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Überlegungen zur Zukunft der Arbeit | APuZ 3/1990 | bpb.de

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APuZ 3/1990 Überlegungen zur Zukunft der Arbeit Zukunftsfelder der Arbeit Längerfristige Arbeitsmarktperspektiven Beschäftigungspotentiale der Arbeitszeitpolitik Zur wirtschaftlichen Eingliederung der Aussiedler

Überlegungen zur Zukunft der Arbeit

Herbert Ehrenberg

/ 26 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Trotz der gegenwärtig so guten Konjunktur verharrt das Arbeitslosenniveau bei zwei Millionen. Die anhaltende Massenarbeitslosigkeit und die deutlichen Zeichen neuer Armut sind aber nicht als Schicksal über die bundesdeutsche Volkswirtschaft verhängt worden, sondern das Ergebnis politischer Entscheidungen zu einer neuen, aus Angebotstheorie und Sozialstaatskritik kombinierten Linie der Politik. Betrachtungen über die „Zukunft der Arbeit“ mit der These, daß der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgehe. lenken von der beschäftigungspolitischen Aufgabe ebenso ab wie „Opfertheorien“ zu Lasten der Arbeitnehmer. Weder mit Lohnverzicht bei Arbeitszeitverkürzungen noch mit Ausdehnung der Maschinenlaufzeiten auf das Wochenende sind Beschäftigungserfolge zu erreichen; die politische Aufgabenstellung aufgrund des Sozialstaatsauftrags unserer Verfassung verpflichtet die Politik darauf, die organisatorischen und finanziellen Bedingungen des Wirtschaftens so zu gestalten, daß jene vielen aufgeschobenen Projekte zur Verbesserung der Umwelt und der Infrastruktur erfüllt werden und alle Menschen Arbeit finden. Österreich und Schweden haben im Anschluß an die beiden Ölschocks bewiesen, daß mit breitangelegter Arbeitsmarktpolitik und expansiver Wirtschaftspolitik Beschäftigungseinbrüche verhindert und ein hoher Beschäftigungsstand stabilisiert werden kann. Die Bundesrepublik braucht in den neunziger Jahren eine Konzentration der Finanz-, Wirtschafts-, Sozial-, aber auch der Technologie-und Bildungspolitik auf die Verbesserung der Beschäftigung und der Umwelt zugleich. Eine Beschleunigung des notwendigen Einbaus von Umweltschutztechnologien, zweistellige Milliardeninvestitionen jährlich in die Modernisierung der Bundesbahn und den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs sowie kräftige Aufstockung der Mittel für Städtebau und Dorfsanierung unter ausdrücklicher Einbeziehung der Sanierung alter Industriestandorte und Kanalnetze würden Beschäftigung und Umwelt zugleich verbessern. Private Investitionen brauchen eine differenzierende Besteuerung nach der Gewinnverwendung: Niedrigerer Steuersatz für jede investive Verwendung, höherer für jede nichtinvestive. Für die Finanzierung der breitangelegten Umwelt-und Beschäftigungsprogramme steht als solider Finanzsockel die mögliche Sta-bilisierung der Bundesbankgewinne auf mindestens 15 Milliarden DM durch Befreiung der Bundesbank von der Bilanzierungsvorschrift des Niederstwertprinzips zur Verfügung.

Die ökonomische und soziale Ausgangslage im Herbst 1989

Einkommen, Investitionen und Beschäftigung seit 1975

Selten hat es in der Wirtschaftsgeschichte so große Diskrepanzen zwischen öffentlichen Äußerungen über die wirtschaftliche und soziale Lage und der realen Situation von Millionen Menschen gegeben wie in den achtziger Jahren. Bundesregierung, Wirtschaftsverbände und -kommentatoren verkünden ständig, daß es den Deutschen gut und besser ginge. Für den größeren Teil der Menschen trifft dies auch zu, aber die so drastisch sich erweiternde Spanne in der Einkommensverteilung zwischen Unternehmern und Arbeitnehmern wird in der öffentlichen Diskussion ebenso ignoriert wie die seit sieben Jahren anhaltende Massenarbeitslosigkeit und die immer deutlicher sichtbar werdenden Anzeichen Neuer Armut: Die in den letzten sieben Jahren um ein volles Drittel gestiegene Zahl der Sozialhilfeempfänger ist hier ein statistisches Indiz; unterbleibende Ersatzinvestitionen bei den Kommunen, Andrang in den Verpflegungsstellen und Kleider-kammern der Wohlfahrtsverbände sowie viele Veränderungen im Stadtbild belegen dies optisch.

Die Widersprüche zwischen der ökonomischen und der sozialen Lage, zwischen öffentlichen Äußerungen und den Fakten sind mehrfach: — Die Wirtschaftslage in der Bundesrepublik zeigte sich 1989 von ihrer besten Seite, das Sozialprodukt wächst endlich in einem den siebziger Jahren vergleichbaren Ausmaß, und Bundesregierung, Unternehmerverbände sowie Wirtschaftsforschungsinstitute reden von einer Fortsetzung des Aufschwungs — aber gleichzeitig wird die Standortdiskussion unverdrossen weitergeführt, angeblich ist die Wettbewerbsfähigkeit der bundesdeutschen Wirtschaft permanent bedroht. Gleichzeitig zeigt die Kapitalbilanz der Bundesrepublik 1988 einen Kapitaltransfer von 121 Milliarden DM (1986 waren es — ohne „drohende“ Quellensteuer — 80 Mrd. DM): 121 in der Bundesrepublik erwirtschaftete Milliarden, die nicht beschäftigungssteigernd hier investiert, sondern, den hohen Zinsen folgend, in Luxemburg, Manhattan oder Tokio (oft am Fiskus vorbei) angelegt wurden. — Der Anteil der Arbeitnehmer an der Verteilung des Volkseinkommens schrumpft seit 1981 Jahr für Jahr; das Nettoreallohnniveau hat 1988 endlich das Niveau von 1979 überschritten — zwischen 1981 und 1987 lag es darunter. Die Zahl der Sozialhilfeempfänger ist von 2, 1 Millionen im Jahre 1981 auf 3, 3 Millionen 1988 gestiegen, obwohl die Bevölkerungszahl in diesem Zeitraum um rund eine viertel Million zurückgegangen ist. — Auch der Aufschwung mit Wachstumsraten zwischen drei und vier Prozent senkte das Arbeitslosenniveau nur wenig. Die saisonbereinigten Arbeitslosenzahlen lagen im Oktober 1989 zum ersten Mal (um 3 000) unter zwei Millionen; ohne die statistischen Manipulationen der letzten Jahre wären sie weiterhin oberhalb der Zwei-MillionenGrenze.

Auch die gängige These vom zunehmenden Fachkräftemangel widerlegt diese Analyse nicht. Das ständig wiederholte Argument, daß von den zwei Millionen Arbeitslosen die Hälfte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne berufliche Ausbildung seien, heißt im Umkehrschluß, daß rund eine Million trotz qualifizierter Ausbildung seit Jahren keinen Arbeitsplatz finden. Natürlich entspricht nicht in jedem Einzelfall die Ausbildung eines Arbeitsuchenden exakt den Anforderungen des Arbeitskräfte suchenden Einzelbetriebs. Dies ist aber keine neue Erfahrung — doch in Zeiten der Vollbeschäftigung waren die Unternehmen bereit, eigene Anstrengungen zur Anpassung der Qualifizierung an die betrieblichen Anforderungen zu unternehmen, was sie in den achtziger Jahren mit der industriellen Reservearmee von mehr als zwei Mil-Honen Arbeitsuchenden vor der Tür offenbar verlernt haben.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat im Herbst dieses Jahres (Wochenbericht 41/89) die Beschäftigungsentwicklung sorgfältig untersucht und ist auch dem „Problem des Facharbeitermangels bei hoher Arbeitslosigkeit“ nachgegangen. Die Konjunkturforscher stellen fest, daß „am Arbeitsmarkt derzeit keineswegs Überhitzungserscheinungen zu verzeichnen sind“ und daß auch „nicht von einer generellen Unvermittelbarkeit des vorhandenen Arbeitslosenbestandes gesprochen werden kann“. Es heißt dort abschließend: „In einer konjunkturell sehr günstigen Situation ist der Anreiz für die Unternehmen ausreichend groß, auch solche Arbeitskräfte einzustellen, die für die von ihnen erwarteten Tätigkeiten von den Unternehmen erst ausgebildet bzw. weitergebildet wer-den müssen. Die Gewinnchancen im Aufschwung relativieren die damit verbundenen Kosten.“

Zwei Jahrzehnte war dies in der Bundesrepublik auch ständige Praxis. Rund 2, 5 Millionen ausländische Arbeitnehmer sind auf diese Art und Weist von den Unternehmen angelernt, ausgebildet unc eingesetzt worden. Warum das in den achtziger Jah ren nicht wenigstens mit einem großen Teil der zwe Millionen Arbeitslosen möglich sein soll, ist bishe nie erklärt worden. Viele Einzelbeobachtunger sprechen dafür, daß die wichtigsten Motive bei ei ner durch die stets verfügbare industrielle Reserve armee „verwöhnten“ Personalpolitik liegen dürf ten.

Der beschäftigungspolitische Bankrott der achtziger Jahre — und wie es dazu kam

Es ist noch keine zwei Jahrzehnte her, daß in der Bundesrepublik fünf Unternehmer hinter einem Arbeitslosen herliefen, um durch Neueinstellungen sicherzustellen, daß die steigende Produktion mit dem Bedarf Schritt halten konnte. 795 000 offene Stellen waren 1970 bei der Arbeitsverwaltung erfaßt. bei 149 000 Arbeitslosen.

Und 1970 war kein Sonderfall: Ausgenommen die Jahre 1967 und 1968 lag von 1961 bis 1971 die Arbeitslosenquote in jedem Jahr unter einem Prozent, die Zahl der offenen Stellen weit über 500 000. Nach der ersten Ölpreisexplosion stieg die Arbeitslosenquote 1974 auf 2, 5 Prozent, 1975 auf 4, 7 Prozent, um dann bis 1980 auf 3. 8 Prozent zurückzugehen, bei gleichzeitigem Anstieg der Zahl der Beschäftigten von 22 auf 23 Millionen. Seit 1983 aber liegt die Arbeitslosenzahl oberhalb von zwei Millionen, die Arbeitslosenquote zwischen acht und 9, 5 Prozent bei im günstigsten Monat 300 000 offenen Stellen,

Die seit sieben Jahren anhaltende Massenarbeitslosigkeit kam nicht wie ein verhängtes Schicksal über die bundesdeutsche Volkswirtschaft; das sich oberhalb der Zwei-Millionen-Grenze stabilisierende Arbeitslosenniveau und das Ausbreiten Neuer Armut sind neben strukturellen Schwierigkeiten das Ergebnis einer langen Kette politischer Entscheidungen.

Nach einer nicht widerspruchsfreien, aber per Saldo expansiven Wirtschafts-und Finanzpolitik in den siebziger Jahren begann 1981 die große Kehrtwende in der Wirtschafts-, Finanz-und Sozialpolitik. Von ökonomischen Lehrstühlen vorbereitet und vom Sachverständigenrat propagiert wurden Angebotstheorie und Sozialstaatskritik zur beherrschenden politischen Linie. „Mehr Markt und weniger Staat“, „Entbürokratisierung und Deregulie-B rung“, „individuelle Vorsorge, statt staatliche: Vollversorgung“ — so und ähnlich lauteten di« Schlagworte.

Diese Kombination aus Angebotstheorie und So zialstaatskritik wird seit 1981 praktiziert. Rigoros« Sparpolitik in den öffentlichen Haushalten sollt« Freiraum für Investitionen der privaten Wirtschaf schaffen, ein „flexibleres“ Arbeitsrecht zu Neuein Stellungen ermuntern. Der Steuersenkung von 198: in der Größenordnung von rund elf Milliarden DN folgten 1982 eine Reihe von Abschreibungserleich terungen, Investitionshilfen und — auf der Gegen Seite — Belastungen durch Erhöhungen von Ver brauchssteuern, die für die gewerbliche Wirtschaf saldiert mehr als fünf Milliarden DM Entlastungei brachten, für Verbraucher und Arbeitnehmer je doch Belastungen von 5, 5 Milliarden DM. 1983/8 kulminierte diese finanz-und sozialpolitische Lini« dann in den Haushaltsbegleitgesetzen mit — Kürzungen öffentlicher Leistungen sowie Bei tragserhöhungen in der Sozialversicherung voi rund 16 Milliarden DM jährlich und — Steuererleichterungen für die gewerbliche Wirt schäft in der Größenordnung von etwa 8. 5 Milliar den DM pro Jahr.

Den obigen Maßnahmen folgten zwei Steuersen kungen in der Größenordnung von zehn bzw 14 Milliarden DM mit dem Progressionsverlauf ent sprechender Begünstigung der hohen Einkommen eine Reihe von Aufweichungen des Arbeitsrecht — von den befristeten Arbeitsverträgen des „Be schäftigungsförderungsgesetzes“ bis zu den Ver schlechterungen des Arbeitsförderungsgesetze und der Aufhebung „ausbildungshemmender Vor Schriften“.

Wer immer in der zweiten Hälfte der siebzige Jahre an den „Ausuferungen“ des Sozialstaates Kri tik geübt hatte — seine Wünsche wurden ebenso erfüllt wie die Forderungen der Angebotstheorie. Wenn man den Arbeitsmarkt ignoriert, zeigen die Daten der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung aus den letzten sieben Jahren alle Forderungen der Angebotspolitik als erfüllt: Die Lohnquote ist von 74, 4 Prozent im Jahre 1981 bis 1988 auf 68, 0 Prozent zurückgegangen; die Nettoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen sind um 84 Prozent gestiegen, die Nettolohn-und Gehaltssumme nur um 19 Prozent. Der Saldo der Leistungsbilanz betru Prozent im Jahre 1981 bis 1988 auf 68, 0 Prozent zurückgegangen; die Nettoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen sind um 84 Prozent gestiegen, die Nettolohn-und Gehaltssumme nur um 19 Prozent. Der Saldo der Leistungsbilanz betrug 1981 minus 8, 03 Mrd. DM, 1988 plus 85. 0 Mrd. DM.

Nach allen Lehren der klassischen Ökonomie wie der Angebotspolitik hätten diese politisch initiierten Bedingungen zu einem Investitionsboom ohnegleichen und einem entsprechenden Beschäftigungsschub führen müssen. Nichts davon ist vor 1989 eingetreten: Die Investitionszuwächse waren bis 1987 so schwach wie nie zuvor in der Bundesrepublik und lagen stets in der unteren Hälfte der OECD-Statistik; die Zahl der Arbeitslosen verharrt seit 1983 bei mehr als zwei Millionen.

Trotz dieser düsteren Beschäftigungslage hält z. B.der Sachverständigenrat unbeirrt an der angebots-orientierten Linie der Wirtschaftspolitik fest und sieht es als „zentrale Aufgabe“ an, „für gute Angebotsbedingungen zu sorgen“. Er kommt aber nach sieben Jahren Angebotspolitik immerhin zu folgender Feststellung: „Das Wachstum der gesamtwirtschaftlichen Produktionsmöglichkeiten ist auf mittlere Sicht immer noch zu gering, nimmt man zum Maßstab, was notwendig ist, um bei den großen unerledigten Aufgaben schneller zum Ziel zu gelangen — die hohe Arbeitslosigkeit abzubauen, einen größeren deutschen Beitrag zur Entzerrung des internationalen Leistungsbilanzgefüges zu leisten, das wirtschaftliche Fundament der sozialen Sicherung zu stärken, die Umwelt besser zu schützen.“ 1)

„Philosophien“ über die „Zukunft der Arbeit“ lenken von der beschäftigungspolitischen Aufgabe ab

Die für die Bundesrepublik ungewohnte Verschlechterung der Arbeitsmarktlage nach dem ersten Ölschock — im angelsächsischen Raum gelten vier Prozent Arbeitslosenquote als Vollbeschäftigung — brachte verstärkt eine Vielzahl von Betrachtungen zur „Zukunft der Arbeit“ in Mode, die von einem tiefen Pessimismus über die künftigen Beschäftigungsmöglichkeiten durchdrungen waren. Während Hannah Arendts nachdenkliche Betrachtungen über „die Aussicht auf eine Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit ausgegangen ist, also die einzige Tätigkeit, auf die sie sich noch versteht“ 2), zu Beginn der sechziger Jahre zwar unter Nachdenklichen diskutiert wurden, aber kaum öffentliche Resonanz fanden, wurden diese Überlegungen zwanzig Jahre später zu einem modischen Trend. Neue Technologien und Wertewandel in der Gesellschaft würden der Industriegesellschaft von zwei Seiten die Arbeit ausgehen lassen: Nicht die Erwerbsarbeit. sondern „Tätigkeiten“ im weitesten Sinne erhielten Vorrang vor der traditionellen Arbeit, und „auch die Forderung nach Gleichstellung der Frau in Beruf und Gesellschaft verlangt, die starre Tren-nung von bezahlter Erwerbsarbeit und Familienarbeit aufzuheben“ 3).

Die zahlreichen Publikationen zur „Zukunft der Arbeit“ sind alle von tiefer beschäftigungspolitischer Resignation durchdrungen, und es werden recht apodiktische Schlußfolgerungen gezogen. Dazu weitere Zitate aus den achtziger Jahren: „Die Arbeitsgesellschaft ist am Ende — wer immer verspricht, ein Rezept gegen die Arbeitslosigkeit zu haben, sagt die Unwahrheit.“ Und zur Begründung: „steigende Kosten, schrumpfende Märkte, veränderte Einstellungen . . . Solange die Dimension der Reallöhne sich nicht verändert, erklären sie zwar die Arbeitslosigkeit, eignen sich aber nicht zu ihrer Bekämpfung.“ 4) „Die Vollbeschäftigung war, ebenso wie die exzessive Produktionssteigerung, nichts weiter als eine Episode in der zeitgenössischen Wirtschaftsgeschichte. Wir sind in die Ära der Arbeitsabschaffung eingetreten, welcher der krisengeschüttelte Kapitalismus die Form eines Unglücks verleiht.“

Vollbeschäftigung ist „nur durch eine Neudefinition der Arbeit, in die auch andere Kriterien als die des kapitalistischen Systems aufgenommen werden müssen“, wieder erreichbar. Und: „Neugestaltung der konkreten Arbeit, Aufwertung der nicht produktiven Arbeit, Wiedereinführung der schöpferischen Dimension der Arbeitstätigkeit — das ist heute nicht nur eine moralische Forderung, sondern eine wirtschaftliche Notwendigkeit.“

„Die Arbeitslosigkeit ist heute in erster Linie Ausdruck einer unzureichend intelligenten Organisation der Arbeit und des Arbeitsmarktes. Arbeitslosigkeit existiert, obwohl das Bruttosozialprodukt, die Einkommen der Arbeitnehmer real gestiegen sind und der Wohlstand der Gesellschaft ständig gewachsen ist.“

„Die Arbeitslosigkeit kann man im Schnittmuster des Nationalstaats vielleicht mindern; wirksam bekämpfen kann man sie in den alten Strukturen nicht. Alle wissen das; nur die Politiker geben es nicht zu . . . Die Linke klagt die Massenarbeitslosigkeit an; aber ihr altes Rezept, der nationale Keynesianismus, greift nicht mehr.“

In diesem Jahrhundert werden „auf jedes Jahr der Voll-und Überbeschäftigung vier Jahre der Unter-beschäftigung entfallen. Nicht Voll-und Überbeschäftigung, sondern mehr oder minder großer Beschäftigungsmangel dürfte mithin dieses Jahrhundert prägen.“

Sieben Zitate mit in die gleiche Richtung zielenden Behauptungen, die wie Tatsachenfeststellungen klingen, freilich ohne empirisch belegt zu werden. Statt dessen findet sich ein recht großzügiger Umgang mit den Fakten: Zum Beispiel seien die Einkommen der Arbeitnehmer ständig „real gestiegen“. dies aber nur bis einschließlich 1979; von 1981 bis 1985 waren sie rückläufig und trotz des Anstiegs 1986/87 lag das Nettoreallohnniveau in Preisen von 1980 im Jahre 1987 noch um 40 DM unter dem von 1979.

Wer freilich aus der gemeinsamen Faktenignoranz und der Bereitschaft zu unbewiesenen Urteilen auch auf gemeinsame politische Standorte schließt, der irrt. Diese und viele andere Publikationen zur „Zukunft der Arbeit“ werden jedoch von zwei übereinstimmenden Grundlinien getragen: — der (unbewiesenen) Diskreditierung des keynesianischen Instrumentariums, verbunden mit Distanz zu Groß-Technologien und staatlichem Handeln. sowie — der Suche nach neuen Formen bzw. einer „NeuDefinition“ der Arbeit.

Diese „Philosophien“ um die Zukunft der Arbeit bilden den Hintergrund für Forderungen nach Arbeitszeitverkürzungen ohne bzw. mit begrenztem Lohnausgleich sowie nach Verlängerung der Maschinenlaufzeiten. Beides ist zur Verbesserung der Beschäftigungslage kontraproduktiv, doch wer dies fordert, lenkt von der Angebotspolitik ab und verlagert die Verantwortung für die Ursache des bisherigen beschäftigungspolitischen Mißerfolgs der achtziger Jahre zu den Gewerkschaften und ihrer Lohn-und Arbeitszeitpolitik.

Ökonomischer Trugschluß der Sozialstaatskritiker

Sozialstaatskritiker bzw. Angebotstheoretiker und „Neuverteiler des Arbeitsvolumens bei gleichbleibender Lohnsumme“ gehen (ohne es zu wissen), von den gleichen Denkgrundlagen aus, die einleuchtend klingen, aber falsch sind: — der Vorstellung eines (zumindest mittelfristig) starren Arbeitsvolumens, das aber beliebig teilbar wäre, sowie — einer Überbetonung des Kostenfaktors Lohn bei gleichzeitiger Vernachlässigung der Nachfragebedeutung des Lohnes.

Die ökonomischen Fakten bestätigen aber die altliberale Gleichung: steigende Gewinne = steigende Investitionen = steigende Beschäftigung nicht, sie widerlegen jedoch den „Glaubenssatz“, daß sinkende Löhne zu besserer Beschäftigung führen. Das zeigt besonders deutlich die Entwicklung der Gewinne und Löhne sowie der Investitionen und der Beschäftigung in vergleichbaren Perioden der siebziger und achtziger Jahre: Diese Entwicklung während der beiden Zyklen 1975/80 und 1981/87 zeigt deutlich, daß -kräftig steigende Löhne und Gehälter bei sich gleichgewichtig bewegenden Nettoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen auch von kräftiger Erhöhung der Anlageinvestitionen begleitet sind; beides führt zu steigender Beschäftigung und sinkender Arbeitslosigkeit, während -ein überproportionaler Anstieg der Unternehmenseinkommen bei drastischem Zurückbleiben der Lohnentwicklung nur zu einem bescheidenen Investitionsanstieg mit entsprechend negativen Beschäftigungsfolgen geführt hat.

Wenn man 1987 von der Summe der Anlageinvestitionen die 47 Mrd. DM für öffentliche Investitionen abzieht, so lag das Nettoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen um 79 Mrd. über der Summe der Anlageinvestitionen. Der ab 1984 sprunghaft gestiegene Kapitaltransfer zeigt den Verbleib dieser in der Bundesrepublik erwirtschafteten Gewinne.

Lohnpolitische „Solidaritätsopfer“ kontraproduktiv

Trotz dieser eindeutigen Fakten aus der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung von sechs bzw. sieben Jahren wird in der deutschen Öffentlichkeit immer noch der Zusammenhang zwischen Löhnen und Beschäftigung völlig einseitig dargestellt: Niedrige Löhne führen angeblich zu mehr, hohe Löhne zu weniger Beschäftigung. So sind Appelle an Arbeitnehmer und Gewerkschaften hinsichtlich Arbeitszeitverkürzungen ohne Lohnausgleich oft moralisch gut gemeint sie zeichnen sich aber durch fatale Unkenntnis der gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge aus.

Forderungen nach Neuverteilung der Arbeit — darauf abgestellt, daß die Arbeitsplatzinhaber ein Stück der Arbeit und des dazugehörigen Lohnes an die heute Arbeitslosen abgeben — gehen davon aus, daß das Volkseinkommen und das Arbeitsvolumen feste Größen seien, die bei mehr Bewerbern um die Einzelstücke neu (d. h. gerechter) verteilt werden müssen. Sie übersehen dabei, daß jede Neuverteilung des „Kuchens“ auch seine Größe verändert, er kann durch den Verteilungsprozeß größer oder kleiner werden.

Die immer wieder erhobenen Vorschläge einmal so theoretisch abstrakt behandelt, wie sie gemacht werden, ergeben folgendes Kreislaufdilemma: 23 Millionen Arbeitnehmer arbeiten in der Bundesrepublik im Schnitt rund 38 Stunden. Zwei Millionen arbeiten zwangsweise null Stunden, weil Wirtschaft und Politik nicht in der Lage sind, jedem, der arbeiten will, auch einen Arbeitsplatz zu bieten. Zählt man die 23 Millionen mit 38 Wochenstunden und die zwei Millionen Arbeitslosen mit ihren null Wochenstunden zusammen, so ergibt sich eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von rund 35 Stunden. Einfaches Rechenexempel der „Opfertheoretiker“: Die Arbeitsplatzinhaber verzichten auf vier Stunden Arbeit und den dazugehörigen Lohn und alle heute Arbeitslosen finden Beschäftigung. Aber würde diese Regelung morgen in Kraft treten, wäre der volkswirtschaftliche Kuchen übermorgen zwar besser verteilt, aber kleiner, denn: Die Nettolohn-und Gehaltssumme würde, neu verteilt, nicht größer. Bei den Neueinstellungen aufgrund dieses Arbeitsstunden-und Lohnverzichts der Arbeitsplatz-inhaber fiele bei den Arbeitslosen die Arbeitslosenunterstützung in Höhe von 56 bis 68 Prozent ihrer Nettobezüge weg — ein Kaufkraftausfall von rund 27 Milliarden DM. Natürlich würde der Fortfall der Zahlungen durch die Bundesanstalt für Arbeit dort Beitragssenkungen möglich machen, doch die Verwendung der Gelder aus Beitragssenkungen ist offen. Für Beitragssenkungen bei den Arbeitgebern ist nach den Erfahrungen mit den Steuersenkungen ab 1981 mehr mit einer Erhöhung der Finanzanlagen im Ausland als mit Verstärkung der Investitionen hier zu rechnen.

Für die gesamtwirtschaftlichen Wirkungen noch entscheidender ist die bestehende Kopplung zwischen der Lohn-und der Rentenentwicklung sowie mit den Leistungen der Kriegsopferversorgung. Die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung erreichten 1988 die Größenordnung von 174 Milliarden DM. aus der gesetzlichen Unfallversicherung sieben Milliarden, die Kriegsopferrenten betrugen rund zehn Milliarden DM. Das sind gut 190 Milliarden DM von der Lohnentwicklung abhängige Kaufkraft. Das obige abstrakte Beispiel einer Umverteilung des Arbeitszeit-und Lohnvolumens zwischen den 23 Millionen Beschäftigten und zwei Millionen Arbeitslosen würde eine achtprozentige Senkung der Löhne und Gehälter bedeuten. Eine entsprechende Übertragung dieser Operation auf die Rentenversicherung und die Kriegsopferrenten'hätte also einen Kaufkraftausfall von rund 15 Milliarden DM zur Folge.

Und auch wenn die Anpassung des Renten-und Kriegsopferversorgungsniveaus an das neue Lohn-niveaunicht ruckartig, sondern nur mit entsprechenden Übergangszeiten erfolgte, ist für die gesamtwirtschaftliche Betrachtung zu berücksichtigen, daß jedes Prozent erfolgter bzw. nicht erfolgter Rentenanpassung die Gesamtnachfrage um rund zwei Milliarden DM beeinflußt. In einer unterbeschäftigten Wirtschaft ist die wichtigste Voraussetzung zur Verbesserung der Beschäftigung eine Ausweitung der Gesamtnachfrage. Von der Operation „Umverteilung der Arbeitszeit und des Lohn-volumens“ ist aber nicht eine Ausweitung, sondern eine Reduzierung der Gesamtnachfrage zu erwarten, per Saldo also negative Beschäftigungseffekte.

Zur Abrundung ein statistisches Beispiel: Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände hat im Frühjahr 1988 eine Bestandsaufnahme der Entwicklung der Arbeitszeit in den OECD-Nationen erstellt. Nach dieser Untersuchung haben in den achtzigerJahren bei 15 Nationen Arbeitszeit-verkürzungen mit vollem Lohnausgleich stattgefunden, lediglich in den Niederlanden gab es zwischen 1983 und 1985 Arbeitszeitverkürzungen um fünf Prozent bei einem gleichzeitig für die gesamte Wirtschaft vereinbarten fünfprozentigen Lohnverzicht.

Die OECD-Arbeitslosenstatistik zeigt: Von 1983 bis 1985 gab es im Durchschnitt der OECD-Staaten einen leichten Rückgang der Arbeitslosigkeit; in den Niederlanden ist die Arbeitslosenquote von zwölf Prozent im Jahre 1983 auf 14, 2 Prozent 1985 gestiegen; das ist — mit der Ausnahme Spaniens — der mit Abstand höchste Anstieg in diesem Zeitraum.

Beschäftigungspolitisches Fazit: In unterbeschäftigten Volkswirtschaften sind kürzere Arbeitszeiten und höhere Löhne gleichzeitig notwendig, wenn das Sozialprodukt und die Beschäftigung zugleich wachsen sollen. „Opfertheorien“ schaffen nicht nur keine Arbeitsplätze — sie geben leicht Anstoß zu einer Spiralentwicklung nach unten.

Längere Maschinenlaufzeiten bringen weniger, nicht mehr Beschäftigung

Durch die Bundesrepublik geistert seit Monaten eine ökonomische Gespensterdiskussion. Der Weltmeister im Export fühlt sich in seiner Wettbewerbsfähigkeit bedroht, die Bundesrepublik Deutschland sei kein gesuchter Investitionsstandort mehr und nur Flexibilität am Arbeitsmarkt und mehr Deregulierung könnten diesen „gefährdeten“ Standort noch retten.

Besonders hartnäckig wird dabei die Entkoppelung von Maschinenlaufzeiten und individuellen Arbeitszeiten gefordert, vor allem durch Einbezie-B hung des Wochenendes, zumindest aber des Sonnabends in die reguläre Arbeitszeit. In der Ausdehnung der Maschinenlaufzeiten auf das Wochenende soll der Schlüssel für mehr Beschäftigung und weitere Arbeitszeitverkürzungen liegen.

In dieser Diskussion wird schlicht negiert, daß in betrieblichen Arbeitszeitregelungen nach der tariflichen Unterschreitung der 40-Stunden-Woche die Entkoppelung von Maschinenlaufzeiten und individuellen Arbeitszeiten längst stattgefunden hat. In einer Vielzahl von Unternehmen wird die neue Arbeitszeit so gehandhabt, daß bei unveränderter Schichtzeit an den Produktionsanlagen die individuell verkürzte Arbeitszeit durch Freischichten über das Jahr verteilt abgegolten wird. Diese den Interessen einer gleichmäßigen Ausnutzung der Kapitalanlagen und den individuellen Möglichkeiten der Arbeitnehmer entgegenkommende Regelung hat zugleich gute Beschäftigungseffekte gehabt. Jetzt soll aber die Ausdehnung der Maschinenlaufzeiten auf das Wochenende, zumindest aber auf den Sonnabend, hinzukommen. Kann dies wirklich mehr Beschäftigung schaffen?

Eine Ausdehnung der Maschinenlaufzeiten auf den Sonnabend senkt die Produktionskosten pro Einheit um ein Sechstel, freilich nur, wenn in gleicher Größenordnung eine Absatzsteigerung erfolgt. Dann — aber auch nur dann — sind die Maschinenanlagen an sechs Tagen in der Woche nutzbar und entsprechend dem Produktionspotential dieses Tages zusätzliche Neueinstellungen möglich. Diese betriebswirtschaftliche Rechnung kann in einzelnen Betrieben aufgehen, für die Branche insgesamt ist dies jedoch fraglich, ja schon für ein Unternehmen, das an mehreren Standorten produziert.

Ein konkretes Beispiel dazu: Ein großes Automobilwerk in der Bundesrepublik produziert zur Zeit an fünf Tagen in der Woche an sechs Standorten. Eine Ausdehnung der Produktionszeiten auf den Sonnabend würde das Produktionspotential um ein Sechstel erhöhen, doch damit allein würde noch kein Wagen mehr verkauft. Die betriebswirtschaftlichen Kostenrechner kämen sehr schnell nach einer Verlängerung der Maschinenlaufzeiten an den sechs Standorten zu dem Ergebnis, daß ein Standort überflüssig ist. Die erreichte Kostenersparnis wäre enorm, der Beschäftigungserfolg negativ — die Auflösung eines Standortes führt zu überproportionalem Rückgang der Gesamtbeschäftigung.

Natürlich kommt hier sofort der Einwand, daß eine auf das Wochenende ausgedehnte Arbeitszeit die Kostenrechnung so verbessern würde, daß mit entsprechender Preispolitik eine Ausweitung des Absatzes und damit der Produktion möglich wäre. Dies stimmt, solange die anderen Automobilhersteller dem tatenlos zusehen. Wenn aber ausgerechnet von der Bundesrepublik aus, dem Weltmeister im Export, eine auf Wochenendarbeit beruhende neue Kalkulation zu neuer Preispolitik führen würde, werden die Automobilproduzenten in Europa und der Welt nicht tatenlos zusehen. Sie werden dem schlechten deutschen Beispiel folgen mit dem Ergebnis, daß überall in der Welt Produktionsstandorte für Automobile überflüssig werden, weil auch bei insgesamt niedrigerem Preisniveau der Absatz nicht beliebig ausgedehnt werden kann, zumal die mit der Wochenendarbeit an strukturschwachen Standorten verbundenen Beschäftigungsverluste die Gesamtnachfrage reduzieren.

Diese generelle Aussage über die beschäftigungspolitischen Folgen für die Gesamtwirtschaft schließt andere Regelungen für einzelne Wirtschaftszweige nicht aus. Dort, wo es sich nicht um den „Weltmeister im Export“ handelt, sondern um eine Branche mit übergewichtigem Importanteil — wie z. B. in der Textilindustrie —, können Verlängerungen der Maschinenlaufzeiten über den Zeitraum von Montag bis Freitag hinaus unvermeidbar werden. Freilich nicht mit der Illusion, zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen, sondern als ein Mittel, um Abwanderungen von Produktionsstätten zu verhindern.

Wenn diese Gefahr anders nicht abgewendet werden kann, ist es gewerkschaftliche Aufgabe, die neuen Arbeitszeiten in ein vernünftiges, die Arbeitnehmer-Interessen wahrendes tarifliches Regel-werk zu bringen, bevor in betrieblichen „Spontanregelungen“ die Arbeitsplatznöte und nicht die Arbeitnehmer-Interessen die Federführung übernehmen. Bei diesem tariflichen Regelwerk muß dann der Zeitausgleich aus humanitären, familien-und beschäftigungspolitischen Gründen Vorrang vor dem finanziellen Ausgleich haben. Leitlinie: Wer zu ungewöhnlichen Zeiten arbeitet, nachts oder am Wochenende, hat Anspruch auf höheres Entgelt für die gleiche Arbeitszeit oder auf gleiches Entgelt für kürzere Arbeitszeit; dabei hat der zeitliche Ausgleich Vorrang vor dem finanziellen.

Im übrigen hat — mit Vokabeln von „mehr Deregulierung“, „Individualisierung“ und „Flexibilisierung“ modisch geschönt — die Ausdehnung der Wochenendarbeit längst begonnen. So zeigt z. B. eine Untersuchung des „Instituts zur Erforschung sozialer Chancen“ (ISO) vom Sommer 1987 u. a., daß — die Zahl derer, die samstags arbeiten, von 18 Prozent 1980/81 auf 32 Prozent im Jahre 1987 gestiegen ist und — 1981 sieben Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer regelmäßig Sonntagsarbeit leisteten, 1987 dagegen schon zehn Prozent.

Diese kräftige Zunahme der Samstags-und Sonntagsarbeit seit 1981 hat aber nicht zu einem Abbau der Arbeitslosigkeit geführt.

Die modischen Thesen der Beschäftigungsverbesserung durch zurückhaltende Lohnpolitik und Wochenendarbeit bleiben im Unverbindlichen; empirische Untersuchungen beweisen, daß Deregulierung und Flexibilisierung keineswegs zu positiven wirtschaftlichen Entwicklungen führen. Werner Sengenberger z. B. sieht eine wesentliche Ursache für die so schwache Produktivitätsentwicklung in den Vereinigten Staaten von Amerika in der hohen „Unstetigkeit im Einsatz von Sachkapital und Arbeitskraft in amerikanischen Betrieben“

Inzwischen beweist auch die Bilanz der radikalen Deregulierung bei der amerikanischen Luftfahrt, daß von den versprochenen Verbesserungen nichts eingetreten ist, die befürchteten Verschlechterungen aber noch übertroffen wurden: Schlechterer Service, höhere Preise und geringere Sicherheit bei ausgedünntem Flugplan sind das Ergebnis. Für die Bundesrepublik ergibt sich aus dem Sozialstaatsauftrag eine andere Aufgabenstellung: Wir haben nicht zu wenig Arbeit, sondern eine Fülle unerledigter Aufgaben. Mögen Soziologen und Philosophen darüber nachdenken, ob der „Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgehe“ — politische Aufgabe ist es, die organisatorischen und finanziellen Bedingungen so zu gestalten, daß jene vielen aufgeschobenen Projekte zur Verbesserung der Umwelt und der Infrastruktur erfüllt werden und alle Menschen Arbeit finden. In der tiefen beschäftigungspolitischen Resignation, auf deren Basis alle diese „Opfertheorien“ entstehen, liegt eine große Gefahr für bessere Aufgabenerfüllung; diese Haltung hat es den Angebotspolitikern und Sozialstaatskritikern so leicht gemacht, ihre beschäftigungspolitische Abstinenz aufrechtzuerhalten.

Kann nationale Beschäftigungspolitik noch funktionieren?

Auch wer meine Aufgabenstellung für richtig hält, zweifelt oft am Erfolg aktiver Beschäftigungspolitik im nationalen Raum. Nun ist sicherlich jede Wirtschafts-und Finanzpolitik erfolgreicher, wenn sie in internationaler Koordination, ohne weltwirtschaftliche Gegenläufigkeiten erfolgt. Aber die schlichte Behauptung von Peter Glotz: „Der nationale Keynesianismus greift nicht mehr“ ist mit einem Bück zurück und noch mehr mit einem Blick zu unseren Nachbarn zu widerlegen.

Wo ist in den achtziger Jahren das keynesianische Instrumentarium gegen zunehmende Wachstums-schwäche und ansteigende Arbeitslosigkeit eingesetzt worden? Darf man einem wirtschafts-und finanzpolitischen Instrumentarium vorwerfen, daß es nicht mehr greift, wenn es nicht angewendet wird? In der Bundesrepublik wurde eine antizyklische, gegensteuernde Finanzpolitik zum letzten Mal zwischen 1977 und 1979 praktiziert, und dies mit Erfolg; mit sehr viel größerem Erfolg — und dies über 1979 hinaus — in Österreich: Dort gelang es bis heute, die Arbeitslosigkeit unter vier Prozent zu halten. Instrumente und ihre Anwendung erst zu prüfen und dann über Neueinsetzen oder Fortwerfen zu entscheiden, gehört zur handwerklichen Sorgfaltspflicht. Politisches Gerede ohne diese Sorgfalt erhöht die Verwirrung und erschwert das Durchsetzen beschäftigungswirksamer Politik.

Instrumentale Unkenntnis und „Opferbereitschaft“ von links haben die unverzichtbare positive Grund-stimmung für eine beschäftigungswirksame Anwendung des Instrumentariums der Globalsteuerung ebenso verdorben wie die ideologische Ablehnung durch die Angebotspolitiker und Sozialstaatskritiker von rechts: „Rechte Fundamentalisten wollen nur noch den Markt gelten lassen, weil Wirtschaftspolitik angeblich grundsätzlich falsch sei und die Marktergebnisse nur verzerre. Linke Fundamentalisten lehnen den Staat als Reparaturbetrieb des Kapitalismus ab, weil sie eine andere Wirtschaft als die Marktwirtschaft wollen — aber welche? Grüne Fundamentalisten verwechseln das eigentliche Übel unserer Zeit, nämlich unsaubere Technologien, mit der Geschäftsgrundlage unseres sozialen Friedens, dem ausreichenden wirtschaftlichen Wachstum.“

Es diskreditiert nicht das Instrumentarium der Globalsteuerung, sondern ihre Anwender, wenn die antizyklischen Maßnahmen falsch dosiert und so verzögert eingesetzt werden, daß aus der geplanten Antizyklik durch Zeitablauf eine Prozyklik wird. Auch kann antizyklische Globalsteuerung nur funktionieren, wenn die öffentlichen Haushalte auf allen staatlichen Ebenen sich gleichläufig verhalten und die Maßnahmen aus den einzelnen Ressorts miteinander koordiniert werden, so daß sie sich nicht gegenseitig konterkarieren. So wurden z. B. nach dem ersten Ölschock die verschiedenen beschäftigungspolitischen Maßnahmen durch eine Haushaltskonsolidierung gebremst, die größer war als aus keynesianischer Sicht vertretbar; noch stärker aber wirkte der massive Abbau der Haushaltsausgaben in den Ländern und Gemeinden kontraproduktiv. Trotzdem gelang es zwischen 1976 und 1980 vor allem mit dem wachstumspolitischen Anstoß des 16-Milliarden-Zukunftsinvestitionsprogamms, die Zahl der Arbeitsplätze um mehr als eine Million zu erhöhen und die Arbeitslosigkeit um 200 000 abzubauen. Auch in Fritz Scharpfs sehr kritischer Untersuchung der „Sozialdemokratischen Krisenpolitik in Europa“ wird der Wirtschaftspolitik für diesen Zeitraum bescheinigt, daß sich „die in der Bundesrepublik ungeliebte Lokomotivstrategie als ein brillianter, seitdem nicht wiederholter Erfolg erwiesen“ hat

Die weltwirtschaftlichen Bedingungen waren in den achtziger Jahren für die Bundesrepublik wesentlich besser als in der zweiten Hälfte der siebziger; Wirtschaftswachstum und Beschäftigung aber blieben sehr viel schwächer. Die Ursachen sind jedoch nicht in der Außenwirtschaft — 1987 und 1988 81 bzw. 85 Milliarden Leistungsbilanzüberschuß (!) — . sondern in der Wirtschafts-und Finanzpolitik, vor allem in der Schwächung der Binnennachfrage zu suchen.

Ein Blick zu unseren Nachbarn bestätigt dies. Für die Bundesrepublik ist dabei der Vergleich mit Österreich und Schweden besonders lehrreich: beides hochentwickelte Volkswirtschaften mit noch größerer außenwirtschaftlicher Verflechtung, in Schweden mit höherem, in Österreich mit niedrigerem Einkommensniveau. Von ihrer Wirtschaftsstruktur und der noch sehr viel größeren Weltmarktabhängigkeit her wären auch die Niederlande und Belgien güt für einen Vergleich geeignet, aber dort war die Arbeitsmarktentwicklung noch schlechter als in der Bundesrepublik. Die extrem unterschiedliche Arbeitsmarktlage in Österreich und Schweden einerseits, in den Niederlanden und Belgien andererseits zeigt auch, daß es für erfolgreiche Beschäftigungspolitik nicht auf die Größe einer Volkswirtschaft, sondern — allen weltwirtschaftlichen Verflechtungen zum Trotz — auf die eigene Politik ankommt.

Der Austro-Keynesianismus mit seiner Kombination aus — variablem Nachfrage-Management, — Hart-Währungspolitik und — solidarischer Einkommenspolitik hat es möglich gemacht, die Arbeitslosigkeit in Österreich auf jene Größenordnung zu begrenzen, die im angelsächsischen Wirtschaftsraum immer als Vollbeschäftigung galt (vier Prozent). In Schweden war der Einsatz des umfangreichen arbeitsmarkt-politischen Instrumentariums stärker ausgeprägt als die antizyklische Finanzpolitik; ihrem variablen Einsatz ist eine Begrenzung der Arbeitslosenquote auf unter drei Prozent gelungen. Über alle weltwirtschaftlichen Schwierigkeiten seit den beiden Ölschocks hinweg besteht in Schweden bei noch größerem Weltmarktanteil als in der Bundesrepublik seit Jahrzehnten gleichzeitig — das höchste Lohnniveau (Lohnquote 77 Prozent), — ein umfassendes Sozialleistungssystem auf hohem Niveau, — eine besonders hohe Erwerbsquote bei höchster Frauenerwerbsquote — die größte Computer-und Roboterdichte in der Produktion und — die geringste Arbeitslosigkeit.

Wenn Fritz Scharpf am Ende seiner umfangreichen Untersuchungen der Krisenbewältigungsstrategien in Europa zu der Feststellung kommt, daß Schweden und Österreich im letzten Jahrzehnt bewiesen haben, „daß Massenarbeitslosigkeit in Westeuropa auch in der weltweiten Krise kein für die nationale Politik unabwendbares Schicksal war“ so sollten diese Beispiele in der Bundesrepublik Ansporn und Herausforderung sein.

Wirtschafts-und finanzpolitisches Maßnahmenbündel für mehr Beschäftigung und bessere Umwelt

Mehr Beschäftigung, bessere Umwelt und mehr Lebensqualität sind nur gemeinsam zu erreichen: Der künstliche Gegensatz zwischen Ökonomie und Ökologie ist durch eine ökologische Erneuerung der Wirtschaft aufzuheben; Umweltschutzinvestitionen haben positive Beschäftigungseffekte und bieten dem in den letzten Jahren ins Ausland transferierten Kapital Anlageobjekte in der Bundesrepublik. Wir brauchen in den neunziger Jahren eine Konzentration der Finanz-, Wirtschafts-, Sozial-, aber auch der Technologie-und Bildungspolitik auf die Verbesserung der Beschäftigung und der Umwelt zugleich. Zur Erreichung dieser Zielsetzungen sind folgende zu realisieren: Eckpunkte 1. Keine Senkung des Spitzensteuersatzes und des Körperschaftssteuersatzes, aber Einführung einer nach der Gewinnverwendung differenzierenden Besteuerung: niedrigerer Steuersatz für jede investive Verwendung, höherer für jede nicht investive; gleichzeitig Umstellung der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung auf die Bemessungsgrundlage Wertschöpfung. Beide Maßnahmen ergänzen sich und machen das Abgabensystem beschäftigungsfreundlicher. 2. Erhöhung der Energiebesteuerung, um nachhaltige Anreize zum Energiesparen und zur Umstellung auf energiesparende Produktionsmethoden zu geben. Diese Besteuerung muß von Ausgleichs-maßnahmen für ländliche Räume und pendelnde Arbeitnehmer sowie von kräftigen Investitionen zur Verbesserung des Nicht-Straßenverkehrs begleitet sein. Nur wenn über eine Modernisierung der Bundesbahn und einen umfassenden Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs praktikable und preiswerte „Umsteigemöglichkeiten“ geboten werden, kann eine „Umsteuerung über den Preis“ erfolgreich sein; Ge-und Verbote müssen ergänzend hinzukommen. Konkret: Fünf bis zehn Milliarden DM sind mit im Verlauf ansteigender Tendenz jährlich zum Ausbau und zur Modernisierung der Bundesbahn (komplette Elektrifizierung, schnelleren Verkehr zulassende Trassenführung, IC-Anschlüsse an jedem Flughafen mit dem Fernziel, Flugverkehr auf Kurzstrecken sowie Schwerlast und gefährliche Güter im Fernverkehr zu verbieten sowie Innenstädte für PKWs total zu sperren) einzusetzen. Beide Maßnahmen bringen spürbare Beschäftigungseffekte und Rückgang der Schadstoff-belastungen aus dem Verkehr. 3. Kräftige Aufstockung der Mittel für Städtebau und Dorfsanierung unter ausdrücklicher Einbeziehung der Sanierung alter Industriestandorte und Kanalnetze in die Verwendungsmöglichkeiten dieser Mittel. Um einen wirksamen Einsatz auch in finanzschwachen Kommunen zu gewährleisten, Verzicht auf deren Drittelbeteiligung in allen Arbeitsamtsbezirken mit mehr als acht Prozent Arbeitslosenquote und auf die Hälfte der Eigenbeteiligung bei Arbeitslosenquoten zwischen vier und acht Prozent.

4. Gemeinsame Bund/Länder-Programme — für eine beschleunigte Modernisierung aller kommunalen Kläranlagen und — zur Rekultivierung der Waldböden mit anschließender naturnaher Aufforstung geschädigter Wald-flächen. Nicht nur der „saure Regen“ hat das Waldsterben verursacht, Bodenerosionen und mangelnde Wald-pflege kommen hinzu. Nur wenn die zu beschleunigende Verminderung der Schadstoffemissionen durch „altmodische“ Bearbeitung der Forsten ergänzt wird, sind die Wälder zu retten. Da von den zwei Millionen Arbeitslosen rund die Hälfte keine Berufsausbildung hat, drängen sich hier großangelegte Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen mit vorausgehender Qualifizierung geradezu auf.

5. Verstärkung des Dienstleistungsangebots an humanen Diensten und Aufbau eines flächendeckenden Netzes ambulanter sozialer Dienste. Die Bundesrepublik ist gegenüber Skandinavien, aber auch im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten, im Angebot an „Humandiensten“ ein unterentwickeltes Land: Der Beschäftigungsanteil der Humandienste — Gesundheit, soziale Dienste, Bildung — beträgt in Schweden 25, 5 Prozent, in den Vereinigten Staaten 17, 8 Prozent, in der Bundesrepublik jedoch nur 10, 7 Prozent Der Pflegenotstand in Altersheimen und Krankenhäusern erfordert eine kräftige Ausweitung der dort Beschäftigten ebenso wie das zunehmende Lebensalter und die Vereinsamung alter Menschen in ihrer häuslichen Umgebung.

6. Intensivierung und Erweiterung der Qualifizierungsmaßnahmen für Arbeitslose, um sie mit den Produktions-und Verwaltungsbedingungen nach Einsatz neuer Technologien vertraut zu machen, sowie Erweiterung der Qualifikationsmöglichkei-ten für Arbeitnehmer während der Erwerbsarbeit. Den Investitionen in neue Technologien und für neue Produktionsverfahren müssen bildungspolitische Anstrengungen für die Beschäftigten entsprechen. um zu sozialverträglicher Anwendung und sozialer Akzeptanz der neuen Technologien zu kommen (Erweiterung der Mitbestimmungsmöglichkeiten sind dafür unverzichtbar). 7. Zügige Fortsetzung der Arbeitszeitverkürzungen in jeweils den einzelnen Wirtschaftszweigen entsprechenden Formen. Das gegenwärtig im Mittelpunkt der gewerkschaftlichen Tarifpolitik stehende Ziel der 35-Stunden-Woche darf nicht zur Vernachlässigung der Möglichkeiten einer Verkürzung der Lebens-und der Jahresarbeitszeit führen, die für bestimmte Branchen (z. B. Baugewerbe und Gastronomie) Arbeitnehmern und Arbeitgebern Vorzüge bietet. Aber nur Arbeitszeitverkürzungen mit Lohnausgleich sind gesamtwirtschaftlich sinnvoll, bei „Lohnverzichten“ wird nicht eine Ausdehnung der Beschäftigung sondern das Gegenteil erreicht.

Die obigen Eckpunkte entsprechen einer „gebündelten Strategie“, wie sie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung schon 1984 erarbeitet und durchgerechnet hat, daß diese Strategie „zu einer Halbierung der Arbeitslosigkeit nach sechs Jahren“ führen würde Von 1989 aus gerechnet, wäre dies Mitte der neunziger Jahre erreicht; von da ab wird das Beschäftigungsproblem durch die sich dann kräftig verändernde Bevölkerungskurve erleichtert. auch wenn die Erwerbsbeteiligung der Frauen und der Anteil der Aus-und Übersiedler zunehmen wird (diese sind zugleich aber auch nachfragende Konsumenten).

Natürlich stellt sich auch für dieses Programm die Finanzierungsfrage — die verteilungspolitisch unsinnige und beschäftigungswidrige „Steuerreform 1990“ ist gelaufen. Doch für beschäftigungswirksame Investitionen und andere Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität gäbe es einen soliden Finanzsockel, wenn die Deutsche Bundesbank von den für eine Zentralnotenbank völlig abwegigen Bilanzierungsvorschriften des Handelsrechts befreit würde.

Die Anwendung des aus guten Gründen des Gläubigerschutzes im Handelsrecht vorgeschriebenen Niederstwertprinzip führt bei der Bundesbank dazu, daß beispielsweise 1987 von den eingehenden Zinserträgen 8. 6 Milliarden DM für „Abschreibungen auf Währungsreserven und sonstige Fremdwährungspositionen“ aufgrund des Dollar-Tiefstkurses von DM 1, 58 ausgebucht wurden 20). Der Goldbestand der Bundesbank wird seit ihrem Bestehen mit 13, 68 Milliarden DM bewertet, das ist inzwischen etwa ein Zehntel des tatsächlichen Marktpreises. Die Bundesbank hat aber keine Gläubiger, zu deren Sicherung Reserven dieser Größenordnung gebildet werden müßten. Sie betreibt mit dieser — durch das Bundesbankgesetz ihr vorgegebenen — Bilanzgestaltung Reduzierungen der Geldmenge und der öffentlichen Einnahmen zum konjunkturell ganz falschen Zeitpunkt. Mit einer Streichung dieser Vorschrift und einer behutsamen Anpassung der Aktiva der Bundesbank an den Marktwert ließe sich eine mittelfristige Stabilisierung der Bundesbankgewinne als solide Finanzbasis öffentlicher Investitionen finden.

Natürlich kann mit Rücksicht auf das Volumen des Geldkreislaufs keine ruckartige Bewertung der Goldbestände der Deutschen Bundesbank nach dem Marktpreis erfolgen. Aber es gibt auch keinen vernünftigen Grund, den vorsintflutlichen „Einstandspreis“ auf Zeit und Ewigkeit beizubehalten und damit Reservenbildung um der Reserven willen zu praktizieren. Reserven werden in Zeiten des Überflusses zur Verwendung in schlechteren Zeiten angelegt. Die „stille Reserve“ Gold und Devisen bei der Bundesbank entstand im Laufe der Zeit durch den Aufwärtstrend des Marktpreises für Gold und den sinkenden Dollarkurs. Beides wird von der Bilanzierung nach dem Niederstwertprinzip ignoriert.

Die damit verbundene künstliche Reduzierung der Aktiva der Bundesbank ist in Zeiten überschäumender Konjunktur und bei Vollbeschäftigung vernünftig — doch Vollbeschäftigung haben wir nicht. Zwei Millionen registrierte Arbeitslose und eine Vielzahl aus Finanzierungsgründen zurückgestellter Infrastruktur-und Umweltschutzprojekte sind Anlaß genug, an einen vernünftig dosierten Einsatz „stiller Reserven“ zu denken. Eine mittelfristige Stabilisierung der Bundesbankgewinne auf rund 15 Milliarden DM jährlich durch behutsame Anpassung der Bewertung der Gold-und Devisenbestände an den Marktwert wäre hierzu ein geeigneter Weg, wobei die Größenordnung der jeweils an die Bundeskasse abgeführten Gewinne natürlich bei der Festsetzung des Geldmengenzieles beachtet werden muß.

Die Einpassung in das jeweilige Geldmengenziel schließt stabilitätspolitische Befürchtungen aus. Im übrigen müßte je nach Konjunktur-und Beschäftigungslage, Kapazitätsauslastung und Investitionsbedarf das Heranführen der Bewertung der Bundesbankreserven an den Marktwert in größeren bzw. kleineren Schritten erfolgen — eine vernünftige Ergänzung des Instrumentariums des Stabilitäts-und Wachstumsgesetzes durch die Notenbank-politik, die durch strikte Begrenzung der Verwendung ausschließlich für gemeinsame Bund/Länder/Kommunen-Investitionsprojekte abgesichert werden kann.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Ralf Dahrendorf. Die Arbeitsgesellschaft ist am Ende, und: Wenn Arbeit durch Tätigkeit ersetzt wird, in: Die Zeit vom 26. November und 3. Dezember 1982.

  2. Andr Gorz, Abschied vom Proletariat, Frankfurt 1980.

  3. Jacques Julliard, Die Neudefinition der Arbeit — eine wirtschaftliche Notwendigkeit, in: Aufbrüche, hrsg. von Freimut Duve und Friedrich Krotz, Hamburg 1986. S. 617.

  4. Kurt Biedenkopf. Die Sachzwänge werden die Barrieren der Ideologien überwinden, in: Frankfurter Rundschau vom 19. November 1987.

  5. Peter Glotz. Die Malaise der Linken, in: Der Spiegel vom 14. Dezember 1987.

  6. Meinhard Miegel/Stefanie Wahl. Gesetzliche Grundsicherung/Private Vorsorge — Der Weg aus der Rentenkrise. Stuttgart 1985, S. 46.

  7. So der Bischof von Trier, Hermann-Josef Spital, in der Saarbrücker Zeitung vom 27. November 1987.

  8. Werner Sengenberger. Mangelnde Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt als Ursache der Arbeitslosigkeit?, in: Hans-Jürgen Krupp/Bcrnd Rodwer/Kurt W. Rothschild. Wege zur Vollbeschäftigung, Freiburg 1986. S. 105 f.

  9. Wilhelm Hankel. John Maynard Keynes. Die Entschlüsselung des Kapitalismus, München-Zürich 1986. S. 31 f.

  10. Fritz Scharpf, Sozialdemokratische Krisenpolitik in Europa. Frankfurt-New York 1987, S. 185.

  11. So Franz Vranitzky auf der Jahrestagung der Unternehmerverbände in Niedersachsen. Hannover, am 29. Februar 1988.

  12. 1987 betrug die Erwerbsquote insgesamt in Schweden 52. 6 Prozent, in den USA 48. 6 Prozent, in der Bundesrepublik 47, 7 Prozent und in Österreich 45, 1 Prozent. Die Frauenerwerbsquote lag in Schweden bei 49, 9 Prozent, in den USA bei 44. 4 Prozent, in der Bundesrepublik bei 36. 2 Prozent und in Österreich bei 34. 5 Prozent; vgl. Statistisches Jahrbuch. Wiesbaden 1989. S. 666.

  13. F. Scharpf (Anm. 13). S. 205.

  14. Vgl. Herbert Ehrenberg, Der Gegensatz zwischen Ökologie und Ökonomie existiert nicht, in: Frankfurter Rundschau vom 9. Juni 1983.

  15. Vgl. Martin Rein, Woman in the Social Welfare Labor Market. Discussion Papers. Wissenschaftszentrum Berlin. Berlin 1986, S. 155 ff.

  16. Vgl. Herbert Ehrenberg, Der Gegensatz zwischen Ökologie und Ökonomie existiert nicht, in: Frankfurter Rundschau vom 9. Juni 1983.

Weitere Inhalte

Herbert Ehrenberg, Dr. rer. pol., geboren 1926; von 1976 bis 1982 Bundesarbeitsminister; direkt gewählter BundestagsAbgeordneter des Wahlkreises Wilhelmshaven/Friesland seit 1972, Veröffentlichungen u. a.: Lohnpolitik heute, Stuttgart 1963; Zwischen Marx und Markt. Konturen einer infrastrukturorientierten und verteilungswirksamen Wirtschaftspolitik, Frankfurt 19752; (mit Anke Fuchs) Sozialstaat und Freiheit, Frankfurt 1980; Mehr Arbeitsplätze ohne Lohnverzicht. Für einen neuen Konsens in der Wirtschaftspolitik, Bonn 19892.