Mißachtete Zuschauer Wirtschaftsberichterstattung im Fernsehen
Brigitte Spieß
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Zusammenfassung
Auf dem Gebiet der Wirtschafts-und Sozialpolitik besteht ein großes Bedürfnis nach Informationen und Aufklärungsarbeit durch das Fernsehen und andere Medien. Untersucht man unter diesem Aspekt das Programmangebot der öffentlich-rechtlichen und privaten Femsehanstalten, so fällt auf, daß ein großer Teil der wirtschaftspolitischen Berichterstattung außerhalb der speziell für diese Thematik ausgewiesenen Sendeplätze stattfindet. Mit den verschiedenen TV-Gattungen, die wirtschaftliche Inhalte aufgreifen, ist eine unterschiedliche Sichtweise und Konzeption von wirtschaftspolitischen Themen verbunden. Ein Vergleich der Vorzüge und Nachteile, Chancen und Grenzen der spezialisierten Wirtschaftsmagazine gegenüber anderen Sendeformen zeigt, daß z. B. die Kleinteiligkeit der Magazine, der Aktualitäts-und Ereignisbezug der Themen, die Kürze der Einzelbeiträge und die Themenvielfalt nur wenig Zeit und Raum für eine gründliche Aufarbeitung der wirtschaftlichen Zusammenhänge und marktwirtschaftlichen Mechanismen lassen. Ausgehend von der begründeten Annahme, daß das wirtschaftspolitische Angebot des Fernsehens den Bedürfnissen. Interessen und Einstellungen seiner Zuschauer keinesfalls gerecht wird, versucht die Autorin an einem Fallbeispiel aufzuzeigen, welche Diskrepanzen und Mißverständnisse zwischen den Annahmen der Programmverantwortlichen und den tatsächlichen Erwartungshaltungen des Publikums an eine Wirtschaftssendung bestehen. Die Autorin plädiert für ein vielfältiges Sendeangebot — ausgeführt oder mitgestaltet von fachkundigen Wirtschaftsjournalisten — und eine zielgruppenorientierte Produktion, die den Zuschauer nicht als eine anonyme statistische Größe, sondern als eine aktiv handelnde Person berücksichtigt, die die Freiheit hat, eine Sendung so wahrzunehmen, wie es für ihre Bedürfnisse. Fähigkeiten, Motivationen und Zielsetzungen in einer hochentwickelten Wirtschaftsgesellschaft adäquat ist.
I. Aktuelles Interesse an wirtschaftspolitischen Themen
In der derzeitigen medienpolitischen Entwicklungsphase, in der sich nationale und internationale Privatsender wie öffentlich-rechtliche Fernsehanstalten immer massiver und ungenierter um die Gunst des Zuschauers bemühen, gibt es nur wenige Sendeformen, die nicht zum Gegenstand öffentlicher Kontroversen geworden sind. Erstaunlicherweise zählen die Wirtschaftssendungen zu diesen Raritäten — erstaunlich deshalb, weil wirtschafts-und sozialpolitische Ereignisse, Entwicklungen und Konflikte in Osteuropa und speziell in der DDR gerade zur Zeit besonders brisant sind. Es wäre also zu erwarten, daß die Wirtschaftsberichterstattung im Fernsehen auf diese Herausforderung mit einem breitgefächerten Angebot an Informationen und , Hintergrundberichten reagiert. Wie ist es jedoch zu erklären, daß wirtschaftliche Themen vorwiegend in den Mittelpunkt der politischen Berichterstattung gerückt werden, die speziellen Wirtschaftsmagazine dagegen — wie eh und je — ein Schattendasein fristen Von Wissenschaftlern, Wirtschaftsexperten und Kritikern werden sie mehr oder weniTabelle: ger ignoriert und von den Zuschauern ohne kritische Rückmeldung konsumiert. Die medienwissenschaftliche Forschung hat die Wirtschaftsberichterstattung im Fernsehen bisher nur im Zusammenhang mit Nachrichtensendungen, politischen Magazinen oder allgemeinen Informationssendungen behandelt. Qualitative Untersuchungen der Rezeptionsweisen von Wirtschaftssendungen stehen zudem bis heute aus.
Auf der anderen Seite bestätigen die relativ hohen Einschaltquoten der öffentlich-rechtlichen Magazine den Programmverantwortlichen seit Jahren einen quantitativen Erfolg. Die durchschnittlichen Reichweiten ausgewählter Sendungen, die wirtschaftliche Themen integrieren oder sich auf sie spezialisieren, verdeutlichen diese Tendenz (vgl. Tabelle).
Die Teleskopiedaten weisen darauf hin, daß ein großes Interesse und Informationsbedürfnis an wirtschaftspolitischen Themen im Fernsehen besteht. Die Programmverantwortlichen sehen dementsprechend in den hohen Einschaltquoten eine Bestätigung und Legitimation für die Qualität ihrer Sendungen. Über die persönlichen Merkmale der Zuschauer (z. B. Vorkenntnisse, Einstellungen, Bedürfnisse, Interessen) und das tatsächliche Rezeptionsverhalten lassen die quantitativen Daten jedoch keine präzisen Angaben zu. Unter Rückgriff auf Einschaltquoten und selektive, nicht repräsentative Informationen (z. B. Zuschaueipost, Gespräche mit Bekannten, Kollegen) entwerfen die Redakteure in der Regel ein fiktives Bild von den Bedürfnissen ihres Publikums, das von redaktionsinternen Normen und persönlichen Präferenzen geprägt ist, mit der Zuschauerrealität aber wenig Ähnlichkeit aufweist.
Welche Diskrepanzen und Mißverständnisse zwischen den subjektiven (Gestaltungs-und Wirkungs-) Annahmen der Redakteure und den tatsächlichen Zuschauerreaktionen im einzelnen entstehen können, soll an einer Sendung des Wirtschaftsmagazins Plusminus exem-plarisch untersucht werden. Zu zeigen ist jedoch zunächst, wie sich die Wirtschaftsberichterstattung im Fernsehprogramm insgesamt darstellt.
II. Informationsangebot
Verfolgt man zunächst das Programmangebot der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, so fällt auf, daß ein großer Teil der wirtschaftspolitischen Berichterstattung außerhalb der speziell für diese Thematik ausgewiesenen Sendeplätze stattfindet in den regionalen und überregionalen Informationsund Nachrichtensendungen, politischen Magazinen, Auslandsmagazinen, Verbrauchersendungen, Features, Diskussionsrunden, Sondersendungen, Dokumentationen und Fernsehspielen (einschließlich vielteiliger Serien). Die gegenseitige Abhängigkeit bzw. enge Verflechtung von Politik und Wirtschaft mag einer der Gründe dafür sein, daß wirtschafts-und sozialpolitische Themen von vielen Programmsparten aufgegriffen werden. Ist das Quantum der wirtschaftspolitischen Beiträge des Fernsehens auch nicht exakt statistisch erfaßbar, so läßt sich doch beobachten, daß neben den Nachrichtensendungen insbesondere die Magazine für die wirtschaftliche Berichterstattung zuständig sind. In Anlehnung an die interne Terminologie der Femsehpraktiker lassen sich die Magazine unterteilen in:
Gemischtwarenhandlungen (politische Magazine, Regionalsendungen etc.), die verschiedene Themenbereiche aufgreifen und
Fachgeschäfte (Fachmagazine), die über eine Fach-thematik wie z. B. Wirtschaft berichten.
Mit dieser etwas saloppen Differenzierung ist eine unterschiedliche Sichtweise und Präsentation von wirtschaftspolitischen Themen verbunden. Die journalistisch-handwerkliche Bewältigung der Inhalte, die thematische Abstimmung und der ökonomische Sachverstand der Redakteure unterscheiden sich je nach Magazintyp, was nicht selten zu Unstimmigkeiten zwischen den betroffenen Redaktionen führt.
Die folgenden Überlegungen beziehen sich vorrangig auf die Wirtschaftsberichterstattung in den Nachrichtensendungen, den politischen Magazinen und Wirtschaftsmagazinen der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten (ARD/ZDF). Worin liegen die Unterschiede in der Präsentation und Konzeption der Beiträge und welche Art von Kooperation findet zwischen den Fachredaktionen und den Kollegen anderer Redaktionen statt? 1. Nachrichtensendungen In den Nachrichtensendungen und -magazinen der ARD und des ZDF weisen wirtschafts-und sozialpolitische Themen einen hohen Anteil auf. Während in den Nachrichtensendungen Tagesschau (ARD) und heute (ZDF) dem Zuschauer ein knapper Überblick über die wesentlichen wirtschaftlichen Tagesereignisse vermittelt wird versucht man in den Nachrichtenmagazinen Tagesthemen und heute-journal darüber hinaus eine erläuternde und kommentierende Berichterstattung zum Hintergrund der Daten und Fakten zu liefern In den regionalen Nachrichtensendungen der ARD und im dritten Programm werden die wichtigsten ökonomischen Schlagzeilen ergänzt durch wirtschaftliche Berichte aus den Regionen.
Für die inhaltliche Ausformung und optische Präsentation der Themen ist nur selten das dafür vorgesehene Ressort „Wirtschaft“ zuständig. Im Gegensatz zum ZDF, das die meisten Nachrichtenbeiträge selber produziert, werden in der ARD die Wirtschaftsberichte häufig von der Anstalt geliefert, in deren Bereich das wirtschaftliche Ereignis stattfindet In der Regel haben die Redakteureund Moderatoren der Sendungen ihr spezielles Fachgebiet. Hin und wieder wird auf die Fachkompetenz von Kollegen aus dem wirtschaftlichen oder politischen Ressort zurückgegriffen, z. B. bei erforderlichen Kommentaren. Auffallend in den Nachrichtensendungen ist das Bemühen um eine verbesserte optische Präsentation der Nachrichtenmeldungen. Fast alle Nachrichtentexte werden mit optischer Hilfe (eingeblendete Schlagzeilen. Schaubilder und Informationstafeln, vorweggenommene, knappe Textzusammenfassungen) vermittelt. Ein Beispiel, das in den anderen Magazinsendungen noch mehr als bisher Berücksichtigung finden sollte.
Der Zuschauer wird in den Hauptnachrichtensendungen der ARD und des ZDF kontinuierlich über das aktuelle wirtschaftspolitische Tagesgeschehen informiert. Diese Kurzinformationen werden gelegentlich ergänzt durch eine etwas ausführlichere Berichterstattung, durch Interviews oder Kommentare. Die Zusatzberichte zur knappen Tageschronik dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß für eine gründliche und sachgerechte Aufarbeitung und Beurteilung eines wirtschaftlichen Ereignisses mehr Zeit und spezielle Fachkenntnisse des Redakteurs notwendig sind. 2. Politische Magazine Das Format der politischen Magazine bietet in diesem Zusammenhang schon mehr Freiraum für eine genauere Analyse wirtschaftspolitischer Inhalte. Da ökonomische Entwicklungen beherrschende Themen der Innen-und Außenpolitik sind, halten es die politischen Magazine der ARD (Panorama, Report, Monitor, Kontraste) und gelegentlich des ZDF (Kennzeichen D, Studio 1) für selbstverständlich. Wirtschaftsthemen zu behandeln — und zwar aus ihrer Sicht. Die langjährige Vorzugsbehandlung sogenannter zeitkritischer Magazine innerhalb der koordinierten Programmstrukturen von ARD und ZDF hat die Wirtschaftsredaktion (insbesondere der ARD) ins Abseits gedrängt. Dies führt nicht selten zu Resignation, Mißstimmung und Desinteresse an einer produktiven Zusammenarbeit mit den politischen Redaktionen: „Zwischen den Plusminus-Redaktionen gibt es eine ständige Themenabstimmung, die problemlos funktioniert. Dies gilt leider nicht für die politischen Magazine. Hier ergeben sich gelegentlich thematische Überschneidungen, die meist zugunsten der Politik gehen. Bei einer Tagesaktualität ist die vorrangige Behandlung von Wirtschaftsthemen in Tagesschau und Tages-themen begreiflich; sie macht es dem Wirtschaftsredakteur aber nicht gerade leichter, seinen ausführlichen Bericht zum gleichen Thema noch an den Mann zu bringen.“
Mit der Einführung der täglichen Nachrichtenmagazine hat sich auch das Selbstverständnis der politischen Redakteure gewandelt: „Seit wir im Programm Tagesthemen haben, also ein tägliches Magazin, versuchen wir in Report noch mehr als früher Hintergründe aufzuzeigen mit Bezug zu aktuellen Problemen.“ „Während von den ARD-Magazinen die Einführung der Tagesthemen als generelle Entlastung von kurzlebigen Aktualitätszwängen und Verpflichtungen zu verstärkt analytischer Themenbearbeitung interpretiert wurde, bestand das ZDF-Magazin darauf, im Unterschied zum heute-Journal nicht Nachrichten-, sondern Meinungsmagazin zu sein.“
Berichtet wird in den politischen Magazinen über aktuelle Ereignisse — sei es. daß man der parteipolitischen Diskussion der Themen folgt und sich bemüht, Hintergrundinformationen zu liefern, sei es, daß die Redaktionen ihre Aktualität selber produzieren, indem sie Konfliktfälle „ausgraben“. 45 Minuten lang nur ein wirtschaftliches Thema zu vertiefen, widerspricht dem Konzept politischer Magazinsendungen. Die Darstellung und Erklärung komplexer wirtschaftlicher Abläufe gehört demnach in den Aufgabenbereich von Wirtschaftsmagazinen bzw. von speziellen Features.
Die begrenzte Sendezeit für wirschaftspolitische Beiträge in den Magazinen und die enge Auswahl von Daten und Fakten erfordern einen sachkundigen Berichterstatter. Da die Beiträge jedoch in der Regel von Redakteuren gestaltet werden, die keine Wirtschaftsspezialisten sind, sehen sich die politischen Magazine von Seiten der Vertreter der Wirtschaft und der Fachkollegen gelegentlich der Kritik ausgesetzt, denn die Sicht politischer Journalisten ist anders als die von Wirtschaftsjournalisten, wie folgende Aussage belegt: „Politische Journalisten neigen nun einmal, um ein Beispiel zu nennen, mehr als Wirtschaftsjournalisten dazu, die Parole ‘Bildung ist Bürgerrecht’ zu benutzen, ohne über die finanziellen und sozialen Folgen nachzudenken. Sie sehen die politische und soziale Stabilität dieses Landes eher dadurch bedroht, daß irgendein katholisches Krankenhaus in Bayern die Abtreibung verweigert, als durch die Kostenexplosion im Gesundheitswesen, eher dadurch, daß irgendwo zu Unrecht ein vermeintlich oder tatsächlicher Kommunist nicht in den öffentlichen Dienst darf, als von der Anspruchsgesellschaft, die mittlerweile die finanzielle Grundlage unserer Alterssicherung zerstört hat. Wirtschaftsjournalisten sehen das meist anders herum.“
Die Aufbereitung von Wirtschaftsthemen beschränkt sich — da nur wenige Minuten verfügbar sind — häufig auf eine Kurzreportage, angereichert um Statistiken und/oder eine Experten-und Politikerbefragung. Die Gefahr, daß politische Parteilichkeit und nicht die Fakten Inhalt und Tendenz eines Berichtes bestimmen, vergrößert sich auch hier mit einer unzureichenden fachlichen Ausbildung der Femsehpraktiker. Verschiedene politische Redaktionen greifen daher bei der Vorbereitung von Beiträgen mit wirtschaftlichem Inhalt auf die Fachkompetenz der Kollegen aus der Wirtschaftsredaktion zurück. Eine vertiefende Beratung und Organisation von Koproduktionen findet jedoch in den seltensten Fällen statt. Innerredaktionelle Schwierigkeiten wie z. B. unzureichende personelle Ausstattung der Wirtschaftsredaktionen und mangelnder Informationsaustausch verhindern meistens eine anstaltsübergreifende Zusammenarbeit
Gegenüber den Nachrichtensendungen wird der Zuschauer in den vereinzelten Beiträgen der politischen Magazine schon ausführlicher über den Kontext wirtschaftpolitischer Ereignisse informiert. Eventuell erreicht man gerade hier auch Menschen, die nicht zu den Stammzuschauern der Wirtschaftsmagazine gehören. Das Format der Magazinbeiträge, die knappe Sendezeit und die häufig mangelhafte Fachkompetenz der Redakteure verführen jedoch zum Weglassen und zu problematischen Generalisierungen wirtschaftlicher Inhalte. Zusammenhängende, genauere Informationen über Hintergründe und Interessen, die das Wirtschaftsgeschehen bestimmen, können in den politischen Magazinen nicht zureichend aufgearbeitet werden. 3. Wirtschaftssendungen Die öffentlich-rechtlichen Femsehanstalten ARD und ZDF berichten über wirtschaftspolitische Sachverhalte und Zusammenhänge ausführlich und regelmäßig in den Magazinen Plusminus (ARD, Fr. ca. 21. 45, 45 Min., 14-tägig) und WISO (ZDF, Mo. 21. 15, 30 Min., wöchentlich). In drei bis fünf Beiträgen pro Sendung sollen dem Zuschauer:
— die wichtigsten aktuellen Informationen über wirtschafts-und gesellschaftspolitische Entwicklungen, Ergebnisse und Beschlüsse angeboten, — Hintergründe wirtschaftlicher Ereignisse erklärt, — die Bedeutung wirtschaftspolitischer Entscheidungen in ihren Auswirkungen auf die Volkswirtschaft und den einzelnen Bürger dargestellt, — gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge transparent gemacht werden
Selten wird die ganze Sendezeit einem Schwerpunktthema gewidmet. Während Plusminus (ausgestrahlt von den Sendeanstalten BR, NDR, SWF, SR, WDR) seine Sendekonzeption seit nunmehr 14 Jahren nicht wesentlich verändert hat (sieht man von einigen neuen Gestaltungsformen ab), bietet WISO — gegenüber ihrer Vorgängerin Bilanz — dem Zuschauer mehr Flexibilität in der Auswahl der Themen und ihrer Präsentation an Neben diesen beiden etablierten Wirtschaftsmagazinen werden Wirtschaftsthemen auch vereinzelt in den dritten Programmen (z. B. plus 3 [WDR], Markt — ein Wirtschaftscocktail [SWF], Trends [HR], Blickpunkt Wirtschaft [BR]), in speziellen Verbraucher-und Ratgebersendungen, in Sondersendungen, Features und nicht zuletzt in privaten Fernsehprogrammen (z. B. WM [SAT 1], netto [RTL plus]) angeboten.
Aus den Programmbeobachtungen der beiden Wirtschaftsmagazine Plusminus und WISO geht hervor, daß ihre Themenauswahl der der politi- sehen Magazine ähnelt. Berichtet wird überwiegend über aktuelle Konfliktstoffe, die in den Print-medien und Nachrichtensendungen bereits herausgegriffen, thematisch gewichtet und als relevante wirtschaftliche Themen in das öffentliche Bewußtsein gehoben wurden Die Anhäufung thematisch unterschiedlicher Beiträge und der Aktualitäts-und Ereignisbezug der Themen schließen die Darstellung wirtschaftlicher Wirkungszusammenhänge von vornherein aus. Zusammenhängende Komplexe wie z. B. internationale Wirtschaftsvereinbarungen und Umweltschutz sowie mittel-und langfristige Aspekte der Wirtschaftspolitik im In-und Ausland bleiben den wenigen über das Jahr verteilten Sonder-bzw. Featuresendungen Vorbehalten. Die Bemühungen, möglichst interessant, umfassend, sachlich und meinungsvielfältig zu informieren, scheitern oft an der kurzen Sendezeit, die den Redakteuren für die Magazinbeiträge zur Verfügung steht.
Hinzu kommt, daß das Ressort „Wissenschaft“ in den Sendeanstalten lange Zeit nur unzureichend berücksichtigt wurde, was sich nicht zuletzt an der Sendezeit und Sendehäufigkeit der Wirtschaftsmagazine nachzeichnen läßt Erst in den letzten Jahren ist in den Sendern ein zunehmendes Interesse an den Wirtschaftsredaktionen und auch Verständnis für deren Belange festzustellen. Dies zeigt sich u. a. an den Bemühungen der Sendeanstalten, neue Wirtschaftssendungen in das Programm aufzunehmen. Eine Weiterentwicklung des Fachmagazins ist auch in dem täglichen und wöchentlichen Angebot von Sendezeit zu sehen, wie sie beispielsweise von Wirtschafts-Telegramm (ARD), netto (RTL plus), WISO (ZDF) undplus 3 (WDR) praktiziert wird. Der interessierte Zuschauer kann sich regelmäßig über die wichtigsten Ereignisse und Entwicklungen der letzten Wochen informieren und ist somit in einen kontinuierlichen Geschehens-ablauf einbezogen.
III. Versäumnisse
Nach dem Motto: „Wirtschaftsthemen müssen verkauft werden“ erwächst für das Massenmedium Fernsehen die Aufgabe, mit Themenauswahl und -gestaltung immer mehr dem Unterhaltungsbedürfnis eines Millionenpublikums entgegenzukommen. Um die nötige Zuschauerzahl zu erreichen, verzichten die Wirtschaftsredakteure lieber auf anspruchsvolle, komplexe Themen zugunsten von Beiträgen, die publikumswirksam aufbereitet werden können. Ein Vergleich der Sendung WISO (ZDF) in ihrer jetzigen Form mit ihrer Vorgängerin Bilanz macht diese Entwicklung deutlich. Die schwierige Grat-wanderung der gerade noch zulässigen Vereinfachung wirtschaftlicher Inhalte zeichnet sich auch in den Wirtschaftsmagazinen der dritten Programme und in den privaten Satellitenprogrammen ab. Als Alternative zu den klassischen Wirtschaftsmagazinen treffen sich z. B. die Redakteure und Gäste der Sendung Markt — ein Wirtschaftscocktail (SWF) im Studio an einer improvisierten Kneipentheke, Musikdarbietungen unterbrechen Gespräche und Diskussionen wechseln mit kurzen Filmbeiträgen Das Wirtschaftsmagazin WM im privaten Satellitenfernsehprogramm SAT 1 setzte ebenfalls neue Akzente in der Wirtschaftsberichterstattung (z. B. regelmäßige Börsenberichterstattung vor Ort, Unternehmerporträts) Diese (dennoch) zum Verwechseln ähnliche und gelegentlich zur Wirtschaftsshow tendierenden Magazine kommen sicher dem Bedürfnis vieler Zuschauer nach Informationsvermittlung in einer entspannten, eher unkonzentrierten Rezeptionshaltung entgegen. Daneben gibt es jedoch auch Zuschauer, die wirtschaftlich relevante Themen vorzugsweise sachlich, informativ und umfassend, ohne ergänzende Unterhaltungselemente (gemeint sind die zur Zeit gängigen „Aufmunterer“) behandelt sehen wollen. Der an wirtschaftlichem Grundwissen oder Kompaktinformationen interessierte Zuschauer muß sich von den Magazinen hier eher im Stich gelassen als ausführlich informiert fühlen.In den politischen Magazinen und Wirtschaftsmagazinen ist man vorrangig darum bemüht, aktuelle Wirtschaftsthemen — wenn auch auf unterschiedliche Weise — zu behandeln, die im dem täglichen Nachrichtenüberblick zu kurz kommen. Das Aktualitätsprinzipwirkt sich bei manchen Magazinsendungen (z. B. Plusminus, 14tägig) allerdings eher kontraproduktiv aus, Im Gegensatz zur Tagespresse oder „trendsettern" wie der Zeitschrift Der Spiegel, die schnell auf aktuelle wirtschaftliche Ereignisse reagieren bzw. durch die eigene Recherche selber Aktualität produzieren, greifen einige der bisher genannten Fernsehmagazine wichtige Vorgänge und Entwicklungen erst mit einer zeitlichen Verzögerung auf. Die Chance einer vertiefenden Aufarbeitung wirtschaftspolitischer Themen im Fernsehen — orientiert an aktuellen Ereignissen und dennoch unabhängig von der reinen Tagesaktualität — wird nur in den seltensten Fällen von den politischen Magazinen und Fachmagazinen genützt. Die wenigen, auf das Jahr verteilten Feature-und Sondersendungen der Wirtschaftsredaktionen und einige Wirtschaftssendungen der dritten Programme (z. B. das ehemalige Wirtschaftsstudio [WDR]) sind daher eine notwendige und noch zu erweiternde Ergänzung zu den etablierten Wirtschaftsmagazinen. Diverse Meinungsumfragen demonstrieren immer wieder einen erschreckenden Mangel an wirtschaftlichen Grundkenntnissen einerseits und fehlender Übersicht über die marktwirtschaftlichen Zusammenhänge andererseits. Das Fernsehen ist sicher das populärste und bequemste Medium, mit dessen Hilfe man sich Wissen über wirtschaftspolitische Ereignisse aneignen kann. Doch vieles deutet darauf hin, daß das wirtschaftspolitische Angebot des Fernsehens den tatsächlich vorhandenen Bedürfnissen, Interessen und Einstellungen seiner Zuschauer keinesfalls gerecht wird. Warum das so ist, läßt sich nur beantworten, wenn man nicht — wie bisher weitgehend üblich — die Akzeptanz von Wirtschaftssendungen allein an den Einschaltquoten mißt.
Statt quantitativer bedarf es vielmehr qualitativer Untersuchungen des tatsächlichen Rezeptionsverhaltens. Dabei müßte Rücksicht genommen werden auf neuere Erkenntnisse der Kognitionsforschung die beweisen, daß audiovisuelle Infor-mationen nicht einfach — im Sinne des Reiz-Reaktionsmodells — vom Produzenten zum Rezipienten übertragen, sondern in einem kreativen, konstruktiven Akt vom Rezipienten selbst geschaffen werden. Mit anderen Worten: Die Absichten und subjektiven (Wirkungs-) Annahmen der Redakteure einer Wirtschaftssendung müssen nicht identisch sein mit den Erlebnissen und Erfahrungen der Zuschauer. Diese selektieren und interpretieren die ihnen angebotenen Informationen, wie es ihren persönlichen und sozialgruppenspezifisch unterschiedlichen Bedürfnissen adäquat ist Die genauere Kenntnis der Interessen, Erwartungen und persönlichen Merkmale verschiedener Zuschauer-gruppen ermöglicht demnach erst eine reflektierte Sendungsgestaltung, die die Möglichkeit von Mißverständnissen nicht ignoriert, die potentielle Diskrepanzen zwischen den Intentionen von Redakteuren und den Wahmehmungsweisen von Zuschauern erkennt und aufzuheben hilft. Dafür gebe ich noch ein Fallbeispiel.
Für den Fernsehpraktiker müßte — soviel sei vorerst festgehalten — handlungsleitend sein, was die Textforschung schon Anfang der achtziger Jahre gefordert hat: „Wenn man weiß, wie sich der Leser bei der Rezeption verhält, welche Leistungen von ihm gefordert werden, welche Bedingungen ihm die Sprachverarbeitung erleichtern, welche sie ihm erschweren, dann kann man sich als Autor auch flexibel darauf einstellen, entsprechend den Wirkungsabsichten, die man hat.“
IV. Informationsbedürfnisse (Fallbeispiel)
Will man mit einem breiten und differenzierten wirtschaftlichen Programmangebot den Interessen von Mehrheiten als auch von speziellen Minderheiten und Zielgruppen entgegenkommen, dann müssen die verschiedenen Erwartungshaltungen des Publikums in Zukunft stärker als bisher berücksichtigt werden. Wie unterschiedlich die Interessen der Zuschauer an den inhaltlichen Bereichen der Wirtschaft sein können, welche wirtschaftspolitischen Fragen sie bewegen oder welche Anforderungen sie an eine Wirtschaftssendung stellen, soll im folgenden beispielhaft an der Rezeption einer Sendung des Wirtschaftsmagazins Plusminus demonstriert werden, und zwar konkret an zwei unterschiedlichen Zuschauergruppen: an Gewerkschaftlern und Unternehmern
Wie ich in verschiedenen Gesprächen mit Wirtschaftsredakteuren erfuhr, setzen sie bei ihren Zuschauern ein gewisses Maß an wirtschaftlichen Grundkenntnissen und fachbezogenem Interesse voraus („Wir wollen nicht die Volksschullehrer der Nation sein“). Ihnen kommt es ferner darauf an, hin und wieder auch Politiker und Experten aus dem Wirtschaftsbereich zum Zuschauen anzuregen. Bei den Gewerkschaftlern handelt es sich um einen potentiellen Zuschauerkreis, den die Redakteure erreichen wollen. Die Auswahl der Beispiele erfolgte unter der Annahme, daß die unterschiedlichen persönlichen Voraussetzungen der Gewerkschaftler und Unternehmer (z. B. Ausbildung, Beruf. Vorwissen) eine voneinander abweichende Erwartungshaltung an eine Wirtschaftssendung vermuten lassen. Es ist ferner davon auszugehen, daß beide Gruppen über ein umfangreiches wirtschaftliches Vorwissen verfügen und somit motiviert und kompetent genug sind, um eine Wirtschaftssendung beurteilen zu können. Probleme bzw. Verständigungsschwierigkeiten, die z. B. bei Zuschauern wie den Gewerkschaftlern im Zusammenhang mit einer Wirtschaftssendung auftreten, machen sich voraussichtlich bei wirtschaftlich interessierten, aber weniger vorinformierten Zuschauern noch gravierender bemerkbar.
Nähere Auskunft über die Informationsbedürfnisse und Interessen der Gewerkschaftler, die sich vermutlich auf viele Fernsehzuschauer übertragen lassen, geben folgende Ausführungen:
Von einer Wirtschaftssendung erwarten die Gewerkschaftler leicht verständliche Hintergrundinformationen über sie betreffende wirtschafts-und gesellschaftspolitische Entwicklungen, Ergebnisse und Beschlüsse. Die wirtschaftlichen Informationen in der Tagespresse oder in den Nachrichtensendungen werden von ihnen als zu oberflächlich und in ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung als zu wenig nachvollziehbar beschrieben. Im Vordergrund wirtschaftlicher Magazinbeiträge sollten daher die Fragen stehen, wie derartige wirtschaftliche Entscheidungen zustande gekommen sind und was sie für den einzelnen Bürger bedeuten. Ferner kommt es ihnen darauf an, daß die Inhalte eines Wirtschaftsmagazins nicht zu einseitig behandelt werden. Von den Redakteuren fordert man eine sachliche Berichterstattung, die gegensätzliche Positionen aufzeigt und die Meinungsbildung des Zuschauers nicht von vornherein einschränkt.
Die Gewerkschaftler weisen darauf hin, daß sich ihre inhaltliche Auseinandersetzung schwerpunktmäßig auf diejenigen Stellen einer Wirtschaftssendung konzentriert, bei denen für sie die persönliche Relevanz des Themas und der Bezug zur eigenen Erfahrungswelt erkennbar wird. Ihr Informationsverhalten ist in erster Linie auf erläuternde Beispiele ausgerichtet, die ihnen die Einsicht in logisch-kausale Zusammenhänge und die Abläufe von wirtschaftlichen Ereignissen erleichtern sollen. Der Wunsch nach Hintergrundinformationen über wirtschaftliche Gesamtzusammenhänge ist nach Angaben der Gewerkschaftler auf z. T. fehlende wirtschaftliche Grundkenntnisse zurückzuführen. Neben der beruflichen Tätigkeit und/oder der zeitaufwendigen Gewerkschaftsarbeit bleibt ihnen in der Regel nicht mehr viel Zeit und Energie, sich vielseitig zu informieren und eventuell fehlende Grundkenntnisse aufzuarbeiten: Im Zusammenhang mit der Forderung nach detaillierteren Informationen bemängeln die Gewerkschaftler auch die späte und zu kurze Sendezeit vieler Wirtschaftsmagazine. Wie sie zu verstehen geben, fühlen sie sich nach einem anstrengenden Arbeitstag nicht mehr in der Lage, die volle Aufmerksamkeit dem Fernsehen zu widmen. Die Art der Präsentation wirtschaftlicher Beiträge beeinflußt dementsprechend ihre Konzentrationsfähigkeit während der Rezeption. Die folgenden Aussagen von zwei Gewerkschaftlern unterstreichen deutlich den allgemeinen Wunsch nach einer abwechslungsreichen und interessanten Gestaltung von Wirtschaftssendungen: „Vielleicht kann man das alles optisch besser unterstützen, daß man z. B. eine Statistik einfügt oder ein Schaubild. Das bleibt besser hängen als viele Zahlen.“ „Es ist natürlich einfacher für mich, wenn die Bildfolge oder die Sequenzen, die aufgezeigt werden, mich so in Spannung halten, daß ich das Ganze auch vollkommen mitbekomme. Und nicht, daß der Kommentar so lange ist oder die Kameraführung relativ stur und nicht vielfältig ist, daß ich mich dann nicht mehr konzentrieren kann.“
Besonders hilfreich und verständnisfördernd erweist sich für die Gewerkschaftler auch der Moderator einer Wirtschaftssendung. Er kann den Zuschauern das Verständnis der einzelnen Beiträge durch knappe Zusammenfassungen und wiederholte Hinweise auf die Kemaussagen wesentlich erleichtern. Ein Thema ausklingen lassen, die einzelnen Beiträge thematisch miteinander verbinden, schwer verständliche Begriffe aus den Beiträgen aufgreifen und erläutern, Wertungen kennzeichnen — diese Forderungen sehen die Gewerkschaftler in den Wirtschaftsmagazinen aufgrund der zu knapp bemessenen Moderationszeit oft nicht erfüllt. Außerdem halten sie es für wünschenswert, daß der Moderator verdeutlicht, inwieweit der Zuschauer als Arbeitnehmer oder Steuerzahler, als Arbeitsloser oder Rentner von den dargestellten ökonomischen Ereignissen betroffen ist. Auch die Mimik, Gestik und Redeweise des Moderators hat einen Einfluß auf die Aufmerksamkeit für die folgenden Beiträge. Ein Gewerkschaftler beschreibt seine Vorstellungen von einem Moderator folgendermaßen: „Ich würde mir einen Typ aussuchen, der ein bißchen Pfiff und Abwechslung hereinbringt . . . Die Pausen zwischen den Themen füllt der Moderator mit einem Überblick. Regt der jedoch nicht sofort mein Interesse an, neige ich eher dazu, mir etwas zum Trinken zu holen oder zum Essen. Wenn er dasjedoch so interessant anpackt, daß ich denke: Das willst du jetzt unbedingt mitkriegen; jetzt darfst du nicht rausgehen, dann bleibe ich sitzen. Also, wenn jemand zu langsam ist oder zu wenig engagiert ist und nur etwas abliest, dann schließt man davon schon irgendwie auf den Beitrag.“
Bei einer Expertengruppe wie den Unternehmern, die für die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten noch keine typische, aber für die privaten Sender eine schon längst aufgegriffene Zielgruppe darstellen, wird die Erwartungshaltung an eine Wirtschaftssendung sehr stark von dem allgemeinen Informationsverhalten geprägt. Die Unternehmer fühlen sich durch ihre berufliche Tätigkeit dazu veranlaßt, sich täglich über die neuesten wirtschaftlichen Daten und Entwicklungen zu informieren. Die schnelle und effiziente Informationsbeschaffung durch Medien wie überregionale Tageszeitungen und Fachzeitschriften kann jedoch — in einer unterhaltsameren Form — durch das Fernsehen ergänzt werden. Einig ist man sich darin, daß eine Wirtschaftssendung zielgruppenspezifisch produziert werden sollte. Erwünscht sind in diesem Zusammenhang die Darstellung wirtschaftlicher Spezial-themen (ähnlich aufbereitet wie in diversen Fachzeitschriften) oder eine von Experten durchgeführte Ursachenanalyse wirtschaftlicher Zusammenhänge.
Im einzelnen sind die Unternehmer an einer möglichst kurzen, sachlichen und informativen Berichterstattung über wirtschaftspolitische Inhalte interessiert, wie das folgende Zitat exemplarisch belegt: „Ich erwarte von solch einer Sendung in erster Linie Kompaktinformationen. Ich brauche also nicht tausen Beispiele, sondern möchte das Heber zusammengerafft, kurz, prägnant und in den Zusammenhang gestellt und irgendwie möglichst abstrakt.“
Eine weitere Forderung bezieht sich auf die deutliche Trennung zwischen einer sogenannten objektiven Darstellung des jeweiligen Inhalts und der persönlichen Meinung (Kommentar) des Redakteurs. Gerade die kontinuierliche Mischung zwischen Information und Wertung löst bei den Unternehmern ein allgemeines Unbehagen gegenüber den gängigen Wirtschaftssendungen des Fernsehens aus. Vorgegebene Meinungen und vorweggenommene Generalisierungen — sei es durch die Art der Präsentation, sei es durch den gesprochenen Text, die der Zuschauer lediglich nachvollziehen soll — führen bei diesem Zuschauerkreis nicht selten zum Abschalten einer Sendung. Welche Vorstellungen sich konkret hinter der vorgetragenen Kritik verbergen, verdeutlicht die folgende Aussage eines Unternehmers: „Wirtschaftssendungen sollen objektiv von Fachleuten gestaltet werden oder Fachleute sollten interviewt werden . . . Eine objektive Darstellung wäre sicher, wenn zum Beispiel Bank-angestellte der unterschiedlichsten Institute zu Finanzierungen, Subventionen oder ähnlichen Fragen Stellung nehmen. Wenn Stromexperten über den Atomstrom oder unterschiedliche Preise Stel-. lung nehmen, die die Auswirkungen sowohl auf der Verbraucherseite wie auch auf der Erzeugerseite übersehen können. Das würde ich unter Fachleuten verstehen.“
Zusammenfassend weisen die Experten darauf hin, daß es ihnen bei einer Wirtschaftssendung vor allem um Ausgewogenheit in der Auswahl der Themen, in ihrer Behandlung und in der Präsentation von Vertretern verschiedener Gruppen unserer Gesellschaft geht. Nicht Gerüchte oder Mutmaßungen, sondern belegbare Fakten seien die solide Basis von Berichten und Reportagen über Wirtschaftsthemen. Neben der oft als zu einseitig empfundenen Darstellung wirtschaftlicher Sachverhalte bemängeln die Unternehmer auch die zu kurze Sendezeit, die den Beiträgen und der Moderation der Wirtschaftsmagazine in der Regel zur Verfügung steht. Interessiert ist man insbesondere an Hintergrundinformationen zu den wichtigsten aktuellen Ereignissen aus der Wirtschaft und Wirtschaftspolitik sowie an der Darstellung und Erklärung der damit zusammenhängenden marktwirtschaftlichen Mechanismen. Daß diese eher allgemein formulierten Erwartungen bisher nur selten erfüllt worden sind, drückt u. a. die folgende Aussage eines Unternehmers aus: „Die Redakteure müssen versuchen, in 45 Minuten fünf Themen hineinzupacken. Das bedeutet, es wird angerissen und eigentlich müßte eine Diskussionsrunde folgen. Da es sie meistens nicht gibt, werden dort sehr oft Meinungen vertieft, die sowieso schon Allgemeinmeinung sind, so nach dem Motto: Strom ist zu teuer oder wirtschaftliche Konzentration ist schlecht. Warum das so ist, bleibt offen.“
Wie die Unternehmer weiter ausführen, gäbe es auch bei einer Wirtschaftssendung genügend Möglichkeiten, die Zuschauer zu unterhalten, ohne dadurch ihre Fähigkeit zur sachlichen Beurteilung zu beeinträchtigen — beispielsweise, indem man Überraschung auslöst, Neugier erzeugt, neben Realbildem auffallende Statistiken, Graphiken und Trickfilme verwendet.
Von dem Moderator einer Wirtschaftssendung erwarten die Unternehmer vor allem Zusammenfassungen, Anknüpfungs-und Integrationshilfen und weiterführende Denkanstöße. Besonders hervorgehoben wird von ihnen die Beitragsankündigung, die eine bestimmte Erwartungshaltung beim Zuschauer und eine spezielle Sichtweise provoziert, die die nachfolgende Rezeption entscheidend beeinflussen kann. Die folgenden zwei Zitatausschnitte sollen diesen Aspekt konkretisieren: „Der Moderator soll einige sachlich fundierte Hinweise geben zu dem, was den Zuschauer erwartet. Damit man sich in die Materie hineindenken kann und man vorher schon so eine Art Inhaltsverzeichnis zu einem bestimmten Themengebiet hat.“ „Wenn ich merke, daß versucht wird, zu manipulieren, schalte ich innerlich ab, oder es ist eine Art Warnflagge da, die sagt mir: Die ganze Sendung taugt nichts mehr. Das entsteht dann sehr leicht.“
Der Moderator personalisiert für diesen Zuschauerkreis folglich das Image einer Wirtschaftssendung und beeinflußt nicht unwesentlich die emotionale Akzeptanz und Wahrnehmung der folgenden Beiträge. Insgesamt geben die befragten Unternehmer zu verstehen, daß es nach ihrer Ansicht den Wirtschaftsredakteuren im Fernsehen (gemeint sind alle Sendeanstalten) nur selten gelingt, ihr Interesse und ihre Aufmerksamkeit für eine spezielle Sendung zu wecken. Die Intention, sich das eine oder andere Wirtschaftsmagazin trotzdem anzusehen, resultiert eher aus der Neugierde heraus, wie die Redakteure den jeweiligen Inhalt präsentieren und welche politische Ideologie von welchem Sender zum Ausdruck gebracht wird.
Die hier exemplarisch herausgegriffenen Zuschauererwartungen sind ein deutlicher Hinweis darauf, daß die Bedürfnisse an eine Wirtschaftssendung und deren Moderation je nach Zielgruppe differieren können. Der Zuschauer entscheidet in der Regel sehr schnell, ob und wie er die im Sinne einer ersten Orientierungsreaktion wahrgenommene Sendung weiter verfolgen will. Durch das selektive Suchen und Erwarten von bestimmten Inhalten oder Gestaltungselementen, wie sie z. B. in den Aussagen der Gewerkschaftler und Unternehmer zum Ausdruck kommen, wird die Wahrnehmung und Rezeption einer Wirtschaftssendung gesteuert. Kommt es den Redakteuren also darauf an, daß der Zuschauer (der das Fernsehen häufig in Verbund mit anderen Aktivitäten wie z. B. Essen, Unterhalten, Lesen etc. nutzt), sich seinem Beitrag intensiv zuwendet und ihn auch versteht, dann sollte er u. a. die unterschiedlichen Erwartungen, Bedürfnisse und Interessen bei der Konzeption und Produktion eines Beitrags im Blick haben.
Abschließend möchte ich aus meiner empirischen Studie zur Produktion und Rezeption einer Plusminus-Sendung 21) noch eines von vielen Beispielen anführen, daß die Diskrepanzen und Mißverständnisse, die zwischen den subjektiven (Gestaltungsund Wirkungs-) Annahmen der Redakteure und den tatsächlichen Zuschauerreaktionen entstehen können, exemplarisch verdeutlicht.
Die optische Attraktivität eines Themas wird nach Einschätzung der Plusminus-Redakteure im wesentlichen von den authentischen Bildern vor Ort bestimmt. Am Schneidetisch zeigt sich dann, was aus film-und tontechnischen Gründen an inhaltlichen Aussagen möglich ist. Die Leitfunktion der (Real-) Bilder bei den Planungs-und Realisationsentscheidungen ist u. a. dafür verantwortlich zu machen, daß graphische Darstellungsformen in der Sendung nur bedingt eingesetzt werden. Die durchgängig bei allen Redakteuren vorhandene Überzeu-gung, daß Trickfilme, Graphiken und Schaubilder im Fernsehen nur im Notfall, d. h. bei der Vermittlung von besonders abstrakten und komplexen Inhalten verwendet werden sollten, wirkt sich konsequent auf ihr Produktionshandeln aus.
Die Gewerkschaftler und Unternehmer geben demgegenüber an, daß sie bei einer Wirtschaftssendung ihre Aufmerksamkeit überwiegend auf den Text der Beiträge lenken. Den Bildern ordnen sie grundsätzlich eine den Text unterstützende Funktion zu. Bild und Text müssen nach ihrer Ansicht eine sofort erkennbare Einheit abgeben, ansonsten werden Bilder (z. B. aufgrund ihres augenfälligen Informationswertes, ihrer schnellen Überschaubarkeit oder ihrer formalen Reize) gegenüber Texten vorrangig behandelt. Visuelle Informationen üben dann nicht nur eine unterstützende und begleitende Funktion aus, sondern spielen häufig — gegen die Wirkungsabsichten der Produzenten — eine eigenständige Rolle.
Ein auffälliges Ergebnis der Rezeptionsanalyse von Plusminus ist, daß die von den Redakteuren so bezeichneten ästhetischen, stimulierenden, emotionalen und informativen Bilder bei den Gewerkschaftlern und Unternehmern in der Regel zu anderen Reaktionen als den erwarteten führen. Manche Bilder beanspruchen die Aufmerksamkeit der Zuschauer so sehr, daß eine gleichzeitige Auswertung des gesprochenen Textes unmöglich wird. Evozieren Bildsequenzen beispielsweise negative Emotionen oder regen sie vieldeutige Assoziationen an, dann führt dies bei den Gewerkschaftlern sehr schnell zu einer selektiven, fragmentarischen und z. T. oberflächlichen Informationsverarbeitung. In vielen Fällen behindern die Bilder dann den störungsfreien Ablauf der Sendung.
Zusammenfassend weisen die Stellungnahmen der Gewerkschaftler und Unternehmer darauf hin, daß aktivierende Bildelemente (z. B. Farbe, Kontrast, Komplexität, emotionale Reize) vorzugsweise bei Zuschauern wie den Gewerkschaftlern Energien zur Verarbeitung der wahrgenommenen Text-Bild-Diskrepanzen freisetzen, die die Aufmerksamkeit von den beabsichtigten Informationswirkungen der Redakteure abziehen. Beide Zuschauergruppen wünschen sich daher von den Redakteuren einer Wirtschaftssendung, daß sie zu komplexen oder wichtigen Textpassagen ein Standbild, eine Statistik oder eine Graphik einblenden. Umgekehrt soll ihrer Meinung nach ein aussagekräftiges und konkretes Bildmaterial nicht übertextet werden, weil das die Auswertung behindern würde. Entgegen den Überzeugungen der Redakteure, daß Trickfilme, Graphiken und Schaubilder im Fernsehen nur im Notfall eingesetzt werden sollten, befürworten und erwarten die Zuschauer in einer Wirtschaftssendung die Verbindung von realer und graphischer Darstellung.
V. Konsequenzenund Perspektiven
Das Fernsehen wird als das populärste und bequemste Medium in Zukunft wohl die Hauptrolle spielen, wenn es um die breite Vermittlung wirtschaftspolitischer Informationen geht. Der Mangel an wirtschaftlichen Grundkenntnissen beim allgemeinen Publikum kann nun nicht einfach dadurch ausgeglichen werden, daß man z. B. ein Telekolleg „Wirtschaft“ im Abendprogramm etablierte. Die Sendeanstalten sollten vielmehr bei der Auswahl und Ausführung wirtschaftlicher Themen ein vielfältiges Sendeangebot — ausgeführt und mitgestaltet von fachkundigen Wirtschaftsjournalisten — bereithalten, das sowohl dem Unterhaltungsbedürfnis als auch dem Bedürfnis nach sachlicher und vertiefender Information des Zuschauers entgegenkommt.
Neben den Magazin-und Featuresendungen wären mehr dramaturgisch gestaltete Spielhandlungen (z. B. Wirtschafts-Fernsehspiele) und Dokumentarspiele im Abendprogramm denkbar, die wirtschaftspolitische Themen aufgreifen und dem Zuschauer einen anderen Einblick in volkswirtschaftliche und betriebswirtschaftliche Zusammenhänge eröffnen. Die häufig angeführten und auch tatsächlich vorhandenen Sachzwänge der Redaktionen und der Umstand, daß die Wirtschaftssendungen nicht nur das Werk eines einzelnen Redakteurs, sondern das Ergebnis eines Produktionsteams sind, erschweren sicherlich die Erprobung neuer Programmformen in den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten. Es ist daher notwendig, darüber nachzudenken, wie eine verstärkte Förderung des Nachwuchses in der Institution Fernsehen und in anderen ausbildenden Instituten (z. B. Hochschulen, Akademien) aussehen könnte. Gerade die innovationsbedürftigen Sparten Magazine, Feature, Serie, Talkshow etc. werden als Betätigungsfelder von jungen Filme-und Femsehmachem häufig igno-riert. Eine kontinuierliche Kooperation des Fernsehens Werkstatt des fortschrittlichen neuen Films versteht. mit ausbildenden Instituten und Hochschulen Solche Werkstätten müßten für die Programminnovationen ein fließender Übergang zwischen dem vorbe-. außerhalb der Femsehanstalten Studium und der praktischen Fernsehausbildung und teilweise genreübergreifend angelegt werden. wären ein erster Schritt in diese Richtung, Die Einrichtung eines sogenannten Universitäts-„Bevor Phantasie und Ausdruckskraft von oder Akademie-Fernsehens, in dem die Studenten immer wieder in die gleichen, auf Video Bild-und Textgestaltungsmoglichkeiten längst überholten Produktionsschemata zielgruppenorientiert ausprobieren dürften, gepreßt werden, müssen zuallererst die eingefahrenen wäre beispielsweise eine attraktive Bereicherung Dramaturgien und Herstellungsmethoden sowohl für das Studium und den Austausch selbst von einer veränderten Medienlandschaft neu gemeinsamer Erfahrungen als auch für die künftige überprüft und umgekrempelt werden.“ Arbeit in den Medien.
Die Einrichtung von institutionalisierten Werkstätten den täglichen Druck der Verhinderung gilt für Programminnovationen (z. B. neue Formen fröhlich immer wieder den Beweis des Möglichen der Wirtschaftsberichterstattung neben den zu erbringen.“ Den Produzenten von Wirtschaftssendungen an den Universitäten, im Hinblick auf wäre zu raten, sich mehr als bisher Vorbereitung in den Medien, ist m. E. keine den von den Sendeanstalten unabhängigen medienwissenschaftlichen Perspektive für das Erproben und und kognitionspsychologischen von Projektideen außerhalb der Forschungen zu öffnen und in Zusammenarbeit Erwähnt sei hier z. B. die Redaktion mit interessierten Kollegen und/oder der Praxis des Kleinen Fernsehspiels (ZDF), die sich zugewandten Wissenschaftlern ihre Bedürfnisse und Anforderungen an eine empirische Untersuchung zu artikulieren.
Brigitte Spieß, geb. 1957; wissenschaftliche Mitarbeiterin im Sonderforschungsbereich „Ästhetik, Pragmatik und Geschichte der Bildschirmmedien. Schwerpunkt: Fernsehen in der Bundesrepublik Deutschland“ an der Universität Gesamthochschule Siegen. Veröffentlichungen u. a.: (zus. mit Siegfried J. Schmidt und Detlef Sinofzik) Wo lassen sie leben? Kulturfaktor Werbung — Entwicklungen und Trends der 80er Jahre, in: Christian W. Thomsen (Hrsg.), Aufbruch in die 90er Jahre. Ideen, Entwicklungen und Perspektiven der 80er Jahre, Köln 1990; Plusminus. Eine empirische Studie zur Produktion und Rezeption eines Wirtschaftsmagazins (i. E. 1991).
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