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Ökonomische Aspekte der Rüstungskonversion | APuZ 36/1990 | bpb.de

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APuZ 36/1990 Konventionelle Stabilität und Sicherheit in Europa. Truppenreduktionen, Umrüstungen und Wiener VKSE-Konferenz Eine neue Sicherheitspolitik — Chance für Europa Ökonomische Aspekte der Rüstungskonversion Vom Klassenfeind zum Kameraden? Soziale Deutungsmuster von Offizieren der Nationalen Volksarmee (NVA)

Ökonomische Aspekte der Rüstungskonversion

Lutz Köllner

/ 23 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Abrüstung und Rüstungskonversion sind politische Entscheidungen, zu denen Wirtschafts-und Finanzwissenschaftler kurz-, mittel-und langfristige Modelle entwerfen können. Die Bundesrepublik ist im internationalen Vergleich ein relativ „harmlos“ gerüstetes Land. Sie repräsentiert zugleich den Typ eines hochentwickelten Altindustrielandes mit seinen spezifischen institutioneilen Starrheiten und einer spürbaren Unelastizität sowohl bei der Budgetbewilligung wie bei Untemehmensentscheidungen. Abrüstung ist nicht das Spiegelbild von Aufrüstung: Die Elastizitäten, die an den Märkten (einschließlich der Kreditmärkte) sowie bei makroökonomischen Aggregaten wie Sparen, Investieren, Liquidität, Leistungsbilanzsalden, Währungsdisziplin u. a. berührt werden, sind hier andere als bei der bisher jährlich fortgeschriebenen Rüstung. Der Militärische Sektor in der Bundesrepublik ist quantitativ klein; eine geschlossene Rüstungsindustrie gibt es nicht. Der Anteil an Dienst-und Wissensleistungen sowohl beim Militär wie in der Rüstungswirtschaft ist gestiegen. Ihn für eine alternative Produktion umzusetzen, ist schwer. Auf Grund der geringen Quantitäten und unbeweglicher Budgetpolitik sind von der Rüstungskonversion gesamtwirtschaftlich keine schnellen und die wirtschaftliche Entwicklung fördernde Impulse zu erwarten.

I.

Ob Abrüstung und/oder Konversion gewollt wird, ist eine politische Entscheidung. Die Wirtschaftswissenschaft kann diesen Prozeß beratend begleiten, aber nur begrenzt gestalten. Im Zuge von Konversion treten privatwirtschaftliche und öffentlich-wirtschaftliche Vor-und Nachteile auf, die es gegeneinander aufzuwiegen gilt. Das Ergebnis einer wirtschaftswissenschaftlichen Analyse kann dabei durchaus zu unpopulären politischen und gesellschaftlichen Schlußfolgerungen führen — etwa derart, daß man aufgrund der geringen gesamtwirtschaftlichen Quantitäten von Konversion keine starken und keine dauerhaften wirtschaftlichen Wachstumsimpulse erwarten kann. Wissenschaftler dürfen keine falschen Hoffnungen wecken. Sie müssen den Mut haben, ihr Fachwissen gegen politische Herrschaft und politische Doktrinen zu stellen. Zunächst einige Stichworte zur Rüstungswirtschaft und Rüstungsfinanzierung in der Bundesrepublik: — Es gibt in der Bundesrepublik Deutschland keine in sich geschlossene Rüstungsindustrie wie zur Zeit der „Kanonenkönige“ Krupp, Scöda oder Schneider-Creuzot. Gemischte Fertigung herrscht vor. Panzer und Lokomotiven, Kampfflugzeuge und Europarakete sowie Airbus werden nebeneinander produziert. Es gibt keine Rüstungsbranche, sondern Sektoren rüstungswirtschaftlicher Fertigung in verschiedenen Branchen. — Dienstleistungen dringen allenthalben vor; Ingenieur-und Wissensleistungen haben auch in der Rüstungsfertigung in einem früher unbekannten Ausmaße zugenommen, wenn sie hier auch noch nicht 30 Prozent wie in den USA (einschließlich NASA u. ä.) betragen. Planungszeiträume sind nicht nur wegen der Bürokratisierung der Beschaffung länger geworden, sondern weil die Entwürfe für immer komplizierteres Gerät immer mehr Zeit beanspruchen. — Die Bundesrepublik Deutschland ist ein konventionell gerüstetes Land, ohne ABC-Waffen, was alle Vergleiche mit Nuklearmächten erschwert. Die Bundesrepublik ist ferner ein Land mit einer zersplitterten Rüstung für drei Teilstreitkräfte mit gemeinsamen Kostenstellen, deren Bedeutung säkular wuchs: Logistik, Wartung und gemeinsame NATO-Aufgaben (NATO-Zivilhaushalt, CEPES [Central European Pipe-Line System], NATO-Infrastrukturhaushalt usw.). Einfaches Feldzeug steht neben dem Tornado, neben dem Leopard II. — Der Anteil an materieller Rüstung ist selbst bei weitherziger Auslegung des Begriffes klein: 12, 8 Milharden DM, maximal 16, 6 Milliarden DM; das sind (1988) ca. 0, 6— 0, 7 Prozent des Bruttosozialproduktes. Der Anteil der Militärausgaben am Bruttosozialprodukt fiel unter drei Prozent, was als historischer Wert seit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts gelten darf. — Fiskalisch gesehen wurden anteilig die Militär-ausgaben seit 1955/56 im Bundeshaushalt immer geringer. Zu Beginn waren es 32 Prozent des Bundeshaushaltes, heute sind es noch ca. 18 Prozent. Sozial-und Bildungsausgaben sowie die sogenannten Gemeinschaftsaufgaben und ihre Finanzierung drängten demgegenüber nach vorn. — Im internationalen Vergleich ist die Bundesrepublik Deutschland ein vergleichsweise harmlos gerüstetes Land; die Rüstung begann „verspätet“ und sie wurde anfangs nur unwillig angenommen. In mehr als 30 Jahren hat sich freilich ein hohes technologisches und wehrtechnisches Niveau herausgebildet, gerade bei großem Gerät und bei schweren Waffen. — Der zuletzt genannte Teil physischer Rüstung wurde teurer, nicht wegen irgendwelcher besonderer Inflationstendenzen, sondern weil Forschung und Entwicklung, Erprobung und der Anteil ingenieurtechnischer Leistungen sowie die Ausgaben für die Wartung ständig stiegen. Erinnert sei an die 36 Mann, die einen Starfighter bzw. einen Tornadopiloten „betreuen“. Bei der alten M 109 im Zweiten Weltkrieg sollen es nur vier oder sechs Mann gewesen sein. Das ist ein Hinweis auf gestiegene und feste Kosten der Logistik und Wartung. — Schließlich sind die Personalkosten zu berücksichtigen, die heute bei Zeit-und Berufsoffizieren wieder besoldungsmäßig beamtenähnlichen Charakter haben. Das ist eine wenig wünschenswerte Starrheit innerhalb der Verteidigungsausgaben. Die Bundeswehr mit ihren vielen Sozialleistungen bietet eine Art zweites Sozial-und Bildungssystem (Berufsförderung, Umschulung, Offiziersstudium für junge Fähnriche und Leutnante usw.).

Militärausgaben sind Zentral-Staatsausgaben (Zivilverteidigung ist weitgehend Länderaufgabe). Damit verknüpft sich für den Wirtschafts-und Fi23 nanzwissenschaftler die Frage: Tragen Militärausgaben als Makrofaktor zum wirtschaftlichen Wachstum, zur wirtschaftlichen Entwicklung bei, selbst wenn ihr quantitativer Anteil an Makroindikatoren gering ist? Es darf als erwiesen gelten, daß a) nur in frühen Stadien wirtschaftlicher Entwicklung Militärausgaben einen echten Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung leisten, indem z. B. Infrastrukturen aufgebaut werden, die auch der nicht-militärischen Nutzung dienen (Hafenmolen, Flugplätze, Straßen, Magazine, Lazarette). In einigen Entwicklungsländern ist das noch erkennbar. b) In fortgeschrittenen Stadien wirtschaftlicher Entwicklung reduziert sich die Bedeutung von Militär-ausgaben auf eine mittelfristige Bindung von Beschäftigung und konsumnaher Kaufkraft. Militärisches Großgerät hat keinen eigenen Kapazitätseffekt — Panzer produzieren keine neuen Panzer —, während es ein Charakteristikum z. B.der Maschinenbauindustrie ist, daß der Bau von Maschinen den Bau weiterer, anderer Maschinen hervorlockt. Neue Investitionen im nichtmilitärischen Bereich schaffen neue Kapazitäten. Panzer u. a. können nur „mehr“ — oder „weniger“ — produziert werden. „Nachrüstungen“ technischer Art sind bestenfalls Ergänzungsinvestitionen, aber keine Investitionen mit eigenem Kapazitätseffekt. c) Die Wirtschaftswissenschaft kann bisher in der Bundesrepublik Deutschland — die US-Forschung ist uns hier voraus — nicht eindeutig sagen, ob mehr und/oder qualitativ „besseres“ Militär mehr sozialen Schutz verspricht, hinter dem sich eine „friedliche“ wirtschaftliche Entwicklung abspielen kann — eine Vorstellung, die schon sehr ausgeprägt war bei Adam Smith. Die Sozialkostenberechnung der Belastungen durch das Militär steht im Rahmen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung noch immer in ihren Anfängen. Damit hängen Fragen der Neuordnung der Berechnung der Sozialprodukte zusammen. Bei einer Autokarambolage werden Hilfeleistungen, Abschleppdienste, Kosten von Krankenhausleistungen und anderes paradoxerweise als „Produktion“ verbucht. Ähnlich geschieht es bei der Beseitigung von Müll und bei den Aufwendungen zur Beseitigung von Umweltschäden, obwohl das Kosten zur Erhaltung des Sozialproduktes und des allgemeinen Wohlstandes sind. Sicher ist nicht richtig, wenn gesagt wird, erst durch die Bundeswehr sei die Bundesrepublik zu einem echten Staatsgebilde geworden mit gesicherten Sozialproduktzuwachsraten. Dem muß das wirtschaftsgeschichtlich einmalige Ereignis entgegengehalten werden, daß das sogenannte „Wirtschaftswunder“ 1948/56 gerade in einer militärlosen Zeit, noch dazu unter Besatzungsbedingungen mit Investitionsraten bis zu 23 Prozent des Bruttosozialproduktes erfolgte. d) Alte Hochindustrieländer neigen zu säkular abnehmenden Wachstumsraten, vor allem, wenn keine neuen Industrie-bzw. Wirtschaftssektoren entstehen. Und es sieht so aus, als ob selbst gleich-bleibende Militärausgaben an derartigen Lücken in der wirtschaftlichen Entwicklung ihren Anteil haben, vor allem in Zeiten der Entspannung, wenn das Argument an Gewicht verliert, man brauche nach außen starken militärischen Schutz, um eine stabile wirtschaftliche Entwicklung zu garantieren. Vieles spricht dafür, daß wehrtechnische spinn-off und spread-over Effekte immer wieder überschätzt werden. Die Spezialisierung ist bei der Fertigung heutiger Waffen sehr hoch. Moderne Waffen sind äußerst inkonvertibel. Die Hoch-Technologie ist hingegen en bloc hochkonvertibel und produktionswirtschaftlich offenbar gut austauschbar. Je näher man an das ausschließlich militärisch nutzbare Endprodukt herankommt, um so inkonvertibler wird es.

II

Konversion, die Umwandlung eines Teiles von zentralen Staatsausgaben, spielt sich einmal im Staatshaushalt (Budget), zum anderen in der Rüstungswirtschaft ab. Da seit 300 Jahren Militär-und Rüstungsausgaben Staatsausgaben sind, können wir die anderweitige Nachfrage nach Handfeuerwaffen, etwa durch die Land-und Forstwirtschaft sowie kleinere, mit Waffen versehene Verbände (Zoll, Grenzschutz, Wach-und Schließgesellschaften) vernachlässigen, da unsere Überlegungen makro-ökonomischer Art sind. Wir müssen beide Säulen der Konversion — die fiskalische und die produktionswirtschaftliche — gleichzeitig sehen, weil sie Teile des Sockels sind, auf dem sich wirtschaftliche Entwicklung abspielt. Sowohl veränderte bzw. verminderte Staatsausgaben wie veränderte Staats-aufträge nehmen Einfluß auf Umfang und Zusammensetzung des Sozialproduktes, und sie tragen verschiedenartig zu einem Wirtschaftswachstum bei.

Militär-bzw. Verteidigungsausgaben sind in föderal geordneten Staaten Zentralstaatsausgaben, also müssen sie im Zentralbudget geführt werden. Dessen fiskalische Leistungsfähigkeit ist einmal abhängig vom Finanzsystem eines Staates und seiner Elastizität gegenüber Veränderungen des Konjunkturverlaufes sowie abhängig vom langfristigen wirtschaftlichen Wachstum. Die Steuerverteilung auf die Gebietskörperschaften, Steuertarife sowie die Verteilung der Steuererträge bestimmen indirekt auch die Höhe von Verteidigungsausgaben, wobei der Finanzausgleich zwischen den Gebietskörperschaften Spannungen zwischen Finanzbedarf und Finanzaufkommen glätten kann.

Verteidigungsausgaben nehmen in entwickelten Altindustriestaaten etwa drei Prozent des Bruttosozialproduktes in Anspruch. In Nuklearstaaten sind es bis zu sechs Prozent. Während der Anteil der physischen Rüstung an der Nettoindustrieproduktion selten mehr als zwei Prozent der gesamten Industrieproduktion beträgt, beläuft sich der Anteil der Beschäftigten im militärischen Sektor — einschließlich der Streitkräfte selbst — in der Bundesrepublik auf etwa dreieinhalb Prozent (einschließlich der Bundeswehrzivilverwaltung). Nicht mehr als 16, 6 Milliarden DM werden jährlich in der Bundesrepublik für Rüstung, einschließlich des einfachen Feldzeugs für jeden Soldaten, ausgegeben. Dieser Betrag umfaßt die Ausgaben sowohl für Gewehre wie die Kosten von etwa 100 Millionen DM für einen'„Tomado-MRCA“. Würden vier Milliarden einmalig eingespart werden, so wären das kaum 0, 2 Prozent des Bruttosozialproduktes. Dieser kleine Sektor kann jedoch deshalb erhebliche Wirkungen auf die Gesamtwirtschaft haben, weil er qualitativ mit viel „Wissensleistungen“ und hochqualifiziertem Material, kapitalintensiv produziert, angereichert ist. Dieses Material kann in seiner endmontierten Fertigung nur begrenzt anderweitig verwendet werden. Konversion sollte daher auf möglichst frühen Erzeugungsstufen beginnen.

Der Anteil der Verteidigungsausgaben am Bundeshaushalt ist von ca. 32 Prozent (1956) auf 18 Prozent (1989) gesunken. Insofern gab es bereits eine relative budgetinteme Konversion zwischen verschiedenen Zentralstaatsausgaben. Innerhalb der Verteidigungsausgaben sind vor allem die Aufwendungen für Wartung, Unterhalt, Logistik (Nachschub) und Kommandostrukturen gestiegen. Insgesamt zeichnet sich ein Anstieg von Dienstleistungen innerhalb des militärischen Sektors ab. Eine lineare, alle Ausgabengruppen gleichmäßig treffende Konversion tangiert unterschiedliche Entwicklungen einzelner Teile von Verteidigungshaushalten. Deshalb wird meist eine nicht-lineare Kürzung von Verteidigungsausgaben gefordert, damit der so reduzierte militärische Bereich noch eine aufgabengerechte Struktur aufweist. Es wird somit deutlich, daß Konversion abhängig ist von der bisherigen Bewaffnungsstruktur sowie vom Verhältnis zwischen Personalausgaben und sogenannten Sachausgaben.

In den Streitkräften älterer Industriestaaten sind die Jahresausgaben für Rüstung unter 25 Prozent aller Verteidigungsaufwendungen gefallen (um 1900 waren es noch 40 Prozent). Die Personal-und Personalnebenausgaben (z. B. Gesundheits-und Wohnungsfürsorge) stiegen langfristig in diesem Jahrhundert auf 45 Prozent und mehr. Die Wirkungen von Umschichtungen von Militärausgaben sind mithin abhängig von deren Struktur. Da die Rüstungswirtschaft in der DDR keine Produktion schwerer Waffen kennt, spielt sich dort die begonnene Konversion auf einem niedrigeren Niveau ab als in der Bundesrepublik. Hier ist die Wehrtechnologie hochentwickelt, vor allem beim Panzer-, Flugzeug-und Schiffbau, weniger bei Raketen und gar nicht bei ABC-Waffen, auf die die Bundesrepublik verzichtete.

Einen parlamentarisch-demokratischen Bewilligungsprozeß von Militärausgaben hat es in der DDR nicht gegeben. Rüstungswirtschaft und Zentralstaatshaushalt wurden als Bestandteile einer Zentralplanwirtschaft verstanden. Soweit Fehlentscheidungen bei der Finanzierung und Bewaffnung und damit verbundene Wohlfahrtsverluste für die Gesellschaft auftraten, waren sie Ausdruck und Ergebnis bürokratischer Zentralplanung. Unter demokratischen Bedingungen der Budgetbewilligung kann es ebenfalls Fehlentscheidungen geben. Sie beruhen auf parlamentarischen Kompromissen, besonders bei schnell wechselnden Regierungskoalitionen. Es kann auch zu paradoxen Entscheidungen kommen. Mit Blick auf die Verabschiedung des Gesamtbudgets werden halbherzige oder widersprüchliche Entscheidungen über Einzelpositionen (Titel) getroffen. So können Gelder bewilligt werden für „öffentliche Güter“ (also auch Waffen), die niemand will, um Gemeinsamkeit bei anderen Budgetpositionen zu erzielen. Oder es unterbleiben Einzelbewilligungen für ausgewählte Teile von Militärausgaben, weil keine Einigung erzielt werden kann. Wenn der „Verteilungskampf im Parlament“ um öffentliche Gelder heftig wird — und er ist in diesem Jahrhundert heftiger geworden, weil die Staatsaufgaben stiegen —, so kann die Stückzahl großer Waffensysteme so stark gesenkt werden, daß der militärische Auftrag nicht mehr sinnvoll wahrgenommen werden kann. Das wird wohl auch beim derzeit in der Entwicklung und Erprobung befindlichen „Jägers 90“ der Fall sein. Dann ist es besser, auf Militärausgaben dieser Art ganz zu verzichten.

Zwei Folgerungen drängen sich auf. Erstens: In der DDR hat Konversion wegen des grundlegenden ordnungspolitischen Umbruchs in Wirtschaft und Gesellschaft auf relativ niedrigem wehrwirtschaftlichem Niveau eine gute Chance, vergleichsweise schnell zu gelingen. Zweitens: Konversion kann, auch abhängig von der erreichten Niveauhöhe wirtschaftlicher Entwicklung, als Rückführung von Staatsausgaben in die private Wirtschaft dazu beitragen, eingetretene Disproportionen in der wirtschaftlichen Entwicklung auszugleichen. Konversion gelingt im Sinne einer gleichgewichtigen oder ungleichgewichtigen wirtschaftlichen Entwicklung jedoch nicht automatisch. Sie muß sogenannten Optimierungsbedingungen genügen. Sorgfältig müssen die positiven wie negativen Effekte von Konversion im militärischen Sektor mit den Vor-und Nachteilen nicht-öffentlicher (Verbrauchs-und Investitions-) Ausgaben verglichen und saldiert werden. Erst ein Saldo aller Vor-und Nachteile erlaubt es, ein Urteil zu fällen über den Erfolg von Konversion.

III.

In der öffentlichen Diskussion werden zumeist nur bestimmte Argumente für oder gegen Konversion erörtert, wobei der Zusammenhang zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, ihren Bedingungen und ihren Wirkungen, meist garnicht erst in den Blick genommen wird. Das Argument der Gewerkschaften etwa (bei aller positiven politischen Einstellung dazu), Konversion vernichte Arbeitsplätze, ist nur dann richtig, wenn in einer mittleren Periode per saldo nicht mehr andere Arbeitsplätze entstehen und wenn der Realeinkommensausfall nicht über die Sekundärverteilung (Sozialversicherung usw.) aufgefangen werden kann. Schon während der mittelfristigen Periode muß Konversion jedoch zum langfristigen Wirtschaftswachstum beitragen, oder das Wachstum der Gesamtwirtschaft flacht ab. Konversion gelingt dann fiskalisch, aber nicht produktionswirtschaftlich und gesamtwirtschaftlich.

Bei ordnungspolitischen Strukturumbrüchen, wie derzeit in der DDR, ist die langfristige wirtschaftliche Wachstumsrate unter neuen markt-und wettbewerbswirtschaftlichen Bedingungen eine unbekannte Größe. Berechnungen über Erfolge und Mißerfolge von Konversion sind dann nur in alternativen Szenarien möglich. Mißlingt in der kurzen wie mittleren Periode eine überstürzt eingeführte Marktwirtschaft, kann auch Konversion keinen Beitrag zur Anhebung des langfristigen wirtschaftlichen Entwicklungspfades leisten.

Wir betrachten hier nur die mögliche Struktur derartiger Szenarien. Sie mit Daten anzureichern, bleibt eine Aufgabe der Wirtschaftsempirie, die sich ihrerseits der Statistik und Schätzungen bedient. Gehen wir davon aus, daß Konversion kurz-, mittel-und langfristig erfolgen kann, daß sie sich einmal im Zentralstaatsbudget, zum anderen in der Produktions-und Dienstleistungswirtschaft abspielt, unterstellen wir zudem, daß Konversion fiskalisch als interne Verschiebung innerhalb der Verteidigungsausgaben (ressortintern), innerhalb des Gesamtbudgets (budgetintern) — z. B. zugunsten von Bildungs-und Ökologieausgaben — als oder, budgetverlassend, zugunsten des nicht-öffentlichen Sektors auftreten kann, so sind offenbar zahlreiche Erscheinungsformen von Konversion denkbar. Nimmt man ferner eine weitere Unterteilung in Umrüstung, Abrüstung und intensivierte konventionelle Rüstung hinzu (alle drei Formen können durch internationale Verhandlungen herbeigeführt werden), so erhöht sich die Zahl denkbarer Fälle um ein Vielfaches. Dabei erhalten einzelne Felder ungleiche gesamtwirtschaftliche Gewichte. Zum Beispiel kann eine kurzfristige Um-und Abrüstung im Verteidigungssektor in Form von neuen oder weniger benötigten Handfeuerwaffen ein vergleichsweise harmloser Vorgang sein im Vergleich zum Umbau und/oder Verzicht eines Großwaffensystems (Panzer, Fregatten, Mehrzweckkampfflugzeuge). Das heißt, gesamtwirtschaftlich kann Konversion infolge ihrer ungleich vorstellbaren Struktur nicht nur unterschiedlich aussehen, sondern auch ungleiche, in Geldgrößen gemessene Einflüsse auf die weitere wirtschaftliche Entwicklung nehmen. Ebenso wie die Bewaffnungsstrukturen tritt auch ihre Konversion in unterschiedlicher Quantität und Qualität auf. Rüstungskonversion ist also kein homogener Vorgang.

Statistiker, die eine derartige Vielzahl von Zuordnungen und Abhängigkeiten (Matrix) ausfüllen wollen, stoßen neben den Beschränkungen, die die traditionelle Geheimhaltung von Militär-, und hier besonders von Beschaffungsausgaben bietet, mit Zahlenmaterial auf zwei grundlegende Schwierigkeiten. Erstens: In fast allen Ländern fehlt eine befriedigende Eingliederung von Militärausgaben in eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (die nicht mit einem Zentralplan verwechselt werden darf). Möglicherweise kann eine derartige Makro-rechnung jetzt in der DDR nach dem ordnungspolitischen Paradigmawechsel von 1989/1990 von Grund auf erstellt werden. Zweitens gibt es nur unvollständige sogenannte „input-output-Tabellen“ für den zu konvertierenden militärischen Sektor. Man versteht darunter eine zahlenmäßig belegte Darstellung z. B. von Aufwendungen für Soldaten, Offiziere, Gerät, Bauten usw. und die durch sie erbrachten militärischen Schutzleistungen. Hier tauchen viele Bewertungs-und Zurechnungsprobleme auf, die man aber, wie es die US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaft zeigt, im Großen und Ganzen lösen kann.

Die Vereinten Nationen haben sich in den letzten 20 Jahren große Verdienste erworben, Militärausgaben international vergleichbar zu machen. Folgt man der von der UNO entwickelten speziellen Abrüstungsmatrix — die im übrigen völlig unvergleichbar ist mit der Systematik sowohl des bundesdeutschen wie des bekanntgewordenen DDR-VerB teidigungshaushaltes —, so können auf ihrer Grundlage auch vergleichbare und nachprüfbare (verifizierbare) Konversionsschritte eingeleitet werden.

Es gibt auch in der ökonomischen Konversionsforschung Ablaufmodelle und zielorientierte Bedingungsmodelle. Ablaufmodelle gehen von einer bestimmten Situation aus, die durch bestimmte Investitions-, Verbrauchs-, Liquiditäts-, Außenwirtschaftsneigungen usw. charakterisiert ist. Das Modellergebnis ist offen. Dargestellt wird der Ablauf eines wirtschaftlichen Umstellungsprozesses unter gegebenen Annahmen. Bedingungsmodelle sind eher das Gegenteil: Sie fragen nach unverzichtbaren und hinreichenden Bedingungen, die erfüllt sein müssen, um Konversion (oder: Konjunkturpolitik, Außenwirtschaftspolitik, Geldpolitik usw.) gelingen zu lassen. So kann gefragt werden, welche Bedingungen im Finanz-und Steuersystem, im Kredit-und Währungssystem erfüllt sein müssen, um ein „optimales“ Budget oder ein „optimales“ Sozialprodukt oder einen „optimalen“ Wachstumspfad zu erreichen. Die Kriterien für ein Optimum müssen natürlich genannt werden. Eine besondere Schwierigkeit liegt darin, daß sich, auch wegen der Generationenfolge, die gesellschaftlichen Kriterien für ein „Optimum“ verschieben, wie es u. a. in den vielen jugendlichen Nebenkulturen oder durch die Gründung alternativer politischer Gruppen sichtbar wird. Niemand kann derzeit sagen, was in der kommenden mittleren Periode der neunziger Jahre eine „normale“ und was eine „alternative“ politische Gruppierung sein wird.

Theoretisch-analytisch ist diese „Optimum“ -Problematik jedoch lösbar, wie es besonders die angelsächsische „Wohlfahrtsökonomie“ gezeigt hat. Es ist durchaus vorstellbar, daß Konversion ein Instrument sein kann, makroökonomisch den „goldenage-path“ wirtschaftlicher Entwicklung wieder zu betreten. Er ist u. a. gekennzeichnet durch eine langfristige Gleichgewichtstendenz zwischen Produktivitätswachstum, Einkommensverteilung und Zusammenführung gesamtwirtschaftlich wirkender Produktionsfaktoren wie Arbeit, Kapital, Natur, Organisation, Technik usw.

IV.

Mit dem Hinweis auf die Ursachen für die Vielzahl denkbarer Konversionsfälle hat sich die wirtschaftswissenschaftliche Darstellung einer Umschichtung von Staatsausgaben innerhalb des Zentralbudgets oder zugunsten des nicht-öffentlichen Sektors keineswegs erschöpft. Zwischen den Werten in einzelnen Feldern der Matrix gibt es funktionale Beziehungen. Da schon die Wehrstrukturen (Wehrpflichtarmee, Freiwilligen-/Berufsarmee, Miliz usw.) ungleich sind, werden stabilitätsorientierte Konversionsmaßnahmen in der politischen Welt in der Regel nicht-linear sein, schon um ähnliche Militärkörper zu schaffen, die auch Gegenstand weiterer internationaler Abrüstungsverhandlungen sein können. Damit kann im Modell die Bedingung verknüpft werden, daß der militärische Apparat den allgemeinen Voraussetzungen eines optimalen Wirtschaftswachstums (das gleichgewichtig oder ungleichgewichtig sein kann) genügen muß, nämlich nur soviel militärische Schutzleistung zu „produzieren“, wie es angesichts der Bedrohungssituation, der geopolitischen Weltlage usw. entspricht.

Rüstungskonversion im wirtschaftlichen Kreislauf und in der wirtschaftlichen Entwicklung zu sehen, ist nur ein Blickwinkel; die militärpolitisch-strategische und die verteidigungspolitische Sichtweise ist eine andere. Die jeweiligen Betrachtungsweisen können durchaus zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. In den USA ist z. B.der Zusammenhang zwischen Militärausgaben und Nationaler Sicherheit eine gängige Vorstellung, die man in der deutschen Finanz-und Wirtschaftswissenschaft vergeblich sucht. Es gibt Untersuchungen, die zu dem Ergebnis kommen, daß „reiche“ Länder (gemessen am Realeinkommen je Kopf oder am Familieneinkommen) eher auf Teile ihrer Militärausgaben verzichten können als arme Länder. Allerdings sind reiche Länder mit einem Mischsystem zwischen öffentlichem, wohlfahrtsorientierten Sektor und einem gewinnorientierten, privatwirtschaftlichen Sektor ausgezeichnet durch Starrheiten, die die wirtschaftliche Entwicklung wie die Konversion gleichermaßen hemmen. Dazu gehören starre Löhne, festgezurrte Tarifvereinbarungen, institutioneile Hindernisse von Verwaltungen und Bürokratie, Risikoscheu der Großindustrie, die Abnahmegarantien des Staates verlangt (und bekommt!), die Gewöhnung an einmal gewährte Subventionen, gerade auch bei Ausgaben für militärrelevante Forschung und Entwicklung. Jedenfalls läßt sich zeigen, daß Konversion, also die Abrüstung, „nach unten“ eine andere Beweglichkeit (Elastizität) aufweist als die Aufrüstung. Konversion ist nicht das genaue Spiegelbild von Aufrüstung in umgekehrter Richtung. Der Prozeß „nach unten“ weist eigene Hindernisse auf.

Funktionale Beziehungen — die Zahl verschrotteter Panzer ist z. B. abhängig von den dafür zur Verfügung stehenden Finanzmitteln — gibt es sowohl zwischen den drei erwähnten Perioden als auch zwischen den drei Formen fiskalischer Konversion und zwischen Umrüstung, Abrüstung und intensivierter konventioneller Rüstung. Zwar können derartige funktionale Beziehungen jeweils theoretisch isoliert werden (welcher Zusammenhang besteht z. B. zwischen Umrüstung und intensivierter konventioneller Rüstung?), man kann sich aber darüber hinaus vorstellen, daß zwischen gebündelten funktionalen Beziehungen wiederum Abhängigkeiten bestehen. Man erhält so ein — abstraktes, später mit Daten angereichertes — Netzgebilde „mehrfachinterdependenter“ Beziehungen.

Ein derart komplexes interdependentes System bedarf zu seiner praktischen Handhabe (Operationalisierung) meist einer praktikablen Vereinfachung, was in der Wissenschaftstheorie „Reduktion von Komplexität“ genannt wird. Ein Beispiel: Der Verzicht auf ein Großwaffensystem (Zerstörer, schwere Panzer, Fernkampfbomber) kann ressort-intern die Ausgaben für andere Waffen begünstigen. In der kurzen Periode aber weniger als in der langen Periode: In hundert Jahren ist alles konvertibel, auch die gesamte Automobilindustrie; es gibt ja auch keine Kavallerie mehr. Die langfristige Umstellungsflexibilität sowohl der Bewilligung von Militärausgaben im Parlament als auch die der Rüstungswirtschaft ist langfristig keine konstante Größe, sondern verändert sich. Sie ist in diesem Jahrhundert geringer geworden, unterbrochen von Eruptionen infolge durchgreifender, das gesamte Wirtschaftsleben wandelnder Innovationen, wie derzeit die Computertechnik. Besonders die budgetverlassende Konversion kann in der mittleren wie in der langen Periode eine Tendenz zu gleicher, niedrigerer oder höherer Umstellungsflexibilität aufweisen als die Gesamtwirtschaft. Alternative Produkte können möglicherweise schneller und ohne größeren begleitenden bürokratischen Apparat erzeugt werden als Waffen. Gelingende oder mißlingende Konversion kann als Impuls oder als Hemmnis wirtschaftlicher Entwicklung auftreten. Nicht nur der Wissenschaftler steht also vor der Notwendigkeit, in einem mehrdimensionalen Netz von Beziehungen „Gewichte“ zu erkennen und zu setzen. Was ist jeweils die stärkste Tendenz z. B. zwischen freisetzender und alternativ kompensierender Beschäftigung bei Konversion? Ist der Budgetbewilligungsprozeß im 20. Jahrhundert durch die Vorarbeiten in den Fachausschüssen des Parlamentes flexibler geworden als manche schwerfälligen Unternehmens-entscheidungen in Rüstungsgroßbetrieben? Haben sich die „Lebenszyklen“ großer Beschaffungsvorhaben von fünf bis fünfzig Milliarden DM, über eine mittlere Periode verteilt, langfristig gleichläufig oder gegenläufig zum Konjunkturzyklus entwikkelt, der üblicherweise sieben bis neun Jahre dauert? Es läßt sich zum Beispiel nachweisen, daß der konjunkturpolitisch brauchbare Teil von Militär-ausgaben langfristig kleiner wurde.

Neben der Verknüpfung einzelner Felder der Matrix in einem und durch ein multiinterdependentes System von Beziehungen muß deutlich gemacht werden, daß die Kurzzeitanalyse eher statischen Charakter hat und eher für einen als geschlossen vorgestellten Wirtschaftskreislauf gilt als die Lang-zeitanalyse. Diese begreift kurzfristige Umstellungsprozesse meist als Reibungsverluste im weiter gespannten Rahmen eines überlagernden größeren Zusammenhanges. Ähnlich sind Methoden und Instrumente der ökonomischen Kurzzeitanalyse von Konversion andere als die der Langzeitanalyse. Die Langzeitanalyse ergibt sich jedoch nicht durch eine bloße Aneinanderreihung von vielen kurzen Perioden; ihr Blickwinkel ist von vorneherein weiter. Jede Analyseform besitzt ihre eigene Qualität. Es kann die Langzeitanalyse z. B. nichts aussagen über den Einsatz von Militärausgaben in einem bestimmten Konjunkturzyklus. Die Betrachtung einer mittleren Periode von fünf bis sieben Jahren etwa kann keine Aufschlüsse geben z. B. über die monatliche Herstellung von Infanteriemunition.

Bückt man auf die gesamte bisher geleistete Konversionsforschung, die sich erst in den vergangenen zehn Jahren in Deutschland entwickelte, so können zwei Haupttendenzen seit 1980 festgestellt werden: Erstens ist es den Wirtschaftswissenschaftlern weithin gelungen, das Puzzlespiel auch geheimgehaltener statistischer Daten über den militärischen Sektor gleichsam neben der amtlichen Statistik zu einem erkennbaren Bild in mühevoller Kleinarbeit zusammenzusetzen. Zweitens gibt es Anzeichen dafür, daß es auch gelingen kann, Konversion als Strukturwandel in die Theorie, Empirie und Politik mittel-und langfristiger wirtschaftlicher Entwicklung einzubeziehen.

Beide Tendenzen lassen erhebliche Fortschritte in der Konversionsforschung erwarten. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit läßt sich beim derzeitigen Stande der Konversionsforschung sagen, daß Konversion in entwickelten Industriestaaten ein mittelfristiger Vorgang ist. Es kann etwa fünf bis acht Jahre dauern, bis er dauerhafte Impulse auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung ausstrahlen wird. Man darf für die Verhältnisse in der Bundesrepublik nicht übersehen, daß die Regierung vor dem Umbruch im Ostblock 1989/90 Verpflichtungen von mindestens sechzehn Milliarden DM für die nächsten fünf Jahre eingegangen ist (sogenannte Verpflichtungsermächtigungen), die gegenüber der Rüstungswirtschaft rechtsverbindlichen Charakter haben: ein schwerer Starrheitsfaktor im Konversionsprozeß.

V.

Die vergleichsweise geringen Quantitäten, die z. B. bei einer 25prozentigen Konversion großer Waffensysteme in Bewegung geraten, liegen derzeit jährlich bei ca. zweieinhalb bis drei Milliarden DM. Wird der Verteidigungshaushalt wie bisher fortgeschrieben, so können daraus in den nächsten Jahren drei bis vier Milliarden DM werden. Für 1991 wurde der Verteidigungshaushalt jedoch um ca. 900 Millionen DM gekürzt — eine ressortverlassende Konversion mithin, da der Gesamthaushalt um 3, 6 Prozent stieg. Zählt man Munitionierung, Feldzeug, leichtes Gerät usw. hinzu, so erreicht eine Konversion von jährlich 30 Prozent der physischen Rüstung noch nicht einmal die Höhe etwa der Aufwendungen des Bundes für die Entwicklungshilfe (ca. sieben Milliarden DM 1990).

Eine langfristige strukturelle Konversion im militärischen Sektor stellen in diesem Jahrhundert die Auflösung von Festungen oder das Ende der Kavallerie dar (kostenmäßig allerdings überflügelt von der Produktion gepanzerter Fahrzeuge, von Flugzeugen und Raketen). Auch eine Zusammenlegung oder Auflösung großer Übungsplätze und Manövergebiete — wie sie jetzt sowohl für das Gebiet der DDR wie für die Bundesrepublik zur Diskussion steht — kann zur Konversion gehören. Ressortintern muß seit den dreißiger Jahren relativ viel ausgegeben werden für die Luftwaffe, die eigene Flugplätze benötigt. Geblieben sind die Kasernen für die Unterbringung der Soldaten. Eine Milizarmee kennt Ausgaben für Kasernen nicht in der Höhe, wie sie für eine Wehrpflicht-oder Freiwilligenarmee erforderlich sind. Einschließlich der Bundeswehrverwaltung (176 000 Beschäftigte) und ca. 210 000 in der Rüstungsfertigung Beschäftigten sind in der Bundesrepublik derzeit etwa 870 000 Menschen unmittelbar im militärischen Sektor tätig; das sind 3, 6 Prozent aller Erwerbstätigen. Im Langzeitvergleich seit Gründung der Bundeswehr ist der militärische Sektor in der Bundesrepublik jedoch klein — gesamtwirtschaftlich wie im internationalen Vergleich, gemessen etwa an den USA, der UdSSR oder Frankreich.

Bei Bauten und Liegenschaften ist Konversion gut möglich. Tiefbau/Hochbau können unmittelbar z. B. in Bauten des Zivilschutzes transformiert werden. Der freilich ist in erster Linie Ländersache und Konversion berührt damit den sogenannten vertikalen Finanzausgleich zwischen den Gebietskörperschaften. Teile militärischer Anlagen wie Panzerstraßen oder Flugsicherungsanlagen lassen ebenfalls eine schnelle Konversion zu.

Alle Konversionsmaßnahmen und -projekte, besonders bei budgetverlassender Konversion, unterliegen einer sozio-ökonomischen Nutzenmessung. Werden politische Prioritäten für Konversionsprojekte gesetzt (Gesundheitsdienste, Ökologie, Bildungseinrichtungen, staatsbürgerliche Bildungsarbeit u. a.), entscheidet wirtschaftliches Aufwands-und Ertragsdenken über Gewicht und Rangfolge der Prioritäten. Abweichungen von einer Prioritätenskala stellen wohlfahrtstheoretisch wie -politisch „Verluste“ dar. Dabei wird unterstellt, daß der Konversionsprozeß nicht ausschließlich dem freien Markt überlassen bleiben kann. Der sozio-ökonomische Wohlfahrtsverlust wird um so größer, je mehr sich die politischen Entscheidungsträger vom Wählerwillen entfernen. Das galt und gilt für Militärausgaben, das gilt aber auch für künftige, staatlich finanzierte Konversionsprojekte. Es wird die Problematik der Messung, des Mitteleinsatzes wie der Rangfolge von Staatsausgaben nicht aufgehoben, sondern verschoben. Steuererleichterungen (etwa „Konversionsabschreibungen“ anstelle von „Berlin-Abschreibungen“) können Konversion flankierend begleiten. Allerdings hinterläßt besonders die mittel-und langfristige Konversion eine veränderte Struktur des Sozialproduktes, was bei gegebenem Finanzsystem das weitere Steueraufkommen (und damit indirekt weitere Konversionsschritte) beeinflußt.

Das Nachrichtenwesen und die militärspezifische Kommunikation („Intelligence and Communication“) sind rasch konversionsfähig. Das Fernsprechnetz der Bundeswehr kann entweder in das allgemeine Netz eingegliedert oder es kann zum speziellen Katastrophennetz umfunktioniert werden. Militärische Flugaufklärung kann in Wetter-und Umweltaufklärung transformiert werden, Hafenmolen, Versuchsgelände, militärische Teile von Zivilflugplätzen können sofort umgewandelt werden. Je näher man an das militärische „Endprodukt“ herankommt — besonders an Spezialfahrzeuge und Geschütze —, um so inkonvertibler wird die militärische Produktion, vor allem, wenn Rüstungsexporte kleingehalten werden. (Sie betragen in der Bundesrepublik 1990 ca. 0, 15 Prozent des Bruttosozialproduktes.) Teile des Nachschubwesens (Logistik) können in Gestalt von Freigabe bisheriger militärischer Sicherheitszonen — man denke an die plötzliche Auflassung der „Demarkationslinie“ zwischen der DDR und der Bundesrepublik —, Umpolen der NATO-Pipeline u. a. schnell konvertiert werden. In anderen Staaten hat sich ferner gezeigt (z. B. die USA nach dem Vietnamkrieg, Schweden in einem Konversionsversuch 1981/85), daß die Umwandlung von fachtechnisch ausgebildetem Personal des Militärs leichter ist als die zivile Neuverwendung von Berufssoldaten und längerdienenden Zeitsoldaten ohne Fachausbildung. Eine Streitkraft mit einem hohen Anteil an kurzdienenden Zeitsoldaten und konventioneller Bewaffnung ist leichter umzuwandeln als eine Berufsarmee, die ja auch eigene, feste gesellschaftliche Wertvorstellungen entwickelt. Die Bundesrepublik bietet daher vergleichsweise gute Chancen für Konversion; ein Land wie die DDR, das keine schweren Waffen erzeugte, bietet freilich noch bessere.

Durch die Bildungsreform in der Bundeswehr von 1970/73 gab es schon eine indirekte Konversion: Innerhalb des Verteidigungshaushaltes stiegen seitdem die Bildungsausgaben. Es wird ein potentielles Konversionspersonal ausgebildet, das nach Ableistung des Wehrdienstes — auch mit Hilfe unterstützender Berufsförderungsmaßnahmen — auch in den nicht-öffentlichen Sektor geht. Ressortinterne und budgetverlassende Konversion haben sich hier miteinander verbunden. Demgegenüber bietet der „lebenslange“ Berufssoldat geringere Konversionschancen, weil seine Aus-und Weiterbildung militärspezifischer Natur ist.

Nicht von ungefähr hat sich die politische Konversionsdebatte orientiert an den großen Waffensystemen: der Nato-Fregatte NF 90, dem „Jäger 90“, einem möglichen Leopard III. Hier ist der Ort der großen, gesamtwirtschaftlich ins Gewicht fallenden Beschaffungsausgaben. Alle drei genannten Systeme sind derzeit strittig, bereits ausgegebene Entwicklungsgelder können nur zum Teil nachträglich für alternative Produkte konvertiert werden. Leider wird die politische Konversionsdebatte nahezu ohne Kenntnis von Theorie und Empirie mittel-und langfristiger wirtschaftlicher Entwicklung geführt. So werden selektiv Argumente aneinandergereiht, die jedes für sich nicht falsch, aber dennoch nicht hinreichend sind für Analyse und Steuerung gesamtwirtschaftlicher Konversion. Die SPD wie die Gewerkschaften betonen die Beschäftigungsseite von Konversion, Arbeitsplätze sollen nicht vernichtet werden. Die CDU/CSU — in Bayern ist praktisch die gesamte Luft-und Raumfahrtrüstung zu Hause — betonen die Notwendigkeit und Freiheit unternehmenspolitischer Entscheidungen. Erfahrungen mit Konversion gab es bisher in der Bundesrepublik nicht Das ruft die Wirtschaftswissenschaftler auf den Plan, die Modelle und Szenarien für verschiedene, fiskalisch fundierte Konversionsfälle in der kurzen, mittleren wie langen Periode mit Blick auf einen möglichst gleichgewichtigen Wachstumspfad entwerfen.

Der zeichnet Fortschritt im Militärsektor sich durch zwei Tendenzen aus (beide Tendenzen treten in den USA, Frankreich und Großbritannien als Nuklearmächte stärker auf als in der Bundesrepublik): Erstens ist bei stark zerlegter Arbeitsteilung die Rüstungsfertigung in Mischproduktion mit anderen Gütern und typischer Montagefertigung in mehreren Stufen durch den Anstieg von „Wissensleistungen“ (Konstrukteure, Ingenieure, Planungsmanagement) durchaus arbeitsintensiv. Zweitens wurde die Rüstungsfertigung langfristig militärspezifischer — die sogenannten „spinn-off-

Effekte" wurden dabei stets überschätzt. Konversion hinterläßt mithin einen Friedhof von Wissen und Leistungen (weniger von realen Produktionskapazitäten), der gesamtwirtschaftlich „abgebucht“ werden muß. Tritt eine produktivitäts-und entwicklungsfördernde alternative Produktion an die Stelle von Militärgerät, so kann unter günstigen Umständen das soziale Produkt gesteigert werden. Das tritt aber nicht automatisch ein. Zur Bekämpfung von Schädlingen in der Land-und Forstwirtschaft werden einfachere Flugzeuge und „Sprühkanonen“ benötigt als etwa für den raketenbestückten Hubschrauber PAH 1, der derzeit gebaut wird. Andererseits ist es gerade der Hubschrauber, der von den Militärs — auch nach den Erfahrungen im Vietnamkrieg — als für das neue Gefechtsbild unverzichtbar angesehen wird. Militärischer technischer Fortschritt ist erfahrungsgemäß überdurchschnittlich teuer, der sogenannte Kapitalkoeffizient (Realkapitalstock zu produziertem Einkommen bzw. produzierter sozialer Schutzleistung) ist relativ hoch. Der Arbeitskoeffizient (Beschäftigungsmenge zu produzierter Schutzleitung) ist infolge vieler Konstruktions-, Planungs-und Wartungsleistungen ebenfalls hoch.

In der Rüstungsfertigung werden vergleichsweise mehr hochspezialisierte Beschäftigte gezählt als in der übrigen Industrie. Nur die zivile Luft-und Raumfahrt, auf die auszuweichen die deutsche Luftrüstung offensichtlich bereit ist, bietet ein ähnliches Bild. Je ähnlicher strukturell der zu konvertierende Sektor mit dem schließlich konvertierten Sektor ist, um so reibungsloser kann Konversion gelingen. Ein Umbau des Steuersystems und Tarif-korrekturen können Konversion begünstigen, soweit nicht neue Staatsaufgaben und -ausgaben (z. B. Kosten aus dem Staatsvertrag mit der DDR) Steuersenkungen unmöglich machen. Wichtig ist es, zu erkennen, daß Konversion kein beliebiger Vorgang in einer beliebigen Situation erreichter wirtschaftlicher Entwicklung ist. Mit ihr werden Elastizitäten der Märkte (einschließlich der Kreditmärkte), des Sparens, des Verbrauches, der gesamtwirtschaftlichen Liquidität berührt. Allgemein sind diese Elastizitäten in alten Hochindustrieländern starrer als in jüngeren Industriestaaten. Konversion verlangt daher einen Zeitbedarf, der bei etwa vier Jahren bis sechs liegen dürfte.

Daß Konversion nicht nur gesamtwirtschaftlich, sondern auch branchenwirtschaftlich und für ein einzelnes Unternehmen ein strukturell bedeutsamer Vorgang ist. wird deutlich, wenn man sich die beiden grundlegenden Konversionsformen vor Augen führt, die sich in der Bundesrepublik nun abzuzeichnen beginnen: Erstens kann sich Konversion innerhalb eines Unternehmens abspielen, vor allem bei ausgeprägter, schon vorhandener Mischfertigung. Es können z. B. Lkws anstelle von gepanzerB ten Fahrzeugen erzeugt werden. Zweitens kann sich ein Unternehmen oder eine Unternehmensgruppe bewußt verkleinern, indem man die militärrelevante Produktion aufgibt und freiwerdende Mittel beispielsweise an den Kapitalmärkten angelegt werden. Optimisten unter den Konversionsforschern hoffen, daß über die Kreditmärkte bei günstigen Zinskonditionen die freien Marktkräfte ausreichen, um Konversion marktwirtschaftlich gelingen zu lassen.

Hier wird deutlich, daß Konversion auch ein ordnungspolitisches Problem darstellt: Wieviel Start-hilfen— und in welcher Form — soll der Staat anbieten, um Konversion außerhalb des Staatssektors gelingen zu lassen? In der Bundesrepublik wie bei der teils zwanghaft-unfreiwillig angelaufenen Konversion in der Nationalen Volksarmee der DDR, aber auch in der DDR-Wirtschaft selbst mit ihrem typisch niedrigen Produktivitätsniveau steht ein Konversionsprozeß noch vor seinem eigentlichen Beginn. Der Wirtschaftswissenschaftler muß davor warnen, auf schnelle und die weitere wirtschaftliche Entwicklung durchgreifend wandelnde Erfolge zu hoffen. Rüstungskonversion wird ein Thema der gesamten neunziger Jahre sein.

Fussnoten

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Lutz Köllner, Dr. rer. pol., geb. 1928; 1952— 1967 Tätigkeit in der empirischen Konjunkturforschung; seit 1978 Wissenschaftlicher Direktor am Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr, München; Gutachter und Berater der Vereinten Nationen in Abrüstungsfragen. Veröffentlichungen u. a.: Rüstungsfinanzierung. Dämonie und Wirklichkeit, 1969; Militärausgaben und Militärstruktur in Deutschland, 1980; Militär und Finanzen. Zur Finanzgeschichte und Finanzsoziologie von Militärausgaben in Deutschland vom Dreißigjährigen Krieg bis zur Gegenwart, 1982; (Hrsg. zus. mit Burkhardt J. Huck) Abrüstung und Konversion. Politische Voraussetzungen und wirtschaftliche Folgen in der Bundesrepublik, 1990.