Die Länder Zentralamerikas befinden sich im Umbruch. Die revolutionären Veränderungen in Nicaragua haben Auswirkungen auf die Nachbarländer Honduras, El Salvador, Guatemala und Costa Rica. Dabei sind es in erster Linie wirtschaftliche und soziale Probleme, die revolutionären Gruppen, die mit Gewalt und Terror die bestehenden Verhältnisse verändern wollen, den Nährboden für ihre Aktionen verschaffen. Die wirtschaftliche Macht, die in wenigen Händen konzentriert ist, die ungleiche Verteilung des Reichtums und Volkseinkommens, hohe Geburtenzuwachsraten, die große Anzahl von Analphabeten, alles das sind Faktoren, die nach 1979 die Forderung nach gewaltsamen Veränderungen verstärkt haben. In Nicaragua und El Salvador wird seit 1979 mit unterschiedlichen politischen Modellen versucht, eine Veränderung der Lebensverhältnisse herbeizuführen. Während in Nicaragua seit 1979 die marxistisch-leninistisch orientierten Sandinistas mit kubanischer Hilfe das Land revolutionär umgestalten, bemühen sich in El Salvador Militärs und zivile Gruppen, durch grundlegende Reformen und unter Beteiligung der Bevölkerung die Probleme des Landes zu lösen. Revolution und Reform stehen sich in diesen Ländern als gegensätzliche Zielrichtungen gegenüber. Die Politik der revolutionären Sandinistas ist dabei gekennzeichnet durch Ideologisierung, Militarisierung, Mißwirtschaft, Verletzung der Menschenrechte und Expansion der Revolution in die Nachbarländer. Dadurch ist Zentralamerika zu einem neuen Krisenherd in der internationalen Politik geworden. In El Salvador dagegen ist die Zielrichtung eine andere: Durch notwendige und wirtschaftlich verkraftbare Reformen, die die Grundstrukturen in Wirtschaft und Gesellschaft erfassen, sollen die kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Voraussetzungen für ein demokratisches System geschaffen werden. Der Erfolg des einen oder anderen Modells hat für die anderen Länder Zentralamerikas entscheidende Bedeutung.
I. Einführung
In den letzten Jahren haben die politischen Ereignisse in den Ländern Zentralamerikas weltweite Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Der gewaltsame Sturz der Diktatur Somoza im Juli 1979 in Nicaragua und die bewaffnete Auseinandersetzung in El Salvador, die Ende der siebziger Jahre durch die Ereignisse in Nicaragua neue Impulse erhielt, haben ebenso wie ihre Wirkungen, die sich in Guatemala und Honduras bemerkbar machen, Zentral-amerika zu einem neuen Krisengebiet der internationalen Politik werden lassen. In diesem Beitrag soll der Versuch unternommen werden, Ursachen, Hintergründe und Tendenzen der Entwicklung in den Ländern dieser Region aufzuzeigen.
II. Länder, Bevölkerung, Struktur
Abbildung 2
Tabelle 2: Erwerbsstruktur
Tabelle 2: Erwerbsstruktur
Es ist üblich geworden, die Region, die Kolumbien mit Mexico und den USA verbindet, als Mittelamerika zu bezeichnen. Dieser Streifen umfaßt die Länder Panama, Costa Rica, Nicaragua, Honduras, El Salvador, Guatemala und Mexico. Im vorliegenden Falle schränken wir die Reichweite des Begriffes Mittelamerika etwas ein: Es soll von Zentralamerika die Rede sein, also von den Ländern Guatemala, El Salvador, Honduras, Nicaragua und Costa Rica -Diese Einschränkung rechtfertigt sich deshalb, weil diese Länder in Kultur, Geschichte und Entwicklung viele Gemeinsamkeiten auf-weisen, auch wenn ihre Eigenarten durchaus erkennbar sind. Das gilt für die Bevölkerung, aber auch für die Sprache, die zwar spanisch ist, jedoch deutliche nationale Eigenwilligkeiten aufweist. Costa Rica hebt sich wiederum von den anderen Ländern ab, da es seit 1948 besonders in seiner wirtschaftlichen und politischen Entwicklung einen anderen Weg genommen hat. Auch Guatemala müßte seiner indianischen Bevölkerung wegen in einem bestimmten Sinne herausgehoben werden.
Abbildung 6
Tabelle 6: Durchschnittsgröße der Fincas in Zentralamerika
Tabelle 6: Durchschnittsgröße der Fincas in Zentralamerika
Land und Bevölkerung ergeben folgendes Bild
Abbildung 7
Tabelle 7: Anteil der traditionellen Agrarprodukte am Gesamtexport
Tabelle 7: Anteil der traditionellen Agrarprodukte am Gesamtexport
Mit Ausnahme von El Salvador, dem kleinsten Land Zentralamerikas mit 228 Einwohnern je qkm, sind die anderen Länder nicht überbevölkert. Unterschiede sind in der Rassenstruktur der Bevölkerung festzuhalten: Costa Rica hat 75% weiße Bevölkerung, 15% Mestizen und nur eine unbedeutende Anzahl von Indianern und Negern/Mulatten. Die Indianerbevölkerung Guatemalas dagegen beläuft sich auf rd. 50%. Diese Gruppe teilt sich auf in sechs Untergruppen, die insgesamt 23 verschiedene Dialekte sprechen, dagegen kaum die spanische Landessprache. Die Restbevölkerung Guatemalas besteht zu 30% aus Mestizen, 5% Weißen und 5% Schwarzen und Mulatten. In El Salvador leben 80% Mestizen, 12% Weiße und wenige Indianer (3%). Honduras ist geprägt von einer 90%igen Mestizenbevölkerung, 6% Weißen und 4% Indianern. In Nicaragua leben 70% Mestizen, 18% Weiße, 10% Schwarze und Mulatten und 2% Indianer. Von einer homogenen Bevölkerungsstruktur kann also nicht gesprochen werden. In Guatemala leben Indianer-und Ladinobevölkerung (Mestizen) nebeneinander, eine kulturelle Integration hat nicht stattgefunden.
Abbildung 8
Tabelle 8: Terms of Trade
Tabelle 8: Terms of Trade
Diese Zahlen verdeutlichen das Hauptproblem der zentr amerikanischen Länder: die hohe Geburtenzuwachsrate. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist jünger als 18 Jahre. Bisher ist es nicht gelungen, diese hohen Zuwachsraten zu verändern. Für El Salvador ist die Bevölkerungszuwachsrate das eigentliche Problem.
Abbildung 9
Tabelle 9: Kosten für Energieeinfuhr (Erdöl) und Anteil der Kosten für Energieeinfuhr an den Exporterlösen
Tabelle 9: Kosten für Energieeinfuhr (Erdöl) und Anteil der Kosten für Energieeinfuhr an den Exporterlösen
Auch in Zentralamerika hält der Trend der Verstädterung an. Folgende Zahlen verdeutlichen diese Entwicklung:
Abbildung 10
Tabelle 10: Öffentliche Auslandsverschuldung
Tabelle 10: Öffentliche Auslandsverschuldung
Die Bevölkerung der Hauptstädte nimmt rasch zu. Es bilden sich an den Rändern Elendsviertel, wesentlich durch Wellblechhütten und fehlende Versorgungsstruktur (Wasser, Elektrizität, Sanitäreinrichtungen und Gesundheitsfürsorge) geprägt. Durch die gewaltsamen Auseinandersetzungen in El Sal-B 8, 11, 12, 13: Weltbank: Weltentwicklungsbericht 1981, Washington D. C. August 1981; Tabelle Nr. 5: ICAES: Estadisticas Centroamericanas, San Jose 1975, S. 20 ff; Tabelle Nr. 6: Mario Monteforte Toledo, a. a. O., Bd. 1, S. 198ff; Tabellen Nr. 7, 9, 10: CE-PAL: Estudio Econömico de America Latina 1980, Santiago de Chile 1981. vador und Guatemala hat der Zustrom der ländlichen Bevölkerung in die Städte besonders stark zugenommen.
Abbildung 11
Tabelle 11: Volkswirtschaftliche Grunddaten
Tabelle 11: Volkswirtschaftliche Grunddaten
Auch das Erziehungswesen soll durch einige Zahlen charakterisiert werden: In allen Ländern besteht zwar Schulpflicht, auch hat die Zahl der neu errichteten Schulen in den letzten Jahren kräftig zugenommen. Doch der regelmäßige Schulbesuch hängt nicht nur davon ab: Oft sind es wirtschaftliche Gründe, die die Eltern veranlassen, ihre Kinder nicht zur Schule zu schicken, weil sie bei der Kaffee-oder Baumwollernte benötigt werden. Die offiziellen statistischen Zahlen täuschen, da sie folgende Problematik nicht erfassen: Selbst wenn ein Einwohner die Grundschule vier oder fünf Jahre besucht, verfügt er nicht über die erforderlichen Grundkenntnisse. Da die mühsam erlernten Kenntnisse und Fertigkeiten nicht weiter gepflegt werden können, werden diese Menschen nach einigen Jahren wieder zu Analphabeten. Diese Entwicklung beobachtet man vor allem in Guatemala, El Salvador und Honduras. Costa Rica bildet wiederum eine Ausnahme. Ob in Nicaragua das Problem des Analphabetentums bereits in zwei Jahren, wie von der Regierung behauptet, so gut wie gelöst werden konnte, darf bezweifelt werden, auch wenn nicht übersehbare Erfolge erzielt wurden.
Abbildung 12
Tabelle 12: Bedeutung der Verteidigungsausgaben
Tabelle 12: Bedeutung der Verteidigungsausgaben
Die Wirtschaftsstruktur in allen Ländern bildet die Basis für die wirtschaftliche und politische Macht. Das wird besonders deutlich, wenn die Eigentums-und Größenstruktur des Grundbesitzes untersucht wird:
Abbildung 13
Tabelle 13: Soziale Grunddaten
Tabelle 13: Soziale Grunddaten
Mehr als zwei Drittel der Anbaufläche in Zentralamerika besteht aus Großgrundbesitz. Das bedeutet eine wirtschaftliche Machtstruktur, die bisher eine wirtschaftliche und sozial sinn-volle Agrarreform verhindert hat. Anfänge sind nach 1980 in El Salvador gemacht worden, auch die Regierung von Nicaragua hat mit einer Neuverteilung der verfügbaren Anbauflä5 ehe begonnen. Aber in Guatemala, Honduras und Costa Rica hat es ernsthafte Reformversuche bisher nicht gegeben oder sie konnten nicht fortgeführt werden. Das Bild verfeinert sich, wenn man sich die Durchschnittsgröße der Fincas vor Augen führt
Wirtschaftlich sind die Länder Zentralamerikas Agrarländer. Die Industrialisierung hat zwar in der Blütezeit des Zentralamerikanischen Marktes zugenommen (1962— 1975), doch die Landwirtschaft ist der wirtschaftlich wichtigste Sektor. Er konzentriert sich auf den Anbau von einigen Produkten, die exportiert werden.
Diese einseitige Exportstruktur bedingt eine absolute Abhängigkeit von den Weltmarkt-preisen. Die Problematik wird ersichtlich, wenn man die Entwicklung der „Terms of Trade" für die Jahre 1960 und 1979 betrachtet. Die Weltmarktpreise für die Exportprodukte sind in den letzten Jahren stark zurückgegangen. Die Einnahmen für die Exporte sind gefallen, während die Länder gleichzeitig für die benötigten Importe weitaus höhere Preise zahlen mußten. Am Beispiel des Energieimports wird dieseEntwicklung deutlich: Diese Tendenz steigt. Da bis auf Guatemala die anderen Länder nicht über nennenswerte Energievorkommen verfügen, wird der Kostenanteil für die Energieversorgung aufgrund der Preisentwicklung in Zukunft noch weiter steigen. Schon heute liefern Venezuela und Mexico einigen Ländern zu verbilligten Preisen das für eine Minimalversorgung notwendige Erdöl. Die Länder werden gleichzeitig aber auch von hohen öffentlichenAuslands-verschuldungen erdrückt.
Einige weitere Daten sollen die wirtschaftlichen Probleme kennzeichnen:
Bis 1979 war ein mäßiger Zuwachs des Brutto-sozialproduktes festzustellen. Seit 1980 hat diese Entwicklung eine andere Richtung ge-nommen. Die unmittelbaren Wirkungen, die sich aus der weltwirtschaftlichen Entwicklung ergeben, haben sich in Zentralamerika stark bemerkbar gemacht. Die Erlöse für die Exportprodukte fallen mehr und mehr, die Kosten für die notwendigen Importgüter steigen gewaltig an. Die Industrie, die erst in den Anfängen steckt, stagniert, da sie keine neuen Impulse bekommt. Notwendige Kapitalien aus dem Ausland bleiben aus, da die politische Unsicherheit keine neuen Investitionen anlockt. Viele europäische und amerikanische Unternehmen haben sich wegen der großen wirtschaftlichen und politischen Risiken für Investitionen aus Guatemala, Nicaragua und El Salvador zurückgezogen. Und das einheimische Kapital, das sehr wohl vorhanden war, hat den sicheren Weg nach Europa oder in die USA angetreten. Zudem ist die einseitige Wirtschaftsstruktur nicht in der Lage, solche Veränderungen aufzufangen.
Die Länder Zentralamerikas befinden sich in einer fast ausweglos erscheinenden Situation:
Die Bevölkerung wächst jährlich viel zu stark. Die Wirtschaft und der Staat sind nicht in der Lage oder auch nicht willens, die Arbeitsplätze zu schaffen, die dringend benötigt werden. Die wirtschaftliche Macht, deren Basis der Groß-grundbesitz ist, der zugleich viel Kapital in der Industrie und in den Banken kontrolliert, ist in wenigen Händen konzentriert. Die Reichen tun aber nichts, um von sich aus notwendige Reformen einzuleiten, die sowohl die Grundstruktur des Großgrundbesitzes als auch das nur auf hohe Gewinne eingestellte Industrie-kapital einbeziehen müßten. Ein Land wie Guatemala wäre wegen seines natürlichen Reichtums ohne weiteres in der Lage, seine wirtschaftlichen Probleme selbst zu lösen. Für die Verteidigung geben die Länder viel Geld aus, nicht deshalb, weil eine äußere Bedrohung zu bekämpfen wäre, zumindest nicht bis Mitte 1979, sondern zur Sicherung der inneren Machtstruktur.
Weitere Probleme sind die ungleiche Verteilung des Reichtums und Volkseinkommens, eine hohe, teils versteckte, teils offene Arbeitslosigkeit. Kurzum: in Guatemala, El Sal-vador, Honduras und Nicaragua ist es vor allem die ungerechte Verteilung der wirtschaftlichen Ressourcen, die den Nährboden für revolutionäre Veränderungen bildet.
III. Gesellschaft und Politik
Abbildung 3
Tabelle 3: Landflucht
Tabelle 3: Landflucht
Die sozialen Wirkungen für die so einseitig verteilten wirtschaftlichen Güter treffen die Mehrheit der Bevölkerung. Einige Daten deuten das Ausmaß an.
Auch diese Zahlen sind nur Orientierungshilfen. Da der Großteil der Ärzte sich in der Hauptstadt niedergelassen hat, haben die meisten Landbewohner überhaupt keine Chance, in den Genuß der ärztlichen Versorgung zu kommen. Ähnliche Zahlen lassen sich über die Wohnverhältnisse anführen. Das Bewußtsein über diese menschenunwürdigen Lebensverhältnisse hat in den letzten Jahren in allen Ländern zugenommen. Insbesondere die Bildungsarbeit, die von den Kirchen, Universitäten, Gewerkschaften und politischen Parteien in den letzten 20 Jahren geleistet wurde, hat konkrete Ergebnisse mit sich gebracht: Die Indianer in Guatemala oder die Campesinos in Honduras, El Salvador, Nicaragua und Costa Rica nehmen ihre Lebenssituation nicht mehr widerspruchslos hin. Sie verlangen mehr soziale Gerechtigkeit.
Die Mehrheit der Bevölkerung Zentralamerikas ist katholisch. Die Kirche hat eine wichtige und einflußreiche Position. Da die katholische Religion landesweit verwurzelt ist, hat sie einen starken Anteil an der Entwicklung, was vornehmlich für die Dorfpriester gilt, die sich in bemerkenswerter Weise für die Entwicklung ihrer Gemeinden einsetzen, und das nicht immer zur Freude der Kirchenführung, die der aktuellen Herausforderung manchmal mehr mit der Selbstzufriedenheit der Vergangenheit als mit dem Mut des helfenden Enga-gements entgegentritt. Die Priester, die in den Gemeinden arbeiten, verlieren ab und an den pastoralen Auftrag aus den Augen und wenden sich in der Frage der Option für die Armen politischen Ideologien zu, die Gewalt und Zerstörung in den Mittelpunkt ihrer politischen Ziele gestellt haben. In El Salvador und Nicaragua können solche Entwicklungen beobachtet werden.
Der innere Zwiespalt der katholischen Kirche wird besonders in El Salvador deutlich. Seit Jahren war das Fortbestehen der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Strukturen vom größten Teil der Bevölkerung als ungerecht empfunden worden. Die Kirche drängte unermüdlich auf einen sozialen Wandel. Regierung und Militär antworteten mit Repression, Folter und Mord. In den Jahren 1977— 1980 sind in El Salvador über 25% der Priester, der Ordensmitglieder und der Pastoralträger ins Gefängnis gebracht, gefoltert, viele sogar ermordet worden oder sind verschwunden. Angesichts der bestehenden ungerechten sozialen Verhältnisse und der derzeitigen bewaffneten Auseinandersetzungen versucht die Kirche, ihre Aufgabe zu erfüllen, was eine tiefgehende Spaltung in der Haltung der Priester und Kirchenmitglieder bewirkte. Drei Positionen lassen sich in dieser Auseinandersetzung festhalten:
1. Eine Gruppe sieht die ungerechten Verhältnisse und Übergriffe, hält aber, da sie die Absichten der Guerilla und die Unterdrückung durch die Regierung El Salvadors kritisch beurteilt, die Wahlen vom 28. März 1982 für einen ersten Schritt zur Überwindung der Krise. Sie akzeptiert eine sinnvolle Reformpolitik. 2. Eine zweite Gruppe setzt sich entschieden für eine Kirche der Armen ein. Sie sieht nur eine Möglichkeit, die bestehenden ungerechten Verhältnisse zu verändern, indem durch bewaffnete Gewalt ein radikaler Wandel der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen herbeigeführt wird. Sie verurteilt die Reformpolitik der Regierung und hat kein Verständnis für zukünftige Wahlen. Dieser Gruppe gehören Priester und Ordensgeistliche an, die in einer „Volkskirche" den eigentlichen Auftrag sehen.
3. Eine dritte Gruppe vertritt die hergebrachte Meinung der traditionellen Pastoral. Ihre Anhänger klagen die Übergriffe an, lehnen die Guerilla grundsätzlich ab, neigen eher dazu, die Willkür der Unterdrückung durch die Machtinhaber zu beschönigen, und treten für eine Säuberung durch den Ausschluß der politisch beeinflußten Mitglieder ein. Tiefgreifende gesellschaftliche Reformen werden von dieser Gruppe nicht für erforderlich gehalten.
Diese Richtungen, die man in unterschiedlicher Intensität auch in Nicaragua, Guatemala, Honduras und Costa Rica antrifft, führen zu einer inneren Spaltung der Kirche, die die politischen Verhältnisse und die Haltungen zu marxistisch orientierten Versuchen, die Verhältnisse revolutionär zu ändern, widerspiegelt.
Die Strukturen, die mit einigen Daten kurz und recht allgemein beschrieben wurden, bilden ein politisches System das in erster Linie dem Machterhalt und nicht der demokratischen Machtverteilung dient. Mit Ausnahme Costa Ricas, das seinen eigenen demokratischen Weg ging, haben die Länder Zentral-amerikas keine wirklich demokratischen Systeme hervorgebracht. Durch die Unabhängigkeit, die 1821 einseitig erklärt und die in erster Linie aus wirtschaftlichen Gründen vollzogen wurde, wurden die politischen Figuren, aber nicht die Strukturen verändert. Die Masse der Bevölkerung blieb von dieser Unabhängigkeit wirtschaftlich, sozial und politisch ausgeschlossen. Zentralamerika hat den tatsächlichen Bruch mit den durch die spanischen Con-quistadores geprägten Wertvorstellungen und Traditionen nicht vollzogen. Als die neuen Verfassungen für die Zentralamerikanische Föderation (1823— 1839) und für die Einzelstaaten geschrieben wurden, importierte man nordamerikanische und französische Demokratiemodelle, was teilweise bis zur wört6) liehen Übernahme der beiden Verfassungen ging. Dieser Versuch konnte nicht gelingen, weil der Demokratie-und Verfassungsbegriff nur eine deklamatorische Bedeutung erhielt. Die Verfassungen, von gelehrten Aristokraten entworfen, scheiterten an der Wirklichkeit und den traditionellen Wertmustern. Die politische Macht wurde immer aus zwei Quellen geschöpft: aus der Verfassung, wenn es zweckmäßig war, aus der realen Macht (Großgrundbesitz, Militär), wenn es notwendig war.
Demokratie hat sich in Zentralamerika nicht als Herrschafts-und Lebensform auf einer Konsensbasis durchsetzen können. Die politische Kultur brachte keinen „underlying value consensus" hervor, statt dessen waren es Personalismus und Gewaltanwendung als Prinzipien des politischen Verhaltens und Handelns, die sich durchsetzten. Allgemeine Menschen-und Grundrechte, die den demokratischen Versuchen als Wertbasis hätten zugrunde gelegt werden können, fanden nicht die allgemeine Zustimmung. Nur eine kleine Minderheit, die auch die wirtschaftliche Macht kontrollierte, bestimmte die politischen Spielregeln. In der politischen Auseinandersetzung verbinden sich aggressive, martialische und brutale Verhaltensweisen zu einem politischen „machismo", der bei der Über-steigerung der personalen Machtausübung die eigenen Interessen rücksichtslos und gewalttätig durchsetzt. Zentrale Werte wie Kooperation, Kompromiß, Toleranz und Vertrauen blieben schwach ausgebildet. Auch andere Voraussetzungen für ein funktionierendes demokratisches System fehlten. Die Zahl der Analphabeten war zu hoch, um durch eine aktive Beteiligung der Bevölkerung den Wertkatalog für ein eigenes demokratisches System zu festigen. Wirtschaftlich und sozial wurde ein Mindestlebensstandard und ein Interessenausgleich von der herrschenden Minderheit (Großgrundbesitzer, Unternehmer, Militär) verweigert. Das Volk hatte keine Gelegenheit, durch freie Wahlen die politische Macht zu verteilen. Wahlergebnisse, die nicht gefielen, wurden durch Manipulationen oder einen Staatsstreich korrigiert.
Auch die Rolle der politischen Parteien in den Ländern Zentralamerikas ist unter diesen vorgegebenen Bedingungen zu sehen. Der Parteieribegriff in Zentralamerika deckt eine politische Wirklichkeit ab, die nicht mit dem Parteienstaat der repräsentativen Demokratie in industrialisierten Ländern vergleichbar ist. Der konstitutive Stellenwert von Parteien in den politischen Systemen ist keine wesentliche Konstante, deshalb nicht, weil es an einem Konsens über die demokratische Machtverteilung mangelt. Dafür sind historische Gründe maßgebend gewesen. Die miteinander konkurrierenden politischen Gruppen aus Wirtschaft, Militär, Großgrundbesitz u. a. neigen dazu, die politische Konfliktlösung nicht innerhalb der durch die geschriebene Verfassung vorgegebenen „Geschäftsordnung" aus-zutragen, sondern meistens außerhalb der Verfassungsnormen ihre Interessen durchzusetzen. Daraus hat sich eine Verfassungswirklichkeit entwickelt, die einen konstitutionellen und nichtkonstitutionellen Bereich der Machtverteilung und Machtausübung geschaffen hat. Das Funktionieren der politischen Systeme ist nicht abhängig von der Existenz oder der Mitwirkung politischer Parteien. Das wird deutlich, wenn man die politische Kapazität der Parteien im Hinblick auf ihre Entwicklungs-und Reformleistungen untersucht. Entscheidende strukturelle Reform-maßnahmen waren fast überall in erster Linie das Produkt autoritärer oder revolutionärer Entwicklungen, die nicht unbedingt von Parteien getragen wurden.
Parteien stellen sich in Zentralamerika im allgemeinen nicht als festgefügte Organisationen mit einer widerstandsfähigen Struktur, mit eigener innerparteilicher und demokratischer Entscheidungsfindung und mit klaren Parteiprogrammen dar, sie bilden sich eher um Personen, Ideen und Interessen, die an der Macht partizipieren wollen. Das Monopol für die politische Machtverteilung haben die Parteien nicht. Als Status-Parteien (Liberale, Konservative) stellen sie das politische System nicht in Frage, als Reformparteien (Sozialdemokraten, Christdemokraten) müssen, sie sich an die politischen Umweltbedingungen anpassen, während sie als revolutionäre Parteien (Sozialisten, Kommunisten), die eine radikale Veränderung der Gesellschaft herbeiführen wollen, ebenfalls um eine flexible Haltung nicht herumkommen, wenn sie nicht das Risiko eingehen wollen, aus dem politischen Prozeß ausgeschaltet zu werden. Ein wesentliches Merkmal der Parteien ist dabei der politische Personalismus als Führungsund Strukturprinzip. Damit verbunden ist die Unfähigkeit, parteiinterne Konflikte integrativ zu lösen. Dieser Mangel produziert immer wieder Parteispaltungen, weil Personen und Gruppen ihre Interessen höher bewerten als Loyalität und Solidarität mit der Partei. Eine wichtige Funktion der Parteien ist die Postenverteilung vor allem dann, wenn es nach einer gewonnenen Wahl gilt, Anhänger, Freunde, Förderer und Familienangehörige zu versorgen. Eine Ausnahme in Zentralamerika bilden nur die christlich-demokratischen und sozialdemokratischen Parteien.
Folgende allgemeine Merkmale bestimmen die Politik in Zentralamerika
— Die Politik ist nicht scharf von gesellschaftlichen und persönlichen Beziehungen getrennt. Zu den mächtigsten Einflüssen gehören diejenigen Kräfte, die die Entwicklung einer eigenständigen politischen Sphäre behindern. Politische Macht, Prestige und Einfluß beruhen weitgehend auf dem gesellschaftlichen Status bestimmter Gruppen. Deshalb tendiert der politische Kampf weniger dahin, Alternativen zu formulieren, als vielmehr den sozialen Status der traditionell mit der Politik verbundenen Gruppen zu sichern.
— Der gesellschaftliche Status des einzelnen und seine persönlichen Beziehungen bestimmen in erster Linie das politische Verhalten und das Ausmaß des Einflusses. Deshalb wird die Wirksamkeit derjenigen erheblich beschränkt, die von außerhalb kommen und neue politische Ideen in die Politik des Landes bringen wollen. Das gilt insbesondere für die intellektuelle Schicht des Landes.
— Der politische Prozeß wird durch die dominierende Rolle von kleinen Interessengruppen charakterisiert. Obwohl allgemeine Erwägungen des gesellschaftlichen Status die groben Umrisse von Macht und Einfluß bestimmen, werden die politischen Beziehungen im einzelnen immer weitgehend von Entscheidungen abhängig sein, die im persönlichen Bereich gefällt werden. Das ist möglich, weil die Sozialstruktur durch funktionell nicht klar definierte Beziehungen und durch die Eigenart des persönlichen Verhaltens gekennzeichnet ist. Einzelpersonen und Gruppen haben keine scharf umrissenen und hoch spezialisierten Funktionen. Sie repräsentieren daher keine Spezialinteressen, die sich von anderen Gruppierungen unterscheiden. Es gibt keinen klar gegliederten Strukturzusammenhang, auf den sich die politischen Aktivitäten beziehen könnten. — Ein politischer Gesamtprozeß ist nicht vorhanden, weil der Mangel an Integration unter den Akteuren und der Mangel an einem einheitlichen Kommunikationssystem innerhalb der Gesellschaft eine Konzentrierung der politischen Tätigkeiten der Bevölkerung nicht ermöglicht. Man beobachtet vielmehr mehrere unverbundene politische Prozesse, beginnend mit der lokalen Politik und endend mit der nationalen Politik. Zwischen beiden Bereichen besteht so gut wie keine Verbindung. Deshalb erscheinen politische Konflikte, die sich in dem einen oder anderen Bereich ereignen, nicht in beiden Bereichen zugleich. Diejenigen, die die lokale Politik bestimmen, bilden keinen integralen Bestandteil der nationalen Politik, da sie ohne Rücksicht und ohne Kommunikation mit der nationalen Politik handeln. Diese Situation ist ein Spiegelbild und das Resultat des Kommunikationsprozesses. DieMassenkommunikationsmittel erreichen wegen der sozio-kulturellen und sozio-ökonomischen Bedingungen im allgemeinen nur Teile der städtischen Bevölkerung und nur diejenigen, die an dem nationalen politischen Prozeß teilnehmen. Die große Mehrheit der Bevölkerung partizipiert lediglich in Form des traditionellen mündlichen Kommunikationssystems. Deshalb können sich die politischen Ansichten und Meinungen des größten Teils der Bevölkerung auch nicht in den Massenmedien widerspiegeln, weil diese zu ihnen, aber nicht mit ihnen sprechen. Das führt dazu, daß die Politik auf nationaler Ebene nicht über die Bedürfnisse und Notwendigkeiten des größten Teils der Bevölkerung unterrichtet ist; denn die Werte und Vorstellungen, die insbesondere die Landarbeiter oder die Indianer haben, werden im nationalen politischen Prozeß kaum vertreten.
— Zentralamerika befindet sich in einem zusammenhanglosen gesellschaftlichen Wandlungsprozeß. Diese grundlegende Tatsache schließt die Chance einer weitgehenden Übereinkunft über die für das politische Handeln angemessenen Ziele und Mittel aus. Deshalb ist der Entwicklungsprozeß, der mit vielen technischen und ökonomischen Mitteln gefördert wird, letztlich zum Scheitern verurteilt. Dieser Entwicklungsprozeß kann nur zum Erfolg führen, wenn er von einem adäquaten politischen Handeln und Verhalten begleitet wird, wenn es also gelingt, den Entwicklungsprozeß auf gemeinsame Ziele der Gruppen und Interessen hinzulenken. Hierzu gehört auch die politische Integration der sozio-kul. turellen und sozio-ökonomischen Verschiedenheiten des Landes. Ein erster erfolgversprechender Versuch wurde in El Salvador ge. macht. — Die große Masse der Bevölkerung steht der Politik apathisch gegenüber, weil sie offensichtlich nicht bereit oder in der Lage ist, die erhaltenen Informationen über den politischen Prozeß auch in politische Handlungen umzusetzen. Deshalb gehen auch keine neuen Impulse für die nationale Politik von der großen Masse der Bevölkerung aus. Die Gründe der politischen Apathie liegen in der geschichtlichen Erfahrung, die die Masse der Bevölkerung mit der Politik gemacht hat. Diese Erfahrung war negativ. Daraus entstand eine allgemeine Abneigung, ja sogar eine gewisse Angst, sich mit Politik zu befassen, weil dadurch letztlich das persönliche Leben entscheidend gestört wurde. Man hat sich damit abgefunden, daß man durch politische Aktivität nichts Entscheidendes ändern kann. — Die Politik in Zentralamerika hat in ihren affektiven und expressiven Aspekten ein sehr hohes Niveau entwickelt. Pomp und Zeremoniell sind gewöhnlich ihre Grundelemente; von den Mitgliedern der herrschenden Gruppen erwartet man nicht so sehr, daß sie die Politik als ein Mittel zur Lösung sozialer Probleme ansehen. Deshalb beschränkt sich im allgemeinen politisches Handeln darauf, ein gewisses Minimum sozialer und ökonomischer Funktionen zu garantieren, ohne grundlegende Reformen als Voraussetzung des Interessenausgleichs vorzunehmen. Es herrscht nicht die Erkenntnis vor, daß der an der Politik sich Beteiligende in erster Linie dem Gemeinwohl des Volkes verpflichtet sei, sondern allgemein wird der Politiker als einer der wenigen angesehen, der im Brennpunkt des öffentlichen Lebens steht und seine persönlichen Interessen befriedigen kann. Die Politiker haben offenbar den Eindruck, daß sie mit stark gefühlsbetonter Aktion besondere Symbole aufrechterhalten müssen.
IV. Die gegenwärtige Situation in den einzelnen Ländern
Abbildung 4
Tabelle 4: Erziehungswesen
Tabelle 4: Erziehungswesen
Die politischen Veränderungen, die sich nach dem Sturz des Regimes Somoza in Nicaragua im Juli 1979 vollzogen haben, hatten auch Wirkungen auf die anderen Länder Zentralamerikas Alle Länder sind von einem Wandel erfaßt worden. Besonders nachdrücklich zeigt sich das in El Salvador, wo durch den Sturz der Regierung Romero am 15. Oktober 1979 eine neue Phase der Entwicklung eingeleitet wurde. Im Hinblick auf diese Veränderungen sind die Ereignisse in Nicaragua bedeutsam, weil sie gewisse Parallelen mit dem bewaffneten und erfolgreichen Kampf Fidel Castros gegen die Diktatur Batistas im Jahre 1959 in Cuba aufzeigen. Auch damals wurde der bewaffnete Aufstand von einem Großteil der Bevölkerung mitgetragen, ähnlich wie in Nicaragua, wo letztlich nicht nur kleine und ideologisch fixierte Minderheiten kämpften, sondern alle Schichten des Volkes sich gegen den Clan der Somozas erhoben. Dadurch hat der bewaffnete Kampf, der bisher in der Regel von kleinen Gruppen, die vornehmlich aus Studenten und einigen Landarbeitern bestanden, gegen die übermächtigen, gutgeschulten und bestens ausgerüsteten Soldaten der Militärregierung aussichtslos geführt wurde, eine neue Ermunterung erfahren. Darin liegt die Gefahr für die anderen Länder Zentralamerikas. Gegenwärtig stehen sich drei Konzepte gegenüber, die um Einfluß ringen:
Da ist erstens die Gruppe derjenigen, die die gegenwärtigen Strukturen verteidigen wollen, jede Reform ablehnen und alle Probleme und Konflikte in ihrem Lande dem internationalen Kommunismus in die Schuhe schieben. Der Einfluß dieser Einstellung hat zwar in den letzten Jahren nachgelassen, sie findet aber bei Großgrundbesitzern und Militärs immer noch machtvolle Anhänger.
Daneben finden sich zweitens die Reformer, vornehmlich Christliche Demokraten und Sozialdemokraten, die eine nach demokratischen Regeln orientierte Reformpolitik durchsetzen wollen. Reformen sollen nach wirtschaftlichen und politischen Gesichtspunkten längerfristig einen Interessenausgleich herbeiführen. Ansatzpunkte dafür sind notwendige Veränderungen in den Eigentumsstrukturen des Großgrundbesitzes, der Banken und des Außenhandels, um die große Kluft zwi-sehen wenigen, die viel, und vielen, die wenig besitzen, zu überwinden. Dabei soll das Volk an der Durchführung dieser Reformen durch politische Teilnahme mitwirken. Die Entwicklung in El Salvador seit 1980 kann hier als konkretes Orientierungsmodell gelten.
Es bleiben drittens diejenigen, die durch eine radikale und gewaltsame Veränderung der Machtstrukturen die anstehenden Probleme lösen wollen. Es sind vornehmlich die marxistisch inspirierten Guerillagruppen, die diese Strategie verfolgen. Nicaragua ist dabei das sichtbarste Beispiel. Von diesem Modell werden die Guerillas in Guatemala und El Salvador geleitet. In El Salvador wurde diesem Konzept allerdings von der großen Mehrheit der Bevölkerung am 28. März 1982 in den Wahlen eine Abfuhr erteilt. 1. Guatemala Guatemala ist das bevölkerungsreichste Land Zentralamerikas. 50% der Bevölkerung sind Indianer, 30% Mestizen, die Ladinos genannt werden, weil sich diejenigen als Ladino bezeichnen, die sich nicht der Indianerkultur zugehörig fühlen. 65% der Guatemalteken können nicht lesen und schreiben. Der Großteil der Indianer spricht nicht die spanische Landessprache, wobei auch sie sich nicht uneingeschränkt untereinander verständigen können. 56% der Bevölkerung sind in der Landwirtschaft tätig. 35% des Nationaleinkommens entfällt auf nur 5% der Bevölkerung. 70% der Guatemalteken müssen von einem Jahreseinkommen von 250, — DM leben. Der Landarbeiter verdient bei mehr als 8 Stunden Tagesarbeit 3, — DM. Nur 12% der Bevölkerung kommt in den Genuß der Sozialversicherung, 2% der Arbeiter sindgewerkschaftlich organisiert. Im statistischen Durchschnitt kommen auf einen Arzt 2 490 Personen, aber 80% der Ärzte arbeiten in der Hauptstadt, so daß auf dem Lande ein Arzt 23 000 Personen zu betreuen hat. Diese Daten verdeutlichen eine Sozialstruktur, die vom krassen Gegensatz zwischen einer kleinen und reichen Oberschicht und der großen Mehrheit der Bevölkerung, die in bitterer Armut lebt, gekennzeichnet ist.
Das Landproblem ist die Hauptursache für die zunehmenden sozialen und politischen Span-nungen. 2% der Grundbesitzer haben 62% des anbaufähigen Agrarlandes in ihrer Hand, und 87% der Grundeigentümer nutzen nur 19% der verfügbaren Anbaufläche. Bei den 2% handelt es sich um Großgrundbesitzer, die über unvorstellbar große Latifundien verfügen und die besten Böden bewirtschaften, während es sich bei den 87% um Kleinbauern handelt, die karge Böden mit primitiven Mitteln bebauen und nur unzureichend von den Erträgen leben können. Die Landkonzentration in Guatemala kam nicht durch freies Unternehmertum zustande, sondern wurde durch politische Zwangsmaßnahmen bewirkt.
Betroffen davon sind vor allem die Indianer. Mitte des letzten Jahrhunderts erließ die Regierung ein Gesetz, daß die Registrierung des Grundbesitzes vorsah. Die Vermessung mußte von den Eigentümern bezahlt werden. Viele Indianer, des Lesens und Schreibens und der spanischen Nationalsprache unkundig, kannten das Gesetz nicht oder konnten die Vermessungskosten nicht bezahlen. Große Ländereien wurden damals der Indianderbevölke-rung weggenommen. Durch die Verschuldung der landlosen Bauern sorgten die Grundbesitzer für einen ständigen Zustrom von Arbeitskräften zu den Erntezeiten. Der Diktator Jorge Ubico (1935— 1944) erließ ein Landstreichergesetz, durch das die Indianer in die uralte Abhängigkeit von den Finqueros gerieten: Jeder, der nicht mindestens 4 500 qm Boden sein eigen nennen konnte, mußte wenigstens 100 Tage im Jahr als Tagelöhner arbeiten. Die Mehrheit der Bevölkerung war davon betroffen. Diese Grundbesitzstruktur hat sich bis heute erhalten. Die gesetzlichen Diskriminierungen der Landarbeiter sind zwar aufgehoben worden, ihre tatsächliche Situation hat sich aber wenig verändert. Mindestlöhne, 48-Stunden-Woche, medizinische Versorgung, Schulbesuch der Kinder sind gesetzlich abgesichert, werden aber nicht eingehalten.
Am radikalsten aus ihrer Umgebung gerissen werden die Indianer aus dem Hochland. Der Boden, den sie bewirtschaften, gibt nicht genügend Ertrag zum Leben. Sie müssen alljährlich für zwei bis fünf Monate zur Arbeit in die feuchtheißen Baumwollund Zuckerplantagen an der Pazifikküste abwandern. Es handelt sich um mehr als 200 000 Menschen. Im ganzen Land sind über eine halbe Million Menschen von der saisonalen Arbeiteremigration betroffen.
In den letzten Jahren sind sich die Indianer ihrer Situation bewußt geworden. Eine Reihe von Organisationen hat eine gezielte Bil. dungsarbeit geleistet; vor allem katholische Priester haben umfangreiche Programme durchgeführt. Zum ersten Male wurde 1976 eine Indianerpartei (Frente de Integraciön Na-cional) gegründet, womit sich auch der Konflikt mit den Großgrundbesitzern verschärfte. Als vor wenigen Jahren in einigen Gebieten Guatemalas große Erdöllager gefunden wurden, versuchten die Großgrundbesitzer die Indianer von ihren Ländereien zu vertreiben und schreckten auch vor brutalen Repressalien nicht zurück. Der weitaus größte Teil der politischen Mordopfer ist unter den Landarbeitern zu finden. Es gibt Fälle, wo Familien von ihren Grundstücken, die sie seit Generationen besaßen, vertrieben werden. Die Großgrundbesitzer verstehen es, sich „legale" Titel zu verschaffen, die ihnen als Vorwand dienen, um die wirklichen Eigentümer mit Hilfe von Polizei-und Armeegewalt zu verjagen. Es ist in den letzten Jahren mehrfach vorgekommen, daß die Armee ganze Indianerdörfer vernichtet hat; insbesondere in den Departamentos Quich, Chimaltenango, Solalä und Hue-huetenango ist die Verfügung der Indianer besonders groß.
Die Guerilleros versuchen, die Indianer für sich zu gewinnen. Sie überfallen Indianerdörfer, lassen vor der zwangsweise versammelten Dorfgemeinde die von der Regierung eingesetzten Autoritäten (Richter, Polizei u. a.) verurteilen und liquidieren sie anschließend. Die Dorfbevölkerung wird zur Unterstützung der Guerilleros gezwungen. Einige Tage später besetzen Soldaten das Dorf. Die Dorfbevölkerung wird der Unterstützung der Guerilleros bezichtigt und die Soldaten gehen mit äußerster Brutalität gegen die Dorfbewohner vor.
Viele Menschen finden dabei den Tod, andere Indianerfamilien verlassen ihre Dörfer und suchen in den Städten oder in Mexico Schutz oder schließen sich den'Guerilleros an.
Die Regierung des Präsidenten Jacobo Arbenz versuchte in den Jahren 1952— 1954 die ungerechte Landverteilung durch eine Agrarreform zu ändern. Mehr als 600 000 ha Land wurden verteilt. Diese Politik und die Tatsache, daß Arbenz mehr und mehr unter den Einfluß seiner kommunistischen Mitarbeiter und Berater geriet, stieß auf den entschiedenen Widerstand der Großgrundbesitzer. Mit amerikanischer Hilfe wurde Arbenz im Juni 1954 gestürzt. Das neue politische Konzept war das des militanten Antikommunismus. Castillo Armas wurde Präsident. Er machte die Agrarreform rückgängig und gab das enteignete Land den früheren Eigentümern zurück. Zugleich begann der Terror als Mittel der politischen Auseinandersetzung. Notwendige Reformen wurden seitdem nicht ernsthaft in Gang gesetzt, Sozialprogramme der Regierungen unter karitativen Gesichtspunkten eher lustlos in Angriff genommen. Zu einer Reform-politik, die die sozialen und wirtschaftlichen Ursachen der krassen Unterschiede ausgleichen sollte, ist es nie gekommen.
So ist die wesentliche Quelle des politischen Terrorismus in Guatemala’ die ungerechte Verteilung der wirtschaftlichen Ressourcen. Die sozialen Konsequenzen, die sich daraus ergeben, treffen vor allem die breite Bevölkerung. Die Arbeitslosigkeit liegt bei mehr als 20%. Es verwundert nicht, daß unter diesen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung mehr und mehr verlorengegangen ist und die Spannungen zunehmen. Guatemala hat nach der Unabhängigkeit von 1821 demokratische Verfassungen gehabt, ohne daß die reale Verfassung des Landes demokratisch ist. Die Analphabeten können wählen, ohne daß sie, wie bei den Indianern, wissen, was eine Wahl bedeutet. Für die Wirksamkeit eines demokratischen Systems fehlen die kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Voraussetzungen. Die politische Kultur des Landes hat weder im Wertsystem noch in der politischen Praxis einen demokratischen Konsens hervorgebracht. Wahlfälschungen gehören zu den Instrumenten der Machtkontrolle: 1974 und 1978 wurde das von der Regierung eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Seit der Unabhängigkeit im Jahre 1821 hat Guatemala bis 1982 65 Präsidenten gehabt; jeder regierte im Durchschnitt 2, 5 Jahre. Nur vier Präsidenten haben in diesem Jahrhundert ihre Wahlperiode beenden können. Die Wahlbeteiligung der Guatemalteken ist gering. Sie lag seit 1958 bei rd. 25%. Präsidenten werden mit 10% der Stimmen der Wahlberechtigten gewählt.
Die Wirkung der kubanischen Revolution von 1959 auf Lateinamerika zeigte sich darin, daß in vielen Ländern des Subkontinents zu Beginn der sechziger Jahre bewaffnete Gruppen den Kampf gegen Regierung und Systeme aufnahmen, weil sie glaubten, daß nach der kubanischen Erfahrung ein gewaltsamer Umsturz sehr schnell möglich sei. In Guatemala, wo seit 1954 eine militante antikommunistische Politik unter Führung des „Movimento de Libera-ciön Nacional" (MLN) betrieben wurde, erhoben sich am 13. November 1960 junge Offiziere gegen die korrupte Regierung des Generals Ydigoras und forderten eine Militärreform und die Absetzung des Generals. Der Aufstand scheiterte. Einige Offiziere flohen nach Honduras und kehrten nach einiger Zeit zurück, um den Kampf fortzusetzen. Nachdem die Kontakte mit den politischen Parteien, die für den Kampf gewonnen werden sollten, ergebnislos verliefen, bot sich die kommunistische Partei (Partido Guatemalteco del Trabajo — PGT) für die politische Unterstützung an. Sie hatte sich auf ihrem Kongreß 1960 auch für die Intensivierung des bewaffneten Kampfes ausgesprochen und unterhielt inzwischen eine Guerillagruppe (Fuerzas Armadas Rebeides — FAR). 1963 wurde Ydigoras von den Militärs unter Coronel Peralta Azurdia gestürzt, die sich dann im Kampf gegen die Guerilleros, die durch eine Reihe von spektakulären Erfolgen von sich reden machten, sehr schwer taten.
Schließlich organisierte sich ein rechter Gegenterror, der mit Hilfe der Sicherheitskräfte der Regierung und der Militärs gnadenlos Jagd auf alle Personen machte, die in den Verdacht gerieten, linke Ideen zu verfolgen. So bildeten sich unter Führung des MLN Organisationen wie MANO (Movimiento Anticomu-nista Nacional Organizado), NOA (Nueva Organizaciön Anticomunista), „Ojo por Ojo". Studenten, Journalisten, Professoren, sozialistische und christlich-demokratische Politiker, Priester, Arbeiter und Gewerkschafter, die Veränderungen forderten, wurden erbarmungslos und oft auf grausame Weise ermordet.
Die Guerilleros, die in erster Linie Soldaten, Polizisten, reiche Großgrundbesitzer oder Industrielle umbrachten oder entführten, verlagerten in den Jahren 1967— 1970 ihre Aktionen auf die Hauptstadt. 1968 wurden von ihnen der amerikanische Botschafter Mein und im April 1970 der deutsche Botschafter Graf von Spretr entführt und umgebracht. Mit dem Regierungsantritt von General Arana Osorio erreichte der politische Terror in den Jahren 1970— 1971 zunächst einen Höhepunkt. Seiner Regierung und den von ihr unterstützten rechten Terrororganisationen gelang es, die Guerillagruppen fast vollständig zu zerschlagen. Viele unschuldige Guatemalteken, die einer Denunziation zum Opfer fielen, wurden nachts aus den Häusern geholt und ermordet. Nach Schätzungen von Fachleuten in Guatemala haben von 1960 bis 1978 in Guatemala mehr als 20 000 Menschen durch den politischen Terror ihr Leben verloren. Nach eigenen Untersuchungen ergeben sich für die Jahre 1972 bis 1979 folgende Zahlen: 5 683 Morde, 1 147 Entführungen, 534 Brandstiftungen, Bombenattentate u. a. und 908 Mordversuche und Überfälle. Bei diesen Zahlen handelt es sich um bekanntgewordene Fälle; viele Menschen verschwinden jedoch, ohne daß ihre Leichen jemals gefunden werden. Bei den Entführungen handelt es sich um Terrorakte, die begangen wurden, um von den Opfern Geld zu erpressen. Nach Zahlung des Lösegeldes werden die Betroffenen freigelassen oder getötet. Bei den Bombenattentaten und Brandstiftungen handelt es sich in der Regel um Vergeltungsmaßnahmen, die in erster Linie das Vermögen vernichten sollen, ohne daß dadurch Menschenleben zu Schaden kommen. Mordversuche, Morddrohungen und Überfälle mit körperlichen Mißhandlungen dienen dazu, die Opfer (Abgeordnete, Bürgermeister in Landgemeinden, Studenten, Universitätsprofessoren) einzuschüchtern.
Seit 1974 und besonders seit 1978 haben die marxistisch orientierten Guerillagruppen ihre Aktionen verstärkt, nachdem sie 1975 mit der Gründung des „Ejercito Guerrillero de los Pobres" (EGP), das von Cuba und neuerdings von Nicaragua unterstützt wird, einen Neuaufbau ihrer Kräfte begonnen hatten. Ihre gegenwärtige Stärke beträgt ca. 3 000 Mann. Der Zulauf auf dem Lande ist in den letzten Jahren größer geworden, da hier die Militärs besonders rücksichtslos vorgehen. Die Bevölkerung hat das Vertrauen in einen friedlichen Wandel verloren. Wahlen werden nicht mehr als Möglichkeit der politischen Machtverteilung angesehen. 1974 gewann die „Democracia Cristiana Guatemalteca" (DCG) die Präsidentschaftswahl, 1978 blieb die Opposition siegreich. Die Regierung verhinderte jedoch durch umfangreiche Wahlmanipulationen einen Machtwechsel. Hinzu kommt, daß die Ereignisse in Nicaragua und El Salvador den Gue-rilleros neuen Auftrieb gegeben haben. Sie glauben, daß der bewaffnete Kampf auch in Guatemala erfolgreich sein wird.
Aber auch die Regierung, das Militär und die reiche Oberschicht ziehen ihre Konsequenzen aus den Erfahrungen in Nicaragua und El Salvador: sie verfolgen noch entschiedener jede Opposition, die sich bildet. Der rechte Terror bedient sich des „Ejercito Secreto Anticomunista" (ESA) und der „Escuadrön de la Muerte", während die linken Gruppen mit dem „Ejercito Guerrillero de los Pobres" (EGP), „Fuerzas Ar-madas Rebeides" (FAR) und der „Organizaciön del Pueblo en Armas" (OPRA) den Kampf fortsetzen. Der Regierung und den ihnen politisch verbundenen Parteien ging es dabei um zwei Dinge: Erstens wollte man die Guerilleros und ihre politischen Anhänger und Sympathisanten vernichten. Zweitens sollte jeder Konkurrent für die Präsidentschaftswahl im März 1982 ausgeschaltet werden. Die Militärs waren fest entschlossen, die Macht zu behalten. Nach ihrem erneuten Wahlbetrug vom 7. März 1982 putschten am 23. März 1982 junge Offiziere und setzten ihre korrupten Vorgesetzten ab. Der neue Präsident Rios Montt möchte das Land befrieden. Bisher konnte er aber noch kein überzeugendes Konzept vorlegen. Die Bekämpfung der Guerilla ist gegenwärtig das Hauptziel, daneben widmet er der Sanierung der Wirtschaft besondere Aufmerksamkeit. 2. El Salvador Die Ereignisse in El Salvador waren bis zum 28. März 1982 aus den Schlagzeilen der internationalen Presse nicht wegzudenken. Im Wahlergebnis vom 28. März 1982 hat die Bevölkerung jedoch in eindrucksvoller Weise ihren Willen zum Ausdruck gebracht, die Probleme des Landes nicht mit Gewalt, söndern durch Reformen und mit demokratischen Mitteln zu lösen.
Durch einen unblutigen Militärputsch vom 15. Oktober 1979 war das korrupte Regime des Generals Romero gestürzt worden. Die Militärjunta versuchte, zusammen mit den Christlichen Demokraten durch Reformen die dringendsten Probleme des Landes zu lösen. Nach dem Sieg der Guerilla in Nicaragua paßte die Entwicklung in El Salvador nicht in das Konzept der marxistischen Strategie einer gewaltsamen Veränderung. Die Militärs und die zivilen Politiker, vornehmlich aus der Christlich-Demokratischen Partei, die sich mit Napoleon Duarte an der Spitze für diese keineswegs populäre Aufgabe zur Verfügung stellten, verfolgten das Ziel, durch eine Agrar-, Banken-und Außenhandelsreform die Voraussetzungen für eine gerechtere Verteilung der wirtschaftlichen Ressourcen zu schaffen. Napoleon Duarte war fest davon überzeugt, daß dieser Prozeß nur mit Unterstützung der Bevölkerung erfolgen könne. Deshalb sollten so schnell als möglich Wahlen stattfinden, um dem Volk die Chance zu geben, die Wegweiser für die weitere Entwicklung zu markieren.
Dieses Konzept stieß auf den erbittertsten Widerstand der Rechten, zu denen nicht unbeträchtliche Teile der Militärs gehörten, aber auch die Guerillas bekämpften die Regierungspolitik nicht weniger gewaltsam. Die Rechten wollten jede Veränderung, die den Verlust ihrer Privilegien bedeuten mußte, verhindern, während die Linke fürchten mußte, ihre politische und ideologische Rechtfertigung für den bewaffneten Kampf zu verlieren, falls die Reformpolitik Erfolg haben sollte. Im Jahre 1980 war es für die Regierung außerordentlich schwer, ihr Konzept durchzusetzen. Die Großgrundbesitzer und die wohlhabende Oberschicht der Hochfinanz, die seit 1931 stets von Militärdiktaturen begünstigt wurden und beharrlich jede Reform verhinderten, taten alles, um mit Unterstützung von Teilen der Streitkräfte durch Waffengewalt die Politik der Regierung zum Scheitern zu bringen. Sie machten auch vor der Ermordnung des Erzbischofs Oscar Romero nicht halt. Er wurde am 24. März 1980 erschossen. Im Jahre 1980 fielen mehr als 10 000 Menschen Gewalt und Terror zum Opfer. Die Regierung war lange machtlos; es gelang ihr nicht, die Streitkräfte unter Kontrolle zu bekommen. Die Linke suchte in diesem Klima von Gewalt und Angst, das im Lande herrschte, ihren Vorteil und setzte alles daran, um die Agrarreform, die unmittelbar das Los der Campesinos verbessern sollte, zu einem Mißerfolg werden zu lassen. Neue Besitzer des von der Regierung verteilten Landes wurden so unter Druck gesetzt, daß sie das Land wieder verließen. Taten sie das nicht, wurden sie umgebracht.
Das Jahr 1981 war gekennzeichnet von der von der Nationalen Befreiungsfront „Farabundo Marti" (FMLN) für den 10. Januar 1981 organisierten Generaloffensive, die jedoch mißlang, da der Aufruf zu einem Generalstrefk kaum beachtet wurde. Die militärische Offensive der FMLN wurde von den Streitkräften zurückgeschlagen. In der Bevölkerung setzte sich mehr und mehr die Erkenntnis durch, daß die vor allem von den christlich-demokrati-sehen Politikern in der Regierung forcierte Reformpolitik für die Bevölkerung erkennbare Vorteile mit sich brachte. Trotz der andauernden gewaltsamen Auseinandersetzungen gelang es, die Reformen voranzutreiben. Dabei mußte die Regierung oft genug den Vollzug gegen Teile der Streitkräfte durchsetzen. •
Einen Höhepunkt erlebte die Entwicklung am 28. März 1982, als die Regierung die angekündigten Wahlen zu einer Verfassungsgebenden Versammlung durchführte. Es schien unmöglich, in einem Lande, wo Gewalt und Terror herrschten, demokratische Wahlen abzuhalten. Die Linke verweigerte ihre Mitwirkung. Das salvadorianische Volk selbst demonstrierte am 28. März 1982 seinen Willen, die Entwicklung im Lande durch eigene Entscheidung zu bestimmen. Es war eine eindeutige Demonstration gegen die linksradikale Guerilla, die mit allen Mitteln die Durchführung der Abstimmung zu verhindern versucht hatte. 1, 5 Mio. Salvadorianer gingen freiwillig zu den Wahlen, harrten viele Stunden in der glühenden Sonne aus, um ihre Stimme abgeben zu können. Die Christlichen Demokraten gewannen 40% der Stimmen und 24 Sitze, die vier Rechtsparteien mit der radikalen ARENA des Exmajors D Aubuisson als stärkste Partei den Rest der Mandate. Nach mühsamen Gesprächen gelang es, eine Übergangsregierung unter dem Präsidenten Alvaro Magafia zu bilden, der die Reformen weiterführt, wenn auch ihr Tempo vermindert wurde. Die FMLN und ihr politischer Repräsentant, die FDR, sind als große Wahlverlierer anzusehen. Die Guerilla verlor nach den Wahlen einen Teil ihrer Anhänger; sie mußte sich auf die neue Situation einstellen. Sie verlagert gegenwärtig ihre Aktionen von der militärischen Auseinandersetzung auf die Zerstörung der Wirtschaftsstruktur des Landes. Parlaments-und Präsidentschaftswahlen sind für den 28. März 1984 vorgesehen. Damit dürfte die jetzige Übergangsphase beendet sein. Sollte die Reformpolitik in El Salvador Erfolg haben, wäre das für die Länder Honduras und Guatemala ein wichtiges Beispiel, das schon heute seine Wirkungen auf diese Länder nicht verfehlt hat. 3. Honduras In Honduras fanden nach einer langen Phase von Militärdiktaturen am 15. November 1981 Parlaments-und Präsidentschaftswahlen statt. Der Kandidat der Liberalen Partei, Dr. Roberto Suazo Cördova, gewann die Wahl und wurde neuer Präsident des Landes. Er übernahm ein schwieriges Erbe. Die Militärs hinterließen eine ruinierte Wirtschaft mit 1, 5 Mrd. US-Dollar Auslandsschulden. Die bisher stabile Währung leidet unter der wachsenden Kapitalflucht aus ganz Zentralamerika. 20% der arbeitsfähigen Bevölkerung sind arbeitslos und 60% unterbeschäftigt. Die bescheiden begonnene Bodenreform der letzten Jahre war wirtschaftlich und politisch ein Mißerfolg und muß korrigiert werden. Der Konflikt zwischen den Großgrundbesitzern und den besitzlosen Landarbeitern steigert sich häufig zu bewaffneten Auseinandersetzungen. Die Krisen in den anderen Ländern haben praktisch zum Zusammenbruch des Zentralamerikanischen Marktes geführt, wovon Honduras besonders betroffen ist. Daneben hat das ärmste Land Zentralamerikas finanziell aufwendige und politisch schwierige Flüchtlingsprobleme zu bewältigen. Aus Guatemala gelangen Gruppen ins Land, die eher aus wirtschaftlichen Gründen zum Grenzübertritt motiviert werden. Schwerwiegender ist das Problem der etwa 18 000 Flüchtlinge aus El Salvador. Ein Teil der Flüchtlinge wurde als Guerilleros erkannt, die sich von den Kämpfen erholen wollten, was zur Verlegung der Flüchtlinge in das Landesinnere führte. Eine neue Flüchtlings-welle, die noch andauert, kommt aus Nicaragua, wo die Sandinisten die Miskito-Indianer der Atlantikküste verfolgen und vertreiben. Gegenwärtig befinden sich mehr als 7 000 von ihnen in Behelfslagern.
Erste Bemühungen um den Aufbau einer kubanisch-nicaraguanisch inspirierten Guerillabewegung in Honduras bereiten dem Land zusätzliche Sorgen. Ein Teil der über Honduras geschmuggelten und für El Salvador bestimmten Waffen ist im Lande verblieben. Junge Honduraner werden in Cuba und Nicaragua für den Guerillakampf ausgebildet. Erste Banküberfälle und Entführungen wurden registriert. Zwei Gruppen, deren Überzahl die Kommunistische Partei bildet, haben sich zu erkennen gegeben: „Frente Morazanista de Li-beraciön de Honduras" und das „Movimiento Cinchonero Populär de Liberacin". Ihre Anhänger bestehen aus Schülern und Studenten. Als politischer Überbau dieser Gruppen fungiert die Kommunistische Partei. Der Außenminister Paz Barnica legte dem Präsidenten des UN-Sicherheitsrates und des Ständigen Rates der OAS am 23. August 1982 eine Dokumentation vor, in der die von Nicaragua ausgehenden Übergriffe, Entführungen und Aggressionsakte dargestellt wurden. Honduras ist zu einem neuen Tätigkeitsfeld der Guerilla geworden. 4. Nicaragua In Nicaragua hat am 19. Juli 1979 mit der Unterzeichnung der bedingungslosen Kapitulation durch die „Guardia Nacional" gegenüber dem „Frente Sandinista" ein neues Kapitel in der Geschichte des Landes begonnen. Der bewaffnete Kampf gegen das Regime Somoza, das seit 1937 im Lande alles beherrschte und kontrollierte, wurde erfolgreich abgeschlossen. Nicht nur marxistisch orientierte Revolutionäre, sondern ein Großteil der Bevölkerung beteiligte sich an diesem Aufstand. Nur die Ziele waren unterschiedlich: Die marxistischleninistisch orientierten und mit kubanischer Hilfe kämpfenden Guerilleros des „Frente Sandinista de Liberaciön Nacional" (FSLN) wollten nicht nur den Somoza-Staat zerschlagen, sondern zugleich ein nach kubanischem Vorbild ausgerichtetes neues Gesellschaftssystem etablieren. Die Mehrheit der Bevölkerung dagegen wollte sich von der drückenden Last der Somoza-Diktatur befreien, um besser und freier leben zu können. Man fand sich im gemeinsamen Kampf gegen Somoza zusammen, jedoch nicht in der Frage des Aufbaus einer neuen Staats-und Gesellschaftsordnung. Dieser prinzipielle Konflikt wurde zunächst von der Euphorie des Sieges überdeckt. Als jedoch die wirklichen Ziele der marxistisch-leninistischen Sandinisten erkennbar wurden, die Bevölkerung erkennen mußte, daß sich ihre Situation keineswegs so verbesserte, wie das die sandinistischen Propagandisten versprochen hatten, verlor die Begeisterung ihre Wirkung.
Es kann heute kein Zweifel mehr darüber bestehen, daß Nicaragua ein marxistisch-leninistisch regiertes und kontrolliertes Land ist, auch wenn es noch minimale Räume gibt, die der Kontrolle durch den Staat noch nicht unterliegen. Alle entscheidenden Positionen im Staat und in der Gesellschaft sind mit Marxisten besetzt, die das kubanische Modell als Vorbild für die totale Veränderung der Gesellschaftsstruktur Nicaraguas durchsetzen. Bei der Verwirklichung dieses Modells geht man behutsam und mit taktischer Flexibilität vor. Doch der Wegweiser zeigt eindeutig in die marxistisch-kubanische Richtung. Die Grundfreiheiten der Bevölkerung werden zunehmend eingeschränkt. Unverkennbar ist der von marxistisch-leninistischer Ideologie geprägte Militarismus. Das Land hat sich eindeutig Kuba zugewandt und sich unter sowjetischen Einfluß gestellt. Die Regierung versucht, alle Lebensbereiche mit den marxistischen Prinzipien der sandinistischen Revolution zu durchdringen Das gilt auch für die Religion.
Ohne Zweifel handelt es sich in Nicaragua um ein revolutionäres Modell, nicht um ein reformistisches. Die Politik der Sandinisten ist gekennzeichnet durch Ideologisierung, Militarisierung, Mißwirtschaft, Verletzung der Menschenrechte und die Verweigerung des Selbstbestimmungsrechtes für das Volk. Seit dem Sturz Somozas hat sich vieles geändert, nur nicht das Grundmuster der politischen Macht: Die Personen der Diktatur wurden ausgewechselt, auch die Ideen, nicht aber die Diktatur selbst. Der Unmut in der Bevölkerung über diese Entwicklung wächst. Die Opposition gegen das sandinistische Regime nimmt zu. Auch die katholische Kirche verdeutlicht ihren Widerstand gegen die Indoktrinierung.
5. Costa Rica
Costa Rica unterscheidet sich in vielem von seinen Nachbarländern. Das Land verfügt über eine lange demokratische Tradition, seine wirtschaftliche und soziale Situation konnte lange als vorbildlich in Zentralamerika gelten. Als einziges Land Lateinamerikas verfügt es nicht über eine eigene Armee, sondern nur über eine Sicherheitstruppe. Doch in den letzten Jahren hat sich einiges geändert. Die unvorstellbar starke Aufrüstung Nicaraguas stellt für Costa Rica eine ernsthafte Bedrohung dar, da es sich nicht selbst verteidigen kann.
1948 löste das Land nach einer langen Periode militärischer Interventionen in die Politik seine Streitkräfte auf und ließ sich im Rahmen des Paktes von Rio de Janeiro seine Sicherheit nach außen von der „Organisation Amerikanischer Staaten" garantieren. Lange Jahre war Costa Rica ein Zufluchtsort für politische Flüchtlinge aus den Nachbarländern. In jüng-ster Zeit benutzen bewaffnete Oppositionsgruppen aus Zentralamerika Costa Rica als Operationsbasis. Von Costa Rica aus werden auch Aktionen gegen die Sandinisten in Nicaragua gesteuert. Die Gefahr der Vergeltung durch die nicaraguanische Seite liegt auf der Hand. Das war schon vor einigen Jahren der Fall, als die Sandinistas von Costa Rica aus ihren Kampf gegen Somoza führten. Costa Rica war damals mehrmals direkten Übergriffen durch die Nationalgarde Somozas ausgesetzt. Es gibt auch erste Anzeichen für das Aufflammen des Terrorismus in Costa Rica. Linksextremisten verübten im März 1982 in der Hauptstadt San Jos zwei Bombenattentate. Der Anschlag auf das honduranische Botschaftsgebäude verursachte beträchtlichen Sachschaden, der Anschlag auf einen Wagen der amerikanischen Botschaft forderte drei Verletzte. Die Verantwortung für diese Anschläge übernahm ein „Comando Carlos Agüero Echevarria", das bis dahin unbekannt war. Bei Carlos Agüero Echevarria soll es sich um einen Sandinisten aus Costa Rica handeln, der in Nicaragua gefallen ist. Nach Bekunden der Urheber der Anschläge sollte damit gegen die amerikanische Intervention in El Salvador und die honduranische Hilfe für die salvadorianische Regierung sowie gegen die Aufrechterhaltung der Beziehungen Costa Ricas zur salvadorianischen Regierung protestiert werden.
Costa Rica reagierte auf seine Art gegen den Terrorismus: Am 26. März 1982 organisierten die beiden großen Parteien einen Schweigemarsch mit allen Expräsidenten in der ersten Reihe. Einige Tage später wies das Land die ersten 25 Ausländer, vor allem Nicaraguaner und Salvadorianer, aus. Die Terroraktivitäten haben weiter zugenommen. Beträchtliche Waffenlager, ein Arsenal von gefälschten Pässen und Stempeln aus anderen Ländern wurden gefunden. Bei der Aufklärung dieser Vorkommnisse stießen die Sicherheitsbehörden des Landes auf Dokumente und Hinweise, die die Existenz von 20 bereits existierenden terroristischen Untergrundzellen bestätigten. Für Costa Rica war das eine alarmierende Feststellung. Das Land wird sich neben der außerordentlich kritischen Wirtschaftslage dieser neuen Herausforderung stellen müssen.
V. Perspektiven für die Zukunft
Abbildung 5
Tabelle 5: Eigentumsstrukturen der Fincas in Zentralamerika
Tabelle 5: Eigentumsstrukturen der Fincas in Zentralamerika
Als „dramatisch" bezeichnete Anfang Oktober 1982 der honduranische Außenminister Paz Barnica die Lage in Zentralamerika. Diese Aussage ist eine richtige Einschätzung der gegenwärtigen Situation. Die marxistisch-leninistischen Revolutionäre in Cuba, Nicaragua und El Salvador sind fest entschlossen, den Konflikt in Zentralamerika auszuweiten und die Region weiter zu destabilisieren. Die anderen Staaten Zentralamerikas haben auf diese Entwicklung mit der Gründung der „Demokratischen Gemeinschaft Zentralamerikas" reagiert. Sie wurde am 19. Januar 1982 auf einer Konferenz der Außenminister in San Jos gegründet. Das von den Außenministern Costa Ricas, El Salvadors und Honduras'unterzeichnete Dokument hat beträchtliches Aufsehen erregt. Ohne Zweifel wurde damit eine Stärkung der demokratischen Kräfte in Zentral-amerika erreicht. Die programmatischen Postulate dieser Initiative sind die Festigung der Demokratie, die Ablehnung von Intervention und Aufrüstung und die Respektierung der Menschenrechte. Während gegenseitige Solidarität im Falle von Aggressionen und ausländischen Interventionen vereinbart wurde, werden Terrorismus und Subversion abgelehnt. Im Rahmen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit sollen vor allem die strukturellen Schwächen überwunden werden, in-und ausländische Investitionen und Garantien gegen entschädigungslose Enteignung sowie die Erschließung ausländischer Märkte gefördert werden.
Ob die Länder Zentralamerikas die gegenwärtige Krise meistern können oder nicht, hängt nicht so sehr von militärischen Programmen und Hilfen ab, auch wenn diese bei der anhaltenden Aufrüstung Nicaraguas und der von diesem Lande ausgehenden Subversion unerläßlich sind. Den Kommunismus kann man letztlich nur erfolgreich bekämpfen, wenn die Ursachen für die sozialen Spannungen in den Ländern Lateinamerikas beseitigt werden. Das kann nicht, wie die Entwicklung in Nicaragua gezeigt hat, durch gewaltsame Revolution geschehen, sondern nur durch eine maßvolle und wirtschaftlich verkraftbare Reformpolitik, die zugleich die Bevölkerung auf demokratische Weise an dieser Entwicklung beteiligt. In El Salvador sind dazu ermutigende Zeichen gesetzt worden. Die Einleitung einer demokratischen Entwicklung ist kein leichter Weg. Der ehemalige venezolanische Außenminister Dr. Aristides Calvani verdeutlicht die Probleme: „Wir wissen genau, daß man die Demokratie nicht innerhalb von 24 Stunden errichten kann, sondern daß es dazu zunächst einmal unerläßlich ist, die notwendigen ökonomischen, sozialen, kulturellen und — nicht zu vergessen — politischen Voraussetzungen zu schaffen, damit die Demokratie schließlich Wirklichkeit werden kann als politisches System, als strukturelles Gebilde, aber auch als Lebensform." Dem bleibt nur hinzuzufügen, daß die westeuropäischen Länder, vor allem aber die Bundesrepublik Deutschland, dieses Programm mit allem Nachdruck fördern sollten. Die europäischen Staaten könnten die demokratische Entwicklung in Zentralamerika durch eine gezielte Wirtschaftshilfe fördern. Waffenverkäufe sind hingegen nicht sehr hilfreich.
Josef Thesing, geb. 1937; Studium der Politikwissenschaft in München und Freiburg; 1966— 1973 Beratungsund Dozententätigkeit in Lateinamerika (1966— 1971 in Mittelamerika, 1971— 1973 in Kolumbien); seit 1978 Leiter des Büros für Internationale Zusammenarbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. in St. Augustin. Veröffentlichungen u. a.: Introducciön a la Ciencia Politica, Guatemala 1969; La Politica, Guatemala 1970; Politica y Sociedad, Bogot 1972; Politica y Desarrollo, Bogot 1973; Politik und Entwicklung in Lateinamerika (Hrsg.), Mainz 1976; Economy and Development, System Policy Principles of Economic Policy (Hrsg.), Mainz 1979; Economia Sociale di Mercato (Hrsg.), Rom 1980.
Helfen Sie mit, unser Angebot zu verbessern!
Ihre Meinung zählt: Wie nutzen und beurteilen Sie die Angebote der bpb? Das Marktforschungsinstitut Info GmbH führt im Auftrag der bpb eine Umfrage zur Qualität unserer Produkte durch – natürlich vollkommen anonym (Befragungsdauer ca. 20-25 Minuten).