Rüstungsexportpolitik in der Bundesrepublik. Die ungeliebte Sonderrolle
Michael Brzoska
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Zusammenfassung
Die Rüstungsexportpolitik ist seit den frühen sechziger Jahren, nachdem die Rüstungsindustrie in der Bundesrepublik exportfähig geworden war, ein stark und emotionsgeladen diskutiertes Politikfeld. Keine der bisherigen Bundesregierungen hat, trotz vielfältig gegenteiliger Behauptungen, eine strikt restriktive Rüstungsexportpolitik durchgehalten. Aber es wurde auch keine nur an außenpolitischen oder kommerziell-ökonomischen Interessen ausgerichtete Politik betrieben. Die Bundesrepublik nahm und nimmt, wenn auch mit abnehmender Tendenz, eine Sonderrolle im internationalen Rüstungshandel ein. Dies ist besonders auf die legitimatorisehe Funktion der Rüstungsexportpolitik zurückzuführen; hier mußten alle Bundesregierungen nach innen und außen Rücksichten nehmen. Umgesetzt in Erklärungen restriktiver Genehmigungspolitik wirkten sie als Schranke für die tatsächliche Rüstungsexportpolitik, auf die vor allem die Interessen der Rüstungsindustrie an Ausweitung der Rüstungsexporte Wirkung hatten. Hinzu tritt als Bestimmungsfaktor die Rüstungsexportbürokratie, mit eigenem Spielraum und eigenen Interessen. Auch die christlich-liberale Bundesregierung kann sich diesem Geflecht von Interessen nicht entziehen. Die erkennbare Tendenz, außenpolitischen Gesichtspunkten mehr Gewicht zu geben, stößt innen-und außenpolitisch auf Widerstand und würde angesichts der gegenwärtigen Situation auf dem Weltrüstungsmarkt und der Vorrangstellung der Rüstungsfirmen bei der Akquisition von Rüstungsaufträgen letztlich zu einer stärker kommerziell-ökonomischen Ausrichtung der Rüstungsexportpolitik führen.
I. Die Bundesrepublik im internationalen Waffenhandel
Seit über 20 Jahren flammt in der Öffentlichkeit immer wieder die Diskussion um die Rüstungsexportpolitik auf. Zu Beginn der sechziger Jahre waren es vor allem Lieferungen an Israel, die die Gemüter erregten, heute sind es mögliche Lieferungen an Saudi-Arabien. Grundlagen und langfristige Linien der Rüstungsexportpolitik sind hingegen nur wenig diskutiert worden. Dabei ist die Rüstungsexportpolitik zugleich Teil und sichtbarer Ausdruck einer Reihe von Politiken, darunter Außen-, Entwicklungs-und Wirtschaftspolitik. Rüstungsexporte und internationale Beziehungen Rüstungsexporte sind nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem wichtigen Instrument der Politik geworden 1) Die Auflösung der Kolonialreiche und der Ost-West-Konflikt, dessen geostrategische Erstarrung angesichts der Bedrohung durch Nuklearwaffen in Europa mit einer Intensivierung der Auseinandersetzung außerhalb der beiden großen Machtblöcke einherging, förderten den Einsatz von Militär-hilfe und Rüstungslieferungen in historisch ungekanntem Maße. Zunächst waren es die USA, die dieses Instrument in großem Maßstab zur Unterstützung ihrer Containment-Politik einsetzten, ab 1956 zog dann die Sowjetunion, die zuvor Waffenlieferungen auf ihr direktes Einflußgebiet begrenzt hatte, nach.
Neben dieser politischen Wurzel des Rüstungshandels ist die ökonomische von besonderer Bedeutung. Mit Rüstungsexporten können Hersteller Geld verdienen, können Regierungen Arbeitsplätze schaffen und Devisenbilanzen verbessern. Vor dem Zweiten Weltkrieg war das kommerzielle Interesse privater Rüstungsfirmen der entscheidende Antriebsfaktor des internationalen Rüstungshandels gewesen; Namen wie Krupp, Schneider und Vickers beherrschten die Szene. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Betätigungsraum der privaten Rüstungsfirmen stärker eingeschränkt als je zuvor. Die politi-sehe Bedeutung des Rüstungshandels und vor allem die Gefahr, Waffen könnten an die andere Seite im Ost-West-Konflikt gelangen, geboten strikte politische Kontrolle. Politische Kontrolle heißt nun natürlich nicht, auf die möglichen ökonomischen Vorteile zu verzichten. Im Gegenteil: Sie lassen sich mit politischen Zielen direkt verbinden, wenn die Staaten, denen man Waffen zukommen lassen will, dafür bezahlen. Die USA begannen ab Anfang der sechziger Jahre aus dem finanziellen Zuschußgeschäft eine Einnahme zu machen und die Sowjetunion folgte diesem Beispiel bald nach. Andere Staaten begannen im Rüstungsexport eine eigenständige Devisenquelle zu sehen und exportierten mit der ausdrücklichen Betonung darauf, daß im Gegensatz zu den sowjetischen und US-amerikanischen Lieferungen keine politischen Bedingungen mit dem Transfer verbunden seien. Die französische Regierung spielte hier Ende der sechziger Jahre eine Vorreiterrolle; in den siebziger Jahren folgten andere europäische Industrieländer wie Italien, aber auch einige Länder der Dritten Welt, wie Israel und Brasilien, nach.
Sie wurden durch die Verdienstmöglichkeiten angezogen, die sich auftaten. Die Ölpreiserhöhungen verstärkten den Wunsch und die Möglichkeit vieler Länder in Nordafrika und Westasien, ihre Streitkräfte mit modernsten Waffensystemen auszurüsten. Darüber hinaus finanzierten sie anderen Ländern in Afrika und Asien die Beschaffung neuer Waffen. Ärmere Länder zogen nach — sie wollten nicht in militärische Unterlegenheit geraten. Die vom ölboom und der Wirtschaftskrise in den Industrieländern ausgelöste wirtschaftlich kritische Situation in vielen Ländern Schwarzafrikas, Lateinamerikas und Asiens nährte paradoxerweise bei vielen von ihnen Aufrüstungstendenzen: Militärregime, mit fast grenzenlosem Appetit auf neue Waffensysteme, übernahmen die Macht, z. B. in Argentinien; die Verschärfung der sozialen Probleme führte zum Import von gegen die eigene Bevölkerung einsetzbaren Waffen. Der Anteil der Rüstungswaren am gesamten Handel mit den Ländern der Dritten Welt wuchs auf über 5% an Die Verschuldung, die Anfang der achtziger Jahre zu einem gravierenden Problem der Weltwirtschaft wurde, ist zu einem nicht unerheblichen Teil auf die Aufrüstung in vielen armen Ländern der Dritten Welt zurückzuführen
Wie aus Tabelle 1 ersichtlich wird, läßt sich allerdings etwa 1980 eine deutliche Trendwende erkennen. Nach den SIPRI-Zahlen stagnierte danach das Wachstum des Handels mit Großwaffen mit Ländern der Dritten Welt. Andere Zahlenangaben stützen diesen Eindruck Die Wirtschaftskrise hat letztlich ihre Wirkung gezeigt: Arme und reiche Staaten verfügten über weniger Mittel, um Waffen zu kaufen. Hinzu kommt, daß einige der besonders wichtigen Waffenimporteure, wie Libyen und Saudi-Arabien auf Grund von Ab-Tabelle Sorptionsproblemen mit den bereits vorhandenen Waffensystemen weniger neue Rüstungswaren einkaufen. Der Sturz des Schah in Iran eliminierte zumindest zeitweise den zuvor größten Waffenimporteur aus den Seiten der zahlreichen Rüstungs-und Militär-zeitschriften, die regelmäßig über neue Waffengeschäfte berichten. Und schließlich setzte die Regierung Carter in den USA ihre 1977 beschlossene Politik einer einseitigen Beschränkung der Rüstungsexporte zumindest teilweise in die Praxis um. Gegenwärtig ist der Rüstungsmarkt Dritte Welt ein umkämpfter Käufermarkt. Die USA haben, nachdem die Regierung Carter durch die Regierung Reagan abgelöst wurde, ihre Rüstungsexporte wieder stark erhöht und nach SIPRI-Zahlen die Sowjetunion als wichtigsten Lieferanten von Rüstung beinahe erreicht. Die Zahl der Anbieter von Rüstungswaren hat sich weiter erhöht; zu den Neulingen auf dem internationalen Rüstungsmarkt gehören unter anderem Spanien, Südafrika und Singapur Die finanziellen Ressourcen auf Seiten der Käufer sind noch knapper geworden, seit auch internationale Wirtschaftsorgane wie der Internationale Währungsfonds bei ihren Kreditvergaben auf die Rüstungskäufe eines Landes achten. Zahlreiche Produzenten von Rüstung sind verstärkt auf den Export von Rüstung angewiesen, weil sie selber in ökonomischen Schwierigkeiten stecken. Insbesondere kleinere Staaten, die das Ziel verfolgen, eine breite Palette der Rüstungsproduktion aufrechtzuerhalten, spüren zudem immer mehr den Effekt exponentiell zunehmender Kosten von Waffensystemen und noch schneller steigenden technologischen Anforderungen in ihrer Herstellung. 2. Die Idealtypen der Rüstungsexportpolitik Die kurze Beschreibung der historischen Entwicklung des Waffenhandels hat bereits deutlich werden lassen, daß ökonomische und politische Motive in der tatsächlichen Staaten-praxis häufig nicht trennbar sind. Das gilt insbesondere für die USA und die Sowjetunion, die sich von beiden Interessen leiten lassen. Dabei darf aber nicht übersehen werden, daß für beide Staaten ein Primat der politischen Aspekte immer zu erkennen war und auch gegenwärtig zu sehen ist. Dieser Primat kommt auf vielfältige Weise zum Ausdruck: etwa darin, daß nur an Staaten geliefert wird, mit denen man sich auf irgendeine Weise politisch verbunden fühlt, daß sehr elaborierte Kontrollmechanismen für den Export von rüstungsrelevanten Gütern bestehen, oder daß man den Export von Rüstungstechnologie sehr viel strikter handhabt als den Export von Rüstungswaren
Auch bei Staaten, bei denen nur ökonomische Motive vorhanden zu sein scheinen, spielen bei genauerem Hinsehen auch politische eine Rolle. Beispiel Frankreich: Hier hat der Rüstungsexport nicht zuletzt die Funktion, die Erhaltung einer breitgefächerten Rüstungsindustrie zu sichern, um das Gefühl der Unabhängigkeit zu erhalten — zweifellos ein strategisches, ein politisches Ziel.
Trotzdem lassen sich zur Erleichterung der Analyse idealtypisch zunächst zwei Grundtypen der Rüstungsexportpolitik unterscheiden: die außenpolitisch orientierte und die kommerziell-ökonomisch orientierte Politik. Hinzu kommt aber noch ein dritter Typus, der für die Analyse der bundesdeutschen Rüstungsexportpolitik besondere Bedeutung hat: die strikt restriktive Rüstungsexportpolitik.
Verzichten Staaten darauf, in bestimmte Regionen Waffen zu verkaufen oder überhaupt zu exportieren, obwohl sie es auf Grund ihrer tatsächlichen oder potentiellen rüstungstechnologischen Kompetenz könnten, entstehen ihnen ökonomische und politische Kosten. Mögliche Einnahmen aus dem Rüstungsexport entfallen, und Staaten der Dritten Welt, die gerne Waffen aus einem bestimmten Herstellerland kaufen würden, fühlen sich düpiert. Auf möglicherweise mit einem Rüstungsexport verbundene Einflußmöglichkeiten muß verzichtet werden.
Eine strikt restriktive Rüstungsexportpolitik hat aber auch Vorteile. Auf ökonomischem Gebiet etwa läßt sich anführen, daß Rüstungsexporte in Länder der Dritten Welt die Exportchancen der eigenen Wirtschaft vermindern und langfristig dem Welthandel schaden, da sie — volkswirtschaftlich betrachtet — eine Verschwendung darstellen Auf politischem Gebiet läßt sich zeigen, daß viele Rüstungslieferungen statt des gewünschten Erfolges das genaue Gegenteil zur Folge hatten. Rüstungslieferungen in ein Land sind fast immer den Gegnern dieses Staates ein Dorn im Auge. Ein Beispiel etwa sind die diskutierten Lieferungen von gepanzerten Fahrzeugen aus der Bundesrepublik an Saudi-Arabien, die in Israel heftigen Protest hervorgerufen haben. Außerdem ist die durchschnittliche Lebensdauer von Regierungen und Regimen in vielen Ländern der Dritten Welt erheblich kürzer als die von Waffensystemen. Neue Herren nehmen Waffenlieferungen an ungeliebte Vorgänger häufig zum Anlaß, die Lieferanten zu ihren Gegnern zu zählen. Der Iran vor und nach 1979 ist hierfür ein gutes Beispiel, ähnliches erlebte die Sowjetunion aber auch, z. B. mit Ägypten ab 1972 oder Indonesien nach 1964
Eine strikt restriktive Rüstungsexportpolitik trägt dazu bei, sich ostentativ auf eine Seite stellen zu müssen. Sie ist aber nicht unpolitisch oder apolitisch. Sie stellt wie die außen-politisch orientierte Rüstungsexportpolitik die Kontrolle in den Vordergrund, nur daß diese erheblich extensiver ausgeübt wird. Ihre Begründung darf allerdings nicht außen-politisch geprägt sein, da in ihrem Rahmen nicht außenpolitisch selektiert wird. Derartige Begründungen können, das zeigen historische Fälle, sehr verschieden aussehen. Die japanische Regierung etwa hat mehrfach bekräftigt, den Export von Rüstungswaren zu verbieten, weil man die eigene Rüstungsindustrie unter Kontrolle halten wolle und die Erinnerung an den japanischen Militarismus noch zu wach sei, so daß eine andere Politik anti-japanische Regungen aufkommen lassen könne. Kritiker haben hinter dieser offiziellen Argumentation einen weiteren Grund vermutet: das ökonomische Interesse des extrem rohstoffarmen Japan, sich nirgendwo in der Dritten Welt durch Rüstungslieferungen Feinde zu machen
Die erwähnten einseitigen Beschränkungen der Regierung Carter wurden vor allem friedens-und entwicklungspolitisch begründet: Die USA sollten nicht für die Stimulierung regionaler Rüstungswettläufe verantwortlich sein und per Waffenlieferung den armen Ländern wieder nehmen, was man ihnen durch Entwicklungshilfe gerade erst hatte zukommen lassen -3. Die Entwicklung der bundesdeutschen Rüstungsexporte Im Dreieck dieser Idealtypen der Rüstungsexportpolitik mußten sich seit Anfang der sechziger Jahre auch die verschiedenen Bundesregierungen zurechtzufinden versuchen, nachdem die Bundeswehr wieder aufgebaut war und die neu entstandene Rüstungsindustrie auch stärkeres Interesse an Rüstungsexporten zu entwickeln begann.
Zunächst wurde der Versuch gemacht, eine außenpolitisch orientierte Rüstungsexportpolitik durchzuführen. Als Mittel diente vor allem Militärhilfe an afrikanische Staaten. Deutschlandpolitische Ziele standen im Vordergrund. Die bundesdeutsche Rüstungsexportpolitik paßte sich in das Konzept der NATO-Mitgliedstaaten gegenüber der Dritten Welt ein. Eine Besonderheit stellten die geheimen Lieferungen an Israel dar. Der Aufbau außenpolitisch motivierter Rüstungsbeziehungen wurde jedoch 1965 jäh unterbrochen, als die Lieferungen nach Israel öffentlich bekannt wurden, arabische Staaten mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen drohten und Kontakte mit der DDR intensivierten
Im Februar 1965 beschloß die Regierung Ehrhard, künftig keine Waffenlieferungen in „Spannungsgebiete" mehr zuzulassen. Damit war — aus praktischen Gründen, um weitere Exporte nach Israel ablehnen zu können — ein Begriff eingeführt worden, der fast 20 Jahre zentral für die bundesdeutsche Rüstungsexportpolitik werden sollte. Die SPD-Opposition war jedoch unzufrieden. Sie forderte, den Rüstungsexport außerhalb der NATO-Mitgliedstaaten gänzlich zu unterbinden. Eine langwierige parlamentarische Debatte entspann sich, die schließlich 1968 — inzwischen waren SPD und CDU zusammen in der Regierung — damit endete, daß keine neuen Gesetze beschlossen wurden, die Bundesregierung aber aufgefordert wurde, die Rüstungsexporte strikt zu begrenzen
Die Rüstungsexportpolitik gehörte zu den Be-, reichen, in denen die neue Regierung nach 1969 durchgreifende Veränderungen durchführen wollte. Vor allem der damalige Verteidigungsminister Schmidt setzte sich aus außenpolitischen Gründen dafür ein Jedoch konnte er sich mit seiner Überzeugung, Rüstungsexporte nur noch in Länder innerhalb der NATO zuzulassen, nicht durchsetzen. Insbesondere das Außenministerium unter Walter Scheel leistete Widerstand. Resultat war schließlich eine Kompromißformel, die im Juni 1971 vom Kabinett verabschiedet wurde. Nach diesen Richtlinien sollte der Export von Kriegswaffen in Länder außerhalb der NATO grundsätzlich nicht erfolgen, in Spannungsgebiete gar nicht. Rüstungswaren, die nicht Kriegswaffen sind, sollten — wenn auch weniger streng — ebenfalls kontrolliert werden
Diese Kompromißformel wurde bald auf die Probe gestellt. Schon im Winter 1971/72 wurde von Verteidigungsminister Schmidt mit der französischen Regierung ausgehandelt, Exporte von Erzeugnissen aus Koproduktionsvorhaben nach den Exportregelungen des Landes, in dem sie endgefertigt wurden, zu behandeln. Damit wurde die Tür für die Nutzung von Koproduktionsabkommen zum Export zumindest teilweise in der Bundesrepublik gefertigter Waffen in viele Länder der Dritten Welt geöffnet. Die Bundesregierung bewertete nach eigenem Bekunden Koproduktionsprogramme höher als eine strikt restriktive Rüstungsexportpolitik. Die Rüstungsindustrie stellte weiterhin Anträge auf Exportgenehmigungen auch für Länder der Dritten Welt, die nicht durchgängig abgelehnt wurden. Bald stellte sich als Regel heraus, daß der Export von Schiffen fast durchweg genehmigt wurde, der Export von Panzern hingegen nicht. Die Rüstungsindustrie ersann allerlei Schleich-und Umwege, um potentielle Kunden zufriedenzustellen. So wurden etwa nach Argentinien statt vieler — nicht genehmigungsfähiger — Panzer drei Baumuster einschließlich Blaupausen und Verträge über die Zulieferung wichtiger Bau- teile geleitet Ein ähnliches Projekt in Italien — der Lion-Panzer — wurde 1976 gestoppt, weil Libyen sich als erster Kunde angemeldet hatte.
Trotz dieser schnell sichtbar gewordenen Lücken und der dem Wortlaut der politischen Richtlinien nur unvollkommen entsprechenden Praxis, wurden sie im Frühjahr 1976 von der Bundesregierung noch einmal ausdrücklich bestätigt. Eine Änderung der offiziellen Haltung — inzwischen war die Bundesrepublik nach den vorhandenen Zahlenangaben zu einem wichtigen Exporteur von Waffen und Rüstungsgütern geworden (vgl. Tabelle 2) — zeichnete sich erst nach der Bundestagswahl 1980 ab. Es war bekanntgeworden, daß der Bundessicherheitsrat den Export von U-Booten nach Chile genehmigt hatte und daß Bundeskanzler Schmidt der saudi-arabischen Regierung die Hoffnung auf die Lieferung von Kampfpanzern aus der Bundesrepublik zumindest nicht genommen hatte. Es entstand eine heftige innenpolitische Debatte, die schließlich im April 1982 zum Beschluß neuer politischer Grundsätze führte. Das Kriterium des „Spannungsgebiets" wurde durch andere ersetzt. Im Mittelpunkt steht nach den neuen Richtlinien die Frage, ob Rüstungsexporte im vitalen außen-und sicherheitspolitischen Interesse der Bundesrepublik liegen oder nicht. Zusätzlich ist unter anderem erforderlich, daß die politischen Verhältnisse im Empfängerland einer Lieferung nicht entgegenstehen und bestehende Spannungen nicht erhöht werden Obwohl im Vorspann beteuert wird, die Bundesregierung wolle an ihrer bisherigen Rüstungsexportpolitik festhalten, wurden die neuen Richtlinien allgemein als ein Schritt auf dem Weg zu einer weniger restriktiven Rüstungsexportpolitik gesehen. Viel Beachtung fand auch die Formulierung, daß beschäftigungspolitische Interessen für die Genehmigungserteilung nicht ausschlaggebend sein dürften, war doch nach allgemeiner Überzeugung genau dies die Ursache für die Ausweitung der bundesdeutschen Rüstungsexporte in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre, insbesondere im Bereich des Schiffbaus, gewesen
Die neue Bundesregierung hat bisher, trotz einiger Kritik aus den eigenen Reihen an den Richtlinien von 1982 festgehalten Sie steht, obwohl von der Grundhaltung der Mehrheit eher einer weniger restriktiven Rüstungsexportpolitik zugeneigt, in demselben Dilemma, wie ihre Vorgängerin. Grundsätzlich einer restriktiven Rüstungsexportpolitik gegenüber den Ländern der Dritten Welt verpflichtet, will sie dennoch die außenpoliti-sehen Möglichkeiten nicht missen, aber andererseits die möglichen Probleme, etwa auf Grund der Verwendung bundesdeutscher Waffen in kriegerischen Konflikten, vermeiden. Man will nicht in den Geruch kommen, aus ökonomischen Gründen eine „unmoralische" Politik zu betreiben; aber es ist ein offenes Geheimnis, daß krisengeschüttelte Firmen und Branchen gute Hoffnung auf ein offenes Ohr haben können.
Die Rüstungsexporte aus der Bundesrepublik sind trotz der starken Ausweitung seit der zweiten Hälfte der siebziger Jahre im bundesdeutschen Außenhandel nur von begrenzter Bedeutung. Während der bundesdeutsche Anteil am Export von Maschinen und Transportmitteln in Länder der Dritten Welt je nach Warengruppe zwischen 10% und 20% liegt, ist er im Rüstungsbereich geringer als 5 % -Das deutet auf in der Vergangenheit nicht ausgenutzte Exportpotentiale hin, deren Mobilisierung angesichts des starken Wettbewerbs auf dem weltweiten Rüstungsmarkt allerdings sehr schwierig sein dürfte.
II. Kontrolle und Lenkung der bundesdeutschen Rüstungsexporte
Abbildung 5
Tabelle 2: Anteil der Bundesrepublik am Waffenhandel mit Ländern der Dritten Welt Quellen: SIPRI Yearbook 1984; R. F. Grimmett, Trends in Conventional Arms Transfers to the Third World by major Supplier, 1975— 1982 Congressional Research Service, IP 214A Washington, April 1983.
Tabelle 2: Anteil der Bundesrepublik am Waffenhandel mit Ländern der Dritten Welt Quellen: SIPRI Yearbook 1984; R. F. Grimmett, Trends in Conventional Arms Transfers to the Third World by major Supplier, 1975— 1982 Congressional Research Service, IP 214A Washington, April 1983.
1. Die rechtlichen Rahmenregelungen Rechtlich weit verbindlicher als die vom Bundeskabinett beschlossenen politischen Richtlinien sind die einschlägigen gesetzlichen Vorschriften, vor allem das Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG) und das Außenwirtschaftsgesetz (AWG). Der Gehalt beider Vorschriften wurde in den fünfziger Jahren erarbeitet, als die Erfahrung mit Rüstungsexporten — und entsprechend auch das Problembewußtsein — gering entwickelt war. Das AWG enthält die Möglichkeit, bestimmte, in einer Verordnung (AWV) näher zu bestimmende Waren als Rüstungswaren zu reglementieren und bei Vorliegen von Versagungsgründen, die im Gesetz nur beispielhaft aufgezählt sind, zu untersagen. In der Außenwirtschaftsverordnung finden sich drei Warenlisten (Rüstungswaren, nukleares Material, strategische Güter). Der Export der dort aufgeführten Waren ist genehmigungspflichtig. Eigentliches Ziel der AWV ist es, den Export von Gütern in die Sowjetunion und mit ihr verbündete Staaten zu reglementieren. Das KWKG hingegen hat als Ausführungsgesetz zu Art. 25 GG das Ziel, die Produktion und die Ausfuhr von Waffen, die üblicherweise in kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Staaten Verwendung finden, zu überwachen. Im Mittelpunkt steht das Interesse zu verhindern, daß in der Bundesrepublik Waffen hergestellt werden, die in kriegerischen Konflikten ohne Kontrolle durch die Bundesregierung eingesetzt werden. Deshalb ist unter den im Gesetz aufgelisteten Versagungsgründen das obligatorische Verbot der Lieferung in Fällen zu finden, in denen die Gefahr besteht, daß gelieferte Waren in kriegerischen Auseinandersetzungen benutzt werden
Der Begriff des „Spannungsgebietes", der sich in keiner gesetzlichen Vorschrift befindet, dürfte hier seinen Ursprung haben.
Ein wichtiger Unterschied zwischen KWKG und AWG besteht hinsichtlich der Anfechtbarkeit von auf ihrer Grundlage erlassener Verwaltungsakte. Ablehnungen nach dem KWKG können nur auf die Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens durch die Verwaltungsbehörde hin gerichtlich überprüft werden; alle Entscheidungen nach dem AWG hingegen unterliegen dem wirtschaftspolitischen Primat des AWG, nach dem Exporte nur untersagt werden dürfen, wenn durch die Nicht-Versagung erhebliche Schäden zu erwarten wären. Das KWKG gibt der Genehmigungsbehörde also erheblich mehr Entscheidungsspielraum. Sowohl KWKG als auch AWG erlauben vom Wortlaut her eine sehr strikte Kontrolle der Rüstungsexporte. Allerdings lassen sie andererseits bei Beachtung der obligatorischen Versagungsgründe nach dem KWKG auch die Möglichkeit einer nur sehr beschränkt restriktiven Politik offen. 2. Die Bedeutung der Genehmigungsbürokratie
Zuständig für das Genehmigungsverfahren sowohl nach AWG als auch nach KWKG ist das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi). In das Genehmigungsverfahren sind darüber hinaus seit 1961, dem Jahr der Verabschiedung der beiden Gesetze, auch andere Ministerien, vor allem das Auswärtige Amt (AA) sowie das Verteidigungsministerium (BMVg) und — als höchste Entscheidungsinstanz — der Bundessicherheitsrat (früher Bundesverteidigungsrat) eingeschaltet.
Mit dieser letzten politischen Verantwortung der Rüstungsexportpolitik soll der Primat der Politik gesichert werden. Die politischen Richtlinien geben ein Gutteil der Verantwortung an die eigentlichen Genehmigungsbehörden im Bundeswirtschaftsministerium und das ihm angeschlossene «Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft ab. Sie, an die die Anträge konkret gerichtet werden, sollen entscheiden können, welche Fälle als Routine behandelt werden können und welche politisch entschieden werden müssen.
Jede dieser politischen Entscheidungen hat dann natürlich wieder Weisungscharakter für die Genehmigungsbehörden. Dem Prinzip der Delegation in Routinefällen folgend sollte — so die Theorie — die Belastung des Bundessicherheitsrats mit Entscheidungen über Rüstungsexportfälle minimierbar sein.
In der Praxis hat sich dann allerdings ein ganz anderes Verhältnis zwischen politischen Entscheidungsträgern und Genehmigungsbürokratie entwickelt. Denn statt zu Klarheit und Vereinheitlichung führten die politischen Entscheidungen eher zu Verwirrung, da sie von Fall zu Fall in Verfolgung einer strikt restriktiven oder einer außenpolitisch orientierten und sehr häufig in Verfolgung einer ökonomisch orientierten Politik gefällt wurden. Schiffe wurden fast regelmäßig genehmigt, obwohl weder Gesetz noch politische Richtlinien das so vorsahen. Die Beamten im Bundeswirtschaftsministerium scheinen jeden Schiffsexport dem Bundessicherheitsrat zugeleitet zu haben, einerseits, weil es durchweg um hohe Geldsummen ging, für die der Bund möglicherweise haftbar werden könnte andererseits, weil den Beamten diese weder durch Gesetz noch durch Vorschrift abgedeckte Regelung nicht ganz geheuer war. Die politischen Richtlinien von 1971, nach denen zumindest Kriegswaffen nur sehr selten hätten genehmigt werden dürfen, waren ihnen jedenfalls keine wesentliche Orientierungshilfe.
Daraufhin scheint die Verwaltung selber in der Entwicklung von Regelungen aktiver geworden zu sein. Problematische Fälle wurden im Umlauf unter den beteiligten Referenten in BMWi, BMVg und AA vorgeklärt, eine einheitliche Stellungnahme angestrebt und dann dem Bundessicherheitsrat vorgelegt. Seit 1975 wurden so überraschende Beschlüsse dieses Gremiums vermieden. Regeln bildeten sich heraus, die den politischen Richtlinien und auch den offiziellen Stellungnahmen zum Rüstungsexport nicht entsprachen.
Die bürokratischen Regeln orientierten sich stark am KWKG. Hauptziel war — wie dort — zu verhindern, daß Waffen in zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen verwendet würden. Deshalb wurde an solche Länder, von denen man annahm, sie könnten in absehbarer Zeit in Kriege verwickelt werden, Lieferungen von Kriegswaffen nicht gestattet (Schiffe wurden nicht zuletzt deshalb fast regelmäßig genehmigt, weil die Behörden ihren Einsatz in kriegerischen Auseinandersetzungen wenig fürchteten). Die führende Rolle in der Bewertung von Einzelfällen hatte das AA Seinem Urteil über die Konfliktnähe von Staaten folgten die anderen beteiligten Ministerien. Das AA bemühte sich um Flexibilität und jeweils auf die aktuelle Situation bezogene Einzelfallprüfung. Dabei war man vor Fehlern nicht gefeit: So irrte das AA in der Einschätzung der argentinischen Militärjunta ebenso wie mit der Ansicht, Schiffe würden in kriegerischen Auseinandersetzungen in Ländern der Dritten Welt nicht eingesetzt werden.
Durch das AA wurden zunehmend außenpolitische Gesichtspunkte in die Genehmigungspolitik eingeführt. Anträge wurden positiv beurteilt, weil man gute Beziehungen zu diesem oder jenem Staat dokumentieren wollte. Typisch für eine Bewertung zum Ende der siebziger Jahre ist die positive Stellungnahme zum Antrag, Korvetten nach Kolumbien liefern zu können: „Kolumbien ist ein Land mit weit zurückreichender demokratischer Tradition, zu dem die Bundesrepublik Deutschland enge freundschaftliche Beziehungen und wirtschaftliche Bindungen unterhält. Die Bundesregierung sieht angesichts der derzeitigen innen-und außenpolitischen Situation Kolumbiens keine rechtlichen oder politischen Gründe dafür, dieses Land von der Lieferung von Kriegswaffen generell auszuschließen. Die Entscheidung im Einzelfall hängt von den konkreten Gegebenheiten ab, z. B. von der Art der Waffen, die ausgeführt werden sollen."
Diese Begründung spiegelte weder die offiziell strikt restriktive Haltung regierungsamtlicher Stellungnahmen wider, noch entsprach sie dem in der Öffentlichkeit weit verbreiteten Eindruck, daß die Frage der Schaffung von Arbeitsplätzen durch Rüstungsaufträge die Rüstungsexportpolitik bestimme.
Das Arbeitsplatzargument war für die Genehmigungsbürokratie, die vor allem die rechtlichen Grundlagen wahren wollte, ein problematisches, ja systemfremdes Element. Sie mußte ihm auf Grund der politischen Gegebenheiten Rechnung tragen, umkleidete es aber mit außenpolitischen und historischen Begründungen. Die Tatsache, daß die politischen Richtlinien von 1982 ausdrücklich bestimmen, daß beschäftigungspolitische Interessen nicht für die Genehmigung ausschlaggebend sein dürfen, ist ein Resultat dieser rechtlichen Beurteilung. 3. Drei Ebenen der Rüstungsexportpolitik Die äußere Widersprüchlichkeit der Rüstungsexportpolitik läßt sich auflösen, wenn sie auf drei Ebenen analysiert wird:
1. Deklaratorische Ebene. Hierzu zählen die offiziösen Stellungnahmen mit der Betonung einer strikt restriktiven Politik bis 1980 und einer restriktiven Politik ab etwa 1981.
2. Bürokratische Ebene. Hierzu gehören die beschriebenen, von den deklaratorischen Bemühungen abweichenden Regeln des Genehmigungsverfahrens 3. Reale Ebene. Sie ist die der tatsächlichen Genehmigungs-und Ablehnungspolitik und unterschied sich von der bürokratischen einerseits dadurch, daß ein erheblicher Teil der tatsächlichen Genehmigungen (für nicht nach dem KWKG genehmigungspflichtige Waren; für Koproduktionsprodukte; für Blaupausen-und Lizenzexport) nicht dem beschriebenen Regelungsverfahren unterworfen waren, und andererseits dadurch, daß die ökonomischen Interessen ein weit größeres Gewicht hatten, als die Bürokratien eingestehen wollten.
Die reale Politik wird maßgeblich von ökonomischen Interessen bestimmt, weil die Akquisition von Rüstungsaufträgen weitgehend in den Händen der Rüstungsindustrie liegt. Nicht die Bundesregierung sucht nach Regionen, wo ihrer Meinung nach Rüstungsungleichgewichte durch Lieferungen aus der Bundesrepublik ausgeglichen werden könnten, sondern die Rüstungsindustrie ist weltweit auf der Suche nach zahlungskräftigen Kunden. In dem Bereich, den die Bundesregierung selbst finanziert, der Militärhilfe ist eine außenpolitisch bestimmte Konzentration und Lenkung feststellbar, im Bereich der kommerziellen Rüstungsexporte hingegen nicht, weil hier ökonomische Interessen und nicht außenpolitische Beweggründe für die Geschäftsanbahnung und den Umfang der Transfers entscheidend sind.
Die reale Politik wurde aber von der bürokratischen und auch von der deklaratorischen Ebene her eingeschränkt. Die rechtliche Grenze der Gefahr der Verwendung in kriegerischen Auseinandersetzungen und die Legitimationsprobleme, die die Ausweitung der Rüstungsexporte mit sich brachten, umgrenzten Niveau und Struktur der Genehmigungen.
Die komplexe Struktur der bundesdeutschen Rüstungsexportpolitik läßt sich am Beispiel des Beschäftigungsargumentes verdeutlichen. Beschäftigung durch Rüstungsexporte hatte und hat volkswirtschaftlich relativ geringe Bedeutung für einzelne Firmen, Regionen (z. B. Südschwarzwald) und Industriebranchen (vor allem Schiffbau) jedoch nicht unerhebliche. Obwohl das Beschäftigungsargument meist als volkswirtschaftliches in die Diskussion eingebracht wurde, war es nicht von genereller Durchschlagskraft — Schiffsexporte wurden mit seiner Hilfe erleichtert, Panzer-exporte hingegen nicht. Das Beschäftigungsargument — für einzelne Firmen, Regionen und Branchen zweifellos relevant — konnte nur dort Wirkung entfalten, wo bürokratische (die Einschätzung der gesetzlichen Lage nach dem KWKG) und deklaratorische (Verlust der Glaubwürdigkeit einer restriktiven Rüstungsexportpolitik) Hindernisse überwunden wer-den konnten. Gleichzeitig diente das Beschäftigungsargument allerdings auch als Hebel zur Veränderung der bürokratischen und deklaratorischen Rüstungsexportpolitik: indem es selber legitimatorischen Wert erhielt und damit die Legitimationsproblematik einer Ausweitung der Rüstungsexporte entschärfte und indem es die Rüstungsexportbürokratie veranlaßte, wirtschaftliche Überlegungen stärker in die Prüfung mit einzubeziehen. 4. Zentrale Einflußfaktoren der Rüstungsexportpolitik Wie beschrieben sind die drei Ebenen der Rüstungsexportpolitik eng miteinander verwoben, auch wenn die sozialliberale Koalition zwischen 1971 und 1982 ein Auseinanderdriften der Ebenen förderte. Deshalb sind auch die verschiedenen Einflußfaktoren, seien sie strukturell oder von besonderen historischen Bedingungen abhängig, eng miteinander verknüpft. Dennoch ist es sinnvoll, sie den drei Ebenen zuzuordnen; denn ihre Unterscheidung läßt klarer hervortreten, welches die zentralen Einflußfaktoren sind und wie sich ihr Verhältnis zueinander bestimmt: 1. Auf der deklaratorischen Ebene ist die Legitimationsfrage von größter Bedeutung: Die öffentliche Meinung ist eher gegen eine Ausweitung der Rüstungsexporte eingestellt. Das Beschäftigungsargument änderte diese Grundhaltung in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre, ohne aber einen Umschwung der Tendenz herbeiführen zu können 2. Die bürokratische Ebene wird vor allem von den Eigeninteressen der beteiligten Behörden bestimmt. Das wichtigste ist, einigermaßen überschaubare Regeln im Rahmen der bestehenden Gesetze zu entwickeln. Hinzu kommt ein außenpolitisches Interesse an einer generellen Ausweitung der Rüstungsexporte 3. Auf der Ebene der realen Politik haben die Interessen und geschäftlichen Möglichkeiten der Rüstungsindustrie erhebliche Bedeutung. Diese wuchsen im Laufe der siebziger Jahre auf Grund zweier Faktoren erheblich: der verstärkten Nachfrage (siehe oben) und der für ausländische Kunden immer attraktiver werdenden Angebotspalette bundesdeutscher Rüstungshersteller
III. Welcher Weg für die Rüstungsexportpolitik?
Innerhalb des Dreiecks der Idealtypen der Rüstungsexportpolitik hat sich der Standort der Bundesrepublik mehrfach verlagert. Trotzdem befindet sie sich immer noch auf einem Platz, auf dem sich kein anderes der Länder mit ähnlich großen Rüstungsexporten aufhält.
Die sechziger Jahre begannen mit einer außenpolitischen Orientierung der Rüstungsexportpolitik, doch schon Mitte des Jahrzehnts änderte die christlich-liberale Regierung den Kurs in Richtung auf strikte Begrenzung. Die sozialliberale Bundesregierung verkündete, daß sie eine regional begrenzte, strikt restriktive Politik durchführen wollte. Nach kurzer Zeit bewegte man sich aber auf eine Politik zu, die in begrenztem Maße außenpolitischen und in größerem Maße wirtschaftlichen Interessen Rechnung trug. Die bundesdeutsche Rüstungsexportpolitik befand sich zum Ende der sozialliberalen Koalition ziemlich genau in der Mitte des beschriebenen Dreiecks der Idealtypen.
Die neue Regierung hat sich bisher schwer getan, genauer zu bestimmen, was für eine Rüstungsexportpolitik sie verfolgen will. Auch sie möchte den Anschein vermeiden, „unmoralische" Politik zu betreiben, und ist bemüht, Legitimationsprobleme durch Rüstungsexporte zu vermeiden. Allerdings ist unverkennbar, daß sie einigen gesellschaftli-chen Gruppen, die sich gegen die Ausweitung der Rüstungsexporte stark gemacht haben (wie entwicklungspolitische Gruppen oder der DGB), weniger verpflichtet ist, als es die vorangehende Bundesregierung war. Das gilt aber nicht generell, wie das Beispiel der evangelischen und katholischen Kirchen, die sich ebenfalls für Einschränkung ausgesprochen haben, zeigt
In der Begründung einiger Rüstungsexportvorhaben, denen die Bundesregierung positiv gegenübersteht, sind verstärkt außenpolitische Argumentationen zu entdecken. Das gilt natürlich vorrangig für das Angebot an die saudische Regierung, in der Bundesrepublik gepanzerte Fahrzeuge für defensive Aufgaben zu bestellen.
Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Möllemann, führte im Oktober 1983 im Bundestag zur Begründung von Lieferungen an Saudi-Arabien das Interesse an der äußeren Sicherheit und der Stabilität dieses wichtigen politischen und wirtschaftlichen Partners der Bundesrepublik an Auch Vertreter der vorhergehenden Regierung, wie etwa der ehemalige Regierungssprecher Becker, haben allerdings betont, daß die Beziehungen zu Saudi-Arabien besonderer Art seien und daß — wäre die innenpolitische Diskussion nicht durch das Bekanntwerden der Genehmigung des Exportes von zwei U-Booten des Typ 209 nach Chile im Winter 1980/81 belastet worden — der Export von gepanzerten Fahrzeugen aus außenpolitischen und außenwirtschaftspolitischen Gründen durchgesetzt worden wäre In ihrer relativ kurzen Regierungszeit hat die christlich-liberale Koalition allerdings schnell erfahren müssen, wie problematisch es ist, eine stärker außenpolitisch orientierte Rüstungsexportpolitik anzustreben. Das liegt zum einen daran, daß Rüstungsexporte eben regelmäßig von irgendeiner Seite als Affront aufgefaßt werden. Im konkreten Fall scheint die Vehemenz der israelischen Reaktion die Bundesregierung überrascht zu haben. Lange war in einschlägigen Kreisen der Gedanke ventiliert worden, als Ausgleich für Lieferungen von Panzern an Saudi-Arabien auch an die israelische Seite Waffen zu liefern, beispielsweise die 120-mm-Kanone, die der Leopard 2 trägt. Diese „Mini-Camp David" -Idee wurde von den Israelis nicht aufgenommen. Die Begründung für die strikte Ablehnung durch Israel zeigt das zweite Grundproblem einer außenpolitisch orientierten Rüstungsexportpolitik auf: Die Bundesrepublik, als Nachfolgestaat des Deutschen Reiches muß auf ihre Vergangenheit Rücksicht nehmen. In der Bundesrepublik besteht nach fast 30jähriger Einbindung in das westliche Bündnis die Tendenz, das historische Erbe zu vergessen; nicht nur in Israel ist es aber weiter lebendig.
Auch ein drittes Problem zeigt sich am konkreten Fall: Die Bundesrepublik ist keine Weltmacht, die es sich leisten kann, anderen Staaten Vorschriften zu machen. Die Versicherung Bundeskanzler Kohls, nur dann an Saudi-Arabien Waffen zu liefern, wenn garantiert würde, daß diese nicht gegen Israel zum Einsatz kämen, wurde von der saudischen Seite als Einmischung eingestuft und von der israelischen nicht ernst genommen. Was die USA als Weltmacht mit dem Camp David-Abkommen versuchen konnten, nämlich eine einigermaßen gleichgewichtige Aufrüstung zweier Kontrahenten, kann einem vergleichsweise machtlosen — und auch im internationalen Waffenhandel zweitrangigen — Staat nicht gelingen.
Schließlich mußte die Bundesregierung erfahren, wie schnell man selbst zum Spielball von Interessen werden kann. Die Saudis sind momentan vor allem daran interessiert, ihre Waffenimporte zu diversifizieren. Die starke Abhängigkeit von den USA sehen sie als potentielle innenpolitische Gefahr. Die israelische Seite nutzt das mögliche Geschäft Bundesrepublik-Saudi-Arabien dazu, um in den USA mehr Waffenhilfe zu erhalten. In den USA wiederum scheint man sich nicht einig zu sein, ob man mögliche bundesdeutsche Lieferungen als Einmischung oder als Unterstützung der eigenen Position werten soll. Bundeskanzler Kohl hat sich der Verflechtung der Interessen genauso wenig entziehen können wie sein Vorgänger Schmidt. Auch er hat keine wirklich klare Entscheidung getroffen. Leopard 2 nicht, aber defensive Systeme ja — wurde der saudischen Regierung gesagt. Damit glaubte der Bundeskanzler dem erwarteten innen-und außenpolitischen Widerstand entgegenwirken zu können. Auch er trägt — in der Terminologie der vorhergehenden Analyse — dem Legitimationsproblem Rechnung. Denn was sind defensive Systeme? Die offizielle Antwort der Bundesregierung auf diese Frage macht die volle praktische Problematik der Unterscheidung offensiv/defensiv deutlich: „Die Unterscheidung zwischen Waffen, die für die Verteidigung oder einen Angriffskrieg bestimmt sind, kann in der Regel nur am konkreten Einzelfall getrofB fen werden. Dabei kommt es entscheidend auf die jeweils gegebenen Verhältnisse im Hinblick auf das Empfängerland an, zum Beispiel, welche Militärstrategie das betreffende Land verfolgt und wie die zu liefernden Waffen in die dort vorhandene Waffenstruktur eingepaßt werden sollen."
Die zunehmende außenpolitische Orientierung, auf der deklaratorischen wie der bürokratischen Ebene, birgt auf Grund des beschriebenen Verhältnisses zwischen Genehmigungsbürokratie und Rüstungsindustrie bei Anbahnung und Abwicklung von Rüstungsgeschäften außerdem die große Gefahr, daß sich die Rüstungsexportpolitik auf der realen Ebene statt in die außenpolitisch orientierte in die ökonomisch orientierte Richtung entwickelt. Diese Gefahr zeigte sich während der sozialliberalen Regierungszeit, und auch die christlichliberale Regierung kann hier sehr leicht erhebliche Widersprüche zur offiziellen Position anhäufen, die lautet: „Beschäftigungspolitische Gründe spielen bei den Entscheidungen keine ausschlaggebende Rolle."
Aber bei den Genehmigungen für den Export von Radpanzern an Malaysia und Venezuela, die — abweichend von der Haltung der vorhergehenden Regierung — von der christlich-liberalen Regierung genehmigt wurden, sind andere ausschlaggebende Gründe nicht sichtbar. Im Falle der Genehmigung von Fregatten für die Türkei, einschließlich einer Bundesbürgschaft von 670 Millionen D-Mark war der entscheidende Gesichtspunkt die „Erleichterung des notwendigen Anpassungs-Prozesses der deutschen Werftindustrie". Hinzu kamen verteidigungspolitische Gründe
Die christlichliberale Bundesregierung hat im Bereich der Rüstungsexportpolitik ein schweres Erbe übernommen. Dazu gehören nicht nur konkrete Fälle, wie etwa die U-Boote für Chile, deren Nicht-Export mit hohen Kosten für die Staatskasse verbunden gewesen wäre, sondern eine insgesamt höchst komplizierte und widersprüchliche Struktur. Die bisherigen Worte und Taten der Regierung lassen nicht erkennen, daß ein Abweichen vom bisherigen Weg einer immer weiteren Entfernung vom Idealtyp einer strikt restriktiven Rüstungsexportpolitik zu erwarten ist. Auch die neue Bundesregierung zeigt wenig Neigung zu einer Sonderrolle der Bundesrepublik in diesem Bereich der internationalen Beziehungen. Dabei ist eine strikt restriktive Politik gegenwärtig sehr leicht begründbar.
Die neue Bundesregierung schrieb in ihrem letzten entwicklungspolitischen Bericht: „Die gewaltigen Rüstungsanstrengungen entziehen der friedlichen Entwicklung und der Lösung drängender Zukunftsprobleme beträchtliche materielle und menschliche Ressourcen ... In vielen Fällen dient sie der Machtentfaltung nach außen oder Machtentfaltung nach innen ... verschärft die Verschuldung ... Wachsendes Militärpotential erhöht in vielen Fällen die Konfliktbereitschaft"
Noch ist der Exportdruck der Rüstungsindustrie wahrscheinlich steuerbar. Wenn aber in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre zahlreiche Beschaffungsprogramme der Bundeswehr, wie etwa MRCA-Tornado und Leopard II, auslaufen, wird er erheblich zunehmen und dem im Schiffbaubereich ähnlich werden. Dann dürfte es für Gegenmaßnahmen, wie z. B. die Förderung der Umstellung von militärischer auf zivile Produktion, zu spät sein. Die bundesdeutsche Rüstungsexportpolitik könnte dann ihre restriktive Komponente völlig verlieren.
Michael Brzoska, Dipl. Volkswirt, geb. 1953; Studium in Hamburg und Fribourg (Schweiz), 1979— 1983 am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, gegenwärtig wissenschaftlicher Mitarbeiter am Stockholm International Pea• ce Research Institute (SIPRI). Veröffentlichungen u. a.: Rüstung und Dritte Welt, München 1981; (mit A. A. Guha und C. Wellmann) Das Geschäft mit dem Tod, Frankfurt 1982; (Mitarbeiter) Falsche Gewichte. Zur Problematik von Datenvergleichen, Militärpolitik, Dokumentation, Frankfurt 1983.
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