Südasien auf dem Wege zu einer wirtschaftlichen Kooperation?
Wolfgang-Peter Zingel
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Zusammenfassung
Südasien, d. h. vor allem Indien, hat im vergangenen Jahrzehnt erheblich an wirtschaftlicher Bedeutung gewonnen, auch wenn die Verteilungsprobleme des Subkontinents noch ungelöst sind. Diese Bedeutung resultiert einerseits daraus, daß Indien ein relativ großes Spektrum der Produktion aufweist und in technologisch anspruchsvolle Bereiche erfolgreich eingedrungen ist. Andererseits ist sie Produkt der steigenden außenpolitischen und außenwirtschaftlichen Manövrierfähigkeit (in Indien vor allem durch Exporterfolge und maßvolle Importe, in Pakistan durch Arbeitskräfteexport und Heimüberweisungen der Arbeiter im Ausland). Alle Staaten haben versucht, die Abhängigkeit durch eine Diversifizierung ihrer Geber zu verringern. Die Vernachlässigung der sozialen und regionalen Frage wird aber eine weitere Verschärfung der wirtschaftlichen Disparitäten kaum erlauben, ohne das Erreichte ernsthaft zu gefährden.
Wirtschaftspolitik auf dem Subkontinent seit Mitte der siebziger Jahre
Die Länder Südasiens gelten als Entwicklungsländer par excellence, entsprechen aber realiter nur noch bedingt den verbreiteten Vorstellungen. In den fünfziger und sechziger Jahren gab es kaum einen Entwicklungsökonom von Rang, der nicht eigene Rezepturen für die wirtschaftliche Entwicklung des Subkontinents gehabt hätte. Im Laufe der siebziger Jahre ist dem eine zunehmende Resignation der Experten gewichen. In der öffentlichen Diskussion der Industrieländer sind die Sorgen um die Versorgung mit Rohstoffen und um das geopolitische Gleichgewicht an die Stelle derjenigen um die Lebensverhältnisse in den Entwicklungsländern getreten. Regional hat sich das Interesse auf die rohstoffreichen Regionen, zu denen Südasien nicht gehört, verlagert; selbst die Afghanistan-und Nahostkrisen haben das Interesse an der Nachbarregion nur gering belebt.
So sind die wirtschaftlichen Erfolge der süd-asiatischen Staaten Ende der siebziger Jahre nur am Rande vermeldet worden: In der Nahrungsmittelversorgung gab es nach der Anfang der siebziger Jahre immer mehr in Verruf geratenen „Grünen Revolution" geradezu einen Durchbruch. Indien und Pakistan erreichten (per Saldo) die Selbstversorgung, selbst Bangladesh erfuhr eine merkliche Verbesserung seiner Lage. Indien schaffte es über Jahre hinweg, seine Zahlungsbilanz auszugleichen und sich als solider und begehrter Schuldner zu präsentieren, der seine Währungsbestände aufstocken konnte. Die schnell wachsenden Heimüberweisungen der Arbeiter im Ausland (remittances) verminderten die Abhängigkeit vom Ausland in Pakistan; auch Indien, Sri Lanka und Bangladesh profitierten vom Export ihrer Arbeitskräfte nach Nahost. Indien entwickelte sich zunehmend zu einem ernsthaften Konkurrenten der Industrieländer auf den Märkten in Nahost und Afrika, auch Pakistan weist hier einige Erfolge auf. Dies hat sich weitgehend unbeeinflußt von den politischen Entwicklungen abgespielt, die z. T. tiefgreifend und für die ausländischen Beobachter immer wieder völlig überraschend waren.
Von der internationalen Öffentlichkeit fast unbemerkt ist es seit 1979 zu einer vorsichtigen Annäherung der südasiatischen Staaten gekommen. Auf sie soll besonders eingegangen werden. Deshalb wird der Versuch gemacht, die Region insgesamt und nicht nur eines ihrer Länder (etwa Indien als pars pro toto) zu behandeln
I. Die politische und wirtschaftliche Neuordnung und Konsolidierung Südasiens nach dem Krieg von 1971
Abbildung 2
Tabelle 2: Südasiens Außenhandel mit Nahrungsmitteln (Salden in Mio. US-$) Quellen: 1973, 1974: FAO Trade Year Book 1979, S. 299 ff. 1975— 1980: dass. 1981, S. 339ff. 1981: ebd., S. 110.
Tabelle 2: Südasiens Außenhandel mit Nahrungsmitteln (Salden in Mio. US-$) Quellen: 1973, 1974: FAO Trade Year Book 1979, S. 299 ff. 1975— 1980: dass. 1981, S. 339ff. 1981: ebd., S. 110.
Indiens Eingreifen in den Sezessionskrieg Bangladeshs 1971 und die totale Niederlage Pakistans im damaligen östlichen Landesteil haben das Kräfteverhältnis in Südasien verändert. Seitdem sind Indien und Pakistan allenfalls aus pakistanischer Sicht ebenbürtige Partner. Das Abkommen von Simla (1972) bildete die Basis für die friedliche Koexistenz des letzten Jahrzehnts. Die sowjetische Invasion in Afghanistan (Dezember 1979) hat Indien und Pakistan die Erkenntnis gebracht, daß eine vorsichtige Annäherung im beiderseitigen Interesse liegt — nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Gefahr einer nuklearen Eskalation auf dem Subkontinent. Die herausragende Stellung Indiens gegenüber seinen Nachbarstaaten, die es seit 1971 bei Bevölkerung und Sozialprodukt fast um den Faktor Zehn übertrifft, hatte jene seit jeher nach „natürlichen" Verbündeten außerhalb der Region suchen lassen, besonders augenfällig im Falle Pakistans, das sich schon bald nach seiner Unabhängigkeit dem westlichen Verteidigungsbündnis (Bagdad-Pakt, CENTO, SEATO) anschloß, sich mit dem Iran und der Türkei im RCD (Regional Co-operation for Development) verband, seine Beziehungen erst zur Sowjetunion und dann zu China ausbaute und sich seit dem Olboom immer mehr an den erdölexportierenden islamischen Ländern orientierte.
Bangladesh folgte anfangs dem Beispiel Indiens und wandte sich der Sowjetunion zu Erst nach der Ermordung seines ersten Präsidenten, Sheikh Mujibur Rahman (1975), näherte es sich stärker den westlichen Industrieländern. Die Wiederannäherung an Pakistan beschränkte sich auf die Wiederaufnahme einiger traditioneller Handelsbeziehungen. Sri Lanka suchte historische und kulturelle Kontakte zu Südostasien (in Thailand, Burma, Vietnam, Laos und Kambodscha ist ebenso wie in Sri Lanka der Buddhismus die dominierende Religion) zu aktivieren und beantragte die Aufnahme in die ASEAN (Association of South East Asian Nations). Die Himalaya-Staaten Nepal und Bhutan sind als Binnen-staaten von Indien abhängig; China bildet dagegen schon von der Topographie her kaum ein Gegengewicht, wie die Annexion Sikkims durch Indien 1975 zeigte. Die Malediven schließlich sind international, flächen-und bevölkerungsmäßig sowie wirtschaftlich unbedeutend; der Inselstaat kooperiert wirtschaftlich vor allem mit Sri Lanka und Indien; die Einnahmen aus dem Tourismus, die strategische Lage und die guten Beziehungen zu den islamischen Staaten (die Bevölkerung der Malediven sind Muslime) garantieren die Unabhängigkeit.
Die außenwirtschaftliche Orientierung folgt jedoch der politischen nicht immer. Die westlichen Industrieländer sind auch in Indien die wichtigsten Außenhandelspartner und Kredit-(Entwicklungshilfe-) geber. Seit dem Olboom nehmen die Staaten des Nahen Ostens eine immer bedeutendere Stelle ein. Zuerst als Geber (Übertragungen und Kredite), dann als Arbeitsmarkt und Einwanderungsländer und seit neuerem auch als Absatzmarkt, und zwar auch für industrielle Erzeugnisse, in erster Linie Indiens, aber auch Pakistans.
II. Reformansätze in der Wirtschaftspolitik
Abbildung 3
Tabelle 3: öffentliche Auslandsverschuldung (ausstehend und ausbezahlt) Quelle: World Development Report 1981, a. a. O., S. 162.
Tabelle 3: öffentliche Auslandsverschuldung (ausstehend und ausbezahlt) Quelle: World Development Report 1981, a. a. O., S. 162.
1. Grüne Revolution Im Hinblick auf die „Grüne Revolution" stellt der Subkontinent einen Lehrbuchfall dar. „Revolutionär" ist dabei weniger die Strategie, als vielmehr die hohe Ertragssteigerung bei der pflanzlichen Produktion, die durch den verstärkten Einsatz von verbessertem Saatgut (HYV — high yielding varieties) im Verbund mit chemischen Düngemitteln, Pflanzenschutzmitteln und vermehrter (künstlicher) Bewässerung in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre erreicht wurden.
Vor allem bei Weizen ließen sich imponierende Ertragssteigerungen erzielen. Durch den Vergleich atypischer Anfangs-und Endjahre (besonders schlechte bzw. gute Ernten) wurden aber übertriebene Erwartungen geweckt Als zu Beginn der siebziger Jahre eine ungünstige Witterung schlechte Ernten erbrachte und unerwünschte sozio-ökonomische Begleiterscheinungen sichtbar wurden, schlug die anfängliche Begeisterung vielfach in Enttäuschung um. Dies betraf vor allem die Vertreibung von Pächtern, da die neue Technik — besonders im Verbund mit einer Mechanisierung — es mittleren und größeren Landwirten rentabel erscheinen ließ, ihr Land anstelle ihrer Pächter selbst oder mit Landarbeitern zu bewirtschaften. Im Gegensatz zur Mechanisierung weist aber die sogenannte Saatgut-Düngemittel-Routine den Vorzug der (fast) beliebigen Teilbarkeit der Produktionsmittel auf, d. h., daß kleinere Betriebe theoretisch von ihr genauso wie die größeren profitieren können.
Betrachtet man heute die Erfolge der „Grünen Revolution" aus zeitlicher Distanz, so läßt sich feststellen, daß es bei fast allen Früchten in ganz Südasien seit der Erlangung der Unabhängigkeit Ertragssteigerungen gegeben hat. Ohne diese wäre es gar nicht möglich gewesen, die Bevölkerung, die sich seitdem zahlenmäßig mehr als verdoppelt hat, zumindest auf dem Ausgangsniveau zu ernähren (vgl. Tab. 1), denn Landreserven standen kaum zur Verfügung oder konnten nur durch den Ausbau der landwirtschaftlichen Infrastruktur, insbesondere des Bewässerungswesens, mobilisiert werden. Hier liegt sicher die größte Leistung der Wirtschaft aller südasiatischen Länder.
Die erheblichen Produktionssteigerungen waren nur möglich, weil die Landwirte — entgegen früher weit verbreiteten Ansichten — wie ihre Kollegen in den Industrieländern auch auf veränderte Marktdaten reagieren und überlegene Techniken anwenden, sofern — und dies ist die entscheidende Einschränkung — die veränderten Marktdaten auch wirklich für sie gelten und erkennbar sind und verbesserte Technologien von ihnen bei einem individuell vertretbaren Risiko anwendbar sind. Bei der verbreiteten Teil-und Naturalpacht mit hohen Pachtsätzen und geringer Rechtssicherheit (ungesicherte Eigentumstitel, Gefahr der Pächtervertreibung), geringer Marktinformation, einer monopolartigen Stellung des vielfach mit dem Geldverleih und Landeigentum zusammenfallenden lokalen Landhandels sowie dem begrenzten Zugang zu Beratung und (subventionierten) Inputs (Wasser, Düngemittel, Pflanzenschutzmittel, Energie, Kredit), sind diese Bedingungen aber für den einzelnen meist nicht gegeben. Institutioneile Änderungen im Agrarbereich, allen voran die in unregelmäßigen Zeitabständen verkündeten und nur zum Teil verwirklichten Land-, d. h. Bodenbesitzreformen, waren nur bedingt wirksam. Sie haben vor allem die Klein-und Kleinstbauern und land-losen Landarbeiter kaum erreicht. Vor diesem Hintergrund ist verständlich, daß die Vorzüge der eigentlich betriebsgrößenneutralen „Grünen Revolution" hauptsächlich von den mittleren und größeren Betrieben genutzt werden konnten. 2. Verstaatlichung In der Industrie stellen sich die Probleme anders dar. In der Hoffnung, ihre wirtschaftlichen Ziele besser verwirklichen zu können, haben die südasiatischen Länder alle, wenn auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten, einen Kurs der Verstaatlichung eingeschlagen — ursprünglich vielfach als „Nationalisierung", da das Eigentum an Produktivvermögen auch nach der Unabhängigkeit in vielen Bereichen in ausländischer (britischer) Hand lag. So entstand etwa der staatliche Industriesektor in Bangladesh — fast automatisch — durch die Enteignung der damals in westpakistanischer Hand befindlichen Betriebe nach der Unabhängigkeit 1971
In Indien und Sri Lanka, die mit der Verstaatlichung begannen, versprachen sich die Regierungen eine effizientere Kontrolle der Wirtschaft. Die Verstaatlichung schloß sowohl größere Produktionsbetriebe als auch das Kredit-und Versicherungswesen und (zum Teil) den (Außen-) Handel mit ein. Dadurch hoffte man, Schäden durch Steuerhinterziehung und Kapitalflucht für die Volkswirtschaft abzuwenden, aber auch das Kapital für den Aufbau der Grundstoffindustrie zu mobilisieren. Dies war jedoch durch die Tatsache, daß viele Unternehmen des Subkontinents im In-und Ausland agieren, erschwert. Auch heute ist den vielfach international weit verzweigten Familienunternehmen durch so-genannte „Dreiecksgeschäfte“, Unterfakturieren u. ä. ein erfolgreiches Unterlaufen der einschlägigen Bestimmungen möglich.
Daß trotz der sozialistischen Programme der praktisch seit der Unabhängigkeit herrschenden Congress Party und der Verstaatlichungsaktionen neben den großen Staatskonzernen heute noch private Konzerne in Indien existieren, die zu den größten der Dritten Welt zählen, gehört zu den Besonderheiten der indischen Wirtschaft. Eine weitere ist das gegenseitige Mißtrauen zwischen Privat-wirtschaft und Bürokratie, obwohl beide als vielfältig miteinander verwoben erscheinen.
In Pakistan hatte die People's Party (PPP) Zulfikar Ali Bhuttos die Wahlen von 1970 in Westpakistan mit einem sozialistisch gefärb-ten Programm (Islamic Socialism) gewonnen, das sich vor allem gegen die legendären „ 22 Familien" richtete (Konglomerate von Handel, Industrie, Banken und Versicherungen), die bis zu ihrer (teilweisen) Enteignung 1972 die Wirtschaft kontrollierten und die Militärregierungen Ayub Khan und Yahya Khans (1958— 1971) gestützt hatten
Im Kreditwesen, das in Südasien fast völlig in staatlicher Hand bzw. unter staatlicher Kontrolle ist, gelten für die wenigen noch verbliebenen ausländischen Banken erhebliche Restriktionen, vor allem durch das Verbot der Eröffnung neuer Filialen. Die wirtschaftliche Hinwendung zum Nahen Osten bringt es aber mit sich, daß den dort beheimateten Banken (deren Management vielfach südasiatischen Ursprungs ist) Konzesssionen gemacht werden. Südasiatische, insbesondere pakistanische Banken sind selbst auch in Nahost aktiv und spielen bei der Mobilisierung der Heimüberweisungen für die heimische Wirtschaft eine wichtige Rolle — ein ungeplanter, aber willkommener Nebeneffekt der Verstaatlichung. Die Verstaatlichungspolitik wurde durch einige unüberlegte und schlecht vorbereitete Aktionen, etwa die Verstaatlichungen des Getreidehandels in Indien (1973) und des Mühlengewerbes in Pakistan (1976) — beide Maßnahmen wurden im jeweils folgenden Jahr aufgehoben —, derart diskreditiert, daß in Pakistan, Bangladesh und vor allem in Sri Lanka wieder mehr Gewicht auf die Privat-wirtschaft gelegt wird, was in der Praxis heißt, daß Betriebe nicht mehr verstaatlicht, sondern wieder an ihre früheren Besitzer zurückgegeben bzw. an Private verkauft werden
III. Die Wirtschaftskrise Mitte der siebziger Jahre
Abbildung 4
Tabelle 4: Energieverbrauch 1978a Quelle: UN Statistical Yearbook for Asia and the Pacific 1980, Bangkok, UN/ESCAP sowie eigene Berechnungen.
Tabelle 4: Energieverbrauch 1978a Quelle: UN Statistical Yearbook for Asia and the Pacific 1980, Bangkok, UN/ESCAP sowie eigene Berechnungen.
Der erste ölschock traf die südasiatischen Länder wie alle anderen energieimportierenden Entwicklungsländer empfindlich, zumal er mit dem Ende der ersten Erfolgswelle der „Grünen Revolution“ zusammenfiel. Dadurch, daß die vorläufig durch Eigenproduktion nicht zu ersetzenden Energieimporte die Zahlungsbilanz schwer belasten und anderen Sektoren die für die Entwicklung wichtigen Devisen entziehen, ist Energie neben der Nahrungsmittelversorgung ein zentrales Entwicklungsproblem der siebziger und achtziger Jahre geworden.
Die Industrialisierung Indiens war Mitte der siebziger Jahre ins Stocken geraten und die Wirtschaft von Stagnation gekennzeichnet; das Sozialprodukt wuchs 1974/75 real insgesamt nur noch um 1, 2 % und ging pro Kopf ebenso wie die landwirtschaftliche Produktion (insgesamt) zurück Indira Gandhi versuchte den Ausweg aus dieser Krise mit einer tour de force. Sie erklärte 1975 den Notstand, suspendierte die verfassungsmäßigen Grundrechte und verkündete ein „ 20-Punkte-Programm". Neben einer Reihe von allgemein gehaltenen Absichtserklärungen bedeutete dies für die Industrie Erleichterungen des rigiden Lizenzierungssystems für Kernbereiche der Wirtschaft; privaten und ausländischen Firmen wurde der Zugang zu diesen Bereichen ermöglicht Tatsächlich stieg im Folgejahr (1975/76) dank einer Rekordernte das Sozialprodukt um beachtliche 6 %, im nächsten Jahr (1976/77) fiel die landwirtschaftliche Produktion aber wieder derart, daß auch ein Plus von 9, 6 % in der Industrie lediglich die magere Zuwachsrate des BSP von 0, 8 % erbrachte 9). Die politischen Maßnahmen und die Begleitumstände ihres Vollzuges riefen zudem eine solche Ablehnung in der Öffentlichkeit hervor, daß die 1977 veranstalteten Wahlen die vereinigte Opposition an die Macht brachte. Allerdings ließ die Uneinigkeit der Janata-Regierung über ihr politisches Programm die Koalition an ihren inneren Gegensätzen zerbrechen, und 1980 kehrte Indira Gandhi nach einem triumphalen Wahlsieg an die Spitze der Regierung zurück.
Die von der Janata-Regierung verkündete Abkehr von Großprojekten und ihr verstärktes Gewicht auf arbeitsintensive Klein-und Heimproduktion wurden in Indien wie im Ausland unterschiedlich aufgenommen. Die Verteilung der Rollen von Privatwirtschaft und Staat bei der Industrialisierung war schon vor der Unabhängigkeit Indiens ein heftig diskutiertes Thema
Pakistan zerbrach bekanntlich an seinen regionalen Disparitäten; das Versprechen, eine gleichmäßigere Einkommensverteilung herbeizuführen, brachte die PPP und Zulfikar Ali Bhutto an die Macht. Wirtschaftlich befand sich das Land nach dem verlorenen Krieg und dem Verlust seiner östlichen Landeshälfte in einer schweren Krise. Der bescheidene Wirtschaftsaufschwung bis Mitte der siebziger Jahre reichte aber nur aus, um den Vorkriegsstand (pro Kopf) zu erreichen. Bhuttos Reformpolitik, etwa in der Arbeitspolitik, versprach zwar wirtschaftliche Verbesserungen für den einzelnen (Mindestlöhne, Kündigungsschutz), traf aber die Wirtschaft in einem ungünstigen Moment; durch die Rezession nach dem verlorenen Krieg litten viele Branchen ohnehin an Überkapazitäten; die unternehmerfeindliche Arbeits-und Investitionspolitik (Abkehr von der staatlichen Investitionsförderung, statt dessen Investitionen in die kapitalintensiven staatlichen und halb-staatlichen Unternehmen) wirkte negativ auf die Beschäftigung und ließ die Arbeiterschaft, ursprünglich eine der Hauptstützen der PPP, von ihr abfallen. Das Ausbleiben größerer wirtschaftlicher Erfolge stärkte zweifellos Bhuttos politische Gegner. Viele der unter ihm begonnenen (Groß-) Projekte wurden erst nach seinem Sturz fertiggestellt und somit die daraus resultierenden Erfolge der nachfolgenden (derzeitigen) Regierung zugeschrieben Bangladeshs Wirtschaft war durch die Verwüstungen des Unabhängigkeitskrieges um Jahre zurückgeworfen worden. Witterungsbedingte schlechte Ernten, Trockenheit und verheerende Überschwemmungen taten ein übriges. Die Situation spitzte sich dramatisch zu, als 1974 die katastrophale Ernährungslage zu spät erkannt wurde und zudem die USA ihre Nahrungsmittelhilfe von politischen Bedingungen abhängig machten und sie für Monate aussetzten Die Hungersnot dieses Jahres kostete Zehntausenden das Leben; zugleich wurde damit aber — ungewollt — der Grundstein für den bescheidenen wirtschaftlichen Aufschwung der nächsten Jahre gelegt, da die folgenden überdurchschnittlichen Ernten mit den wieder einsetzenden Nahrungsmittellieferungen zusammenfielen und eine verbesserte allgemeine Ernährung ermöglichten.
Sheikh Mujibur Rahmans politische Konsequenzen waren eine noch stärkere Hinwendung zum Ostblock und die Einführung einer Präsidialdiktatur; die sich verschärfende politische und wirtschaftliche Lage führte zu seiner Ermordung und einem politischen und wirtschaftlichen Kurswechsel. Aufgrund einer Folge von Putschen kam 1975 General Zia-ur Rahman an die Macht, unter dessen Militär-und später Zivilregierung Bangladesh eine Phase der politischen und wirtschaftlichen Konsolidierung erlebte, so daß es Ende der siebziger Jahre nicht mehr als völlig hoffnungsloser Fall der internationalen Entwicklungspolitik galt, auch wenn der Versorgungsstand (pro Kopf) der Zeit vor der Unabhängigkeit von Pakistan noch nicht erreicht war. Daß dieses zumindest ansatzweise als demokratisch zu bezeichnende System noch nicht gefestigt war, zeigte sich spätestens während der politischen Unruhen 1980 und durch die Ermordung Zia-ur Rahmans durch Angehörige der Armee 1981.
Sri Lanka hat nach dem Sturz der Regierung von Frau Bandaranaike 1977 das wirtschaftliche Ruder völlig herumgeworfen und setzt wieder auf die Privatwirtschaft. Damit trat eine Belebung der Wirtschaft ein, verstärkt auch von einer positiven Entwicklung auf dem Weltmarkt für Tee, dem erfolgreichen Abschneiden im Tourismus und den steigenden Heimüberweisungen der Arbeiter in Nahost. Die international wohlwollend unterstützte Annäherung der südasiatischen Staaten kommt Sri Lanka ebenfalls zugute, da seine geographische Lage und die guten Beziehungen zu den anderen Staaten der Region eine Schlüsselrolle spielen.
IV. Politische und wirtschaftliche Neuordnung seit dem Ende der siebziger Jahre
Noch drei Jahre nach Indira Gandhis Wiederkehr gehen die Meinungen darüber auseinander, ob sie aus ihrer Wahlniederlage von 1977 eine entwicklungspolitische Lehre gezogen hat oder die Wiederwahl von 1980 als Bestätigung der Richtigkeit des einmal von ihr eingeschlagenen Kurses ansieht. Für beides gibt es Anzeichen. Als Antwort auf das 20-Punkte-Programm von 1975 hatte die Janata-Regierung in dem 6. Fünfjahresplan (1978— 1983, der 5. Fünfjahresplan war 1978 nach vier Jahren abgebrochen worden) ein größeres Gewicht auf die Beseitigung der Arbeitslosigkeit und die unmittelbare Deckung der Grundbedürfnisse, auf die Förderung der Landwirtschaft, den Ausbau der Klein-und Heimindustrie, Importsubstitution und eine Verminderung der Abhängigkeit von der Auslandshilfe gelegt. Dieser Plan wurde 1980 durch einen neuen (1980— 1985) ersetzt, der an die Politik der Planungskommission vor 1977 anknüpft. 1. „Islamisierung“ der Wirtschaft in Pakistan und Bangladesh Die Militärregierung in Pakistan forciert seit ihrer Machtübernahme (1977) die „Islamisierung" des Landes. Für die Wirtschaft (Islamic Economic Order) bedeutet dies die Abschaffung des Zinses (riba) uad die Einführung religiöser Steuern (zakat und ushr); in der Praxis hat es aber noch keine bedeutenden Änderungen gegeben: Die sogenannten „profit and loss accounts" haben den Charakter von Investment-Fonds, und da die Ausleihungen überwiegend an den staatlichen Sektor gehen und über die staatlichen Banken abgewickelt werden, hat die Regierung genügend Einflußmöglichkeiten, um politisch hinreichend attraktive „profits“ zu gewährleisten. Angesichts dessen, daß sich das Kreditwesen weitgehend in staatlicher Hand befindet, stehen die „profit and loss accounts" als Finanzierungsinstrument nicht in Konkurrenz zu den klassischen Anlageformen verzinster Sparkonten, Termineinlagen und staatlicher Schuldverschreibungen. Die „Almosensteuer" zakat wird seit 1980 erhoben, die Agrarsteuer ushr seit neuestem
Die Machtübernahme durch General Ershad in Bangladesh im März 1982 brachte eine weitere Betonung des privaten Sektors mit sich; inwieweit sich dies in der wirtschaftlichen Praxis auswirkt, läßt sich nicht absehen; dasselbe gilt für die „Islamisierung" der Wirtschaft. An der lokalen Machtverteilung hat sich aber nichts geändert Das Ausmaß der Wanderarbeit hat zwar noch nicht pakistanische Ausmaße angenommen, wurde aber zu einem wichtigen Faktor der Entwicklungspolitik. Die Hinwendung nach Nahost hat aber auch indirekte wirtschaftliche Implikationen. Daß die arabischen Staaten ihre finanzielle Unterstützung mit ideologischen (religiösen) Auflagen verbinden, ist bekannt. 2. Exportmarkt in Nahost Von dem neuen Markt in Nahost — sozusagen vor der Haustür Südasiens — geht in allen Ländern eine besondere Dynamik aus. Die wirtschaftliche, soziale und regionale Struktur aller Arbeitskräfte exportierender Staaten wird dadurch entscheidend verändert, daß die abwandernden Arbeitskräfte häufig aus traditionell nicht privilegierten Gruppen (vor allem ungelernte Kräfte) stammen, handwerkliche und technische Fähigkeiten mehr gefragt sind als Abstammung und formale Erziehung, und ihre Heimatregionen vielfach zu den besonders wenig entwickelten Gebieten zählen, wie etwa Kerala in Indien oder der Nordwesten Pakistans. Die im Verhältnis zum Durchschnittseinkommen der Herkunftsregion sehr hohen Heimüberweisungen katapultieren die zu Hause gebliebenen Familienangehörigen (die Arbeiter in Nahost dürfen ihre Familien meist nicht nachkommen lassen) in eine Klasse der nouveaux riches, die vielfach andere Konsumgewohnheiten und Ausgabenmuster haben als der traditionelle Mittelstand (dessen Heimüberweisungen von Angehörigen in Großbritannien oder den USA stammen und dessen Konsumwünsche von diesen Ländern geprägt sind). Neben starker Bautätigkeit und Land-käufen in den Herkunftsgebieten zählt dazu auch eine größere Bereitschaft, im Lande produzierte Konsumgüter und Ausrüstung (etwa für Handwerksbetriebe und kleine Produktionsstätten) zu erwerben, was Multiplikator-wirkungen für die heimische Industrie hat. Diese Entwicklung ist in Indien weniger
V. Die gegenwärtige Wirtschaftslage
Während in Südasien in der entwicklungspolitischen Diskussion der fünfziger und sechziger Jahre die Frage nach der richtigen Strategie vorherrschte (gleichgewichtiges oder ungleichgewichtiges Wachstum, Wachstum oder Verteilung, vorrangige Entwicklung der Industrie oder des Agrarsektors, Integration in den Welthandel oder Autarkismus und self-reliance), setzt sich heute die Erkenntnis durch, daß alle Entwicklungsprobleme in vielfältiger Weise verwoben sind und eines systemischen Ansatzes bedürfen. Die Planungskommissionen wurden in Indien in den fünfziger, in Pakistan in den sechziger und in Bangladesh in den siebziger Jahren in die Exekution der Pläne einbezogen und wegen der Bürokratisierung der Wirtschaft heftig kritisiert; sie verloren überall an Einfluß.
Die Dringlichkeiten haben sich im Laufe der Zeit dadurch verschoben, daß bei einigen der früher vorrangigen Probleme Fortschritte erzielt werden konnten (Seuchenbekämpfung, Ernährung) oder eine Erfolglosigkeit nicht zu leugnen ist (Familienplanung). Die Beschaffung der für die Entwicklung erforderlichen Devisen ist aber eine zentrale Frage geblieben. Es werden neue Lösungen gesucht, da sich mit der Entwicklungshilfe eine als unerträglich empfundene politische und wirtschaftliche Abhängigkeit vom Ausland einstellte, ohne das Problem zu lösen: Alle Länder leiden unter dem Schuldendienst für ihre Altschulden, der auch bei verringertem Mittelzufluß die Nettohilfe auf und unter Null reduzieren kann. Das west-östliche Spannungsverhältnis half, eine einseitige Abhängigkeit zu verhindern, doch reichte die Hilfe des Ostblocks nie an die des Westens heran. wichtig als in den kleineren Staaten Süd-asiens, da die Heimüberweisungen nur regional bedeutend sind und Importe von Konsumgütern im Gegensatz zu den Nachbarländern die Ausnahme bilden. In allen Ländern haben jedoch sowohl die Beschäftigung im Ausland als auch der Export in den Nahen Osten die Nachfrage nach handwerklichen und technischen Fähigkeiten verstärkt und zu einer Aufwertung der entsprechenden Tätigkeiten und einer Neuorientierung in der Ausbildungs-und Berufswahl geführt. 1. Leistungsdaten im Vergleich Das Bruttosozialprodukt pro Kopf erlaubt gerade bei Entwicklungsländern nur eine grobe Einstufung. Die entsprechenden Werte für Südasien lauten nach einer Aufstellung der Weltbank für 1979 (BSP/Einw. in US-$):
Bhutan 80 Bangladesh 90 Nepal 130 Indien 190 Malediven 200 Sri Lanka 230 Pakistan 260 Im internationalen Vergleich (Vereinigte Staaten von Amerika 10 630 $, Bundesrepublik Deutschland 11 730 $) sind das extrem niedrige Werte; selbst Pakistan als „reichstes" Land der Region belegt nur den 24-letzten Platz unter allen Ländern
Der Abstand zu den Industrieländern verringert sich, wenn man die Kaufkraft berücksichtigt. Aber auch dann (1975) erreichen Indien nur 7, 9%, Pakistan 9, 9% und Sri Lanka 11, 2% des Lebensstandards in der Bundesrepublik; die Abstände haben sich im Zeitraum 1950 bis 1980 nur wenig verringert
Auf die fnvestitions-und Sparquoten Indiens können andere Entwicklungsländer nur mit Neid blicken. Seit Jahren liegen sie über 20%, 1981/82 sogar bei 25, 3% bzw. 22, 8%, für 1982/83 werden noch höhere Werte erwartet Im Vergleich dazu sind die Sozialproduktszuwächse (1981/82: 5, 2%, 0 197 8%, für 1982/83 werden noch höhere Werte erwartet 19). Im Vergleich dazu sind die Sozialproduktszuwächse (1981/82: 5, 2%, 0 1974/75 bis 1982/83: 4, 1% 20)) relativ gering. Als mögliche Erklärungen werden eine Überschätzung der Investitionen 21) und Ersparnisse, hohe Lagerbestandsvermehr 3% bzw. 22, 8%, für 1982/83 werden noch höhere Werte erwartet 19). Im Vergleich dazu sind die Sozialproduktszuwächse (1981/82: 5, 2%, 0 1974/75 bis 1982/83: 4, 1% 20)) relativ gering. Als mögliche Erklärungen werden eine Überschätzung der Investitionen 21) und Ersparnisse, hohe Lagerbestandsvermehrungen und eine geringe Kapitalproduktivität genannt.
In Indien hat sich in den siebziger Jahren gezeigt, daß ein Ausgleich der Leistungsbilanz durchaus erzielt werden kann. Die Investitionsgüterindustrie entwickelte sich so schnell, daß Indien seinen Bedarf in steigendem Maße selbst decken kann und nun auch als Exporteur auftritt. Pakistan hätte bei einer restriktiveren Außenhandelspolitik mit Hilfe seiner rapide steigenden Heimüberweisungen ebenfalls einen Ausgleich erreichen können; statt dessen standen die Hilfe des Iran und der arabischen erdölexportierenden Staaten und seit der sowjetischen Invasion in Afghanistan auch verstärkt die der westlichen Industrieländer, besonders der USA, in einem solchen Maße zur Verfügung (bei den gerade abgeschlossenen Konsortiums-Verhandlungen überstieg die angebotene Hilfe sogar die beantragte), daß kein Anreiz zur Enthaltsamkeit bestand. 2. Regionale Disparitäten — Wanderungen Das Entwicklungsgefälle zwischen Industrie-und Entwicklungsländern setzt sich innerhalb aller Staaten fort. Die dadurch ausgelösten größerräumigen Wanderungen erhalten eine politische Dimension und wirken in Gebieten mit einem labilen Gleichgewicht verschiedener Sprachen, Volksgruppen und Religionen wie Sprengsätze von hoher Brisanz. Auf die aktuellen Fälle — Assam und Panjab in Indien 22), Baluchistan in Pakistan 23), Tamilen in Sri Lanka 24), Chakmas und andere in Bangladesh — kann hier nicht eingegangen werden. Pakistan stellt einen Lehrbuchfall für die Interdependenzen von regionaler und gesamtwirtschaftlicher (und politischer) Entwicklung dar. Auf dem Subkontinent zeigt es sich, wie fragwürdig die Annahme vermeintlicher Selbstverständlichkeiten, wie etwa die freie Wahl des Wohnsitzes (wirtschaftlich: „regionale Mobilität des Faktors Arbeit"), in einem Lande sind und weich'hohe Bedeutung einer regionalen Differenzierung zukommt; die Frage des Föderalismus spielte bereits bei der Teilung Indiens 25) eine große Rolle und ist heute, gerade im Hinblick auf die Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsplanung, nicht minder wichtig.
VI. Indien und Pakistan als industrielle Schwellenländer
Der wirtschaftliche Aufschwung im Nahen Osten war für die industrielle Entwicklung Südasiens in mehrfacher Hinsicht segensreich. Allerdings spielt, wie das Beispiel Japans gezeigt hat, die räumliche Entfernung von den internationalen Märkten für die industrielle Entwicklung eines Landes keine entscheidende Rolle. Deshalb können die Exporterfolge vor allem Indiens nicht einfach damit erklärt werden, daß der neue Markt „vor der Haustür“ liegt. Bei der Kapitalarmut indischer Firmen und vor allem den vielfachen Devisenbeschränkungen, etwa bei Auslandsgeschäftsreisen, war die Nähe aber sicher ein Vorzug. Dazu kam, daß dieser Markt so schnell expandierte, daß auch Platz für Neulinge im internationalen Exportgeschäft war. Der Grund dafür, daß auch bewußt indische oder pakistanische Firmen solchen der Industrieländer vorgezogen wurden, lag zum Teil an der Solidarität mit den Entwicklungsländern; es bot sich dadurch aber auch die Möglichkeit, ein Gegengewicht gegen die Fir-men Europas, Nordamerikas oder Japans aufzubauen und diese mit ihren Preisforderungen in ihre Schranken zu weisen. Dazu werden die erdölexportierenden Staaten bei ihren Importen preisbewußter, ein Vorteil, den Indien und Pakistan aber nur nutzen können, wenn sie auch qualitätsmäßig konkurrenzfähig bleiben. Beide bieten den Vorzug, daß sie die komplette (billige) Arbeiterschaft für ihre Projekte mitbringen und so diese somit in einer Hand abgewickelt werden können. Gleichzeitig bieten diese Arbeitskräfte einen ausländischen Absatzmarkt für die Produkte ihrer Herkunftsländer, vor allem Nahrungsmittel, Textilien und Produkte der Unterhaltungsindustrie (Filme, Schallplatten).
Das Spektrum des Angebots erstreckt sich inzwischen auf komplette Infrastruktureinrichtungen (Straßen, Brücken, Flugplätze, Wohnviertel, militärische Anlagen) und schlüsselfertige Anlagen (Kraftwerke, Fabriken). Damit ist vor allem Indien ein ernst zu nehmender Konkurrent für die Industrieländer geworden. Die meisten Projekte werden in eigener Regie durchgeführt; Kooperationen mit Firmen aus den Industrieländern bilden die Ausnahme
Dergleichen Exporterfolge helfen, das Problem technischer Mindestgrößen in der Produktion zu lösen und abnehmende Skalenerträge (economies of scale) zu nutzen. Indien hat hier von der Größe seines Inlandsmarktes her einen entscheidenden Vorsprung; entsprechend werden heute fast alle Konsum-und ein Großteil der Investitionsgüter produziert und in vielen Fällen auch entwickelt. Zu den herausragendsten Erfolgen gehören die Fortschritte in der Kernenergie und der Raumfahrt, aber auch in der Rüstungsindustrie (Indiens Armee ist die viertgrößte der Welt und bildet zusammen mit Exporten eine solide Basis für diesen Sektor)
Pakistan hat den seit der Unabhängigkeit bestehenden Rückstand gegenüber Indien noch nicht aufgeholt. Während bei der Teilung 1947 das einzige Stahlwerk Britisch-Indiens (Jamshedpur) an Indien fiel, hat Pakistan ein solches erst in den siebziger Jahren, und zwar hach Ablehnung des Projekts durch die Weltbank, mit sowjetischer Hilfe gebaut. Auch im Fahrzeugbau ist Indien weit voraus. Die Konsumgüter-und Landmaschinenherstellung ist inzwischen auch in Pakistan in Gang gekommen, ohne jedoch das Niveau Indiens zu erreichen. Bangladesh, Sri Lanka und Nepal verfügen bis heute über keine nennenswerte Industrie, wenn man einmal von der Juteverarbeitung in Bangladesh absieht. Ihr Inlandsmarkt ist wegen der großen Armut (vor allem in Bangladesh und Nepal) und/oder der geringen Bevölkerungszahl (Sri Lanka, Nepal) wenig aufnahmefähig und erlaubt größere Stückzahlen nur bei einfachsten Konsumgütern (Textilien). Sri Lanka hat deshalb seit dem Sturz der Regierung Bandaranaikes den Weg einer verstärkten Auslandsorientierung beschritten; eine wichtige Rolle ist dabei der Einrichtung von zoll-und steuerfreien Investitionsförderungszonen zugedacht. Die Erfolge anderer Länder erlauben aber keine zu großen Hoffnungen; zudem drohen Indien, Pakistan und Bangladesh, die ebenso niedrige Lohnkosten bieten, Industriezonen mit ähnlichen Vergünstigungen aufzubauen und damit die bisherigen Erfolge Sri Lankas zunichte zu machen. Wegen seiner geringen Größe besteht nur im Falle Sri Lankas die Chance, daß sich Erfolge in der Export-Zone merklich positiv auf das Sozialprodukt, die Beschäftigung und die Zahlungsbilanz auswirken.
VII. Steuerungsprobleme der Wirtschaft
1. Wirtschaftsplanung, Interventionismus und Dirigismus Daß alle südasiatischen Länder eifrig Wirtschaftsplanung betreiben und ihren Außenhandel und den internationalen Zahlungsver-kehr reglementieren, ist allen, die mit der Entwicklungshilfe oder dem Handel mit diesen Ländern befaßt sind, nur allzu bekannt; weniger bekannt ist dagegen, daß die Reglementierung — um nicht zu sagen Bürokratisierung — auch in der Regulierung der Binnenwirtschaft Ausmaße erreicht, die den Ver-gleich mit der EG-Agrargesetzgebung nicht zu scheuen braucht. Die Ursache dürfte darin zu suchen sein, daß die als „Generalisten" ausgebildeten Wirtschaftsadministratoren zu geringe Kenntnisse der theoretischen Zusammenhänge und der praktischen Wirtschaftsabläufe haben und daher zu einem nicht gerechtfertigten Vertrauen in die Realisierbarkeit ihrer Wirtschafts-und Entwicklungspolitik neigen. Ohnehin sind die Wirtschaften der Entwicklungsländer mit dem „klassischen“ einschlägigen Instrumentarium schwieriger zu steuern als die der Industrieländer. Einzelne Teile der Wirtschaft unterliegen nämlich ganz verschiedenen Gesetzen, je nachdem, ob sie in die Marktwirtschaft eingebunden sind oder ob es sich um weitgehend selbstversorgende Subsistenz-und Semisubsistenzbetriebe, um den ausgedehnten, vom Staat direkt verwalteten öffentlichen Sektor, um die Angehörigen der verschiedenen privilegierten Gruppen (etwa Angehörige des öffentlichen Dienstes oder des Militärs) oder die umfangreiche Parallel-Wirtschaft (blackmarketing) handelt. Dieses Phänomen ist auch den Industrieländern nicht fremd, doch ist bei diesen der marktwirtschaftlich organisierte Teil der Wirtschaft eindeutig der dominierende. Was den richtigen Einsatz der wirtschaftspolitischen Instrumente erschwert, ist der Mangel an Information über das Ausmaß der einzelnen derart unterschiedlichen Sektoren und ihre Reaktion auf die einzelnen staatlichen Maßnahmen. Diese Informationen können auch nicht einfach aus Vergangenheitswerten abgeleitet werden, weil solche entweder fehlen oder — etwa bei neuen Entwicklungen — für zukunftsgerichtete Maßnahmen nicht repräsentativ sind. Erfahrungswerte aus anderen Weltregionen sind auch nicht immer hilfreich, weil sich Südasien in seiner Wirtschaftsstruktur von diesen unterscheidet. Mit dem schwindenden Einfluß der Planungskommissionen nimmt auch die Frage „Planung von oben oder Entwicklung von unten" immer mehr akademischen Charakter an. Nach wie vor sind die lokalen Institutionen die schwächsten Glieder im mehrstufigen politischen und Verwaltungsaufbau. Ohne hinreichende autonome finanzielle Basis und Kompetenz gibt es für die unteren politischen Instanzen wenig zu entscheiden. Sie aber alle wirkungsvoll an der Planung zu beteiligen, ist bei über 600 000 Dörfern in Indien und mehr als 40 000 Dörfern jeweils in Pakistan und Bangladesh kaum möglich.
Zur Lösung seines Nahrungsmittelversorgungsproblems hatte Sri Lanka einen mutigen Schritt unternommen, als es die kostenlose Verteilung von Reis einführte, um so eine Mindesternährung sicherzustellen. Dieses Programm ging aber bei sinkenden Exporterlösen und steigenden Nahrungsmittelpreisen auf den Weltmärkten über die Kräfte des Landes hinaus. Es mußte reduziert werden und beschränkt sich heute auf die Verteilung von Lebensmittelmarken, die in Geldeinheiten festgelegt sind und mit der Inflation immer mehr an Wert und Wirksamkeit verlieren ). Bangladesh hatte während der Hungersnot 1974 öffentliche Armenküchen eingerichtet. Auch heute werden Lebensmittel rationiert und zu Vorzugspreisen abgegeben. Ähnliche Programme gibt es in Indien und Pakistan. Mit ihnen werden aber nur Teile der Bevölkerung erreicht, vor allem in den Städten; einzelne Gruppen, etwa Angehörige des öffentlichen Dienstes oder der Armee, werden bevorzugt. Tendenziell wird dadurch die Landflucht eher begünstigt, die abzubauen eigentlich das Ziel aller südasiatischen Regierungen ist. 2. Self-reliance?
Indien ist auf dem Wege zu einer — wie auch immer definierten •— „self-reliance" sicher am weitesten fortgeschritten. Das Land ist im Durchschnitt der letzten Jahre Nettoexporteur von Nahrungsmitteln (vgl. Tab. 2) gewesen, sogar von Nahrungsgetreide.
Der Außenhandel (Exporte plus Importe) nimmt nur die Größenordnung von etwa einem Fünftel des Sozialprodukts ein; dadurch ist das Land relativ unabhängig von den Welt-marktgeschehnissen, aber keineswegs autark. Die (öffentliche) Auslandsschuld ist — gemessen am Bruttosozialprodukt — mit 12, 3% (1979) niedriger als in den meisten anderen Entwicklungsländern auch denen Süd-asiens (vgl. Tab. 3). Der Schuldendienst liegt mit 9, 5% (1979) der Exporterlöse weit unter der Krisenmarke, die gemeinhin mit 20% angesetzt wird Auch im technischen Knowhow ist Indien weit entwickelt. Ausländische Experten werden schon seit langem nur noch in hochspezialisierten Sparten ins Land geholt; dafür entsendet Indien immer mehr eigene Experten ins Ausland. Dies vermindert die Arbeitslosigkeit unter den Akademikern und erhöht die Heimüberweisungen. Der „brain drain" wird folglich kaum noch beklagt.
Auch die Weltbank erkennt an, daß Indiens Wirtschaft heute (1981) wesentlich stärker ist als vor einem halben Jahrzehnt. Nur so konnten die Ernteeinbußen von 1979 und die zweite große Olpreiserhöhung von 1979 und 1980 verkraftet sowie Nahrungsmittelvorräte und erhebliche („substantial") Währungsreserven angelegt werden. Wie die Bank in ihrem Jahresbericht schreibt, sind die indischen Auslandsschulden auf einem sehr niedrigen Niveau („at very low levels"). Solches Lob bekommen die Kunden dieser Bank nur selten zu hören -
Pakistan hat seine Ambitionen in Richtung „self-reliance" immer wieder beschworen, jedoch ohne sichtbaren Niederschlag in seiner Politik. Zumindest bei Nahrungsgetreide ist es seit einigen Jahren wertmäßig per Saldo Nettoexporteur (Reis wird exportiert, Weizen importiert), zuweilen auch mengenmäßig. Bei Nahrungsmitteln insgesamt ist die Bilanz in etwa ausgeglichen. Hoffnungen auf Weizen-exporte, Ende der sechziger Jahre bereits einmal gehegt, werden sich nicht so leicht erfüllen lassen
Pakistan geriet nach Beginn seiner Militäraktionen in Ostpakistan 1971 sofort in eine tiefe Zahlungsbilanzkrise, als die westlichen Industrienationen ihre Entwicklungshilfe fast völlig einstellten; ein einseitiges Moratorium und eine restriktive Importpolitik ermöglichten 1971/72 den bisher einzigen Ausgleich der Leistungsbilanz. Das Wiederaufleben der Entwicklungshilfe nach 1973 aus dem Westen wie aus Nahost, mehrfache Umschuldungen und der unerwartete Strom der Heimüberweisungen der Gastarbeiter erlaubten Pakistan eine liberale Importpolitik, so daß seit Jahren die pakistanischen Exporte gerade noch zur Hälfte zur Finanzierung der Importe ausreichen. Es verwundert nicht, daß Pakistan trotz Heimüberweisungen in (US-Dollar) Milliardenhöhe seine Auslandsverschuldung um rund 1 Mrd. US-Dollar pro Jahr vergrößert. Die Heimüberweisungen stagnieren inzwischen auf hohem Niveau (fast ein Zehntel des pakistanischen BSP) und die Verschuldung geht ungehindert weiter und hat gemessen am Sozialprodukt (1979: 38, 5%) den höchsten Stand in Südasien Bei kommerzieller Energie muß Pakistan trotz der intensiven Nutzung seiner Erdgasvorkommen und der Wasserkraft rund 40% (Erdöl) importieren. Pläne zur Nutzung der eigenen Kohle sind durch die rückläufigen Erdölpreise inaktuell geworden (zum Energieverbrauch vgl. Tab. 4).
Bangladesh verfügte bei seiner Unabhängigkeit über keinerlei Devisenreserven; ganz im Gegenteil legten die Geber großen Wert darauf, daß Bangladesh die Zahlungsverpflichtungen für „seine" Projekte übernahm. Die Exporte waren infolge der Kriegsschäden so ge ring, daß der überwiegende Teil der Importe durch das Ausland finanziert wur er. me iS durch Schenkungen, später mehr urc re dite. Obwohl dem Land die Altschulden meist erlassen wurden, ist es binnen weniger Jahre zu einem der größten Schuldner unter den am wenigsten entwickelten Ländern geworden; die Zinszahlungen reichen fast an die Rückzahlungen heran. Für Bangladesh liegt nach wie vor erst einmal bei Nahrungsmitteln das Ziel der Selbstversorgung. Die Erfahrungen nach der Unabhängigkeit haben gezeigt, wie unzuverlässig die Nahrungsmittelhilfe ist. Die Versorgung von außen stellt auch hohe Anforderungen an die Infrastruktur, die sich nicht mit denen an den Ausbau der eigenen Produktion decken. Die eigenen Energievorkommen (Gas, Wasserkraft) werden zunehmend genutzt, bei O 1 ist Bangladesh völlig auf Importe angewiesen. Die wirtschaftliche Abhängigkeit vom Ausland ist eklatant, Heimüberweisungen schaffen jedoch etwas Entlastung. Sri Lanka hat seine Abkopplung vom Weltmarkt rückgängig gemacht. Hier war die Teil-nähme am Weltmarkt früher auf den Export einiger weniger Plantagenfrüchte (Tee, Kautschuk) begrenzt, deren terms of trade sich zudem ständig verschlechterten. Die Gefahr, daß Sri Lanka als Agrarland nicht nur Getreide, sondern Nahrungsmittel insgesamt per Saldo einführen muß, ist vorerst abgewendet (vgl. Tab. 2); es wird aber im Lande nach wie vor darüber diskutiert, ob nicht der Anbau von Exportfrüchten zugunsten einer vermehrten Produktion für den Eigenbedarf verringert werden sollte.
Mit dem Sturz der Regierung von Frau Bandaranaike in Sri Lanka nahmen Auslandsinvestitionen und -kredite sprunghaft zu. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Öffnung zum Welthandel für das Land gelohnt hat, oder ob sie sich zur „Schuldenfalle" entwickeln wird. Im Außenhandel wurden einige Erfolge bei dem Versuch erzielt, die Abhängigkeit von den Exporten der sogenannten Plantagenprodukte zu verringern. Deren Anteile gingen von ca. 90% in den fünfziger und sechziger Jahren auf zuletzt (1980) 58% zurück — ein eindeutiger Erfolg der Industrialisierung (Textilien). Während die mengenmäßigen Exporte gesteigert werden konnten, nahmen die Importe bei sich verschlechternden terms of trade schneller zu, so daß Sri Lanka 1980 nur noch die Hälfte seiner Importe durch Exporterlöse decken konnte. Eine Entlastung der Zahlungsbilanz brachten dafür die Erlöse im Tourismus und die Heimüberweisungen
Die abnehmende Bedeutung der ehemaligen Kolonialmacht in allen Staaten Südasiens ließ mit dem Ende des (relativ) festen internationalen Währungsgefüges das britische Pfund als Leit-und Reservewährung desolat werden. Indien übernahm 1975 die Stufenflexibilität der Rupie; Pakistan löste 1982 die Bindung seiner Rupie an den US-Dollar, der hier vor einem Jahrzehnt das Pfund abgelöst hatte. Beide Währungen orientieren sich heute an einem „Korb" der Währungen der wichtigsten Handelspartner.
VIII. Zusammenfassung und Ausblick
Südasien, und das heißt vor allem Indien, hat im vergangenen Jahrzehnt erheblich an wirtschaftlichem Gewicht gewonnen, auch wenn die wirtschaftlichen Zuwachsraten etwa im Vergleich zu den industriellen Schwellenländern in Ost-und Südostasien und Lateinamerika gering und die Verteilungsprobleme des Subkontinents ungelöst sind. Das Gewicht kommt zum einen daher, daß Indien ein größeres Spektrum der Produktion aufweist als die meisten anderen Entwicklungsländer und in technologisch anspruchsvolle Bereiche erfolgreich eingedrungen ist; damit ist der Beweis erbracht, daß der Subkontinent grundsätzlich ein sehr hohes Entwicklungspotential hat und auch nutzen kann. Das Gewicht kommt zum anderen aus der steigenden außenpolitischen und außenwirtschaftlichen Manövrierfähigkeit; in Indien vor allem durch die Exporterfolge und maßvollen Importe in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre, in Pakistan durch den Arbeitskräfteexport und die Heimüberweisungen. Alle Staaten haben — mit unterschiedlichem Geschick — versucht, die Abhängigkeit durch eine Diversifizierung ihrer Geber zu verringern. Dies hat eine gewisse Bewegungsfreiheit gebracht, die es etwa Indien erlaubt, seine ambitionierte Kernforschung weiter zu betreiben, und selbst Pakistan von den Restriktionen des Symington Amendments befreite.
Die Vernachlässigung der sozialen und regionalen Frage wird aber eine weitere Verschärfung der wirtschaftlichen Disparitäten kaum erlauben. Ein kurzfristiger Abbau dieser Spannungen läßt sich nur durch Güter-und Kapitalimporte erreichen, die die aufgezeigten Erfolge schnell zunichte machen würden. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, daß etwa die Einschätzung der wirtschaftlichen Zukunft Indiens zwischen „Wirtschaftsmacht der Zukunft" und unverändertem Pessimismus liegt.
Wolfgang-Peter Zingel, Dr. rer. pol., Diplom-Volkswirt, geb. 1943, Wissenschaftlicher Angestellter am Lehrstuhl für Internationale Agrarentwicklung des Südasien-Instituts (SAI) der Universität Heidelberg; 1980— 1982 Leiter der Zweigstelle des SAI in Islamabad (Pakistan). Veröffentlichungen u. a.: (zusammen mit W. von Urff u. a.) Die wirtschaftliche Situation Pakistans nach der Sezession Bangladeshs, 1974; (mit H. Ahrens) Interdependenzen zwischen gesamtwirtschaftlichem Wachstum und regionaler Verteilung in Pakistan, 1978; Die Problematik regionaler Entwicklungsunterschiede in Entwicklungsländern, 1979; (mit H. Ahrens) Towards Reducing the Dependence on Capital Imports, 1982; (Hrsg.) Pakistan in Its Fourth Decade, 1983.
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