Pakistan -wirtschaftlicher Fortschritt und gesellschaftliche Rückständigkeit ) *
Khushi M. Khan
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Zusammenfassung
Die ökonomischen, sozialen und politischen Widersprüche in Pakistan haben ihren Ursprung in den ererbten kolonialen Strukturen, die sich durch ein Übergewicht von Militär und Bürokratie gegenüber relativ gering entwickelten zivilen Institutionen auszeichneten. Seit der Gründung Pakistans haben Armee und Bürokratie entweder direkt — in den Perioden der Militärherrschaft — oder indirekt — wie hinter dem dünnen Schleier einer Zivilregierung seit Dezember 1985 — geherrscht. Die langen Abschnitte der Militärherrschaft haben die politischen und sozialen Institutionen zunehmend geschwächt. Im ökonomischen Bereich haben die verfolgten Entwicklungsstrategien, die durch Abhängigkeit von außen und Ungerechtigkeit nach innen gekennzeichnet waren, gewisse gesellschaftliche Eliten auf Kosten des Volkes bereichert. Trotz des Wirtschaftswachstums auf Makroebene haben sich die Disparitäten zwischen Regionen und sozialen Gruppen verschärft, und Grundbedürfnisse. nach medizinischer Versorgung, Bildung und sozialen Dienstleistungen sind nicht einmal minimal erfüllt worden. Durch die ökonomische Abhängigkeit von ausländischen Mitteln (Entwicklungshilfe und Heimüberweisungen) hat sich eine unausgewogene Struktur herausgebildet, die die weitere Entwicklung des Landes zunehmend gefährdet. Politisch betrachtet, verlieren die Menschen das Vertrauen in den Staat als Vermittler zwischen den divergierenden Interessen der einzelnen Gruppen. Da weder eine gerechte wirtschaftliche Entwicklung initiiert werden konnte noch politische Institutionen den Interessenausgleich bewältigten, suchen die Menschen Schutz und Unterstützung durch ihre ethnische Zugehörigkeit, religiöse (sektiererische) Gemeinschaften und nationalistische Gruppen. Wenn die ökonomischen, sozialen und politischen Probleme nicht gelöst werden, befindet sich Pakistan in einer ähnlichen Lage wie 1971, als seine Existenz auf dem Spiel stand.
Zahlreiche Analysen der Entwicklung Pakistans haben sich zwischen zwei Extremen bewegt. Während die einen Pakistan als „Modell“ für die Entwicklung im Rahmen des westlichen kapitalistischen Systems rühmen, sehen die anderen seinen Weg als typisches Beispiel für den gescheiterten Versuch, seine ökonomischen, sozialen und politischen Probleme zu lösen. Jede dieser Betrachtungsweisen scheint ihre Bestätigung gefunden zu haben, da Pakistan unterschiedliche Phasen politischer Stabilität und relativen wirtschaftlichen Wachstums wie auch großer wirtschaftlicher Rückschläge und politischer Desintegration durchlaufen hat. Diese auseinanderklaffenden Schlußfolgerungen reflektieren natürlich unterschiedliche analytische Ansätze und unterschiedlich ausgewählte Kriterien zur Beurteilung bestimmter Entwicklungen in einer Gesellschaft. Die Anwendung allgemein akzeptierter Kriterien wie wirtschaftliches Wachstum, Verteilungsmuster, politische Partizipation wird — jedes für sich genommen — ein ganz anderes Bild vermitteln als eine kombinierte, alle Kriterien gemeinsam nutzende Betrachtungsweise. Daher ist es notwendig, die Entwicklungen im wirtschaftlichen, politischen und sozialen Bereich nicht getrennt voneinander, sondern im Zusammenhang zu sehen.
Dieser Aufsatz wird sich schwerpunktmäßig mit der Zeit nach 1970 beschäftigen, die davor liegende Epoche soll nur soweit berücksichtigt werden, als es für das Verständnis späterer Entwicklungen notwendig erscheint.
I. Wirtschaftliche Erfolge ohne gesellschaftlichen Fortschritt
Mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von ca. 5 % im Laufe der vierzig Jahre seines Bestehens gehört Pakistan zu jenen sich entwickelnden Wirtschaften in der Dritten Welt, die ein rapides Wachstum kennzeichnet. Mit einem Pro-Kopf-Einkommen von fast 400 US-Dollar wird es bald zu den Ländern mit mittlerem Einkommen und nicht zu jenen zählen, die von der Weltbank als Länder mit niedrigem Einkommen klassifiziert werden 1985 belief sich das Bruttosozialprodukt (BSP) auf fast 30 Milliarden US-Dollar, und trotz einer Verdreifachung der Gesamtbevölkerung seit 1947 hat sich das Einkommen eines Durchschnittsbürgers in dieser Zeit auf das Zweieinhalbfache erhöht. Wenn man berücksichtigt, daß Pakistans Entwicklung von dauernden politischen Krisen begleitet war, wären unter günstigeren Umständen Wachstumsraten um 7 % und ein Pro-Kopf-Einkommen von 500 US-Dollar durchaus denkbar.
Abbildung 19
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Die hohen Wachstumsraten lassen sich auch aus den bedeutenden strukturellen Veränderungen ablesen, die die pakistanische Wirtschaft durchlaufen hat (vgl. Tabelle 1). 1955 lag der Beitrag der Landwirtschaft zum BSP bei über 50 %, 1984 dagegen bei nur 25 %, während der verarbeitende Sektor an Bedeutung gewann und seinen Anteil am BSP von 8% auf 27% steigerte. Der rasche wirtschaftliche Fortschritt spiegelt sich ebenfalls in veränderten Außenhandelsstrukturen. 1947 exportierte Pakistan vor allem landwirtschaftliche Produkte (Baumwolle, Weizen, Reis, Salz) und importierte Pflanzenöle, Kapitalgüter und verarbeitete Konsumgüter. 1984/85 war der Anteil der Fertigwaren-exporte auf 54 % gestiegen.
Ein anderer Indikator für die rasche Wirtschaftsentwicklung ist der Grad der Verstädterung. Zur Zeit der Unabhängigkeit lebten 17 % der Bevölkerung in Städten, 1984 dagegen 29%. 1951 hatte noch keine der Städte eine Bevölkerung von über einer Million; 1983 waren es fünf Städte, im Jahr 2000 werden es voraussichtlich zehn sein.
Diese statistische Übersicht macht anhand der gängigen Indikatoren wirtschaftlicher Entwicklung die Veränderungen in der Wirtschaft Pakistans deut-B *) Dieser Beitrag ist Teil einer derzeit erarbeiteten Forschungsarbeit des Verfassers über Südasien. lieh, ebenso der Vergleich mit anderen Ländern und Regionen.
Relevante Vergleichsgrößen sind einmal die Nachbarländer mit niedrigem Einkommen, mit denen Pakistan viele gemeinsame Merkmale aufweist, aber auch die übrigen Entwicklungsländer. Tabelle 1 und Tabelle 2 beinhalten einige Struktur-daten, die ein Vergleich Pakistans mit Indien, mit Ländern mit niedrigem Einkommen und Ländern mit mittlerem Einkommen ermöglichen. So lag das Pro-Kopf-Einkommen in Pakistan im Jahre 1984 mit 380 US-Dollar über dem Indiens mit 260 US-Dollar und den Ländern mit niedrigem Einkommen mit ebenfalls 260 US-Dollar. Sowohl in bezug auf den Anteil der Industrieproduktion am BSP überrundete Pakistan (29%) Indien (27%) bzw. die Länder mit niedrigem Einkommen (24%) als auch im Dienstleistungssektor, dessen Anteil am BSP für Pakistan 46 %, für Indien 38 % und die Länder mit niedrigem Einkommen 40% ausmachte. Vergleicht man den Anteil der in der Landwirtschaft oder im Dienstleistungssektor Beschäftigten, ergibt sich ein ähnlich positives Bild. Mit anderen Worten: Die wirtschaftliche Entwicklung Pakistans hat ein höheres Niveau erreicht als in vergleichbaren Ländern; einige Indikatoren deuten sogar auf eine höhere Entwicklung als in bestimmten Ländern mit mittlerem Einkommen.
Diese makro-ökonomischen Indikatoren sollten jedoch nicht dazu verführen, Pakistan gesamtgesellschaftlich betrachtet als ein Land anzusehen, das eine fortschreitende Entwicklung vorzuweisen hat. So paradox es erscheint, wird die folgende Analyse zeigen, daß es möglich ist, daß ein Land trotz hoher Wachstumsraten gravierende soziale und politische Probleme zu verzeichnen hat. 1. Abriß der Wirtschaftspolitik unter Ayub Khan, Bhutto und Zia-ul-Haq Aus makro-ökonomischer Sicht waren die Ergebnisse der Wirtschaftspolitik unter Ayub Khan (1958— 1969) so eindrucksvoll, daß sie im Ausland begeisterte Kommentare hervorriefen Doch wie sich später herausstellen sollte, waren die Erfolge in dieser Zeit mit Problemen behaftet. Eine schwerwiegende Konsequenz der raschen, aber strukturell ungleichgewichtigen Wirtschaftsentwicklung zeigte sich in Form zunehmender Einkommensdisparitäten sowohl zwischen als auch innerhalb der Regionen. Die bekannten „ 22 Familien“ kontrollierten 1968 80% der Banken, 97% der Versicherungen und 66% des Industriekapitals und waren alle in Westpakistan ansässig Folge einer derartigen Vernachlässigung des Verteilungsaspekts war das Auseinanderbrechen des Staates Pakistan und die Bildung von Bangladesch im Jahre 1971. Abgesehen von dem hohen politischen und sozialen Preis, den das Land zu zahlen hatte, ist selbst unter rein ökonomischen Gesichtspunkten kritisiert worden, daß die forcierte Industrialisierung zu Ayubs Zeit nicht im mittel-und langfristigen Interesse Pakistans lag. Die aus Auslandsdarlehen und forcierten Agrarexporten stammenden Mittel wurden für die Errichtung von Konsumgüterindustrien im Privat-sektor verschwendet. Diese wären jedoch in jedem Falle durch private Unternehmer aufgebaut worden, da genügend Rohstoffe und auch die entsprechenden Märkte im Land selbst vorhanden waren.
Damit wurde die historische Chance nicht genutzt, Grund-und Schlüsselindustrien aufzubauen, die allein die sichere Basis für eine eigenständige Wirtschaftsentwicklung hätten darstellen können. Statt dessen vergeudete man die knappen verfügbaren Ressourcen zugunsten einer kleinen privilegierten Gruppe von Industriellen, die großen politischen Einfluß besaß
Wenngleich Naturkatastrophen und politische Unruhen ihren Teil zu der enttäuschenden Leistung der pakistanischen Wirtschaft zur Zeit Bhuttos (1971 — 1977) beitrugen, ist doch die Formulierung und Durchführung einer ungeeigneten Wirtschaftspolitik als Hauptursache hierfür zu nennen. Die Politiker verkannten die ganze Reichweite der internationalen Wirtschaftskrise und die deshalb notwendigen umfassenden, aber unpopulären Entscheidungen. Statt die öffentlichen Ausgaben einzuschränken und das Wachstumsziel und den Investitionsumfang herabzusetzen, beschloß die Regierung Bhutto, intern mehr Geld zu schöpfen und von außen mehr Kredite aufzunehmen, um auf diese Weise ein hohes öffentliches Investitionsniveau zu halten und das Zahlungsbilanzungleichgewicht aufzuheben Während erstere Maßnahme die Inflationsspirale in Gang setzte, führte letztere zu einem starken Anstieg der Auslandsverschuldung. Die Inflationsrate belief sich in den Jahren 1973/74 bzw. 1974/75 auf 30 % bzw. 27 %. Zunehmend geriet die Zahlungsbilanz des Landes unter Druck. Das Importdefizit an Waren und Dienstleistungen stieg von 276 Millionen US-Dollar 1972/73 auf 1, 3 Milliarden US-Dollar 1975/76. Es ist hinzuzufügen, daß die Importe zu einem großen Teil nicht den Entwicklungsvorhaben des Landes dienten, sondern der Befriedigung der Konsumbedürfnisse einer kleinen Elite.
Unter dem Regime Zia-ul-Haq wurden die unter Bhutto verstaatlichten Industrien reprivatisiert und die führende Rolle des Privatsektors in der Wirtschaftsentwicklung des Landes hervorgehoben. Gleichzeitig ist aber die nationale Wirtschaftsplanung wiederbelebt worden. Der Staat spielt bei der Mobilisierung und Verwaltung der Ressourcen von außen und von innen sogar eine größere Rolle. Günstigen Umständen wie hohen Heimüberweisungen und guten Ernteerträgen — eher als einer angemessenen Wirtschaftspolitik — ist es zuzuschreiben, daß das Wirtschaftswachstum in der letzten Dekade eine Zuwachsrate von 6% aufweisen konnte. Der unter Zia verabschiedete Sechste Fünf-jahresplan (1983— 1988) setzte eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von 5 % zum Ziel. Wenn das Bevölkerungswachstum während der ganzen Laufzeit des Plans bei 14, 5 % liegen würde, ergäbe sich ein Pro-Kopf-Einkommen von 460 US-Dollar, was Pakistan in die Kategorie der Länder mit mittlerem Einkommen einreihen würde 6). Das sind jedoch Projektionen, die auf bestimmten Annahmen und Voraussetzungen basieren, die es im Zusammenhang mit den derzeitigen Wirtschaftsproblemen im folgenden näher zu betrachten gilt. Eine zentrale politische Zielsetzung der jetzigen Regierung ist die Islamisierung der Wirtschaft. Diese Ankündigung und ihre teilweise Verwirklichung im Banksektor muß als Teil der ideologischen Kampagne zur Islamisierung aller gesellschaftlichen Bereiche gesehen werden. Die islamische Ökonomie befindet sich noch in der Phase der begrifflichen Abgrenzung, ohne Anhaltspunkte auf ihre operationelle Relevanz. Die vorliegenden Untersuchungen über die Islamisierung des Bankensystems in Pakistan deuten darauf hin, daß diese an der Funktion und Struktur des Systems nichts hat ändern können Die Grenzen der angestrebten Gewinnbeteiligung haben sich in der Praxis deutlich gezeigt. 2. Grundlegende Wirtschaftsprobleme Pakistans Ein die Geschichte Pakistans kennzeichnendes Problem ist die niedrige Rate der Inlandsersparnisse. Ende der siebziger Jahre betrug die Ersparnisrate in Pakistan nur 6 %, in Indien und China aber 20 % bzw. 30% Im Durchschnitt der Entwicklungsländer lag diese Rate dagegen bei 23 %. Selbst für die afrikanischen Länder südlich der Sahara betrug sie 8%. Für die Durchsetzung der ehrgeizigen Pläne des Sechsten Fünfjahresplans, zu dessen Laufzeit mit einer Devisenlücke von 27 Milliarden US-Dollar gerechnet wird, sind eigene Mittel dringend erforderlich. Auch bei optimistischer Betrachtung werden die erwarteten Heimüberweisungen pakistanischer Gastarbeiter zusammen mit der Entwicklungshilfe nicht mehr als 70% des gesamten Devisenbedarfs des Sechsten Fünfjahresplans dekken können, so daß die restlichen 30 % durch inländische Ersparnisse aufgebracht werden müssen
Dies würde eine Ersparnisrate von mindestens 7, 5% im privaten und öffentlichen Sektor bedeuten. Es bleibt abzuwarten, wieweit die Bemühungen um die Wiederbelebung der Kapital-und Finanzmärkte, die Dezentralisierung der Entwicklungsvorhaben und die finanzielle Eigenständigkeit der staatlichen Unternehmen die erhofften Ergebnisse bringen werden.
Trotz der niedrigen Erspamisrate erreichte dagegen die Bruttoinvestitionsrate in Pakistan ein hohes Niveau und betrug in den sechziger Jahren durchschnittlich 16% und im Jahr 1980 18%. In den sechziger Jahren wurde die Finanzlücke zwischen inländischen Ersparnissen und nationalen Investitionen zu günstigen Bedingungen durch Kapitalhilfen der Weltbank und der USA gedeckt Als sich in den siebziger Jahren das internationale Klima wandelte, finanzierte Pakistan seine Defizite durch kurzfristige Darlehen, auch wenn die Zinsen hoch waren. Damit hat sich das Land eine Schuldenlast aufgeladen, die von der Weltbank für 1985 auf 14 Milliarden US-Dollar geschätzt wird.
Die Pakistan gewährte Entwicklungshilfe veränderte sich in ihrer Zusammensetzung stark, weg von Entwicklungshilfezuschüssen hin zu Darlehen und Krediten auf kommerzieller Basis. Der Anteil der Zuschüsse verringerte sich von 77 % in den fünfziger auf 13 % in den siebziger Jahren. Wenn für die achtziger Jahre 25% angegeben werden, so ist dabei zu berücksichtigen, daß ein beträchtlicher Teil hiervon für die Flüchtlinge aus Afghanistan und nicht für die Entwicklungsanstrengungen des Landes bestimmt ist.
Da die Entwicklungshilfe in zunehmendem Maße für die Schuldentilgung aufgewandt werden muß, verringern sich die dem Land verbleibenden Mittel ständig. Daher sanken die Nettozahlungen von 56% der Bruttozahlungen im Jahre 1977/78 auf 13 % im Jahre 1983/84 und lagen 1984/85 bei 21 %. In absoluten Zahlen erhöhte sich die Entwicklungshilfe von 280 Millionen US-Dollar im Jahre 1975 auf 956 Millionen US-Dollar im Jahre 1984 und wird für 1984/85 auf über eine Milliarde US-Dollar geschätzt. Die zunehmende Last, die die Auslands-verschuldung darstellt, läßt sich aus der Tatsache ablesen, daß das Land 1980 27% seiner Exporterlöse für den Schuldendienst aufwenden mußte und dieser Anteil sich innerhalb von vier Jahren auf fast 37% im Jahre 1984 erhöhte. Gemessen am BSP erhöhte sich Pakistans Auslandsverschuldung von 30, 7 % im Jahre 1980 auf 36, 4 % im Jahre 1984. Ob man die Verschuldungsrate nun am BSP oder die Schuldendienstrate an den Exporterlösen mißt, das Ausmaß der Abhängigkeit von außen ist besorgniserregend gestiegen. Diese hohe Auslandsverschuldung lastet nicht nur schwer auf dem Staatshaushalt, sondern weist daraufhin, daß der Handlungsspielraum des Staates immer geringer wird, die Art und Richtung des Entwicklungspfades zu bestimmen
Zu dieser Abhängigkeit trägt in nicht geringem Maße auch die Abwanderung von Arbeitskräften in den Mittleren Osten bei. 1970/71 beliefen sich die Überweisungen von pakistanischen Gastarbeitern auf 60 Millionen US-Dollar und deckten damit 18 % der negativen Handelsbilanz Pakistans. Diese Summe stieg sprunghaft auf 2, 9 Milliarden US-Dollar in den Jahren 1982/83 und deckte damit 85 % der negativen Handelsbilanz Das wachsende Importvolumen (Steigerung von 757 Millionen US-Dollar im Jahre 1970/71 auf 5, 8 Milliarden US-Dollar im Jahre 1982/83) wurde damit finanziert, ohne daß eine gründliche Umstrukturierung der Wirtschaft vorgenommen wurde. Damit verpaßte man — wie schon zur Zeit des Korea-Booms in den fünf-ziger Jahren — eine weitere Gelegenheit, die Wirtschaft unter günstigen Rahmenbedingungen neu zu gestalten und das dauernde Ungleichgewicht im Außenhandel zu beseitigen. Angesichts der verstärkten Abhängigkeit von außen stellen sich drängende Fragen nach den Zukunftsaussichten für die Wirtschaft des Landes, die stärker als in den letzten Jahrzehnten von den Entwicklungen in den Industriestaaten und im Nahen Osten beeinflußt werden.
Trotz kontinuierlicher Fortschritte im industriellen Sektor ist die Industrieproduktion überwiegend für den Binnenmarkt bestimmt. Sie ist weder binnen-orientiert im Sinne von „Self-Reliance" noch bewegt sie sich in die Richtung internationaler Wettbewerbsfähigkeit. Angesichts der Rezession in den Industrieländern und der für die Entwicklungsländer immer ungünstiger werdenden internationalen Lage muß Pakistan sich entscheiden, ob es sich die zunehmende Abhängigkeit vom Weltmarkt leisten kann oder aber eine binnenorientierte Entwicklungsstrategie im Sinne von Self-Reliance befolgen will. Dabei bezieht sich die Frage struktureller Reformen nicht nur auf eine Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens auf Makroebene, sondern beinhaltet — viel wichtiger — eine gerechte Verteilung des Volkseinkommens.
Auch im heutigen Pakistan zeigen sich tiefgreifende regionale Unterschiede, was den Anteil am BSP und die Industrieproduktion betrifft. Die Provinz Punjab erwirtschaftete Mitte der siebziger Jahre 61% des gesamten BSP, Sind 22%, Baluchistan 14, 3 %, die Nordwestgrenzprovinz aber nur 2, 7 %. Der Anteil dieser Provinzen in derselben Rangfolge am Wert der industriellen Produktion betrug 66 %, 24%, 5, 2% und 3, 4%. Ferner hatten Mitte der achtziger Jahre 95% aller industriellen Anlagen ihren Standort in den Provinzen Punjab und Sind (hier vor allem in Karatschi). Die Gefahren solcher Disparitäten in einem Land, in dem die Korruption ausufert und wirtschaftliche Macht in wenigen Händen konzentriert ist, dürfen bei der Formulierung einer nationalen Strategie keinesfalls außer acht gelassen werden.
II. Gesellschaftliche Stagnation und Krisenanfälligkeit
Abbildung 15
Tabelle 2: Länder mit niedrigem Einkommen Gesamt Afrika Asien Pakistan Länder mit mittlerem Einkommen 4, 6 4, 6 4, 6 3, 4 5, 9 6, 1 4, 1 4, 1 4, 2 6, 7 (jährlich in %) 3, 3 3, 4 3, 0 5, 7 5, 5 2, 5 2, 4 2, 7 0, 9 3, 1 1, 8 1, 7 1, 8 3, 8 3, 5 1, 7 0, 2 0, 7 2, 6 3, 1 Wachstumsraten in Pakistan im Vergleich 1950 BSP 1960-1970 1970-1980 1950-1960 1960-1970 BSP/Pro-Kopf 1970-1980 Quellen: David Morawetz. Twenty-Five Years of Economic Development: 1950 — 1975, Washington 1977; Weltbank, Weltentwicklungsberich匈ڀ>
Tabelle 2: Länder mit niedrigem Einkommen Gesamt Afrika Asien Pakistan Länder mit mittlerem Einkommen 4, 6 4, 6 4, 6 3, 4 5, 9 6, 1 4, 1 4, 1 4, 2 6, 7 (jährlich in %) 3, 3 3, 4 3, 0 5, 7 5, 5 2, 5 2, 4 2, 7 0, 9 3, 1 1, 8 1, 7 1, 8 3, 8 3, 5 1, 7 0, 2 0, 7 2, 6 3, 1 Wachstumsraten in Pakistan im Vergleich 1950 BSP 1960-1970 1970-1980 1950-1960 1960-1970 BSP/Pro-Kopf 1970-1980 Quellen: David Morawetz. Twenty-Five Years of Economic Development: 1950 — 1975, Washington 1977; Weltbank, Weltentwicklungsberich匈ڀ>
1. Bildungswesen Die Daten über das Bildungswesen (vgl. Tabelle 4) zeigen, daß Pakistan in diesem Bereich sowohl absolut als auch im Vergleich zu anderen Ländern sogar hinter den. Ländern mit niedrigem Einkommen zurückliegt. Während die Alphabetisierungsrate unter Erwachsenen 1983 24 % betrug, lagen die Vergleichszahlen für Länder mit niedrigem Einkommen bei 40 % und für die Entwicklungsländer mit mittlerem Einkommen sogar bei 65%. In Indien belief sie sich auf 85 %. Gemessen an seiner Wirtschaftsentwicklung sollte diese Rate für Paki-B stan weitaus höher sein. Bei den Frauen ergibt sich mit einer Alphabetisierungsrate von 16% im Jahre 1983 ein noch schlechteres Bild, wenn man wiederum die Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen (35% bzw. 50%) zum Vergleich heranzieht. Mit seinem niedrigen Entwicklungsstand im Bildungsbereich ist Pakistan eher mit dem Mittleren Osten als mit Südasien vergleichbar und beweist damit die Vernachlässigung eines strategischen Sektors bei seinen Entwicklungsbemühungen. In dieser Hinsicht bietet Pakistan ein krasses Beispiel für die in vielen Entwicklungsländern übliche Bevorzugung der Städte durch die Entwicklungsstrategien So wurde in Pakistan die Landwirtschaft und der ländliche Sektor bei der Bereitstellung von Bildungseinrichtungen in den ersten zweieinhalb Dekaden vollständig vernachlässigt. Begünstigt wurde dies auch dadurch, daß von der Nachfrageseite keine Impulse vorhanden waren. Es gab weder Innovationen in der Landwirtschaft noch eine Anhebung des zu vermarktenden Überschusses noch eine Kommerzialisierung. Die ländliche Bevölkerung sah für ihre Kinder keine besseren ökonomischen Chancen, wenn diese eine Ausbildung besaßen. Wenngleich von 1950 bis 1970 fünf Millionen Menschen in Pakistan aus den ländlichen Gebieten in die Städte abwanderten, erforderten die Arbeitsmöglichkeiten dort — zumeist als Bau-oder Industriearbeiter — keine besondere Ausbildung. Die Dynamik der ländlich-städtischen Migration ließ keine Nachfrage nach Ausbildung in ländlichen Gebieten entstehen. Zusätzlich zu den marktabhängigen wirtschaftlichen Aspekten kamen in bezug auf die weibliche Bevölkerung die sozialen und kulturellen Zwänge mit ihrer Voreingenommenheit gegen weibliche Bildung zum Tragen. Trotz eines veränderten sozialen und ökonomischen Klimas blieb der Fünfte Fünfjahresplan in diesem Bereich weit hinter seiner Zielsetzung zurück
In einer sich entwickelnden Gesellschaft darf die Verantwortung für das Bildungswesen nicht den Kräften des Marktes oder bestehenden sozialen und kulturellen Zwängen überlassen werden. Der Regierung fällt unter diesen Umständen eine entscheidende Rolle zu, selbst wenn direktes Eingreifen die einzige Möglichkeit darstellt. Im indischen Punjab zum Beispiel hatte die Entscheidung zur Kommerzialisierung der Landwirtschaft hohe staatliche Investitionen für die Gründung neuer Markt-flecken, für vom Dorf zur Stadt führende Straßen, für die Umorientierung des Eisenbahnverkehrs, für die Elektrifizierung der Dörfer und für die Agrarforschung zur Folge. Daraus ergaben sich strukturelle Veränderungen im Agrarsektor, verbunden mit der Notwendigkeit der Ausbildung der Bauern und ihrer Familien. Die höhere Alphabetisierungsrate im indischen Punjab geht daher voll auf das Konto der Regierungspolitik. Die pakistanische Regierung unternahm von 1947 bis 1967 hingegen nur wenig, um das wirtschaftliche Umfeld in den Dörfern zu verbessern, und nichts im Hinblick auf eine Anhebung der Alphabetisierungsrate. Der Großteil der staatlichen Aufwendungen für das Bildungswesen kam der höheren und universitären Ausbildung zugute, von der nur ein geringer Teil der städtischen Bevölkerung profitierte
Die herrschenden Eliten schickten ihre Kinder in die vorzüglichen, von ausländischen Missionaren geführten Bildungsinstitute in den großen Städten, wodurch eine neue soziale Gruppe entstand. Das Militär wiederum unterhielt immer mehr seine eigenen Bildungseinrichtungen, während die Masse des Volkes von den Fortschritten im Bildungswesen praktisch ausgeschlossen blieb. Nach Beendigung ihres Studiums gingen die Kinder der herrschenden Eliten gewöhnlich ins Ausland, um sich dort weiter zu spezialisieren. Die Regierung sah der Verschwendung der hart verdienten Devisen durch diese neue Elite zu. Auch die von Bhutto vorgenommene Verstaatlichung der privaten Colleges bewirkte keine grundlegende Änderung, sondern hatte allenfalls zur Folge, daß ein Exodus von Studenten aus wohlhabendem Hause ins Ausland einsetzte. Schätzungsweise 8 000 Studenten aus Pakistan studierten in den siebziger Jahren im Ausland und verbrauchten jährlich 90 Millionen US-Dollar von den Devisenerträgen des Landes In ihren Verlautbarungen zeigt die jetzige Regierung größeres Interesse an der Entwicklung des Bildungswesens. Dieses Interesse kam auch in den ehrgeizigen Zielsetzungen des Sechsten Fünfjahresplans zum Ausdruck. Berücksichtigt man jedoch, daß nur 55% der im Fünften Fünfjahresplan zugeteilten Mittel tatsächlich ausgegeben wurden, wird deutlich, welchen langen Weg Pakistan noch zu gehen hat, um ein angemessenes Bildungsniveau zu erreichen. 2. Gesundheitswesen Tabelle 4 zeigt unter anderem, daß auch die medizinische Versorgung in Pakistan hinter anderen Ländern mit niedrigem Einkommen zurückbleibt. Die Ursachen hierfür sind mit denen im Bildungsbereich vergleichbar. Die Bevorzugung der städtischen Zentren spiegelt sich in der Tatsache, daß sich 95% der Tuberkuloseheilstätten ebenso wie 82 % der Krankenhausbetten in den Städten befinden. Dort leben jedoch nur 24 % der Bevölkerung. Daß das Gesundheitswesen in Pakistan nicht in erster Linie an wenig Mitteln, sondern eher an deren Verteilung krankt, ist daran ablesbar, daß für die medizinische Versorgung in den Städten sechs-mal mehr pro Person aufgewandt wurde als in ländlichen Gebieten. Man schätzt, daß die Aufwendungen für acht medizinische Colleges, die seit 1972 in den Städten errichtet wurden, ausgereicht hätten, um die gesamte Bevölkerung Pakistans hinreichend medizinisch zu versorgen Im Bewußtsein, daß der Fünfte Fünfjahresplan sein Ziel eines ausgeglichenen städtisch-ländlichen Gesundheitswesens nicht realisieren konnte, wurde im Sechsten Fünfjahresplan festgeschrieben, daß 43% der Gesamt-ausgaben im medizinischen Bereich ländlichen Gebieten zugute kommen sollten
Auch bei einer Umverteilung der Mittel bleibt das grundsätzliche Problem bestehen, daß sich das nach westlichem Vorbild aufgebaute Gesundheitswesen für Entwicklungsländer kaum eignet. Für die Gesundheit der Bevölkerung in ländlich strukturierten Gesellschaften wie Pakistan sind nicht die Zahl der Ärzte, Krankenschwestern und Krankenhausbetten oder ausreichende Arzneimittel ausschlaggebend, sondern die Versorgung mit sauberem Trinkwasser und sanitären Einrichtungen. In Pakistan haben nur 32 % der ländlichen Bevölkerung Zugang zu sauberem Trinkwasser. Eine wirksame Reform müßte daher das Schwergewicht von der kurativen auf die präventive Medizin verlagern.
Obwohl die staatlichen Planungsunterlagen zumindest die Notwendigkeit einer Strukturänderung im Gesundheitswesen zugunsten der ländlichen Gebiete erkennen lassen, geht die Praxis weiter dahin, hochmoderne Krankenhäuser nur in den großen Städten wie Lahore und Karatschi zu errichten Für die Ärzte wird dadurch die Niederlassung auf dem Lande noch unattraktiver. Die Unattraktivität der ländlichen Gebiete und die Überbesetzung der Städte mit Ärzten zeigt inzwischen groteske Folgen. 1982 waren von 30 000 zugelassenen Ärzten in Pakistan 15 000 entweder ausgewandert oder arbeiteten in nichtmedizinischen Bereichen 3. Bevölkerungsentwicklung Die oben erwähnten Faktoren haben in Pakistan eine hohe Wachstumsrate der Bevölkerung (um 3 % pro Jahr) zur Folge gehabt. Die Fruchtbarkeitsrate, d. h. die Zahl der geborenen Kinder pro Frau liegt in Pakistan mit 5, 8 weitaus höher als in Indien (4, 8), Sri Lanka (3, 4) und China (2— 3). Die Bevölkerung insgesamt ist von 32 Millionen 1947 auf 95 Millionen 1985 angewachsen und wird zum Ende des Jahrhunderts 133 Millionen betragen. Die ökonomischen, sozialen und politischen Implikationen einer solchen demographischen Entwicklung sind absehbar. Verschiedene Familienplanungsprogramme wurden während der Fünfjahrespläne — mit geringem Erfolg — eingeleitet, ohne daß die Regierung ihre Bemühungen auf eine bestimmte Methode konzentriert hätte. Das Ziel, die Geburtenrate von 50 auf 25 pro 1 000 zu senken, ist unter den gegenwärtigen Bedingungen wohl unerreichbar Die derzeitige Rate von 42 pro 1 000 wird sich wahrscheinlich bis zum Jahr 2000 kaum reduzieren.
Tabelle 5 vermittelt ein Bild der gegenwärtigen Situation und des zukünftigen Trends. Derzeit liegt Pakistan, was die Bevölkerungszahl anbelangt, weltweit an neunter Stelle. Im Jahr 2150 wird es mit einer Bevölkerung von 330 Millionen Menschen an sechster Stelle liegen, konstantes Bevölkerungswachstum vorausgesetzt. Pakistan wird dann das 3, 5fache seiner jetzigen Bevölkerung haben und im Vergleich zu Indien mit einer Zunahme der Bevölkerung um das 1, 6fache wesentlich schlechter dastehen.
Das Wachstum der Städte mit einer Einwohnerzahl über 10 Millionen verdeutlicht die demographische Tendenz. Im Jahr 2000 werden Karatschi und der Großraum Lahore wahrscheinlich mehr als 15 Millionen bzw. 12 Millionen Einwohner haben. Die Versorgung dieser Riesenstädte angesichts der knappen Mittel ist ein zu ernstes wirtschaftliches Problem, um es unberechenbaren Faktoren wie der Entwicklungshilfe oder Überweisungen von Gastarbeitern zu überlassen. In sozialer und politischer Hinsicht wird der Ruf der Städte nach einem höheren Anteil der nationalen Ressourcen stärker werden. Andererseits aber ist es, wie bereits dargestellt, notwendig, die Landwirtschaft und den ländlichen Sektor mit verstärkten Mitteln zu fördern, um Gleichgewicht und Stabilität in der Wirtschaftsstruktur des Landes herzustellen. Diese einander widersprechenden Erfordernisse angesichts der schmalen ökonomischen Basis Pakistans miteinander in Einklang zu bringen, wird die zentrale Frage sein, der sich die Regierung stellen muß. Ihre Lösung wird daher die zukünftige Entwicklung des Landes stark prägen. Wenn man bedenkt, daß es an geeigneten politischen Institutionen fehlt, die eine Vermittlerrolle zwischen den städtischen und ländlichen Interessen übernehmen könnten, erscheinen die Aussichten für akzeptable Lösungen sehr düster.
III. Politische Determinanten des unausgeglichenen Entwicklungswegs
US-Dollar) Verschuldung in % des BSP Schulden-dienst
in % der Exporte Quelle: Weltbank, Weltentwicklungsberichte, verseh. Jahrgänge, und OECD, Financing and External Debt of Developing Countries, 1985 Survey, Paris.
US-Dollar) Verschuldung in % des BSP Schulden-dienst
in % der Exporte Quelle: Weltbank, Weltentwicklungsberichte, verseh. Jahrgänge, und OECD, Financing and External Debt of Developing Countries, 1985 Survey, Paris.
Die gesellschaftliche Rückständigkeit Pakistans trotz wirtschaftlicher Erfolge ist dadurch zu erklären, daß die innenpolitische Entwicklung die Bildung solcher Institutionen nicht zugelassen hat, die die Interessen der diversen ethnischen, kulturellen und regionalen Gruppierungen hätten artikulieren und wahrnehmen können. Die Frage nach einer geeigneten Verfassung, die den Besonderheiten des Landes Rechnung tragen kann, ist heute nach wie vor unbeantwortet
General Ayub Khan (1958— 1969), General Jahya Khan (1969— 1971) und General Zia-ul-Haq (1977—) haben jeder auf seine Weise versucht, die politischen Probleme Pakistans zu lösen. Ayub Khan entwickelte aus der Überzeugung heraus, daß die westlichen politischen Ideen die Probleme des Landes nicht würden lösen können, ein eigenes Konzept eines alternativen politischen Systems für Pakistan, das System der „Basic Democracies“. Es erlaubte dem Volk eine eingeschränkte Partizipation, war stark zentralistisch, mit indirekter Präsidentenwahl, und die Exekutive unterstand der direkten Kontrolle des Präsidenten. Die Parlamente der Landesregierungen und der Provinzregierungen hatten geringe Machtbefugnisse, da der Präsident jede Gesetzesvorlage mit seinem Veto blockieren konnte. Trotz seiner Bemühungen gegen Ende seiner Amtszeit, die politische Partizipation der Bevölkerung zu erweitern, scheiterte sein Experiment, weil die sich stärker artikulierende Opposition die Wiederherstellung der parlamentarischen Demokratie, die Ayub Khan 1958 abgeschafft hatte, forderte. 1. Die politische Entwicklung unter Ayub Khan, Jahya Khan und Zulfikar Ali Bhutto Vor Inkrafttreten der Verfassung 1956 hatte es viele Diskussionen über grundlegende politische Fragen gegeben. Daß dennoch wichtige politische Probleme unbeantwortet blieben, deutet auf den fehlenden Konsens zwischen den politischen Parteien und ihre Unfähigkeit hin, dem Land eine geeignete Verfassung zu geben Eine Grundfrage betraf die Rolle der Religion im Staat, da die Gründung Pakistans auf der Basis der Religion erfolgt war. Eine weitere Frage bezog sich auf die Festlegung der Kompetenzen der Zentralregierung und der Provinzregierungen. Die kleineren Provinzen fürchteten die Dominanz, die die große Provinz Punjab im politischen Entscheidungsprozeß erlangen könnte. Einen aktuellen Anlaß für diese Befürchtungen lieferte die einseitige Entscheidung der Zentralregierung nach der Unabhängigkeit, ohne Berücksichtigung zum Beispiel des bevölkerungsstärkeren Ostpakistan (mit der Sprache Bengali) Urdu zur nationalen Sprache zu erklären. Schließlich war es in Anbetracht der vorliegenden negativen Erfahrungen von immenser politischer Tragweite, die Kompetenzen des Staatsoberhaupts und des Regierungschefs festzuschreiben.
Ihre Ursache hatten die anstehenden Fragen in einer Polarisierung der politischen Gruppen. Die 14 Millionen Flüchtlinge aus Indien waren demokratisch orientiert und neigten in einer liberalen Interpretation des Islam zu einer Trennung von Staat und Religion. Dagegen waren die Punjabis und Sindis infolge regionalspezifischer sozio-ökonomischer und politischer Strukturen der Vergangenheit konservativ. Während die Indien-Flüchtlinge das freie Unternehmertum unterstützten, wollten die Punjabis und Sindis die Beibehaltung des Status quo und den Schutz der Landwirtschaft. Damit war die politische Auseinandersetzung zwischen den rivalisierenden Gruppen der Großgrundbesitzer und religiösen Führer auf der einen Seite und den Indien-Flüchtlingen (zumeist Kaufleute und Fachkräfte) auf der anderen inhaltlich in dem Gegensatz zwischen Säkularismus, liberaler Politik und Laissez faire einerseits und der Forderung nach einem islamischen Staat und gelenkter Wirtschaft andererseits vorprogrammiert.
Der Nachfolger Ayub Khans, Jahya Khan, hatte weder konkrete politische Vorstellungen noch ein Programm. Die wichtigsten Positionen besetzte er mit Militärs, die er mit mehr Kompetenzen als je ausstattete, und errichtete damit einen semi-militärischen Staat. Der politischen Gleichstellung von Ost-und Westpakistan, niedergelegt in den Verfassungen von 1956 und 1962, wurde entsprochen, indem der Ostteil nun auf der Grundlage seines Bevölkerungsanteils, der Mehrheit, in der Nationalversammlung repräsentiert war. Gleichzeitig wurde Westpakistan wieder in die ursprünglich vier Provinzen untergliedert. Der überwältigende Sieg der von Mujib-ur-Rehman geführten ostpakistanischen Awami League (168 von 300 Sitzen) im Jahre 1970 leitete dann eine Entwicklung ein, die über die Autonomieforderungen hinausgehend zur Gründung eines unabhängigen Staates Bangladesch führte.
Der dritte Anlauf zur Ausarbeitung einer für die unterschiedlichen Parteien und Interessengruppen akzeptablen Verfassung wurde 1973 von Bhutto unternommen. Das Prinzip der Gleichberechtigung zwischen Ost-und Westpakistan hatte die Grundlage für die Verfassungen von 1956 und 1962 gebildet. Doch auch unter Bhutto war das Problem des Machtausgleichs zwischen der Zentralregierung und den Provinzen erneut akut. Die 1973 nach Jahren politischer Verhandlungen verabschiedete Verfassung hatte drei Grundzüge. Erstens wurde der Islam zur Staatsreligion erklärt, was weitreichende Auswirkungen auf die zukünftige Gestaltung des politischen Lebens haben sollte. Zweitens wurden die Beziehungen zwischen dem Zentrum und den Provinzen durch die Einführung der Zweikammer-Legislative gelöst, wobei jede der vier Provinzen in der einen Kammer gleichgewichtig und in der Nationalversammlung entsprechend dem jeweiligen Bevölkerungsanteil repräsentiert war.
Bhutto hielt sich jedoch nicht an die Verfassung und setzte im Februar 1974 die gewählte Provinzregierung von Baluchistan ab. Ein Zusatz zur Verfassung erlaubte der Exekutive zudem, politische Parteien als illegal zu erklären. Angetreten mit breiter Unterstützung des Volkes verspielte Bhutto seine Legitimation durch seinen diktatorischen Regierungsstil. Heftige Demonstrationen gegen sein Regime verschafften dem Militär erneut die Gelegenheit, die Macht zu übernehmen. 2. Die politische Entwicklung unter Zia-ul-Haq In der militärischen Tradition Ayub und Jahya Khans stehend, mißtraut auch Zia-ul-Haq den politischen Parteien und erklärte sogar, daß diese im Islam keinen Platz hätten Politische Aktivitäten wurden dann auch nach Einführung des Kriegs-rechts 1977 stark eingeschränkt und seit 1979 ver-boten. Wenngleich Zia die Verfassung von 1973 nicht außer Kraft setzte, änderte er sie immer wieder, wenn dies zur Stärkung der Militärherrschaft erforderlich schien Die wohl schwerwiegendste Änderung vom März 1981 beinhaltete die völlige Unterordnung der Justiz unter die Exekutive. Dutzende von Richtern, einschließlich des Obersten Richters des Landes, verweigerten unter diesen Bedingungen die Vereidigung und wurden entlassen. Mit Inkrafttreten der „Revival of tue Constitutional Order“ im März 1985 wurden 67 der 280 Artikel mit Zusätzen versehen, so daß alle demokratischen Elemente eliminiert waren. Tendenziell bedeutete dies eine Stärkung der Exekutive, eine Schwächung der Legislative und die Unterordnung der Justiz.
Als Präsident genießt Zia unumschränkte Vollmachten. Er allein ernennt den Premierminister, die Provinzgouverneure, die Richter der Obersten Gerichte und des Obersten Bundesgerichts und die Spitzenbeamten der Verwaltung. Er kann den Premierminister entlassen und das Parlament auflösen, den Notstand ausrufen und dadurch noch weitere Vollmachten erhalten. Mit der achten Ergänzung zur Verfassung von 1985 sind alle Kriegsrechtsbestimmungen und Erlasse der Jahre 1977— 1985 als verfassungsmäßig erklärt und damit zum Teil des Rechtssystems gemacht worden. Um seine Macht zu festigen und Zeit für die Durchführung seines wirtschaftlichen und politischen Programms zu gewinnen, begann Zia mit der umstrittenen Islamisierung Als sich wenig Veränderung im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereich einstellte und die politische Opposition sich wieder zu melden begann, schien es an der Zeit, seiner Militärherrschaft einen zivilen Anstrich zu verleihen. Als erstes wurde die Bevölkerung im Dezember 1984 gefragt, ob sie die von Zia angestrebte islamische Gesellschaft wolle. Obwohl die Höhe der Beteiligung am Referendum umstritten ist, leitete General Zia aus der Zustimmung zur Islamisierung der Gesellschaft den Anspruch ab, für weitere fünf Jahre im Amt zu bleiben Im Ausland wurde diese politische Bewegung trotz ihres dubiosen Charakters allgemein als erster Schritt zu einer Zivilregierung gewertet. Als nächstes wurden im Februar 1985 Wahlen auf nationaler und Provinzebene abgehalten. Politischen Parteien war die Teilnahme allerdings verwehrt, die meisten Oppositionsführer waren inhaftiert. Wie erwartet, fiel die Mehrheit der Parlamentssitze an Mitglieder der feudalen Familien in den ländlichen Gebieten und einflußreiche Personen und Familien in den Städten Der nächste Schritt, um trotz formaler Änderungen in Richtung einer Zivilregierung die Herrschaft des Militärs zu festigen, war die Durchsetzung des „Political Parties Act“ am 9. Dezember 1985. Dieses neue Gesetz schuf ein kompliziertes Verfahren der Registrierung bei der von der Regierung ernannten Wahlkommission, um aktiv und passiv an den Wahlen teilnehmen zu können. Nachdem seine eigene Macht und die des Militärs gesichert waren, endete am 30. Dezember 1985 die dritte und längste Militärherrschaft in Pakistan. Während die Militärgerichte aufgelöst, die Menschenrechte teilweise wieder in Kraft gesetzt und die Pressefreiheit weitgehend wiederhergestellt sind, ist Präsident Zia-ul-Haq gleichzeitig oberster Befehlshaber der Armee geblieben, eine Position, die die Präsidenten früherer Zivilregierungen nicht innehatten
Im gegenwärtigen konstitutionellen und politischen Rahmen Pakistans bestehen drei Hauptgruppierungen: — erstens der Präsident mit der Armee im Hintergrund, — zweitens der Premierminister Junejo mit seinem Kabinett, dem Parlament und den regierungsfreundlichen politischen Parteien, — drittens die Bewegung zur Wiederherstellung der Demokratie (MRD) — eine aus elf Parteien bestehende Oppositionsgruppe — und einige andere Parteien, die die Legitimität des derzeitigen Prozesses anzweifeln.
Das Parlament und der Premierminister befinden sich in einer schwierigen Situation. Einerseits benötigen sie die Unterstützung des Präsidenten, um der politischen Opposition standzuhalten. Andererseits erscheint Distanz zum Präsidenten opportun, um in der Öffentlichkeit das Image unabhängiger politischer Organisationen herzustellen. Die Oppositionsbewegung MRD vermochte das Volk nicht überzeugend gegen die Wahlen vom Februar 1985 zu mobilisieren und zum Boykott zu veranlassen, da die Propaganda der staatlichen Medien zu massiv war und die wichtigsten Oppositionsführer vor der Wahl inhaftiert wurden. Doch sobald die repressiven Maßnahmen nach der Wahl aufgehoben wurden, gelang es der MRD, die Massen zu mobilisieren. Die Rückkehr Benazir Bhuttos aus dem Exil brachte Millionen Menschen auf die Straße. Interne Streitigkeiten und das Fehlen eines klaren politischen Programms der MRD halfen der Regierung zwar, diese Phase der Massendemonstrationen politisch zu überleben. Sie sieht sich trotzdem vor entscheidende Probleme gestellt. Bei fortgesetzter Unterdrückung der MRD und der Interessen der kleineren Provinzen wird sich nämlich die Fassade einer Zivilregierung nicht weiter aufrechterhalten lassen. Darüber hinaus genießt Bhuttos Pakistan People’s Party (PPP) nach wie vor die größte Unterstützung im Volk. Trotz organisatorischer Probleme innerhalb der PPP — die beherrschende Partei der MRD — ist der Bhuttoismus in Form eines . sozio-ökonomischen und politischen Programms für Pakistan immer noch Realität. Es wäre daher zu erwarten gewesen, daß die meisten 1985 gewählten Parlamentarier ihre Sitze verloren hätten, wenn Zia Wahlen vor Beendigung der Legislaturperiode nicht abgelehnt hätte. Im allgemeinen leidet die politische Opposition jedoch unter ideologischer Uneinigkeit, organisatorischen Problemen und gegenseitigem Mißtrauen. Differenzen bestehen im Hinblick auf die Wiedereinsetzung der Verfassung von 1973, die Wahrnehmung der Interessen der kleinen Provinzen und in bezug auf ein gemeinsames sozio-ökonomisches Programm.
Eines der wichtigsten Folgeprobleme des inzwischen aufgehobenen Kriegsrechts beruht darauf, daß der Dialog zwischen den Vertretern der regionalen Interessen auf nationaler Ebene verhindert worden ist. Die Führer der Provinzen Sind, Baluchistan und Nordwestgrenzprovinz neigen immer mehr zu der Überzeugung, daß sie im Rahmen der Herrschaft des Militärs und der Bürokratie aus dem Punjab nichts zu erwarten haben. Die Provinz Sind kann als Beispiel dafür gelten, daß die politischen Prozesse des Landes an großen Minderheiten vorbeigingen. Die soziale und ökonomische Unzufriedenheit in Sind beruht auf der wachsenden Arbeitslosigkeit unter den Fachkräften, der Landzuteilung an Bewohner anderer Provinzen, insbesondere Militärs, der Errichtung neuer militärischer Standorte und vor allem der Benachteiligung und der ungenügenden Vertretung der Provinz im politischen Entscheidungsprozeß. Aus dieser Unzufriedenheit heraus bildete sich 1985 eine Sind-Baluchistan-Paschtunen-Front (SBPF), die drei Minderheitenprovinzen repräsentiert, um für eine Umgestaltung Pakistans auf konförderativer Grundlage zu arbeiten. Die SBPF stellt sich diese Provinzen als weitgehend selbständige Staaten vor, mit vertraglicher Einbindung in die Republik Pakistan, der nur die Zuständigkeit für Verteidigung, Außenpolitik, zwischenstaatlichen Verkehr, Währung und Kommunikation bliebe Sogar paramilitärische Organisationen sollte jeder föderative Staat besitzen. Verschiedene politische Parteien fordern zudem eine Neufestlegung der Grenzen zwischen den Provinzen unter Berücksichtigung ethnisch-linguistischer Gegebenheiten.
Das seit der Gründung Pakistans bestehende Problem der fehlenden Partizipation verschiedener Minoritäten und regionaler Interessen an den politischen Entscheidungen ist auch ein Kennzeichen der derzeitigen Machtstrukturen. Hinzukommende ökonomische Faktoren — nationale sowie internationale — könnten die Unruhe verstärken und eine ernstzunehmende Massenbewegung gegen die Regierung entstehen lassen. Eine mögliche Reaktion wäre dann die Wiedereinsetzung des Kriegs-rechts. Eine andere Möglichkeit läge darin, daß die MRD genügend Unterstützung im Punjab finden würde, so daß — da die meisten militärischen Befehlshaber aus dem Punjab kommen — eine militärische Zerschlagung dieser Opposition dadurch erschwert würde.
So sind die politischen Fragen nach wie vor offen. Nicht nur die innenpolitische Konstellation, sondern auch externe Entwicklungen wie die Afghanistan-Frage, die hier nicht behandelt werden können, werden die politische Zukunft Pakistans bestimmen
IV. Zusammenfassung und Ausblick
Abbildung 17
Tabelle 4: Säuglingssterblichkeit (je Tsd.) Kindersterblichkeit (je Tsd.) Lebenserwartung bei der Geburt Einwohner je Arzt Grundschüler in % ihrer Altersgruppe Gesamt '
Tabelle 4: Säuglingssterblichkeit (je Tsd.) Kindersterblichkeit (je Tsd.) Lebenserwartung bei der Geburt Einwohner je Arzt Grundschüler in % ihrer Altersgruppe Gesamt '
Statistisch gesehen zeitigte die wirtschaftliche Entwicklung Pakistans im Vergleich zu seinen süd-asiatischen Nachbarn und anderen Entwicklungsländern ein eindrucksvolles Ergebnis. Die Wachstumsimpulse, die diese Entwicklung förderten, kamen jedoch vor allem von außen, wie zum Beispiel der Korea-Boom der fünfziger Jahre, die politisch motivierte Entwicklungshilfe der sechziger und achtziger Jahre, Heimüberweisungen pakistanischer Gastarbeiter in den siebziger Jahren, starke finanzielle Unterstützung durch die islamischen Staaten infolge des sowjetischen Einmarschs in Afghanistan im Jahre 1979 und Wirtschafts-und Militärhilfe der USA in Milliardenhöhe aus demselben Grund.
Eine qualitative Analyse der wirtschaftlichen Entwicklung führt zu dem Ergebnis, daß die verfolgten Entwicklungsstrategien nur einer Minderheit der Bevölkerung zugute kamen. In Anbetracht der sozialen Indikatoren, die die tatsächliche Lage der Bevölkerung widerspiegeln, gehört Pakistan zu den Ländern, die den geringsten Teil ihres BSP für Bildung, Gesundheit und andere Dienstleistungen im sozialen Bereich ausgeben. Abgesehen von den sozialen und politischen Folgen eines solchen zu Lasten der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung gehenden Weges beinhaltet das , Modell Pakistan'interne und externe Widersprüche, die seine Fortführung in Frage stellen. Das größte wirtschaftliche Problem waren und sind die internen Ersparnisse. Die Unternehmen haben es nicht für nötig gehalten, einen angemessenen Teil ihrer hohen Monopolprofite für Erweiterungen bzw. Neuinvestitionen einzusparen. Es stellt sich die Frage, ob private Unternehmer in Entwicklungsländern die führende Rolle spielen können, die ihnen von den Regierungen und internationalen Institutionen zugedacht wird.
Der Zufluß externer Ressourcen, der Entwicklungsengpässe überwinden helfen sollte, ist selbst zu einem schwerwiegenden Problem geworden. Mit einer Verschuldung von 14 Milliarden US-Dollar und angesichts der engen Einbindung in die Weltwirtschaft ist es kaum vorstellbar, daß Pakistan in den achtziger Jahren seine entwicklungspolitischen Entscheidungsspielräume zurückgewinnen kann.
Die Notwendigkeit einer wirtschaftlichen Umkehr ergibt sich auch aus den sich abzeichnenden externen Veränderungen. Die Wachstumskrise der Industriestaaten läßt hohe Erwartungen an die ausländischen Finanzmittel unrealistisch erscheinen, wie der Weltbankbericht von 1985 mit Nachdruck betont. Der Rückgang der Heimüberweisungen in den letzten Jahren wird sich wahrscheinlich infolge der düsteren Entwicklungsperspektiven der Ölstaaten im Nahen Osten fortsetzen. Während die pakistanische Planungskommission die Erhöhung der Überweisungen (1983— 1988) auf 10% einschätzt, weisen die Berechnungen der Weltbank eine reale Abnahme um 3 % nach. Um aus diesem Dilemma herauszukommen, bedarf es zunächst bestimmter interner politischer Voraussetzungen.
In den 40 Jahren nach seiner Gründung ist es Pakistan bisher nicht gelungen, eine Verfassung zu erarbeiten, auf die sich alle Parteien bzw. Interessengruppen verständigen könnten. Die derzeit gültige ergänzte Verfassung von 1973 wird von keiner der großen Parteien akzeptiert. Die das Land seit der Unabhängigkeit fast ununterbrochen beherrschende Interessenkoalition aus Militär, Bürokratie, Industrie und Großgrundbesitz ist verständlicherweise nicht bereit, breite Schichten der Bevölkerung in die politischen Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Neuerdings wird sogar die Religion hierfür als Argumentationshilfe herangezogen, wenn behauptet wird, daß der Islam jede Form der Demokratie verbiete.
Als ein Land, dessen Provinzen durch unterschiedliche historische, linguistische und ethnische Gegebenheiten gekennzeichnet sind, benötigt Pakistan eine Verfassung, die den regionalspezifischen Besonderheiten in vernünftiger Weise Rechnung trägt. Nichts illustriert dies besser als die Gründung Bangladeschs. Geschichtlich betrachtet, befindet sich Pakistan in der gleichen Situation wie 1968, indem eine einzige Provinz — Punjab — mit einer Beteiligung von 85 % an den Führungspositionen in Militär und Verwaltung die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Interessen der kleinen Provinzen vollkommen ignoriert. Es ist zu befürchten, daß bei Ausbleiben der notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen die Gewalt als Mittel der Politik von jenen übernommen wird, die ihre Ziele heute noch auf demokratischem Wege zu erreichen versuchen.
Khushi M. Khan, Dr. rer. pol., geb. 1930; Studium der Wirtschaftswissenschaften, Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Lahore, Pakistan; Dozent an der Universität Lahore (1956— 1963); Promotion in Hamburg 1970; seit 1972 wissenschaftlicher Referent am Deutschen Übersee-Institut in Hamburg. Veröffentlichungen u. a.: Regionale Wirtschaftsentwicklung in Pakistan, Stuttgart 1971; (Hrsg. zus. mit V. Matthies) Hilfswissenschaft für die Dritte Welt oder „Wissenschaftsimperialismus“?, München 1976; „Pakistan“, in: D. Nohlen/F. Nuscheler (Hrsg.), Handbuch der Dritten Welt, Hamburg 1978; (Hrsg.) Self-Reliance als nationale und kollektive Entwicklungsstrategie, München 1980; (Hrsg. zus. mit V. Matthies) Regionalkonflikte in der Dritten Welt, München 1981; (Hrsg.) Multinationals of the South: New Actors in the International Economy, London 1986; sowie zahlreiche Beiträge zur Nord-Süd-Problematik.
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