In allen Ländern wird Geldwertstabilität als Ziel der Wirtschaftspolitik proklamiert — die Empirie zeigt jedoch weltweit ein ganz anderes Bild: Mehr oder minder hohe Inflationsraten dominieren, Geldwertstabilität bleibt eine örtlich und zeitlich begrenzte Ausnahme. Geldwertstabilität wird definiert als Stabilität der Kaufkraft des Geldes; sie ist gewährleistet, wenn der repräsentative Preisindex sich im Zeitablauf nicht verändert. Stabilität des Preisniveaus heißt jedoch keineswegs Konstanz aller Preise. Veränderungen der relativen Preise erfüllen vielmehr in einer Marktwirtschaft wichtige Funktionen. Ist das Ziel der Geldwertstabilität verletzt, herrscht Inflation: Das Geld kann seine gesamtwirtschaftlich wichtigen Aufgaben nur noch unvollkommen erfüllen. In der Hyperinflation bricht die Geldwirtschaft schließlich vollkommen zusammen. Geldwertstabilität ist im Zusammenhang mit den übrigen gesamtwirtschaftlichen Zielen der Wirtschaftspolitik zu sehen. Die gelegentlich behaupteten positiven Wirkungen der Inflation auf Wachstum und Beschäftigung setzen Auswirkungen auf die Verteilung voraus, die im Gegensatz zu den herkömmlichen Gerechtigkeitsvorstellungen stehen. Das Phillips-Theorem, das ein stabiles Austauschverhältnis zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit unterstellt, kann als widerlegt gelten. Sicherung der Geldwertstabilität in einer inflationären Umwelt erfordert eine außenwirtschaftliche Absicherung über einen flexiblen Wechselkurs. Eine Gesellschaft, in der längere Zeit Inflation herrscht, entwickelt Abwehrmechanismen gegen die Auswirkungen der Preissteigerungen. Den schwächsten Gruppen stehen diese Möglichkeiten allerdings meist nicht oder nur sehr eingeschränkt zur Verfügung. Eine Garantie der Geldwertstabilität kann nur auf der konstitutionellen Ebene gewährleistet werden, doch fehlt es durchweg an der Bereitschaft, entsprechende Lösungen zu verwirklichen. Die Unabhängigkeit der Notenbank ist letztlich nur eine Art bedingter Vorkehrung gegen Inflation, aber kein Garant für stabilen Geldwert.
I. Der empirische Befund
Stabilität des Geldwertes wird in allen Ländern als Ziel der Wirtschaftspolitik proklamiert. Der empirische Befund steht jedoch dazu in offenkundigem Gegensatz. Sieht man einmal von Ländern, insbesondere in Lateinamerika, ab, in denen exorbitante Inflationsraten fast schon zur Selbstverständlichkeit geworden sind, so fällt auch für die westlichen Industrieländer das Ergebnis wenig befriedigend aus (vgl. Tab. 1): Zwar ist es dort gelungen, die Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre hohen Raten der Geldentwertung deutlich zu reduzieren, doch führte dieser Prozeß nur in Ausnahmefällen zur völligen Preisstabilität. Seit 1986/87 nehmen die Preissteigerungsraten sogar durchweg wieder zu.
Selbst eine Währung wie die DM, die im internationalen Vergleich als geradezu vorbildlich stabil gilt, hat in den ersten 40 Jahren seit der Währungsreform rund zwei Drittel ihrer ursprünglichen Kaufkraft eingebüßt. Der Preisindex der Lebenshaltung hat sich in dieser Zeit etwas mehr als verdreifacht, im Jahresdurchschnitt belief sich der Preisanstieg auf 2, 7 Prozent. Während der ersten drei Jahrzehnte hat sich die Rate der Geldentwertung erhöht, im Jahresdurchschnitt betrug der Preisanstieg zwischen 1950 und 1959 1, 1 Prozent, in den folgenden beiden Dezennien dagegen 2, 4 Prozent und 4, 9 Prozent; für die achtziger Jahre ist erstmals wieder ein Rückgang dieses Wertes auf 2, 9 Prozent zu verzeichnen
Bei diesem empirischen Befund drängen sich folgende Fragen geradezu auf:
— Welcher Rang ist dem Ziel der Geldwertstabilität beizumessen?
— Welche Ursachen sind für die unbefriedigenden Resultate verantwortlich?
— Welche Wirkungen gehen von einer Geldentwertung aus?
Bevor diese Fragen im einzelnen behandelt werden, soll kurz das Problem der Definition und der statistischen Erfassung von Geldwertstabilität bzw. Inflation angesprochen werden.
II. Definition und statistische Erfassung
Abbildung 8
Abbildung 1: Entwicklung von Preisniveau und Kaufkraft in der Bundesrepublik Deutschland Quellen: Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 1988, Stuttgart-Mainz 1988, S. 520; Wirtschaft und Statistik, (1989) 11, S. 401; eigene Berechnungen.
Abbildung 1: Entwicklung von Preisniveau und Kaufkraft in der Bundesrepublik Deutschland Quellen: Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 1988, Stuttgart-Mainz 1988, S. 520; Wirtschaft und Statistik, (1989) 11, S. 401; eigene Berechnungen.
Der Wert des Geldes hängt von der Menge an Gütern ab, die man mit einer bestimmten Geldsumme kaufen kann; deshalb werden die Begriffe Geldwert und Kaufkraft des Geldes meist auch synonym verwendet. Geldwert und Kaufkraft sind offensichtlich um so höher, je niedriger die Güterpreise, und um so niedriger, je höher die Preise der Güter sind. Die Preise einzelner Güter können sich völlig unterschiedlich entwickeln. Es ist in diesem Zusammenhang wichtig, zwischen relativen Preisen und absoluten Preisen bzw.dem Preisniveau zu unterscheiden. Vorausgesetzt, die Preisbildung kann sich frei am Markt vollziehen, drücken die relativen Preise — also das jeweilige Verhältnis der Preise der einzelnen Güter — deren Knappheitsrelationen aus. Steigt z. B.der Preis für Wohnungsnutzung (Miete) stärker als andere Preise, dann signalisiert dieser relative Preisanstieg eine Verknappung des Gutes Wohnung. Die Mieter stehen damit vor der Entscheidung, bei gegebenem Einkommen entweder den Verbrauch anderer Güter zu reduzieren oder sich hinsichtlich des teurer gewordenen Gutes einzuschränken, d. h. — auf längere Sicht — eine andere Wohnung (kleiner, weniger gute Lage etc.) zu suchen. Für potentielle Bauherren wird es nun aber gleichzeitig attraktiver zu bauen, so daß längerfristig das Wohnungsangebot zunimmt und die Mieten relativ sinken. Änderungen der relativen Preise erfüllen in einer Marktwirtschaft somit eine wichtige Signalfunktion — allerdings nur dann, wenn der Steuerungsprozeß des Marktes nicht durch Eingriffe (im genannten Beispiel etwa durch einen Mietpreis-stopp) gestört oder gar ausgeschaltet wird.
In einer Marktwirtschaft werden sich die relativen Preise laufend verändern, d. h. die Preise mancher Güter steigen relativ zu denen anderer Güter — deren Preise sind dann zwangsläufig relativ gesunken. Als Relativpreise können folglich nicht alle Preise gleichzeitig steigen (oder sinken). Anders liegen die Dinge, wenn man die Entwicklung des Durchschnitts der Preise ermittelt; dieser Durchschnitt kann sehr wohl steigen (oder auch sinken). Kaufkraft des Geldes und Preisdurchschnitt verhalten sich umgekehrt proportional: je höher der Preis-durchschnitt, desto geringer die Kaufkraft des Geldes und umgekehrt (vgl. Abb. 1).
Die Entwicklung der Kaufkraft des Geldes läßt sich an den Veränderungen eines dafür geeigneten Preisindex ablesen. Dazu wird im allgemeinen zunächst der Durchschnittswert der Preise einer abgegrenzten Gütergruppe (Warenkorb) ermittelt; die Auswahl der jeweiligen Güter und deren Gewichtung erfolgen auf Grund der Verbrauchsgewohnheiten repräsentativer Haushalte. Die Veränderung dieses Durchschnittswertes im Zeitablauf informiert dann über die durchschnittliche prozentuale Änderung aller Preise, die in die Berechnung eingehen.
In der Bundesrepublik wird eine Vielzahl solcher Preisindizes berechnet, so etwa ein Index der Erzeugerpreise landwirtschaftlicher Produkte, der Ausfuhr-und Einfuhrpreise, für Wohngebäude etc. Aussagen über die Entwicklung des Geldwertes werden vor allem anhand der Veränderungen des „Preisindex für die Lebenshaltung eines städtischen 4-Personen-Arbeitnehmer-Haushaltes“ getroffen (oft als „Lebenshaltungskostenindex“ bezeichnet). Dieser Preisindex mißt die Preisentwicklung des „Warenkorbes“, der sich auf die durchschnittlichen Verbrauchsgewohnheiten des betreffenden Haushaltstyps bezieht. Für einen konkreten Haushalt mag die Veränderung seiner Kaufkraft mehr oder weniger deutlich davon abweichen. So betrifft etwa eine durch Steuererhöhungen bedingte Preissteigerung für Tabak und Alkohol einen Abstinenzler nicht, einen Konsumenten dieser Produkte dagegen besonders stark. Spezifische Überlegungen sind auch angebracht, wenn etwa ein Haushalt für den Bau eines Eigenheimes spart; hier ist vor allem die Entwicklung der Bau-und Grundstückspreise dafür entscheidend, wie sich die Kaufkraft seiner Ersparnisse für diesen speziellen Zweck verändert.
Besondere Schwierigkeiten bei der Berechnung von Preisindizes für die Lebenshaltung werfen Qualitätsveränderungen und Verschiebungen in den Verbrauchsgewohnheiten auf. Der Warenkorb muß durch den Ersatz alter durch neue Produkte (z. B.des Schwarzweiß-durch den Farbfernseher) und durch ein anderes Wägungsschema (z. B. niedrigerer Anteil der Ausgaben für Nahrungsmittel) angepaßt werden. Mit dieser Revision verbunden ist dann jeweils die Einführung eines neuen Basisjahres für den Preisindex. Im Herbst 1989 geschah dies mit der Benennung des Basisjahres 1985 durch das Statistische Bundesamt bereits zum siebten Mal.
Die Ermittlung der Kaufkraft des Geldes und ihrer Veränderungen wirft also zahlreiche Schwierigkeiten auf. Liegt der Anstieg des Preisindex der Lebenshaltung unter zwei Prozent pro Jahr, wird man — nicht zuletzt wegen möglicher Qualitätsverbesserungen, die nur unzureichend erfaßt wurden -nur mit Vorsicht von einem Geldwertschwund sprechen können. Je deutlicher die Preissteigerungsrate jedoch über diese Grenze hinausgeht und je länger diese Entwicklung anhält, desto eindeutiger ist das Ziel der Geldwertstabilität verletzt: Es herrscht Inflation.
III. Primat der Geldwertstabilität?
Abbildung 9
Abbildung 2: Die Phillips-Kurve
Abbildung 2: Die Phillips-Kurve
Das Geld erfüllt in einer Volkswirtschaft wichtige Aufgaben; es dient als Tausch-und Wertaufbewahrungsmittel sowie als Recheneinheit. Nur stabiles Geld kann diesen Funktionen optimal gerecht werden. So erhält ein Gläubiger bei der Rückzahlung eines Kredites nur bei konstantem Geldwert real gesehen, d. h. in Kaufkraft gerechnet, den gleichen Betrag wieder, den er vorher als Kredit hingegeben hat. Ist dagegen das Preisniveau in der Zwischenzeit gestiegen, zahlt der Schuldner in schlechterem, entwertetem Geld zurück; ohne zusätzliche Vereinbarungen über einen Ausgleich gewinnt dadurch der Schuldner zu Lasten des Gläubigers.
Über den Wertausdruck in Geld, das Rechnen in Geldpreisen, ist überhaupt erst eine Wirtschaftsrechnung im modernen Sinne möglich. Dies gilt sowohl einzelwirtschaftlich wie für die gesamte Volkswirtschaft. Verlust-und Gewinnrechnung. Bilanzen, Umsatz, aber auch Sozialprodukt und Zahlungsbilanz werden über den gemeinsamen Nenner Geld erstellt. Auch diese Rolle kann nur stabiles Geld befriedigend erfüllen. Verändert sich der Geldwert, wird nicht mehr in (real) konstanten, sondern in sich verändernden Einheiten gemessen; Grundlage der Wirtschaftsrechnung ist nicht mehr ein fester Maßstab, sondern sozusagen ein dehnbares Gummiband.
Vor allem in Zeiten hoher Inflationsraten wird der Funktionsverlust des Geldes im Alltag offenkundig: Als Tauschmittel wird das Geld immer häufiger zurückgewiesen, andere Güter treten an seine Stelle (daher z. B.der Ausdruck „Zigarettenwährung“). Wegen der raschen Geldentwertung sind immer weniger Sparer bereit, auf Nominalwerte lautende Kredite zu geben, statt dessen ist eine Flucht in Sachwerte zu beobachten. Als Recheneinheit wird das Geld ebenfalls durch Ersatzrecheneinheiten aller Art substituiert, mit denen die nominelle Aufblähung über die gestiegenen Preise korrigiert wird.
Der pathologische Zustand der Hyperinflation offenbart in aller Deutlichkeit die volkswirtschaftlichen Kosten der Instabilität des Geldwertes — anders ausgedrückt: Die Vorteile der Geldwertstabilität liegen in der Verläßlichkeit des Tausches, der Wertaufbewahrung und der Rechnung mit einer kaufkraftstabilen Einheit. Das (Nominal-) Prinzip „Mark = Mark“, das zahlreichen Verträgen und Entscheidungen zugrunde liegt, erhält nur unter der Prämisse der Geldwertstabilität seine Berechtigung.
In so gut wie alle wirtschaftlichen Entscheidungen, die in die Zukunft reichen, gehen Erwartungen über die Entwicklung des Geldwertes ein. Dies gilt für die Investitionspläne von Unternehmen ebenso wie für die Überlegungen zur Zukunftssicherung von privaten Haushalten. Die Verläßlichkeit auf der Basis des Nominalprinzips ist nur dann gewahrt, wenn die Bürger auch für die Zukunft damit rechnen können, daß der Geldwert stabil bleibt.
Die Geldwertstabilität rückt damit ins Zentrum einer marktwirtschaftlichen Ordnung; Walter Eucken erhebt sie zum zentralen Prinzip: „Alle Bemühungen, eine Wettbewerbsordnung zu verwirklichen, sind umsonst, solange eine gewisse Stabilität des Geldwertes nicht gesichert ist“ der Währungspolitik solle daher ein Primat zuerkannt werden.
Bevor der Geldwertstabilität Priorität vor anderen Zielen eingeräumt werden kann, ist zu prüfen, inwieweit daraus Konflikte mit anderen Zielen der Wirtschaftspolitik resultieren.
IV. Geldwertstabilität im Zielkonflikt?
Abbildung 10
Abbildung 3: Inflation und Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland 1963— 1989 Quelle: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1989/90. S. 3, 240, 317.
Abbildung 3: Inflation und Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland 1963— 1989 Quelle: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1989/90. S. 3, 240, 317.
Das Verhältnis der Geldwertstabilität zu den übrigen gesamtwirtschaftlichen Zielen ist im Zusammenhang der Wirtschaftspolitik zu sehen. Aus analytischen Gründen werden im folgenden die Zielbeziehungen dennoch jeweils im einzelnen behandelt; dabei ist auch das Ziel gerechter Verteilung zu berücksichtigen
1. Höheres Wachstum durch Inflation?
Von vielen Seiten wurde in den ersten beiden Jahrzehnten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges insbesondere den Entwicklungsländern, aber nicht nur diesen, der Rat erteilt, das reale Wachstum über eine (mäßige) Inflation zu steigern. Dahinter stand im wesentlichen die Auffassung, über eine Geldentwertung, die unter Kontrolle bliebe, ließen sich die gesamtwirtschaftliche Ersparnis und damit die Investitionstätigkeit über das Maß hinaus erhö-hen, das bei freiwilligem Konsumverzicht zu erzielen sei.
Der Versuch, diese Hypothese empirisch zu überprüfen, kann als gescheitert gelten; zu kontrovers ist der Befund: Hohe Raten realen Wachstums bei (einigermaßen) stabilem Geldwert lassen sich ebenso feststellen wie starkes Wachstum verbunden mit einem Anstieg des Preisniveaus, genau so aber auch niedrige Wachstumsraten einhergehend mit unterschiedlicher Entwicklung des Preisniveaus. Eines steht jedoch außer Zweifel: Mit einem Anheizen der Inflation läßt sich allenfalls ein vorübergehender Boom, eine mehr oder minder kurze Scheinblüte erzeugen. Dabei entstehen jedoch Verzerrungen in der Produktionsstruktur, die in der Folge wieder korrigiert werden müssen. Halbfertige und leerstehende Miethäuser (Bauruinen) zeugen häufig von der inflationär bedingten Fehlleitung der Produktionsfaktoren. Zieht man Bilanz in längerfristiger Perspektive, fällt das reale Wachstum insgesamt meist niedriger aus.
In der Hyperinflation geht ohnehin die Rechenhaftigkeit des Wirtschaftens weitgehend verloren, langfristige Investitionsprojekte werden erst gar nicht mehr in Angriff genommen; die Volkswirtschaft benötigt im allgemeinen nach Beendigung der Hyperinflation durch eine Währungsreform geraume Zeit, bis sie den Wachstumseinbruch wieder überwunden hat.
2. Die außenwirtschaftliche Flanke
In einer inflationären Umwelt kann ein Land Geldwertstabilität nur bewahren, wenn es sich durch einen flexiblen Wechselkurs oder durch rechtzeitige Aufwertungen der eigenen Währung gegen die „Ansteckung“ von außen schützt. Bei festem Wechselkurs werden Preissteigerungen auf dem Weltmarkt über die Gütereinfuhr importiert; die Möglichkeit der heimischen Exporteure, ihre Produkte in anderen Ländern teurer zu verkaufen, wird sich ebenfalls in inländischen Preissteigerungen niederschlagen. Die Löhne werden dieser Entwicklung folgen und den Inflationsdruck verschärfen. So lange die Preisentwicklung im Inland hinter der des Auslandes zurückbleibt, werden daraus folgende Exportüberschüsse die Notenbank zu Interventionen am Devisenmarkt zwingen, mit denen der feste Wechselkurs verteidigt wird. Der Devisenankauf durch die Notenbank erhöht die Zentralbankgeldmenge; wird diese noch durch Kapitalimporte ergänzt, möglicherweise verstärkt durch Aufwertungserwartungen für die heimische Währung, verliert die Notenbank vollends die Kontrolle über die inländische Geldmenge und damit die Preisniveauentwicklung.
Bis zur Freigabe des Wechselkurses der DM gegenüber dem US-Dollar im März 1973 hat die Bundesrepublik immer wieder erfahren müssen, daß es gegen diesen Übertragungsmechanismus der importierten Inflation letztlich keine Abwehrmöglichkeiten gibt, sofern man sich nicht zu einer Aufwertung der eigenen Währung entschließt. Im übrigen hat sich aber auch das Instrument der fallweisen Aufwertung als viel zu schwerfällig erwiesen, als daß sich die außenwirtschaftliche Flanke der Geldwertstabilität auf diese Weise ausreichend hätte absichern lassen.
So lange im Weltwährungssystem inflationäre Tendenzen dominieren, ermöglicht daher allein ein flexibler Außenwert der heimischen Währung eine adäquate außenwirtschaftliche Absicherung. Zwar lassen sich auch bei einem flexiblen Wechselkurs die Folgen massiver Verteuerungen wichtiger Einfuhrgüter — z. B. Ölpreiserhöhungen durch die OPEC — nicht vollständig vom Inland fernhalten, doch kann sich ein Land auf diese Weise grundsätzlich von inflationären Tendenzen in der übrigen Welt abkoppeln. Im Ganzen gesehen wird es um so leichter, Geldwertstabilität im Inland zu erhalten, je erfolgreicher die wichtigsten Handelspartner das gleiche Ziel verfolgen.
3. Vollbeschäftigung oder Geldwertstabilität?
Weit verbreitet ist — oder zumindest war — die Auffassung, es bestehe ein Konflikt zwischen den Zielen Vollbeschäftigung und Geldwertstabilität. Erinnert sei nur an den Ausspruch eines bekannten Politikers: „Fünf Prozent Inflation sind mir lieber als fünf Prozent Arbeitslosigkeit.“ Solche Ansichten gehen letztlich zurück auf eine empirische Studie des englischen Nationalökonomen A. W. Phillips über den Zusammenhang zwischen Änderungen der Nominallöhne und der Arbeitslosigkeit in England von 1861 — 1957. In nachfolgenden Arbeiten anderer Autoren wurde dieser Zusammenhang durch die Berücksichtigung von Produktivitätssteigerungen in eine Beziehung zwischen Inflationsrate und Arbeitslosigkeit transformiert.
Abb. 2 stellt die sog. Phillips-Kurve dar, die einen Konflikt zwischen Vollbeschäftigung und Geldwertstabilität unvermeidlich erscheinen läßt. So erreicht die Volkswirtschaft im Punkt A zwar Geldwertstabilität, muß dafür aber eine Arbeitslosenquote von acht Prozent in Kauf nehmen. Gibt sich die Wirtschaftspolitik mit dieser Situation nicht zufrieden und schlägt daher einen expansiven Kurs der Finanz-und Geldpolitik ein, so kann sie zwar die Arbeitslosigkeit verringern, handelt sich dabei aber gleichzeitig immer höhere Preissteigerungsraten ein, je mehr sie sich dem Zustand der Vollbe-schäftigung nähert. Der Punkt B z. B. ist durch eine auf drei Prozent gesunkene Arbeitslosenquote, aber durch eine auf fünf Prozent angestiegene Inflationsrate gekennzeichnet. Danach hätte eine Volkswirtschaft zwischen verschiedenen möglichen Situationen eine Güterabwägung durchzuführen. Regierungen unterschiedlicher Couleur könnten dann ihren jeweiligen Prioritäten Rechnung tragen. Je nach Ausgang der Wahlen wäre mit mehr Arbeitslosigkeit oder mit mehr Inflation zu rechnen.
Die Ansicht, zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit bestehe ein stabiles Austauschverhältnis, wie es in Abb. 2 ausgedrückt ist, kann mittlerweile als überholt gelten. Autoren wie E. Phelps und M. Friedman haben diese Auffassung schon sehr früh mittels theoretischer Argumente kritisiert. So setzen Maßnahmen einer expansiven Wirtschaftspolitik, die über steigende Preise die Beschäftigung erhöhen wollen, voraus, daß die Preise stärker steigen als die Nominallöhne; die Zunahme der Beschäftigung ist auf das Absinken der Reallöhne zurückzuführen. Allerdings werden die Gewerkschaften diesen Reallohnrückgang auf Dauer kaum hinnehmen. Vielmehr ist zu erwarten, daß sie über kurz oder lang einen „Inflationsausgleich“ verlangen werden, durch den der inflationär bedingte Beschäftigungsgewinn wieder verlorengeht. Die Arbeitslosigkeit fällt wieder auf ihren Ausgangswert zurück, die Inflationsrate verharrt jedoch auf dem erhöhten Niveau. Der Versuch, die Beschäftigung abermals zu steigern, setzt eine verstärkte Expansion der Geldmenge voraus; in der Folge wird es zu erneuten Lohnkompensationen kommen usw. Die Phillips-Kurve verschiebt sich im Verlauf dieser Entwicklung nach oben, und es bedarfdaher immer stärkerer Preissteigerungen, um eine Beschäftigungszunahme auszulösen, die aber immer nur vorübergehend bleibt. Nach jeder neuen „Runde“ steigt die Inflationsrate, die Beschäftigung verharrt jedoch auf dem alten Niveau (Friedman spricht von der „natürlichen Arbeitslosenquote“). Es ist schließlich abzusehen, daß die Gewerkschaften früher oder später ihren Lohnforderungen die erwartete Preissteigerungsrate zugrunde legen. Eine positive Auswirkung auf die Beschäftigung ist dann überhaupt nur noch möglich, wenn die tatsächlich realisierte Inflationsrate die erwartete noch übertrifft. Setzt die Regierung auch unter diesen Umständen auf die beschriebene Methode der „Beschäftigungspolitik“, droht eine rasche Beschleunigung des Inflationstempos. Hat eine Volkswirtschaft diesen Zustand erst einmal erreicht — und in den westlichen Industriestaaten bedarf es nach allen Erfahrungen dazu keineswegs zahlreicher „Wiederholungen“ —, läßt sich die Beschäftigung selbst kurzfristig nicht mehr auf diesem Wege steigern. Damit löst sich aber auch der Konflikt zwischen Beschäftigungsziel und Geldwertstabilität auf.
Die Praxis bestätigt diese Überlegungen. Selbst in England, wo die Phillips-These lange Zeit geradezu als Credo der offiziellen Wirtschaftspolitik galt, nahm der damalige Premierminister Callaghan in einer Rede vor der Jahreskonferenz der Labourpartei am 28. September 1976 mit folgenden Worten Abschied von dieser Politik: „Wir waren einmal der Auffassung, man könne einfach durch Steuersenkungen und erhöhte Regierungsausgaben aus der Rezession herausfinden und die Beschäftigung ankurbeln. Ich sage Ihnen in aller Offenheit, daß diese Option nicht mehr gegeben ist und daß sie — insoweit es sie überhaupt jemals gab — nichts anderes bewirkte als der Wirtschaft Inflation zu injizieren. Und jedesmal, wenn das geschah, ist die durchschnittliche Arbeitslosenquote gestiegen. Höhere Inflation und in ihrem Gefolge höhere Arbeitslosigkeit. Das ist die Geschichte der letzten zwanzig Jahre.“ Abb. 3 zeigt den empirischen Zusammenhang zwischen Inflationsrate und Arbeitslosenquote in der Bundesrepublik seit 1963. Von einer stabilen Beziehung zwischen den beiden Zielgrößen kann offensichtlich keine Rede sein. 4. Verteilungswirkungen Ein (positiver) Einfluß der Inflation auf Beschäftigung und Wachstum setzt unweigerlich Verteilungswirkungen zwischen den Gruppen der Gesellschaft voraus, die den herkömmlichen Verteilungszielen teilweise diametral entgegengesetzt sind:
— Die Lohnbezieher werden benachteiligt und die Unternehmen begünstigt, wenn die Preise der Güter schneller steigen als die Löhne.
— Die Bezieher von Renten und anderen Transfer-leistungen werden in dem Maße von der Inflation getroffen, in dem ihre Bezüge nicht oder nur mit Verzögerung an das gestiegene Preisniveau angepaßt werden. — Nachteile zu Lasten der Sparer treten ein, falls Zinsen bzw. Geldvermögen nicht oder nur teilweise an die Inflation angepaßt werden. — Der Staat kann nicht nur als Schuldnervon Geld-vermögen von der Inflation auf Kosten der Sparer profitieren, sondern auch auf dem Wege der „kalten Progression“, die darauf beruht, daß die Nominaleinkommen inflationsbedingt in höhere Stufen der Steuerprogression hineinwachsen. Schließlich wirkt Inflation wie eine Steuer auf den gesamten Kassenbestand (Geldmenge), die letztlich über die Abführung des Notenbankgewinns an den Fiskus übertragen wird.
V. Abwehrmechanismen gegen Inflationswirkungen
Jedes Wirtschaftssystem entwickelt grundsätzlich um so stärkere Abwehrmechanismen gegen die Folgen der Inflation, je länger diese andauert und je höher die Rate der Geldentwertung ist. Diese Abwehrmechanismen bestehen im wesentlichen darin, daß in die in Kontrakten vereinbarten nominellen Größen ein Zuschlag in Höhe der erwarteten Inflationsrate eingerechnet wird. So geht dann z. B. in tarifliche Lohnerhöhungen neben dem Produktivitätszuwachs auch die für die Laufzeit des Tarifvertrages erwartete Preissteigerungsrate ein. In gleicher Weise enthält der Zins für Kredite aller Art einen entsprechenden Inflationszuschlag. In solchen Entwicklungen zeigt sich das Bestreben, den Vereinbarungen reale Größen zugrunde zu legen, d. h. die vertraglichen Beziehungen so zu gestalten, daß inflationsbedingte Verschiebungen zugunsten der einen oder anderen Seite zwischen den Vertragspartnern tendenziell ausgeschaltet werden. In Volkswirtschaften mit anhaltend hoher Inflation wird dieser Abwehrmechanismus über Index-oder Wertsicherungsklauseln aller Art faktisch automatisiert; Nominallöhne, Zinsen etc. werden schematisch an die jeweilige Preisentwicklung angepaßt
Dieses theoretische Modell geht von einer Wirtschaft aus, in der die Inflation vollständig antizipiert wird. Selbst in diesem fiktiven Extremfall verbleibt aber noch die Inflationssteuer, die die zinslose Kassenhaltung trifft; da die Opportunitätskosten der Kassenhaltung inflationsbedingt erhöht sind, erreicht der Kassenbestand nicht sein gesamtwirtschaftliches Optimum. Des weiteren kann die Absicherung gegen die Inflation nicht kostenlos erreicht werden, das permanente „Umrechnen“, die laufende Anpassung von Vereinbarungen etc. erfordern vielmehr einen nicht unerheblichen Aufwand knapper Ressourcen, die für produktive Verwendungen verloren gehen. Selbst im denkbar günstigsten Fall verursacht Inflation also Kosten, die bei Geldwertstabilität nicht auftreten. In der Realität wird die Anpassung an die Inflation aber ohnehin immer nur bedingt gelingen Je erfolgreicher dabei einzelne Gruppen sind, desto größer sind die negativen Auswirkungen der Inflation auf die übrigen, die sich nicht entsprechend absichem können, sei es, weil sie die Zusammenhänge nicht durchschauen oder weil es ihnen an Durchsetzungsvermögen fehlt. Im allgemeinen werden folglich die schwächsten Gruppen einer Gesellschaft von der Inflation am härtesten getroffen: weil sich ihre Einkommen nicht oder nicht schnell genug an die Preissteigerungen anpassen und weil sich für kleine Vermögen oft nur sehr beschränkte Möglichkeiten des Inflationsschutzes eröffnen. Schließlich sind auch die erheblichen Kosten nicht zu übersehen, die dann auftreten, wenn eine Politik der Inflationsbekämpfung eingeleitet werden muß, die das unvermeidliche Ende jeder Inflation bildet. Je länger die Inflation vorher im Gange war, desto mehr haben sich entsprechende Erwartungen in Kontrakten aller Art niedergeschlagen. Sind solche Inflationserwartungen in Form von „Zuschlägen“ für die Laufzeit der Verträge aber erst einmal festgeschrieben und bleiben die tatsächlichen Preissteigerungen (aufgrund der Maßnahmen zur Inflationsbekämpfung) hinter den vorher erwarteten zurück, so werden letztlich unbeabsichtigt die realen Zinsen und Löhne steigen. Eine verringerte Investitionstätigkeit, Untemehmenszusammenbrüche und ein Beschäftigungsrückgang sind in aller Regel die Folge des Disinflationsprozesses — im Grunde handelt es sich hier jedoch um Kosten, die der vorangegangenen Inflation anzulasten sind Es wäre daher wesentlich vorteilhafter, Inflation erst gar nicht zuzulassen, als sie hinterherunter hohen gesamtwirtschaftlichen Kosten bekämpfen zu müssen.
VI. Konstitutionelle Voraussetzungen zur Sicherung der Geldwertstabilität
Jede Inflation verursacht Kosten und hat ausgesprochen unsoziale Wirkungen. Von daher mag man es auf den ersten Blick überraschend finden, daß weltweit mehr oder weniger hohe Preissteigerungsraten an der Tagesordnung sind und Geldwertstabilität seit langem eine örtlich und zeitlich begrenzte Ausnahme bleibt. Die Erklärung für diesen Befund liefert die Politische Ökonomie: Geldwertstabilität stellt ein öffentliches Gut dar. An diesem sind zwar grundsätzlich alle interessiert, doch „rechnet“ es sich für den einzelnen nicht, sich dafür einzusetzen oder gar Opfer zu bringen. Vielmehr profitieren einzelne Gruppen um so mehr von Aktivitäten, die gegen das Ziel der Geldwertstabilität gerichtet sind, je mehr sich die übrigen Mitglieder der Gesellschaft am Stabilitätsziel orientieren.
Für die Politik ist es allemal der bequemere Weg, dem Druck von Interessengruppen nachzugeben und deren Forderungen durch zusätzliche Ausgaben zu entsprechen, die letztlich über die Geldschöpfung der Notenbank finanziert werden. Dies geschieht insbesondere in solchen Ländern, in denen die Regierung direkten Zugang zur Notenpresse hat, etwa in Form von Krediten durch die Notenbank. Nicht von ungefähr haben alle Hyperinflationen der Geschichte hier ihre entscheidende Ursache. Der Geldwertstabilität nicht viel weniger abträglich ist eine Konstellation, in der die Notenbankleitung den Direktiven der Regierung unterworfen ist und ihre Geldpolitik an entsprechenden inflationär wirkenden Absichten ausrichten muß. Von daher erscheint die Forderung nach Unabhängigkeit der Notenbank — verbunden mit der Verpflichtung auf das Ziel der Geldwertstabilität — als unabdingbare Voraussetzung für eine funktionierende Wirtschaft Nicht von ungefähr steht beispielsweise der Status einer künftigen Europäischen Notenbank, wenn es zur Währungsunion in der Europäischen Gemeinschaft kommen soll, im Zentrum der Diskussionen und Vorschläge. Als Vorbild gilt dabei die Rechtsstellung der Deutschen Bundesbank, die in ihren geldpolitischen Entscheidungen von Weisungen der Regierung unabhängig ist.
Eine hinreichende Bedingung für die Erhaltung der Geldwertstabilität ist freilich auch die Unabhängigkeit der Notenbank nicht. Die Erfahrung lehrt vielmehr, daß unabhängige Notenbanken zwar mit größerer Wahrscheinlichkeit niedrigere Inflationsraten erwarten lassen, jedoch keineswegs Geldwertstabilität Diese wäre auf Dauer nur in einem Währungssystem garantiert, das jeden diskretionären Spielraum in der Geldschöpfung ausschließt.
An historischen Vorbildern (Goldwährung) und theoretisch begründeten Vorschlägen (Indexwährung, Waren-Reserve-Währung) etc. fehlt es nicht Ganz abgesehen davon, inwieweit diese institutioneilen Lösungsvorschläge der Kritik standhalten, ist jedoch nirgendwo die Bereitschaft zu erkennen, solche Vorstellungen in die Tat umzusetzen und in der Verfassung zu verankern. Unter diesen Umständen ist daher generell nicht Stabilität des Geldwertes zu erwarten, sondern ein Grad der Inflation (Geldentwertung), der mit den jeweiligen Vorstellungen der politischen Mehrheit übereinstimmt.
Otmar Issing, Dr. rer. pol., geb. 1936; seit 1973 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Würzburg; Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates beim Bundesministerium für Wirtschaft, des Kronberger Kreises sowie des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Veröffentlichungen u. a.: Leitwährung und internationale Währungsordnung, Berlin 1965; Investitionslenkung in der Marktwirtschaft?, Göttingen 1975; Einführung in die Geldpolitik, München 19903; (Mithrsg.) Vahlens Großes Wirtschaftslexikon, München 1987.
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