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Ein historisches Dokument aus dem Jahre 1956. Brief an den DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl | APuZ 11/1990 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 11/1990 „Weiße Flecken“ in der DDR-Geschichtsschreibung Ein historisches Dokument aus dem Jahre 1956. Brief an den DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl Kontinuität und Wandel im DDR-Geschichtsbild Die Sowjetische Militäradministration in Deutschland. Organisation und Wirkungsfelder in der SBZ 1945— 1949 Die Gesellschaftspolitik der KPD/SED 1945-1949

Ein historisches Dokument aus dem Jahre 1956. Brief an den DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl

Kurt Müller

/ 43 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Im März 1950 wurde Kurt Müller, damals 2. Vorsitzender der westdeutschen KPD, von der SED nach Ost-Berlin bestellt und dort sofort verhaftet. Er war der erste führende Kommunist, den das Ministerium für Staatssicherheit festnahm, um von ihm „Geständnisse“ für einen Schauprozeß zu erpressen. Nach Verurteilung und Haft in der UdSSR konnte er 1955 in die Bundesrepublik zurückkehren. Kurt Müller schrieb am 31. Mai 1956 einen Brief an Otto Grotewohl, in dem er auf die Verbrechen des Ministeriums für Staatssicherheit und speziell des damaligen Staatssekretärs Erich Mielke hinwies. Dieses Dokument — das hier erstmalig veröffentlicht wird — zeigt in Einzelheiten die Vorbereitung eines Schauprozesses in der DDR und die stalinistischen Methoden der Staatssicherheit.

Vorbemerkung von Hermann Weber:

Mit dem Umbruch in der DDR im Oktober 1989 ist die Diskussion über die stalinistische Vergangenheit dort rasch in Gang gekommen. Besondere Aufmerksamkeit galt den Machenschaften des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Diese DDR-Geheimpolizei wurde aufgelöst, der jahrelange Chef des MfS, Erich Mielke, sogar am 8. Dezember 1989 verhaftet.

Die Vorwürfe in den DDR-Medien gegen Mielke galten dem aufwendigen Lebensstil. Neues Deutschland schrieb über Mielke: „Vater und Sohn im Jagdschloß“, „ 3 000 ha Wald für handverlesene Gäste“ usw. Entsprechend hat bisher die Unte 000 ha Wald für handverlesene Gäste“ usw. 1). Entsprechend hat bisher die Untersuchungskommission gegen Amtsmißbrauch und Korruption 2) vor allem auf diese Tatbestände abgehoben. Auch die Festnahme Mielkes (wie die anderer ehemaliger SED-Spitzenfunktionäre) erfolgte, weil sie „durch Amtsmißbrauch und Korruption die Volkswirtschaft der DDR schwer geschädigt und sich persönlich bereichert“ haben 3).

Was jedoch bisher kaum thematisiert und durch diese Vorwürfe überdeckt wird, sind die Rolle des MfS und Mielkes direkte Beteiligung bei der Vorbereitung politischer Prozesse in der DDR, insbesondere bei den Säuberungen Anfang der fünfziger Jahre. Auch die jüngsten Sitzungen des Untersuchungsausschusses der Volkskammer befaßten sich mehr mit Korruption und weniger mit den politischen Vergehen. Das MfS und seine Aktivitäten wurden nicht behandelt Erst am 15. Januar 1990 wurden die Ermittlungen gegen Mielke (und gegen Honecker) auf Hochverrat und verfassungsfeindlichen Zusammenschluß ausgedehnt

Wie notwendig aber gerade die Aufarbeitung der politischen Verbrechen ist, zeigt der folgende Brief. Kurt Müller hat ihn am 31. Mai 1956 an den damaligen Vorsitzenden des DDR-Ministerrates, Otto Grotewohl, geschrieben. Dieses hier erstmals veröffentlichte Dokument kann sowohl Licht in das Dunkel der Praktiken des MfS bringen, als auch die Rolle von Erich Mielke seit jener Zeit beleuchten. Dieser Brief Kurt Müllers ist in erster Linie als ein historisches Dokument zu bewerten. Kurt Müller, geb. 1903, war schon in der Weimarer Republik ein führender deutscher Kommunist. Er wurde Mitte 1929 Vorsitzender des Kommunistischen Jugendverbandes Deutschlands. Das XL Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale wählte ihn 1931 in Abwesenheit als Kandidat in sein Präsidium, um ihn zur Jugendarbeit einzusetzen. Er wurde als Anhänger von Heinz Neumann — der als Opfer Stalins 1937 erschossen und erst jetzt offiziell rehabilitiert wurde — Ende 1932 abgesetzt und war 1933/1934 nach Gorki verbannt. 1934 kehrte Müller nach Deutschland zurück und leitete die illegale Arbeit der KPD in Südwestdeutschland. Im gleichen Jahr von der Gestapo verhaftet, saß er sechs Jahre im Zuchthaus Kassel und mußte dann bis 1945 ins KZ Sachsenhausen. Nach 11 Jahren Haft für die KPD wurde er 1945 Parteivorsitzender in Niedersachsen und im April 1948 stellvertretender Vorsitzender der KPD in Westdeutschland, 1949 zog er für diese Partei in den 1. Deutschen Bundestag ein.

Von der SED nach Ost-Berlin bestellt, wurde er dort am 22. März 1950 vom MfS verhaftet. Damit war Kurt Müller der erste führende Kommunist, den das MfS festnahm. Im August 1950 folgten weitere wie Leo Bauer, Willy Kreikemeyer u. a. Mielke persönlich ließ nichts unversucht, um von Kurt Müller für einen geplanten Schauprozeß (ähnlich dem Prozeß gegen Rajk in Ungarn) „Geständnisse“ zu erpressen. Über seine widerrechtliche Inhaftierung, die unglaublichen Anschuldigungen und infamen Verhör-methoden berichtet Kurt Müller im folgenden Dokument. Das sowjetische Komitee für Staatssicherheit (KGB) hatte ihn — entsprechend den damaligen stalinistischen Methoden durch Fernurteil -zu 25 Jahren Haft verurteilt. 1955 war er aus der Haft in der UdSSR in die Bundesrepublik Deutschland entlassen worden. Nach Chruschtschows Enthüllungen auf dem XX. Parteitag der KPdSU im Februar 1956 und den zögerlichen Anfängen einer „Entstalinisierung“ auf der 3. Parteikonferenz der SED im März 1956 schrieb Kurt Müller dann den ausführlichen Brief an den DDR-Regierungschef. Anhand der bis 1968 geltenden Verfassung von 1949 und der seinerzeitigen Strafgesetze wies Kurt Müller die Verbrechen des MfS und speziell Mielkesdetailliert nach. Er forderte ein Ermittlungsverfahren und die Inhaftierung der dafür Schuldigen sowie die öffentliche Feststellung, daß die Anschuldigungen gegen ihn auf Grund ungesetzlicher, strafbarer Handlungen fabriziert worden waren.

Kurt Müllers faktische Verschleppung hatte nach 1950 mehrfach den Deutschen Bundestag beschäftigt. So wurde sein Brief an Grotewohl auch von Herbert Wehner — damals Vorsitzender des Ausschusses für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen des Bundestages — am 9. Juni 1956 per Einschreiben nach Ost-Berlin abgeschickt. Nachdem er keine Antwort erhalten hatte, schrieb Kurt Müller nochmals am 7, August 1956 an Grotewohl (wiederum per Einschreiben): „Herr Ministerpräsident!

Mit Schreiben vom 31. Mai 1956 wandte ich mich an Sie in der Angelegenheit meiner verfassungswidrigen und ungesetzlichen Verhaftung. Auf dieses Schreiben, das an alle Mitglieder der Regierung gerichtet war, erhielt ich bis heute keine Antwort. Ich muß Sie deshalb nochmals ersuchen, mir mitzuteilen, was Sie in dieser Sache unternommen haben und bis wann ich mit der Klärung dieser Angelegenheit rechnen kann.

Ich betone nochmals, daß, falls Sie das Ihnen nun seit Monaten vorliegende Material nicht für ausreichend betrachten, ich noch weitere Unterlagen zur Verfügung stellen werde.“

Daraufhin bekam er im September eine lapidare Mitteilung mit Stempel, aber ohne Anrede und mit unleserlicher Unterschrift vom 21. 9. 1956: „Ihre Schreiben vom 31. Mai 1956 und vom 7. August 1956 sind zum Anlaß von Nachprüfungen gemacht worden. Ihnen ist diese Tatsache bekannt. Da die eingeleiteten Maßnahmen noch nicht abgeschlossen sind, kann Ihnen heute eine Antwort noch nicht erteilt werden. Büro des Präsidiums des Minister-rats.“

In den folgenden nun fast 35 Jahren hat Kurt Müller in seiner Angelegenheit aus der DDR nichts mehr gehört. Kein Wunder, denn der Beschuldigte, der damalige Staatssekretär Mielke, rückte 1957 zum Minister für Staatssicherheit auf, wurde 1971 Kandidat, 1976 sogar Mitglied des Politbüros der SED und übte beide Funktionen bis November 1989 aus. Diese Machtfülle Mielkes war die Personifizierung der stalinistischen Strukturen der DDR. Inzwischen hat sich dort die Situation radikal gewandelt, und so erscheint eine Veröffentlichung dieses wichtigen Dokuments sinnvoll. Es ist hier unverändert wiedergegeben; wo unbedingt notwendig, sind von mir einige erläuternde Fußnoten angefügt worden. 31. Mai 1956.

An die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik z. Hd.des Herrn Ministerpräsidenten Otto Grotewohl, Berlin Herr Ministerpräsident!

Wie ich der Zeitung „Neues Deutschland“ entnehme, haben Sie auf der 3. Parteikonferenz der SED im März 1956 in Berlin gegen Willkürakte, Rechtsbrüche und ungesetzliche Handlungen von Funktionären des Staatsapparates der DDR Stellung genommen Ihren Worten ist zu entnehmen, daß Ihre Regierung gegen jeden Bruch der Verfassung, der Gesetze und Rechtsnormen den entschiedenen Kampf führen will. Diese Ihre Stellungnahme gegen Ungesetzlichkeiten und Rechtsunsicherheit veranlaßt mich. Ihnen meinen Fall eines eklatanten Justizverbrechens, begangen von Staats-funktionären des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, vorzutragen und Sie zu ersuchen, Ihren Ankündigungen entsprechend gegen die Schuldigen nach den Gesetzen vorzugehen.

Bereits in meinem Schreiben an den Generalstaatsanwalt der UdSSR, R. A. Rudenko, vom 6. März 1955 legte ich dar, daß meine Verhaftung am 22. März 1950 in Berlin, sowie die gegen mich durchgeführte „Untersuchung“ durch die Organe der Staatssicherheit der UdSSR und DDR und meine Verurteilung auf administrativem Wege unter Bruch jeglichen elementaren Rechts und unter gröblichster und bewußter Mißachtung der Verfassungen der UdSSR und DDR erfolgten.

Ich schrieb dem Herrn Generalstaatsanwalt der UdSSR, daß die Anklage gegen mich fabriziert wurde, daß zu meiner Belastung von Staatsfunktionären der DDR und UdSSR Dokumente und Aussagen gefälscht und verfälscht wurden, daß Amtspersonen der Staatssicherheitsorgane Zeugen erpreßt und zu falschen Aussagen verleitet haben und auch bei den „Vernehmungen“ andere verbrecherische Mittel und Methoden des psychologischen und physischen Druckes anwandten — Handlungen, die nach den Gesetzen der UdSSR wie auch der DDR unter schwerer Strafe stehen.

Ich bewies dem Herrn Generalstaatsanwalt der UdSSR in dem oben genannten Schreiben, daß ich mich in keiner Weise gegen Gesetze der UdSSR und DDR vergangen habe, meine Verhaftung daher einen Willkürakt darstellt.

Der Herr Generalstaatsanwalt der UdSSR hat diese meine obigen Behauptungen zu Recht befunden und mich daraufhin aus der Haft nach Deutschland entlassen.

Hätten meine Behauptungen in dem Schreiben an den Herm Generalstaatsanwalt der UdSSR auch nur im geringsten nicht den Tatsachen entsprochen, so wäre meine Freilassung ohne Zweifel nicht erfolgt, sondern hätte ich mich vor einem Gericht der UdSSR wegen falscher Beschuldigung von Staats-organen zu verantworten gehabt. Wie Sie wissen und wie die Erfahrung beweist, wird eine falsche Anschuldigung von Staatsorganen in der SowjetUnion schwer bestraft.

Während meiner dreijährigen „Vernehmungen“ in Berlin wurde mir des öfteren gesagt, daß die Anleitung zu meiner Verhaftung und zu dem „Verfahren“ gegen mich von Berija und Abakumow gegeben worden sei.

Berija und Abakumow sind abgeurteilt Wenn diese Aburteilung von Berija und Abakumow als eine Verurteilung ihrer verbrecherischen, menschenunwürdigen Methoden bewertet werden soll, entsteht die Frage: Werden die Komplicen von Berija und Abakumow, die sich heute noch in führenden Stellungen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR befinden, zur Verantwortung gezogen? Der Hauptakteur meiner provokatorischen Verhaftung war der damalige Staatssekretär im Ministerium für Staatssicherheit der DDR Erich Mielke, der unter enger Anleitung des MGB-Generals für Deutschland, Kobulow arbeitete und meine „Sache“ unter der Bezeichnung „Verschlußsache Mielke“ führte.

Das gegen mich auf ungesetzliche Art fabrizierte Material umfaßt mehr als 1 000 Schreibmaschinen-Seiten.Es ist mir natürlich unmöglich, in diesem Schreiben auf alle Einzelheiten der in diesen mehr als 1 000 Seiten zusammengetragenen Erpressungen, Fälschungen und sonstigen Fabrikationen einzugehen. Ich muß mich auf einige Hauptpunkte beschränken:

I. Schon bei einer der ersten „Vernehmungen“, die Mielke persönlich gegen mich durchführte, erklärte er mir, daß er in höherem Moskauer Auftrage und mit Billigung der SED-Führung handele. Er brüstete sich, daß er ein alter Tschekist und Schüler Berijas sei, früher in der Ljubjanka gearbeitet habe und ich nicht der erste sei, den er fertig machen würde. Ja, er sprach sogar in seiner sadistischen Art davon, daß er schon mehrere liquidiert habe und dabei gewesen sei, wie Knorin. Bela Khun, Piatnitzki u. a. erledigt wurden. Mielke ergötzte sich daran, bei seinen „Verhören“ mir alle möglichen verabscheuungswürdigen Methoden der Liquidierung von Menschen zu erläutern, um mich dadurch gefügig zu machen. Er sprach sehr offen über seine menschenunwürdige Praxis, weil er sich in der Vorstellungswelt der Mielkes bewegte, daß derjenige, der sich erst einmal in ihren Klauen befindet, niemals mehr das Licht der Öffentlichkeit erblicken wird. Das ganze Niveau war dabei nur mit dem des Berliner Ringvereins „Immertreu“ vergleichbar. II. Allein schon meine Verhaftung am 22. März 1950 in Berlin, die unter Leitung von Mielke und dem Polizeioberrat Erich Scholz, unter aktiver Mitwirkung von Richard Stahlmann erfolgte, stellt einen groben Verfassungsbruch, ein Verbrechen gegen die Artikel 4, 134 und 136 der Verfassung der DDR dar.

Trotz all meiner direkt an Mielke gerichteten Forderungen wurde ich weder „am Tage nach dem Ergreifen dem Richter vorgeführt“, noch wurde eine richterliche Bestätigung meiner Verhaftung eingeholt, noch eine „Entscheidung des Richters über die Zulässigkeit der Haft“ herbeigeführt, noch wurde mir der Grund meiner Verhaftung durch Mielke als „Untersuchungsrichter“, geschweige denn — wie das die Verfassung vorschreibt — durch einen Richter eröffnet. Das allein ist schon glatter Verfassungsbruch, und meine Verhaftung damit eine ungesetzliche, d. h. eine vorsätzliche Freiheitsberaubung — ein Verbrechen nach §§ 239 und 341 des StGB der DDR § 239 des StGB der DDR besagt: „(1) Wer vorsätzlich und widerrechtlich einen Menschen einsperrt oder auf andere Weise des Gebrauches der persönlichen Freiheit beraubt, wird mit Gefängnis oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Wenn die Freiheitsentziehung über eine Woche gedauert hat, oder wenn eine schwere Körperverletzung des der Freiheit Beraubten durch die Freiheitsentziehung oder die ihm während derselben widerfahrene Behandlung verursacht worden ist, so ist auf Zuchthaus bis zu 10 Jahren zu erkennen.“

In Artikel 134 der Verfassung der DDR heißt es: „Kein Bürger darf seinen gesetzlichen Richtern entzogen werden.“ Gegen diesen klaren Verfassungsgrundsatz hat Mielke nicht nur durch seine obigen Handlungen verstoßen sondern darüber hinaus bewußten und wissentlichen Verfassungsbruch begangen, indem er mich persönlich entgegen Artikel 10 der Verfassung in der Nacht des 23-/24. August 1950 den Organen des sowjetischen MGB übergab. Dadurch bewirkte Mielke, daß ich dem gesetzlichen Richter vorenthalten und mir durch administrative Verfügung — also durch ein Ausnahmegericht besonderer Art — 25 Jahre Gefängnis ohne Anrechnung der Untersuchungshaft zudiktiert wurden. Das. obwohl Artikel 134 der Verfassung der DDR besagt: „Ausnahmegerichte sind unstatthaft“.

Als ich Mielke bei den „Verhören“ darauf hinwies, daß nach der Verfassung auf Wunsch des Verhafteten einer von ihm benannten Person innerhalb von 24 Stunden der Grund der Verhaftung mitzuteilen ist, verweigerte er eine solche Mitteilung mit den Worten „Hier bestimmen wir!“

Nachdem ich Mielke mitteilte, daß ich Abgeordneter des Deutschen Bundestages sei und unter dem Schutz parlamentarischer Immunität stände, antwortete er wörtlich „Das interessiert uns hier nicht. Ich bin erst dann zufrieden, wenn ich den ganzen Bonner Laden hier bei mir sitzen habe, und kann erst dann wieder ruhig schlafen, wenn ich Sie fertig gemacht habe!“

Weil meine Verhaftung entgegen jeglichen Rechts und Gesetz erfolgte, schrieb ich am 1. Mai 1950 eine Beschwerde an die leitenden Staatsfunktionäre der DDR und auch an Sie, Herr Ministerpräsident. Dieses Schreiben übergab ich Mielke persönlich zur Weiterleitung. Mielke antwortete daraufhin, „über Sie bestimmen wir hier, und ich denke nicht daran. Ihren Schrieb weiterzuleiten. Hier bei uns kommen Sie sowieso nicht mehr raus, oder kennen Sie etwa jemanden, der bei uns wieder rausgekommen ist? Stellen Sie sich darauf ein und machen Sie die gewünschten Aussagen, dann können Sie Ihre Lage verbessern.“

III. Was waren nun die „gewünschten Aussagen“? Das offenbarte sich bereits bei meiner zweiten „Vernehmung“ durch Mielke. Mielke erklärte mir bei dieser „Vernehmung“ ganz offen: „Sie sind doch ein politischer Mensch und müssen begreifen, daß wir in Deutschland einen großen Prozeß zur Erziehung der Partei und der Massen brauchen. In diesem Prozeß werden Sie der Hauptangeklagte sein.“ Er fügte hinzu, „Wir brauchen einen Prozeß wie den Rajk-Prozeß in Budapest“ und erklärte mir, daß dieser Prozeß, zu dem dann Betriebsdelegationen eingeladen werden sollen, unbedingt in acht bis neun Monaten steigen müsse.

Als ich Mielke auf seine dauernden Forderungen nach Aussagen sagte, daß ich unschuldig sei und nicht wisse, was ich aussagen solle, antwortete er: „Ich verbiete Ihnen das Wort unschuldig hier noch einmal zu gebrauchen. Sie wissen nicht, was Sie aussagen sollen? Ich habe Ihnen doch das Protokoll des Rajk-Prozesses übergeben lassen. Da wissen Sie doch, was Sie auszusagen haben.“ Diese Forderung, eine dem Rajk-Protokoll entsprechende Aussage zu machen, um den Rajk-Prozeß in Berlin zu kopieren, wurde dann im Laufe der „Vernehmungen“ von Mielke und anderen ständig wiederholt. Dabei wurden die mannigfaltigsten Methoden des physischen und psychologischen Druckes angewandt.

Der Plan eines Berliner Rajk-Prozesses war von Mielke und seinen Hintermännern von langer Hand vorbereitet! Mielke hat mir zu diesem Zweck, „damit ich wisse, was ich aussagen soll“, tatsächlich das „Protokoll“ dieses großen Budapester Justizverbrechens überreichen lassen. Kurze Zeit vor meiner Verhaftung wurde mir dieses Protokoll, wie sich jetzt ergab, im Auftrage von Mielke von dem Mitarbeiter des ZK der SED Erich Glückauf überreicht Und zwar eine ungarische Ausgabe in deutscher Sprache (Verlag Stephaneum, Budapest). Dieses Exemplar des Protokolls liegt als Be-weismaterial vor. In Deutschland war es noch nicht einmal erschienen

Dadurch wird bewiesen, daß Mielke und seine Hintermänner ihren Provokationsplan systematisch vorbereitet hatten, daß sie, da sie nicht die geringsten Belastungsmaterialien gegen mich hatten, sich die Aufgabe stellten, von mir eine Aussage zu erpressen nach „Materialien“, die mit mir überhaupt nichts zu tun haben — nach Materialien, die inzwischen offiziell als Fälschungen und Provokation anerkannt wurden.

Allein schon diese Handlung Mielkes, der Überreichung eines Protokolls einer anderen „Sache“, zu dem Zweck, um von einem Verhafteten eine in diesem Sinne gehaltene Aussage zu erlangen, stellt nach allen Strafgesetzbüchern ein schweres Verbrechen im Amt dar — wobei die Frage, ob Mielke mir persönlich das Provokations-Protokoll des Rajk-Prozesses überreicht hat oder dazu Helfershelfer benutzte, ob er es kurz vor der Verhaftung oder während der Haft überreichen ließ, unerheblich ist. Der Zweck ist entscheidend und der Zweck stellt ein Verbrechen dar.

Wenn es auch zu keinem solchen Prozeß in Berlin wie den Rajk-Prozeß — auf Grund besonderer Umstände — kam, so besagt das nicht, daß keine tief greifenden Korrekturen zur Sicherstellung von Gesetz und Recht durchzuführen sind.

IV. Für ihren provokatorischen Plan, der Durchführung eines Schauprozesses in Berlin, wollten Mielke, Erich Scholz und andere mich zu einem Terroristen machen. Ich sollte Terrorakte gegen Stalin vorbereitet haben. Ein Jahr lang hat man das behauptet. Plötzlich aber kam man auf eine neue Version. Mein sowjetischer „Untersuchungsoffizier“ erklärte mir nach diesem Jahr, „Stalin darf nicht mehr genannt werden. Sie haben Terrorakte gegen Woroschilow und Molotow vorbereitet.“

Diese terroristische Tätigkeit sollte ich nach der Behauptung von Mielke im Jahre 1934 in Gorki ausgeübt haben. In zahlreichen „Vernehmungen“ wiederholte Mielke immer wieder eintönig und stur: „Nennen Sie Ihre trotzkistischen Freunde aus Gorki.“ Als ich Mielke antwortete, daß ich keinen Trotzkisten aus Gorki kenne, sagte er „Ich hatte doch einen meiner Mitarbeiter zu Ihnen nach Frankfurt a. M. geschickt, der hat Ihnen doch Trotzkisten aus Gorki genannt.“

Tatsächlich war ein gewisser Götz Berger vor meiner Verhaftung bei mir in Frankfurt a. M., im Büro des Parteivorstandes der KPD. Berger war mir damals als Mitarbeiter des ZK der SED bekannt. Daß er Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit ist, erfuhr ich erst jetzt aus dem Munde von Mielke. Damals bei seinem Besuch in Frankfurt a. M. hat mir Berger tatsächlich Namen einiger Russen genannt, die — wie er sagte — in Berlin seien, aus Gorki stammen würden und mich kennen würden. Ich kannte aber keinen der von Berger genannten Namen und legte dieser Fragestellung keinerlei Bedeutung bei.

Aber diese Tatsache, daß Berger vor meiner Verhaftung von Mielke zu mir geschickt wurde, um mir Namen einzugeben, die dann für eine falsche Aussage Verwendung finden sollten, beweist nur erneut das Verbrecherische der Handlungen Mielkes.

Außerdem beweist dies den ganzen Unfug der gegen mich erhobenen Beschuldigung des Terrors. Selbst der dümmste Polizist wird doch, wenn er nur in etwa von der Richtigkeit der Anschuldigung gegen einen Menschen überzeugt ist, nicht seinen Mitarbeiter zu diesem schicken, um ihn nach angeblichen Komplicen zu fragen und ihn damit zu warnen. Noch dazu bei so einer Sache wie Terror!

Um mich dann des Terrors zu beschuldigen, haben Mielke und seine Mittäter eine Reihe von Protokollen gefälscht und verfälscht.

Es handelt sich zunächst um ein „Protokoll einer Aussage“ eines gewissen Fedotow. Fedotow selbst ist mir völlig unbekannt. Ich hatte noch nicht einmal, vordem Mielke ihn nannte, seinen Namen gehört. Fedotow soll im Jahre 1936 verhaftet worden sein Jetzt nach 14 Jahren tauchte plötzlich ein „Vernehmungsprotokoll" Fedotows bei meinen „Verhören“ auf. Beim Lesen dieses „Protokoll des Fedotow“ wird sofort offensichtlich, daß man in dieses „Protokoll“ meinen Namen hinein fabriziert hatte, denn die einfachsten Daten passen nicht zusammen.

In diesem Protokoll der „Vernehmung Fedotows“ heißt es fast wörtlich: „Frage: Welche Beziehungen hatten Sie zu dem Trotzkisten Kurt Müller? Antwort Fedotows: Anfang des Jahres 1934 kam Kurt Müller im Auftrage von Trotzki zu mir, um mir neue Instruktionen zu geben.

Frage: Welche Instruktionen überbrachte Ihnen Kurt Müller im Auftrage von Trotzki?

Antwort Fedotows: Kurt Müller berichtete, daß Trotzki und er der Meinung seien, daß die Zeit des ideologischen Kampfes vorbei ist, daß man zu physischen Methoden der Vernichtung der Führung der KPdSU und der Sowjetregierung übergehen und zu diesem Zweck Terrorgruppen organisieren müsse. Müller erteilte mir diesen Auftrag.

Frage: Was antworteten Sie dem Müller?

Antwort Fedotows: Ich sagte ihm, ich habe hier in Gorki genügend Leute zur Verfügung und werde sofort daran gehen, diese zu Terrorgruppen zu formieren.“ Alsdann „berichtet“ Fedotow in diesem „Protokoll“, daß Woroschilow und Molotow umgelegt werden sollten und zählt einige Dutzend Namen von Leuten auf, die er nach diesem „Auftrag“ zu Terrorgruppen formiert habe.

Diesem „Protokoll Fedotows“ schließen sich in den „Anklagematerialien“ gegen mich eine Anzahl anderer „Aussagen“ der von Fedotow genannten Mitglieder dieser Terrorgruppen an. In diesen „Protokollen“ sagen etwa 35 bis 40 mir völlig unbekannte Menschen eintönig aus, daß Fedotow sie für die Terrorarbeit angeworben habe, und in einigen wird gesagt, daß Fedotow ihnen erzählt habe, daß der Auftrag zur Bildung von Terrorgruppen direkt von Trotzki gegeben worden sei und Kurt Müller ihm diesen Auftrag überbracht habe.

In monatelangen Nachtverhören hatte Mielke immer und immer wieder behauptet, ich hätte Trotzki im April 1934 in Kopenhagen getroffen. Das hinderte jedoch den Mielke und seine Gehilfen nicht, später zu einer anderen Version überzugehen. Jetzt, im Jahre 1951, wurde mir plötzlich eine andere Variante vorgehalten. Eine neue gefälschte Aussage! Das „Protokoll der Aussage“ eines gewissen Olberg Ebenfalls ein Name, der mir bis zu diesem Zeitpunkt völlig unbekannt war.

Nach diesem neuen Fabrikat, einer „Aussage Olbergs vom Jahre 1936“, war dieser Olberg im Jahre 1935 in Paris und traf hier Sedow, den Sohn Trotzkis. Daß mir auch Sedow völlig unbekannt war, spielte dabei keine Rolle. In dieser „Protokollarischen Aussage“ Olbergs heißt es dann:

„Im Jahre 1935 traf ich in Paris Sedow, den Sohn Trotzkis, Sedow hatte mich bestellt und erzählte mir, daß im Jahre 1934 Kurt Müller, den er schon von Berlin her kenne, und mit dem er schon lange Jahre enge trotzkistische Beziehungen habe, bei ihm gewesen sei. Kurt Müller kam, nach den Worten Sedows, direkt aus Gorki von Fedotow und habe über die Lage in Gorki und über die Organisierung von Terrorgruppen in Gorki berichtet. Fedotow hätte aber in der Unterweisung von Terror-gruppen nicht die nötige Erfahrung.“ Deshalb — so heißt es in diesem „Dokument“ weiter — hätte Sedow den Olberg beauftragt, „sofort nach Gorki zu reisen, um dort die Terrorgruppen zu aktivieren“. Dann schildert dieses „Protokoll“, wie Olberg mit einem falschen Paß durch Ausnutzung des Intourist nach Gorki reiste, dort Fedotow traf und ihm natürlich sofort als erstes die Geschichte meines „Zusammentreffens mit Sedow im Jahre 1934“ berichtete.

Mielkes Gehilfe, Erich Scholz, versuchte dann noch, dieses Märchen weiter auszubauen, indem er in den nächtlichen „Verhören“ sich bemühte, Alexander Abusch und Albert Norden die sich in den Jahren 1934/35 in Paris aufhielten, in diese terroristische Arbeit einzugliedern.

Offensichtlich ist, daß die einzelnen Zeitbestimmungen für diese Protokollfälschungen meinem Lebenslauf entnommen wurden, der sich bei der Kader-Abteilung des ZK der SED befand. Mielke hat mir selbst gesagt, daß er im Besitze meines Lebenslaufes aus der Kader-Abteilung sei.

Zu dieser Terrorgeschichte muß ich folgendes bemerken: Alle diese „Protokolle“ tragen die Daten des Jahres 1936. Wären sie echt, so hätten sie seit 14 Jahren einer solchen Organisation wie dem MGB zur Verfügung gestanden — wären sie echt, so hätte mich das MGB schon 1945 verhaftet, denn diesem MGB war seit 1945 bekannt, daß ich mich seit dieser Zeit oftmals in seinem Eingriffsbereich befand. Es hat aber nichts unternommen, um einen so gefährlichen „Terroristen“, der die führenden Männer der Sowjet-Union angeblich umlegen wollte, unschädlich zu machen. Warum wohl? Weil vor meiner Verhaftung derartige Protokolle noch nicht existierten. Dieses schwer belastende Material taucht ausgerechnet in dem Moment auf. in welchem Mielke und seine Hintermänner den Plan der Durchführung eines großen Prozesses nach dem Beispiel des Rajk-Prozesses vorbereiten.

Wären diese „Protokolle“ echt, so bleibt auch unerklärlich, warum die MGB-Organe nichts unternommen haben, um auch nur im geringsten die Parteiführung der SED zu warnen und zu verhindern, daß ich all die führenden Funktionen in der westdeutschen KPD ausübte, die ich seit 1945 inne hatte. Ich 13 wurde doch gerade umgekehrt für sämtliche Funktionen in Westdeutschland von Mitgliedern des Pol-Büro der SED vorgeschlagen — diese haben mich also in alle Funktionen „eingeschleust“!

Herr Mielke will doch nicht etwa erfahrenen Menschen weismachen, daß das MGB derartig mit Blindheit geschlagen ist, bei Vorliegen derartig schwer belastender Materialien 14 Jahre zu warten, wo doch die Gefahr bestand, daß ich doch sicherlich von der Verhaftung von Fedotow, Olberg und anderer hätte erfahren und dann den Einwirkungsbereich des MGB hätte meiden können. Gerade weil derartige Materialien vor meiner Verhaftung nicht vorlagen, konnte es doch Mielke wagen, seinen Berger zu mir zu schicken, um mich für einen Prozeß reif zu machen.

All das beweist, daß alle diese „Protokolle“ erst für meine Verhaftung und sogar erst nach meiner Verhaftung für den vorgesehenen Berliner Rajk-Prozeß angefertigt wurden. Außerdem beweist ja der Budapester Rajk-Prozeß von 1949 selbst — der dem Mielke als Muster diente — zur Genüge, wie Protokolle und Dokumente gefälscht und Anklage-materialien fabriziert wurden. Diese Tatsachen wird doch wohl heute niemand mehr zu bestreiten wagen.

Wenn diese Fälschung von Protokollen und Fabrikation von Anklagematerialien durch Mielke und Co kein Verbrechen sind und nicht als strafbare Handlung zu werten sind, dann steht die Frage, was man als solche bezeichnen soll.

V. Wie im Budapester Prozeß, Rajk, so sollte ich in dem vorgesehenen Berliner Prozeß als Agent ausländischer Nachrichtendienste fungieren.

Zunächst sollte ich von Tito Spionageaufträge erhalten und zu diesem Zwecke Tito in Bled besucht haben. Als man damit aber nicht weiterkam, suchte man mir andere Spionageverbindung anzudrehen. Jetzt war ich mit einem Male „Agent“ des englischen und amerikanischen Geheimdienstes. Mein Spionagechef soll der englische Captain Hochfelder aus Hannover gewesen sein. Hochfelder ist mir tatsächlich bekannt. Ich habe ihn einmal im Jahre 1947 in seinem Büro gesehen. Damals, im September 1947, suchte ich Hochfelder in seinem Büro in Hannover zusammen mit Jungmann auf, um gegen irgendein Verbot zu protestieren. Das Ganze dauerte fünf bis zehn Minuten. Aus diesen fünf bis zehn Minuten wurde in den Händen Mielkes und Co eine große Spionagetätigkeit.

So hätte ich im September 1947 Hochfelder ersucht, mich zu unterstützen, um Max Reimann als Parteivorsitzenden der KPD abzusetzen und hätte mit Hochfelder einen entsprechenden Plan ausgearbeitet. Tatsache ist aber, daß Reimann erst im April 1948 Parteivorsitzender der KPD wurde. Also ich wollte nach dieser Version, gemeinsam mit Hoch-felder,Reimann bereits 7 Monate, bevor überhaupt daran gedacht wurde, Reimann zum Parteivorsitzenden zu machen, beseitigen. Hochfelder oder ich müssen eben — nach den Materialien der Staatssicherheit — Hellseher gewesen sein!

Dann hätte mir — ebenfalls nach den Materialien der Staatssicherheit — Hochfelder im Jahre 1948/49 die Anweisung gegeben, die Resolutionen des Informbüros über Jugoslawien und Tito in der Parteipresse nicht zu veröffentlichen und in der Partei nicht zu verbreiten, weil es sich bei diesen Materialien um Fälschungen und Provokationen handele. Was andere erst im Jahre 1955/56 erkannt haben, hat das MGB bereits im Jahre 1950 dem Hochfelder in den Mund gelegt. Es mußte esja auch wissen!

Von 16 KPD-Zeitungen hätten dann auf meine Anweisung nur 2 Zeitungen im Jahre 1949 die Resolution „Die KP Jugoslawiens in der Gewalt von Mördern und Spionen“ veröffentlicht. Ich nehme an, daß auch diese beiden Redakteure diese Veröffentlichung heute bedauern. Wenn Mielke zum Denken fähig wäre, so hätte er begreifen müssen, daß diese Resolution von einer so großen Zahl von Redakteuren nicht abgedruckt wurde, weil diese die Lügen über Tito nicht glaubten.

Schließlich wurde ich in den „Materialien der Anklage“ sogar zum Chef Hochfeiders befördert. Danach soll ich Hochfelder die Anweisung erteilt haben, Reimann verhaften und zu langjährigem Zuchthaus verurteilen zu lassen. Hochfelder hätte dann nach dieser Anweisung von mir mit General Robertson gesprochen. Daraufhin sei dann Reimann verhaftet worden.

Reimann war damals Anfang 1949 tatsächlich acht Wochen mit Unterbrechung von den Engländern verhaftet. Warum nur acht Wochen, frug mich der sowjetische „Untersuchungsrichter“? Und die Antwort war nach den „Anklagematerialien“ auch gleich zur Stelle. Dort ist zu lesen, daß mein „teuflischer Plan, Reimann für Jahrzehnte ins Zuchthaus zu bringen, durch den Massenprotest und Massen-druck vereitelt wurde.“

Es lohnt sich nicht, alle diese Märchen zu kommentieren. Den Kommentar dazu gab später der sowjetische Chef des MGB in Hohenschönhausen (1951), der mir sagte: „Daß der zweite Vorsitzende der KPD mit einem gewöhnlichen englischen Captain — später nannte er ihn sogar ironisch „Gefreiter Hochfelder“ — zusammen gearbeitet hat, ist nicht glaubwürdig. Sie müssen aussagen — fügte er hinzu — daß Hochfelder sich den Dienstgrad Captain nur zur Tarnung zugelegt hat. In Wirklichkeit ist er Oberst. Bei der deutschen Abwehr — ergänzte er — war das auch so, daß man sich geringere Dienstgrade zur Tarnung zulegte.“ Als ich nicht bereit war, Hochfelder zum Obersten avancieren zu lassen, kam aus der Provokationsund Sudelküche des Mielke eine neue Spionage-Version. Eine kleine „Dokumenten-Sammlung“! Diese Mielke-Produkte muß ich etwas ausführlicher wiedergeben: „Dokument“ Nr. 1. Ein Protokoll des Ministeriums des Mielke, des Ministeriums für Staatssicherheit. Bei diesem Ministerium in Potsdam — so heißt es in diesem „Protokoll“ — hat sich im Jahre 1950 ein Mann namens K. gemeldet, der sich als der persönliche Kurier des Bundestagsabgeordneten der SPD, Willy Brandt, auswies. K. bot — so geht es weiter — dem Ministerium für Staatssicherheit in Potsdam ein wichtiges Dokument, das er in der Berliner Wohnung des Abg. Willy Brandt entwendet habe, zum Kauf an. Selbstverständlich hat Mielke dieses „Dokument“ sofort „gekauft“. Und das ist: „Dokument“ Nr. 2. Das „gekaufte Dokument“ ist ein „Schreiben des Redakteurs und SPD-Mitgliedes Franz Tausch an den SPD-Bundestagsabgeordneten Willy Brandt“, geschrieben auf einem Briefbogen des SPD-Parteivorstandes.

Dieses „gekaufte Dokument“ lautet in etwa:

Berlin, den 22. Juli 1948 „Lieber Willy!

Ich muß Dir eine freudige Nachricht übermitteln. Am 17. Juli 1948, als ich in Hannover war, ist uns ein großer Erfolg gelungen. In der Wohnung des Dir bekannten Majors des Political Intelligence Service, Pope, in Benthe bei Hannover, hatten wir an diesem Tage eine Zusammenkunft mit dem 2. Vorsitzenden und Bundestagsabgeordneten der KPD Kurt Müller. Müller wurde von dem Chauffeur des Majors Pope in dessen Volkswagen nachmittags am Emst-August-Platz in Hannover abgeholt und nach Benthe gebracht. An der Zusammenkunft nahmen außer Pope, Mr. Dieck . . . (dann folgen drei weitere Namen englischer Offiziere) und auch ich teil. Ich trug die Uniform eines englischen Majors und wurde als Major . . . (folgt ein englischer Name) dem Müller vorgestellt.

Pope machte Müller den Vorschlag der Zusammenarbeit mit uns, und nach kurzem Zögern erklärte sich Müller bereit, uns alle laufenden Materialien und Anweisungen von Karlshorst und der SED-Führung zu liefern. 5 000 DM, die Pope Müller anbot, nahm er bereit-willigst an, und er machte sogar von sich aus den Vorschlag, daß im Falle seiner Verhinderung oder Unabkömmlichkeit Heta Fischer als seine Stellvertreterin zur Übermittlung aller Materialien fungieren solle.

Dieser Vorschlag wurde von Pope akzeptiert. Wir waren über diesen Erfolg sehr erfreut.

Ich muß Dir auch mitteilen, daß im Parteivorstand der SPD in Hannover über diese gelungene Anwerbung von Müller große Freude herrscht.

Ich hoffe, daß auch Du diesen großen Erfolg begrüßt und unsere Freude teilst. Besuche mich bitte am kommenden Sonntag in meiner Wohnung in der Rheinstraße.

Mit sozialistischem Gruß! Dein Franz Tausch“

Zu dem Inhalt dieses „Dokumentes“ muß ich folgendes bemerken: a) Ein Major Pope ist mir tatsächlich bekannt. Pope war von 1946 bis etwa April 48 bei der politischen Abteilung des Britischen Landeskommissars in Niedersachsen tätig. Ihm unterstand die Zulassung und Kontrolle aller politischen Parteien. Mit ihm hatten die leitenden Funktionäre aller politischen Parteien und die Regierungsmitglieder Niedersachsens zu tun. Herr Dr. Dr. Gereke kennt ihn also genau so, wenn nicht sogar besser als ich. Herr Pope hat auch in seiner damaligen Funktion im Jahre 1946 die Kundgebung von Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl in Braunschweig besucht, und am Tage nach der Kundgebung haben Pieck, Grotewohl und Stahlmann bei Herm Pope gefrühstückt. b) Das letzte Mal sah ich Herrn Pope im September 1947 anläßlich einer Zusammenkunft von fünf Vertretern des Landesvorstandes der KPD mit Vertretern der politischen Abteilung des Britischen Landeskommissars. Diese Zusammenkunft fand in Benthe bei Hannover in Popes Wohnung statt. Solche Zusammenkünfte waren damals mit Vertretern aller Parteien üblich, wie das auch der Besuch von Pieck und Grotewohl bei Pope beweist. Wenn man jeden Vertreter der KPD, der unter den damaligen Bedingungen nach der Kapitulation mit Vertretern der Militärregierung zusammenkam und nach geltenden Gesetzen und Verordnungen zusammenkommen mußte, der Spionage verdächtigen wollte, würden wohl kaum noch Funktionäre der KPD übrig bleiben, die nicht unter Verdacht gerieten. Dann würde wohl das eintreten, was mein sowjetischer „Untersuchungs“ -Offizier im Jahre 1952 einmal prophezeite: „Wenn erst einmal die Einheit Deutschlands geschaffen ist, werden wir uns alle, die mit den Engländern und Amerikanern Beziehungen hatten, hierher holen.“ Und er erklärte diese Notwendigkeit mit dem Hinweis auf Erfahrungen in Thüringen nach dem Abzug der Amerikaner. c) An der oben genannten Zusammenkunft in Benthe im September 1947 nahm auch ein Vertrauensmann des Herrn Mielke, ein gewisser Kurt Baumgarte teil. Dieser Baumgarte schrieb über diese Zusammenkunft einen Bericht. Diesen Bericht des Baumgarte hielt mir Mielke beim „Verhör“, lange bereits bevor der oben genannte gefälschte „Brief von Franz Tausch“ aufs Tapet kam, vor. Es ist ganz offensichtlich, daß der Ort Benthe, die Namen Pope, Dieck und andere, diesem Bericht des Baumgarte zur Anfertigung des „Tausch-Briefes“ entnommen wurden. d) Der englische Geheimdienst ist eine Organisation mit einer hundertjährigen Tradition und mit großer Erfahrung. Einen zweiten Vorsitzenden der KPD anzuwerben wäre doch wohl für diesen Geheimdienst keine alltägliche Angelegenheit. Einen solchen „Agenten“ würde man wie ein rohes Ei hüten. Wie aber stellt sich der kleine Moritz Mielke nach seinem „Dokument“ eine solche Anwerbung vor?

Da waren erst einmal gleich fünf englische Offiziere anwesend — sicherlich damit die Anwerbung recht bekannt wird. Dann war Herr Tausch anwesend, in englische Uniform verkleidet und unter falschem Namen vorgestellt. Warum der sich verkleiden mußte, ist ganz unerklärlich, wo ich ihn doch schon seit 1946 kannte. Sicherlich wollte der englische Nachrichtendienst bei mir für die Werbung Mißtrauen erzeugen — anders kann man wohl diese Idee Mielkes, die Verkleidung von Tausch, nicht deuten. Weiterhin mußte natürlich sofort der Parteivorstand der SPD „von dem Erfolg“ informiert werden. Und Franz Tausch mußte sofort, und dazu noch ausgerechnet aus Berlin, an Brandt in Berlin einen Brief schreiben, damit er Herrn Mielke in die Hände fällt. So leichtsinnig geht der englische Nachrichtendienst bei der Anwerbung eines wertvollen Agenten vor. Allein schon wegen dieser Dummheit, der Unterschätzung des englischen Geheimdienstes, müßte Mielke bestraft werden. e) Zu allem Überfluß muß ich aber noch bemerken, daß ich am 17. Juli 1948, dem Tage, an dem ich — nach Mielkes Materialien — für den englischen Nachrichtendienst „angeworben“ wurde, überhaupt nicht in Benthe, auch nicht in Hannover war. An diesem Tage war ich vielmehr in Berlin. Mir ist allerdings nicht bekannt, ob damals die Femsehtechnik so weit entwickelt war, daß man mich bei der Anwerbung als englischen Agenten in Benthe im Bildschirm hatte. Aber mit dem Fortschritt der Technik ergeben sich hier für die Phantasie des Herrn Mielke noch allerhand Möglichkeiten.

Dann soll ich noch von einem gewissen Herrn Wahrhaftig für den amerikanischen Nachrichten-dienst angeworben worden sein. Diese Sache klingt so unwahrhaftig, daß es sich nicht lohnt, darauf hier einzugehen, denn ich habe niemals einen Herm Wahrhaftig kennengelemt.

Als der Mielke mit all diesen Fälschungen nicht die von ihm gewünschten Resultate erzielen konnte und die Aussichten für die Konstruierung eines Berliner Rajk-Prozesses schwanden, schaltete sich, Herr Ministerpräsident, ein Ihnen direkt unterstehendes Amt, das „Amt für Informationen beim Ministerpräsidenten der DDR“ in die Provokation ein. Am 28. Juli 1950 veröffentlichte dieses Amt in der Zeitung „Neues Deutschland“ eine Mitteilung folgenden Inhalts: „In Westdeutschland wird der provokatorische Versuch unternommen, die Verhaftung des Agenten Kurt Müller in der DDR zu einer Verleumdungskampagne gegen den 1. Vorsitzenden der KPD, Max Reimann, auszunutzen.

Aus diesem Anlaß stellt das Amt für Informationen fest: Kurt Müller kam wie üblich zu einer Besprechung in das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik. Die Zeit seines Hierseins nutzte er zu verbrecherischen Handlungen im Dienst fremder Mächte aus. Darum wurde er von den Organen des Ministeriums für Staatssicherheit verhaftet.“

Diese amtliche Meldung Ihres Amtes für Informationen ist eine bewußte Falschmeldung, vom juristischen Gesichtspunkt eine strafbare Einmischung in ein laufendes Verfahren und als wissentlich falsche Aussage eines Staatsorganes zu werten.

Bei aller Skrupellosigkeit haben noch nicht einmal Herr Mielke oder seine Hintermänner während der dreijährigen „Untersuchung“ versucht, mir vorzuwerfen. daß ich die Zeit meiner „Anwesenheit in der DDR zu verbrecherischen Handlungen im Dienste fremder Mächte nutzte“. Warum wohl nicht? Weil ich überhaupt keine Besprechung in Berlin hatte, weil ich seit dem Moment des Antritts meiner Reise von Hannover an bis nach Berlin am 22. März 1950 nur noch mit Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit in Berührung kam; von diesen bis zu meiner Verhaftung am selben Tage ständig überwacht wurde, also seit Grenzübertritt schon jeder Handlungsfreiheit beraubt war.

Alle diese Verfälschungen und Fälschungen von Dokumenten und Protokollen über Terror und Spionage zu dem Zwecke, um damit einen willkürlich Verhafteten zu beschuldigen und ihm einen Prozeß zu machen, stellen ein sehr schweres Verbrechen dar. Werden diese Verbrechen bewußt und überlegt und noch dazu von Amtspersonen — wie in diesem Falle — begangen, so sind sie nach der einschlägigen Rechtsauffassung besonders hart zu bestrafen. VI. Ich blieb auch nicht davon verschont, während der „Vernehmung“ ein „Agent der Gestapo“ zu werden. Schon Anfang des Jahres 1950 wurde mir, um mich zum „Gestapo-Agenten“ zu machen, ein „Dokument“ vorgelegt. Es handelte sich um einen Bericht eines Karl Wloch aus Berlin Im Jahre 1946 (!) soll dieser Wloch dem Zentralsekretariat der SED den „letzten Wunsch“ des 1945 im KZ umgekommenen Fritz Bischof überreicht haben. Nach diesem Schriftstück des Wloch, das also seit 1946 im Safe des Zentralsekretariats der SED geschmort hat und das jetzt ausgerechnet nach meiner Verhaftung 1950 hervorgeholt wurde, soll Bischof im Jahre 1935 dem Wloch den Auftrag erteilt haben. falls er nicht mehr lebend aus der Gefangenschaft käme, der Partei mitzuteilen, daß ich ein „Agent der Gestapo“ sei, daß ich mich im Jahre 1934 vor Gericht von den Prinzipien der KPD losgesagt und die Sowjet-Union und die KPdSU verleumdet hätte.

Bischof ist mir selbstverständlich bekannt. Ich bin mit ihm zusammen am 23. September 1934 von der Gestapo verhaftet worden; war mit ihm im Zuchthaus Kassel-Wehlheiden und später bis zum Januar 1945 im K. Z. Sachsenhausen zusammen. Wloch war auch bis 1935 im Zuchthaus Kassel-Wehlheiden, und zwar als Kapo. Während im Allgemeinen alle politischen Gefangenen in Einzelhaft saßen, konnte sich Wloch im ganzen Zuchthaus frei bewegen. 1938 wurde Wloch zu Hitlers Geburtstag aus dem K. Z. Sachsenhausen entlassen.

Zu diesem „letzten Wunsch Bischofs“ hat der Wloch dann im Jahre 1951 beim MGB eine protokollarische Aussage gemacht, in welcher er aussagte, daß Bischof ihm seinen „letzten Wunsch“ beim Baden im Jahre 1935 im Zuchthaus Kassel-Wehlheiden übertragen habe, und daß Bischof im Jahre 1942 von Kassel-Wehlheiden in das Lager Esterwegen überführt worden sei.

Was ist dazu zu sagen?

a) Ebenso wie die Terrorgeschichte, die 14 Jahre im Panzerschrank des MGB geruht hat und auch nach 1945 bis zu dem Moment, wo der Plan eines Berliner Rajk-Prozesses geboren wurde, ruhte, hat also dieser „letzte Wunsch Bischofs“ seit 1946 im Safe des ZKder SED gelegen. Allein schon eine eigenartige Duplizität!

Obwohl der Wloch bereits im Jahre 1946 sein „belastendes Material“ der SED-Führung übergeben haben will, wurden mir nach 1946 von der SED-Führung viele führende Funktionen anvertraut. Auch eigenartig! Erst als man einen Prozeß vorbereiten will, wird diese Konserve aufgemacht, photokopiert und zu den Akten zu meiner Belastung gelegt. Alles das erscheint schon unglaubwürdig. Insbesondere wenn man das Zustandekommen der anderen „Dokumente der Anklage“ berücksichtigt, taucht schon die Frage auf, ob nicht der „letzte Wunsch“ Bischofs erst 1950 das Licht der Welt erblickte? b) Nun gibt es aber noch einen anderen Hinweis, der beweist, daß der „letzte Wunsch Bischofs“ von Wloch erst für den Prozeß gegen mich angefertigt wurde.

Wloch behauptet in seiner protokollarischen Aussage, daß Bischof im Jahre 1942 von Kassel-Wehlheiden in das Lager Esterwegen überführt worden sei. Diese Verlegung Bischofs nach Esterwegen ist eine bewußte Fälschung von Wloch, die von ihm gemacht wurde, um die Entlarvung seines gefälschten Dokumentes zu verhüten.

Bischof war niemals in Esterwegen. Er war vielmehr von Oktober 1942 bis Januar 1945 mit mir zusammen im Lager Sachsenhausen. Hier traf ich mich täglich mit ihm. Bischof wußte, daß ich in Sachsenhausen dem illegalen Lagerkomitee angehörte, er kannte meine illegale Tätigkeit im Lager. Nun überlege man, dem Wloch, den Bischof im Jahre 1935 nur fünf Minuten im Bad sprach, überträgt er seine „Warnungen“. In Sachsenhausen aber, in einer Zeit von mehr als zwei Jahren, trifft er sich fast täglich mit mir, dem „Gestapo-Agenten“, bespricht mit mir illegale Fragen, weiß, daß ich mich mit zahlreichen anderen illegal Tätigen treffe, und warnt keinen einzigen Menschen. Herr Mielke war doch nicht imstande, auch nur einen einzigen Zeugen für den „letzten Wunsch“ Bischofs aus dieser Sachsenhausener Zeit von mehr als zwei Jahren beizubringen, er hatte nur seinen „5 Minuten-Zeugen“ Wloch.

Ich zweifle natürlich nicht daran, daß. wenn Mielke gewußt hätte, daß ich in Sachsenhausen mehr als zwei Jahre mit Bischof zusammen war, er auch für die Sachsenhausener Zeit einige Wlochs beschafft hätte. Mielke hat mir ja selbst einmal wörtlich erklärt: „Wenn Sie keine Aussagen machen, lassen wir uns die Sache etwas kosten und werden Zeugen beschaffen, die Ihnen alles beweisen.“

Es ist natürlich absolut möglich, daß man das „Dokument Wloch" im Jahre 1950 in der Kader-Abteilung des ZK der SED „gefunden“ hat. Warum auch nicht? Mielke hatte ja die Möglichkeit, Materialien aus der Kader-Abteilung zu entnehmen. Warum sollte er auch nicht die Möglichkeit haben, welche einzuschleusen? Er brachte esja fertig, mir das Protokoll des Rajk-Prozesses als Muster für eine Aussage zuzustellen und durch Berger Namen von Trotzkisten für ein Geständnis einzugeben. Warum sollte er nicht mit einer solchen Kleinigkeit wie der, der Bereicherung der Akten der Kader-Abteilung mit dem „letzten Wunsch“ Bischofs fertig werden, zumal ja Bischof tot war. Und Tote können nicht mehr sprechen.

VII. In dreijähriger „Untersuchung“ wurde ich beschuldigt, die sogenannten „Kaderbriefe“ herausgegeben und in diesen Artikel gegen Reimann geschrieben zu haben. Besonders der obenerwähnte Erich Scholz war bemüht, ein solches Geständnis zu erpressen.

Die „Kaderbriefe“ sind wirklich in der Zeit von Juli 1948 bis März 1950 in Hamburg erschienen und wurden KPD-Funktionären per Post zugestellt. In diesen „Kaderbriefen“ sind tatsächlich diffamierende Artikel und Notizen über Reimann erschienen. So wurde z. B. in einer Nummer der „Kaderbriefe“ im Hinblick auf Reimann gesagt: „Wir haben von einem Führer genug, wir brauchen keinen zweiten.“ In einer anderen Nummer wurde der sittliche Lebenswandel Reimanns besprochen.

Wer sind nun aber die Herausgeber der „Kaderbriefe“? Diese „Kaderbriefe“ wurden von den Leitern des Informationsdienstes der SED — einer Einrichtung, die von Dahlem im Jahre 1948 geschaffen wurde — von Bruno Haid Walter Vesper und Willi Grünert herausgegeben.

Die Beweise dafür sind zahlreich. Ich hatte dafür schon kurze Zeit vor meiner Verhaftung einige schwerwiegende Beweismomente. Aber die „Untersuchung“ hat den endgültigen und ausschlaggebenden Beweis für diese Feststellung erbracht.

Nachdem mich die „Untersuchungs“ richter jahrelang beschuldigten, daß ich der Herausgeber der „Kaderbriefe“ sei, mußten mir Ende des Jahres 1952 endlich die „Kaderbriefe“ einmal vorgelegt werden. Das tat dann mein sowjetischer „Untersuchungs“ richter Boris. Ich erwartete natürlich die Originale der „Kaderbriefe“, aber ich bekam keine Originale zu sehen. Es waren Photokopien. Aber eigenartigerweise keine Photokopien von den Originalen, sondern Photokopien von Schreibmaschinenseiten, die auch in Schreibmaschinenschrift mit „Kaderbriefe“ überschrieben waren. Diese photokopierten Schreibmaschinenseiten waren aber auch nicht die Abschriften von den Originalen der „Kaderbriefe“.

Diese Photokopien habe ich sehr gründlich Seite für Seite gelesen und dann auf der Rückseite jedes Exemplars handschriftlich vermerkt, daß ich es gelesen habe. Das tat ich, selbst unter den erbärmlichen Verhältnissen der Haft, sehr gerne, denn was stellte sich heraus?

Die mir als „Kaderbriefe“ vorgelegten Photokopien deckten sich zwar inhaltlich mit den echten „Kaderbriefen“, sie waren ihnen ähnlich. Die in den mir vorgelegten Photokopien veröffentlichten Artikel behandelten dieselben Themen wie die. in den in Hamburg erschienenen hektographierten „Kaderbriefen“, aber die einzelnen Artikel in den Photokopien waren viel umfangreicher, länger und aus-führlicher als die in den Originalen (vergleiche besonders Nr. 8 der mir vorgelegten Photokopien — bei den „Anklageakten“ Nr. 1060 Ozo/Berlin MGB — mit derselben Nummer der in Hamburg erschienenen hektographierten „Kaderbriefe“!). Außerdem sind in den mir vorgelegten Photokopien eine Reihe von Notizen in einer früheren Nummer veröffentlicht als in den echten „Kaderbriefen“.

Was ergibt sich daraus? Mir wurden nicht die Original-„Kaderbriefe“ vorgelegt, sondern die Entwürfe resp. die Manuskripte zu den „Kaderbriefen“.

Es war also ganz logisch, daß ich, nachdem ich die mir vorgelegten Photokopien gründlich gelesen und auf der Rückseite abgezeichnet hatte, an meinen „Untersuchungs“ richter die Frage richtete: „Woher haben Sie denn diese „Kaderbriefe?“ Der „Untersuchungs“ richter Boris antwortete: „Von Bruno Haid vom ZK der SED.“

Also von Bruno Haid wurden die Entwürfe resp. Manuskripte der „Kaderbriefe“ für die „Untersuchung“ geliefert! Haid, Grünert oder Vesper werden doch nun nicht etwa behaupten wollen, daß sie ständig in den Besitz der Manuskripte der „Kaderbriefe“ und dazu noch der Manuskripte aller Nummern gelangten und die Herausgeber nicht kennen.

Wenn man diesen Regiefehler, von anderen Beweisen garnicht zu sprechen, betrachtet, so ergibt sich völlig klar, wer die Herausgeber der „Kaderbriefe“ waren: nämlich Haid in Zusammenarbeit mit Vesper und Grünert.

Mit den Mitgliedern und Funktionären der KPD wurde also hier ein hinterhältiges, niederträchtiges und provokatorisches Spiel getrieben.

Ich habe meinem sowjetischen „Untersuchungs“ richter Boris im Beisein eines Polizeioberrats des SSD an Hand einer Anzahl von Beweisen und Indizien bewiesen, daß Haid, Grünert und Vesper die Herausgeber der „Kaderbriefe“ waren. Er hörte sich meine Beweisführung ruhig an (sonst ging es bei den „Vernehmungen“ nicht so ruhig zu), machte sich Notizen und antwortete: „Wir werden Ihnen nicht erlauben, ehrliche und der Partei treu ergebene Genossen hier zu beschuldigen.“ Daraufhin brach er die „Vernehmung“ ab.

Es vergingen einige Wochen, und plötzlich legte mir derselbe „Untersuchungs“ richter Boris die Frage vor: „Was können Sie mir über die Spionagetätigkeit von Bruno Haid, Willi Grünert und Walter Vesper für den amerikanischen und englischen Nachrichtendienst sagen?“ Als ich darauf dem „Untersucher“ antwortete: „Nichts, Sie haben mir doch vor kurzer Zeit selbst gesagt, daß Haid, Grünert und Vesper ehrliche und der Partei treu ergebene Menschen seien“, antwortete er ganz gelassen: „Ja, damals stand die Sache noch nicht, jetzt haben wir die Aufgabe, diesen Apparat zu liquidieren, und da müssen Sie uns helfen und Aussagen machen. Wenn Sie keine Aussagen machen, beweisen Sie nur erneut, daß Sie unser Feind sind.“

Also weil enthüllt wurde, daß Haid, Grünert und Vesper die Herausgeber der „Kaderbriefe“ waren, mußte dieser „Apparat“ nunmehr liquidiert und sollten seine Mitarbeiter zu anglo-amerikanischen Agenten gestempelt werden, um sie als Mitwisser verhaften zu können.

Dieser Fall klingt so unwahrscheinlich und ist mit einfachem Menschenverstand kaum zu erfassen, aber er steht nicht als einzelner Fall da! Diese von grenzenloser Gemeinheit zeugende Haltung zeigte sich auch in anderen Fällen.

Um nur einen weiteren Fall kurz zu skizzieren:

Der damalige Vorsitzende der Zentralen-Partei-Kontroll-Kommission der KPD, Otto Niebergall hielt es für nötig, eine wissentlich falsche Aussage freiwillig beim MGB gegen mich zu machen. Aber diese Aussage war so plump erfunden, daß sogar die gerissenen Provokateure damit nichts anfangen konnten. Niebergall sagte aus, ich hätte einen gewissen Herbert Müller im Jahre 1945 in eine führende Funktion in der KPD in Ludwigshafen eingebaut, um die KPD zu zersetzen. Außerdem hätte er mich im Jahre 1949 bei einem konspirativen Gespräch mit einem Trotzkisten im Partei-büro der KPD überrascht. Es soll sich um ein Gespräch mit einem gewissen Banasch gehandelt haben, der nach Aussage des Niebergall während des Krieges aus der KPD ausgeschlossen worden sein soll.

Daß ich 1945 irgendeinen Menschen in der französischen Zone in Ludwigshafen in Funktion gebracht haben soll, paßt überhaupt nicht in das Konzept der „Untersuchung“. Und daß ich mit einem „alten Trotzkisten“ ein konspiratives Gespräch ausgerechnet unter den Augen der Zentralen-Partei-Kontroll-Kommission im Parteibüro durchgeführt hätte, erschien selbst dem „Untersucher“ als zu dumm. Mein „Untersuchungs“ richter bemerkte: „Der ist Vorsitzender der Zentralen-Partei-KontroIl-Kommission? Unglaublich!“ Und er schaltete um: „Sie wissen doch, daß ehemalige Westemigranten keine führende Funktion in der Partei ausüben dürfen. Niebergall war in der französischen Emigration — machen Sie eine Aussage über Niebergalls Tätigkeit für den amerikanischen Nachrichtendienst!“ VIII. Auch die bei der „Untersuchung“ angewandten Methoden des physischen und psychologischen Druckes und der Erpressung stellen nach allen Strafgesetzbüchern der Welt strafbare Handlungen dar. Über die verbrecherischen Methoden könnte man ein ganzes Buch schreiben. Ich kann mich auch hier nur auf einige wenige Beispiele beschränken: „Glauben Sie an ein Fortleben nach dem Tode? So etwas gibt es bei uns“ (Mielke). „Andere haben auch die gewünschten Aussagen gemacht, nicht alle sind erschossen worden. Die Aussagen gemacht haben, leben heute noch und nicht schlecht und arbeiten“ (Mielke). „Wir wollen Sie ja gamicht bestrafen, nach dem Prozeß holen wir Sie wieder zu uns zurück, und dann können Sie ruhig und gesichert leben, wir besorgen Ihnen dann eine Villa, oder wenn Sie wollen, richten wir für Sie eine Werkstatt ein. Sie sind nicht der erste, für den wir das machen, denken Sie an Ramsin der hat sogar eine hohe Prämie bekommen, der hat aber auch Aussagen gemacht“ (der Chef der sowjetischen „Untersuchung“ in Berlin-Hohenschönhausen). „Es gibt für Sie nur zwei Möglichkeiten, entweder Aussagen machen und dann später wieder frei arbeiten, oder keine Aussagen machen und ins Gras beißen“ (Mielke). „Was, Sie haben mit niemand gegen die Partei und Sowjet-Union zusammengearbeitet? Kennen Sie denn nicht die parteifeindlichen Gruppen und keine Emigranten aus den kapitalistischen Ländern in der KPD?“ (der MGB-General für Deutschland). Und der Chef der sowjetischen „Untersuchung“ am selben Tage direkt anschließend: „Sie müssen diese parteifeindlichen Gruppen mit sich verbinden und über die Leute Aussagen machen, dann holen wir diese einzeln hierher und machen eine Gegenüberstellung, und wenn dann noch einer leugnet, sagen Sie, Du Hundesohn, Du warst dort und dort dabei. In zwanzig Minuten wird der dann die Wahrheit sagen“

Alle diese Drohungen, Versprechungen, Eingebungsversuche und Provokationen waren ständig mit physischem Druck und mit Quälereien verbunden. Mielke hat seine „Verhöre“ in der Zeit von Ende März bis Mitte August 1950 stets nur nachts durchgeführt. Sie begannen täglich immer um 22 Uhr abends und endeten zwischen 4 und 6 Uhr morgens. Dabei mußte ich bei allen „Verhören“ während der ganzen fünf Monate immer die ganze Nacht über stehen. Tagsüber aber durfte ich nach 6 Uhr morgens nicht mehr schlafen.

Außerdem gab es ganze Perioden von Tag-und Nacht-„Verhören“. Diese Perioden dauerten 8 und 10 Tage, in denen man überhaupt nicht schlafen durfte. Das „Verhör“ war dann von morgens um 11 Uhr bis nachmittags um 125 Uhr und abends von 22 Uhr bis morgens um 6 Uhr.

Fünf Monate lang wurde ich im Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen in einer Wasserzelle gehalten. Das war eine Zelle ohne Fenster und ohne jedes Möbel, auf deren Fußboden immer etwa 2 Zentimeter Wasser stand.

Dann war ich in einer Zelle, etwas größer als eine Telefonzelle, eingesperrt.

Ein anderes Sinnbild des humanen Strafvollzuges, von dem Mielke mit Hinweis auf die Verfassung ironisch sprach, war eine Zelle in der Größe von 1, 80 : 1, 80 m, ohne Fenster, mit je einer Pritsche rechts und links von 80 cm Breite, so daß in der Mitte ein schmales Handtuch als „Gang“ blieb. An der Decke dieser Zelle war ein überstark saugender Ventilator angebracht, der Tag und Nacht ununterbrochen Bef. Dieses Inquisitionsverlies des zwanzigsten Jahrhunderts ist die Zelle Nr. 60 in Berlin-Hohenschönhausen, in der ich längere Zeit gehalten wurde, und die auch nach der Übergabe dieses Gefängnisses an die deutsche Staatssicherheit bestehen blieb.

Von dem Kohlenkeller des ehemaligen Krankenhauses in Berlin-Karlshorst, der Untersuchungsgefängnis genannt wurde, will ich hier nicht sprechen.

Es gab aber auch „Vernehmungen“ mit „Zuckerbrot“. Ende Mai 1951, nachdem ich wieder einmal bereits 10 Tage lang Tag und Nacht bis morgens 6 Uhr vernommen worden war, wurde ich eines Abends aus der genannten Zelle Nr. 60 im Gefängnis in Berlin-Hohenschönhausen zur „Vernehmung“ vorgeführt. Ich habe diese „Vernehmung besonderer Art“ bereits in meinem oben genannten Schreiben vom 6. März 1955 dem Generalstaatsanwalt der UdSSR ausführlich geschildert, will mich deshalb hier kurz fassen.

Diese „Vernehmung“ im Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen begann abends um 10 Uhr. Als ich das Vernehmungszimmer betrat, war außer meinem sowjetischen „Untersucher“ auch der Chef der sowjetischen „Untersuchung“ anwesend. Er bat mich in vertraulichem Ton, am Tisch Platz zu nehmen. Dann wurde die Tür abgeschlossen und auf den Schreibtisch eine Tischdecke gelegt. Mein „Untersucher“ betätigte sich als Oberkellner, indem er Schnaps, Schokolade, Eier, Butter, Wurst auftrug. Der Chef füllte die Gläser, erhob sein Glas auf mein Wohl und bemerkte, „wir müssen zusammenarbeiB ten“. Dann beugte er sich zu mir und sagte: „Hör mal, morgen mußt Du eine Aussage über die Spionagetätigkeit von Franz Dahlem machen Überleg Dir das bis morgen früh, denn heute schreiben wir nicht, beim Schnaps machen wir keine Vernehmungen“. Mein „Untersucher“ ergänzte: „Sie müssen über Dahlem eine solche Aussage machen, daß er morgen abend hier bei uns sitzt. Warum sollen Sie alleine den Kopf hinhalten? Dahlem hat Sie ja auch belastet“. Dann wieder sagte er: „Sie wissen doch, daß Dahlem schon in der Zeit vor 1933 Mitglied des Pol-Büro der KPD war. Dieses alte Mitglied des Pol-Büro wird nach der Besetzung Frankreichs von der Gestapo ergriffen, ohne daß die Gestapo ihm einen Prozeß macht. Andere einfache Funktionäre wurden von der Gestapo ermordet — aber das Mitglied des Pol-Büro, Dahlem, wird von der Gestapo geschont. Dahlem blieb am Leben. Womit hat sich Dahlem sein Leben bei der Gestapo erkauft — das m• üssen Sie auch aussagen.“

Ich weiß nicht, welcher Kodex eine derartige „Untersuchungsordnung“ erlaubt. Mir scheint, daß nach der modernen fortschrittlichen Gesetzgebung eine solche Praxis als Verbrechen gewertet wird. IX. Ich habe hier nur einige wenige Hauptpunkte strafbarer verbrecherischer Handlungen von Personen in Staatsämtern dargelegt. Ich könnte noch viel mehr darüber sagen. Ich glaube aber, daß diese Beispiele drastisch genug sind und genügen. Betonen muß ich jedoch noch, daß auch alle im Zusammenhang mit meiner Verhaftung von Mielke und seinen Hinter-und Vordermännern veröffentlichten Beschuldigungen gegen mich restlos unwahr sind und bewußte und überlegte Fälschungen darstellen. Aus dem Dargelegten ergibt sich:

a) Meine Verhaftung am 22. März 1950 in Berlin und die gegen mich durchgeführten Maßnahmen der „Untersuchung“, wie der Strafvollstreckung, stellen Verbrechen dar. Dieser Verbrechen haben sich Funktionäre des Staatsapparates und andere schuldig gemacht. Es handelt sich um das Verbrechen des schweren Verfassungsbruches, des wissentlichen und bewußten Bruches der Artikel 4; 134; 136 und 10 der Verfassung der DDR und um Verbrechen nach folgenden Paragraphen des Strafgesetzbuches der DDR: § 336 (Rechtsbeugung); §§ 239 (Freiheitsberaubung) und 341 (Freiheitsberaubung im Amt) in Verbindung mit § 234 (Menschenraub); § 344 (gesetzwidrige und unberechtigte Strafverfolgung); § 106 (Hinderung Abgeordneler); § 48 (Anstiftung und Verleitung zum Verbrechen); § 241 (Bedrohung mit einem Verbrechen); § 357 (Anstiftung und Verleitung Untergebener zu Straftaten); § 223 (Mißhandlung Wehrloser und Körperverletzung) in Verbindung mit § 340 (Mißhandlung und Körperverletzung im Amt); § 343 (Erpressung von Aussagen und Geständnissen. Anwendung von Zwangsmitteln in der Untersuchung unter Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben im Sinne des § 255 des StGB); § 240 (Nötigung im Amt); § 267 und § 348 in Verbindung mit §§ 271— 273 (Dokumenten-und Urkundenfälschung und Ürkundenfälschung im Amt); § 160 (Anstiftung und Verleitung zur falschen Aussage); § 164 (wissentlich falsche Anschuldigung); § 153 (wissentlich falsche Aussage); § 186 (Verbreitung unwahrer Tatsachen und üble Nachrede); § 187 (Verbreiten unwahrer Tatsachen wider besseres Wissen, Verleumdung); § 345 (verfassungswidrige und ungesetzliche Strafvollstrekkung).

Die Verfolgung und Aufklärung von Verbrechen ist Aufgabe der Staatsanwaltschaft. Einige der Verbrecher sind bekannt, nach anderen wird die Staatsanwaltschaft zu fahnden haben.

b) Für alle Schäden, die Personen durch Verbrechen von Staatsfunktionären zugefügt wurden, haftet der Staat. Jeder durch solche Verbrechen im Amt einzelnen Personen zugefügter Schaden an Leib, Leben und Gesundheit, wie auch materieller Schaden, ist vom Staate wiedergutzumachen und zu ersetzen.

Deshalb wolle die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik beschließen:

1. Die Angelegenheit meiner verfassungswidrigen und ungesetzlichen Verhaftung wird der Staatsanwaltschaft übergeben. Die an diesen Verbrechen Schuldigen werden sofort in Untersuchungshaft genommen und das Untersuchungs-und Ermittlungsverfahren nach geltendem Gesetz und Recht eröffnet.

2. Vor der Öffentlichkeit wird sofort durch Presse und Rundfunk eine Erklärung veröffentlicht des Inhalts, daß alle gegen mich erhobenen Anschuldigungen auf Grund ungesetzlicher, strafbarer Handlungen fabriziert wurden, daß sich dieses Verbrechens Personen im Amt und andere schuldig machten, und daß meine Verhaftung zu Unrecht erfolgte und ich entgegen Gesetz und Recht verurteilt wurde.

3. Der mir durch diese strafbaren Handlungen und durch die Haft von 5 Jahren und 7 Monaten zugefügte Schaden an Gesundheit und materieller Schaden wird gebührend entschädigt.

Ich bitte Sie, Herr Ministerpräsident, mir den Eingang dieses Schreibens bestätigen zu wollen. Hochachtungsvoll!

[Kurt Müller]

Fussnoten

Fußnoten

  1. Neues Deutschland vom 6. Dezember 1989.

  2. Neues Deutschland vom 9. /10. Dezember 1989.

  3. Vgl. Neues Deutschland vom 5. Januar 1990.

  4. Vgl. Frankfurter Rundschau vom 16. Januar 1990.

  5. Vgl. die Rede Grotewohls, in: Protokoll der Verhandlungen der 3. Parteikonferenz der SED. Bd. 2, Berlin (Ost) 1956, S. 641 ff., insbesondere S. 674ff.

  6. Der ehemalige Chef der sowjetischen Geheimpolizei Lawrenti Berija (1899— 1953) wurde im Dezember 1953 hingerichtet, sein langjähriger Mitarbeiter (Minister für Staats-sicherheit 1946 bis 1951) Viktor Abakumow nach einem Prozeß im Dezember 1954.

  7. Bogdan Kobulow wurde im Dezember 1953 zusammen mit Berija hingerichtet, seine Kurzbiographie in: Martin Broszat/Hermann Weber (Hrsg.), SBZ-Handbuch, München 1990, S. 950.

  8. W. Knorin (1890— 1939), Bela Kun (1886— 1938) undOssip Pjatnizki (1882 — 1939) waren Kominternführer und wurden später Opfer der stalinistischen Säuberungen. Ihre Biographien in: Branko Lazitch/Milorad Drachkovitch: Biographical Dictionary of the Comintern, Neuaufl., Stanford/Cal. 1986. Zum Todesdatum von Bela Kun: Neues Deutschland vom 25. 726. November 1989.

  9. Richard Stahlmann (1891 — 1974, richtiger Name: Arthur Illner) war nach 1945 im ZK der SED für Verbindungen zur KPD im Westen verantwortlich, er wurde 1952 Oberst im MfS, zur Biographie vgl. SBZ-Handbuch (Anm. 3), S. 1034.

  10. Alle Hinweise auf das Strafgesetzbuch und die Verfassung beziehen sich auf die 1956 gültigen Paragraphen. Vgl. dazu Siegfried Mampel, Die Verfassung der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, Frankfurt-Berlin 1966; Die DDR-Verfassungen. Eingel. und bearb. von Herwig Roggemann, Berlin 1976; Wolfgang Schuller, Geschichte und Struktur des politischen Strafrechts der DDR bis 1968, Ebelsbach 1980.

  11. MGB war ab 1946 die Abkürzung des sowjetischen Ministeriums für Staatssicherheit (Ministerstvo gossudarstvennoj bezopasnosti).

  12. Erich Glückauf (1903— 1977) arbeitete seit 1950 im ZK der SED und war ab 1951 Leiter der Westabteilung.

  13. Das offizielle Protokoll des Rajk-Prozesses (Laszlo Rajk und Komplicen vor dem Volksgericht) veröffentlichte dann — mit einer Einleitung Kurt Hagers vom 29. Oktober 1949 — der Ostberliner Dietz Verlag Ende 1949, es wurde 1950 ausgeliefert. Müller aber erhielt im Oktober 1949 ein Exemplar ohne das Vorwort von Kurt Hager. Es scheint, daß dieses Mielke-Exemplar zur Vorbereitung eines deutschen Schauprozesses extra angefertigt wurde.

  14. Götz Berger (1905—?) war nach 1946 Hauptreferent im Zentralsekretariat der SED (Justiz), später Richter und in den sechziger Jahren Rechtsanwalt in Ost-Berlin.

  15. Im offiziellen „Prozeßbericht über die Strafsache des trotzkistisch-sinowjewistischen terroristischen Zentrums“ (Moskau 1936) hieß es: „reiste Olberg nach Gorki, setzte sich mit den Trotzkisten Jelin und Fedotow in Verbindung“ (S. 91). „In Gorki erfuhr Olberg von Fedotow, daß schon vor seiner Ankunft terroristische Kampftrupps organisiert worden waren“ (S. 92). Weiter wird Fedotow nicht erwähnt. — Inzwischen ist mit der Rehabilitierung der Opfer dieses Prozesses im Juni 1988 das ganze damalige Verfahren offiziell als Lügengebilde enthüllt.

  16. Zu Olberg vgl. Hermann Weber, „Weiße Hecken“ in der beschichte. Die KPD-Opfer der Stalinschen Säuberungen und ihre Rehabilitierung, erw. Neuaufl., Frankfurt/M. 1990, S. 25 ff. und S. 87.

  17. Alexander Abusch (1902— 1982) und Albert Norden (1904— 1982) waren führende KPD-und spätere SED-Funktionäre, zu ihren Biographien vgl. Hermann Weber. Die Wandlung des Deutschen Kommunismus. Bd. 2. Frankfurt/M. 1969, S. 58f. und S. 236f.

  18. Franz Tausch-Treml gehörte ab Juni 1957 für die SPD in der 2. Wahlperiode dem Bundestag an.

  19. Günther Gereke (1893— 1970), 1948 — 1950 stellvertretender Ministerpräsident in Niedersachsen (CDU), wechselte 1952 in die DDR über. Vgl. SBZ-Handbuch (Anm. 3), S. 908.

  20. Kurt Baumgarte. KPD-Funktionär in Niedersachsen, seit 1971 Mitglied der Zentralen Schiedskommission der DKP.

  21. Karl Wloch (1905— 1982) war nach der Entlassung aus dem KZ im Strafbataillon 999. ab 1948 Redakteur in Polen (Betreuer deutscher Kriegsgefangener), danach Generalsekretär der Deutsch-polnischen Gesellschaft für Frieden und gute Nachbarschaft, ab 1958 Chefredakteur der „Volkswacht“ in Gera.

  22. Fritz Bischof (1900-1945) KPD-Funktionär in Hamburg, 1933 Leitung der illegalen KPD in Hessen; im September 1934 zusammen mit Kurt Müller verhaftet, zu 8 Jahren Zuchthaus verurteilt, saß er im Zuchthaus Kassel, dann KZ Sachsenhausen und Neuengamme; am 3. Mai 1945 in der Lübecker Bucht bei einer Schiffsversenkung umgekommen.

  23. So versuchten Mielke und seine Leute sogar, berüchtigte SS-Schergen als Zeugen für einen Schauprozeß gegen Kurt Müller zu erpressen. Als im Bonner KZ-Prozeß im November 1958 ein Zeuge aus Ost-Berlin-Karlshorst den ehemaligen SS-Rapportführer des KZ Sachsenhausen Gustav Sorge (Spitzname: der „eiserne Gustav“) des Mordes beschuldigte, erwiderte der „Eiserne“: „Sie haben mich 1951 in Workuta durch das NKWD als Kronzeugen gegen den ehemaligen Bonner Bundestagsabgeordneten Müller aus Hannover haben wollen, der nach ihrer Meinung als Häftling in Sachsenhausen Spitzeldienste geleistet haben soll.“ (Süddeutsche Zeitung vom 17. November 1958).

  24. Die „Kaderbriefe“ wurden an KPD-Funktionäre verschickt und zwar offensichtlich von SED-Stellen in provokatorischer Absicht: Wer sie nicht umgehend bei der KPD-Kaderabteilung ablieferte, galt als unzuverlässiger „Abweichler“ oder gar „Parteifeind“.

  25. Bruno Haid (geb. 1912). Vor 1933 KPD, nach 1945 in der Justizverwaltung der SBZ/DDR tätig; 1950 Leiter der ZK-Abteilung „Abwehr“, 1951 im Westbüro des ZK der SED; 1955 — 1958 stellvertretender Generalstaatsanwalt der DDR, 1958 Funktionsenthebung (Schirdewan-Anhänger), danach arbeitete er im Buchwesen. — Jetzt wurde bekannt (vgl. Neues Deutschland vom 11. Dezember 1989), daß Bruno Haid im März 1956 in eine Kommission zur Rehabilitierung berufen wurde, der unter anderem Ulbricht und der Vorsitzende der Zentralen Parteikontrollkommission der SED, Hermann Matern, angehörten und die Mielke „zur Mitarbeit heranzog“. Die für die Säuberungen Verantwortlichen sollten über die Rehabilitierung ihrer Opfer entscheiden — eine absurde Politik.

  26. Walter Vesper (1897-1978). Vor 1933 KPD-Sekretär in Düsseldorf; 1947 bis 1949 MdL der KPD in Nordrhein-Westfalen, 1949 bis 1952 Bundestagsabgeordneter; 1952 Über-siedlung in die DDR, Leiter der Westabteilung der Nationalen Front, 1959 bis 1965 DDR-Botschafter in Budapest und Prag.

  27. Willi Grünert (1901-?). Vor 1933 KPD, 1933 Emigration, 1940 Internierung, dann in Deutschland zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt, bis 1945 Zuchthaus Waldheim; 1945 bis 1951 stellvertretender Vorsitzender KPD Wasserkante (Hamburg) und Mitarbeiter im Parteivorstand, dann Über-siedlung in die DDR, Funktionen im FDGB.

  28. Otto Niebergall (1904— 1977). 1945/46 Vorsitzender der KPD in der französischen Besatzungszone; 1949 bis 1953 MdB, Vorsitzender der KPD-Parteikontrollkommission; ging nach dem Verbot der KPD 1956 in die DDR.

  29. Herbert Müller (geb. 1900). Vor 1933 für die KPD Parteisekretär und MdL Bayern, Emigration nach Frankreich; 1945 Vorsitzender der KPD Pfalz, dann Rheinland-Pfalz, MdL, Fraktionsführer im Landtag; 1949 Übertritt zur SPD, für die er bis heute aktiv ist.

  30. Leonid Ramsin (1887— 1948), Professor der TH Moskau. war Hauptangcklagter in einem frühen Moskauer Schauprozeß im Dezember 1930 gegen die sogenannte „Industriepartei“. Er wurde zum Tode verurteilt, die Strafe dann in 10 Jahre Haft umgewandelt. Zwei Jahre nach dem Urteil und nach öffentlicher „Selbstkritik“ amnestiert, erhielt er später sogar einen Orden.

  31. Die Geisteshaltung der Vernehmer bei den Versuchen der Gehirnwäsche für den geplanten Schauprozeß zeigte auch der Ausspruch: „Bei uns hätte Dimitroff ausgesagt, daß er den Reichstagsbrand veranlaßt habe.“

  32. Franz Dahlem (1892-1981). Ab 1928 Mitglied des Politbüros der KPD und MdR, Emigration nach Frankreich. 1939 bis 1945 im KZ; 1945 bis 1953 im Politbüro des SED Gegenspieler Ulbrichts, 1954 ausgeschlossen, 1956 „rehabilitiert“, aber ohne wieder politischen Einfluß zu erlangen. Zur Biographie vgl. H. Weber, (Anm. 13), S. 91 f.

Weitere Inhalte

Kurt Müller, geb. 1903; 1929 Vorsitzender des Kommunistischen Jugendverbandes Deutschland; 1934 bis 1945 als Widerstandskämpfer in Deutschland inhaftiert; 1948 stellv. Vorsitzender der KPD Westdeutschlands; 1949 MdB; 1950 vom MfS verhaftet; 1955 Rückkehr aus der Haft in der UdSSR, seit 1957 Mitglied der SPD; von 1960 bis Ende 1985 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Friedrich-Ebert-Stiftung. Veröffentlichungen: Über Kalkutta nach Paris. Strategie und Aktivität des Ostblocks in den Entwicklungsländern, Hannover 1962; (zusammen mit Hans Lindemann) Auswärtige Kulturpolitik der DDR. Die kulturelle Abgrenzung der DDR von der Bundesrepublik Deutschland, Bonn-Bad Godesberg 1974.