Sozialwissenschaftliche Politik-Beratung Probleme und Perspektiven
Ferdinand Müller-Rommel
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Zusammenfassung
Bedingt durch die Steuerungskrise des staatlichen Systems ist die Nachfrage nach sozialwissenschaftlicher Politikberatung seitens der Parteien, der Verbände und der staatlichen Administration in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Gefragt sind alternative bzw. neue Lösungsmöglichkeiten und empirisch abgesicherte Entscheidungshilfen bei der konkreten Politikformulierung. Der vorliegende Beitrag versucht, eine aktuelle Zwischenbilanz der sozialwissenschaftlichen Politikberatung für den politisch-administrativen Bereich auf Bundesebene zu liefern. Zunächst werden von 1961 bis 1983 vier Phasen sozialwissenschaftlicher Politikberatung aufgezeigt. Dem folgt eine systematische Darstellung der verschiedenen Formen und Institutionen der politikbereich-spezifischen Beratung. In einem weiteren Schritt werden die Motive erläutert, welche die Praktiker dazu veranlassen, auf sozialwissenschaftliche Beratung zurückzugreifen. Hieraus ergeben sich zugleich die beiden wichtigsten Funktionen von Politikberatung: die Informations-und die Legitimationsbeschaffung. Einen breiten Raum nimmt die Diskussion um die Praxisprobleme sozial-wissenschaftlicher Politikberatung ein. Insgesamt lassen sich vier zentrale Bereiche identifizieren, in denen immer wieder Schwierigkeiten mit sozialwissenschaftlicher Beratung auftauchen: die allgemeinen Probleme gegenüber den Wirtschaftswissenschaften; die forschungstechnischen Probleme; die Umsetzung-und Übersetzungsprobleme; Probleme, die sich aus dem Widerspruch zwischen Selbstverständnis von Sozialwissenschaftlern und den Erwartungen an wissenschaftlicher Politikberatung herleiten. Die eigentliche Schwachstelle in der Beziehung zwischen Politikberatern und Praktikern in der Administration ist bestimmt durch das mangelnde wechselseitige Verständnis vom jeweils unterschiedlichen Arbeitsstil und von der Arbeitsmethodik, vom Zeitbudget und vom Informationsbedürfnis. Politische und staatliche Institutionen brauchen qualifizierte Verbindungspersonen („wissenschaftliche Dolmetscher") im Bereich der Politikberatung, die an der Nahtstelle zwischen Wissenschaft und Praxis arbeiten. Sie müssen konkrete Erfahrungen durch eigene Tätigkeit in der Administration haben, aber auch über grundlegendes sozialwissenschaftliches „Know how" verfügen. Politikwissenschaftliche Institute in der Bundesrepublik sind dafür verantwortlich, daß zumindest ein Teil der Studenten mit diesen Qualifikationsmerkmalen ausgestattet wird.
„Politologen denken gelegentlich wie befriedigend es sein müßte, über Politik nicht nur zu räsonieren, sondern an den Schalthebeln der Macht zu sitzen. Die meisten, die dort unterhalb der Spitzen-ebene sitzen, beneiden eher die Wissenschaftler, die ohne die , Vor-dringlichkeit des Befristeten'denken dürfen und gleichwohl noch via Politikberatung gelegentlich einiges anstoßen können."
Klaus v. Beyme, 1984
I. Sozialwissenschaften und Politik
Im Verhältnis von Sozialwissenschaften, speziell Politikwissenschaft und praktischer Politik, ist in jüngster Zeit wieder einiges in Bewegung geraten. Die gegenwärtigen Strukturprobleme, z. B. in der Arbeitsmarkt-, der Umwelt-und der Freizeitpolitik, zeigen, daß die traditionellen staatlichen Steuerungsmechanismen nicht mehr hinreichend funktionieren. Bedingt durch diese Entwicklung ist die Nachfrage nach neuen Lösungsmöglichkeiten und Entscheidungshilfen nicht nur im staatlich-administrativen Bereich, sondern auch in Parteien, Wirtschaftsunternehmen, Gewerkschaften und anderen Verbänden deutlich gewachsen. Leitende Mitarbeiter in staatlichen Institutionen und politischen Organisationen richten deshalb ihr Interesse vermehrt auf sozialwissenschaftliche Forschungsergebnisse, um konkrete Hilfestellungen für das eigene politische Handeln zu erhalten. Gerade in diesem Zusammenhang gewinnt natürlich die Diskussion über Probleme und Funktionen von sozialwissenschaftlicher Politikberatung erneut an aktueller Bedeutung.
Eigentlich ist das planmäßige Einbeziehen von Informationen seit jeher ein Instrument der Politikgestaltung. „Von Leibniz bis Bentham und Saint-Simon, haben große Geister ihren Rat den unterschiedlichen Regimen zwischen Paris und Petersburg angedient." In der Bundesrepublik begann Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre ein Boom der sozialwissenschaftlichen Politikberatung. In jenen Jahren der politischen Planungs-euphorie waren vor allem sozialwissenschaftliche Modelle gefragt, die zur Entstehung und Entwicklung staatlicher Innovationsprogramme (Reformpolitik) beitragen konnten Heute sind die Anforderungen der politischen Handlungsträger an die Politikberater konkreter: Gefragt sind vor allem „praxisrelevante", quantitativ-empirische Forschungsergebnisse, die die Wirkungen und die Folgen von materieller Politik ermitteln und damit zur Klärung und zur Verbesserung von staatlicher Problemverarbeitung beitragen.
In der internationalen Politikwissenschaft lassen sich derartige Untersuchungsansätze unter dem Begriff „Policy Studien" zusammenfassen. Im deutschen Sprachraum bezeichnet man sie in der Regel als Politikfeld-oder Politikbereichsanalysen," deren Hauptgegenstand in der Erforschung von sogenannten Bindestrichpolitiken besteht, wie etwa der Beschäftigungs-, der Arbeits-und der Entwicklungspolitik
Nun hat sich aber gerade die Policyforschung mit ihren unterschiedlichen Dimensionen und Konzepten innerhalb der politikwissenschaftlichen Disziplin zu einem völlig unübersichtlichen Feld entwickelt das erst recht für die politischen Handlungsträger nicht mehr zu durchschauen ist. Gleichwohl betonen die beteiligten Policyforscher, daß sie durch ihre eigene Tätigkeit zur Praxisorientierung der Disziplin und damit zur „beratungswissenschaftlichen Wende" beitragen wollen. Dieser zugegebenermaßen gute Wille der Forscher ist allerdings bei der Mehrzahl der Praktiker noch nicht hinreichend wahrgenommen worden. Auch gegenwärtig beklagen die in politisch verantwortlichen Positionen Tätigen die Umsetzungsprobleme sozialwissenschaftlich orientierter Forschung in praxisrelevante politische Entscheidungen. Generell läßt sich sagen, daß die Ergebnisse sozialwissenschaftlicher Beratung in den letzten Jahren relativ häufig an den Erwartungen der politischen Entscheidungsträger vorbeiliefen. Entsprechend formulierten in jüngster Zeit einige Praktiker, daß sich die Politikberatung gegenwärtig in der Krise befinde die Verwaltung wissenschaftlicher Beratung überdrüssig sei die gegenseitige Enttäuschung und beiderseitige Frustration in der Politikberatung bei uns zwar noch nicht ganz so groß sei wie in den USA, aber die Hoffnungen und Erwartungen doch deutlich nüchterner geworden seien und daß die Frage mittlerweile erlaubt sein müsse, ob es nicht an der Zeit sei, einen „Verbraucherschutz" in bezug auf die Nutzung sozialwissenschaftlicher Forschungsergebnisse einzuführen
Das Ziel dieses Beitrags besteht darin, eine aktuelle Zwischenbilanz der sozialwissenschaftlichen Beratung für den politisch-administrativen Bereich auf Bundesebene zu liefern. Sozialwissenschaftliche Politikberatung für Parteien und Verbände wird dabei bewußt ausgeklammert, da erstens viele im folgenden genannten Einzelaspekte der Politikberatung aus konkreten Erfahrungen des Verfassers als Berater im politisch-administrativen Bereich resultieren und von daher gesehen werden mit den Augen eines politisch Beteiligten und zugleich Betroffenen sowie für die Öffentlichkeit der Politik parteinehmenden Sozialforschers. Zweitens unterscheiden sich aber auch die Organisationsformen und -funktionen sowie die Beraterkreise von politischen Parteien und Verbänden teilweise grundlegend von denen im politisch-administrativen Bereich.
Insgesamt gesehen soll der gegenwärtige Stand des klassischen Widerspruchs zwischen den Erwartungen an Politikberatung seitens der Rezipienten und den tatsächlichen Möglichkeiten von Beratungstätigkeit auf Seiten der Produzenten aufgezeigt und damit zugleich etwas mehr Licht in den immer noch undurchsichtigen „Dschungel" sozialwissenschaftlicher Politikberatung im administrativen Bereich gebracht werden. Wie hat sich die Politikberatung in den vergangenen Jahren entwickelt? Wer sind die Berater? Wie wird Politikberatung verwendet? Welche Probleme ergeben sich durch eine Beratertätigkeit für Wissenschaftler und Praktiker? Läßt sich aus der professionellen Politikberatung eine neue Berufsrolle für Sozialwissenschaftler schaffen?
II. Entwicklungstendenzen in der sozialwissenschaftlichen Beratung
Der politisch-administrative Bereich und der Wissenschaftsbereich waren bereits in den fünfziger Jahren eng miteinander verflochten. Während wissenschaftliche Politikberatung damals vor allem durch Juristen geleistet wurde, wie beispielsweise der Gutachterstreit vor dem Bundesverfassungsgericht über den deutschen Beitrag zur Errichtung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft Mitte der fünfziger Jahre zeigte, entstand nach der Etablierung der Politikwissenschaft und der Verwaltungswissenschaft seit etwa Mitte der sechziger Jahre ein Boom an sozialwissenschaftlicher Beratung Verlaufshistorisch läßt sich die wachsende Nachfrage an sozialwissenschaftlicher Politikberatung in vier Phasen beschreiben: 1. Die vorplanerische Phase von 1961 bis 1965, die gekennzeichnet war durch eine Verschärfung der ökonomischen und der (daraus resultierten) inneren Führungsprobleme in der Bundesregierung und der Bundesverwaltung
Der Abbau der durchschnittlichen Wachstumsraten und die sinkende Investitionsbereitschaft zwischen 1960 und 1966 führte die Bundesrepublik in jenen Jahren schrittweise in eine Steuerungskrise. Parallel zu dieser ökonomischen Krise wurde die innenpolitische Stabilität durch das Wahlergebnis von 1961 relativ stark tangiert: Die dominierende Stellung der CDU war erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg deutlich geschwächt. Neben dieser ökonomischen und politischen Entwicklung kamen innerhalb der Bundesverwaltung gewisse Desintegrationstendenzen auf, die darin mündeten, daß die einzelnen Fachressorts eine Eigendynamik im politischen Handeln entwickelten, die sich nicht mehr hinreichend koordinieren ließ.
Schon 1961 plädierten führende Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik für eine effiziente Wirtschaftsplanung in der Bundesrepublik. Folge dieser Initiativen war die Beschlußfassung des Gesetzes über die Bildung eines Sachverständigenrates zur Gutachtung der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung vom 13. August 1963. In den Jahren bis 1965 waren allerdings noch vornehmlich Wirtschaftswissenschaftler und Juristen politikberatend tätig. Dies änderte sich freilich durch die Regierungsbeteiligung der SPD seit 1966. 2. August 1963. In den Jahren bis 1965 waren allerdings noch vornehmlich Wirtschaftswissenschaftler und Juristen politikberatend tätig. Dies änderte sich freilich durch die Regierungsbeteiligung der SPD seit 1966. 2. Die Phase mittelfristiger Planung von 1966 bis 1969, in der sich die planerische Struktur im politisch-administrativen System auf breiter Front durchsetzen konnte und neben Wirtschaftswissenschaftlern verstärkt auch sozialwissenschaftlich ausgebildetes Personal sowie sozialwissenschaftlich-technische Methoden gefragt waren 11) -
Die erhöhte Nachfrage nach sozialwissenschaftlicher Beratung in jenen Jahren ist vor allem dadurch zu erklären, daß einzelne planungseuphorische Sozialdemokraten, die durch den Regierungswechsel zu entscheidenden Macht-und Einflußpositionen der Verwaltung kamen, von sozialwissenschaftlicher Politikberatung kritische Anregungen erwarteten, um als Regierungspartei den Modernisierungs-und Reformprozeß innerhalb der Gesellschaft zügig voranzutreiben.
In diesem Zeitraum wurden u. a. unter Beratung von Sozialwissenschaftlern der „Gesamtwirtschaftliche Rahmenplan", die „Mittelfristige Finanzplanung", das verkehrspolitische Programm der Bundesregierung 1968— 1972 („Leber-Plan"), Pläne im Bereich der Bildungs-, Forschungs-und Gesundheitspolitik, das Umweltprogramm und das Bundesraumordnungsprogramm, Landesentwicklungsprogramme, Regionalplanungen und Stadtentwicklungsprogramme erstellt 12). 3. Die Phase langfristiger Aufgabenplanung von 1969 bis 1974, in der Sozialwissenschaftler in enger Kooperation mit politischen Planern standen, wie z. B. in der interministeriellen Projektgruppe für Regierungs-und Verwaltungsreform beim Bundesministerium des Inneren 13), in der Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts, in der Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel, aber auch in der Planungsabteilung des Bundeskanzleramtes
Das erklärte Ziel dieser langfristigen Aufgabenplanung bestand darin, über die Verwissenschaftlichung der Politik eine Steigerung der politisch-administrativen Rationalität im Entscheidungs-und Handlungsprozeß zu erzielen. Entsprechend beschäftigten sich gerade die Politikwissenschaftler in jenen Jahren schwerpunktmäßig mit verschiedenen Konzepten der politischen Planung
Diese Planungsphase erreichte jedoch mit der Finanzkrise des Staates, den Energiepreiserhöhungen, der wirtschaftlichen Rezession und der Übergabe der Kanzlerschaft von Willy Brandt an Helmut Schmidt ihr baldiges Ende. 4. Die Planungsernüchterungsphase von 1975 bis 1983, in der die Ministerialbürokratie relativ desillusioniert von der praktischen Verwertbarkeit sozialwissenschaftlicher Forschungsergebnisse war. Umgekehrt waren aber auch einige Sozialwissenschaftler überaus enttäuscht vom „Praktikerstolz" gegenüber den wissenschaftlichen Empfehlungen und dem daraus zu erklärenden geringen gesellschaftlichen Einfluß der wissenschaftlichen Beratungsaktivität.
Hinzu kam, daß die Forschungsetats der öffentlichen Hand kleiner wurden und daß sich die Anforderungen an wissenschaftliche Beratungen qualitativ veränderten. Spätestens seit 1975 waren weniger planerische Grundsatzexpertisen über eine bessere Zukunft gefragt. Vielmehr bestand insbesondere in der Regierung Helmut Schmidt ein Beratungsbedarf bei der Behebung aktueller tagespolitischer Probleme mit möglichst konkret umsetzbaren Handlungsanweisungen und in möglichst kostengünstiger Form. Nicht mehr „Planung", sondern „Evaluation" und „Innovationsforschung" rückten in das Zentrum des Interesses Die Probleme, die sich mit diesem Wandel in der Nachfrage sozialwissenschaftlicher Politikberatung für den einzelnen Wissenschaftler ergaben, werden weiter unten noch ausführlich analysiert. Eines läßt sich allerdings schon vorwegnehmen: Die veränderten Erwartungen an die Ergebnisse sozialwissenschaftlicher Politikberatung bringen es mit sich, daß ein in der Politikberatung tätiger Sozialwissenschaftler in den achtziger Jahren über teilweise gänzlich andere Berufs-erfahrungen verfügen muß als ein Berater in den sechziger oder siebziger Jahren. Gefragt sind nicht mehr theoretische Herleitungen und Zukunftsmodelle, sondern konkret umsetzbares sozialwissenschaftliches „Knowhow".
III. Beratergruppen und Beratungsformen
Das Beratungsangebot seitens der Sozialwissenschaften an Regierung und Verwaltung ist, sowohl was die einzelnen Beratergruppen als auch was die Beratungsformen anbetrifft, recht unterschiedlich. So kann sozialwissenschaftliche Beratung beispielsweise in Form eines kurzen informellen Gespräches zwischen einem Wissenschaftler und einem Ministerialbeamten erfolgen. Sie kann aber auch durch komplexe Aufträge an größere Forschungsinstitute oder aber in Form von ständigen Beratergremien ablaufen. Bei dem Versuch, die verschiedenen Formen und Institutionen der politikbereich-spezifischen Beratung zu systematisieren, kommt man zu folgender Übersicht:
Diese verschiedenen Beratergruppen sollen im folgenden den unterschiedlichen Formen der Politikberatung zugeordnet werden. 1. Beiräte, Kommissionen, Sachverständigenausschüsse Zu den klassischen Informationsbeschaffungsinstrumenten der Ministerialbürokratie zählen seit jeher die Beiräte, Kommissionen und Sachverständigenausschüsse. Die Anzahl dieser Beratungsgremien auf Bundesebene, denen Wissenschaftler (aber auch Vertreter anderer Interessengruppen!) ehrenamtlich angehören, ist in den vergangenen Jahren lawinenartig gewachsen: von 91 im Jahre 1962, 146 im Jahre 1965, 203 im Jahre 1969 auf 358 Mitte der siebziger Jahre mit insgesamt über 5 600 beteiligten Wissenschaftlern und Experten
Während die Beiräte auf Dauer eingerichtete Organisationen sind, die ein Verwaltungsressort ständig über spezifische Themenkreise möglichst komplex und umfassend informieren und beraten sollen, werden Kommissionen in der Regel als beratende Gremien von zeitlich begrenzter Dauer zur Lösung komplexer Probleme herangezogen. Längerfristig arbeitende Kommissionen werden vor allem deshalb nur recht selten eingesetzt, weil die Bürokratie überwiegend auf schnell zusammengestellte Informationen und auf kurzfristig umsetzbare Beratungsergebnisse angewiesen ist. Von daher werden gerade in Ministerien sehr viel häufiger Ad-hoc-Kommissionen bzw. Ausschüsse als Beratungsformen benutzt. Die Kommissionen arbeiten gezielt an politischen Problemstellungen und ermöglichen den Beamten einen kurzfristigen Zugriff auf den gewünschten Beratungsinhalt. Freilich leiden kurzfristig erstellte Ergebnisse häufig an einer tieferen Durchdringung des untersuchten Problembereiches, d. h., notwendige, für das Gesamtverständnis wichtige, ressortübergreifende Zusammenhänge werden häufig nicht gesehen bzw. nicht ausreichend thematisiert.
Auch die Mitglieder von Sachverständigen-ausschüssen bilden eine klassische Gruppe der Politikberater Zu dem in der Öffentlichkeit wohl bekanntesten Ausschuß zählt der „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung" dessen Analysen allerdings gerade in jüngster Zeit von der außerinstitutionell arbeitenden „Memorandumgruppe" aus politischen und ideologischen Gründen stark kritisiert werden 2. Staatliche, ressorteigene Forschungsinstitute Politischen Sachverstand beschafft sich die Ministerialbürokratie schon seit Jahren auch aus den verschiedenen ressorteigenen Forschungseinrichtungen. Im Bereich der Bundesministerien wirken z. B. folgende Institutionen durch sozialwissenschaftliche Beratungstätigkeit auf die materielle Politikproduktion
Im Bereich des Bundesinnenministeriums — Bundesinstitut für Sportwissenschaft (Köln), — Umweltbundesamt (Berlin), — Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (Wiesbaden), im Bereich des Arbeits-und Sozialministeriums:
— Bundesanstalt für Arbeitsschutz-und Unfallforschung (Dortmund), — Institut für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit (Nürnberg), im Bereich des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit:
— Bundesgesundheitsamt (Berlin), im Bereich des Bundesverkehrsministeriums: — Bundesanstalt für Straßenwesen (Köln), — Bundesanstalt für Wasserbau (Karlsruhe), im Bereich des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau:
— Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung (Bonn), im Bereich des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft:
— Bundesinstitut für Berufsbildungsforschung (Berlin).
Neben diesen Instituten existieren gegenwärtig noch weitere 32 staatliche Forschungseinrichtungen die verwaltungsrechtlich Teile der Ministerien sind und somit im direkten Zugriff und gelegentlich auch unter der Weisungsbefugnis der Ministerien stehen. Obwohl diese Institute auch Grundlagenforschung betreiben bzw. für Dokumentationsund Informationszusammenstellung verantwortlich sind, besteht ihre zentrale Aufgabe darin, die Bundesministerien bei der Erarbei-tung und der Implementation von Gesetzen und anderen Entwürfen zu beraten.
Da diese Forschungseinrichtungen zumeist über einen längeren Zeitraum schon kontinuierlich mit den einzelnen Ministerien Zusammenarbeiten, weil sie quasi selbst räumlich ausgelagerte wissenschaftliche Institute der Ministerien sind, haben sie ein sehr viel differenzierteres Wissen über die verwaltungstechnischen und politischen Bedarfslagen der Verwaltungsbürokratie als etwa universitäre Einrichtungen oder gar einzelne Sozialforscher. Andererseits bringt die staatliche Einbindung dieser Institute auch das Problem jeder staatlichen Institution mit sich: sie sind bekanntermaßen nicht frei von Bürokratisierung. Außerdem haben (gemäß dem Selbstverständnis der staatlichen Verwaltung) politische Argumentationen — im Vergleich zu sachlichen Informationen und pragmatischen Handlungsanweisungen — in der konkreten Beratung ein deutlich geringeres Gewicht. Dieser Sachverhalt begründet zugleich, warum sich die Ministerialbürokratie (gerade wenn es um dezidierte politisch bewertende Beratung geht!) häufig kommerzieller Forschungsinstitute bedient. 3. Kommerzielle Forschungsinstitute Kommerzielle Forschungsinstitute werden gerade in jüngster Zeit zunehmend mehr von den Ministerien als Beratergruppen herangezogen. Der Grund hierfür liegt neben den bereits erwähnten Erwartungen an politikstrategischen Empfehlungen vor allem in der Schnelligkeit, mit der diese Institute die Informationen beschaffen. Daß diesem Service relativ hohe finanzielle Kosten entgegenstehen, wird dabei in Kauf genommen.
Generell läßt sich zwischen zwei Typen von kommerziellen Forschungsinstituten unterscheiden: — den staatlich geförderten Instituten und — den privaten Instituten.
Die staatlich geförderten wissenschaftlichen Institute kennzeichnen sich — etwa im Gegensatz zu Universitätsinstituten — dadurch aus, daß die konzeptionelle Anlage von wissenschaftlichen Großprojekten häufig schon auf die konkrete politische Umsetzung der empirischen Ergebnisse ausgerichtet ist. Deutlich wird dies insbesondere in der Formulierung des wissenschaftlichen Erkenntnisinteresses, das — bei genauerer Betrachtung — stets schon den bias des tatsächlich machbaren und praktisch verwertbaren enthält. In der Bundesrepublik fallen die klassischen fünf Wirtschaftsforschungsinstitute (IFO, München; DIW, Berlin; HWWA, Hamburg; RWI, Essen; IW, Kiel), aber auch das „Wissenschaftszentrum Berlin" mit seinen Forschungsschwerpunkten in den Bereichen Management und Verwaltung, Vergleichende Gesellschaftsforschung und Umwelt und Gesellschaft ebenso in die Kategorie der staatlich geförderten wissenschaftlichen Einrichtungen wie etwa einzelne Max-Planck-Institute. Die privat arbeitenden Forschungsinstitute, die in der Regel darauf bedacht sind, über die Aquirierung größerer empirischer Projekte hohe Gewinne zu erwirtschaften, versuchen Sich in den Beratungsinhalten möglichst optimal den politischen Bedürfnisstrukturen der Ministerialbürokratie anzupassen. Da die Beamten gerade von den privaten Instituten eine politisch-strategisch durchdachte und auch wertende Beratung erwarten, die Institute ihrerseits jedoch auf Folgeaufträge aus den einzelnen Ministerien angewiesen sind, passiert es nicht selten, daß sich die politischen Meinungen und Intentionen der Ministerialbürokratie in den Ergebnissen von finanziell recht kostspieligen, wissenschaftlich angelegten Projekten privater Forschungsinstitute widerspiegeln — ein Problem, auf das weiter unten noch genauer eingegangen wird.
Zu den einflußreichsten und größten kommerziell arbeitenden sozialwissenschaftlichen Instituten in der Bundesrepublik zählen: Battelle, Frankfurt; Infas, Bonn; Infratest, München; Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik, Köln; Prognos, Basel/Köln; Noelle-Neumann, Allensbach; Sinus, Heidelberg/München 4. Universitätseinrichtungen und individuelle Sozialforscher Zahlreiche Ministerien vergeben Forschungsaufträge auch an Universitätsinstitute bzw. an einzelne Sozialwissenschaftler. Dies geschieht vor allem, wenn hochspezialisierte Fachgebiete interessenneutral bearbeitet werden sollen.
Die Politikberatung erfolgt hier zumeist in Form von Gutachten. Diese werden einerseits zu sehr detaillierten und komplizierten Themen bestellt, andererseits aber auch zur Beschaffung von umfangreichem Grundlagen-wissen verwendet. Im Prinzip liefern Gutachten aber immer einen kompakten Sachver-stand über ein enges, spezifisches und in der Administration noch unstrukturiert vorliegendes Problemfeld. Die zentrale Funktion von Gutachten besteht darin, die erarbeiteten Befunde mit einzelnen Ressortaufgaben funktional zu koordinieren.
Eine weitere — in der Praxis keineswegs unbedeutende — Variante der Politikberatung besteht in informellen Gesprächen. Gelegenheiten für diese Gespräche bieten wissenschaftliche Kongresse, Symposien oder auch persönliche Kontakte zwischen einzelnen Mitarbeitern in universitären Forschungseinrichtungen und in der Ministerialbürokratie. Interesse an informellen Gesprächen besteht sowohl bei der Ministerialbürokratie als auch bei Wissenschaftlern. Beide Gruppen agieren in einem System wechselseitiger Vorteile. Die Beamten in den Ministerien können durch informelle Gespräche mit Experten die Transparenz von selbst zu bearbeitenden politischen Problemfeldern durch die Spontaneität und die hohe Auskunftsbereitschaft der Gesprächspartner sowie durch die Offenheit in der Argumentation schnell erhöhen Für Sozialwissenschaftler sind Kontakte zur Mini-sterialbürokratie vor allen Dingen aus Prestigegründen, vereinzelt auch wegen finanzieller Zuwendungen von Bedeutung. Politikberatend tätig zu sein, hebt und festigt sowohl das Selbstwertgefühl als auch die professionelle Anerkennung des Sozialforschers bei den Kollegen im akademischen Bereich und auch bei Vertretern aus Politik und Verwaltung
In der Bundesrepublik haben u. a. folgende universitäre Forschungseinrichtungen einen Schwerpunkt auf Politikberatung gesetzt:
— Institut für angewandte Sozialforschung der Universität zu Köln, — Zentralinstitut für sozialwissenschaftliche Forschung an der Freien Universität Berlin, — Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld, — Fachgruppe Politikwissenschaft/Verwaltungswissenschaft an der Universität Konstanz, — Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaft Speyer.
I V. Verwendungsformen von Politikberatung
Sozialwissenschaftlicher Sachverstand wird aus unterschiedlichen Gründen herangezogen und erfüllt entsprechend mehrere Funktionen. Klaus von Beyme unterscheidet folgende vier Funktionen von Politikberatung
Die Motive, welche die Praktiker dazu veranlassen, auf sozialwissenschaftliche Politikberatung zurückzugreifen, lassen sich allerdings auf zwei Punkte reduzieren: Die Ministerialbürokratie hat in der Regel ein Interesse an fachlichen Informationen und/oder politischen Analysen. Im ersten Fall übernimmt sozialwissenschaftliche Politikberatung die Funktion der Informationsbeschaffung (Problemerkennung); im zweiten Fall die Funktion der Legitimationsbeschaffung (Problemüberwachung, -Steuerung und -Schlichtung). Die Funktion der Informationsbeschaffung übernehmen insbesondere Politikberater, die in deutlicher Distanz zum politischen Entscheidungsprozeß stehen. Zumeist werden diese Berater nur einmalig, partiell und sporadisch berufen. Gerade wenn die Verwaltung an einer schnellen Problemlösung interessiert ist, bedient sie sich dieser Form der Politikberatung. Entweder geschieht dies, um den häufig vorhandenen mangelnden Sachverstand der Ministerialbürokratie in speziellen Politikbereichen zu kaschieren oder aber, um fehlende Arbeitskapazität in der Verwaltung zu ersetzen. In den Bereich der informationsbeschaffenden Politikberatung fällt beispielsweise das selektive Zusammenstellen von empirischen Ergebnissen sozialwissenschaftlicher Untersuchungen im Hinblick auf ganz konkrete, politisch umsetzbare Handlungsanweisungen und/oder ganz konkreten Fragestellungen seitens der Praktiker. Eine andere Art der Informationsbeschaffung ist über die informellen Gespräche zwischen Praktikern und Beratern gegeben. Hier werden häufig bestimmte politische Themen ganz bestimmten Entscheidungsträgern zugeordnet In beiden Fällen nehmen dann wissenschaftliche Gutachten die Funktion des zweiten „Gehirns" und der „verlängerten Werkbank" der jeweiligen Auftraggeber ein
Einen für den Auftraggeber weitaus höheren „Gebrauchswert" hat allerdings die Politikberatung in ihrer Funktion als Legitimationsbeschaflung. In dieser Rolle werden wissenschaftliche Gutachten in der Regel dazu verwendet, präventiv eine geplante politische Entscheidung durch empirische Befunde in ihrer Richtigkeit zu bestätigen oder reversiv eine längst vollzogene politische Handlung zu legitimieren -z. B. weil gesellschaftspolitische Konkurrenten oder eine parlamentarische bzw. andere vorgesetzte Stelle die Relevanz von bereits durchgeführten Initiativen in Frage stellt. In beiden Fällen liegt das Ergebnis des Gutachtens bei der Auftragserteilung in seinen Grundzügen schon fest. Daß diese Art von Beratung zwangsläufig methodisch und inhaltlich „biased" sein muß, ergibt sich aus der Natur der Sache.
Das Entscheidende an dieser Form der Politikberatung besteht nun darin, daß sich die Berater in die politische Willensbildung aktiv einbringen und damit zur persönlichen und institutionellen Verflechtung zwischen dem politisch-administrativen Bereich und dem Wissenschaftsbereich bzw.dem kommerziellen Forschungsbereich beitragen. Häufig stehen diese Politikberater in ihren Werturteilen und praktischen Handlungsanweisungen denen ihrer Auftraggeber sehr nahe. Von daher handelt es sich bei dieser Art der Beratung weniger um wertfreie, sondern vielmehr um eine stark voreingenommene und den politischen Erwartungen der Auftraggeber gerecht werdende Beratung. Zum Bereich dieser legitimationsbeschaffenden Politikberatung zählt beispielsweise die dauerhafte Teilnahme an Kommissionen oder an langfristig konzipierter sozialwissenschaftlicher Begleitforschung, aber auch die regelmäßige politische Beratung über Veränderungen in bestimmten politischen Teilbereichen, wie z. B.
in der Technologie-und Rüstungsentwicklung, den Problemen der Arbeitslosigkeit, der Umweltbedrohung und des Wertewandels.
Da sich nun aus Gründen der politischen Loyalität gegenüber dem Auftraggeber bzw.der Vertraulichkeit gegenüber den Beratungsergebniss'en nicht jeder x-beliebige Forscher oder jedes kommerziell arbeitende Institut für eine legitimationsbeschaffende Politikberatung eignet, bleibt die Frage, welche Personen oder Personengruppen aus welchem Gründen zu dieser Form der Beratung herangezogen werden. Obwohl in zahlreichen Fällen geplante Gutachten offiziell ausgeschrieben werden bzw. ausgeschrieben werden müssen, verläuft die Rekrutierung von Beratern, die durch wissenschaftliche Ergebnisse politische Legitimationsfunktionen erbringen sollen, faktisch zumeist über ein teils persönlich und teils beruflich bedingtes diffus-loyales Beziehungsgeflecht zwischen einzelnen Verwaltungsbeamten, Politikern, Wissenschaftlern und Besitzern kommerzieller Forschungsinstitute. Der Vorteil, der sich daraus ergibt, diesen Beraterkreis heranzuziehen, liegt auf der Hand: Politiker und Verwaltungsbeamte können sich der Loyalität ihrer Berater ganz sicher sein. Andererseits besteht der gewichtige Nachteil dieses Verfahrens darin, daß sich Politiker und Verwaltungsbeamte nicht oder nur selten über das informieren, was außerhalb ihres „wissenschaftlichen Beraterkreises" an politisch-handlungsrelevanten Forschungsergebnissen produziert wird. Mit anderen Worten: Es besteht eine recht blinde Forschungsgläubigkeit seitens der Ministerialbürokratie gegenüber dem, was die persönlich bekannten Politikberater zusammentragen.
V . Praxisprobleme mit sozialwissenschaftlicher Beratung
Die konkreten Probleme mit sozialwissenschaftlicher Beratung sind vielseitig. Aus dem Blickwinkel der Praxis lassen sich jedoch vier zentrale Bereiche identifizieren, in denen immer wieder Schwierigkeiten mit der sozialwissenschaftlichen Politikberatung auftauchen: — die allgemeinen Probleme der Sozialwissenschaftler gegenüber den Wirtschaftswissenschaftlern; — die forschungstechnischen Probleme;
— die Umsetzungs-und Übersetzungsprobleme; — Probleme, die sich aus dem Widerspruch zwischen dem Selbstverständnis von Sozialwissenschaftlern und den Erwartungen an wissenschaftlicher Politikberatung herleiten. 1. Sozialwissenschaften versus Wirtschaftswissenschaften Wie bereits erwähnt, lag die Politikberatung in den sechziger Jahren in erster Linie in den Händen der Ökonomen. Erst in den siebziger und achtziger Jahren konnten sich Sozialwissenschaftler als Berater in den verschiedenen politisch-administrativen Institutionen etablieren. Stellt man sich die Frage, welchen Beitrag die Wirtschaftswissenschaften einerseits und die Sozialwissenschaften andererseits in bezug auf die Analyse und die Prognose von politischen Problemen geleistet haben, so muß man zunächst konstatieren, daß sich beide Disziplinen sowohl in ihren Forschungsschwerpunkten als auch in ihrer Grundhaltung deutlich voneinander unterscheiden. Im Gegensatz zu den Wirtschaftswissenschaften liegt das Erkenntnisinteresse der sozialwissenschaftlichen Forschung primär in der Analyse der vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen dem politischen und dem ökonomischen System. Die Ökonomen entwickeln hingegen vor allem fachimmanent alternative Konzepte zur Steuerung der Wirtschaft, aus denen dann (nach dem eigenen Wissenschaftsverständnis) positive Entwicklungstendenzen im gesamtgesellschaftlichen Bereich folgen. Hinzu kommt, daß die sozialwissenschaftlichen Politikberater (im Gegensatz zu den ökonomischen Beratern) vielfach noch von einem hohen ethischen Anspruch geleitet sind, im Rahmen einer vom Grundgesetz her in ihrer Freiheit geschützten Wissenschaft einen kritisch distanzierten Beitrag für die weitere Entwicklung einer demokratischen Gesellschaft zu leisten Von daher haben die Ergebnisse der traditionellen sozialwissenschaftlichen Politikberatung, zumindest nach dem Selbstverständnis der Produzenten, primär die Funktion, zur Bewußtseinsbildung der herrschenden Elite beizutragen. Konkret bedeutet dies, daß in zahlreichen sozialwissenschaftlichen Expertisen mehr politische Probleme aufgeworfen als Problemlösungsmöglichkeiten angeboten wurden.
Entsprechend distanziert war die Reaktion der Verwaltungsadministration auf diese „Denkergebnisse", war doch das Resultat der sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse, zu Ende gedacht und auf das eigene Handeln übertragen, für den Praktiker in der Regel entmotivierend. Die erwarteten Handlungsanweisungen fehlten und die Lösung der aufgezeigten Probleme überstieg häufig den Kompetenzbereich des einzelnen Praktikers. Riesenhuber forderte deshalb, sicherlich im Sinne zahlreicher Verwaltungsbeamter, von den Sozialwissenschaften „eine Erweiterung unserer Vorstellungswelt über künftige Entwicklungen und dabei statt der zunehmend resignierten Warnung vor Gefahren der Technik endlich auch den Versuch, soziale und wirtschaftliche Gestaltungsmöglichkeiten für unsere von der Technik geprägte Zivilisation aufzuzeigen. (...) Ich befürchte, daß dem notwendigen und verdienstvollen Effekt des Aufrüttelns, der diesen Studien zukommt, allmählich nur Katzenjammer und Resignation folgen, also genau solche Grundhaltungen, die uns der Lösung solcher Probleme keinen einzigen Schritt weiterbringen."
Im Gegensatz zu der traditionellen sozialwissenschaftlichen Politikberatung liefern die Wirtschaftswissenschaftler konkrete, zum Teil an tagespolitischen Problemen anknüpfende Handlungsanweisungen, die von der Verwaltungsadministration durchgängig für die eigene Arbeit funktionaler verwertbar ist. Daß dennoch sozialwissenschaftlicher Sachverstand neben dem ökonomischen gefragt war und auch in Zukunft gefragt bleibt ist im wesentlichen darauf zurückzuführen, daß der politisch-administrative Betrieb auf Selbstbestätigung der Politik und der Ministerialbürokratie angelegt ist. Von daher sind immer noch zahlreiche Praktiker an den Analysen und Prognosen der Sozialwissenschaften interessiert, allerdings weniger, um sich hiervon die Klärung ihres eigenen politischen Wollens zu versprechen, sondern vielmehr, um sich ein differenziertes und zugleich kritisch reflektiertes Fachwissen anzueignen, was für eine berufliche Karriere innerhalb der Administration von entscheidendem Vorteil ist 2. Forschungstechnische Probleme Ein weiterer Anlaß zu Mißverständnissen im Verhältnis zwischen Sozialwissenschaft und Politikberatung ist eher forschungstechnischer Natur und liegt in der zeitlichen Durchführung von geplanten wissenschaftlichen Forschungsvorhaben sowie im Zugang zu relevanten Daten.
Angesichts der Tatsache, daß die Praktiker durch den Druck von Interessengruppen oder durch die mobilisierte öffentliche Meinung häufig unter enormer Zeitnot bei der politischen Problemlösung leiden, die Forscher ihrerseits jedoch für die Durchführung eines wissenschaftlich seriösen Gutachtens einen längeren Zeitraum benötigen, kommt es im Verlauf des Beratungsprozesses des öfteren zu beidseitigen Unzufriedenheiten. Wissenschaftler brauchen relativ viel Zeit, um die in Auftrag gegebene Problematik in der Literatur aufzuarbeiten, und noch mehr Zeit für die Durchführung von empirischen Projekten, sofern diese gewünscht werden. Gerade bei quantitativ-empirischen Untersuchungen tauchen häufig unvorhergesehene Schwierigkeiten auf, die den ursprünglich festgesetzten Abgabetermin vom Gutachten häufig um einen längeren Zeitraum verzögern.
Ein in der Praxis leider gängiges Verfahren, lieber eine qualitativ weniger niveauvolle sozialwissenschaftliche Beratung zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erhalten, anstatt um-, fangreiche, theoretisch fundierte empirische Ergebnisse zu einem Zeitpunkt, an dem die relevanten politischen Entscheidungen längst getroffen sind, ist zweifellos ein entscheidender Faktor dafür, daß einzelne Sozialwissenschaftler weniger häufig für Beratungszwecke herangezogen werden als kommerziell arbeitende sozialwissenschaftliche Institute, die schon aus Interesse an Folgeaufträgen die vertraglich ausgehandelten Abgabetermine in der Regel einhalten.
Wenn sich die Ministerialbürokratie dennoch der Sachkompetenz einzelner Sozialforscher bzw. Forschergruppen bedient, behilft man sich mit der projektbegleitenden Kommunikation zwischen Auftraggeber und Auftrag-nehmer Konkret geschieht dies beispielsweise durch das Instrument von Zwischenberichten.
In diesen Berichten zeichnen sich trendartig schon bestimmte Ergebnisse ab, so daß zumindest das Endprodukt der Beratung bereits zu einem relativ frühen Zeitpunkt in Konturen sichtbar und für den Praktiker ein-schätzbar wird. Dieses Verfahren könnte sich in Zukunft fördend auf die Nachfrage sozialwissenschaftlichen Fachwissens auswirken.
Allerdings besteht durch die Zwischenberichterstattung auch das Problem, daß die Auftraggeber noch zu einem für den Gesamtforschungsprozeß günstigen Zeitpunkt inhaltlich auf die Forschungsergebnisse einwirken können. Die Politikberatung übernimmt dann nicht mehr die traditionelle Rolle, eigenständige, umfassende Forschungsergebnisse in kritischer Distanz zur aktuellen Politik zu liefern.
Vielmehr zeichnet sich ab, daß die neue Rolle der sozialwissenschaftlichen Beratung (projektbegleitende Kommunikation) tendenziell darin besteht, kurzatmige Analysen zu erstellen, die in den meisten Fällen den Auftraggebern nur das bestätigen, was ihnen ihre Erfahrungen oder Überzeugungen schon vorher rieten.
Ein weiteres forschungstechnisches Problem besteht in der Zugänglichkeit zu Daten und zu anderen Informationsträgern, die bereits bei den Auftraggebern vorliegen In der Regel sind staatliche Institutionen sehr zurückhaltend, wenn es um die Bereitstellung von eigenem, archivierten Material geht. Dies ist einerseits auf die Vertraulichkeit zurückzuführen, mit der schriftlich vorliegende Informationen in der Administration behandelt werden. Andererseits lassen sich Praktiker auch nicht gerne in ihre „Karten" schauen, schon wegen der Befürchtung, daß man ihnen vorhalten könnte, sie hätten in den konkret vorliegenden Informationen die verborgenen wissenschaftlichen Ergebnisse nicht erkannt, oder noch schlimmer: sie hätten die wissen-schaftlichen Antworten zwar längst erkannt, “ sie jedoch aus bestimmten Gründen nicht bekanntgegeben. 3. Umsetzungs-und Übersetzungsprobleme Sozialwissenschaftler und Praktiker sprechen auch heute noch verschiedene Sprachen, obwohl seit den siebziger Jahren zunehmend mehr jüngere Leute mit sozialwissenschaftlicher Ausbildung in der Administration beschäftigt werden. Nun stehen bekanntermaßen hinter verschiedenen Sprachformen auch unterschiedliche Denkweisen. Während Praktiker in der Regel relativ unkomplizierte, selten theoriegeleitete Denkstrukturen haben, die primär auf schnelleres Erkennen und Reagieren abzielen, ist die sozialwissenschaftliche Denkweise bestimmt durch komplexe theoretische und methodische Überlegungen über Modell-bzw. Prozeßzusammenhänge.
Gerade diese unterschiedlichen Denkstrukturen und die häufig nicht vorhandene Bereitschaft, diese in irgendeiner Weise zu verändern, haben zur Folge, daß sozialwissenschaftliche Analysen nur selten praktisch verwendet werden.
Schon von der Fragestellung und der Problemformulierung her laufen viele sozialwissenschaftliche Expertisen wegen des häufig fehlenden Praxisbezugs am „Erkenntnisinteresse" der Auftraggeber vorbei. Hinzu kommt, daß die traditionelle aufklärerische sozialwissenschaftliche Beratung (vom eigenen Selbstverständnis her) einen größeren Wert auf die theoretische und methodische Absicherung ihrer Ergebnisse legt als auf handlungsrelevante (weniger streng empirisch abgesicherte) Umsetzungsvorschläge für die politische Praxis. Von daher reduziert die wissenschaftliche Analyse von politischen Problembereichen keineswegs (wie von den Praktikern gemeinhin erwartet) die Komplexität politischer Probleme, sondern bringt häufig zusätzliche Komplexität hervor, die nicht zuletzt auch durch den unterschiedlichen Kommunikationsstil begründet ist.
Sprachbarrieren zwischen Politik und Wissenschaft sind schon seit jeher vorhanden. Allerdings scheint dieses Problem gerade im Verhältnis von praktischer Politik zu Politikwissenschaft von einer grundsätzlichen Bedeutung zu sein. Es ist nämlich einigermaßen fatal, wenn sich eine Wissenschaft, deren Gegenstand die Erforschung von Politik ist, einer derart akademisierten und „verklausulierten" Sprache bedient (die zudem nicht frei ist von elitären Zügen), daß gerade die Adressaten der Forchungsergebnisse diese nicht verstehen bzw. nicht umsetzen können. (Man stelle sich einmal vor, wie die pharmazeutische Industrie auf verbal unverständliche und handlungsirrelevante Forschungsergebnisse reagieren würde!) Zu Recht beurteilen die administrativen und politischen Akteure beispielsweise die Aufwartung von immer wieder neuen Wortschöpfungen, die zur Erhaltung eines wohl reizvollen Unverständlichkeitsvorsprungs der Sozialwissenschaftler beitragen, sehr kritisch
Freilich muß an dieser Stelle /auch betont werden, daß es nicht genügen würde, komplizierte sozialwissenschaftliche Sprachmuster zu popularisieren, um sie zur praktischen Anwendung zu bringen Die Komplexität mancher politischer Problembereiche kann eben nicht immer sprachlich vereinfacht dargestellt werden. Ein Nachschlagewerk, z. B. für die oben erwähnten pharmazeutischen Produkte, enthält sicherlich auch komplizierte Sprachmuster, ohne jedoch irrelevant oder praxisfern zu sein.
In der politischen Praxis werden unverständlich formulierte bzw. politisch nicht oder nur teilweise umsetzbare sozialwissenschaftliche Expertisen auf zweierlei Weise „verarbeitet": Zum einen werden nicht selten sozialwissenschaftliche Ergebnisse aus der Auftragsforschung, in die erhebliche finanzielle Mittel investiert wurden, unausgewertet „verschubladisiert". Dieses Verfahren ist (sieht man einmal von der offenkundigen Fehlinvestition ab) politisch nicht weiter bedeutend. Problematischer ist der zweite Weg, sozialwissenschaftliche Ergebnisse zu verarbeiten: Es kommt nämlich nicht selten vor, daß sich Verwaltungsbeamte ohne sozialwissenschaftliche Vorbildung in Ermangelung konkreter Handlungsanweisungen selbst an die Interpretation des Materials begeben. Häufig werden dann sozialwissenschaftliche Expertisen wie ein Steinbruch behandelt, aus dem man her-ausbricht, was in das eigene Konzept bzw. Weltbild paßt. Ganz besonders problematisch ist dieses Verhalten bei der politischen Verwertung von quantitativ-empirischen Daten, weil hierbei die große Gefahr einer einseitigen Interpretation bzw. Überinterpretation von Daten besteht
Wenn es nun richtig ist, daß Politikberatung u. a. die Aufgabe hat, „Forschungsergebnisse aus dem Horizont leitender Interessen, die das Situationsverständnis der Handelnden bestimmen, zu interpretieren" dann müssen auf der Umsetzungsebene von Wissenschaft in Politik auf zweifache Weise pragmatische Korrekturen vorgenommen werden: Zum einen muß die „Mehrsprachigkeit" von Sozialwissenschaftlern kultiviert werden, d. h. Sozialwissenschaftler müssen lernen, sich vor unterschiedlichem Publikum sprachlich durchaus komplex, aber auch verständlich auszudrücken, unter Umständen auch unter Verzicht auf den „Transport" von einigen politischen „messages". Zum anderen wäre zu überlegen, ob ein didaktisches Konzept des Transfers wissenschaftlicher Ergebnisse und Denkweisen, welches den Expertisen vorangestellt sein müßte, die Umsetzungsprobleme reduzieren könnte. 4. Wissenschaftliches Verständnis und Erwartungen an Politikberatung Die bisherigen Ausführungen haben schon ansatzweise gezeigt, daß die Probleme mit sozialwissenschaftlicher Politikberatung entscheidend auf den Widerstand zwischen dem Selbstverständis von Wissenschaftlern (hinsichtlich ihrer eigenen Arbeit) einerseits und den Erwartungen an sozialwissenschaftlicher Politikberatung (seitens der Praktiker) andererseits zurückzuführen sind. Wissenschaftler machen nach dem eigenen Selbstverständnis in ihren theoretischen und methodischen Abhandlungen von der sogenannten Freiheit der Wissenschaft Gebrauch, um möglichst objektive, wissenschaftlich nicht „angreifbare" Ergebnisse zu produzieren. Daß diese wissenschaftlichen Befunde in der Regel entweder sehr allgemein, sehr komplex oder aber allgemein-komplex ausfallen, ist genau das Problem der meisten Praktiker
Letztere sind in ihrer Rolle zwar auf sozialwissenschaftliche Informationen angewiesen. Sie besitzen jedoch (im Gegensatz zu den Wissenschaftlern) in der Regel ein Wissenschaftsverständnis, das zwar auf inhaltliche Genauigkeit, aber nicht unbedingt auf Objektivität der Ergebnisse zielt. Angesichts der Tatsache, daß sozialwissenschaftliche Befunde häufig als Instrument der politischen Auseinandersetzung eingesetzt werden interessiert die Praktiker die methodische Exaktheit einer Untersuchung nur insoweit, als die empirischen Ergebnisse in der Öffentlichkeit haltbar sein müssen. In der Administration ist man von einer Sucht nach aktuellen Umfrageergebnissen geradezu besessen, insbesondere, weil sich mit diesen Daten die öffentliche Meinung wiederum „machen" läßt.
Hinzu kommt, daß Relevanz und Qualität von wissenschaftlichen Untersuchungen letztlich danach beurteilt werden, ob die Ergebnisse konkrete Handlungsanweisungen liefern
Gerade die hierdurch betriebene „Unterwanderung" des Elements der Wissenschaftsfreiheit durch selektive Wahrnehmung und Verwertung von sozialwissenschaftlichen Ergebnissen hat in den vergangenen Jahren zu einem starken, nur schwer überwindbaren Spannungsverhältnis zwischen Wissenschaftlern und Praktikern geführt.
Nun könnte man freilich die These vertreten, daß der Ausweg aus dieser Malaise darin bestehen müsse, den Sozialwissenschaften noch stärker als bisher eine Aufklärungsfunktion zuzuschreiben. Die Tatsache, daß sozialwissenschaftliche Begriffe und Konzepte wie z. B.
Politikverflechtung, Bürgernähe, Wertewandel, Implementation und Vollzugsdefizit Eingang in den Fachjargon der Praktiker gefunden haben, deutet nämlich darauf hin, daß sozialwissenschaftliche Analysen nicht nur konkrete Handlungsanweisungen liefern müssen, um beachtet zu werden. Politische Aufklärung, d. h. kritische Analyse und Reflexion gesellschaftlicher Entwicklung, kann und soll allerdings nicht der Begrenztheit von Tagespolitik untergeordnet werden, sondern bedarf der umfassenden, komplexen Forschung, die nach Möglichkeit ein Mindestmaß an Distanz zwischen Forschenden und Entscheidenden haben sollte. Definiert man die Funktion von Sozialforschung ausschließlich als Aufklärungswissenschaft, dann entsteht freilich das Problem, daß die politikbezogene Sozialwissenschaft um so weniger politikberatende Funktionen übernehmen kann, je konkreter sie für tagespolitische Entscheidungshilfen herangezogen wird. Bleibt also zu fragen, welche Perspektiven sozialwissenschaftliche Politikberatung in der Bundesrepublik unter den hier aufgezeigten Rahmenbedingungen überhaupt noch hat.
VI. Perspektiven der sozialwissenschaftlichen Politikberatung
Die eigentliche Schwachstelle in der Beziehung zwischen Politikberatern und Beratenden ist offenkundig bestimmt durch das mangelnde wechselseitige Verständnis vom jeweils unterschiedlichen Arbeitsstil und von der Arbeitsmethodik, vom Zeitbudget und vom Informationsbedürfnis. Um dieses Problem zu lösen, macht E. H. Ritter den Vorschlag, „Berater wie Beratende sollten die Bedingungen, denen ihr Verhältnis unterliegt, akzeptieren. Das wäre ein wichtiger Schritt, um die derzeitigen Verkrampfungen abzubauen."
In diesem Zusammenhang formuliert er vier konkrete Grundsätze, die einerseits zum Erhalten der gesellschaftlichen Funktion von Wissenschaft und andererseits zur Funktionsfähigkeit demokratischer Kontrolle politischer Vorgänge beitragen sollen. Hierzu zählen
— die Herstellung der Öffentlichkeit im Beratungsprozeß und in den Beratungsergebnissen (z. B. Öffnung zum Bürgerdialog; Recht zur Publikation von Beratungsergebnissen); — die offene Auswahl der Berater und Offenlegung der Beratungsverhältnisse (z. B. um die Verflechtungen zwischen dem wissenschaftlichen und dem politischen Raum transparenter zu machen);
— ausgewogene Regelungen zur Unabhängigkeit und Verantwortung des Beraters (weil dies wichtig ist für die Qualität der Beratung); — zeitliche Befristung und Rotation der beratenden Personen (z. B. um Abnutzungserscheinungen und Verkrustungen in der Beratung durch Dauerbeschäftigungsverhältnisse zu vermeiden).
Zweifellos würde die Realisierung dieser vier Grundsätze das Verhältnis von Wissenschaft und politischer Praxis entscheidend verbessern. Eines der zentralen Grundübel sozialwissenschaftlicher Politikberatung ist damit allerdings noch nicht behoben: Nach den gegenwärtigen Erkenntnissen steht außer Frage, daß der Umsetzung sozialwissenschaftlicher Informationen in praktisch-politische Handlungsanweisungen, gerade im Zusammenhang mit der Diskussion über die perspektivische Beständigkeit sozialwissenschaftlicher Politikberatung, größte Aufmerksamkeit geschenkt werden muß. In den vorangegangenen Abschnitten konnte gezeigt werden, daß Wissenschaftler selber in der kon-kreten Umsetzung ihrer Forschungsergebnisse in praktische Politik entweder überfordert sind oder aber diese Umsetzung gar nicht selber vornehmen wollen. Hinzu kommt, daß ihnen häufig nicht nur die notwendigen fachlichen Qualifikationen, sondern auch die konkreten Erfahrungen in politisch-administrativen Entscheidungs-und Meinungsbildungsprozessen fehlen. Wenn allerdings die Verwertung sozialwissenschaftlicher Forschung (und hier bietet sich im Bereich der Politikwissenschaft vor allem die Policy-Forschung an) verbessert und nicht im politisch-administrativen System folgenlos „verschubladisiert" werden soll, kommt es darauf an, qualifizierte Verbindungspersonen im Bereich der Politikberatung zu finden bzw. auszubilden, die an der Nahtstelle zwischen Wissenschaft und politischer Praxis arbeiten. Um es noch genauer zu sagen: Was die politischen und staatlichen Institutionen in der Bundesrepublik brauchen, sind neben aufklärerisch tätigen Sozialforschern vor allem auch fachlich qualifizierte Fragesteller, Übersetzer und Interpreten sozialwissenschaftlicher Informationen. Diese Tätigkeit, die sich beispielsweise als „wissenschaftspolitischer Dolmetscher" oder „Organisator wissenschaftlicher Politik-beratung" beschreiben ließe, wäre ein zukünftiges Aufgabenfeld primär auch für Politologen
In den Bereich dieses neuen Berufsfeldes würden z. B. folgende spezifische Tätigkeiten fallen:
— Beobachtung des „Wissenschaftsmarktes", d. h. auf dem neuesten Stand der Literatur zu sein, an Kongressen, Fachtagungen etc. teilzunehmen, um neue verwertbare wissenschaftliche Ergebnisse zu einem relativ frühen Zeitpunkt der Verwaltung transparent zu machen. — Rechtzeitige Wahrnehmung von perspektivisch relevanten politischen Problemfeldern, um diese (falls noch nicht geschehen) in wissenschaftliche Fragestellungen umzuformulieren und ausgewählten Politikberatern zur Analyse zu übergeben.
— Enge Betreuung von laufenden wissenschaftlichen Gutachten bzw. differenzierte Formulierung von zukünftigen Forschungsvorhaben, um Kommunikationsbarrieren und inhaltliche Mißverständnisse zwischen Wissenschaftlern und Praktikern abzubauen. — Ausarbeitung von didaktischen Konzepten, um zum einen den Transfer wissenschaftlicher Denkweise in die Administration und zum anderen den Transfer administrativer Denkweise in die Wissenschaft zu garantieren.
Aus der Beschreibung dieser Aufgabenfelder wird klar, daß die Qualifikationsmerkmale eines „wissenschaftspolitischen Dolmetschers" sowohl im Bereich der Wissenschaft als auch der politischen Praxis angesiedelt sein müssen. Konkrete Erfahrungen durch eigene Tätigkeit in der Administration sind ebenso wichtig wie eigene Mitarbeit an empirischen Projekten bzw. wissenschaftlichen Forschungsinstitutionen. Wenn es nun richtig ist, daß Personen mit diesen Qualifikationen zukunftsperspektivisch ein neues Berufsfeld für Politologen bilden, dann sind politikwissenschaftliche Institute in der Bundesrepublik, die einen Diplom-Politologen-bzw. Magister-Studiengang anbieten, dafür verantwortlich, daß zumindest ein Teil der Studenten mit diesen Qualifikationsmerkmalen versehen wird. Weil dies bislang in der Bundesrepublik noch nicht geschehen ist (mit Ausnahme des Fachbereichs Politikwissenschaft an der FU Berlin, der einen Studienschwerpunkt „Politikberatung" institutionalisiert hat), muß eine weitere intensive Diskussion über neu zu aquirierende Berufsbilder für Politologen geführt werden, die seit langem überfällig ist.
Ferdinand Müller-Rommel, Dr. rer. pol., geb. 1952; Studium der Politikwissenschaft und Soziologie in Tübingen, Gainesville (Florida), Ann Arbor (Michigan) und Hamburg; 1979— 1981 Wissenschaftlicher Assistent an der FU Berlin; 1982— 1983 Politikberater im Bundeskanzleramt; danach Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule Lüneburg; ab August 1984 Harvard University. Veröffentlichungen u. a.: Empirische Politikwissenschaft (zusammen mit Manfred G. Schmidt), Stuttgart 1979; Innerparteiliche Gruppierungen in der SPD, Opladen 1982; zahlreiche Aufsätze zum Themenbereich Wahlforschung, Werte-wandel „Grüne".
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