mit traditionellen fiskalischen Überlegungen nicht mehr erfaßt werden kann. Sie muß einerseits konjunkturpolitischen Erfordernissen genügen, andererseits die Voraussetzungen für ausreichendes Wachstum und die Abmilderung der Beschäftigungskrise schaffen. Dies alles in einer Situation, wo ein großer Teil der öffentlichen Ausgaben nicht beliebig gestaltbar und die Beschaffung finanzieller Mittel, sei es auf dem Wege der Kreditaufnahme oder durch Erhöhung öffentlicher Einnahmen, schwierig geworden ist.
Konjunkturpolitisch kann niemand die öffentlichen Haushalte von ihrer Verantwortung befreien. Auch wenn dies heute unpopulär geworden ist, muß darauf verwiesen werden, daß das Versagen der Konjunktursteuerung durch die Finanzpolitik nicht ein ökonomisches, sondern ein politisches Problem ist. Die Analyse der vergangenen Jahre zeigt deutlich, daß das klassische Instrumentarium finanzpolitischer Steuerung nach wie vor wirksam ist Das was in der öffentlichen Diskussion als Versagen dieses Instrumentariums ausgegeben wird, geht letztlich immer auf eine falsche Anwendung zurück. Im politischen Prozeß ist es offensichtlich immer schwieriger geworden, antizyklische Verhaltensweisen der öffentlichen Haushalte durchzusetzen. Damit verhält sich der Staat über weite Phasen prozyklisch. Daß er dann das Gegenteil des gewünschten Erfolges erzielt, ist nicht weiter verwunderlich.
Nun kann man über dieses Unvermögen der Politiker, eine antizyklische Haushaltspolitik durchzusetzen, nicht hinwegsehen. Aus diesem Grunde ist es wohl sinnvoller, die Konzeption einer antizyklischen Finanzpolitik durch die einer verstetigten Finanzpolitik zu ersetzen. Wenn der Staat zwar in der Lage, aber nicht willens ist, Konjunkturschwankungen durch eine entsprechende Finanzpolitik abzumildern, sollte er zumindest davon Abstand nehmen, diese Schwankungen noch zu verschärfen. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Finanzpolitik seit 1980 nicht einmal diese Forderung erfüllt hat. Durch eine Stop-und Go-Politik bei Bund, Ländern und Gemeinden sind die Schwankungen im Wirt-Schaftsprozeß verstärkt worden. Besonders die betroffenen Branchen — es sei an die Bauindustrie erinnert — wissen ein Lied hiervon zu singen. Konjunkturpolitisch muß es also darum gehen, die Finanzpolitik zu verstetigen und nicht auf jede konjunkturell bedingte Mindereinnahme oder Mehrausgabe mit einer entsprechenden Ausgabenkürzung zu reagieren. Wenn auch andere wirtschaftspolitische Entscheidungsträger — und hier ist insbesondere die Geldpolitik der Bundesbank gefragt — einen derartigen Verstetigungskurs mitmachen würden, könnte auf diese Art und Weise eine Verminderung der Konjunkturschwankungen erreicht werden.
Das wachstumspolitische Problem ist hiermit nicht gelöst. Eine wachstumspolitische Orientierung staatlicher Ausgabepolitik würde zunächst einmal eine Orientierung am Potential-pfad, d. h. an den Produktionsmöglichkeiten der Volkswirtschaft bedeuten. Damit würde der Staat auf mittlere Sicht nicht einen größeren Anteil des Sozialprodukts in Anspruch nehmen, als dies zur Zeit der Fall ist; er würde aber seinen Anteil auch nicht vermindern. Angesichts der vor uns liegenden Wachstums-schwierigkeiten wäre selbst dies eine sehr zurückhaltende Finanzpolitik. Die Planungen des Finanzplanungsrates bleiben jedoch noch hinter diesen Vorstellungen zurück Auch eine zumindest am Potentialpfad orientierte Strategie ist unter Wachstumsgesichtspunkten nur realisierbar, wenn man die knapp gewordenen staatlichen Mittel dazu einsetzt, zusätzliche private Mittel für Zukunftsinvestitionen freizumachen. An die Stelle eines staatlichen Darlehens zur Wirtschaftsförderung kann eine Zinssubvention treten. Im Wohnungsbau können Förderungsmaßnahmen vom Erbringen ins Gewicht fallender Eigenleistungen abhängig gemacht werden. Die Subventionierung der Wohnungsversorgung von Personen mit höherem Einkommen muß und kann abgebaut werden. Die Fehlbelegungsabgabe ist hierzu sicher ein unzureichender Schritt. Wie die jüngste Erfahrung zeigt, ist die Ablösung öffentlicher Darlehen in diesem Bereich sehr einfach möglich. Im Bereich der Energieversorgung und des Umweltschutzes ist es nicht notwendig, daß der Staat alle Investitionen selber vornimmt, die Subventionierung von Investitionen, die sich zur Zeit noch nicht rentieren, ist sicher ausreichend.
Mittelfristig ist eine Reduzierung der staatlichen Kreditaufnahme unumgänglich, nicht weil es hierfür besonders gute ökonomische Gründe gäbe, sondern weil die Bevölkerung nicht mehr bereit ist, eine hohe staatliche Kreditaufnahme zu akzeptieren. Dies muß der Politiker in sein Kalkül einbeziehen, auch wenn der Ökonom eine derartige Entwicklung nur bedauern kann, da gerade bei einer demographischen Entwicklung, wie sie vor uns liegt, die staatliche Kreditaufnahme durchaus ein geeignetes Instrument wäre.
Dies bedeutet aber auch, daß der Staat nicht darauf verzichten kann, seine Einnahmen soweit zu erhöhen, daß mittelfristig eine Konsolidierung der Staatsfinanzen möglich wird. Kurzfristig ist die Hinnahme einer staatlichen Kreditaufnahme größeren Ausmaßes jedoch unvermeidbar, da der Versuch, sie zu vermeiden, über konjunkturelle Mindereinnahmen und Mehrausgaben ohnehin zu höherer Verschuldung führt. Denn nach wie vor gilt, daß die Hinnahme einer mittelfristigen Wachstumsschwäche, also der Verzicht auf wachstumsfördernde Maßnahmen, keinen Beitrag zur Sanierung der Staatsfinanzen leistet.
Fairerweise muß man bei der Diskussion der notwendigen Einnahmeerhöhungen darauf verweisen, daß die Ausgabenlücke im wesentlichen im sozialen Sicherungssystem entstanden ist. Schon zur Zeit ist die Situation dadurch geprägt, daß gerade die klassischen staatlichen Funktionen Opfer der Finanznöte des Staates werden, obwohl sie ihren Anteil am Sozialprodukt kaum vergrößert haben, wenn man einmal von Wissenschaft und Bildung absieht. Die Vergrößerung des Anteils dieses Bereichs entsprach aber einem allgemeinen akzeptierten gesellschaftlichen Bedürfnis Gerade wenn man daran interessiert ist, das soziale Sicherungssystem in seiner Grundsubstanz zu erhalten, spricht einiges dafür, es auf eine solide finanzielle Basis zu stellen. Der Bürger ist ja durchaus bereit, für seine soziale Sicherheit zu zahlen, was die relativ hohe Akzeptanz von Sozialbeiträgen im Vergleich zu Steuern zeigt. Darüber hinaus ist es sinnvoll, den Betroffenen die Kosten ihrer sozialen Sicherung transparent zu machen und damit zu einer rational besser begründeten Entscheidung über das Niveau der ge-wünschten sozialen Sicherung zu kommen. Die soziale Ausgewogenheit einer derartigen staatlichen Einnahmepolitik kann sicher durch eine kritische Überprüfung der Steuervergünstigungen, aber auch der Subventionen zugunsten des Unternehmensbereichs hergestellt werden. Freilich muß man sich darüber im klaren sein, daß es bei den Subventionen weniger um eine generelle Beseitigung, sondern eher um einen zweckgerechteren Einsatz geht, wenn man die notwendigen Wachstumsprozesse in Gang setzen will.
Auch eine derart verstetigte und potential-orientierte Finanzpolitik ist nur ein Beitrag zur Lösung des gesamten Beschäftigungsproblems. Er ist aber notwendig, wenn man die hier vorliegenden Probleme einer Lösung näher bringen will.
IV. Die Realisierbarkeit einer Wachstumsstrategie für die achtziger Jahre
Abbildung 4
Schaubild 4: Beschäftigungswirkungen von strukturellen Änderungender Endnachfrage
Quelle; Input‘Output-Rechnung des DIW.
Schaubild 4: Beschäftigungswirkungen von strukturellen Änderungender Endnachfrage
Quelle; Input‘Output-Rechnung des DIW.
Will man die Wachstumsprobleme der Bundesrepublik Deutschland für die achtziger Jahre lösen, muß man über eine gemischte Wachstumsstrategie verfügen, die realisierbar und durchsetzbar ist. Inzwischen liegen mehrere Konzepte vor, die man als realisierbar bezeichnen kann. Hierzu zählt — wenn auch mit Modifikationen — das schon oben erwähnte DIW-Programm, hierzu zählen aber auch die großen Studien im Auftrage der Bundesregierung über die Auswirkungen des technischen Fortschritts auf Wirtschafts-und Arbeitsmarkt, deren wirtschaftswissenschaftliche Teile einerseits vom Ifo-Institut in München, andererseits von Prognos in Basel bearbeitet wurden
Auch wenn in Einzelheiten erhebliche Unterschiede zwischen den in diesen Studien enthaltenen Lösungsmöglichkeiten bestehen, weicht die Grundstruktur nicht weit voneinander ab. Eine befriedigende Verminderung der Arbeitslosigkeit ist in den achtziger Jahren nicht zu erwarten, eher ist eine Zunahme wahrscheinlich. Die anstehenden Probleme sind freilich nur zu bewältigen, wenn der Staat sich aus seiner Verantwortung für eine aktive Wirtschaftspolitik nicht zurückzieht. Dabei geht es wohlgemerkt nicht um große Sonder-programme, sondern um eine verstetigte, am Wachstum orientierte Nachfrage-und Angebotspolitik.
Die notwendigen Größenordnungen lassen sich am Beispiel des DIW-Programms verdeutlichen So wäre es notwendig, die Investitionen des Staates wieder real auf eine Wachstumsrate von 3 Prozent zu bringen, was in etwa der Obergrenze des zu erwartenden gesamtwirtschaftlichenWachstums entsprechen würde. In den fünfziger und sechziger Jahren waren weit höhere jährliche reale Wachstumsraten der Investitionen des Staates üblich. Inzwischen ist jedoch das Wachstum staatlicher Investitionen nahezu zum Erliegen gekommen. Ähnliches gilt für die Personalausgaben des Staates. Hier reicht mit real 2, 5 Prozent sogar eine Wachstumsrate aus, die unterhalb des gesamtwirtschaftlichen Wachstums-trends liegt. Von entscheidender Bedeutung ist es freilich, daß eine ausreichende Steigerung der privaten Investitionen erfolgt. Hier wäre eine reale Investitionssteigerung von sechs Prozent notwendig. Ob ein derartiger Wachstumspfad der privaten Investitionen ohne staatliche Förderung erreicht werden kann, ist zur Zeit freilich umstritten. Daß ein derartiger Wachstumspfad realisierbar ist, zeigt die Erfahrung der Jahre 1978 und 1979. Die Wirtschaftspolitik dieser Jahre hat sicher zu der erreichten Stabilisierung des Aufschwungs beigetragen. Allerdings sind hierdurch die staatlichen Fiannzierungsschwierig-keiten in erheblichem Maße verschärft worden.
Eine Wirtschaftspolitik zur Bekämpfung der Beschäftigungskrise, die nicht nur auf die An-gebots-, sondern auch auf die Nachfrageseite sieht, muß also folgende Elemente enthalten: — eine Anregung und Förderung privater Investitionen, — die Schaffung ausreichender Absatz-und Gewinnerwartungen bei den Unternehmern durch eine Stabilisierung der Nachfrage, — ausreichend hohe öffentliche Investitionen, die insbesondere das Wachstum behindernde Engpässe beseitigen, — eine wachstumsorientierte Geldpolitik, die durch Zinssenkungen die Angebotsbedingungen für die Unternehmer verbessert und den marktwirtschaftlichen Anpassungsprozessen mehr Freiraum verschafft, — eine nach unten und oben maßvolle Lohn-politik, die den Lohndifferentialen mehr Beachtung schenkt, — eine Qualifizierungspolitik, die die Voraussetzung für den Ausbau höherwertiger Arbeitsplätze ist, — eine Modernisierungspolitik, die bewußt auf moderne Arbeitsplätze setzt und den technischen Fortschritt nicht durch zu niedrige Löhne behindert, — mehr Stetigkeit der Geld-und Finanzpolitik, um Vertrauen zu schaffen und auch den Unternehmern mittelfristige Planungen zu ermöglichen.
All dieses kann sicher nur dann realisiert werden, wenn die verschiedenen Träger der Wirtschaftspolitik — Bund, Länder und Gemeinden, Tarifpartner und Bundesbank — enger als bisher Zusammenarbeiten.
Hans-Jürgen Krupp, Dr. rer. pol., geb. 1933; 1969— 1975 o. Professor für Sozialpolitik an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt; 1975— 1979 Präsident dieser Universität; seit 1979 Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Berlin. Er war Vorsitzender der Transfer-Enquete-Kommission, die 1981 ihren Schlußberichtvorlegte und ist seit 1982 Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Veröffentlichungen u. a.: Theorie der personellen Einkommensverteilung. Allgemeine Grundlagen und verteilungspolitische Simulationen, 1968; Möglichkeiten der Verbesserung der Einkommens-und Vermögensstatistik, 1975; Mitherausgeber und Mitautor der Bände: Sozialpolitik und Sozialberichterstattung, SPES — Sozialpolitisches Entscheidungsund Indikatorensystem für die Bundesrepublik Deutschland (hrsg. zusammen mit W. Zapf), 1977; Umverteilung im Sozialstaat, Empirische Einkommensanalysen für die Bundesrepublik Deutschland (hrsg. zusammen mit W. Glatzer), 1978; Das Transfersystem in der Bundesrepublik Deutschland (hrsg. zusammen mit den Mitgliedern der Transfer-Enquöte-Kommis-sion), 1981; Alternativen der Rentenreform '84 (hrsg. zusammen mit H. P. Galler, H. Grohmann, R. Hauser, G. Wagner), 1981.