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Auf dem Wege zur DDR (1948/1949) | APuZ 18/1985 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 18/1985 Artikel 1 Adenauers erste Koalitions-und Regierungsbildung im Spätsommer 1949 Zwischen Konfrontation und Interessenausgleich Zur Entwicklung und gesetzlichen Regelung der Mitbestimmung in der Frühzeit der Bundesrepublik Auf dem Wege zur DDR (1948/1949)

Auf dem Wege zur DDR (1948/1949)

Dietrich Staritz

/ 40 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Gründung der DDR vollzog sich vor dem Hintergrund einer höchst widersprüchlichen Interessenkonstellation: Zum einen drängte die SED-Führung angesichts der Schwierigkeiten der Machtsicherung auf eine möglichst schnelle und vollständige Integration der SBZ in den Ostblock-Zusammenhang. Zum anderen aber wollte die Sowjetführung offenbar nichts unversucht lassen, die Chance einer gesamtdeutschen Lösung gemäß ihren Vorstellungen von der künftigen politischen und sozialen Struktur des Landes offenzuhalten: und sie drängte die Einheitspartei immer wieder zu letztlich erfolglosen nationalen Kampagnen. Zum dritten schließlich waren beide Seiten seit dem Beginn des Kalten Krieges mit dem immer deutlicher werdenden Willen der Westmächte und der politischen Führungskräfte im Westen Deutschlands konfrontiert, zu einer Weststaatbildung zu kommen — in Anbetracht der offensichtlichen Unmöglichkeit, ganz Deutschland gemäß ihren gesellschaftspolitischen Entwürfen zu gestalten. Entsprechend vielschichtig war — besonders deutlich seit Mitte 1948 — die Haltung der SED. In ihrer Agitation schien sie vor allem auf die Einheit Deutschlands zu setzen. Mit ihrer Innenpolitik jedoch paßte sie die wirtschaftlichen und politischen Strukturen der SBZ den in den osteuropäischen Ländern zur gleichen Zeit vorangetriebenen Umstrukturierungen an. Diese in vielem doppeldeutige Taktik bestimmte auch den Umgang mit den Blockpartnern (vor allem CDU und LDP) und die Gründung wie die Aktivitäten der „Volkskongreßbewegung", die Ende 1947 — vermeintlich um der Einheit des Landes willen ins Leben gerufen — im Oktober 1949 durch ihren „Volksrat" der DDR-Gründung eine formale Legitimation verschaffte.

I. Kurs auf ganz Deutschland oder Integration in den Block?

Daß Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg eine „Stunde Null" durchlebte, ist oft behauptet worden. Gründlich gestritten aber wurde über diese Metaphorik nicht. Denn selbstverständlich nahm niemand jemals ernsthaft an, mit dem Nazisystem sei etwa dessen Vorgeschichte oder gar sein Erbe verschwunden, habe tabula rasa geherrscht im Lande, sei ein geschichtsloser Neubeginn möglich gewesen. Niemand auch hat bislang behaupten wollen, die Geschichte der Deutschen seit 1945 sei allein die Geschichte der Deutschen und nicht auch die ihrer Nachbarn oder wenigstens der Mächte gewesen, die dem deutschen Expansionismus widerstanden und ihn schließlich besiegten.

Verwiesen haben vielmehr alle — gleich, ob sie die Chiffre nutzten oder nicht — auf den schwierigen Anfang, auf die Konflikte mit den Siegern, auf die Vielzahl und den Widerstreit der deutschen Konzeptionen und damit immer wieder darauf, daß eben nicht alle Weichen gestellt, alle Wege vorgezeichnet, alle Strukturen schon ausgeprägt waren. Und diese Sicht ist sicher richtig

Leider gilt sie hierzulande bislang vor allem für den westdeutschen Weg zur Bundesrepublik. Der andere deutsche Staat, die DDR, er-scheint dagegen häufig noch als Plan-Produkt, als Ergebnis eines Epochen-Kalküls, das — noch im Kriege in Moskau entworfen — unbeirrt verfolgt, schrittweise verwirklicht wurde Die Langlebigkeit dieses Deutungsmusters ist wohl auch Folge der dauerhaft schlechten Quellenlage: Bis auf wenige Ausnahmen fehlen Informationen über die Entscheidungsprozesse in der Sowjetunion und in der DDR; die zugänglichen Daten sind in aller Regel interpretationsbedürftig; sie stammen aus zumeist schwer zugänglichen Partei-und Staatsarchiven und werden von Historikern mitgeteilt, die — parteilich — eher Plan und Kontinuität als Offenheit und Wandel betonen. Zum anderen aber rührt die im Westen häufige Annahme weithin starrer Determinanten auch aus dem offenbar stabilen Legitimationsrahmen, in dem sich die Entstehung der Bundesrepublik vollzog: aus der Rechtfertigung von Staatsbildung und Westintegration mit der Abwehr der vermeintlichen permanenten sowjetischen Expansion, der drohenden „Sowjetisierung" auch des deutschen Westens Aus der Betrachtung geriet dabei, daß der Ost-Option der SED die West-Option der politischen Eliten Westdeutschlands entsprach; daß die Entscheidung, die Bundesrepublik zu gründen, durchaus in dem Wissen getroffen wurde, der Einheit so — zumindest mittelfristig — nicht voranzuhelfen; daß, schließlich, am Beginn der doppelstaatlichen Entwicklung Deutschlands der Weststaat stand.

Dennoch ist die Betonung der Dominanz sowjetischer Interessen im Prozeß der Staatswerdung der DDR grundsätzlich angebracht. Tatsächlich waren die Spielräume für deutsche Politik im Osten des Landes erheblich schmaler als im Westen, und die deutsche Po-

Leicht gekürzte und überarbeitete Fassung des ersten Kapitels eines im Frühjahr 1985 bei Suhrkamp (in der von Hans-Ulrich Wehler herausgegebenen „Neuen historischen Bibliothek“) erscheinenden Bandes „Geschichte der DDR 1949— 1984". Mit freundlicher Genehmigung des Verlages. litik folgte dort, freiwillig oder nicht, der Vormacht ergebener als hier. Der bloße Verweis auf die sowjetische Hegemonie erschwert jedoch den Blick auf ihre politischen Inhalte und deren Wandel, blendet ihren West-Ost-Zusammenhang aus und lädt nicht dazu ein, nach möglichen Interessen-Divergenzen in der sowjetisch-ostdeutschen Zusammenarbeit zu fragen. Unberücksichtigt bleibt in diesem Bild von der „Sowjetisierung" des Landes zwischen Elbe und Oder aber auch das soziale, wirtschaftliche, politische und kulturelle Erbe, die Rolle, die es im Prozeß der Staatswerdung womöglich spielte und die Erscheinungsform, in der es noch heute wirkt. Tendenziell also verkürzt dieser analytische Blickwinkel die DDR-Geschichte um ihre deutsche Dimension, speziell um ihren Zusammenhang mit der Entstehung und Entwicklung der Bundesrepublik, aber auch um die Wirkung der Triebkräfte, die aus den spezifischen Interessenlagen der SED-Führung herrühren, aus den Konflikten in ihren eigenen Reihen etwa oder aus dem Legitimationsbedarf auch ihrer Politik.

Zu betonen, daß die gesamte DDR-Geschichte von innergesellschaftlichen, ostblockinternen, ost-west-und deutschlandpolitischen Entwicklungsfaktoren bestimmt und von ihrer oft widerspruchsvollen Wirksamkeit beeinflußt wurde, erscheint womöglich banal und deshalb erläßlich. Wenigstens beim Versuch der Rekonstruktion der DDR-Gründung aber soll dies stärker ausgeleuchtet werden — insbesondere der ostblock-und deutschlandpolitische Zusammenhang, aber auch die innergesellschaftlichen Bedingungen, die zur wenigstens formalen Legitimierung dieses Prozesses zwangen.

Aus dem Blick bleiben dabei vorerst die neuen sozialstrukturellen Daten der SBZ, die in der Umbruchphase 1945 — 1949 gesetzt wurden und nachhaltigen Einfluß hatten auf die Ausgestaltung des politischen Systems und seiner Willensbildungsprozesse: etwa die ökonomische und politische Entmachtung des Besitzbürgertums und der Großgrundbesitzer, der Aufstieg systemloyaler Funktionseliten in die zunehmend zentralisierten Apparate der Verwaltungsbürokratien infolge der rigorosen Entnazifizierung oder der (auch durch diese Daten bedingte) Einflußverlust der neben der SED existierenden politischen Kräfte. Diese Umbrüche hatten schon sehr früh zu einer Sonderentwicklung der SBZ geführt, hatten die Ausprägung von Machtverhältnissen und Administrationsstrukturen begünstigt, die mit politischen Mitteln auf die Westzonen augenscheinlich nicht zu übertragen waren. Die neue politisch-soziale Dynamik drängte deutlich auf eine eigene staatliche Form 1. Die Volkskongreßbewegung Daß in der Sowjetunion dennoch lange gezögert wurde, auf die Anstrengungen zur Bildung eines westdeutschen Staates und seines Einbaus in das westliche Bündnis mit der Staatsgründung im Osten zu antworten, ist offenkundig. Zunächst hoffte die Sowjet-Führung noch, den westdeutschen Beitritt zur antisowjetischen Allianz stoppen zu können: agitatorisch durch die ostentative Betonung ihres Interesses an der deutschen Einheit, organisatorisch durch eine von den Deutschen in Ost und West getragene nationale Massen-bewegung gegen eine Separatstaatsbildung, quasi-militärisch durch massiven Druck auf West-Berlin, den Schwachpunkt der westlichen Präsenz in Deutschland.

Die nationale Kampagne war bereits Ende 1947 gestartet worden. Am 6. und 7. Dezember trat in Ostberlin ein „Volkskongreß für Einheit und gerechten Frieden" zusammen. 664 der 2 215 Teilnehmer kamen aus den westlichen Besatzungszonen; doch ebenso wie die ostdeutschen „Delegierten" verfügten sie nur über fragwürdige Mandate. Sie waren in öffentlichen Versammlungen, die die KPD arrangiert hatte, gewählt oder (speziell in der SBZ) von Parteien und Verbänden nominiert worden. Das kurzfristige Ziel dieses Kongresses war die Wahl einer Delegation, die den im November/Dezember 1947 in London tagenden Außenministern der Siegermächte ein gesamtdeutsches Votum für die Einheit des Landes präsentieren sollte. Was der Volkskongreß im einzelnen mitteilen wollte, hatte er in einem „Manifest" niedergelegt, in dem u. a. zentrale gesamtdeutsche Verwaltungen, die Enteignung der Großindustrie in den Westzonen und die Bildung einer gesamt-deutschen Regierung noch vor Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland gefordert wurden. Zugleich war von der Versammlung ein „Ständiger Ausschuß" gewählt worden, der für Mitte März 1948 zum 2. Deutschen Volkskongreß nach Berlin einlud. SBZ-Initiativen zur Bildung gesamtdeutscher Gremien hatte es bereits seit 1945 gegeben. Sie waren zunächst von Liberaldemokraten (LDPD) ausgegangen, die damals den Alliierten vorgeschlagen hatten, einen deutschen „Generalbevollmächtigten“ als Verbindungsmann zwischen den (in Potsdam verabredeten, aufgrund französischen Widerstands aber nicht gebildeten) Deutschen Zentralverwaltungen einzusetzen oder zu gleichen Zwecken eine „Kontrollkommission der Parteien" zu bilden. 1946 trat die LDPD für einen „Deutschen Zonenrat" ein, und Anfang 1947 schlug sie vor, einen Ausschuß aus den Führern sämtlicher deutscher Parteien zu bilden. Dieses Gremium sollte Sachverständige benennen, die den Außenministern bei ihrer Moskauer Tagung (März/April 1947) zur Verfügung stehen sollten. Im März 1947 plädierte die Ost-CDU für die Schaffung einer „Nationalen Repräsentation", die die „erste Stufe einer gesamtdeutschen Vertretung des Volkes" bilden sollte.

In den Westzonen hatten Liberale und Christdemokraten diese Anregungen stets begrüßt;

die westliche CDU, mit ihrer östlichen Schwesterorganisation in einer „Arbeitsgemeinschaft" verbunden, förderte insbesondere die Idee einer „Nationalen Repräsentation". Auch die SPD-Führung war grundsätzlich zu einer Mitwirkung bereit, verweigerte aber die Kooperation mit der SED, solange ihre Partei in der SBZ nicht wiederzugelassen sei. Der Alliierte Kontrollrat indes versagte seine Zustimmung. Durch das beständige Veto Frankreichs gegen alle Regungen einer überzonalen Zusammenarbeit der Deutschen blockiert, war Hilfestellung von ihm auch nicht zu erwarten Keiner der Pläne war also realisiert worden. Doch in allen Diskussionen — selbst in der Haltung der SPD — blieb deutlich, daß die Einheit Deutschlands für alle Parteien ein Thema von hohem Rang war.

Auch die SED hatte alle Anstrengungen unterstützt und war mit eigenen hervorgetreten. Sie konnte deshalb hoffen, ihr neuer Anstoß werde zumindest von den SBZ-Parteien aufgenommen und mitgetragen. Im Block aber, in der seit 1945 bestehenden „Einheitsfront der antifaschistisch-demokratischen Parteien" der SBZ, stieß sie am 24. November 1947 mit ihrem Ansinnen, eine „gesamtdeutsche Willenserklärung zur Londoner Konferenz" herbeizuführen, auf die Ablehnung der CDU. Ihr Vorsitzender Jakob Kaiser berief sich auf die Haltung der SPD, aber auch auf Gespräche mit westdeutschen Parteifreunden, die ihm signalisiert hatten, daß eine gemeinsame Erklärung aller deutschen Parteien nicht zu erzielen sei Da Blockbeschlüsse gemäß der Geschäftsordnung nur einstimmig gefaßt werden konnten, war der Vorstoß gescheitert.

Die SED sah sich somit veranlaßt, allein zum Volkskongreß aufzurufen. Zwar beschloß die LDP kurz darauf ihre Mitwirkung, und auch die CDU der SBZ stellte ihren Mitgliedern die Teilnahme anheim; gleichwohl fehlte der Bewegung aufgrund der CDU-Haltung von vornherein jene Minimallegitimation, derer sie bedurft hätte, um die im Westen ohnehin starke Skepsis gegenüber einer Ost-Initiative zumindest zu mildern und vielleicht doch die erhoffte Massenwirksamkeit zu erreichen. Problematisch war freilich schon das Konzept. Denn anders als die zuvor gescheiterten Initiativen zielte der Volkskongreß nicht auf eine Kooperation von Parteien, sondern sah in ihr nur die Basis für die . Mobilisierung'des ganzen Volkes; er sollte also eher eine Massenbewegung als eine institutionalisierte Zusammenarbeit bewirken.

Die Idee für eine Massenkampagne hatten die SED-Spitzen wahrscheinlich nach Gesprächen mit der sowjetischen Parteiführung entwickelt. Im Juli 1947 war eine SED-Delegation (die Parteivorsitzenden Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl sowie ihre Stellvertreter Walter Ulbricht und Max Fechner) in Moskau von Stalin, Außenminister Molotow, Innen-und Sicherheitsminister Berija sowie von den Politbüro-Mitgliedern Suslow und Shdanow empfangen worden. Stalin hatte sich unzufrieden über die gesamtdeutsche Politik der SED geäußert Zwar ging auch er davon aus, die sowjetische Politik werde „in der Frage der Einheit Deutschlands" nur „schrittweise" vorankommen, und dieser Prozeß könne fünf, sechs oder gar sieben Jahre dauern. Die SED jedoch müsse „den Kampf von innen her führen“ und erreichen, „daß die reaktionären Kräfte in der Wirtschaft und der Verwaltung ausgeschaltet, daß echte demokratische Reformen durchgeführt werden“

Dieses Ziel hatte die Resolution des ersten Volkskongresses denn auch genannt. Die Hoffnung auf Kämpfe aber, auf Massen-kämpfe gar, löste die Kampagne nicht ein. Die Volkskongreß-Bewegung wurde in den westlichen Besatzungszonen verboten und konnte sich zum 2. Volkskongreß nur insofern formieren, als es ihr gelang, auf wiederum inszenierten Versammlungen „Delegierte" für die Berliner Tagung zu benennen. Immerhin waren unter den knapp 2 000 Teilnehmern, die sich am 17. und 18. März 1948 in Ost-Berlin versammelten, noch etwa 500 aus den westlichen Besatzungsgebieten. Stärker hingegen als beim 1. Volkskongreß war das Gewicht der SED und ihrer Massenorganisationen. Als Parteimitglieder stellten SED-und KPD-Anhänger zwar zusammen nur 25 Prozent der Delegierten (1947 etwa 40 Prozent). Zusammen mit den Abgesandten der Massenorganisationen (z. B.der Gewerkschaften, der Freien Deutschen Jugend) lag ihr Anteil aber bei ca. 65 Prozent. Die Quote der CDU-und LDP-Vertreter sank gegenüber 1947 von einem Vierteil auf ein Fünftel. Der Kongreß berief einen ständigen Ausschuß, den „Deutschen Volksrat" (300 Ost-, 100 Westdeutsche), und dieser wählte Fachgremien, u. a. einen Verfassungsausschuß, der kurz darauf mit der Diskussion über die Verfassung für eine gesamtdeutsche Demokratische Republik begann. Einen entsprechenden Entwurf hatte die SED schon 1946 vorgelegt 2. Der Zerfall des Kontrollrates Zur unmittelbaren Aufgabe des Volksrates aber wurde ein Volksbegehren. Mit ihm sollte geklärt werden, „ob das deutsche Volk die Durchführung einer Volksabstimmung über die Einheit Deutschlands verlangt". Für diese Volksabstimmung wurde ein Zwei-Paragraphen-Gesetz vorgeschlagen, das — im Falle seiner Billigung — vom Alliierten Kontrollrat in Kraft gesetzt werden sollte. Paragraph 1 definierte Deutschland als „unteilbare demokratische Republik", in der den Ländern ähnliche Rechte zustehen sollten wie nach der Weimarer Reichsverfassung; Paragraph 2 bestimmte: „Dieses Gesetz tritt mit seiner Verkündung in Kraft". In der französischen und amerikanischen Zone wurde die Unterschriftensammlung verboten. Die amerikanische Militärregierung erklärte, die Volkskongreßbewegung sei vom Kontrollrat nicht anerkannt, und über die Einheit Deutschlands sei ein Volksentscheid nicht erforderlich. Die britische Behörde, die die Sammlung duldete, nannte die Aktion „nutzlos, unnötig und unerwünscht". Von den knapp 13 Millionen Zustimmungen, die die Initiatoren im Frühjahr 1948 nach eigenen Angaben registrierten, kamen deshalb ca. 12 Millionen aus der SBZ, wo Parteien, Massenorganisationen und auch die Sowjetische Militärregierung die Kampagne kontrollierten

Doch als der Volksrat am 14. Juni 1948 diese Zahlen veröffentlichte, gab es für das ohnehin chancenlose Volksbegehren faktisch keinen Adressaten mehr. Der Kontrollrat, der die Volksbefragung hätte billigen und das Gesetz verkünden müssen, war am 20. März zum letzten Mal zusammengekommen. Den turnusmäßigen Vorsitz hatte Marschall Wassili D. Sokolowski geführt, der Chef der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD). Er forderte die Vertreter der Westmächte auf, den Kontrollrat über Beschlüsse zu informieren, die von einer Sechs-Mächte-Konferenz gefaßt worden waren, an der die Außenminister der USA, Großbritanniens, Frankreichs und der Benelux-Staaten teilgenommen hatten. Die Konferenz war am 23. Februar 1948 in London zusammengetreten und hatte sich am 6. März vertagt. Sie hatte Fragen des westeuropäischen Zusammenschlusses diskutiert und dabei auch nach Wegen gesucht, die Westzonen in das von den USA finanzierte Westeuropäische Wiederaufbauprogramm (Marshall-Plan) einzubeziehen. Schon bald war deutlich geworden, daß die Westmächte die Bildung eines westintegrierten separaten Staatsgebildes anstrebten. Die Sowjetunion hatte schon gegen die Konferenz protestiert und sich auch bei ihrem Informationsverlangen im Kontrollrat auf die Absprache der Siegermächte berufen, Fragen, die „Deutschland als Ganzes betreffen", nur gemeinsam zu entscheiden. Sie bewertete das isolierte Vorgehen der einstigen Partner als Bruch dieser Vereinbarung. Als sich die Vertreter der Westmächte im Kontrollrat weigerten, die gewünschten Berichte zu geben, sah Sokolowski „keine Veranlassung, die heutige Sitzung weiterzuführen", vertagte sie und verließ mit seiner Delegation das Kontrollrats-Gebäude. Zuvor freilich hatte er erklärt, daß der Kontrollrat aufgrund der westlichen Haltung „in Wirklichkeit nicht mehr als Organ der höchsten Gewalt in Deutschland besteht"

Das entsprach den Tatsachen — freilich nicht erst seit dem Frühjahr 1948. Schon zuvor war der Kontrollrat — ebenso wie die Regierungen der Siegermächte — außerstande gewesen, sich über eine gemeinsame Politik gegenüber Deutschland zu verständigen. Beide Seiten hatten in ihren Besatzungsgebieten Strukturentscheidungen forciert oder geduldet, die die Chance einer einheitlichen Entwicklung Nachkriegsdeutschlands schon sehr früh reduzierten. Je deutlicher die Gegensätze zwischen West und Ost aufbrachen, desto unfähiger und unwilliger zeigten sich beide Seiten gegenüber einem Kompromiß.

Seit der Verkündung von Truman-Doktrin und Marshall-Plan im Jahre 1947 meinte man in der Sowjetunion zu wissen, der „amerikanische Imperialismus" setze auf Konfrontation.

Mit der Ausschaltung der bürgerlichen Opposition aus der Prager Regierung im Februar 1948 schien sich dem Westen die These vom „sowjetischen Expansionismus" endgültig zu bewahrheiten. Als schließlich — Konsequenz der zweiten Londoner Konferenz (20. April bis 1. Juni 1948) — den Ministerpräsidenten der westdeutschen Länder die Bildung eines Weststaates empfohlen und bereits am 18. Juni beschlossen wurde, am 20. Juni in den Westzonen eine separate Währungsreform durchzuführen, war die Spaltung Deutschlands faktisch vollzogen.

Zwar kamen die Siegermächte der Währungsreform wegen am 22. Juni noch einmal im Finanzausschuß des Kontrollrates zusammen, aber nur, um über deren Folgen für Berlin zu sprechen. Die sowjetischen Vertreter sperrten sich sowohl gegen den Umlauf der neuen Westwährung in ganz Berlin als auch gegen die westliche Erwägung, eine östliche Währung in allen Sektoren für den Fall zuzulassen, daß Emission und Umlauf unter Kontrolle der Alliierten stehe. Diese Variante, so fürchteten sie offenbar könnte den Westmächten ein Mitspracherecht über die ostzonale Wirtschaftspolitik geben, das die Sowjetunion in den Westzonen nicht hatte. Die gleichfalls von den Westmächten erwogene Zulassung einer Sonderwährung für ganz Berlin lehnten sie als „Utopie", als . Albernheit" ab und fragten, ob es „vernünftig" sei (was die Sowjet-Regierung zehn Jahre später für Westberlin forderte), „aus Berlin einen besonderen Staat zu machen" Sie bestanden statt dessen auf der Zugehörigkeit aller vier Sektoren Berlins zum Wirtschafts-und Finanzsystem der SBZ und verlangten deshalb die Einbeziehung der ganzen Stadt in die von ihnen nun angekündigte eigene Währungsreform. Die Westmächte dagegen gaben bekannt, was zuvor bereits intern mit führenden westdeutschen und Westberliner Politikern verabredet, in der deutschen Öffentlichkeit aber keineswegs unstrittig war: die Einführung der D-Mark in ihren Sektoren. Die Spaltung Deutschlands zog die der Viermächte-Stadt nach sich. Schon am 20. Juni 1948 hatte Sokolowski den westlichen Militärregierungen mitgeteilt, die schwierige Lage zwinge die SMAD dazu, „sofortige und notwendige Maßnahmen zu ergreifen, um die Interessen der deutschen Bevölkerung und der Wirtschaft der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands zu schützen" Diese Maßnahmen, bereits seit Anfang des Jahres erprobt, traten in der Nacht zum 20. Juni in Kraft: Die Sowjets begannen mit der Sperrung des Personenzugverkehrs, blockierten schließlich seit Anfang Juli die Straßen-, Schienen-und Wasserwege nach Berlin und schnitten die Westsektoren von der Ostberliner Strom-und Gasversorgung ab. Verhindert wurde auch der Fußgängerverkehr über die Zonengrenze zwischen den östlichen und westlichen Besatzungsgebieten. Militärkonvois sicherten das westliche Zugangsrecht nach Berlin.

Die von der SMAD gegebene und von den SBZ-Behörden repetierte Begründung, die Absperrung sei nötig, um „das massenhafte Einströmen riesiger Beträge wertlosen Geldes in die Sowjetische Besatzungszone zu verhindern" erwies sich als fadenscheinig. Schon am 21. Juni hatten SMAD und Deutsche Wirtschaftskommission — die oberste Wirtschaftsbehörde der SBZ — für den 26. Juni eine eigene Währungsreform angekündigt. Vorerst wurde sie durch Aufkleber (Kupons) auf den alten Banknoten sichtbar gemacht. Seit dem 25. Juli aber waren die neuen Geldscheine im Umlauf Seither bestand also die beschworene Gefahr nicht mehr, das alte Geld könne die SBZ-Wirtschaft stören.

Die Blockade aber dauerte an. Begründet wurde sie nun zuweilen mit „technischen Problemen" bei der Verkehrsabwicklung oder mit notwendigen Reparaturen an Straßen, Schleusen und Schienen. Daß diese nur vorgeschoben waren, war allen bekannt. Und auch Sokolowski, so erinnerte sich der amerikanische Militärgouverneur Lucius D. Clay, machte daraus Anfang Juli seinen westlichen Kollegen gegenüber kein Hehl, als er sagte, „die technischen Schwierigkeiten würden so lange anhalten, bis die Westmächte ihre Pläne für eine westdeutsche Regierung begraben hätten"

Ob die Sowjetunion wirklich meinte, die Westmächte mit dieser Aktion verhandlungsbereit stimmen zu können, oder ob ihre Führung hoffte, auf diese Weise Kontrolle über die ganze Stadt zu erlangen, läßt sich nicht eindeutig beantworten. Sicher dagegen scheint, daß sie mit der von Clay initiierten und sich als erfolgreich erweisenden Luftbrücke, über die die Westsektoren nahezu ein Jahr lang versorgt wurden, ebensowenig gerechnet hatte wie mit den emotionalen und 1 politischen Folgen ihrer Blockade: Nicht nur in West-Berlin, auch in Westdeutschland festigte sich das Negativbild der sowjetischen Politik, erneuerte sich der traditionelle Antikommunismus und wurde zum zentralen Moment des Massenbewußtseins. Es entstand das Bedrohungstrauma, das der Bildung des westlichen Separatstaates und seiner Eingliederung in das amerikanische Bündnissystem die bis dahin fehlende Massenlegitimation verschaffte, das zudem dafür sorgte, daß alternative Konzepte für die Innen-und Außenpolitik in dieser Zeit nicht mehrheitsfähig waren. 3. Ostintegration statt Einheit?

Doch auch angesichts dieser Lage — angesichts von Währungsspaltung und Staatenbildung in West und Ost, der Konfrontation der Sowjetunion und der Westmächte in Berlin, des rapiden Einflußverlusts kommunistischer Politik im Westen und der nur bedingten Unterstützung ihrer Politik durch die Blockparteien in der SBZ — hielt die SED nach außen an ihrem Einheitskonzept fest: Intern aber war ihr bewußt, daß alle Versuche, die Deutschen in West und Ost für eine Massenbewegung zu gewinnen, wohl endgültig illusorisch geworden waren.

Am 10. Juli 1948 hatten die Ministerpräsidenten der westdeutschen Länder in Koblenz ak-zeptiert, was die Westmächte in London beschlossen und die Militärgouverneure am l. Juli in den „Frankfurter Dokumenten" niedergelegt hatten: den Beginn der Arbeit an einer Verfassung für einen deutschen Weststaat. Zwar hatten sich die Länderchefs —-um das Provisorische dieses Unternehmens zu betonen — nicht für eine Verfassung, sondern für ein „Grundgesetz" entschieden, die erste Zusammenkunft des aus Landtagsabgeordneten gebildeten verfassunggebenden Organs, des Parlamentarischen Rates, aber wunschgemäß für den 1. September einberufen.

Auch die SED-Politik hatte seit dem Frühjahr 1948 immer stärker dem Ausbau einer Staatlichkeit gegolten, die ganz offenkundig auf die Integration der SBZ in den sich formierenden Ostblock zielte. Im Juni war dazu eine Doppelentscheidung gefallen: Die Parteiführung hatte beschlossen, in der SBZ einen Zweijahresplan für die Jahre 1949 und 1950 in Kraft zu setzen, und zugleich angekündigt, die Einheitspartei in eine „Partei neuen Typus", in eine kommunistische Partei nach dem Bilde der KPdSU umzuwandeln. Dieser Politikentwurf wies in die gleiche Richtung, für die auch die anderen in Osteuropa herrschenden Parteien in eben dieser Zeit die Weichen stellten. Alle hatten mit der längerfristigen Wirtschaftsplanung begonnen, und alle schickten sich an, im dort beginnenden Prozeß ihrer Verschmelzung mit den jeweiligen sozialdemokratischen Parteien ihr Organisationsgefüge dem der sowjetischen Partei anzupassen. Die Vereinheitlichung der politischen und wirtschaftlichen Strukturen in Ost-und Süd-osteuropa war Anfang 1948 durch den Konflikt zwischen der Sowjetunion und den auf nationale Selbständigkeit bedachten jugoslawischen Kommunisten forciert worden. Die programmatisch-ideologische Chiffre, die sie begleitete, und mit der das Ziel umrissen werden sollte, hieß: „Volksdemokratie". Diese Vokabel, schon seit Kriegsende gängige ideologische Münze, hatte bisher auf einen gesellschaftlichen Zustand verweisen sollen, der nicht mehr kapitalistisch, aber auch noch nicht sozialistisch war. Seit Mitte 1948 wurde sie jedoch zunehmend zur Interpretation einer Entwicklung benutzt, an deren Ende das Modell der Sowjet-Gesellschaft stand. Das wurde insbesondere dadurch deutlich gemacht, daß alle Parteiführungen demonstrativ von einem programmatischen Begriff abrückten, den sie bis dahin zumindest zeitweilig propagiert hatten: den „eigenen", nationalen Weg zum Sozialismus

Diese Wendung vollzog die SED-Führung erst im September 1948. Schon Ende Juni aber bekannte sie sich zum Weg der Bruderparteien. Otto Grotewohl, einst Führer der SPD in der SBZ, jetzt zusammen mit Wilhelm Pieck Vorsitzender der Einheitspartei, machte dies in einer Rede deutlich; ostentativ betonte er auch, worauf die nationale Politik seiner Partei bis dahin stets gerichtet war: „Die Spaltung Deutschlands", erklärte er auf einer Tagung des SED-Parteivorstandes, der am 30. Juni über den Zweijahresplan und die Umwandlung der Organisation in eine Partei neuen Typus beriet, „läßt kein Streben der sowjetischen Besatzungszone zu, etwa das Wohlwollen der westlichen Besatzungsmächte zu erringen, dafür ist jetzt kein Platz mehr. Wäre die Möglichkeit vorhanden, daß die phantasievollen Vorstellungen der bürgerlichen Parteien durchführbar sind, die immer davon reden, wir müssen uns als eine Brücke zwischen Ost und West ansehen, dann ließe eine solche Kompromißlösung bestenfalls für uns die Ausrichtung auf den Kapitalismus zu und bestenfalls die Wiedererrichtung einer gewöhnlichen bürgerlichen Republik. Das aber, Genossen, ist kein politisches Ziel, das wir vor Augen haben. Das wollen wir nicht. Also ergibt sich aus der durch London geschaffenen Situation die klare Beantwortung unserer Frage so, daß die Ausrichtung unserer Partei bei der Durchführung dieses Wirtschaftsplanes sich eindeutig und ohne jeden Rückhalt nach dem Osten zu orientieren hat! Davon bleibt unsere Forderung nach der Einheit Deutschlands unberührt." Der Osten — das waren die Volksdemokratien, die sich „ideologisch klar und eindeutig auf den Weg des Marxismus-Leninismus ausgerichtet" hatten, auf eine Sozialordnung, deren „politische Ge-staltung in allen diesen Ländern fast übereinstimmt", und in ihrem Weg sah er „die einzige Entwicklungsmöglichkeit, die uns ... in unserer Zone geblieben ist, und die wir als marxistisch-leninistische Partei ... klar erkennen müssen"

Die Blockparteien widersprachen diesem Programm. Die LDP monierte speziell den Führungsanspruch der SED. Das Parteiblatt „Der Morgen" schrieb: „Grotewohls Anspruch ... schwitzt Alleinherrschaft aus allen Poren ... Die „Neue Zeit" der CDU nahm sich auch seiner deutschlandpolitischen Aussagen an. Er habe in seinem Plädoyer für die Ost-orientierung der Ostzone „fertige Tatsachen" angedroht, „die der Einheit Deutschlands ins Gesicht schlagen würden". Sie warnte davor, die „Fehler in der einen Zone mit den gleichen Fehlern in einer anderen" zu erwidern und verlangte, „noch überzeugter als bisher allein für Deutschland und nur für das ganze Deutschland zu optieren..." Doch auch mit den bislang in der Sowjetunion verlautbarten deutschlandpolitischen Zielen hatte diese Konzeption nur wenig gemein. Dennoch hielt die SED-Führung bis zum Jahresende an ihr fest. Ihre Mitglieder betonten immer wieder die volksdemokratischen Entwicklungsmomente ihrer Zone und deren Nähe zu den osteuropäischen Ländern. 4. Einheit statt Ostintegration?

Im Dezember wurden ihre Repräsentanten nach Moskau gebeten. Sie fuhren am 12., kamen Heiligabend zurück und kurz vor Silvester dementierte Wilhelm Pieck in einem Interview den ostdeutschen Weg zur Volks-demokratie: „Die SED sieht ihre Aufgabe nicht darin, zur Volksdemokratie überzugehen, sondern vielmehr darin, die bestehende neue demokratische Ordnung zu festigen ...“. Die nationale Frage rückte er wieder in den Mittelpunkt („die Verstärkung des Kampfes gegen die Kriegshetzer, für den Frieden und die Einheit Deutschlands"); und auf die Frage, ob im Deutschen Volksrat die Absicht bestehe, „für die Ostzone eine selbständige Regierung zu schaffen", antwortete er: „Eine solche Absicht besteht nicht."

Wahrscheinlich war der Kurswechsel der Einheitspartei durch kritische Worte Stalins eingeleitet worden. Trifft zu, was ein sowjetischer Teilnehmer an der Moskauer Dezember-Begegnung einem SED-Funktionär berichtete, dann waren sie schroff, galten aber wohl eher der Taktik als der Strategie der SED. Stalin, vom Hörensagen: „Ihr deutschen Kommunisten seid wie Eure Vorfahren, die Teutonen. Ihr kämpft immer mit offenem Visier. Das ist vielleicht mutig, aber oft sehr dumm. Man diskutiert bei Euch unter den unerhört schwierigen Verhältnissen ... über eine volksdemokratische Ordnung, diskutiert über Diktatur des Proletariats oder bürgerlich-demokratische Ordnung. Die Diskussion ist äußerst dumm und schädlich. Man muß sie beenden. Die Analyse, was für eine Ordnung in Deutschland war, kann man hinterher machen, wenn man in Deutschland gesiegt hat, jetzt soll man besser arbeiten."

Gearbeitet wurde. Zunächst widerrief Otto Grotewohl. Auf der ersten Parteikonferenz der SED, einem Ersatzparteitag, der ihren Wandel zur Partei neuen Typs beschleunigte, nannte er am 25. Januar 1949 ein „einheitliches, fortschrittliches und demokratisches Deutschland" die „strategische Aufgabe unserer Partei"; noch im November 1948 hatte er in der „Einheit", dem Theorie-Blatt der SED, verlangt, die, Partei in ihrer „Gesamtpolitik ... eindeutig und ohne jeden Rückhalt nach Osten zu orientieren" Zugleich aber trieb die SED die Zentralisierung der Wirtschaftsplanung und die Arbeit mit der Volkskongreßbewegung voran. Mitte März rief der Volksrat den „nationalen Notstand" aus, verlangte „nationale Selbsthilfe" und beschloß Wahlen für einen 3. Volkskongreß, der Ende Mai 1949 in Berlin zusammentreten und die Verfassung abschließend beraten sollte.

Die Wahlen zu diesem Volkskongreß freilich stellten die SED vor erhebliche Probleme. An-ders als im Herbst 1946, als die Partei bei den Landtagswahlen knapp die Hälfte der Stimmen gewann, drohte ihr nun — darin stimmen alle Zeitgenossen überein — eine Niederlage. Bereits im Herbst 1948 waren die fälligen Kommunalwahlen verschoben worden, und für Oktober standen gemäß der Wahlordnung von 1946 neue Landtagswahlen an. Zu Listenverbindungen oder gemeinsamen Listen waren die Blockpartner nicht zu gewinnen. Aber einer Einheitsliste für die Wahlen zum Volkskongreß stimmten sie zu — angesichts des „nationalen Notstands" und nachdem die SED versichert hatte, die anstehenden regulären Wahlgänge würden nach herkömmlichen Verfahren stattfinden. Bei den Verhandlungen über die Quoten trat die SED formal zurück. Sie beanspruchte für sich nur ein Viertel und billigte CDU und LDP zusammen ein knappes Drittel der Kandidaten zu. Für die 1948 gebildeten neuen, loyalen Parteien jedoch — für die Nationaldemokratische und die Bauernpartei — verlangte sie zusammen 15 Prozent, für die Gewerkschaften ein Zehntel und für andere Massenorganisationen — wie die FDJ, den Kulturbund, den Frauenbund — und Einzelkandidaten zusammen noch einmal ein Fünftel.

CDU und LPD akzeptierten und schufen damit ein fait accompli, das sie später außerstande setzte, ihre Forderungen nach Wahlen mit getrennten Listen durchzusetzen. Denn: Der nationale Notstand dauerte an, forderte Gemeinsamkeit, und die SED ließ nicht nach, ständig darauf zu verweisen. Doch warum die Blockpartner mitspielten, bleibt im dunkeln. Sicher war der Druck, unter dem sie standen, groß, blieben die werbend-drohenden Gespräche mit den Offizieren der SMAD und den Spitzen der Einheitspartei nicht ohne Wirkung. Illusionär aber war das Argument, mit dem etwa die Parteiführung der CDU den Mitgliedern ihre Entscheidung zu erklären versuchte: Nach den nächsten Landtagswahlen werde sich ohnehin vieles ändern, infolge eines Sieges der Union

Zunächst jedoch hatte die kooperationsbereite CDU-Führung Mühe, einen Erfolg der Einheitsliste zu sichern. Für die Wahlen, die am 15. und 16. Mai stattfanden, hatte der Volksrat Stimmscheine drucken lassen, die ein Bekenntnis erleichtern, ein Nein aber wohl erschweren sollten. Ihr Text: „Ich bin für die Einheit Deutschlands und einen gerechten Friedensvertrag. Ich stimme darum für die nachstehende Kandidatenliste zum Dritten Deutschen Volkskongreß." Daneben zwei Kreise für das Ja-bzw. Nein-Kreuz. Dennoch schien der Erfolg ungewiß. Am Abend des ersten Abstimmungstages erging von der Berliner Zentralverwaltung für Inneres an die Innenminister der Länder die Order, die bisherige Auszählung zu wiederholen und dabei die ungültigen Stimmen darauf zu überprüfen, ob sie nicht doch als zustimmende Äußerungen zu werten seien. Das galt sowohl für weiße Stimmscheine als auch für solche, die mit Kommentaren versehen oder auf denen Kandidaten gestrichen worden waren

Nach überschlägigen Schätzungen im Berliner Parteienblock wurden auf diese Weise höchstens ein bis zwei Prozent, nach Ermittlungen der CDU-Führung sieben bis zehn Prozent positive Voten hinzugewonnen

Das veröffentlichte Resultat erwähnte noch 6, 7 Prozent ungültige Stimmen; von den gültigen wurden 66, 1 Prozent als Ja-und 33, 9 Prozent als Nein-Entscheidungen registriert

Das war weit weniger, als die SED erwartet hatte, reichte in ihrer Sicht aber aus — und so bewerteten in ihren öffentlichen Stellungnahmen auch die Blockpartner das Ergebnis — den Volkskongreß demokratisch eindeutig zu legitimieren, zumal dessen Aufgabe sich ja darauf beschränkte, Willenserklärungen gegen die Spaltung Deutschlands zu formulieren und den Entwurf einer Verfassung für eine einheitliche deutsche demokratische Republik zu verabschieden.

II. Die Staatsgründung

1. Der dritte Volkskongreß und die „Nationale Front"

Dies jedenfalls war das Programm, das den 1 441 gewählten SBZ-Delegierten und den 528 Teilnehmern aus den westlichen Besatzungszonen vorlag, als der Kongreß am 29. Mai 1949 in Ost-Berlin zusammentrat: drei Wochen Mai 1949 in Ost-Berlin zusammentrat: drei Wochen nach der Verabschiedung des Grundgesetzes durch den Parlamentarischen Rat, sechs Tage nach seiner Bestätigung durch die westlichen Besatzungsmächte und sechs Tage nach Beginn eines Außenminister-Treffens der Siegermächte in Paris, bei dem schon nach den ersten Sitzungen erkennbar war, daß eine Verständigung nicht erzielt werden würde. Zwar waren durch das Anfang Mai 1949 erzielte Abkommen zwischen dem amerikanischen Sonderbotschafter Philip C. Jessup und dem sowjetischen UN-Delegierten Jakob A Malik über das Ende der West-Berlin-Blockade und die Einstellung westlicher Gegenmaßnahmen die Ost-West-Beziehungen entspannt worden. Zu einer Annäherung in der Deutschland-Frage aber kam es nicht.

Die Westmächte boten den ostdeutschen Ländern den Beitritt zum Grundgesetz an und lehnten den sowjetischen Vorschlag ab, einen gesamtdeutschen „Staatsrat" aus Vertretern der in West (Zwei-Zonen-Wirtschaftsrat) und Ost (Deutsche Wirtschaftskommission) bestehenden Wirtschaftsverwaltungen zu bilden.

Dieses Gremium sollte — unter Aufsicht des wiederzubelebenden Kontrollrates — Regierungsfunktionen übernehmen und bei der Ausarbeitung eines Friedensvertrages mitwirken. Am Mai stimmte der Volkskongreß bei einer Gegenstimme dem Verfassungsentwurf zu und verabschiedete ein „Manifest an das deutsche Volk", in dem er zur Bildung einer „nationalen Front für Einheit und gerechten Frieden" aufrief. Diese Front, so die Erwartung, sollte „alle nationalgesinnten" Kräfte zusammenschließen und für die Bildung einer „vorläufigen zentralen demokratischen Regierung“ aus Vertretern der Parteien und Organisationen und deren Teilnahme an einer Friedenskonferenz der Siegermächte kämpfen. Das Ziel: ein Friedensvertrag „auf der Grundlage der Beschlüsse von Jalta und Potsdam" 28).

Das Konzept der nationalen Front stammte aus dem bündnispolitischen Arsenal der Kommunistischen Weltbewegung. Es war seit 1941 überall in Europa praktiziert worden und hatte dazu beigetragen, die Kommunisten durch den gemeinsamen Widerstand gegen die deutsche Okkupation bündnisfähig zu machen. Seit 1949 wurde es von den kommunistischen Parteien erneut als bündnispolitisches Instrument eingesetzt, jetzt in der Hoffnung, speziell in den westeuropäischen Ländern gegen die Westblockbildung mobilisieren zu können 29). Im Mai 1949, auf dem 3. Volkskongreß, wurde dieser Gedanke aber nicht von der SED-Spitze, sondern von einem Bündnispartner vorgetragen: von Otto Nuschke, dem Nachfolger Jakob Kaisers im Amt des CDU-Vorsitzenden. Er dankte der Sowjet-Union für ihre deutschlandpolitischen Initiativen, appellierte an „alle Deutschen, die guten Willens sind", in „nationalen Grundfragen“ zusammenzustehen, und forderte „im Einklang mit dem deutschen Volkswillen", „eine Form der deutschen Einheit zu finden, eine deutsche Zentralregierung in irgendeiner Form herzustellen" 30).

Inspiriert worden war Otto Nuschke wohl von der SED-Führung. Sie hatte bereits Ende 1947 darüber diskutiert, „ob die Kraft des Blocks" — die Kooperation der SBZ-Parteien — noch ausreiche, um den „Anschlägen" gegen die „demokratische Einheit" Deutschlands wirkungsvoll zu begegnen. Unter Hinweis auf „überparteiliche Sammlungsbewegungen in anderen Ländern" war angeregt worden, eine „breite Volksbewegung ohne feste Organisationsformen" ins Leben zu rufen, die über den Rahmen der traditionellen Bündnistypen hinausreiche Der erste Versuch, diese Bewe-gung zu initiieren, waren die Volkskongresse gewesen, und im Juli 1949 machte es der Parteivorstand der SED zur „Pflicht", „mit allem Ernst an das Studium der nationalen Frage ... heranzugehen ..., an die Schaffung einer nationalen Front des demokratischen Deutschland gegen die Unterdrückung der deutschen Nation durch den amerikanischen Imperialismus .. Erreicht werden sollte die „Einreihung des deutschen Volkes in das antiimperialistische Lager, dessen stärkste Kraft die Sowjetunion ist.. .“ Statt der Westintegration also die Ostintegration Deutschlands, ganz Deutschlands, nota bene — so wenigstens die Agitation. Zur Ausarbeitung eines Programms setzte die Parteiführung eine Kommission ein, wartete aber im übrigen die Entwicklung im Westen ab. 2. Die DDR — eine Interimslösung?

Diese freilich dementierte alle Hoffnungen auf einen breiten nationalen Protest. Bei den Bundestagswahlen am 9. August 1949 erreichten die Parteien, die sich grundsätzlich für Staatsbildung und Westintegration ausgesprochen hatten, die absolute Mehrheit; der SPD fiel die Rolle der Opposition zu, und die KPD — jene Partei, die als einzige ihren Wahlkampf mit vaterländischen Parolen nach SED-Zuschnitt geführt hatte — erreichte mit einem Stimmenanteil von 5, 7 Prozent nur einen schmalen Achtungserfolg. Am 7. September konstituierte sich der Deutsche Bundestag, und am 15. September schließlich wählte das Parlament mit Konrad Adenauer einen Politiker zum Regierungschef, dessen eindeutige Westorientierung den SPD-Führer Kurt Schumacher später veranlaßte, ihn den „Kanzler der Alliierten“ zu nennen. Zwar hatte er nur mit (s) einer Stimme die Mehrheit erreicht, und eigentlich ungültige Stimmzettel (auf ihnen stand freilich sein Name) hatten zuvor vom Plenum als gültig gewertet werden müssen — doch die Verhältnisse waren damit klar in Bonn.

Womöglich war die Kanzlerwahl vom 15. September auch für die Sowjetführung ein Signal: Am 16. September jedenfalls traf eine SED-Delegation(Pieck, Ulbricht, Grotewohl und der Partei-Theoretiker Fred Oelßner) in Moskau ein, um — wie ein DDR-Historiker 26 Jahre später erstmals mitteilte — „mit den Repräsentanten des Politbüros der KPdSU (also auch mit Stalin, d. V.) über die mit (der) Bildung des westdeutschen imperialistischen Staates entstandene Lage“ zu beraten und die „notwendigen gemeinsamen Schritte zur Gründung der DDR“ zu planen 13 Tage waren die Spitzenfunktionäre in Moskau. Worüber sie dort im einzelnen berieten, wurde bislang nicht mitgeteilt Sicher aber wurde auch über die Weltlage gesprochen. Sie war aus sowjetischer Sicht keineswegs schlecht: In China hatte Mao-Tse Tungs Volksarmee nahezu das ganze Land unter Kontrolle, die chinesischen Kommunisten schickten sich an, die „Volksrepublik" auszurufen; gegründet wurde sie am 4. Oktober, und damit schien das „Lager der Volksdemokratie" auf Dauer gestärkt. Sorgen bereitete der Sowjet-Führung allerdings Jugoslawien, dessen regierende Kommunisten sich trotz heftiger Pressionen der Sowjet-Union und der Volksdemokratien weigerten, ihre Verurteilung durch das Kominform (der im September 1947 ohne SED und KPD vollzogene Zusammenschluß von neun der wichtigsten kommunistischen Parteien Europas in einem „Kommunistischen Informationsbüro") im Sommer 1948 zu akzeptieren und ins Lager zurückzukehren. Um diese zentrifugale Tendenz zu unterbinden, hatte die Sowjetunion in den osteuropäischen Ländern — zunächst in Albanien, dann in Ungarn und Bulgarien — Schauprozesse gegen einstige Parteiführer mit vermeintlichen Neigungen zu nationaler Selbständigkeit arrangiert, den Angeklagten absurde Schuldgeständnisse abpressen und sie schließlich erschießen lassen: wegen Zusammenarbeit mit westlichen Geheimdiensten, Trotzkisten und — vor allem — mit den jugoslawischen Kommunisten. Wohl auch angesichts dieser Lage sprachen die Sowjetführer mit den deutschen Abgesandten über die „Entwicklung der Zusammenarbeit mit der UdSSR und den volksdemokratischen Ländern" sowie über die „Vorbereitung des ersten Fünfjahrplanes" für Ostdeutschland — über die weitere Ostintegration also. Diese Perspektive erwähnte nach dem 28. September 1949 in der Öffentlichkeit keiner der Heimkehrer. Auch parteiintern wurde sie nicht diskutiert. Die SED versuchte vielmehr, den Eindruck zu vermitteln, als sehe sie noch immer eine Chance, die Einheit Deutschlands zu erhalten. Der Parteiapparat wurde angewiesen, überall im Lande für eine nationale Politik zu agitieren, und auch die Sowjetische Militäradministration schaltete sich ein. Speziell in SAG-Betrieben (ehemals deutsche Werke, die seit 1946 in der Rechtsform von Sowjetischen Aktiengesellschaften [SAG] für sowjetische Reparationsforderungen produzierten) fanden Massenversammlungen statt, von denen einschlägige Resolutionen verabschiedet wurden. Begonnen hatte die Kampagne am 1. Oktober, und schon am 4. konnte „Neues Deutschland" melden: „Forderung der Massen: Deutsche Regierung". Damit war, wie die Redaktion erläuterte, eine provisorische, gesamtdeutsche Regierung gemeint, deren Aufgabe es sei, „die Auflösung des von Deutschland losgerissenen Weststaates und seine Wiedereingliederung in Deutschland anzustreben". Propagiert wurde mithin nicht der separate Oststaat, sondern eine Regierung mit gesamtdeutscher Kompetenz, die angesichts des nationalen Notstands, angesichts des westdeutschen Separatismus legitimiert sei, interimistisch die Sache ganz Deutschlands zu vertreten. Diese Stoßrichtung hatte am 3. Oktober besonders Erich Honecker betont. Der Vorsitzende der Freien Deutschen Jugend bat den „Deutschen Volksrat" um die „sofortige Einleitung von Schritten zur Bildung einer gesamtdeutschen Regierung ... mit dem Sitz in Berlin, der Hauptstadt Deutschlands.. ,"

Das Kampagne-Design folgte der Beweisführung der Sowjet-Diplomatie: Am 1. Oktober hatte die Sowjetregierung anläßlich der Regierungsbildung in Bonn (20. September) den Westmächten Protest-Noten überreicht. Sie nannte das Adenauer-Kabinett eine „volksfeindliche Separatregierung", die auch den Potsdamer Beschlüssen über die Demokratisierung und Entmilitarisierung Deutschlands feindlich gegenüberstehe. Sie bestritt deren Legitimität, behauptete, das Grundgesetz und insbesondere die föderative Struktur der Re/publik seien der Mehrheit der Deutschen oktroyiert worden, und die Westmächte stützten sich „lediglich auf eine kleine Gruppe eigens ausgewählter alter reaktionärer Politiker", die „in enger Verbindung mit ausländischen Finanzkreisen stehen und von diesen Kreisen abhängig sind". In Deutschland sei eine „neue Lage" entstanden, die — und hier formulierten die Außenpolitiker sibyllinisch — „der Erfüllung der Aufgaben, die Einheit Deutschlands als eines demokratischen und friedliebenden Staates wiederherzustellen und zu gewährleisten, daß Deutschland die ihm durch das Viermächteabkommen von Potsdam auferlegten Verpflichtungen einhalte, besonders große Bedeutung verleiht"

Auf die Ankündigung eigener Schritte, etwa in Gestalt einer Oststaatgründung, verzichteten sie. Mit dieser Lesart war dem Westen die Schuld an der Teilung zugesprochen, der Kampf der nationalen Bewegung in der SBZ gegen die Separatisten in der Bundesrepublik formal legitimiert und die Sowjetunion als die Wahrerin der deutschen Einheit gewürdigt. Zugleich aber standen der sowjetischen Politik alternative Handlungsmöglichkeiten offen. Ein Stück Stalinschen Politikverständnisses schimmerte auf, und sicherlich hatte er sich in der deutschen Frage auch das letzte Wort Vorbehalten und die deutschen Genossen zu einer Taktik veranlaßt, die deren Interessen — die rasche Bildung eines Staates zur Sicherung der eigenen Macht — zunächst verleugnete und stattdessen die Einheit des Landes betonte. 3. Legitimationsprobleme In ihren veröffentlichten Stellungnahmen hielt sich die SED-Führung an diese Marsch-route. Am 3. Oktober 1949 tagte das Politbüro und ließ ein Kommuniqu herausgeben, in dem als „Antwort des deutschen Volkes auf die in der Note der Sowjetregierung angeprangerte Vollendung ...der Spaltung Deutschlands“ für den „Zusammenschluß in der Nationalen Front des demokratischen Deutschland" geworben und der Kampf für „die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands" gefordert wurde Tags darauf trat der Parteivorstand zusammen. Auch er publi-zierte ein Kommunique, in dem u. a. ein Referat Wilhelm Piecks erwähnt wurde, das dessen Aussagen zur Lage so zusammenfaßte: „Er stellte fest, daß sich das deutsche Volk niemals mit der Bonner Separatregierung abfindet und daher immer energischer die Forderung nach Schaffung einer provisorischen Regierung des demokratischen Deutschlands erhebt. Genosse Pieck unterbreitete ...den Vorschlag, mit anderen demokratischen Parteien und Massenorganisationen in Beratungen über die Bildung einer provisorischen Regierung der Deutschen Demokratischen Republik einzutreten"

Das klang noch immer nach einer gesamtdeutschen Politik-Variante. Intern aber hatte Pieck ganz deutlich gemacht, daß der Oststaat gemeint war. Denn provisorisch, so der Parteivorsitzende, werde diese Regierung nur insofern sein, „als für das zu schaffende gesetzgebende Organ noch keine Wahlen durchgeführt werden können und wir dazu den Deutschen Volksrat als Grundlage nehmen müssen, indem er sich zu einer provisorischen Volkskammer umbildet, und zwar unter Berufung auf die Lage, wie sie sich jetzt aufgrund der Maßnahmen in Westdeutschland ergeben hat“ Dieses Verfahren war mit der SowjetFührung und auch mit der SMAD abgesprochen worden. Pieck: „Wir haben die Hoffnung, daß die SMAD nicht nur damit einverstanden sein wird und das durch eine entsprechende Erklärung zum Ausdruck bringen wird, sondern daß sie auch ihre Funktion in Deutschland grundlegend ändern und auf die Verwaltungsarbeit verzichten wird, daß sie sich lediglich auf die Kontrolle der Durchführung der Maßnahmen in Zukunft beschränken wird, die im Potsdamer Abkommen vorgesehen sind und die sich auf die Beschlüsse stützen, die durch die vier Mächte gefaßt worden sind." „Lange", behauptete er, habe sich die Parteiführung überlegt, ob sie „mit einem Vorschlag zur Bildung einer Regierung der Deutschen Demokratischen Republik hervortreten" solle. Nun aber sei die Lage „so ernst", daß man „um einen solchen Schritt nicht mehr herumkommen" könne Noch vor der Konsultation ihres Parteivorstandes hatte die SED-Spitze mit den Führern der Blockparteien und Massenorganisationen Kontakt aufgenommen. Sie akzeptierten die Staatsbildungs-Prozedur offenbar ohne ernsthaften Widerstand, äußerten Posten-Wünsche, verlangten aber baldige Wahlen

Am 5. Oktober tagte auf Anregung der SED das Präsidium des Volksrates gemeinsam mit den Repräsentanten des Parteienblocks. Diese ca. 50 Personen zählende Versammlung beschloß einstimmig, den Volksrat aufzufordern, sich „im Wege der nationalen Selbsthilfe“ zur provisorischen Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik umzubilden und eine verfassungsmäßige Regierung der Deutschen Demokratischen Republik zu schaffen. Die Wahlen zur Volkskammer sollten zusammen mit denen zu den Gemeinde-vertretungen und den Kreis-und Landtagen erst am 15. Oktober 1950 stattfinden. Diese Zeit brauche man, so hatte Pieck gesagt, um der Regierung die Chance zu geben, „durch ihre Arbeit vor der Masse des Volkes darzulegen, daß sie sich nicht nur grundsätzlich in ihrer Zusammensetzung und in ihrem Zustandekommen von der Westregierung unterscheidet, sondern daß sie wirklich eine Regierung des deutschen Volkes ist..." -Otto Nuschke, dem CDU-Vorsitzenden, war freilich „von höchster Stelle ... bedeutet" worden, daß die Sowjetunion Bedenken gegen einen früheren Wahltermin habe. Ob diese Bedenken allein dem Abschneiden der SED galten oder dem sowjetischen Kalkül folgten, mit einer formellen Oststaatsgründung im Interesse der Glaubwürdigkeit ihrer gesamtdeutschen Argumentation möglichst lange zurückzuhalten, ist ungewiß. Nuschke erwähnte gegenüber CDU-Funktionären allein „außenpolitische Gründe"

Wie die Einstimmigkeit von Volksrat-Präsiden und Blockspitzen zustande kam, ist nicht überliefert. Tatsächlich war es auf der Sitzung zu Auseinandersetzungen gekommen. Vertreter von CDU und LDP, die noch einen Tag zuvor den SED-Plänen grundsätzlich zugestimmt hatten, bezweifelten nun die Legitimation des Volksrates, sprachen von einem sowjetischen Oktroy und wollten vor allem nicht akzeptieren, die Wahlen um mehr als ein Jahr zu verschieben Wahrscheinlich ist, daß die erhoffte Wende nach den Wahlen sie bewog, dem Provisorium DDR zuzustimmen, möglich auch, daß sie unbemerkt Gefangene ihrer eigenen Notstands-Rhetorik geworden waren und deshalb glauben wollten, was Pieck als Zweck der Staatsbildung nannte: ein „Zentrum" zu schaffen, das „wirklich auf die Verteidigung der elementarsten Rechte des deutschen Volkes eingestellt ist—", ein Zentrum, das „unter den gegebenen Verhältnissen in Deutschland nur in unserer Zone geschaffen werden" könne Nicht auszuschließen ist endlich, daß sie — angesichts der mit der Staatsgründung geschaffenen und gut dotierten Posten — auch an ihr eigenes Fortkommen in der Deutschen Demokratischen Republik dachten. Denn am Ende der Beratung hatte der SED-Chef auch über den „Plan zur Regierungsbildung und zur Konstituierung der Regierung berichtet", und dann war über Minister-und Staatssekretärs-Positionen gesprochen worden

Bei ihren Parteivorständen trafen die CDU-und LDP-Führer nur vereinzelt auf Widerspruch. Beide billigten schließlich deren Verhandlungstaktik Bei den Mitgliedern und Funktionären stieß ihre Nachgiebigkeit aber auf massive Kritik und bei der CDU sogar auf Widerstand. Funktionäre aus den Kreisen mißbilligten vor allem die Verschiebung der Wahlen, aber auch die Methode der Staatsbildung und beklagten den Gesichtsverlust der Partei Ändern konnten sie nun freilich auch nichts mehr. Der Staat war gebildet, die Zustimmung ihrer Führungen hatte die Parteien gelähmt, und die (schwindende) Mitgliederschaft mußte letztlich hinnehmen, was von den Spitzen verabredet worden war. Und die hatten sich auf einen genauen Fahrplan festgelegt, in dem die SED alles Notwendige präzise geregelt hatte. Der DDR-Historiker Neef: „Alles war klar durchdacht; nichts blieb dem Zufall überlassen.“ Schnell sollte gehandelt werden, um — wie Pieck schon am 4. Oktober vor der SED-Führung erklärt hatte — „die Störungsmanöver, wie sie von den Westparteien und der Westpresse hier betrieben werden, auf einen möglichst kleinen Raum zu beschränken und sie vor vollendete Tatsachen zu stellen, die nicht mehr geändert werden" 4. Die DDR: der „Grundstein“

der deutschen Einheit Unmittelbar nach dieser konzertierten Aktion von Volksrats-Präsidium und Parteienblock am 5. Oktober lief die Massenkampagne wieder an. Erneut kamen aus allen Landesteilen Entschließungen, die den Volksrat aufforderten, „alle Schritte zu Bildung einer deutschen Regierung einzuleiten"; wiederum waren es vor allem die Belegschaften Sowjetischer Aktiengesellschaften, diesmal mit einer Sammelresolution der sieben größten SAG-Betriebe des Landes Sachsen-Anhalt, die eine „zentrale demokratische deutsche Regierung in Berlin" verlangte und versprach, der neuen „deutschen Regierung" durch Mehrproduktion die „materielle Basis" und „Schwungkraft" zu geben Am 7. Oktober trat der Volksrat zusammen. Seine 330 Mitglieder, alle aus der SBZ, hatten sich im Gebäude der Deutschen Wirtschaftskommission versammelt, gleich neben dem einstigen Preußischen Abgeordnetenhaus, wo — wie Gründungs-Chronist Neef bewegt anmerkt — zur Jahreswende 1918/19 die Kommunistische Partei Deutschlands gegründet worden war, „deren Programm das sozialistische Deutschland als Ziel proklamierte“ Eröffnet wurde die Sitzung von Wilhelm Pieck, dem Präsidenten des Gremiums. Er verlas den Delegierten — Tagesordnungspunkt eins — das Manifest „Die Nationale Front des demokratischen Deutschland", dessen Grundzüge der SED-Parteivorstand drei Tage zuvor in einer langen Entschließung formuliert hatte Erstes Ziel der Nationalen Front, so Pieck, sei die „Wiederherstellung der politischen und wirtschaftlichen Einheit Deutschlands durch: Beseitigung der Konstruktion eines westdeutschen Eigenstaates, Aufhebung des Ruhrstatuts, Aufhebung der Saarautonomie, Errichtung einer gesamtdeutschen Regierung der Deutschen Demokratischen Republik“. Ihr wesentliches Mittel: die Deutsche Demokratische Republik, die „den Kampf um den Frieden, die Einheit und Souveränität Deutschlands an die Spitze ihrer Bemühungen setzen" werde. Sie werde ein „mächtiges Bollwerk" sein im „Kampf um die Verwirklichung des Programms der Nationalen Front..." Vom Bollwerk hatte Pieck schon zuvor — intern — gesprochen, jedoch mit Blick auf die eben ausgerufene Bundesrepublik. Damals wertete er ihre Gründung als Versuch, ein „Bollwerk gegen den Sozialismus" zu schaffen und zugleich eine . Aufmarschbasis" zu errichten für „aggressive Handlungen gegen die sowjetische Besatzungszone und die volksdemokratischen Länder Südost-und Osteuropas" Intern also diente die Notwendigkeit der Defensive zur Legitimation der DDR-Gründung, in der Öffentlichkeit der Wille zur nationalen Offensive: Stalinsche Taktik.

Die Widerspruchskraft der Blockpartner war verbraucht. Für die Liberaldemokraten stimmte Hermann Kastner, fünf Tage später Stellvertretender Ministerpräsident der DDR, zu und behauptete: . Alles, was wir tun, geschieht mit dem einzigen Ziel vor Augen, ein einiges, freies deutsches Vaterland zu schaffen." Otto Nuschke, gleichfalls am 12. Oktober stellvertretender Regierungschef, war überzeugt, das Manifest werde „in alle deutschen Länder hinausleuchten" und Anklage erheben gegen die „Kräfte, die Deutschland gespalten haben". Und so wie sie, billigten auch die übrigen Repräsentanten der Blockpartner das Gründungs-Szenarium Einstimmig verabschiedete der Volksrat das Einheits-Manifest und konstituierte sich — Tagesordnungspunkt zwei — als Provisorische Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik. In ihr stellte die SED mit 96 Abgeordneten die stärkste Fraktion. Ihr stand nach der Verfassung das Amt des Ministerpräsidenten zu, sie hatte jedoch an der Regierung auch die anderen Parteien zu beteiligen. LDP und CDU verfügten über je 46 Abgeordnete, die National-demokratische Partei (NDPD) über 17, die Demokratische Bauernpartei (DBD) über 15 Mandatsträger. 105 Sitze fielen an die Massenorganisationen, die meisten von ihnen (30) an den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB). Fünf Mandate waren an die „SPD/Berlin" gegangen, an jene Vertreter der Ostberliner SPD-Reste, die sich nach der KPD-SPD-Fusion nicht der gesamtberliner SPD angeschlossen hatten, sondern mit der SED kooperierten.

Am 10. Oktober 1949 erklärte die SMAD ihr Einverständnis mit der Staatsgründung. Sie teilte mit, ihre Verwaltungsfunktionen künftig an die DDR-Regierung übertragen und sich — fortan unter der Bezeichnung „Sowjetische Kontrollkommission" (SKK) — auf die Kontrolle der Einhaltung des Potsdamer Abkommens und der Deutschland betreffenden Viermächtebeschlüsse beschränken zu wollen. Wassili I. Tschuikow, seit Sommer 1949 Chef der SMAD, wurde Vorsitzender der SKK. Am 11. Oktober wählten die provisorische Volkskammer und die provisorische Länderkammer in gemeinsamer Sitzung Wilhelm Pieck zum Staatspräsidenten. Zu den ersten Gratulanten gehörte die jüngste Volkskammer-Abgeordnete, die Leiterin der FDJ-Kinderorganisation „Junge Pioniere", Margot Feist (später Honecker). Für den Abend hatte Erich Honecker einen Fackelzug durch die Ostberliner Innenstadt arrangieren lassen, dabei waren rund 200 000 FDJler, die der Zentralrat der Jugendorganisation angesichts der immer noch schwierigen Verkehrsverhältnisse nur mit Mühe aus der ganzen Republik nach Berlin geholt hatte Im Namen der FDJ sprach Honecker, damals 37, ein „Gelöbnis der deutschen Jugend". Er, der noch am 3. Oktober den Volksrat aufgefordert hatte, für eine gesamtdeutsche Regierung zu sorgen, versprach nun der „Deutschen Demokratischen Republik Treue, weil in ihr die Selbstbestimmung des deutschen Volkes zum er-stenmal im ganzen Umfang hergestellt sein wird"

Am 12. Oktober stellte Ministerpräsident Otto Grotewohl sein Kabinett vor. Neben Nuschke und Kastner war Walter Ulbricht Stellvertretender Ministerpräsident geworden; von den 14 Fachministern gehörten acht den Blockparteien an, einer war parteilos. Sie leiteten das Außenministerium und die Ministerien für Finanzen, Land-und Forstwirtschaft, Handel und Versorgung, Gesundheitswesen, Post-und Fernmeldewesen und Aufbau. Drei der nichtsozialistischen Kabinetts-mitglieder allerdings, der Agrarminister Ernst Goldenbaum (DBD), der Aufbau-Minister Lothar Bolz (NDPD) und der Gesundheitsminister Luitpold Steidle (CDU), hatten früher der KPD angehört (Goldenbaum), ihr bzw.der KPdSU sehr nahegestanden (Bolz) oder waren in der Sowjetunion Bündnispartner der KPD im „Nationalkomitee Freies Deutschland" gewesen (Steidle). Die entscheidenden Ressorts hatte sich die SED vorbehalten: die Ministerien für Inneres, Planung, Industrie, Volksbildung und Justiz.

In seiner Regierungserklärung vom 12. Oktober 1949 knüpfte Otto Grotewohl zunächst an die herkömmliche Legitimations-Rhetorik an. Er nannte die Staatsgründung einen . Ausdruck des unerschütterlichen Willens der demokratischen Kräfte des deutschen Volkes, seine nationale Not zu überwinden und sein Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen". Dann aber setzte er neue Akzente — sowohl mit Blick auf die künftigen internationalen Beziehungen wie auch hinsichtlich der nationalen Frage: Als „Grundlage der Außenpolitik der Regierung“ bezeichnete er die „Freundschaft mit der Sowjetunion, den Volksdemokratien und allen anderen friedliebenden Völkern", und diese gebe der DDR auch „die Kraft zur Erfüllung der großen nationalen Aufgaben, die sich die Regierung gestellt hat" Damit hatte Grotewohl beinahe zu den Positionen zurückgefunden, die er schon ein Jahr zuvor propagiert hatte, aufgrund der sowjetischen Intervention aber nicht vertiefen durfte. Die Sowjet-Führung indes blieb bei ihrer doppelschichtigen Argumentation. Für sie war die Staatsbildung, wie Stalin am 13. Oktober telegraphierte, sowohl der „Grundstein für ein einheitliches, demokratisches und friedliebendes Deutschland" als auch „ein Wendepunkt in der Geschichte Europas", denn es unterliege „keinem Zweifel, daß die Existenz eines friedliebenden demokratischen Deutschland neben dem Bestehen der friedliebenden Sowjetunion die Möglichkeit neuer Kriege in Europa ausschließt, das Blutvergießen in Europa beendet und die Versklavung der europäischen Völker durch die Weltimperialisten unmöglich macht". Er wünschte Erfolge auf dem „neuen, glorreichen Wege“. Dieser Text war der SED eine Sonderausgabe ihres Zentralorgans „Neues Deutschland" wert. Sie wurde am 14. Oktober kostenlos verteilt.

Als Farben der Republik hatte die Verfassung das traditionelle Schwarz-Rot-Gold bestimmt, als ihre Hauptstadt Berlin. Ein Staatsemblem wurde nicht festgelegt. Zunächst bürgerte sich ein Hammer im Ährenkranz ein, später kam der Zirkel hinzu. -An eine Hymne aber war schon früh gedacht worden. Trotz der drängenden Geschäfte der Gründertage fand Wilhelm Pieck die Zeit, mit Johannes R. Becher über ihre Konzeption zu sprechen; bereits einen Tag vor seiner Wahl zum DDR-Präsidenten, am 10. Oktober, teilte er dem Lyriker (seit 1954 DDR-Kulturminister) das Gesagte noch einmal handschriftlich mit und erinnerte an die Stichworte: Demokratie, Kultur, Arbeit, Wohlstand des Volkes, Völker-freundschaft, Frieden und Einheit Deutschlands. Sein besonderer Wunsch war es, „die Einheit Deutschlands'in den wiederkehrenden Versen jeder Strophe zu behandeln" Und er schloß: „überleg Dir mal diesen Gedanken, wenn Du einen besseren hast, umso besser." „Von Anbeginn", erinnerte sich Bechers damalige Sekretärin, Erika Wiens, „verfolgte er die Konzeption, daß eine neue Hymne von allen Schichten unseres Volkes mit leidenschaftlicher Anteilnahme gesungen werden müsse, auch von der Gemüsefrau!" Am 12. Oktober war die erste Fassung geschrieben und wurde an den Komponisten Ottmar Gerster geschickt, der die Melodie dazu komponieren sollte. Ende Oktober aber, bei polnischen Goethe-Tagen in Warschau, traf Becher den Wiener Komponisten und Brecht-Freund Hanns Eisler und zeigte ihm den Hymnen-Text. Kurz darauf hatte Eisler eine Melodie gefunden und spielte sie Becher bei einem gemeinsamen Besuch des nahe Warschau gelegenen Chopin-Hauses auf dem alten Flügel Chopins vor Becher fand sie großartig. Die Entscheidung aber fällte das Politbüro. Das kam am 5. November, an einem Sonnabend, in der Wohnung Wilhelm Piecks zusammen, ließ sich von zwei Opernsängern die musikalischen Versionen vortragen und entschied sich für die Becher/Eisler-Fassung

Auch ein Brecht-Text (ebenfalls von Eisler vertont) hatte zeitweilig zur Debatte gestanden, eine Deutschlandlied-Travestie in Passagen wie: „Und nicht über und nicht unter andern Völkern wolln wir sein", unterkühlt in Zeilen wie: „Anmut sparet nicht noch Mühe, Leidenschaft nicht noch Verstand, daß ein gutes Deutschland blühe, wie ein andres gutes Land". Bechers Pathos hatte offenbar besser gefallen, zumal er sich im ganzen an Piecks Ratschläge gehalten hatte. Der Refrain war zwar nicht auf die Einheit zugespitzt, in den ersten Zeilen aber: . Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt, laß uns Dir zum Guten dienen, Deutschland, einig Vaterland" der Hinweis doch bedacht. Die DDR-Regierung stimmte am gleichen Tag zu, und zwei Tage später wurde die Hymne in der Staatsoper uraufgeführt — am 7. November, anläßlich eines Festaktes zum 32. Jahrestag der Oktoberrevolution in Rußland

Für mehr als zwanzig Jahre ging der Becher-Wunsch, das Lied möge gesungen werden, mit leidenschaftlicher Anteilnahme gar, in Erfüllung. Seit dem Beginn der siebziger Jahre aber ist es in der DDR nur noch ohne Text zu hören. Das Ziel des „einig Vaterland" — schon 1949 eher Agitprop-Hoffnung — hatte dem „unwiderruflichen Bündnis mit der Sowjetunion" — seit 1974 Element der DDR-Verfassung, aber schon 1949 Kern der Staatsräson — Platz gemacht.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. insbesondere: Westdeutschlands Weg zur Bundesrepublik 1945— 1949. Beiträge von Mitarbeitern des Instituts für Zeitgeschichte, München 1976; Heinrich August Winkler, Politische Weichenstellungen im Nachkriegsdeutschland, „Geschichte und Gesellschaft", Sonderheft 5, Göttingen 1979; Christoph Kießmann, Die doppelte Staats-gründung. Deutsche Geschichte 1945— 1949, Göttingen 1982; Rolf Steininger, Deutsche Geschichte 1945— 1961, Darstellung und Dokumente in zwei Bänden, Frankfurt 1983.

  2. Horst Duhnke, Stalinismus in Deutschland, Köln 1955; jetzt (differenzierter) Ernst Nolte, Deutschland und der Kalte Krieg, München 1974.

  3. Klaus Erdmenger, Das folgenschwere Mißverständnis. Bonn und die sowjetische Deutschlandpolitik 1949— 1955, Freiburg 1967.

  4. Vgl. dazu: Dietrich Staritz, Die Gründung der DDR, München 1984.

  5. Dietrich Staritz, Parteien für ganz Deutschland? Zu den Kontroversen über ein Parteiengesetz im Alliierten Kontrollrat 1946/47, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 2(1984), S. 240 ff.

  6. Vgl. Siegfried Suckut (Hrsg.), Blockpolitik in der SBZ/DDR 1945— 1949. Die Sitzungsprotokolle des zentralen Einheitsfrontausschusses. Quellenedition, Köln 1985, im Druck.

  7. Erich W. Gniffke, Jahre mit Ulbricht, Köln 1966, S. 249 ff. Diese Reise der SED-Führung wird in der DDR bislang nicht erwähnt. Dort gilt als die „erste offizielle" Delegationsreise ein Moskau-Besuch von Pieck, Grotewohl, Ulbricht, Fechner und Oelßner vom 30. 1. bis 7. 2. 1947.

  8. Vgl. Galina A. Goroschkowa, Die Deutsche Volkskongreßbewegung für Einheit und gerechten Frieden 1947— 1949, Berlin (Ost) 1963, S. 74 ff.; das vorläufige Endergebnis, 13, 1 Millionen Stimmen, veröffentlichte Neues Deutschland am 15. 6. 1948.

  9. Zit nach: Berlin: Quellen und Dokumente 1945— 1951, 2. Halbbd., hrsg. i. A des Senats von Berlin, bearbeitet durch Hans J. Reichhardt, Hanns U. Treutler und Albrecht Lampe, Berlin 1964, S. 1438.

  10. Gerhard Keiderling, Die Berliner Krise 1948/49. Zur imperialistischen Strategie des kalten Krieges gegen den Sozialismus und der Spaltung Deutschlands, Berlin (Ost) 1982, S. 85.

  11. Berlin (Anm. 9), S. 1347.

  12. Ebda., S. 1341 f.

  13. Gerhard Keiderling (Anm. 10), S. 85.

  14. Für 100 Reichsmark wurden 10 Deutsche Mark ausgegeben, pro Kopf 70 Mark im Verhältnis 1 : 1. Sparguthaben bis zu 100 RM stellten die Banken ohne Einbußen um, alle weiteren Beträge bis zu 1 000 RM im Verhältnis 5: 1; Einlagen bis zu 5 000 RM wurden 10: 1 abgewertet; für höhere Guthaben bestand ein Umwertungsanspruch (10 : 1) nur dann, wenn der rechtmäßige Erwerb des Geldes nachgewiesen werden konnte.

  15. Lucius D. Clay, Entscheidung in Deutschland, Frankfurt o. J. (1950), S. 406.

  16. Vgl. Ziele, Formen und Grenzen der „besonderen" Wege zum Sozialismus. Zur Analyse der Transformationskonzepte europäischer kommunistischer Parteien in den Jahren zwischen 1944/45 und 1948, hrsg. v. Arbeitsbereich Geschichte und Politik der DDR am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Mannheim (Studien und Materialien, Bd. 2), Mannheim 1984.

  17. Zit nach: Neues Deutschland v. 1. 7. 1948, S. 1 u. 7.

  18. Der Morgen v. 4. 7. 1948.

  19. Neue Zeit v. 14. 7. 1948.

  20. Gerhard Rossmann, Die brüderlichen Beziehungen zur Partei und zum Lande Lenins — Grundlage unseres Weges zum Sozialismus, in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung (BzG), 2 (1975), S. 210 ff., S. 219f.

  21. Neues Deutschland v. 30. 12. 1948.

  22. Akten des Ostbüros der SPD im Archiv der Sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Akte 0344 I, Bericht v. 16. 10. 1953.

  23. Einheit, 11(1949), S. 1002.

  24. Vgl. Siegfried Suckut (Anm. 6).

  25. Vgl. Die Wahlen in der Sowjetzone. Dokumente und Materialien, hrsg. v. Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen, Bonn und Berlin, 6. erw. Aufl. 1964, S. 20 ff.

  26. Vgl. Siegfried Suckut (Anm. 6).

  27. Deutschlands Stimme v. 22. 5. 1949, S. 2.

  28. Vgl. Beratung des Informationsbüros kommunistischer Parteien, abgehalten in Ungarn während der zweiten November-Hälfte 1949, hrsg. v.der Zeitung Für dauerhaften Frieden, für Volksdemokratie, o. O. 1950.

  29. Deutschlands Stimme v. 3. 6. 1949, S. 10.

  30. Heinrich Hoffmann, Der Weg zur Deutschen Demokratischen Republik. Erinnerungen an den Beginn der revolutionären Umgestaltungen, hrsg. v.

  31. Zit. nach: Dokumente der SED, Bd. 2, Berlin (Ost) 19533. S. 287.

  32. Gerhard Roßmann (Anm. 20), S. 222.

  33. Neues Deutschland v. 4. 10. 1949.

  34. Tägliche Rundschau v. 4. 10. 1949.

  35. Neues Deutschland v. 4. 10. 1949.

  36. Neues Deutschland v. 5. 10. 1949.

  37. Helmut Neef, Entscheidende Tage im Oktober 1949. Die Gründung der Deutschen Demokratischen Republik, 2. überarb. u. erw. Aufl., Berlin (Ost) 1984, S. 41. Neef ist der erste DDR-Historiker, der ausführlich aus bislang nicht publizierten Archivalien zur Gründungsgeschichte der DDR zitiert.

  38. Ebd., S. 39.

  39. Ebd., S. 48.

  40. Rolf Stöckigt, Zur Politik der SED bei der Festigung des Blocks der antifaschistisch-demokratischen Parteien (1948 bis zur Gründung der DDR), in: BzG Sonderheft, 1974, S. 120 ff., S. 134.

  41. Zit. nach Konferenz der CDU-Kreisfunktionäre am 9. Oktober 1949 in Berlin, in: Siegfried Suckut (Anm. 6).

  42. Helmut Neef (Anm. 38), S. 48 ff.

  43. Ebd„ S. 45.

  44. Ebd., S. 52 f.

  45. Neue Zeit v. 6. 10. 1949, Der Morgen v. 4. 10. 1949.

  46. Siegfried Suckut (Anm. 6).

  47. Helmut Neef (Anm. 38), S. 52.

  48. Ebd., S. 42.

  49. Neues Deutschland v. 9. 10. 1949.

  50. Helmut Neef (Anm. 38), S. 68.

  51. Neues Deutschland v. 5. 10. 1949.

  52. Tägliche Rundschau v. 8. 10. 1949.

  53. Heinz Voßke/Gerhard Nitzsche, Wilhelm Pieck. Biographischer Abriß, Frankfurt/M. 1975 (Lizenz-ausgabe des Dietz-Verlags in Ost-Berlin), S. 322.

  54. Tägliche Rundschau v. 8. 10. 1949.

  55. Vgl. Erich Honecker, Aus meinem Leben, Berlin (Ost) 1981, S. 165 f.

  56. Faksimile in: Geschichte der Freien Deutschen Jugend, hrsg. i. A.des Zentralrates der FDJ, Autorenkollektiv unter Leitung von Karl-Heinz Jahnke, Berlin (Ost) 1982, S. 183.

  57. Neues Deutschland v. 13. 10. 1949.

  58. Horst Haase, Johannes R. Becher. Leben und Werk, Berlin (West) 1981 (Lizenzausgabe des Ostberliner Verlages Volk und Wissen), S. 251. Vgl. Heinz Voßke, Dokumente und Materialien zur Gründung der DDR, und ders., Notizen Wilhelm Piecks zur Nationalhymne, in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung, 5 (1984), S. 640 ff. Vgl. zudem: Peter Dittmar, Stichwort Die Nationalhymne der DDR, in: Deutschland Archiv 11 (1984), S. 1136 f.

  59. Horst Haase (Anm. 59), S. 253.

  60. Erika Wiens, Wie unsere Hymne entstand, in ... einer neuen Zeit Beginn. Erinnerungen an die An-

  61. Ebda.

  62. Hanns Eisler, Musik und Politik. Schriften 1948— 1962, Textkritische Ausgabe von Günther Mayer, Leipzig 1982, S. 116 (Anm. 1).

  63. Erika Wiens (Anm. 61), S. 569.

  64. Neues Deutschland v. 8. 11. 1949.

Weitere Inhalte

Dietrich Staritz, Dr. rer. pol., geb. 1934; Professor am Fachbereich Politische Wissenschaft der Freien Universität Berlin; geschäftsführender Leiter des Arbeitsbereichs Geschichte und Politik der DDR am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Mannheim. « Veröffentlichungen u. a.: Die National-Demokratische Partei Deutschlands. Ein Beitrag zur Untersuchung des Parteiensystems der DDR, Berlin 1968; Sozialismus in einem halben Lande. Zur Programmatik und Politik der KPD/SED in der Phase der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung in der DDR, Berlin 1976; (Hrsg.) Das Parteiensystem der Bundesrepublik. Geschichte — Entstehung — Entwicklung, Opladen 19802; Die Gründung der DDR, München 1984; Die KPD (1945— 1956), in: Richard Stöss (Hrsg.), Parteien-Handbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, Opladen 1984.