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Zwischen Konfrontation und Interessenausgleich Zur Entwicklung und gesetzlichen Regelung der Mitbestimmung in der Frühzeit der Bundesrepublik | APuZ 18/1985 | bpb.de

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APuZ 18/1985 Artikel 1 Adenauers erste Koalitions-und Regierungsbildung im Spätsommer 1949 Zwischen Konfrontation und Interessenausgleich Zur Entwicklung und gesetzlichen Regelung der Mitbestimmung in der Frühzeit der Bundesrepublik Auf dem Wege zur DDR (1948/1949)

Zwischen Konfrontation und Interessenausgleich Zur Entwicklung und gesetzlichen Regelung der Mitbestimmung in der Frühzeit der Bundesrepublik

Gabriele Müller-List

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Zusammenfassung

Die Mitbestimmungsfrage stellte die Bundesrepublik schon bald nach ihrer Gründung vor eine der schwierigsten Bewährungsproben in ihrer bisherigen Geschichte. Vor allem das 1951 verabschiedete Montanmitbestimmungsgesetz zählt bis heute zur innenpolitischen Fundamentalgesetzgebung. Mit der Einigung zwischen Unternehmern und Gewerkschaften und der Anerkennung durch den Gesetzgeber erfuhr der neue Staat, kaum zwei Jahre nach seiner Gründung, eine wesentliche Festigung. Von entscheidender Bedeutung für das Zustandekommen des Montanmitbestimmungsgesetzes war die 1947 in den von den Alliierten entflochtenen Eisen-und Stahlgesellschaften mit Billigung der britischen Besatzungsmacht eingeführte paritätische Mitbestimmungsregelung. Ohne diese Vorgabe wäre es wohl kaum zur Krisensituatipn im Winter 1950/51 gekommen, als sich die Gewerkschaften zum Kampf für den Bestand der Montanmitbestimmung entschlossen hatten. Ausschlaggebend für die insbesondere die Gewerkschaften befriedigende Beilegung des Konflikts war letztlich der Kontext der innen-und außenpolitischen Situation, vorrangig die Verhandlungen zum Schumanplan und die Beratungen über die Neuordnung der Montankonzerne. Diese Gegebenheiten wußten sowohl Adenauer wie Böckler mit größtem Geschick einzuschätzen und für die eigenen Interessen zu nutzen. Daß letztlich diese äußeren Umstände, nicht aber die Kampfentschlossenheit der Gewerkschaften maßgebend waren für das Zustandekommen des Montanmitbestimmungsgesetzes, zeigte sich spätestens bei den folgenden Beratungen zum Betriebsverfassungsgesetz. Da inzwischen die Rahmenbedingungen für die Gewerkschaften weitaus weniger günstig waren, vermochten auch die jetzt tatsächlich durchgeführten Streikaktionen nicht zum Erfolg zu führen. Die Taktik der Gewerkschaftsführung, auf dem Wege der Kooperation mit der Bundesregierung ihre Ziele zu erreichen, scheiterte in dem Moment, als für die Regierung keine Veranlassung mehr zu besonderer Rücksichtnahme bestand, über Jahre hinweg blieb fortan das Bemühen der Gewerkschaften auf die Ausweitung der in der Montanindustrie geltenden Mitbestimmungsrechte auch auf den übrigen Bereich der Wirtschaft gerichtet

Die Mitbestimmungsfrage stellte die Bundesrepublik schon bald nach ihrer Gründung vor eine der schwierigsten Bewährungsproben in ihrer bisherigen Geschichte Wenn noch heute, mehr als dreißig Jahre nach seiner Verabschiedung, das sog. Montanmitbestimmungsgesetz als zur . Ausstattung dieser Republik" gehörig bezeichnet wird so unterstreicht das die besondere Bedeutung der Mitbestimmungsproblematik. Daß damals gerade dieses Gesetz weit über den parlamentarischen Bereich hinaus die Öffentlichkeit bewegte, kann nicht verwundern, prallten doch hier nicht nur unterschiedliche Meinungen und Interessen, sondern in erster Linie ideo-logische Gegensätze aufeinander.

Von den einen als Musterbeispiel für den Ausgleich der Interessen gefeiert, wurde die paritätische Mitbestimmung von den andern als erster Schritt auf dem Wege zur drohenden Sozialisierung verteufelt. Nicht unerheblich war in der damaligen Situation die Tatsache, daß die zur Debatte stehende Mitbestimmungsregelung — die paritätische Besetzung der Aufsichtsräte und die gleichberechtigte Stellung des Arbeitsdirektors im Vorstand — bereits seit 1947 in der nordrhein-westfälischen Eisen-und Stahlindustrie praktiziert wurde.

I. Mitbestimmung nach dem Zusammenbruch 1945

1. Grundzüge alliierter Wirtschaftspolitik Nach der Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945 war die künftige Entwicklung weitgehend bestimmt durch die Absichten der Alliierten. Für den Bereich der Wirtschaft legte das Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 die entscheidenden Richtlinien fest: Punkt 12 der Beschlüsse sah die Dezentralisierung der deutschen Wirtschaft, die Auflösung von Kartellen, Syndikaten, Trusts und

Monopolvereinigungen vor. Darüber hinaus hatte die deutsche Industrie mit Reparationsleistungen, Produktionsbeschränkungen und weitgehenden Demontagen zu rechnen. Besonders betroffen von den anstehenden Maßnahmen war das der britischen Militärregierung unterstellte Ruhrgebiet als industrielles Zentrum Deutschlands. Durch die am 28. Juli 1945 bei den Wahlen in Großbritannien zum Zuge gekommene Labour-Regierung kamen Fragen wie Sozialisierung und Vergesellschaftung in die Diskussion, ohne allerdings zu einer Entscheidung zu führen.

Ungeachtet der noch zu klärenden Eigentumsfrage wurden jedoch schon bald nach dem Zusammenbruch den bisherigen Eigen-tümern im besonders wichtigen Montanbereich ihre Verfügungsrechte entzogen. Nachdem die britische Militärregierung am 22. Dezember 1945 das Vermögen des deutschen Kohlebergbaus beschlagnahmt und die Zechengesellschaften ihrer Kontrolle unterstellt hatten, folgte knapp ein Jahr später, am 20. August 1946, die Beschlagnahme der Eisen-und Stahlindustrie. Zur Kontrolle und Neuordnung dieses Industriezweiges wurde gleichzeitig die North German Iron and Steel Control (NGISC) eingerichtet, nach deren Weisungen die zwei Monate später gebildete deutsche Treuhandverwaltung die mit der Kontrolle verbundenen Maßnahmen durchzuführen hatte.

Ohne einer Entscheidung über die Eigentumsregelung und die endgültige Neuordnung, die später ein noch zu bildendes deutsches Parlament fällen sollte, vorzugreifen, bestand die wesentlichste Aufgabe der NGISC darin, die Werke der Eisen und Stahl erzeugenden Unternehmen aus den Konzernen auszugliedern und sog. Betriebsführungsgesellschaften zu gründen. Damit war neben dem Ziel, die unerwünschte wirtschaftliche Machtkonzentration zu beseitigen, auch die Absicht verbunden, die Organisation der Industrie so zu gestalten, daß die Interessen aller Beteiligten in angemessener Weise sichergestellt wurden. Hier bot sich daher den neugegründeten Gewerkschaften ein Realisierungsansatz für ihre bereits in der Weimarer Zeit entwickelten Mitbestimmungsforderungen. 2. Vorstellungen von Gewerkschaften und Unternehmern Neben der vorrangigen Forderung nach Sozialisierung der Schlüsselindustrien zählte auch die wirtschaftliche Mitbestimmung von Anfang an zu den angestrebten Zielen der Gewerkschaften. Die Weimarer Republik, so ihre Auffassung, sei gescheitert, weil die politische nicht durch die wirtschaftliche Demokratie ergänzt worden wr Ausgangspunkt für die gewerkschaftlichen Forderungen war das von dem Wirtschaftspolitiker Fritz Naph-tali erarbeitete Konzept der Wirtschaftsdemokratie, das 1928 auf dem Hamburger Kongreß des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) zum Kernpunkt des gewerkschaftlichen Programms erhoben worden war

Wie in Naphtalis Vorlage wurde auch in dem nach 1945 maßgeblich von Viktor Agartz — ab 1948 Mitgeschäftsführer des neuen Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts der Gewerkschaften — entwickelten Konzept der überbetrieblichen gegenüber der betrieblichen Mitbestimmung Vorrang eingeräumt Man glaubte allgemein, auf dem Wege der Umwandlung der Industrie-und Handelskammern in paritätische, öffentlich-rechtliche Körperschaften einen stärkeren Einfluß auf das gesamte Wirtschaftsgeschehen gewinnen zu können. Erst nach 1949 sollte dann die betriebliche Mitbestimmung stärker in den Vordergrund rücken. Für Monopolunternehmen allerdings forderte Agartz im Gegensatz zu Naphtali auch zu Anfang schon die gleichberechtigte Vertretung der Gewerkschaften in Vorstand und Aufsichtsrat.

Auf der ersten Gewerkschaftskonferenz der britischen Zone vom 12. bis 14. März 1946 in Hannover-Linden erklärte der Zonenvorsitzende und spätere Bundesvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Hans Böckler: „Wir müssen in der Wirtschaft selber sein, also völlig gleichberechtigt vertreten sein, nicht nur in einzelnen Organen der Wirtschaft, nicht in den Kammern der Wirtschaft allein, sondern in der gesamten Wirtschaft. Also der Gedanke ist der: Vertretung in den Vorständen und Aufsichtsräten der Gesellschaften." Ein Entgegenkommen in der Mit-bestimmungs-wie in der Eigentumsfrage glaubten die Gewerkschaften als Gegenleistung für ihr Bemühen um Wiederankurbelung der deutschen Wirtschaft, ihren Verzicht auf eine aggressive Lohnpolitik, kurz, für ihre pragmatische und kooperationswillige Haltung beim Wiederaufbau von den Alliierten, später auch von der Bundesregierung wie von den Arbeitgebern erwarten zu können.

Erleichtert wurde der Kontakt zur Unternehmerschaft durch die gemeinsame Sorge um die Zukunft der deutschen Industrie. Angesichts der Zerstörung vieler Industrieanlagen, den von der Militärregierung angeordneten Produktionsbeschränkungen und drohenden Demontagen setzten die Unternehmer vielfach ihre Hoffnung auf die Arbeitskraft als das einzig noch verbliebene Kapital. Die Gewerkschaften, die sich in Anbetracht der schlechten Ernährungslage, großer Wohnungsnot und anhaltendem Verfall der Reallöhne zum einen darum bemühten, die Situation der Arbeiter zu verbessern, die zum andern aber auch Streiks zu vermeiden und in den Betrieben für Ruhe zu sorgen trachteten, wurden dabei von den Arbeitgebern als ausgleichender und stabilisierender Faktor geschätzt. Es lag also nahe, die Leistungen der Arbeiterschaft und ihrer Gewerkschaften zu honorieren. Ihre grundsätzliche Bereitschaft dazu zeigten die Unternehmer in zahlreichen Gesprächen, über das Maß der den Arbeitnehmern zuzugestehenden Mitbestimmung allerdings war man in Unternehmerkreisen unterschiedlicher Auffassung. Obwohl allseits eine baldige, möglichst einheitliche Regelung gewünscht wurde, kam es zu keiner Einigung. Man entschied sich schließlich dafür, zunächst einmal eine offizielle Regelung abzuwarten. 3. Alliiertes Betriebsrätegesetz Die anfangs fehlende gesetzliche Grundlage für die Arbeit der Betriebsräte hatte in der allgemeinen Unsicherheit der ersten Nachkriegsmonate dazu geführt, daß sich die Betriebsräte mancherorts weitgehende Befugnisse sichern konnten. Die ungeklärte Sachlage ließ jedoch Unruhe in den Betrieben aufkommen. Hier und da auftretende chaotische Zustände, denen auch durch großangelegte Verhaftungsaktionen unter der Unternehmerschaft im Zuge der Entnazifizierung Vorschub geleistet wurde, machten eine baldige gesetzliche Regelung der Mitbestimmung erforderlich. Auf deutscher Seite wurden entsprechend bald Initiativen dazu ergriffen.

In der britischen Zone war bereits 1945 beim Düsseldorfer Landesarbeitsamt ein Arbeitsrechtsausschuß gebildet worden. Ausgehend vom Weimarer Betriebsrätegesetz vom 4. Februar 1920 erarbeitete dieser den Entwurf eines Gesetzes über die Arbeitnehmervertretung in den Betrieben. Ähnliche Bemühungen gab es auch in anderen Ländern der westlichen Besatzungszonen. Zum Zuge kam allerdings keiner der Entwürfe, da der alliierte Kontrollrat am 10. April 1946 ein für alle Zonen geltendes Betriebsrätegesetz erließ

Dieses nur 13 Artikel umfassende Kontrollratsgesetz Nr. 22 gab lediglich Rahmenrichtlinien vor; die endgültige gesetzliche Regelung sollte nach dem Willen der Alliierten einem späteren deutschen Parlament vorbehalten bleiben. Die Versuche einiger Länder, vorab weitergehende Mitbestimmungsansprüche der Arbeitnehmer auf dem Wege eigener Betriebsrätegesetze zu verankern, scheiterten. Mit der gleichen Begründung, mit der auch die Sozialisierung in Hessen und Nordrhein-Westfalen unterbunden wurde — daß nämlich solch bedeutende wirtschaftspolitische Entscheidungen nur von einer gesamtdeutschen Regierung getroffen werden könnten —, wurden die in den Betriebsrätegesetzen Hessens und Württemberg-Badens enthaltenen Bestimmungen über die wirtschaftliche Mitbestimmung von der Militärregierung suspendiert. Nachdem das Kontrollratsgesetz erlassen worden war, ohne eine klare Regelung zu treffen, sahen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer vor die Notwendigkeit gestellt, die Lücke auf dem Vereinbarungswege auszufüllen. Auf der Grundlage von Artikel V des Gesetzes, der über die allgemeinen Grundsätze hinausgehende Betriebsvereinbarungen zuließ, wurden in der Folgezeit in etlichen Betrieben derartige Vereinbarungen getroffen. Eine einheitliche Regelung konnte aber auch auf diesem Wege nicht erzielt werden. 4. Einführung der paritätischen Mitbestimmung Im Herbst 1946 begannen in der britischen Zone Gespräche zwischen der North German Iron and Steel Control, der deutschen Treuhandverwaltung, den Gewerkschaften und den Konzernen über die anstehenden Neuordnungsmaßnahmen. Dabei entwickelte sich in der Erwartung gegenseitiger Unterstützung schnell ein besonders gutes Verhältnis zwischen dem Gewerkschaftsvorsitzenden Hans Böckler und Heinrich Dinkelbach, dem Leiter der deutschen Treuhandverwaltung. Hier fand Böckler offene Ohren für seine Forderung auf volle verantwortliche Einschaltung der Arbeitnehmer in die Neuordnung, insbesondere durch gleichberechtigte Beteiligung bei der Besetzung der Vorstände und Aufsichtsräte. Im Gegensatz zur Unternehmerschaft wurden dann die Gewerkschaften auch frühzeitig über die Einzelheiten der geplanten Entflechtung informiert. Unter der Voraussetzung, daß ihre Mitbestimmungsforderungen volle Berücksichtigung fänden, erklärten die Gewerkschaften trotz einiger Bedenken ihre Zustimmung zu diesem Vorhaben

Um so bestürzter reagierten die Konzernvertreter, als endlich auch sie über die Grundzüge des Entflechtungsplanes, durch den sie die Wirtschaftlichkeit der noch existierenden Montanunternehmen bedroht sahen, unterrichtet wurden. Ihre Hoffnung, in den nachfolgenden Beratungen ihre Einwendungen gegen das Ausmaß der beabsichtigten Maßnahmen geltend machen und eine Milderung erreichen zu können, erfüllten sich nicht. Als letzter Ausweg erschien den Montanunternehmern ein Bündnis mit den Gewerkschaften. Beim Versuch, diese zur gemeinsamen Abkehr der umfassenden Entflechtungspläne bewegen zu können und aufbauend auf ihrer schon früher geäußerten Bereitschaft zu Zugeständnissen an die Arbeiter und ihre Gewerkschaften, legten einige Unternehmer jetzt weitreichende Angebote vor. So boten die Klöckner-Werke AG in Duisburg und die

Gutehoffnungshütte AG in Oberhausen in Briefen vom 18. Januar 1947 den Gewerkschaften die paritätische Vertretung in Aufsichtsrat und Vorstand an

Inzwischen war aber bereits die Entflechtung eingeleitet. Die Gründungstermine für die ersten vier Gesellschaften, die aus ihren bisherigen Konzernbindungen gelöst und in selbständige Aktiengesellschaften umgewandelt werden sollten, standen fest. Dank des Entgegenkommens der britischen Militärregierung und insbesondere der konkreten Zusicherungen Dinkelbachs hatten es die Gewerkschaften nicht nötig, auf die Vorschläge der Konzernvertreter einzugehen Sie ließen Dinkelbach wissen, daß sie sich bei der Erörterung der Unternehmerangebote eindeutig für den Entflechtungsplan der Treuhandverwaltung entschieden hätten. Noch im Februar 1947 wurden die ersten neuen Gesellschaften gegründet: das Hüttenwerk Oberhausen AG (vorher Gutehoffnungshütte Oberhausen AG), das Hüttenwerk Hoerde AG (vorher Vereinigte Stahlwerke AG), die Stahlwerke Bochum AG (vorher Otto-Wolff-Gruppe) und das Hüttenwerk Haspe AG (vorher Klöckner-Werke AG). Bis April 1948 fanden weitere zwanzig Neugründungen statt.

Damit war die erste Phase der Entflechtung abgeschlossen. Die Aufsichtsräte aller neuen Gesellschaften wurden nach dem Grundsatz der Parität gebildet: je fünf Unternehmer-und Arbeitnehmervertreter sowie als elftes Mitglied ein Vertreter der Treuhandverwaltung. Von den fünf Unternehmervertretern wurden drei von den Konzernen vorgeschlagen, einer kam aus den Leitungen der entflochtenen Gesellschaften und der fünfte war ein der Unternehmerseite nahestehender Vertreter der öffentlichen Hand. Die Gruppe der fünf Arbeitnehmervertreter bestand aus zwei Betriebs-ratsmitgliedern — und zwar je einem Angestellten und Arbeiter —, zwei Gewerkschaftsvertretern und einem den Gewerkschaften nahestehenden Vertreter der öffentlichen Hand. Neben dem technischen und dem kauf-männischen Mitglied gab es in den neuen Gesellschaften ein Vorstandsmitglied, das für den Sozialbereich zuständig war: den Arbeitsdirektor.

Damit war das Modell für das spätere Montanmitbestimmungsgesetz des Bundes von 1951 vorgegeben. Im Gegensatz zu den Differenzen in der Entflechtungsfrage wurde die Mitbestimmungsregelung zu diesem Zeitpunkt von keiner Seite ernsthaft in Frage gestellt. In Anbetracht des Hauptziels, nämlich Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft, gab es auch in der Öffentlichkeit zunächst keinerlei Kontroversen. Erst in den folgenden Jahren sollte die Mitbestimmungsfrage in den Mittelpunkt der Diskussion rücken und zu schwerwiegenden Konflikten Anlaß geben.

II. Bemühungen um ein Mitbestimmungsgesetz auf Bundesebene

1. Ausgangspositionen der politischen und gesellschaftlichen Interessengruppen Nachdem die Wahlen zum ersten Deutschen Bundestag am 14. August 1949 einen Sieg der bürgerlichen Parteien gebracht hatten, bildete Bundeskanzler Adenauer eine Koalition aus CDU und CSU, mit Freien Demokraten und Deutscher Partei. In seiner Regierungserklärung forderte der Kanzler August 1949 einen Sieg der bürgerlichen Parteien gebracht hatten, bildete Bundeskanzler Adenauer eine Koalition aus CDU und CSU, mit Freien Demokraten und Deutscher Partei. In seiner Regierungserklärung forderte der Kanzler 13) am 20. September 1949: „Die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern müssen zeitgemäß neu geordnet werden. Ein verständiger Ausgleich sozialer Gegensätze ist eine unumgängliche Voraussetzung für den Aufstieg unseres Volks. Dieser Ausgleich muß durch die Sozialpartner selbst herbeigeführt werden. Die sozial-und gesellschaftspolitische Anerkennung der Arbeitnehmerschaft macht eine Neuordnung der Besitzverhältnisse in den Grundindustrien notwendig."

Mit der Konstituierung der Bundesrepublik war die Mitbestimmungsfrage nicht mehr auf die britische Zone beschränkt, sondern sie stellte sich bundesweit. Zugleich ging es jetzt um eine Regelung für die gesamte Wirtschaft, nicht mehr nur für Eisen und Stahl. Ein Gesetz auf Bundesebene mußte jedoch auf Schwierigkeiten stoßen: Die weitgehende Einigkeit unter den politischen und gesellschaftlichen Kräften der ersten Nachkriegsjahre war nicht nur unter dem Einfluß der Amerikaner und ihrer Durchsetzung eines privatwirtschaftlichen Systems nach und nach verlorengegangen. Widerstände kamen in erster Linie von den Freien Demokraten, die sich auch vorher in ihren programmatischen Äußerungen nie für die wirtschaftliche Mitbestimmung der Arbeitnehmer ausgesprochen hatten Auch die CDU hatte ihre Haltung geändert. Hatte sie in ihrem Ahlener Programm der britischen Zone vom 3. Februar 1947 noch eine weitreichende Mitbestimmung gefordert, so war in den Düsseldorfer Leitsätzen vom 15. Juli 1949 nicht mehr von der wirtschaftlichen, sondern nurmehr von einer allgemeinen Mitbestimmung der Arbeitnehmer die Rede Die Sozialdemokraten dagegen, die anfangs das Schwergewicht auf die Sozialisierung gelegt hatten, verstärkten wie die Gewerkschaften die Forderung nach Mitbestimmung, als mit zunehmendem Einfluß der Amerikaner und der Politik der Westintegration eine baldige Sozialisierung in die Ferne gerückt war. Neben der Sozialisierung der Grundstoff-und Schlüsselindustrien wurde dann auch in den sog. Dürkhei-mer 16 Punkten die Mitbestimmung der Arbeitnehmer und die gleichberechtigte Einbeziehung der Gewerkschaften als Ziel der sozialdemokratischen Politik im Bundestag genannt.

Neben den Parteien bezogen auch die Kirchen in der Mitbestimmungsfrage klar Stellung. Auf dem 73. Deutschen Katholikentag, der vom 31. August bis 4. September 1949 in Bochum stattfand, war die Mitbestimmung eines der zentralen Themen. In der Gesamtentschließung hieß es dazu: „Der Mensch steht im Mittelpunkt jeglicher wirtschaftlicher und betriebswirtschaftlicher Betrachtung ... Die katholischen Arbeiter und Unternehmer stimmen darin überein, daß das Mitbestimmungsrecht aller Mitarbeitenden bei sozialen, personellen und wirtschaftlichen Fragen ein natürliches Recht in gottgewollter Ordnung ist, dem die Mitverantwortung aller entspricht. Wir fordern seine gesetzliche Festlegung." In der auf den Katholikentag folgenden Diskussion stellte die Kirche selbst in einer amtlichen Meldung fest, „nach wie vor uneingeschränkt zu den Beschlüssen des Bochumer Katholikentages" zu stehen

Die Evangelische Kirche bezog mit einer Erklärung des Rates der EKD vom 25. August 1950 einen ähnlichen Standpunkt, nachdem das Problem auf einer Reihe von Tagungen mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern erörtert worden war. Die Mitbestimmung zielte nach Auffassung beider Kirchen auf eine Humanisierung der Wirtschaftsordnung und Arbeitsverfassung ab, ohne damit eine Beschränkung des Privateigentums und der unternehmerischen Freiheit zu verbinden.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund griff dies als „moralische Untermauerung" seiner Arbeit auf. Die Gewerkschaftsführung hoffte auf einen möglichst breiten Konsens, um wenigstens ihre Mitbestimmungsvorstellungen durchsetzen zu können, nachdem eine baldige Realisierung ihrer ursprünglich weiter gesteckten Ziele inzwischen unwahrscheinlich erschien. Auf dem Gründungskongreß des DGB, der vom 12. bis zum 14. Oktober 1949 in München stattfand und Hans Böckler zum Vorsitzenden wählte, stand die Mitbestimmung im Mittelpunkt des Interesses. Als Grundsatzforderung wurde in den wirtschaftspolitischen Grundsätzen neben der Überführung der Schlüsselindustrien in Gemeineigentum auch die „Mitbestimmung der organisierten Arbeitnehmer in allen personellen, wirtschaftlichen und sozialen Fragen der Wirtschaftsführung und Wirtschaftsgestaltung" genannt Neben der Mitbestimmung im Betrieb durch paritätische Besetzung des Aufsichtsrats und dem Arbeitsdirektor im Vorstand wurde die überbetriebliche Mitbestimmung in Form von paritätisch besetzten Selbstverwaltungskörperschaften gefordert.

Auf der anderen Seite hatte die beginnende wirtschaftliche Stabilisierung der Unternehmerschaft zu einem neuen Selbstwertgefühl verholten. Dank der veränderten Lage erübrigten sich nun solch umfassenden Angebote, wie sie 1947 einige Montanindustrielle den Gewerkschaften unterbreitet hatten. Nach wie vor war die Unternehmerschaft zwar zur Demokratisierung der Wirtschaft , bereit, konnte aber nun verstärkt unternehmerische Erfordernisse in den Vordergrund stellen. Einer ihrer Haupteinwände richtete sich gegen den bestimmenden Einfluß der Gewerkschaften; man zog eine von Betriebsangehörigen wahrgenommene Mitbestimmung vor. Grundsätzliche Bedenken hatte nicht nur die mittelständische Unternehmerschaft gegen eine wirtschaftliche Mitbestimmung. Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Fritz Berg, hielt es auf einer Tagung am 28. März 1950 für unvorstellbar, „aus einem Industriebetrieb ein Schiff zu machen, das von zwei Kapitänen gesteuert, wird Vorerst kamen die durch die unterschiedlichen Standpunkte bedingten Konflikte aller-dings nicht zum Ausbruch. Ein am 4. November 1949 vom Bundestag verabschiedeter Antrag der CDU/CSU-Fraktion, in dem die Bundesregierung aufgefordert wurde, einen Gesetzentwurf zur Mitbestimmung vorzulegen blieb zunächst ohne Ergebnis. Allgemein wurde gewünscht, die anstehenden Probleme einer wirtschaftlichen Neuordnung auf dem Verhandlungswege zu regeln. In einer Unterredung zwischen Böckler und dem Vorsitzenden der Vereinigung der Arbeitgeber-verbände, Walter Raymond, am 15. November 1949 äußerten beide übereinstimmend den Wunsch, vor Einschaltung des Parlaments eine Einigung zwischen den Sozialpartnern zu suchen Der Beginn dieser Verhandlungen wurde auf den Anfang des Jahres 1950 festgesetzt. 2. Verhandlungen der Sozialpartner und Gesetzgebungsinitiativen Zu ersten Gesprächen über das Mitbestimmungsrecht trafen sich Arbeitgeber-und Gewerkschaftsvertreter am 9. und 10. Januar 1950 in Hattenheim Dort verständigte man sich darüber, daß sich die weiteren Beratungen nicht nur auf die Mitbestimmung im Betrieb, sondern auch auf die Mitbestimmung außerhalb der Betriebe erstrecken sollten. Übereinstimmend wünschte man die Einrichtung eines paritätisch besetzten Bundeswirtschaftsrates. Während über die wirtschaftliche Mitbestimmung keine Einigung erzielt wurde, erklärten sich die Arbeitgeber zur Anerkennung eines personellen und sozialen Mitbestimmungsrechts grundsätzlich bereit. Damit sahen die Gewerkschaftsvertreter die Voraussetzung für eine gute Lösung des Gesamtproblems gegeben. Grundlage der beabsichtigten weiteren Verhandlungen, dann auch über Einzelfragen, sollten die bis dahin ausgearbeiteten gewerkschaftlichen Vorschläge zum Mitbestimmungsrecht sein.

Nachdem zwischenzeitlich die unterschiedlichsten Organisationen und Verbände — unter ihnen die CDU-Sozialausschüsse sowie die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft — Stellungnahmen zum Mitbestimmungsrecht vorgelegt hatten, übergab schließlich am 13. März 1950 der DGB seine „Vorschläge zur Neuordnung der deutschen Wirtschaft" den unternehmerischen Spitzenorganisationen. Auf dieser Basis fanden am 30. und 31. März wiederum in Hattenheim die nächsten Beratungen statt Grundsätzliche Einigung bestand wie im Januar nur hinsichtlich des Bundeswirtschaftsrats. Eine paritätische Besetzung der Industrie-und Handelskammern lehnten die Arbeitgeber ab; denn dort würden keine wirtschaftspolitischen Fragen gelöst, sondern lediglich die unterschiedlichen Meinungen der Unternehmer aller Wirtschaftszweige aufeinander abgestimmt. Unvereinbar blieben ebenfalls die Standpunkte bezüglich der paritätischen Besetzung der Aufsichtsräte. Damit werde die Handlungsfähigkeit des Aufsichtsrats blockiert und, so die Unternehmer, die Konkurrenzfähigkeit beschnitten.

Auch die zweite Verhandlungsrunde mußte somit als gescheitert gelten. Die Vorlage eines Gesetzentwurfs nun noch weiter hinauszuzögern, schien nicht länger angezeigt, zumal der amerikanische Hohe Kommissar bereits angekündigt hatte, die bisher suspendierten Artikel über die wirtschaftliche Mitbestimmung in den Betriebsrätegesetzen von Hessen und Württemberg-Baden in Kraft zu setzen. Der Bundeskanzler hatte lediglich unter Hinweis auf die für Ende März geplanten Verhandlungen der Sozialpartner einen Aufschub dieser Maßnahme erreichen können.

Nachdem die Verhandlungen aber keinen Erfolg gebracht hatten, wurden am 8. April die Betriebsrätegesetze von Hessen und Württemberg-Baden voll in Kraft gesetzt.

In dieser Situation versuchten nun Gewerkschaften wie Arbeitgeber, ihre Vorstellungen auf parlamentarischer Ebene durchzusetzen. Am 22. Mai veröffentlichte der DGB seinen Gesetzesvorschlag zur Neuordnung der deutschen Wirtschaft, der ausführlich die Vorstellungen von betrieblicher und überbetrieblicher Mitbestimmung erläuterte. Die Aufsichtsräte aller Unternehmungen mit mehr als 300 Beschäftigten sollten paritätisch besetzt und die Arbeitnehmervertreter je zur Hälfte aus den Reihen der Betriebsräte und der Gewerkschaften entsandt werden, deren Spitzenorganisation für sämtliche Arbeitnehmervertreter das Vorschlagsrecht erhielt. Mit diesen Forderungen setzte sich die gleichfalls im Mai veröffentlichte Stellungnahme der Unternehmerschaft auseinander. Darin wurde den Arbeitnehmern nur ein Drittel der Aufsichtsratssitze zugestanden, die auch nur von Betriebsangehörigen, nicht aber von Betriebs-fremden besetzt werden sollten. In wirtschaftlichen Fragen wurde schließlich kein Mitbestimmungs-,sondern nur ein Mitwirkungsrecht zugestanden.

Um sich bei der Abfassung eines Gesetzentwurfes aber möglicherweise doch noch auf eine Vereinbarung der Sozialpartner stützen zu können, bemühte sich Bundesarbeitsminister Storch nach dem Scheitern der Hattenheimer Verhandlungen um eine Wiederaufnahme der Gespräche. Am 24. Mai begann die erste von fünf Verhandlungsrunden zuerst im Bonner Arbeitsministerium, dann im Kloster Maria Laach, an denen teilweise der Bundeskanzler selbst, Bundesarbeitsminister Storch und Bundeswirtschaftsminister Erhard teilnahmen Der Bundeskanzler wies eindringlich auf den Ernst der Lage hin. Angesichts des Ost-West-Konflikts und der besonderen Situation Deutschlands sei ein dauernder sozialer Friede notwendig. Trotz beidseitiger Verständigungsbereitschaft kam es aber auch jetzt zu keiner Einigung. Die Gespräche verzettelten sich teilweise in unfruchtbaren Grundsatzdiskussionen. Nach mehreren Unterbrechungen und wiederholten Vermittlungsversuchen des Bundesarbeitsministers wurden die Verhandlungen am 6. Juli 1950 abgebrochen.

Damit war die erste Phase vorparlamentanscher Beratungen beendet. Nach dem gescheiterten Versuch, durch eine Einigung zwischen den Sozialpartnern selbst die Grundlage für eine gesetzliche Regelung zu schaffen, sahen sich Bundesregierung und Bundestag nun vor die Aufgabe gestellt, ein Gesetz ohne vorherige Einigung der Kontrahenten zu schaffen. Bereits am 17. Mai 1950 hatte die Bundestagsfraktion der CDU/CSU gegen den Willen Adenauers, der zu dieser Zeit noch eine Vereinbarung der Sozialpartner abwarten wollte, einen Gesetzentwurf zur Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Betrieb eingebracht Dieser entsprach in seinen Grundzügen der Denkschrift der Unternehmer, wenn sich diese auch daran stießen, daß den Arbeitnehmern im Aufsichtsrat mindestens ein Drittel der Sitze eingeräumt werden sollte.

Der Entwurf, den die sozialdemokratische Fraktion am 25. Juli vorlegte, beruhte im wesentlichen auf dem Gesetzentwurf des DGB zur Neuordnung der deutschen Wirtschaft. Er bezog im Gegensatz zu dem CDU/CSU-Entwurf und dem erst Ende August endgültig verabschiedeten und am 31. Oktober veröffentlichten Regierungsentwurf für ein Betriebsverfassungsgesetz auch die überbetriebliche Mitbestimmung ein. Während der CDU/CSU-Entwurf die Wahl betriebsfremder Arbeitnehmer in den Aufsichtsrat zuließ, sah der Regierungsentwurf nur noch die Wahl von Betriebsangehörigen vor. Auf Veranlassung der Koalitionspartner FDP und DP war damit der Einfluß der Gewerkschaften deutlich beschnitten worden, über die Gesetzentwürfe von CDU/CSU und SPD beriet der Bundestag erstmals am 27. Juli 1950 Sie wurden nach der ersten Lesung — wie später auch der Regierungsentwurf — an die Ausschüsse für Arbeit und für Wirtschaftspolitik überwiesen. Doch bevor der aus diesen gebildete Arbeitskreis seine Beratungen abschließen konnte, unterbrachen verschärfte Auseinandersetzungen um die Mitbestimmung im Montanbereich die Beratungen.

III. Sonderlösung für die Montanindustrie

1. Neuordnungsdiskussion und Streikdrohung

Bereits wenige Tage nach dem Scheitern der Sozialpartner-Verhandlungen über die gewerkschaftlichen Mitbestimmungsforderungen hatten Bundesvorstand und -ausschuß des DGB ihren Vorsatz bekanntgegeben, notfalls „gewerkschaftliche Kampfmittel zur Durchsetzung dieser Ziele anzuwenden" Erhöhte Brisanz erhielt diese Drohung einige Monate später im Zusammenhang mit der anstehenden Neuordnung der Konzerne Ende Oktober erfuhren die Gewerkschaften vom Entwurf einer Durchführungsverordnung, der im Bundeswirtschaftsministerium zum Alliierten Gesetz Nr. 27 über die Neuordnung von Schwerindustrie und Kohlebergbau erarbeitet wurde und die Bildung der neuen Gesellschaften nach deutschem Recht vorsah. Da das geltende deutsche Aktienrecht, aber eine Vertretung der Arbeitnehmer in Aufsichtsrat und Vorstand nicht kannte, mußten die Gewerkschaften um den Bestand der seit 1947 in den entflochtenen Eisen-und Stahlgesellschaften bestehenden Mitbestimmungsrechte fürchten. Angesichts ihrer bisherigen Mißerfolge in der Sozialisierungsfrage wie bei den Mitbestimmungsverhandlungen sahen sie sich daher genötigt, wenigstens um die Erhaltung dieses frühen Teilerfolgs zu kämpfen.

Die Erfolgsaussichten dafür waren nicht schlecht: Sowohl die Bundesregierung wie die Montanindustriellen waren an einer Überein-stimmung mit den Gewerkschaften interessiert. Denn allein ein einheitliches Vorgehen ließ auf einen Erfolg der deutschen Neuordnungswünsche bei den Alliierten hoffen. Das wiederum war die Voraussetzung für eine breite innenpolitische Unterstützung Adenauers bei seinen Absichten in der Frage des Schumanplans. Anders als die Sozialdemokraten waren die Gewerkschaften zu konstruktiver Zusammenarbeit mit der Bundesregierung grundsätzlich bereit. Mit dem deutlichen Interesse der Bundesregierung an ihrer Unterstützung war ihnen jetzt auch ein geeignetes Druckmittel zur Durchsetzung eigener Forderungen in die Hand gegeben. In dieser Situation entschloß sich die Gewerkschaftsführung für den Kampf um die Montanmitbestimmung.

Am 23. November schrieb Böckler dem Bundeskanzler, man erwarte, daß die gewerkschaftlichen Forderungen in der Durchführungsverordnung zu Gesetz Nr. 27 volle Berücksichtigung fänden. Darüber hinaus kündigte er eine Urabstimmung der Industriegewerkschaft Metall zur Verteidigung der bestehenden Mitbestimmungsrechte an

Diese Urabstimmung wurde schon zwei Tage später auf einer Konferenz der Betriebsräte und Arbeitsdirektoren aller eisenschaffenden Werke sowie der IG Metall einstimmig auf den 29. und 30. November festgesetzt. Der hohe Organisationsgrad in diesem Bereich verhieß eine breite Unterstützung. So sprachen sich dann auch fast 96 Prozent der abgegebenen Stimmen für einen Streik aus. Die Urabstimmung im Bergbau, die vom 17. bis 19. Januar folgte, hatte ein ähnliches Ergebnis;

fast 93 Prozent befürworteten hier einen Streik. Schon im Herbst 1950 hatte sich die IG Bergbau entschlossen, die Mitbestimmungsforderungen des DGB „hundertprozentig" zu unterstützen.

In der Öffentlichkeit wurde die Streikdrohung kontrovers diskutiert. In den Reihen der Arbeitnehmer wuchs die Unruhe. Der Bundeskanzler versuchte in einem Briefwechsel mit dem DGB-Vorsitzenden die Lage zu klären und unter Hinweis auf die Unzulässigkeit eines solchen politischen Streiks die Gewerkschaften zur Umkehr zu bewegen Aber schon am 3. Januar 1951 wurde auf der Delegiertenkonferenz der IG Metall in Bochum der Beschluß verkündet, ab 1. Februar die Ar-beit in den Werken der Eisen-und Stahlindustrie einzustellen.

Damit hatte die Krise ihren Höhepunkt erreicht. Ein offener Konflikt, der ernste politische und wirtschaftliche Folgen nach sich ziehen mußte, schien unausweichlich. Gerade auch im Hinblick auf die infolge des im Juni 1950 ausgebrochenen Korea-Krieges stark angestiegene Nachfrage nach Kohle und Stahl mußte ein Streik in eben diesen Industrie-zweigen empfindliche Folgen für die deutsche Wirtschaft haben. Um so dringender schien eine rasche Verständigung geboten. 2. Verhandlungen und gesetzliche Absicherung Nachdem sich verschiedene Vertreter der Ruhrindustrie um Einigungsverhandlungen bemüht hatten und sich das Augenmerk aller Beteiligten mehr und mehr auf den Bundeskanzler konzentrierte, kam es schließlich am 11. Januar zu einem ersten vertraulichen Gespräch zwischen Adenauer und Böckler. Sie nahmen erneute Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Unternehmern in Aussicht, für die der Bundeskanzler seine Vermittlung anbot.

Während die Öffentlichkeit noch über die Rechtmäßigkeit des von den Gewerkschaften angedrohten Streiks diskutierte, begannen im Kanzleramt die entscheidenden Gespräche. Adenauer wollte zunächst mit den beiden Parteien getrennt verhandeln und kam am 17. Januar mit den Unternehmern, einen Tag später mit den Gewerkschaften zusammen Beide Seiten waren an einer friedlichen Regelung interessiert. Die Gewerkschaften brauchten wenigstens einen Teilerfolg als Legitimation ihrer Mitgliedschaft gegenüber. Ihr Entschluß, sich bei den künftigen Verhandlungen auf eine Regelung für den Montanbereich zu beschränken und den Bereich der übrigen Wirtschaft ebenso zurückzustellen wie die Frage der Eigentumsregelung und der über-betrieblichen Mitbestimmung, trug zur Annäherung bei. Die Unternehmer ihrerseits sahen in einem Entgegenkommen gegenüber den Gewerkschaften die Chance, ihre Wünsche hinsichtlich der Konzernneuordnung durchzusetzen. Am 19. Januar begannen dann die gemeinsamen Verhandlungen Dabei ging es im wesentlichen um die Stellung des Arbeitsdirektors im Vorstand und die Wahl des 11. Aufsichtsratsmitglieds. An dieser Frage drohten die Verhandlungen am 22. Januar zu scheitern. Erst unter Einschaltung des Bundeskanzlers kam es schließlich am 25. Januar zur Verständigung. An den beiden folgenden Tagen arbeitete ein Redaktionskomitee aus je zwei Vertretern der Unternehmer und Gewerkschaften die „Richtlinien über die Mitbestimmung in der Kohle und Eisen schaffenden Industrie" aus, die am 27. Januar veröffentlicht wurden Mit der Einigung der Verhandlungspartner wurde die Streikdrohung der Industriegewerkschaften Bergbau und Metall hinfällig. Am 29. Januar beschloß der DGB-Bundesausschuß, auf die ab 1. Februar geplanten Maßnahmen zu verzichten.

Parallel zu den Verhandlungen wurde im Bundesarbeitsministerium der Referentenentwurf erarbeitet und dem Bundeskabinett zur Beschlußfassung vorgelegt Am 30. Januar verabschiedete das Bundeskabinett den Regierungsentwurf und leitete ihn Bundestag und Bundesrat zu. Da der Bundesrat keine Einwendungen erhob, konnte der Bundestag am 14. Februar die erste Lesung abhalten Während CDU/CSU und SPD den Entwurf grundsätzlich billigten, lehnten ihn DP und FDP entschieden ab. Die Liberalen hofften darauf, den Entwurf in den kommenden Ausschußberatungen wenigstens teilweise ihren Wünschen entsprechend umformen zu können. Nach der ersten Lesung überwies das Plenum den Gesetzentwurf an die Ausschüsse für Arbeit und für Wirtschaftspolitik, die in einer gemeinsamen Sitzung beschlossen, zur Vorberatung einen Arbeitskreis einzusetzen. Am 16. Februar nahm dieser seine Beratungen auf.

In den insgesamt zwölf Sitzungen des Arbeitskreises wurden wesentliche Bestimmungen des Regierungsentwurfs abgeändert. Besonders umstritten war nach wie vor das Benennungsrecht für die auf die Arbeitnehmer-seite entfallenden Aufsichtsratsmitglieder. Dem Wunsch der FDP entsprechend sollte dieses Recht nicht mehr — wie in den Richtlinien und im Regierungsentwurf vorgesehen — bei der Spitzenorganisation liegen, sondern bei den im Unternehmen vertretenen Gewerkschaften. Grundlegende Kontroversen bestanden weiterhin über die Wahl des 11. Aufsichtsratsmitglieds, die schließlich zu einer komplizierten Kompromißlösung führten. Der Entwurf des Arbeitskreises wurde von den Ausschüssen in drei gemeinsamen Sitzungen beraten. Wegen der zuungunsten der gewerkschaftlichen Position vorgenommenen Änderungen stimmte die SPD geschlossen gegen die Fassung des Arbeitskreises, während sich die Gewerkschaftsmitglieder der CDU der Stimme enthielten. Wie die Gewerkschaften opponierten auch die an der Vereinbarung von Januar beteiligten Vertreter der Montanindustrie gegen die Ausschußvorlage. Eine Lösung war damit wiederum in Frage gestellt. Die Gegner der neuen Gesetzesfassung, denen der Bundeskanzler bei ihren Interventionen seine Unterstützung zugesichert hatte, mußten sich nun bei der kommenden zweiten Lesung um Wiederherstellung des Regierungsentwurfs bemühen.

Am 15. März überwiesen die Ausschüsse ihren Bericht dem Bundestag, der den Gesetz-entwurf am 4. April in zweiter Lesung beriet Die Freien Demokraten stellten den Antrag, daß alle Arbeitnehmervertreter des Aufsichtsrats Betriebsangehörige sein müßten, scheiterten damit jedoch wie später auch bei der dritten Lesung an der Ablehnung von CDU/CSU und SPD. Vergeblich hatte der Bundeskanzler schon Mitte März versucht, den Koalitionspartner von der Notwendigkeit seiner Zustimmung zu überzeugen. Anders als bei der FDP und dem zweiten Koalitionspartner DP fand er Unterstützung bei der oppositionellen sozialdemokratischen Fraktion, die in diesem Punkt die Regierungsvorlage wiederhergestellt haben wollte. Der SPD wurde die Zusammenarbeit dadurch erleichtert, daß auch seitens der CDU Abänderungsanträge gestellt wurden, die eine stärkere Berücksichtigung der gewerkschaftlichen Rechte vorsahen.

Neue Konflikte ergaben sich noch einmal während der dritten Lesung am 10. April 1951 als die Wahl des 11. Aufsichtsratsmitglieds zur Debatte stand. Während die CDU die endgültige Entscheidung in der Hauptversammlung getroffen wissen wollte, verlangte die SPD eine Bindung der Hauptversammlung an den Wahlvorschlag des Vermittlungsausschusses. In dieser Situation griff der Bundeskanzler ein, um im Sinne der von den Verhandlungspartnern im Januar getroffenen Vereinbarung zu vermitteln. Weil sich bei der Einzelabstimmung geschäftsordnungsmäßige Unklarheiten ergeben hatten, wurde die Sitzung auf Wunsch der SPD unterbrochen. In der Zwischenzeit bemühten sich Vertreter von CDU und SPD in einem gemeinsamen Gespräch mit dem Bundeskanzler um Klärung der Meinungsverschiedenheiten. In der Schlußabstimmung wurde dann die Vorlage bei etwa 50 Gegenstimmen (vorwiegend aus den Reihen von FDP und DP) mit großer Mehrheit verabschiedet. Da der Bundesrat keine Einwendungen erhob, konnte das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen-und Stahl erzeugenden Industrie am 21. Mai 1951 verkündet werden

Damit hatte die Bundesrepublik kaum zwei Jahre nach ihrer Gründung eine entscheidende Bewährungsprobe bestanden. Mit der Einigung zwischen Unternehmern und Gewerkschaften, mit der Befriedigung wichtiger Arbeitnehmerinteressen durch den Bundes-gesetzgeber wurde dessen Ansehen gestärkt und das soziale Fundament des neuen Staates Bundesrepublik wesentlich gefestigt. Es war vor allem das Verdienst von Bundeskanzler Adenauer, daß der Streikdrohung der Gewerkschaften begegnet und so der parlamentarischen Entscheidung der Weg bereitet werden konnte. Unter Einbeziehung aller innen-und außenpolitischen Momente, die nicht nur der Bundeskanzler, sondern auch der DGB-Vorsitzende Böckler richtig einzuschätzen und für die eigenen Interessen zu nutzen wußte, konnte die Situation geklärt werden. Indem er ihnen wenigstens zu die-sem Teilerfolg verhalf, verpflichtete sich Adenauer die Gewerkschaften und gab ihnen gleichzeitig die Möglichkeit, ohne Gesichts-verlust das Kampffeld zu verlassen und auf Integrationskurs einzuschwenken.

Denn das Montanmitbestimmungsgesetz wurde keineswegs vorrangig mit der Kampf-entschlossenheit der Gewerkschaften durchgesetzt. Seine Entstehung, die ohnehin nur auf der Grundlage der bereits 1947 unter Billigung der britischen Besatzungsmacht in den entflochtenen Eisen-und Stahlgesellschaften eingeführten paritätischen Mitbestimmung möglich war, wurde vielmehr begünstigt durch das Zusammentreffen verschiedener Faktoren, insbesondere das Tauziehen um die Neuordnung der Montanindustrie und die laufenden Verhandlungen zum Schumanplan einerseits wie andererseits der auf der Gewerkschaftsführung lastende Legitimationsdruck. Wie wesentlich diese Konstellation für das Zustandekommen des Montanmitbestimmungsgesetzes war, zeigte wenig später der völlig anders verlaufende Entwicklungsgang des Betriebsverfassungsgesetzes.

IV. Die Regelung der Betriebsverfassung

1. Wiederaufnahme der Beratungen und gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen Nachdem im Herbst 1950 die Frage der Mitbestimmung in der Montanindustrie in den Vordergrund gerückt und Ende Januar 1951 ein eigener Gesetzentwurf für diesen Bereich eingebracht worden war, hatten die Bundestagsausschüsse für Arbeit und für Wirtschaftspolitik beschlossen, daß der zur Beratung der verschiedenen Entwürfe für ein allgemeines Betriebsverfassungsgesetz gebildete Arbeitskreis seine Arbeit unterbricht, bis die Beratungen zur Montanmitbestimmung abgeschlossen sein würden. Erst als im Mai 1951 das Sondergesetz für den Montanbereich vorlag, konnten die Arbeiten am Betriebsverfassungsgesetz fortgesetzt werden

Nach dem Modell des Montanmitbestimmungsgesetzes suchten die Gewerkschaften unter Christian Fette, der die Nachfolge des am 16. Februar 1951 verstorbenen Hans Böckler angetreten hatte, nun auch für die übrige Wirtschaft eine vergleichbare Lösung durchzusetzen. Am 5. Juni 1951 verlangte der DGB-Bundesvorstand in seinem Schreiben an den

Bundeskanzler die . Ausdehnung des Mitbestimmungsrechts auf betrieblicher und über-betrieblicher Ebene". In ihrer Erwartung, Adenauer werde sich auch weiterhin für eine gesetzliche Regelung der Mitbestimmungsfrage im Sinne der gewerkschaftlichen Vorstellungen einsetzen, sollten die Gewerkschaften jedoch bald enttäuscht werden. Zunächst allerdings kam es nicht zum offenen Konflikt. Der Bundeskanzler konnte kurz vor Abschluß der Beratungen zum Schumanplan keinen Bruch mit dem DGB gebrauchen und die Gewerkschaften hofften noch, auf dem Verhandlungswege zum Ziel zu kommen.

Am 8. und 9. August 1951 trafen sich Vertreter der Gewerkschaftsspitze mit dem Bundeskanzler zu Verhandlungen auf dem Bürgenstock, dem Feriensitz des Kanzlers. Dabei zeigte sich Adenauer zwar zugänglich für die vorgebrachten Anliegen, etwa in der Frage des Aktientausches in der Montanindustrie oder der überbetrieblichen Mitbestimmung; konkrete Zusagen wußte er jedoch zu vermeiden. Dessen ungeachtet sahen die Gewerkschaften der Fortsetzung der Verhandlungen optimistisch entgegen. Bei den nächsten Gesprächen am 4. September und dann am 15. Oktober, 14. und 28. November in Bonn stellte sich aber bald heraus, daß von Zugeständnissen an die Gewerkschaften keine Rede sein konnte. Insbesondere machte Adenauer jetzt klar, daß eine Ausdehnung der in der Montanindustrie geltenden paritätischen Mitbestimmung auf andere Bereiche der Wirtschaft ausgeschlossen war. Der Bundes-B kanzler verwies auf die andauernden Beratungen der zuständigen Bundestagsausschüsse zum Betriebsverfassungsgesetz, denen nicht vorgegriffen werden könne. Dabei war absehbar, daß die Ausschüsse den Arbeitnehmern nicht mehr als ein Drittel der Aufsichtsratssitze zugestehen würden, und vor allem auch der gewerkschaftliche Einfluß deutlich beschnitten würde.

Die DGB-Führung mußte erkennen, „daß die Erreichung des Mitbestimmungsrechts in der Kohle und in Eisen und Stahl... die letzte Entscheidung war, die bei dieser Regierung zu erreichen ist" — so der Wirtschaftsexperte Heinrich Deist auf der Sitzung des DGB-Bundesvorstands am 2. Dezember 1951. Denn inzwischen war offensichtlich, daß die Bundesregierung keine Veranlassung mehr zu besonderer Rücksichtnahme gegenüber dem DGB hatte. Die aus Produktionsengpässen bei Kohle und Stahl resultierenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten des vergangenen Jahres hatten sich verbessert und vor allem stand einem erfolgreichen Abschluß der Verhandlungen zum Schumanplan nichts mehr im Wege, dem jetzt auch eine mehrheitliche parlamentarische Zustimmung gewiß war

Da dann auch noch das Bundeskabinett am 22. Februar 1952 den Entwurf eines gesonderten Personalvertretungsgesetzes für den öffentlichen Dienst verabschiedete, sah sich die Gewerkschaftsführung, die dadurch die gewerkschaftliche Einheit bedroht sah und eine weitere Schwächung der eigenen Position befürchtete, zu Kampfmaßnahmen genötigt. Als die Bundestagsausschüsse im April ihre Arbeit beendet hatten, ohne den gewerkschaftlichen Forderungen entgegenzukommen, erklärte der DGB-Bundesausschuß am 9. Mai:

„Dieser Entwurf darf nicht Gesetz werden!“

Am gleichen Tag unterrichtete der DGB-Vorsitzende den Bundeskanzler schriftlich über den Beschluß des Deutschen Gewerkschaftsbundes, seine Mitglieder zu Kampfmaßnahmen aufzurufen. Adenauer warnte in seiner Antwort vor einer „organisierten Schädigung der Volkswirtschaft durch Streiks". Zu einer Beilegung des Konflikts trug der folgende Briefwechsel zwischen Adenauer und Fette nicht bei. Es kam zu zahlreichen Protestkundgebungen und Arbeitsniederlegungen. Ihren Höhepunkt fand die gewerkschaftliche Aktion in dem vom 27. bis 29. Mai 1952 gemeinsam vom Deutschen Gewerkschaftsbund und der Industriegewerkschaft Druck und Papier durchgeführten Warnstreik in allen Zeitungsdruckereien mit dem Ziel, das Erscheinen der Tageszeitungen zu verhindern. Doch auch dieses letzte Mittel des gewerkschaftlichen Kampfes brachte nicht den erhofften Erfolg, sondern im Gegenteil einen deutlichen Sympathieverlust selbst bei den Gewerkschaften nahestehenden Bevölkerungskreisen mit sich. 2. Verabschiedung des Betriebsverfassungsgesetzes Nachdem die Gewerkschaften schließlich ihre Kampfmaßnahmen Anfang Juni eingestellt hatten, bot der Bundeskanzler dem DGB neue Verhandlungen an. Am 13. Juni kam es zu einer Besprechung zwischen dem Bundeskanzler, Vertretern des DGB, der Bundesregierung und der Bonner Koalitionsparteien. Vorausgegangen waren am 21. Mai und 3. Juni vertrauliche Vorgespräche zwischen Vertretern der Gewerkschaftsspitze und des Kanzleramtes, die von den CDU-Sozialausschüssen in die Wege geleitet und in denen die jeweiligen Positionen abgeklärt worden waren. Ziel der Gewerkschaftsführung, die um ihr Ansehen bei der Mitgliedschaft fürchten mußte, war insbesondere eine Verschiebung der abschließenden parlamentarischen Beratung des Betriebsverfassungsgesetzes. Man wollte Zeit gewinnen, um dann möglicherweise doch noch einige minimale Verbesserungen am Gesetzentwurf erreichen zu können.

Die Verhandlungsteilnehmer einigten sich am 13. Juni darauf, eine paritätisch mit je vier Vertretern der Gewerkschaften und der Koalitionsparteien besetzte Kommission zu bilden, die nochmals die gewerkschaftlichen Vorschläge zum Betriebsverfassungsgesetz erörtern sollte. Die Gewerkschaftsvertreter gingen davon aus, daß die Beratungen im Bundestag erst nach Abschluß der Verhandlungen dieses Gremiums fortgesetzt würden. Am 30. Juni trat die Kommission erstmals zusammen. Doch weder diese noch die nächste Zusammenkunft am 7. Juli brachte eine Klä27 rung der Lage. Als die Gewerkschaftsvertreter überdies bei der zweiten Verhandlungsrunde erfuhren, daß das Kabinett bereits am 13. Juni den abgeänderten Entwurf des Personalvertretungsgesetzes verabschiedet und am 4. Juli dem Bundestag zugeleitet hatte, brachen sie die Verhandlungen ab.

Während Bundesregierung und Koalitionsparteien jetzt auf eine möglichst schnelle Verabschiedung des Betriebsverfassungsgesetzes hinarbeiteten, sah der DGB den letzten Ausweg in einer Verschiebung der zweiten Lesung, um zwischenzeitlich möglicherweise doch noch den Bundeskanzler zur Intervention zugunsten der gewerkschaftlichen Wünsche bewegen zu können. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Karl Arnold, der sich nach Kräften für die Belange der Gewerkschaften einsetzte, brachte dann auch ein Gespräch mit dem Bundeskanzler zustande; eine Absetzung der noch vor der Sommer-pause anberaumten zweiten Lesung vermochte er allerdings nicht zu bewerkstelligen. Bei der Unterredung am 14. Juli machte Adenauer den Gewerkschaften zudem unmißverständlich klar, daß sie keine weitere Unterstützung zu erwarten hatten. Am 16. und 17. Juli beriet sodann der Bundestag das Betriebsverfassungsgesetz in zweiter Lesung

Die zahlreichen Abänderungsanträge der SPD wurden fast ausnahmslos abgelehnt. Bei der Schlußberatung am 19. Juli wurde das Gesetz in namentlicher Abstimmung mit 195 gegen 139 Stimmen bei sieben Enthaltungen von Gewerkschaftsmitgliedern innerhalb der CDU-Fraktion verabschiedet und am 14. Oktober 1952 im Bundesgesetzblatt verkündet

Wenn auch die verschiedenen Regelungen wie Montanmitbestimmungsgesetz, Betriebsverfassungsgesetz und Personalvertretungsgesetz den Anlaß für spätere Auseinandersetzungen bilden sollten, so war damit die Diskussion um die Mitbestimmung doch zunächst für längere Zeit beendet. In den Augen der Gewerkschaften blieb allerdings diese Lösung unbefriedigend. Hatten sie schon bald nach Gründung der Bundesrepublik einsehen müssen, daß ihre weitreichenden Neuordnungsvorstellungen nicht ohne weiteres zu verwirklichen waren, so mußte sie die Niederlage im Streit um das Betriebsverfassungsgesetz doppelt treffen. Anders als bei ihrem erfolgreichen Kampf um die Montanmitbestimmung waren 1952 die Rahmenbedingungen für die Gewerkschaften weniger günstig.

Die Stabilisierung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse hatte von vornherein die Notwendigkeit erübrigt, den gewerkschaftlichen Forderungen in solch weitreichendem Maße Folge zu leisten; dies um so weniger, als Demonstrationen und Arbeitskämpfe die öffentliche Meinung gegen die Gewerkschaften eingenommen hatten. Auf die Ausweitung der betrieblichen Mitbestimmung nach dem Modell des Montanmitbestimmungsgesetzes blieb fortan für lange Zeit das Bemühen der Gewerkschaften gerichtet.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die folgende Darstellung beruht im wesentlichen auf einer überarbeiteten Zusammenfassung der ausführlichen Einleitung zu der von der Verf. bearbeiteten Edition: Montanmitbestimmung. Das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie vom 21. Mai 1951 (Quellen zur Geschichte des Pariamantarismus und der politischen Parteien, Vierte Reihe, Bd. 1), Düsseldorf 1984, hier abgekürzt zitiert als Montanmitbestimmung: zur Definition des Mitbestimmungsbegriffs s. ebd., S. VII.

  2. So in einem Gespräch zwischen dem DGB-Vorsitzenden Ernst Breit und Bundesarbeitsminister Norbert Blüm, FAZ vom 30. 1. 1985, S. 5.

  3. Näheres sowie weiterführende Literaturangaben zum folgenden Kapitel s. Montanmitbestimmung, S. XXff. Die Vorgeschichte der Montanmitbestimmung, insbesondere die Vorgänge in den Jahren 1945 bis zur Einführung der paritätischen Mitbestimmung im Zuge der Entflechtung, ist im übrigen Gegenstand eines laufenden Forschungsprojekts der Verf.

  4. Die Gewerkschaftsbewegung in der britischen Besatzungszone. Geschäftsbericht des Deutschen Gewerkschafts-Bundes (britische Besatzungszone) 1947— 1949, Köln 1949, S. 79.

  5. Fritz Naphtali, Wirtschaftsdemokratie — Ihr Wesen, Weg und Ziel, Berlin 1928, Neuauflage Frankfurt/M. 1966. S. auch Protokoll der Verhandlungen des 13. Kongresses der Gewerkschaften Deutschlands (3. Bundestag des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes), abgehalten in Hamburg vom 3. bis 7. September 1928, Berlin 1928, S. 170 ff.

  6. S. hierzu Bernhard Koolen, Die wirtschafts-und gesellschaftspolitische Konzeption von Viktor Agartz. Zur Neuordnung der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, Köln 1979.

  7. Protokoll der ersten Gewerkschaftskonferenz der britischen Zone vom 12. bis 14. März 1946 im Kath. Vereinshaus in Hannover-Linden, Konkordiastr. 14, o. O. u. o. J., S. 33-, vgl. zu den gewerkschaftlichen Forderungen auf betriebliche und überbetriebliche Mitbestimmung auch Gewerkschaftsbewegung (Anm. 4), S. 79 ff. und S. 84ff.

  8. Druck des Kontrollratsgesetzes Nr. 22 in: Military Government Gazette, Germany, Nr. 9, British Zone of Control, S. 197 ff., sowie u. a. auch in: Gewerkschaftsbewegung (Anm. 4), S. 290ff.

  9. Zur Entflechtung und Neuordnung der Eisen-und Stahlindustrie s. einführend: Die Neuordnung der Eisen-und Stahlindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Ein Bericht der Stahltreuhändervereinigung, München und Berlin 1954.

  10. Druck der genannten Schreiben u. a. ebenda, S. 609 ff. und Rudolf Judith u. a. (Hrsg.), Montanmitbestimmung. Dokumente ihrer Entstehung, Köln 1979, S. 79 ff.

  11. Vgl. Eberhard Schmidt, Die verhinderte Neuordnung 1945— 1952, Frankfurt/M. 1970, S. 77.

  12. Zum folgenden Kapitel s. Montanmitbestimmung, S. XXXVIIIff.

  13. Vgl. zur Rolle und Bedeutung Adenauers im Streit um die Mitbestimmung, die hier nachfolgend nur kurz angeschnitten werden können. Gabriele Müller-List, Adenauer, Unternehmer und Gewerkschaften. Zur Einigung über die Montanmitbestimmung 1950/51, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte. 33. Jg., 2. Heft (erscheint voraussichtlich Juni 1985).

  14. Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 1. Wahlperiode 1949, Stenographische Berichte, Bd. 1, S. 26 D.

  15. Als grundlegende liberale Stellungnahme s. Franz Böhm, Das wirtschaftliche Mitbestimmungsrecht der Arbeiter im Betrieb, in: Ordo, Bd. 4, 1951, S. 21 ff.

  16. Abgedruckt bei Ossip K. Flechtheim (Hrsg.), Dokumente zur parteipolitischen Entwicklung in Deutschland seit 1945, Bd. 2, S. 57f. und S. 69ff. Zu den weitergehenden Forderungen der CDU-Sozialausschüsse s. Montanmitbestimmung, S. XXXVIIIf. u. S. XLVIII.

  17. Druck bei Susanne Miller, Die SPD vor und nach Godesberg, Bonn 1974, S. 27 f.

  18. Gerechtigkeit schafft Frieden. Bericht über den 73. Deutschen Katholikentag 31. 8. bis 4. 9. 1949, Paderborn 1949, S. 114 f.

  19. S. Oswald von Nell-Breuning, Mitbestimmung, Landshut 1950, S. 78 f.

  20. Druck: Kirchliches Jahrbuch für die Evangelische Kirche in Deutschland, 1950, S. 26 f.

  21. Protokoll. Gründungskongreß des Deutschen Gewerkschaftsbundes, München, 12. — 14. Oktober 1949, hrsg. vom Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, Köln 1950, S. 318ff.

  22. Bericht über die Tagung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie am 28. März 1950 in Bad Dürkheim (Drucksache Nr. 4), S. 6.

  23. S. Montanmitbestimmung, Dok. 1, S. 3 ff.

  24. Ebd., Dok. 3, S. 6f.

  25. Ebd., Dok. 6, S. 11 ff.

  26. Ebd., Dok. Ila, S. 32ff.

  27. Ebd., Dok. 19, 21, 24, 25, 26 a, S. 63ff„ 78 ff., 93 ff., 105 ff., 115 ff. Einen Einblick in die Überlegungen der Bundesregierung hinsichtlich der Mitbestimmungsfrage vermitteln die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, Bd. 2, 1950, bearbeitet von Ulrich Enders und Konrad Reiser, Boppard 1984.

  28. Zum Inhalt dieses und der nachfolgend genannten Entwürfe s. die Synopse in: Montanmitbestimmung, Dok. 37, S. 153 ff.

  29. Ebd., Dok. 28 b., S. 138. Näheres zum folgenden Kapitel s. ebd., S. XLIXXff.

  30. Zum Zusammenhang zwischen der Neuordnungsfrage und der Mitbestimmungsproblematik s. bes. Horst Thum, Mitbestimmung in der Montanindustrie. Der Mythos vom Sieg der Gewerkschaften (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Bd. 45), Stuttgart 1982.

  31. Montanmitbestimmung, Dok. 41, S. 169f.

  32. Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Bd. 4, S. 2928 ff.

  33. Montanmitbestimmung, Dok. 45, 51, 53, 57, S. 176, 185, 188, 193.

  34. Protokolle ebd., Dok. 75, 76, S. 227 f., 229 ff.

  35. Ebd., Dok. 80, 83, 93, S. 237 ff., 245 f., 259 ff.

  36. Ebd., Dok. 95, S. 268ff.

  37. Zum Wortlaut der verschiedenen Entwürfe s. ebd., Dok. 106 a—d, S. 286 ff.

  38. Ebd., Dok. 125, 130, S. 35ff„ 367 ff.

  39. Ebd„ Dok. 175, S. 479 ff.

  40. Ebd., Dok. 182, S. 505 ff.

  41. Bundesgesetzblatt I vom 21. 5. 1951, S. 347ff., Druck Montanmitbestimmung, Dok. 185, S. 526 ff.

  42. Eine ausführliche Untersuchung zum Betriebsverfassungsgesetz erscheint in Kürze von Dorothee Buchhaas, Gesetzgebung im Wiederaufbau. Schulgesetz in Nordrhein-Westfalen und Betriebsverfassungsgesetz. Eine vergleichende Untersuchung zum Einfluß von Parteien, Kirchen und Verbänden in Land und Bund 1945 bis 1952 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 79), Düsseldorf 1985.

  43. S. hierzu ausführlicher Thum (Anm. 30), S. 120 ff.

  44. Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Bd. 12, S. 9945 ff. u. 10058 ff.

  45. Ebd., S. 10239 ff., und Bundesgesetzblatt I vom 14. 10. 1952, S. 681 ff.

Weitere Inhalte

Gabriele Müller-List, Dr. phil., geb. 1951; Studium der Geschichte und Germanistik an der Universität Bonn; seit 1980 wiss. Projektmitarbeiterin bei der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien in Bonn; z. Zt. Arbeit an einem Projekt über das Verhältnis Arbeitgeber/Arbeitnehmer in der nordrh. -westf. Eisen-und Stahlindustrie nach 1945. Veröffentlichungen: Das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie vom 21. Mai 1951 (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Vierte Reihe, Bd. 1), Düsseldorf 1984; Veröffentlichungen zur Sozial-und Zeitgeschichte, u. a. zur Montanmitbestimmung.