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Wissenschaft, Macht und Modernisierung in der DDR | APuZ 3/1987 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 3/1987 Die Krise des Fortschritts in der DDR. Innovationsprobleme und Mikroelektronik Wissenschaft, Macht und Modernisierung in der DDR Politische Rituale in der Sowjetunion und der DDR Wirtschaftsreformen in anderen sozialistischen Ländern: Modell oder Herausforderung für die Sowjetunion?

Wissenschaft, Macht und Modernisierung in der DDR

Bernhard Marquardt/Emil Schmickl

/ 32 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die gegenwärtige Situation in der DDR ist durch zahlreiche „Suchprozesse“ auf verschiedenen Handlungsfeldern gekennzeichnet. Zu den Bereichen Wirtschaft und Wissenschaft laufen diverse Experimente und auch im Forschungs-und Technologiesektor sowie im Bildungssystem wird nach spezifischen Lösungen komplizierter Probleme gesucht. Um die notwendige Modernisierung für die sozialistischen „essentials" nicht bedrohlich werden zu lassen, bedarf es einer engen Verflechtung von Politik und Wissenschaft. Durch Institutionen, gesetzliche Bestimmungen, Verordnungen, Forschungspläne und die Politik der SED wird diese enge Verflechtung gewährleistet. Der Übergang vom extensiven zum überwiegend intensiven Wirtschaftswachstum, ein Prozeß, den die Wirtschaftspolitiken aller osteuropäischen Staaten gegenwärtig zu fördern versuchen, führte dazu, daß die Wissenschaftspolitik in der DDR unter einem veränderten Blickwinkel angegangen wird. Die Institution Wissenschaft wurde jetzt nicht mehr nur als ideologische Reproduktions-und Umsetzungseinrichtung, sondern auch mehr und mehr im Sinne ihrer eigentlichen Funktion als Produktionsstätte von Innovationen verstanden. Im Rahmen des zentralistischen Systems entwickelten sich spezifische Mechanismen der Wissenschaftssteuerung, entsprechend mußten Impulse dazu von der Partei und dem Staatsapparat ausgehen. Die SED-Führung zielt auf eine zunehmend „effizienzbetonte Wissenschaftssteuerung“. Zweifellos bleibt die Wirkung einer wirklichkeitsbezogeneren Sichtweise der SED selektiv. Politik bleibt abhängig von Interessen, politischen Zielen und Utopien, von der Machtbehauptung und -perpetuierung der Herrschenden. Die Wissenschaften in der DDR konnten sich bislang immer nur im Rahmen eines — veränderten Umständen sich anpassenden — Machtsicherungssystems entfalten. Die Wissenschaftler der DDR sind in das System integriert; eine „institutionalisierte Gegenelite“ bilden sie nicht. Daß Wissenschaftler die wesentlichen Strukturen der DDR-Gesellschaft alternativ formulieren dürften, auch nur als Diskussionsgrundlage, bleibt weiterhin unvorstellbar.

Pragmatismus plus Kontrolle ein „neuer“ SED-Kurs?

Die gegenwärtige Situation in der DDR ist durch zahlreiche „Suchprozesse“ auf verschiedenen Handlungsfeldern gekennzeichnet. In den Bereichen Wirtschaft und Wissenschaft laufen diverse Experimente und auch im Forschungs-und Technologiesektor sowie im Bildungssystem wird nach spezifischen Lösungen komplizierter Probleme gesucht. Ideologisch wird diese Suche als die „Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft“ interpretiert. Indem die SED — und mit ihr seit wenigen Jahren auch die KPdSU — den Sozialismus als eine langandauernde historische Etappe interpretiert, hat sie ihren politischen Gestaltungsanspruch von kommunistischen Leitbildern erst einmal abgekoppelt. Sie bedient sich damit einer „Zeitkaufstrategie für Problemlösungen...; zugleich versucht sie damit, das Bewußtsein für notwendige Veränderungen zu bilden“

Die Veränderungen betreffen insbesondere die individuellen Handlungsorientierungen und die sozialen Beziehungen — weitere Differenzierungen der sozialen Unterschiede, das Leistungsprinzip, objektive sozialstrukturelle Widersprüche als „Triebkraft“, Alltagsprobleme, Konflikte im realen Sozialismus Es sieht so aus, als reichten traditionelle und wohlbegründete Lösungsansätze nicht mehr aus. Die Gesellschaftswissenschaften in der DDR, schon in der Vergangenheit häufiger der „Schönfärberei“ bezichtigt, sollen sich den konkreten Problemen des realen Sozialismus zuwenden. Die von Kurt Hager, Mitglied des Politbüros, ex cathedra geforderte „Abkehr von bisher angewandten Arbeits-und Denkweisen“ bedeutet für die Gesellschaftswissenschaftler auch, daß sie nicht nur „theoretische Schleier“

um die Probleme weben sollen.

Der neue Stil erfordert auch Veränderungen an früher für sakrosankt gehaltenen marxistisch-leninistischen Positionen. Einigen Soziologen in der DDR wird insbesondere bei der differenzierteren Sozialstrukturanalyse, der Analyse von Interessen-und Bedürfnisstruktur, der Determinanten des sozialen Verhaltens, sowie der Normen-und Wertestruktur bewußt, daß die grobschlächtigen Begriffe und Raster des Marxismus zu weitmaschig, zu ideologieträchtig sind, um der komplizierter gewordenen sozialen Realität des „realen Sozialismus“ in seinen Entwicklungsformen und Erscheinungsweisen zu entsprechen. Die Soziologen der DDR rezipieren zunehmend Gedanken, Methoden, Kategorien und Theorien moderner westlicher Soziologie. Der überkommene Marxismus hat an Utopiekraft verloren und reduziert sich weitgehend auf eine „Immunisierungsstrategie“. Die für das politische und gesellschaftliche System konstitutiven Strukturen und Prinzipien sollen erhalten werden. Gleichzeitig aber muß das System effizienter werden; insbesondere die internationale wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit muß gesteigert werden. Um die notwendige Modernisierung für die sozialistischen „essentials" nicht bedrohlich werden zu lassen, bedarf es einer engen Verflechtung von Politik und Wissenschaft. Durch Institutionen und gesetzliche Bestimmungen, Verordnungen, Forschungspläne und die Politik der SED wird diese enge Verflechtung gewährleistet. Ziel dieses Beitrages ist es, wesentliche Elemente dieses Geflechts und die Rolle der Akademie der Wissenschaften der DDR (AdW) als der größten Forschungseinrichtung in der DDR im System der entscheidungsvorbereitenden Organe der politischen Führung der DDR und in der Forschungspolitik zu skizzieren.

Trotz größerer Mitwirkung von Wissenschaftsorganisationen wie der AdW und aller Bemühungen um eine Verwissenschaftlichung der Forschungspolitik und anderer Politikbereiche wird die endgültige Entscheidung darüber, welche Forschungsvorhaben in langfristige Forschungs- Programme und -pläne aufgenommen werden, welche Prioritäten zu setzen sind, welche Maßnahmen der Forschungsförderung ergriffen werden sollen usw., nicht von der Leitung der Akademie getroffen, sondern von den politischen Entscheidungsinstanzen. Die in der hierfür geltenden Hierarchie am höchsten angesiedelten Stellen sind das Politbüro der SED, der Ministerrat der DDR sowie die ZK-Abteilung Wissenschaft Angesichts der dominierenden Stellung der AdW im System der entscheidungsvorbereitenden Organe der SED-Führung und des Ministerrats kommt der Anbindung der Akademie an Politik, Wirtschaft und Gesellschaft und dem Verwendungszusammenhang dort entwickelter Forschungsergebnisse entscheidende Bedeutung zu.

Eine zusammenfassende Analyse von 1955 stellt fest: „In engster Bindung an die politische Ideologie, an die philosophischen Prämissen des bolschewistischen Welt-und Menschenbildes wird aus dem Kernbezirk gesellschaftspolitisch relevanter Entwicklungs-und Aktionstheorien die Wissenschaft in ihren für das Bestehen des Herrschaftssystems wesentlichen Fachrichtungen geistig gelenkt und politisch mobilisiert. Neben den... Mitteln der social control wie gesellschaftliche Organisation, der Erziehung und Propaganda wird schließlich die Wissenschaft selbst zum Herrschaftsmittel erster Ordnung gemacht.

Auf Grund einer Wissenschaftsauffassung, welche die , Anleitung zum praktischen Handeln als vornehmste Aufgabe der Theorie definiert, wird der Wissenschaft eine doppelte Funktion zugesprochen: Bewegende Kraft des kulturellen Ganzen, Werkzeug der gesellschaftlichen Umgestaltung in der Hand der politischen Führung zu sein — und der intellektuellen Legitimation der Herrschaft, der Sicherung und Verfestigung der herrschenden Ideologie... zu dienen.“

— Trifft diese Einschätzung nach 30 Jahren noch immer so zu? Zeigen sich im Rahmen der Industrialisierung Veränderungen im Verhältnis von Wissenschaft und Politik?

— Gibt es einen „neuen“ SED-Kurs: Pragmatismus plus Kontrolle?

—Bestehen Reformhemmnisse heute weniger im Bereich des Ideologischen, stärker im Organisatorisch-Strukturellen? Ist der „aufgeklärte Dogmatismus“ in der DDR strukturell reformunfähig? Dient die Wissenschaft heute nicht mehr nur der Sicherung der Ideologie, sondern auch ihrer Anpassung an veränderte Bedingungen, ihrer Weiterentwicklung und dem Aufbrechen verkrusteter Denk-und Verhaltensschemata?

— Gibt es Anzeichen für eine zumindest partielle „Diskursgesellschaft“, in der die „Wissenseliten“

einen nicht unwesentlichen Stellenwert einnehmen? Führt die zunehmende Bedeutung neuer wissenschaftlicher Entdeckungen und technischer Möglichkeiten zu einem neu zu definierenden und zu strukturierenden Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft auch in den sozialistischen Ländern? Befindet sich die DDR deshalb nicht nur in einer Legitimitäts-, sondern in einer Identitätskrise?

Das sind Fragen, die sich der DDR-Forschung in der Bundesrepublik Deutschland heute stellen.

Eines steht zumindest fest: Zwischen Partei-und Wissenschaftspolitik besteht ein enges Abhängigkeitsverhältnis. Wie stellt sich dieses Verhältnis heute im Zusammenwirken verschiedener Institutionen dar?

Ordnungspolitische Prinzipien und Grundzüge zentralistischer Wissenschaftssteuerung

Die ordnungspolitischen Grundzüge des Sozialismusmodells weisen einen unmittelbaren Bezug zu den Strukturmerkmalen des Wissenschaftssystems in der DDR auf Die Grundprinzipien des Sozialismusmodells werden in verschiedenen Programmen, wie z. B.der DDR-Verfassung, ausgewiesen und beziehen sich im wesentlichen auf die folgenden ordnungspolitischen Richtlinien: 1. Die Ausübung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse und ihre Partei, die SED (Art. 1 Abs. 1).

2. Die zentrale staatliche Planung und Leitung der gesellschaftlichen Entwicklung (Art. 2 Abs. 2).

3. Das sozialistische Eigentum an den Produktionsmitteln (Art. 2 Abs. 2).

4. Das Prinzip des demokratischen Zentralismus in allen gesellschaftlichen Bereichen (Art. 47 Abs. 2).

Diese ordnungspolitischen Grundzüge des Sozialismusmodells schlagen sich in den Strukturmerkmalen des Wissenschaftssystems der DDR nieder; so z. B. legen Partei und Regierung allgemeine inhaltliche und organisatorische Leitlinien für die wissenschaftliche Arbeit fest, nehmen politisch-ideologischen Einfluß auf das individuelle Handeln des Wissenschaftlers und determinieren sein Wirken durch entsprechende Gestaltung seines Arbeits-und Tätigkeitsbereiches. Im Leitungs-und Planungssystem der Wissenschaft kommen die Grundstrukturen des in der DDR gültigen Sozialismustyps differenziert zum Ausdruck. 1. Die Grundsatzentscheidungen werden von den führenden Gremien der SED (Politbüro und ZK-Sekretariat) getroffen. Hier werden die zentralen Volkswirtschafts-und Forschungspläne „bestätigt“ und Beschlüsse gefaßt, die für wissenschaftliche Einrichtungen verbindlich sind.

2. Entscheidungsvorbereitung und Kontrolle werden im zentralen Parteiapparat von Abteilungen des ZK geleistet.

3. Im Staatsapparat werden die grundlegenden Orientierungen und Direktiven in Forschungspläne gefaßt und um Durchführungsanweisungen ergänzt. Wichtigste Einrichtungen sind der Ministerrat, die Staatliche Plankommission sowie das Ministerium für Wissenschaft und Technik. Eine herausragende Rolle kommt daneben dem Ministerium für Hoch-und Fachschulwesen sowie der Akademie der Wissenschaften der DDR zu

Die politische Führung der DDR versucht vor allem seit 1963, das in den wissenschaftlichen Akademien konzentrierte Potential zu aktivieren und zu nutzen. Die Mitwirkung der AdW im Prozeß der Entscheidungsfindung erfolgt nach dem Konzept des „demokratischen Zentralismus“.

Die programmatischen Dokumente der SED sei ihrem VI. Parteitag 1963 offenbaren, daß die Be deutung der Wissenschaft — insbesondere de AdW als Forschungseinrichtung — in den Auger der SED-Führung wesentlich gewachsen ist. Unc dies wird auch dadurch deutlich, daß etwa irr Gegensatz zur Grundsatzerklärung der SED vor 1946 in den Parteiprogrammen von 1963 und 1976 ganze Abschnitte das Thema Wissenschaft behandeln. Eine einheitliche Leitung der Wissenschaft wurde für die SED-Führung zur zwingenden Notwendigkeit. Neben dieser Art der einheitlichen Planung und Lenkung der Wissenschaft wurde auch zunehmend eine wissenschaftlich abgesicherte Führungstätigkeit auf den verschiedenen Leitungsebenen verlangt

Die Gründe für eine Umstrukturierung der Leitungsprozesse sowie der Wissenschaftsorganisation sind verschiedener Natur. Manche Maßnahmen und Kriterien sind vergleichsweise politisch neutral — als Reaktion auf Spezialisierung und Konzentration der Wissenschaften, als Ausdruck des erforderlichen finanziellen, personellen und technischen Aufwands —, andere wieder laufen auf eine stärkere Instrumentalisierung und Politisierung der Wissenschaften, insbesondere der Gesellschaftswissenschaften, hinaus. Der Rhythmus der Planung und Umorganisierung der wissenschaftlichen Tätigkeit drückt sowohl das Interesse der SED-Führung an der Planung und Kontrolle der Gesellschaftswissenschaften aus, wie auch — andererseits — eine zeitgemäße Reaktion auf spezifische wissenschaftsinterne Probleme einer „Industriegesellschaft“, durch die die Partei sich genötigt sah, immer intensiver zu planen und zu organisieren, wenn auch im Gewände eines „technokratischen Totalitarismus“ bzw. einer modernen Form des aufgeklärten Absolutismus

Ziel der SED-Führung war und ist es, eine straffere und geschlossenere Planung und Leitung zu erreichen und durchzusetzen, die auf wissenschaftlichen und politischen Grundsätzen beruhen sollen, um die Planung von Volkswirtschaft und Forschung wirkungsvoller aufeinander abstimmen zu können.

Auch auf dem Feld der politischen Gruppen innerhalb der AdW ergaben sich bereits 1969 erhebliche Veränderungen. Im Mai 1969 wählte die SED-Parteiorganisation eine neue Leitung. Gleichzeitig wurde die Parteigruppe auf Beschluß des Sekretariats des ZK der SED zu einer Kreisparteiorganisation aufgewertet. Begründet wurde diese Maßnahme damit, daß die immer größer werdende Bedeutung der Wissenschaft bei der Formung der DDR-Gesellschaft wie auch die Akademiereform eine vermehrte politische Leitungstätigkeit erforderten. Die neugegründete Kreisleitung sollte es als ihre Pflicht ansehen, die Parteierziehung ihrer Mitglieder zu erweitern.

Hauptaufgabe der Kreisleitung ist die konsequente Durchführung der Beschlüsse der Partei, die Verbesserung der „politisch-ideologischen Arbeit“ unter allen Wissenschaftlern der AdW, die Kontrolle der Forschungsarbeit, insbesondere im Fachbereich Gesellschaftswissenschaft, sowie die Kontrolle der Planungs-und Leitungstätigkeit an der AdW. Horst Klemm, Erster Sekretär der Kreisleitung und Mitglied des ZK der SED, unterstrich in einer Rede vor Parteisekretären der AdW 1984: „Die gründliche und kontinuierliche Arbeit mit den Dokumenten der SED und der KPdSU ist als unabdingbare Voraussetzung für weitere Erfolge zum Ausgangs-und Bezugspunkt aller konzeptionellen Arbeit, zum Kern der politisch-ideologischen Durchdringung des gesamten Forschungsprozesses zu machen ... Wir schätzen den orientierenden und mobilisierenden Einfluß der Kampfprogramme der Grundorganisationen und die damit verbundene Parteikontrolle für den erreichten Leistungsanstieg.“

Die SED-Kreisleitung und die Parteiorganisationen haben die Aufgabe, zur Verbesserung und Erneuerung der Formen der Forschungsleitung beizutragen. Dies gilt für alle Phasen, also im Stadium der Programmformulierung (Analyse des Forschungsstandes, Bestimmung der Ziele und Methoden), während der Forschung (Kontrolle des Forschungsprozesses anhand von Zwischenergebnissen) und bei der Bewertung und Nutzung der Ergebnisse. Um diese Aufgabe zu erfüllen, arbeitet die SED-Kreisleitung mit der ZK-Abteilung Wissenschaft und den Parteisekretären der Akademieinstitute eng zusammen.

In die Forschungsleitung sollen sich die Parteiorganisationen noch stärker einschalten. Ihre Aufgabe ist es vor allem — regelmäßige Leistungsbewertungen der Beschäftigten vorzunehmen, — politisch-ideologische Anleitungen durchzuführen, — die Schwerpunktziele von Wissenschaft und Technik zu propagieren, — Parteimitglieder in die einzelnen Institute zu plazieren (Verteilung der Parteikräfte), — auf die Zusammensetzung und Leitung der Forschungsgruppen einzuwirken, — Parteikontrolle auf die Formulierung, Durchführung und Abrechnung der Pläne der Institute auszuüben, — den qualifikationsgerechten Einsatz der Hochschulabsolventen zu kontrollieren, — die leistungsgerechte Bezahlung zu sichern, — die politische und fachliche Qualifizierung der Leiter zu verbessern und die Parteibeschlüsse an die Leiter zu vermitteln.

Eine ständige Aufgabe der Parteiorganisation ist auch die Kontrolle der Forschungsleitungen in Forschungsbereichen und Instituten.

Die Allokation der Kräfte und Mittel für Wissenschaft und Forschung ist in mehrfacher Hinsicht ein zentrales wissenschaftspolitisches Problem.

Der Aufbau, die Struktur und Funktionsweise der sowjetischen Akademie der Wissenschaften dient dabei weitgehend als Muster für die AdW der DDR. Nicht zu übersehen ist, daß inzwischen die SED innerhalb der Akademie organisatorisch und personell so stark verankert wurde, um indirekt ihren Willen — von innen heraus — zur Geltung zu bringen. Diese Steuerung und Kontrolle der Partei an der AdW von innen heraus bezieht sich nicht nur auf die Personalpolitik, sondern zunehmend auch auf die vorgegebenen Forschungskonzeptionen und deren inhaltliche Gestaltung. Der Übergang vom „überwiegend extensiven zum überwiegend intensiven Wirtschaftswachstum“ — ein Prozeß, den die Wirtschaftspolitiken aller osteuropäischen Staaten gegenwärtig zu fördern versuchen — führte dazu, daß die Wissenschaftspolitik in der DDR „unter einem veränderten Blickwinkel angegangen (wird). Die Institution Wissenschaft wurde jetzt nicht mehr nur als ideologische Reproduktions-und Umsetzungseinrichtung, sondern nun auch mehr und mehr im Sinne ihrer eigentlichen Funktion als Produktionsstätte von Innovationen verstanden“

Im Rahmen des zentralistischen Systems entwikkelten sich spezifische Mechanismen der Wissen-Schaftssteuerung; entsprechend mußten Impulse dazu von der Partei und dem Staatsapparat ausgehen

1. Ausdifferenzierung des Wissenschaftssystems (u. a. Etablierung der Wissenschaften Soziologie und sozialistische Wirtschaftsführung), 2. Veränderung der Wissenschaftsorganisation (Übertragung des Planungsgedankens auf die Wissenschaften mit dem Ziel einer durchgreifenden Steigerung der Effektivität und des Sozialproduktes; Gründung eines Forschungsrates beim Ministerrat der DDR; organisierte Zusammenarbeit mit Auftraggeber, Finanzier und An wender, Gründung der Wissenschaftlicher Räte), 3. inhaltliche Steuerung von Wissenschaft und Forschung durch die SED-Führung.

Die SED-Führung zielt auf eine zunehmend „effizienzbetonte Wissenschaftssteuerung“, denn Wissenschaftssteuerung — als eine an Bedeutung gewinnende Funktion politischer Systeme — muß auch in einem zentralistischen System darauf bedacht sein, Wissenschaft in die Lage zu versetzen, „Innovationen zu produzieren“

Zur Leitungsstruktur der Akademie der Wissenschaften der DDR

Die Akademie der Wissenschaften der DDR verweist ihn ihrem Statut gern darauf, daß sie aus der von Gottfried Wilhelm Leibniz begründeten Brandenburgischen Societät der Wissenschaften hervorgeht. Dies paßt in den Rahmen der mittlerweile weit in die deutsche Geschichte zurückgreifenden Traditionspflege und „Erberezeption“

Die Akademie umfaßt „eine Gemeinschaft hervorragender Gelehrter und leistungsfähige, vorwiegend auf Gebieten der Grundlagenforschung und der angewandten Forschung arbeitende Forschungseinrichtungen“ Sie versteht sich als wissenschaftliches Zentrum der DDR. Der weitaus größte Teil ihres Potentials ist den Natur-und Technikwissenschaften zuzurechnen.

Eine der spezifischen Aufgaben der AdW nach 1969 war die Herstellung der Einheit der Akademie. Sie konnte nur mittels eines einheitlichen organisatorischen Rahmens umgesetzt werden. Ausgerichtet wurde die Struktur der AdW nach dem Prinzip der Einzelleitung. Dieses sollte die Einheit von zentraler staatlicher Planung und Leitung und erhöhter Eigenverantwortung der Forschungsbereiche und Forschungsgrundeinheiten“ berücksichtigen. Im wesentlichen lassen sich an der AdW der DDR drei Leitungsebenen unterscheiden: — die des Präsidenten und ihm zugeordneter Organe, — die der Forschungsbereichsleiter und — die der Direktoren der Zentralinstitute und Institute.

Auf den drei Leitungsebenen wird das auch für andere Gesellschaftsbereiche dekretierte Grundprinzip der „Einzelleitung mit kollektiver Beratung“ angewendet

Durch die dem Präsidenten zugeordneten Gremien (Präsidium, Kollegium) wird sichergestellt, daß der Präsident Grundsatzentscheidungen nicht gegen den Willen der SED treffen kann.

Die Entscheidungen fallen auf der Basis von Beschlüssen der SED, auf der Grundlage der Verfassung der DDR, der Gesetze und Beschlüsse der Volkskammer, der Beschlüsse des Staatsrates und insbesondere des Ministerrates der DDR.

Mit dem 1984 für die Akademie neu in Kraft getretenen Statut wird die Akademie im Vergleich zum bisher gültigen Statut aus dem Jahre 1969 weiter aufgewertet. In der neuen Satzung werden die Aufgaben der Akademie präzisiert, ergänzt und erweitert sowie organisatorische Veränderungen festgeschrieben, die sich im Verlauf der vergangenen 15 Jahre in der Akademie-Praxis ergeben haben. Beibehalten wurde im neuen Statut die starke Position des Akademiepräsidenten. Seit 1979 ist der Pharmakologe Werner Scheler, der dem SED-Zentralkomitee angehört, Präsident der Akademie. Ihm zur Seite stehen im Präsidium ein erster Vizepräsident, mehrere weitere Vizepräsidenten, ein Generalsekretär, die Leiter der wichtigsten Forschungsbereiche und andere verantwortliche Wissenschaftler sowie der Erste Sekretär der SED-Kreisleitung der Akade-mie. Dieses 15köpfige Gremium hat die Aufgabe, den Präsidenten bei der langfristigen wissenschaftlichen Entwicklung und der Forschungsstrategie in der Akademie zu unterstützen.

Das Präsidium der Akademie der Wissenschaften wurde 1984 in enger Abstimmung mit der Partei beauftragt, die Forschung der Akademieinstitute generell zu präzisieren, ein erheblich höheres Niveau der theoretischen Arbeit zu gewährleisten und eine entschlossene Wende zu realen praktischen Problemen zu vollziehen Bei allen Forschungsarbeiten sollten gleichermaßen theoretisches Niveau und Praxisbezug verbessert, „scholastisches Theoretisieren und enger Praktizismus“

überwunden werden. Die ständigen Diskussionen und Beschlüsse der Parteiführung zur verstärkten Grundlagenforschung, Verbesserung der Planung und Leitung sowie der Verstärkung der Rolle der Akademieinstitute im Rahmen der Gesamtforschung zeigen sowohl die Hoffnungen, die die SED-Führung mit der Akademieforschung verbindet, als auch die Grenzen, die sie ihr setzt. Die neueste Entwicklung auf diesem Gebiet, die zugleich als ein mittelfristiges Experiment gedeutet werden kann, wird durch einen Beschluß des Ministerrats der DDR vom 12. September 1985 festgelegt. Es ist der „Beschluß über Grundsätze für die Gestaltung ökonomischer Beziehungen der Kombinate der Industrie mit den Einrichtungen der Akademie der Wissenschaften sowie des Hochschulwesens“ Experimentellen Charakter tragen die Grundsätze vor allem vor dem Hintergrund möglicher Wirtschaftsreformen in der Sowjetunion, die für die DDR beispielgebend werden könnten und sicher auch die Strukturen und Funktionen der Kombinate erfassen würden.

Hauptanliegen des Beschlusses ist eine Ökonomisierung der natur-und technikwissenschaftlichen Forschung unter den spezifischen Bedingungen der DDR. Angepeilt werden damit vor allem:

— eine weit in die Zukunft reichende Grundlagenforschung, die bedeutende Neuerungen hervorbringt, — wissenschaftlich-technische Spitzenleistungen insbesondere in den als Schlüsseltechnologien betrachteten Bereichen, — eine fortzuschreibende Konzeption der mathematisch-naturwissenschaftlichen, medizinischen und technologischen Forschung, die eine Konzentration des Potentials für Forschung und Entwicklung (FuE) auf wissenschaftliche Haupt-richtungen und Schlüsseltechnologien gewährleistet,

— eine Verzahnung von Wissenschaft und Produktion, die eine schnellere und umfassendere wirtschaftliche Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse einerseits und eine stärkere Ausrichtung der Forschung an wirtschaftlichen Prioritäten andererseits ermöglicht, — eine Straffung und Konzentration des Forschungszyklus auf die Akademie, die die wirtschaftliche Verwertbarkeit der Forschungsergebnisse erleichtern soll.

Um all dies zu erreichen, sollen die Beziehungen zwischen den Kombinaten einerseits und Akademie sowie Hochschulwesen andererseits wesentlich enger gestaltet werden. Mit Hilfe des Fünfjahrplans der Grundlagenforschung wird angestrebt, „daß der größere Teil des wissenschaftlichen Potentials der Akademie der Wissenschaften und des Hochschulwesens über Wirtschaftsverträge für Aufgaben der Kombinate eingesetzt wird“ Sollte dies so realisiert werden, dann werden in wenigen Jahren in der DDR die Kombinate zweifellos einen starken Einfluß auf die Schwerpunkte und Fragestellungen in der Grundlagenforschung ausüben.

Eine solche Entwicklung kann durchaus als systemadäquat gewertet werden. Die damit einhergehende Dezentralisierung forschungspolitischer Entscheidungen bewegt sich sicher im politisch gewünschten Rahmen; auf die Verhältnisse im gesamten RGW bezogen dürfte sie sogar eher als konservativ zu sehen sein. Die Entwicklung entspricht darüber hinaus aber auch dem in westlichen Ländern seit vielen Jahren zu beobachtenden Trend einer starken Verlagerung — gemessen am Gesamtvolumen — von reiner und anwendungsorientierter Grundlagenforschung in die Forschungslabors der Industriebetriebe und Konzerne. Daraus könnten fruchtbare Anstöße auch auf die Grundlagenforschung in der DDR resultieren und gleichzeitig ein wirtschaftlicher Druck auf die Entwicklungsforschung ausgeübt werden.

Als problematisch könnte sich die angestrebte enge Verflechtung allerdings dann erweisen, wenn die aus der Zentralverwaltungswirtschaft bekannten Probleme (bürokratische Hemmnisse, Fehlen von persönlicher Verantwortung, Anpassung von Ergebnissen an den Plan, Nichteinhaltung von Terminen, Qualitätsmängel) auf die Forschung durchschlagen würden. Entsprechende Tendenzen sind bereits jetzt zu erkennen. Der Sog, den die Kombinate auf die an der Akademie zu erarbeitenden Forschungsergebnisse erzeugen sollen, kann also schnell zur Flaute werden. Hinzu kommt, daß auch in Zukunft der Produktionsplan, der schließlich von einer Vielzahl von Faktoren abhängig ist, weiterhin den frischen Wind der Forschung beträchtlich entkräften wird, obwohl der Plan für Wissenschaft und Technik zeitlich vorgezogen ist. Im Alltag der DDR. -Industrie dominiert die Ökonomie gegenüber Wissenschaft und Technik

Der mittelfristig für und in Abstimmung mit den Kombinaten zu leistende größere Anteil an Forschung in Akademie und Hochschulwesen wird von den Kombinaten finanziert werden. Der Hauptweg der Forschungsfinanzierung wird also die Finanzierung durch die Kombinate. Dagegen werden für die „erkundende Grundlagenforschung“ in der Akademie und im Hochschulwesen weiterhin Mittel des Staatshaushaltes (Staats-aufträge) bereitgestellt. Dasselbe gilt für komplexe, volkswirtschaftlich übergreifende Aufgaben des Staatsplanes Wissenschaft und Technik. Genauere Bestimmungen über die jeweiligen Finanzierungsarten enthält die im Dezember 1985 vom Ministerrat der DDR verabschiedete „Forschungsverordnung“

Die „Forschungsverordnung“ und der „Beschluß über die Grundsätze ..." markieren zusammen einen neuen Versuch, das Verhältnis von Wissenschaft und Politik in der DDR für den Bereich der Natur-und Technikwissenschaften zu entzerren, zu dynamisieren und vor allem zu ökonomisieren. Vielleicht gelingt damit ein bedürfnisgerechteres Aufgreifen von Forschungsfragen, vielleicht auch eine schlüssigere Einbindung des DDR-Forschungspotentials in die Weltwissenschaft. Entscheidender Punkt dürfte hier der formal und materiell definierte Handlungsspielraum der Kombinate sein. Positiv könnte sich eine — als Möglichkeit sich abzeichnende — Entzerrung von anwendungsorientierter (durch Kombinate finanzierte) und reiner (staatlich finanzierte) Grundlagenforschung auswirken: Letztere könnte sich stärker und kompromißloser an der wissenschaftsimmanenten Entwicklung orientieren und sich der internationalen Zusammenarbeit weiter öffnen.

Nicht unmittelbar betroffen von diesen Veränderungen der Rahmenbedingungen sind die Gesellschaftswissenschaften in der DDR. Die Forschungsverordnung vom Dezember 1985 beläßt es dabei, daß Aufgaben der gesellschaftswissenschaftlichen Forschung der Akademie und der Hochschulen aus Mitteln des Staatshaushalts finanziert werden Ausgeschlossen werden damit von Kombinaten finanzierte Projekte gesellschaftswissenschaftlicher Forschungseinrichtungen allerdings nicht. Auch in den Kombinaten selbst können entsprechende Forschungsgruppen bestehen, so z. B. soziologische Labors. Die Bedeutung der kombinatsfinanzierten Forschung ist für die Gesellschaftswissenschaften im Vergleich zu den Natur-und Technikwissenschaften aber sehr gering.

Die Anbindung der Gesellschäftswissenschaften an die Praxis, d. h. an Politik, an Betriebe und gesellschaftliche Einrichtungen (etwa: FDGB, Kulturbund), ist insbesondere duch „Wissenschaftliche Räte“ für Disziplinen und Forschungsfelder und durch parteieigene Forschungseinrichtungen gewährleistet. Sie bilden zusammen die wesentliche insitutionelle Basis für die Umsetzung des „Zentralen Forschungsplans der marxistisch-leninistischen Gesellschaftswissenschaften der DDR“ (ZFP). Sie sind die entscheidende Basis für die inhaltliche Anleitung und Kontrolle der an Akademie und im Hochschulwesen betriebenen gesellschaftswissenschaftlichen Forschung durch die Partei. (Wissenschaftliche Räte bestehen auch für die natur-und technikwissenschaftliche Forschung. Sie können jedoch in dem hier interessierenden Zusammenhang außer Betracht bleiben.)

Parteiinstitute und Wissenschaftliche Räte für Gesellschaftswissenschaften

Erheblich älter als die Wissenschaftlichen Räte sind die gesellschaftswissenschaftlichen Forschungseinrichtungen der SED. Ihre Entstehung reicht überwiegend in die Anfangsjahre der SBZ/DDR zurück. Gegründet wurden: — 1946 die Parteihochschule „Karl Marx“, — 1949 das Marx-Engels-Lenin-Institut, seit 1956 Institut für Marxismus-Leninismus, — 1951 das Institut für Gesellschaftswissen-schäften, 1976 umbenannt in Akademie für Gesellschaftswissenschaften, — 1965 das Zentralinstitut für Sozialistische Wirtschaftsführung.

1964 war dazu noch ein Institut für Meinungsforschung eingerichtet worden, das aber 1979 wieder aufgelöst wurde. Grund dafür war wohl die der SED als potentiell gefährlich erscheinende Konzentration sozialwissenschaftlichen Fakten-wissens neben den höchsten politischen Führungsgremien. Alle oben genannten Parteiinstitute führen das Attribut „beim ZK der SED“, unterstehen also dem Zentralkomitee der staatstragenden Partei, zuvorderst der ZK-Abteilung Wissenschaft. Die Leiter der Einrichtungen sind in der Regel Mitglieder des SED-Zentralkomitees. Die von der SED vertretene „wissenschaftliche Weltanschauung“ hat eine wesentliche institutionelle Verankerung in den Parteiinstituten. Die dort entwickelten Ideen sind längst nicht mehr als die jeweiligen Kopien vorausgegangener sowjetischer Überlegungen zu bewerten.

Die herausgehobene Rolle der Parteiinstitute wird nicht nur durch ihre Anbindung an das ZK der SED deutlich, sondern auch durch ihre Dominanz im Wissenschaftsbetrieb. 1968 hat die SED-Führung ihnen den Status „Zentraler Leiteinrichtungen“ bzw. von „Leitinstituten“ verliehen. Aus dieser Aufwertung und der Nähe zum politischen System ergibt sich ihre besondere Bedeutung vor allem in den folgenden Bereichen:

— der Ausarbeitung des zentralen Forschungsplans (ZFP) für die Gesellschaftswissenschaften, — der Beeinflussung des laufenden Forschungsprozesses und der Berücksichtigung eventuell veränderter politischer Leitlinien und Ziele, — der Koordinierung und Evaluierung der gesellschaftswissenschaftlichen Forschung in der DDR, — der Vorbereitung des wissenschaftlichen Nachwuchses auf Führungspositionen in Partei, Staat, Wirtschaft und Wissenschaft, — der Pflege der sozialistischen internationalen Zusammenarbeit, — der kritischen Auseinandersetzung mit der nichtmarxistischen sozialwissenschaftlichen Forschung. Die Parteiinstitute zeichnen sich insbesondere auch dadurch aus, daß sie als einzige alle bei Großeinrichtungen des Forschungssystems in der DDR nachweisbaren Funktionen zugleich wahrnehmen: Sie leisten Forschung, Lehre, Lenkung des Forschungsbetriebes und Beratung staatlicher und gesellschaftlicher Entscheidungsträger bzw. oberster Parteiorgane Sie sind Mittel für einen straffen Konnex von Wissenschaft und Politik und zugleich einer „aufgeklärten“ Dominanz der letzteren über erstere. Möglich wird dies nicht zuletzt dadurch, daß eine eindeutige Zuordnung insbesondere der Inhaber von Führungspositionen in den Parteiinstituten zu Wissenschaft oder Politik kaum mehr gelingt. Gelernte Wissenschaftler üben hier Funktionen von Wissenschaftspolitikern und Machtpolitikern aus.

Die im Zuge der industriegesellschaftlichen Entwicklung zu erwartende Differenzierung der Organisation und Leitung im Bereich der Gesellschaftswissenschaften spiegelt sich in der Einrichtung von Wissenschaftlichen Räten wider.

Die Gründung Wissenschaftlicher Räte für einzelne Disziplinen oder Forschungsfelder gehört zweifellos zu den herausragendsten wissenschaftsorganisatorischen Maßnahmen in der DDR. Will man eine Parallele zur oben aufgezeigten „Ökonomisierung“ der natur-und technikwissenschaftlichen Forschung herstellen, so kann man hier ganz grob von einer „Vergesellschaftung“ der sozialwissenschaftlichen Forschung sprechen, in der allerdings die Politik noch immer den Primat hat.

Die Wissenschaftlichen Räte sollen als Vermittlungsinstitutionen zwischen Politik, Praxis und Wissenschaft sowie zwischen den Trägern des Forschungsprozesses fungieren. Sie sind zu charakterisieren als ....... eine spezifische Ausprägung des für alle gesellschaftlichen Bereiche gültigen Prinzips der Verbindung von Zentralismus und relativer Eigenverantwortung. Einerseits sind die Wissenschaftlichen Räte von der politischen Führung für die inhaltliche Leitung und Planung der Gesellschaftswissenschaften eingesetzt, andererseits sind sie als „Zentren und Inspiratoren des wissenschaftlichen Lebens (Hager)

eine neuartige Form ausdifferenzierter scientific community“ Nach dem VIII. Parteitag der SED (1971) wurde die Eigenverantwortung der Räte gestärkt und die Bedeutung der zentralen Leiteinrichtungen (meist Parteiinstitute) relativiert.

Mitglieder eines Wissenschaftlichen Rates können neben Wissenschaftlern auch Partei-und Staatsfunktionäre, Vertreter aus Wirtschaft und Industrie und Repräsentanten gesellschaftlicher Organisationen sein. Meist sind die Leiter der wichtigsten Forschungseinrichtungen eines Faches auch als Mitglieder im Rat integriert.

Vorläufer der neuen Institution war der bereits 1964 gegründete und 1969 neu konstituierte Wissenschaftliche Rat für soziologische Forschung.

Bei der Neukonstituierung wurden neben Fachwissenschaftlern auch Vertreter des gesellschaftlichen Lebens in den Rat berufen. Erst auf dieser breiteren Basis von Mitgliedern konnte der Rat der ihm zugedachten Funktion gerecht werden und eine Klammer zur Praxis bilden.

Zunächst hatte der Rat vorrangig die Umsetzung der politischen Beschlüsse für die soziologische Forschung gewährleisten sollen. Die ersten Aufgaben dieses Gremiums bemessen sich an der sozialtechnologisch motivierten Instrumentalisierung der Wissenschaften durch die politische Führung Mit der Verbreiterung der Mitgliederbasis und der Ausweitung seiner Funktionen hat er sich zu einem Mittel der differenzierteren Erfassung gesellschaftlicher Entwicklungen und des kontrollierten Experimentierens formiert — ohne daß damit seine ursprünglichen Funktionen aufgehoben worden wären.

Aus der Arbeit des Wissenschaftlichen Rats für soziologische Forschung lassen sich — in etwa beispielhaft für die anderen Wissenschaftlichen Räte — die folgenden Funktionen ableiten: , — Vorbereitung der mittelfristigen (fünfjährigen) Forschungsplanung und Abstimmung mit angrenzenden Forschungsbereichen, — Umsetzung des vom Politbüro „bestätigten“ ZFP, — Koordinierung, Anleitung und Kontrolle der Forschungsträger beim Erstellen ihrer Forschungskonzeptionen, der Durchführung ihrer Arbeit und der Evaluierung ihrer Forschungsergebnisse, — Förderung des „wissenschaftlichen Meinungsstreits“ und der interdisziplinären Arbeit, — Verbreitung und Propagierung von For schungsergebnissen sowie Beratung von Praxis-partnern, — Ausarbeitung theoretisch begründeter Empfehlungen zur Leitung und Planung der Gesellschaft, vor allem für politische Führungsgremien, — Mitwirkung an der Gestaltung der Soziologen-ausbildung, — Unterstützung und Beratung von Gremien und Forschungsträgern bei der internationalen Wissenschaftskooperation.

Diese Vielfalt von Funktionen kann ein Gremium nur im Zusammenwirken mit anderen Einrichtungen bewältigen, so z. B. mit dem Wissenschaftlichen Rat für Fragen der Sozialpolitik und Demographie und dem Wissenschaftlichen Beirat für marxistisch-leninistische Soziologie beim Ministerium für Hoch-und Fachschulwesen. Zur Erhöhung der Praxiswirksamkeit der Forschungen werden die inhaltlichen Konzeptionen und Forschungsergebnisse mit Vertretern der Bezirks-leitungen der SED, Vertretern der Staatlichen Plankommission sowie Mitgliedern des Bundes-vorstandes des FDGB diskutiert. Die Differenzierung und Entzerrung manifestiert sich auch institutionell beim Rat selbst: durch die Bildung von Problemräten, die dem Rat zugeordnet sind und eigene Tagungen durchführen sowie Beziehungen zu Einrichtungen außerhalb der Wissenschaft unterhalten. Die Zahl der Problemräte (u. a. zu „Sozialstruktur", „Lebensweise und Territorium“) ist mittlerweile auf acht gestiegen; hinzu kommt noch eine Arbeitsgruppe „Soziologie im Betrieb“.

Die Gesamtzahl der Wissenschaftlichen Räte für Disziplinen und Forschungsfelder im Bereich der Gesellschaftswissenschaften beträgt derzeit 38, wobei 14 von ihnen dem Wissenschaftlichen Rat für die wirtschaftswissenschaftliche Forschung zugeordnet sind. Sitz von Wissenschaftlichen Räten sind meist Forschungseinrichtungen, für Disziplinen mit großer Affinität zu Ideologie und politischen Grundfragen vor allem Parteiinstitute. Die Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED ist Sitz der Räte für marxistisch-leninistische Philosophie, für Wissenschaftlichen Kommunismus, für soziologische Forschung, für marxistisch-leninistische Kultur-und Kunstwissenschaften, für internationale Arbeiterbewegung, für Ökonomie und Politik sozialistischer Länder und für politische Ökonomie des Sozialismus Auch die große Zahl der Wis-senschaftlichen Räte ist ein Indiz für Differenzierung und Entzerrung des Wissenschaftssystems, für die Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in die verschiedenen Handlungsbereiche und die — politisch kontrollierte — „Vergesellschaftung“ der Wissenschaften.

Sieben Wissenschaftliche Räte, darunter der Wissenschaftliche Rat für die wirtschaftswissenschaftliche Forschung, haben ihren Sitz an der Akademie der Wissenschaften der DDR. Dies unterstreicht deren Gewicht nicht nur als Forschungs-, sondern auch als Leitungseinrichtung.

Probleme der Forschungsorganisation, ihrer Leitung und Kontrolle sollen deshalb am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der AdW aufgezeigt werden.

Gesellschaftswissenschaftliche Forschung an der AdW der DDR

Zum Fachbereich Gesellschaftswissenschaften gehörten 1983/84 die folgenden Einrichtungen: die Zentralinstitute für Wirtschaftswissenschaften, Geschichte, Literaturgeschichte, Sprachwissenschaft sowie für alte Geschichte und Archäologie und die Institute für Wirtschaftsgeschichte, für Theorie, Geschichte und Organisation der Wissenschaft, für Theorie des Staates und des Rechts sowie für Soziologie und Sozialpolitik.

Der Forschungsbereich Gesellschaftswissenschaften verfügte am Jahresende 1984 über 1 580 Mitarbeiter. Davon waren 65, 7% direkt in der Forschung beschäftigt. Im Vergleich zu 1975 ist damit der Anteil der in der Forschung beschäftigten Personen um 1, 7% gestiegen. Gegenwärtig arbeiten im Forschungsbereich 90 Professoren, d. h. 30 mehr als 1975. 170 wissenschaftliche Leitungskader an der AdW werden bis 1990 die Altersgrenze erreichen und ihre Leitungsfunktion abgeben (Institutsdirektoren, Bereichsleiter und Abteilungsleiter). Im nachfolgenden Planjahrfünft werden es sogar über 200 sein. Das bedeutet, daß in den nächsten 15 Jahren ein kompletter Generationswechsel im Führungs-und Leitungsbereich erfolgen wird. Die Parteiführung sieht darin die Gefahr einer möglichen politischen Instabilität der AdW und fordert schon gegenwärtig eine systematische wissenschaftliche und politisch-ideologische Arbeit mit der sogenannten Kaderreserve in der Partei, um die wissenschaftlichen Nachwuchskräfte zu politischer Loyalität zu erziehen. Es wird erforderlich, die Qualifizierung auf der mittleren und unteren Ebene der wissenschaftlichen Grade zu beschleunigen.

Der dominierende Einfluß der Partei auf die Personalpolitik fördert auch an den gesellschaftswissenschaftlichen Akademieinstituten die Herausbildung von drei politischen Strömungen innerhalb der Intelligenz:

— eine dogmatisch-orthodoxe Richtung, der vorwiegend Führungs-und Leitungskräfte der Akademie anhängen, — eine opportunistische Richtung, die von der Mehrheit des wissenschaftlichen Potentials vertreten wird, — aber auch eine systemkritische Haltung, insbesondere unter den jüngeren Mitarbeitern der Akademie.

An den verschiedenen Institutionen der AdW werden Schwachstellen und Rückstände der Leistungsbereitschaft und Fähigkeit deutlich sichtbar. Auch kam es in der Vergangenheit in mehreren Instituten — in den Wirtschaftswissenschaften, in der Geschichte und zuletzt besonders massiv in der Philosophie — zu ernsthaften politischen Auseinandersetzungen. Parteiausschlüsse, Berufsverbote und Umbesetzungen waren die Konsequenz. Eine Folge dieser Auseinandersetzungen am Zentralinstitut für Philosophie war, daß die Personalpolitik gestrafft und die theoretischen Ausgangs-, Bezugs-und Zielpunkte der Forschung verstärkt durch zentrale Parteiinstanzen kontrolliert und gesteuert werden. Seit 1980/81 erfolgte eine noch straffere Einbindung der Akademie in den Partei-und Staatsapparat.

Die Projekte des Zentralen Forschungsplanes unterliegen strengster Parteikontrolle.

Die Direktoren und Leiter der einzelnen Institute können regelmäßig eine inhaltliche Kontrolle, eine parteiliche Überprüfung des Forschungsprozesses anordnen. Der Forschungsprozeß wird gegebenenfalls abgebrochen, wenn dieser nicht nach entsprechenden Maßstäben der Parteiführung verläuft. Ein Beispiel ist das Forschungsprojekt „Systemtheorie“ am Zentralinstitut für Philosophie unter der Leitung von Camilla Warnke und Peter Ruben. Dieses Forschungsprojekt wurde abgebrochen, weil es nicht den Vorstellungen von Kurt Hager entsprach, der als Mitglied des Politbüros für Ideologie und Wissenschaft zuständig ist. Offensichtlich als Reaktion auf solche Entwicklungen wurde an der Akademie in den achtziger Jahren eine zunehmend stärkere und differenziertere Kontroll-und Eingriffsmöglichkeit des Ministeriums für Staatssicherheit spürbar.

Durch die für Politik und Gesellschaft zunehmende Bedeutung der Wissenschaft sieht die SED sich gezwungen, ihre Kontrolle insbesondere über ihre Wissenschaftskader zu intensivie29 ren. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) dehnt deshalb seinen Machteinfluß weiter aus. Wie weit die Sicherheitskontrolle gegenüber Wissenschaftlern geht, zeigt z. B. eine interne Anordnung des Präsidenten der Akademie aus dem Jahre 1982. Diese Anordnung legt fest, daß westliche Bücher nur noch begrenzt an Wissenschaftler, entsprechend ihrem Forschungsauftrag, ausgeliehen werden. Systematische Buchkontrolle und -erfassung ermöglichen zugleich, Interessen und politische Orientierung der Mitarbeiter einzugrenzen. Die parteiliche Kontrolle der Wissenschaftler in der DDR wird mit Hilfe des MfS um undurchsichtige Methoden erweitert. Daß dies dem immer wieder — gerade von Wissenschaftsfunktionären der SED — geforderten „Meinungsstreit“ unter den Wissenschaftlern keineswegs dienlich sein kann, liegt auf der Hand. Und diese Feststellung trifft dazu nicht einmal nur für die Entwicklung „kritischer“ Argumente, Vorstellungen und Denkweisen zu, sondern auch schon auf die gesamte Bandbreite von Denkmöglichkeiten, die sich im vorgegebenen Rahmen zur Lösung der gestellten Aufgaben anbieten. Mehr Kontrolle führt zu weniger Phantasie und Innovation, sie ist für die Effizienz des gesellschaftlichen Systems denkbar kontraproduktiv.

Der Zentrale Forschungsplan für die Gesellschaftswissenschaften in der DDR

Als erheblich akzeptabler — wenn auch nicht unproblematisch — erscheint dagegen eine zentrale Planung der gesellschaftswissenschaftlichen Forschung für einen überschaubaren Zeitraum. Problematisch sind hier vor allem Art und Umfang der politischen Einflußnahme sowie die partielle Beschränkung oder Ausschließung des einzelnen Wissenschaftlers bei der Formulierung der Fragestellungen. Die Zentrale (Wissenschaftliche Räte, ZK-Abteilung Wissenschaft, Politbüro) reduziert ihre Funktion schließlich nicht auf die Sammlung und Kenntnisnahme der bei den Forschungsträgern beabsichtigten Untersuchungen. Ziel der Planung ist vielmehr sicherzustellen, daß die inhaltliche Orientierung und Leitung der gesellschaftswissenschaftlichen Forschung vorgegebenen Kriterien entspricht. Die Parteiführung kontrolliert so die mittelfristige Entwicklung und versucht, ihre ideologischen Postulate, politischen Ziele und die wirtschaftlichen Notwendigkeiten mit den sozialwissenschaftlichen Forschungsergebnissen und -Programmen in Einklang zu bringen.

Die zentrale Planung legt auch die Prioritäten von Forschungsprojekten fest. Mit dem vom Politbüro „bestätigten“ Plan werden den Gesellschaftswissenschaftlern Themen vorgegeben, die nach Ansicht der Parteiführung — wenn auch auf Vorschlag oder in Abstimmung mit Einrichtungen der Wissenschaft — vordringlich einer wissenschaftlichen Bearbeitung und Lösung bedürfen. Die Zentralen Forschungspläne sind Rahmenpläne. Als solche liefern sie den Wissenschaftlern und den wissenschaftlichen Institutionen Orientierungsanweisungen für die eigenverantwortliche Forschungsplanung. Die Einzelheiten der Durchführung von Forschungsprojekten planen die jeweiligen Institute selbst. Sie setzen auch die Vorgaben in Jahresarbeitspläne um. So erfolgt ein Zusammenspiel von mittelfristiger Planung, daraus abgeleiteten Jahresarbeitsplänen, Durchführung der Forschung und Berichterstattung über Forschungsergebnisse, Formulierung von Vorschlägen für den folgenden Planzeitraum, Verdichtung von Vorschlägen, Vergleich mit politischen Zielstellungen und Ableitung neuer Fragestellungen durch die beteiligten Gremien, Formulierung des Forschungsplans und schließlich Bestätigung durch das Politbüro.

Auf einer Konferenz der Ideologischen Kommission beim Politbüro beim ZK der SED mit Gesellschaftswissenschaftlern im März 1964 wurde erstmals eine Effektivierung der Wissenschaftsorganisation und die Erstellung eines Forschungsprogramms bis 1970 verlangt. 1968 wurde ein Beschluß des Politbüros über „Die weitere Entwicklung der marxistisch-leninistischen Gesellschaftswissenschaften in der DDR“ vorgelegt. Darin wurden den Gesellschaftswissenschaften bestimmte Funktionen zugewiesen, zentrale Leiteinrichtungen festgelegt und eine Liste von gesellschaftswissenschaftlichen Schwerpunktthemen formuliert Dieser Beschluß war der Vorläufer der später verabschiedeten Zentralen Forschungspläne. Die einschneidende Bedeutung der Politik für den Forschungsplan verdeutlicht u. a. die Verabschiedung des — dem Namen nach — ersten Zentralen Plans für die Gesellschaftswissenschaften. Mit dem Wechsel von Ulbricht zu Honecker im Mai 1971 vollzogen sich auch einschneidende Veränderungen in der Programmatik: Das „entwickelte gesellschaftliche System des Sozialismus“ wurde zur „entwickelten sozialistischen Gesellschaft“, der DDR-Zentrismus wurde suspendiert und von einer internationalistischen Orientierung in vielen Bereichen (so etwa der Geschichtsschreibung) abgelöst. Die Folge war, daß der Plan erst geraume Zeit nach dem Wechsel erscheinen konnte, obwohl er mit dem für die Wirtschaft geltenden Planzeitraum (1971 bis 1975) gekoppelt sein sollte In diesem Zentralen Forschungsplan, an dem sich alle Gesellschaftswissenschaftler in der DDR zu orientieren hatten, heißt es u. a.: „Die gesamte gesellschaftswissenschaftliche Arbeit ist so zu organisieren, daß dem Zentralkomitee in verstärkter Weise fundierte Informationen über theoretische und praktische Probleme der gesellschaftlichen Entwicklung übergeben werden. Es ist zu gewährleisten, daß aus dem Forschungsprozeß ständig Informationen über reale Entwicklungsprozesse, wissenschaftliche Aussagen über künftige Entwicklungen, über Lösungswege für herangereifte Probleme erfolgen.“

Die Pläne 1976 bis 1980 und 1981 bis 1985 erschienen rechtzeitig vor Beginn des Planzeitraums; der für 1986 bis 1990 geltende Zentrale Forschungsplan erschien wiederum verspätet. Er wurde erst nach dem XL Parteitag der SED (April 1986) vom Politbüro bestätigt und veröffentlicht Wie in den vorangegangenen Zentralen Forschungsplänen sind auch in dem jetzt vorliegenden Plan die bestimmten Forschungseinrichtungen zugewiesenen konkreten Forschungsthemen, die Vorhaben von Veröffentlichungen und die Pläne zur Durchführung wissenschaftlicher Veranstaltungen nicht abgedruckt. Auf wissenschaftliches Interesse können jedoch auch die veröffentlichten Teile stoßen. Die enge Verknüpfung von Wissenschaft und Politik, insbesondere die Ausrichtung der Forschung auf bestimmte Ziele und die Ableitung von Forschungsthemen von politischen Leitlinien, ermöglichen Rückschlüsse aus dem Forschungsplan auf die mittel-bis langfristige Strategie der SED.

Zu einem großen Teil spiegelt der aktuelle Plan zweifellos Kontinuität in der Forschungslandschaft und -politik der DDR wider, was im Einzelfall bereits wichtig sein kann. Hierzu gehören u. a. die Untersuchung von „Gesetzmäßigkeiten der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft“, der Entwicklung der Sozialstruktur, Mittel zur und Folgen der Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, Fragen der „sozialistischen Lebensweise“, der Bildung, des Geschichtsbildes, des „revolutionären Weltprozesses“ und „der allgemeinen Krise des Kapitalismus“. Sicher gibt es Themen, die den Beharrungstendenzen im Wissenschaftssystem zuzuschreiben sind, doch auch sie müssen in die politische Landschaft passen.

Die SED hält offensichtlich entschlossen an ihrer Wirtschaftsstrategie einer weiteren „Intensivierung“ und der „Einheit von Wirtschafts-und Sozialpolitik“ fest. Die Stimulierung vön Leistung und die Initiierung sowie das Wirksamwerden von wissenschaftlich-technischem Fortschritt sind deshalb zentrale Themen der Gesellschaftswissenschaftler. Die SED rechnet jedoch auch auf längere Sicht nicht damit, daß sie im Bereich der Wirtschaft den Abstand zur Bundesrepublik aufholen könne. Wichtig sind deshalb weiterhin Forschungen zur Verbundenheit mit Region und Tradition, zur Identifizierung mit sozialistischen Normen und Werten, zum zunehmenden Stellenwert des Individiums in der Gesellschaft, die geeignet erscheinen, in der Bevölkerung Zustimmung zum Gesellschaftssystem zu erzeugen.

Die Veränderungen sind vor allem an zwei Punkten festzumachen:

1. Während im letzten ZFP im Zusammenhang mit der „Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft“ vom zugleich „allmählichen Übergang zum Kommunismus in allen Bereichen“ die Rede war, erscheint jetzt der Kommunismusbegriff nur noch als „kommunistische Erziehung“ und im Begriff des „Antikommunismus“. Erreicht werden soll, daß an dem hinter dem Horizont verschwundenen kommunistischen Idealbild selbst längerfristig die reale gesellschaftliche Entwicklung nicht gemessen werden kann. Die jetzt als progressiv erscheinende sozialistische Leistungsgesellschaft hat die kommunistische Gesellschaft als reale Utopie abgelöst. 2. Ein gravierender Wandel ist für die Konzeption der ideologischen Auseinandersetzung zu konstatieren. Die SED scheint entschlossen, den Dialog mit einem breiten Adressatenkreis aufzunehmen oder fortzuführen. Entschiedene Ablehnung dürfen künftig nur die „aggressivsten und reaktionärsten Kreise des Imperialismus“ erfahren. Mehrfach wird die Formulierung von der „Koalition der Vernunft und des Realismus“ gebraucht, die ein Interesse an vielseitigen Kontakten auf der Basis gemeinsam interessierender Fragen signalisiert. Eine immerhin partielle ideologische Koexistenz könnte möglich werden.

Diese aus dem Zentralen Forschungsplan ableitbaren politischen Leitlinien der SED gehören für die Gesellschaftswissenschaftler in der DDR zum „wissenschaftlichen Weltbild“, das einen Teil des Inputs ihrer Forschungen darstellt. Die Vorgaben mögen für den einzelnen mehr oder weniger leicht nachzuvollziehen sein; zunächst jedenfalls, und für manchen wohl auch auf Dauer, werden sie als Außensteuerung des Forschungsprozesses, als Begrenzung des Erkenntnisinteresses und der Interpretation von Forschungsergebnissen wahrgenommen. Die Politik definiert (zumindest begrenzt) wissenschaftliche Sachverhalte, sie transformiert den Forschungsprozeß. Der Zentrale Forschungsplan erweist sich nicht nur als Um-und Befriedung von Forschüngsinteressen (letzteres durch Mitwirkung und Langfristigkeit), sondern auch als ein potentielles und nicht selten reales Instrument der „Entdifferenzierung“ an der unmittelbaren Rückkoppelung der Wissenschaften an politische Interessen.

Ambivalenz der weiteren Entwicklung

In wachsendem Ausmaß sind aber auch Transformationsprozesse zu erkennen, die nicht auf die Lenkung der Wissenschaft durch die SED zurückgehen. Sie resultieren vor allem aus der Übernahme nichtmarxistischer Konzepte (in der Soziologie z. B. Lebensweise, Sozialstruktur, Bedürfnisse) und finden Eingang in die Vorstellungswelt und die politische Zielstellung der SED. Innovationen in den Gesellschaftswissenschaften beeinflussen das politische Denken in der DDR. Ein Beispiel dafür ist die 1976 in das Parteiprogramm der SED aufgenommene Passage über die Sozialstruktur. Auch die inzwischen veränderte politische Beurteilung des Stadt-Land-Unterschieds ist den dazu vorliegenden Forschungsergebnissen zuzuschreiben. Zweifellos bleibt die Wirkung einer wirklichkeitsbezogeneren Sichtweise der SED selektiv. Politik bleibt abhängig von Interessen, politischen Zielen und Utopien, von der geopolitischen Lage eines Landes, von der Machtbehauptung und -perpetuierung der Herrschenden. So ist es nicht verwunderlich, daß den Gesellschaftswissenschaften in der DDR „Einfluß auf politische Entscheidungen ... nur da eingeräumt worden (ist), wo ihre soziologischen Erkenntnisse nicht im Widerspruch zu den Interessen und Absichten der Herrschaftsgruppe standen“

Die Wissenschaften in der DDR konnten sich bislang immer nur im Rahmen eines — veränderten Umständen sich anpassenden — Machtsicherungssystems entfalten. Die Wissenschaftler und die übrige „Intelligenz“ erwiesen sich auch hier als eine „stabilisierend-technokratische als auch in begrenztem Maße... kritische Führungsschicht, wobei die repressiven Willensbildungsund Entscheidungsprozesse dieses Kritikpotential in Grenzen halten“ Dabei kann diese Schicht offensichtlich über die von der Partei und ihren Kontrollorganen vorgezeichneten Denkund Verhaltensmuster allenfalls partiell und allmählich hinausgehen. Über die vorgelegten Forschungsergebnisse verfügen die Partei oder ebenfalls der Parteikontrolle unterliegende Praxis-partner — immer häufiger allerdings im Zusammenwirken mit den Forschern selbst und ihren Repräsentanten, den „Wissenschaftler-Politikern“. Die Wissenschaftler in der DDR sind in das System integriert; eine „institutionalisierte Gegen-elite“ bilden sie nicht. Daß Wissenschaftler die wesentlichen Strukturen der Gesellschaft alternativ formulieren dürften, auch nur als Diskussionsgrundlage, bleibt weiterhin unvorstellbar. Erkenntnisfortschritt vollzieht sich im Spannungsfeld von ideologischen Normen und politischen Erwartungen einerseits und auf Objektivität und Emanzipation gerichtetem wissenschaftlichen Erkenntnisinteresse andererseits. Die Grenzen markiert die Politik.

Fussnoten

Fußnoten

  1. E. Förtsch, Zur Wissenschaftsentwicklung und -Politik in der DDR, in: IGW-Informationen, (1984) 1, (hrsgg. vom Institut für Gesellschaft und Wissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg).

  2. In die gleiche Richtung zielen auch verschiedene Beiträge, die auf der 18. Tagung der DDR-Forschung der Bundesrepublik im Mai 1985 gehalten wurden. Vgl. insb. die Beiträge von S. Meuschel, W. Süß, C. Burrichter, H. Laatz, P. Dietrich, F. Haffner. Veröffentlicht in: Ideologie und gesellschaftliche Entwicklung in der DDR. Achtzehnte Tagung zum Stand der DDR-Forschung, Edition Deutschland Archiv, Köln 1985.

  3. B. Marquardt, Soziologie und Politik an der AdW der DDR, Erlangen 1985.

  4. O. Stammer, Vorwort zu M. G. Lange, Wissenschaft im totalitären Staat, Stuttgart-Düsseldorf 1955, S. X

  5. H. -R. Karutz, Neuer SED-Kurs: Pragmatismus plus Kontrolle, in: Die Welt vom 3. 6. 1985.

  6. Vgl. H. Domdey, Tagungsbericht, Ideologie in der Krise. Die XVIII. DDR-Forschertagung, in: Deutschland Archiv, (1985) 9, S. 988 ff., und P. Dietrich, Geheimbund oder totalitäre Partei: Zur „GeheimbundVerfassung kommunistischer Parteien“ bei Peter C. Ludz, in: Ideologie und gesellschaftliche Entwicklung (Anm. 2), S. 138 ff.

  7. P. C. Ludz, Mechanismen der Herrschaftssicherung — Eine sprachpolitische Analyse gesellschaftlichen Wandels in der DDR, München-Wien 1980, S. 59 und S. 100 ff.

  8. Vgl. C. Burrichter, Zur Kontingenz ideologischer Reformation im wissenschaftlichen Zeitalter, in: Ideologie und gesellschaftliche Entwicklung (Anm. 2), S. 50 ff.

  9. Vgl. H. -J. Müller, Determinanten und Merkmale des leitenden Wissenschaftsverständnisses in der DDR, in: Das Wissenschaftssystem in der DDR, hrsgg. vom Institut für Gesellschaft und Wissenschaft (Erlangen), Frankfurt-New York 1979, insb. S. 31 ff.

  10. Institutionen und Prozesse der forschungspolitischen Lenkung und Planung, in: Das Wissenschaftssystem (Anm. 9), S. 78 ff.

  11. Vgl. H. Lades/C. Burrichter (Hrsg.), Produktivkraft Wissenschaft — Sozialistische Sozialwissenschaften in der DDR, Hamburg 1970, S. XIVff.

  12. Vgl. ebenda, S. XVf.

  13. Ein weithin konsensfähiger Begriff für die Herrschaftsform des realen Sozialismus der achtziger Jahre ist noch nicht gefunden, wird aber als Defizit empfunden. Vgl. dazu u. a. R. Dahrendorf, Wandel, Annäherung — und der entscheidende Unterschied. Die Analyse der Systeme in Ost und West trägt nicht mehr, in: Die Zeit, Nr. 28, vom 4. 7. 1986, S. 3, und H. Domdey, Durch Traditionspflege bessere Akzeptanz der Modernisierung? Die XIX. DDR-Forschertagung, in: Deutschland Archiv, (1986) 9, S. 989 ff., S. 992.

  14. C. Burrichter, Reflexionen zum Systemvergleich, in: Wissenschaft in der DDR, hrsgg. vom Institut für Gesellschaft und Wissenschaft (Erlangen), Köln 1973, S. 22.

  15. Vgl. insbesondere E. Schmickl, Wissenschaftssteuerung als Funktion zentralistischer Systeme — Zur Leitung und Planung von Wissenschaft in der DDR, in: M. Rühl/J. Walchshöfer (Hrsg.), Politik und Kommunikation. Festgabe für Franz Ronneberger zum 65. Geburtstag. Nürnberger Forschungsberichte, Sonderband, Nürnberg 1978, S. 31— 69.

  16. Ebenda, S. 67 f.

  17. Vgl. U. Neuhäußer-Wespy, Von der Urgesellschaft bis zur SED. Anmerkungen zur „Nationalgeschichte der DDR“, in: Deutschland Archiv, (1983) 2, S. 145ff., und J. Kuppe, Die Geschichtsschreibung der SED im Umbruch, in: Deutschland Archiv, (1983) 3, S. 278ff.

  18. Statut der Akademie der Wissenschaften der DDR, Beschluß des Ministerrates vom 28. Juni 1984, in: GBl.der DDR, Teil I, Nr. 19 vom 4. 7. 1984, S. 241 ff. S. 241.

  19. Vgl. G. Lauterbach, Wissenschaftspolitik und Ökonomie, Erlangen 1980, und R. Landrock. Die Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1945— 1971, 3 Bde, Erlangen 1977.

  20. Vgl. K. Hager, Gesetzmäßigkeiten unserer Epoche — Triebkräfte und Werte des Sozialismus, in: Neues Deutschland vom 16. 12. 1983, S. 3 ff.

  21. Beschluß über Grundsätze..., in: GBl.der DDR, Teil 1 Nr. 2 (1986) vom 16. 1. 1986, S. 9ff.

  22. Ebenda, S. 10

  23. Vgl. G. Lauterbach, Veränderungen in der Leitung, Planung und Kontrolle von Wissenschaft und Technik zur Jahreswende 1983/84, in: FS-Analysen, Forschungsstelle für gesamtdeutsche wirtschaftliche und soziale Fragen, (1984) 6, S. 51 ff., S. 56.

  24. Verordnung über die Leitung, Planung und Finanzierung der Forschung an der Akademie der Wissenschaften der DDR und an Universitäten und Hochschulen, insbesondere der Forschungskooperation mit den Kombinaten — Forschungsverordnung — vom 12. Dezember 1985, in: GBL der DDR, Teil I Nr. 2 (1986) vom 16. 1. 1986, S. 12 ff.

  25. Ebenda, S. 16.

  26. Vgl. dazu und zu den einzelnen Forschungseinrichtungen W. Gruhn/G. Lauterbach, Die Organisation der Forschung in der DDR, in: Das Wissenschaftssystem in der DDR, hrsgg. vom Institut für Gesellschaft und Wissenschaft (Erlangen), Frankfurt-New York 19792, S. 127 ff.

  27. Vgl. dazu insbesondere P. C. Ludz (Anm. 7), S. 191 f.; W. Illner, Der Wissenschaftliche Rat für Soziologische Forschung und die Schwerpunkte der Soziologie in der DDR, in: Beiträge zur Deutschlandforschung, hrsgg. von D. Voigt und M. Messing, Bochum 1982, S. 89— 117; E. Schmickl (Anm. 15), S. 30ff.; H. Laatz (Anm. 2), S. 70 ff.

  28. G. Lauterbach/R. Schwarzenbach, Neue Aspekte der Forschungspolitik. Der Rat für wirtschaftswissenschaftliche und der Rat für staats-und rechtswissenschaftliche Forschung der DDR, in: Analysen und Berichte aus Gesellschaft und Wissenschaft (Erlangen), (1979) 2, S. 9.

  29. E. Schmickl, Zur Wissenschaftsentwicklung im sozialistischen System. Soziologie in der DDR als Ergebnis sozialen Wandels und politischer Programmatik, Diss., Erlangen 1974, S. 60 ff.

  30. Wissenschaftliche Räte der DDR für die gesellschaftswissenschaftliche Forschung, /in: Einheit, (1986) 8, S. 734 f.

  31. Die weitere Entwicklung der marxistisch-leninistischen Gesellschaftswissenschaften in der DDR (Beschluß des Politbüros des ZK der SED vom 22. 10. 1968), in: Einheit, (1968) 12, S. 1455ff.

  32. Zentraler Forschungsplan der marxistisch-leninistischen Gesellschaftswissenschaften der DDR bis 1975, in: Einheit, (1972) 2, S. 169ff.

  33. Ebenda, S. 173.

  34. Zentraler Forschungsplan der marxistisch-leninistischen Gesellschaftswissenschaften der DDR 19861990, in: Einheit, (1986) 8, S. 681 ff.

  35. „Der Begriff‘Entdifferenzierung 1 meint in erster Linie den Anspruch auf gesellschaftliche Durchsetzung totalitärer oder autoritärer politisch-ideologischer Orientierungs-und Einstellungsmuster, den immer wieder neu bekräftigten Führungsanspruch eines einzigen Teilsystems“. P. C. Ludz (Anm. 7), S. 60 f.

  36. H. Laatz (Anm. 2), S. 74

  37. E. Gloeckner, Die Intelligenzia in der sozialistischen Gesellschaft, in: Osteuropa, (1984) 7, S. 477f.

  38. Vgl. P. C. Ludz, Parteielite im Wandel, Köln und Opladen 1968.

Weitere Inhalte

Bernhard Marquardt, Dr. rer. oec., Dipl. -Soziologe, geb. 1950; Studium der Soziologie und der Wirtschaftswissenschaften in Halle und Ost-Berlin; von 1974 bis 1977 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Humboldt-Universität, von 1977 bis 1982 wissenschaftlicher Mitarbeiter bzw. stellv. Forschungsgruppenleiter an der Akademie der Wissenschaften (AdW) der DDR am Institut für Soziologie und Sozialpolitik; Berufsverbot 1982; seit 1983 in der Bundesrepublik Deutschland, z. Zt. wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Gesellschaft zur Erforschung der politischen Systeme in Deutschland e. V., Würzburg. Veröffentlichungen u. a: Soziologie und Politik an der AdW der DDR — Fallstudie zur Entscheidungsvorbereitung der SED, Erlangen 1985; DDR — totalitär oder autoritär?, Schweizerisches Ost-Institut, Bern 1986. Emil Schmickl, Dr. rer. pol., Dipl. -Sozialwirt, geb. 1941; Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Gesellschaft und Wissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg. Veröffentlichungen u. a: Soziologie und Sozialismustheorie in der DDR, Köln 1973; Probleme und Ergebnisse der Sozialstrukturforschung in der DDR nach 1971, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 23/76; (zus. mit R. Schwarzenbach) Grundrechte und sozialistische Lebensweise in der DDR, in: Die DDR im Entspannungsprozeß. Lebensweise im realen Sozialismus, Köln 1980.