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Japans Wirtschafts-und Sozialpolitik vor neuen Herausforderungen | APuZ 39/1990 | bpb.de

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APuZ 39/1990 Artikel 1 Ein Jahr Regierung Kaifu: Vom Generationswechsel zu politischen Reformen? Japans Wirtschafts-und Sozialpolitik vor neuen Herausforderungen Japans langer Weg in die Freizeitgesellschaft Japans Außenpolitik im Wandel

Japans Wirtschafts-und Sozialpolitik vor neuen Herausforderungen

Helmut Laumer

/ 20 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die japanischen Regierungen verfügten in der Nachkriegszeit mit ihren wirtschaftspolitischen „Visionen“ über mittel-und langfristige Wirtschaftspläne (die sich grundlegend von den Plänen in Staatshandelsländern unterscheiden), die die Entwicklung der Wirtschaft zweifellos befruchtet haben. Sie sind von den Unternehmen als Orientierungshilfen akzeptiert worden, und sie können als konstitutives Merkmal der Marktwirtschaft „Japanese Style“ angesehen werden. Seit Mitte der achtziger Jahre haben die beeindruckenden Erfolge der japanischen Wirtschaft zu Ungleich-gewichten und Friktionen geführt, die — national und international — Spannungen erzeugten und Konflikte hervorriefen: Symptome sind die enorm gestiegenen Handels-und Leistungsbilanzüberschüsse gegenüber fast allen Teilen der Welt, die damit verbundene rapide Zunahme des Auslandsvermögens, das deutliche Mißverhältnis zwischen den Erfolgen auf dem Weltmarkt und der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung im Inland sowie die Diskrepanz zwischen der wirtschaftlichen Stärke Japans und seiner Einbindung in die internationale Arbeitsteilung. Die sprunghafte Wertsteigerung des Yen ab Herbst 1986 zwang die japanische Regierung, neue wirtschaftspolitische Konzepte zu erarbeiten. Die in den „Mackawa-Berichtcn“ der Jahre 1986 und 1987 enthaltenen Empfehlungen und der neue Fünfjahresplan der Regierung von 1988 zielen vor allem aufdie Erhöhung und Stützung der Binnennachfrage sowie auf den Abbau der außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte ab. Akuter Handlungsbcdarf für die Wirtschafts-und Sozialpolitik besteht auf den Gebieten des Wohnungsmarkts, des Bodenrechts sowie der sozialen Sicherung.

Mißt man Erfolg und Mißerfolg der Wirtschaftsund Sozialpolitik eines Landes an den Wachstumsraten von Bruttosozialprodukt, Export, Pro-Kopf-Einkommen der Bevölkerung oder ähnlichen Indikatoren, muß man den durchweg aus Mitgliedern der konservativen Liberal-Demokratischen Partei (LDP) gebildeten japanischen Regierungen der Nachkriegszeit gute Noten ausstellen. Innerhalb weniger Jahrzehnte katapultierte sich das fernöstliche Inselreich in der Rangliste der Industrieländer mit dem höchsten Sozialprodukt von „ferner liefen“ an die zweite Stelle hinter den USA. Mit einem Welthandelsanteil von knapp 10 Prozent hat Japan als Exporteur von Industriegütern mit der Bundesrepublik Deutschland fast gleichgezogen, als Konkurrent auf einer immer größeren Zahl von Produktmärkten lehrte es die USA und Europa das Fürchten. Und auch die Folgen der beiden Ölpreiskrisen 1973/74 und 1978/79 hat Japan besser gemeistert als alle seine Konkurrenten. Seine Exporterlöse machten Japan auch zur finanziellen Super-macht, die sich binnen weniger Jahre zur größten Gläubigemation der Welt entwickelte, während die vordem so reichen USA zum weltgrößten Schuldner wurden. Ende 1989 verfügten die Japaner über ein Netto-Auslandsvermögen von rund 340 Mrd. US-Dollar, während die USA mit über 600 Mrd. Dollar verschuldet waren. Unter den zehn größten Banken der Welt befinden sich heute acht japanische. Längst ist Tokio dabei, New York und London als Finanzhauptstädte der Welt hinter sich zu lassen.

Sicherlich sind diese Erfolge in erster Linie der Dynamik und dem Einfallsreichtum der japanischen Unternehmer, dem Fleiß und der Leistungsbereitschaft der Arbeitnehmer sowie der Konsens-fähigkeit der sozialen Gruppen zuzuschreiben, doch sollte man dabei auch die ordnende und lenkende Rolle des Staates nicht unterschätzen. Durch das Setzen von Signalen und das Geben von Anreizen verschiedenster Art haben die japanischen Regierungen in der Vergangenheit gravierende konjunkturelle Einbrüche, aber auch Überhitzungen mit ihren negativen Folgen für Preisentwicklung und Arbeitsmarkt vermeiden können und notwendig gewordene Strukturveränderungen der Wirtschaft beschleunigt oder sogar erst ermöglicht.

I. Marktwirtschaft „Japanese Style“ als ordnungspolitisches Prinzip

Synopse der wirtschaftspolitischen Empfehlungen in den „Maekawa-Berichten" und im Fünfjahresplal von 1988-1992

Inhalte und Instrumente der Wirtschafts-und Sozialpolitik sind nur im Zusammenhang mit der jeweiligen Wirtschaftsordnung zu beurteilen. Im Falle Japans gehen die Einschätzungen der ausländischen Beobachter, was die ordnungspolitische Position betrifft, weit auseinander, die Meinungsvielfalt in dieser Frage ist beachtlich -Auf der einen Seite wird das japanische Wirtschaftssystem sogar mit dem sowjetischen verglichen, indem man darauf verweist, daß in Japan der Staat mit seinem ganzen Gewicht auch im ökonomischen Bereich eine so maßgebliche Rolle der Einmischung und Lenkung spielt, wie dies sonst nur in den Ländern des Ostblocks — vor Beginn des Reformkurses — vorzufinden war. Auf der anderen Seite weisen die Vertreter der entgegengesetzten Position jeden Gedanken an eine in Japan praktizierte zentrale Lenkung oder zentralverwaltungswirtschaftliche Ordnung zurück. Sie heben demgegenüber hervor, daß nirgendwo in der Welt, nicht einmal in den USA, Marktwirtschaft und freies Unternehmertum in dem in Japan praktizierten Ausmaß vorzufinden seien.

Richtig liegt man wohl, wenn man die japanische Wirtschaftspolitik irgendwo zwischen diesen beiden Extremen sieht, als originäre Ausprägung jenseits von staatlich gelenkter Planwirtschaft, freier Marktwirtschaft und abgeleiteten Mischsystemen, die mit europäisch-amerikanischen Kategorien nur schwer erfaßbar ist — eben als Marktwirtschaft „Japanese Style“. Sicherlich ist dabei die Rolle des Staates, sein Einfluß auf das Wirtschaftsgeschehen in vielen Punkten größer als dies etwa in der Bundesrepublik Deutschland der Fall ist. In der amerikanischen Literatur findet sich deshalb gelegentlich auch der Begriff „geplante Marktwirtschaft“. Der frühere Vizeminister im MITI (Ministry for International Trade and Industry), Shinji Fukukawa, hat die wirtschaftspolitische Philosophie der japanischen Regierung so umschrieben: „Um in der industriellen Gesellschaft von heute ein dynamisches Wachstum zu erzielen, ist es erforderlich, Adam Smith’s unsichtbare Hand der Marktkräfte*mit etwas zu kombinieren, was ich die sichtbare Hand der Politik 4 nennen möchte, die auf Voraussicht, scharfer Analyse und Vernunft basiert.“

Das am häufigsten verwendet nennen möchte, die auf Voraussicht, scharfer Analyse und Vernunft basiert.“ 2)

Das am häufigsten verwendete Schlagwort im sammenhang mit der Wirtschaftspolitik Japai der Nachkriegszeit ist das der „Japan AG“. Es zurück auf die sechziger Jahre, als Japan zu großen Exportoffensiven ansetzte und dabei ! und Wirtschaft eng kooperierten bzw.der Staa Wirtschaft in der Tat massiv unterstützte. Man bindet mit dieser griffigen Kurzformel von de pan AG die Vorstellung, das ganze Land se einheitlich und straff geführtes Wirtschaftsu nehmen, das von einer übermächtigen Bürok beherrscht wird. Mit dieser Meinung tut man Japan von heute ganz sicher unrecht. Zumi seit Mitte der siebziger Jahre ist eine solche rakterisierung nicht mehr zutreffend, „die J AG ist längst mehr Schein als Wirklichkeit“ 3)

II. Die Rolle des Staates als Moderator

Quelle: Angelika Ernst/Helmut Laumer, Japan an der Schwelle zur globalen Wirtschaftsmacht, Strukturwandel und Internationalisierung, München 1989, S. 42

Der Einstieg in die großen Wachstumsphasen Japans nach dem Zweiten Weltkrieg war jeweils von „Visionen“ der Regierung zu den grundlegenden Zielen und Schwerpunkten der wirtschaftlichen Entwicklung begleitet. Am Beginn der Hochwachstumsphase der sechziger Jahre erschien die vom Industrial Structure Council vorbereitete „MITI Vision for the 1960s“, die den Aufbau der Schwerindustrie und der chemischen Industrie als Träger des Wirtschaftswachstums propagierte. Im Jahre 1970 bestritten diese Wirtschaftsbereiche mehr als 70 Prozent der Exporte. Für die siebziger Jahre lautete das Motto der MITI-Vision „Towards Knowledge-Intensive Industry“. 1980 hatte die Maschinenindustrie die Schwerindustrie als führenden Wachstumsträger abgelöst, und Japan hatte in wichtigen Exportzweigen mit der Weltspitze gleichgezogen. Zu Beginn der achtziger Jahre forderte das MITI daher eine „Contribution to the World in Proportion to Japan’s Economic Position“.

Zur Konkretisierung dieser wirtschaftspolitischen „Visionen“ der Regierung waren bis Mitte der achtziger Jahre insgesamt zehn mittel-bzw. langfristige Wirtschaftspläne mit Laufzeiten zwischen fünf und zehn Jahren aufgestellt worden 4). Sie unterscheiden sich ganz wesentlich von den Wirtschaftspl in den sozialistischen Ländern. Sie sind eine Richtungsanzeiger, ein Programm, nicht mehr nicht weniger. Mit anderen Worten: Die mittel-langfristigen Wirtschaftspläne haben die Aufg die wirtschaftspolitische Philosophie der Regie zu verdeutlichen. Sie sind gleichzeitig ein Vers innerhalb des öffentlichen Sektors eine Koord rung (zwischen den verschiedenen Ministerien für Teilbereiche der Wirtschafts-und Sozialpo zuständig sind, aber auch zwischen den verseh: nen administrativen Ebenen) vorzunehmen diesen auf die gegenwärtigen und zukünftiger lange des privaten Sektors hin auszurichten. Privatwirtschaft sollen die Wirtschaftspläne F Stellung bei der Konzipierung der eigenen Pro tions-und Investitionspläne bieten. Die Ents düngen der Unternehmen werden jedoch durc Wirtschaftspläne der Regierung in keiner V beeinträchtigt. Es besteht für den privaten Sc keinerlei Verpflichtung, sich an den Planziele orientieren. Auf der anderen Seite ist die Wirk keit des „Ankündigungseffekts“ dieser Wirtsch pläne nicht zu unterschätzen. Sie haben Signal! tion: Werden Wirtschaftszweige von der Regie als zukunftsträchtig angesehen und gefördert hen sich sowohl die Unternehmen als auch da: vate Bankgewerbe veranlaßt, in diesen Sektor« investieren. Umgekehrt werden Wirtschaft Banken ihr Kapital aus Bereichen zurückzie die von der Regierung als Krisenbranchen e stuft und in Programme zur Kapazitätsanpas einbezogen worden sind In den fünfziger Jahren waren Hauptziele der Wirtschaftspläne der japanischen Regierung die Wiedererlangung der wirtschaftlichen Autonomie und Vollbeschäftigung. In den sechziger Jahren stand die Beschleunigung des Wirtschaftswachstums und die Verbesserung des Lebensstandards im Vordergrund der Zielsetzung. Die „Entwicklung einer ausgewogenen Wohlstandsgesellschaft“, die „Schaffung einer behaglichen Umwelt durch ausgewogenes Wachstum“ sowie „gleichzeitiges Erreichen von nationalem Wohlstand und internationaler Harmonie“ sind die herausragenden Programmpunkte der von Ende der sechziger bis Ende der siebziger Jahre gültigen Wirtschaftspläne. Der „Neue Wirtschaftsund Sozial-Siebenjahresplan“ von 1979 hatte die Berichtigung der Ungleichgewichte unter den Wirtschaftssektoren, die industrielle Neustrukturierung und Überwindung der Energieknappheit sowie die Realisierung einer neuen japanischen Wohlfahrtsgesellschaft zum Ziel.

III. Neuer wirtschaftspolitischer Handlungsbedarf durch wachsende Ungleichgewichte

Die beeindruckenden Erfolge der japanischen Wirtschaft haben zweifellos positive Impulse auf die Weltwirtschaft gehabt. Sie haben aber auch — seit Mitte der achtziger Jahre beschleunigt — zu Un-gleichgewichten und Friktionen geführt, die — national und international — Spannungen erzeugten und Konflikte hervorriefen.

Auf drei Gebieten sind die entstandenen Ungleich-gewichte und Friktionen besonders gravierend — In der Handelsbilanz Japans sind in den letzten Jahren die Exportüberschüsse gegenüber fast allen Teilen der Welt enorm gestiegen. Im Jahre 1987 hatten sie kumuliert das Rekordergebnis von 96, 4 Mrd. US-Dollar (1988: 95, 0 Mrd. US-Dollar) erreicht, dem ein US-amerikanisches Defizit von 159, 5 Mrd. US-Dollar (1988: 127, 2 Mrd. US-Dollar) gegenüberstand. Ähnlich groß waren die Diskrepanzen in den Leistungsbilanzen. — Damit wurde Japan binnen weniger Jahre zum größten Kapitalexporteur und gleichzeitig auch zum größten Gläubiger der Welt. Zwischen 1982 und 1989 wuchs das japanische Netto-Auslandsvermögen von 25 Mrd. US-Dollar auf 340 Mrd. US-Dollar an. Der weit überwiegende Teil der langfristigen Auslandsanlagen floß in die USA. Die (privaten) japanischen Anleger mit ihrer relativ hohen Sparquote (18, 3 Prozent gegenüber 2, 4 Prozent in den USA im Jahre 1988) haben in den letzten Jahren maßgeblich zur Finanzierung der riesigen US-Budgetdefizite beigetragen. — Die jahrzehntelange Außenorientierung der japanischen Wirtschaftspolitik führte zu einem deutlichen Mißverhältnis zwischen den Erfolgen aufdem der wirtschaftlichen und sozialen Weltmarkt und Entwicklung im Inland. Der qualitative Lebens

Standard, der private Wohlstand der Japaner, hat mit dem quantitativen Wachstum der Gesamtwirtschaft nicht Schritt gehalten. Hohe Preise, lange Arbeitszeiten und die schlechte Wohnsituation geben vielen Japanern das Gefühl, nicht an der Prosperität teilzuhaben. Auf den Gebieten der Infrastruktur (Wohnungsbau, öffentliche Investitionen) und der sozialen Wohlfahrt (Alterssicherung, Arbeitszeit, Freizeit) besteht nach wie vor ein erheblicher Nachholbedarf. Hinzu kommt, daß die Kluft zwischen Vermögenden und Nichtvermögenden, zwischen Reich und Arm, in den letzten Jahren ständig größer geworden ist.

Nicht zu übersehen ist auch die Diskrepanz zwischen der wirtschaftlichen Stärke Japans und seiner Einbindung in die internationale Arbeitsteilung. Bis Mitte der achtziger Jahre war nicht nur ein eklatantes quantitatives Mißverhältnis zwischen seiner Exporttätigkeit und seinen Auslandsinvestitionen festzustellen, auch qualitativ entsprachen die japanischen Auslandsengagements in der Regel nicht den Merkmalen multinationaler Unternehmen. Sie hatten — so die allgemeine Einschätzung — eher den Charakter verlängerter Werkbänke als den lokal integrierter, eigenständiger Auslandsunternehmen. Die mangelnde aktive Beteiligung an internationalen Forschungsvorhaben brachte den Japanern den Vorwurf ein, als „free riders“ von den Anstrengungen der Konkurrenten zu profitieren. Auch an der internationalen „Lastenverteilung“ auf den Gebieten der Entwicklungspolitik und der Verteidigung hat sich Japan in der Vergangenheit bei weitem nicht in dem Maße beteiligt, wie es seiner wirtschaftlichen Stärke entsprochen hätte.

Die Ursachen für die entstandenen internationalen und nationalen Ungleichgewichte liegen großenteils zeitlich weit zurück und waren von Politik und Wirtschaft auch durchaus schon lange erkannt. Trotzdem hat erst die im Frühjahr 1985 einsetzende rasante Aufwertung des Yen, der bis zu diesem Zeitpunkt mit einem Kurs von 260 gegenüber dem US-Dollar zweifellos stark unterbewertet war, die Verantwortlichen aufgerüttelt und die Bereitschaft zu einer glaubwürdigen Gleichgewichtspolitik nicht nur gefördert, sondern geradezu erzwungen. Im Plaza-Abkommen der sieben großen Industrienationen vom 22. September 1985 sagte die japanische Regierung ihre Unterstützung bei der kontrollierten weiteren Abwertung des Dollars zu. Die darauf folgende sprunghafte Wertsteigerung des Yen (von 240 Yen auf 155 Yen im 3. Quartal 1986, also weit über das angepeilte Niveau von 200 hinaus), berührte die japanische Wirtschaft in allen Grundstrukturen. Die erfolgsgewohnte Exportindustrie erlebte erstmals dramatische Umsatz-und Gewinneinbrüche, sie hatte über längere Zeiträume unterausgelastete Kapazitäten und sah sich in ihrer Wettbewerbsfähigkeit massiv gefährdet.

Die exportorientierten Unternehmen der japanischen Wirtschaft haben auf die dramatische Veränderung der Währungsrelationen mit einer erstaunlichen Flexibilität reagiert. Dabei haben sie über kurzfristig wirkende Anpassungsmaßnahmen hinaus, die sich in einer spürbaren Erhöhung der Produktivität niederschlugen, auch grundlegend neue untemehmenspolitische Strategien entworfen und zügig in die Wege geleitet. Diese erforderten häufig die Aufgabe von bisher erfolgreichen Positionen und vielfach ein radikales Umdenken. Kernpunkt der erfolgversprechenden Neuorientierung ist der Versuch, sich stärker in die weltwirtschaftliche Arbeitsteilung zu integrieren. Sichtbares Zeichen dafür sind die sprunghaft steigenden Auslandsinvestitionen. Aber nicht nur die von der Yen-Hausse direkt betroffenen Exportunternehmen (und deren Zulieferbetriebe) reagierten umgehend und (wie sich in den Folgejahren zeigte) erfolgreich, auch die Regierung schickte sich an, neue wirtschaftspolitische Konzepte zu erarbeiten und in konkrete Maßnahmen umzusetzen. Der damalige Premierminister Yasuhiro Nakasone beauftragte bereits im Jahre 1985 eine sogenannte Advisory Group on Economic Structural Adjustment for International Harmony unter der Leitung des früheren Notenbankgouverneurs Haruo Maekawa mit der Ausarbeitung von Langfristperspektiven und wirtschaftspolitischen Richtlinien für eine Entwicklung der japanischen Wirtschaft, die im Einklang mit nationalen wie internationalen Interessen läge. Das Ergebnis der Arbeit dieses Beirats war der im April 1986 vorgelegte erste „Maekawa-Bericht“ Der Bericht fand wegen seiner fundamentalen Reformvorschläge, die teils an heiße Eisen und bisherige Tabubereiche der Wirtschaftspolitik rührten, im In-und Ausland starke Beachtung. Erstmals forderte ein wirtschaftspolitisches Beratergremium in Japan die Abkehr vom exportgetragenen Wachstum des Landes und die stärkere Betonung der Binnennachfrage, was eine grundlegende Neuorientierung in der wirtschaftspolitischen Ausrichtung bedeutete.

Um sicherzustellen, daß die Reformvorschläge nicht nur als Spiegelfechtereien zur Abwehr von Kritik aus dem Ausland betrachtet würden und daß auch im Inland der Reformwille der Regierung als eine nachhaltige politische Willensbekundung erschien, ließ Nakasone sein Beratergremium unverzüglich eine Konkretisierung des „Maekawa-Berichts“ erstellen. Das Ergebnis lag im Mai 1987 vor Wegen der Kontinuität im Vorsitz der beiden Studiengruppen wurde dieses Papier in der Öffentlichkeit als „Neuer Maekawa-Bericht“ bekannt. Inhaltlich stellt er eine Akzentuierung und teilweise auch Spezifizierung der schon im ersten Bericht angesprochenen Reformvorhaben dar. *

IV. „Maekawa-Berichte“ und neuer Fünfjahresplan als aktuelle wirtschaftspolitische Leitlinien

Die in den „Maekawa-Berichten“ enthaltenen wirtschaftspolitischen Ansätze zur Korrektur der skizzierten nationalen und internationalen Ungleichgewichte sind in der Synopse am Ende des Beitrages zusammengefaßt (S. 24 f.). Das gemeinsame Merkmal fast aller Vorhaben ist, daß sie lediglich inhalt-liehe Zielvorstellungen beschreiben. Die Berater haben außer im Abschnitt zur Arbeitszeitverkürzung keine quantifizierten Ziele genannt. Zwar setzen sie sich damit dem vor allem im Ausland aufgekommenen Verdacht aus, im Unverbindlichen verharren zu wollen. Andererseits aber bewegen sie sich in der Tradition der wirtschaftspolitischen Visionen. die — wie oben erwähnt — primär Leitlinien zur Orientierung von Staat und Privatwirtschaft bieten, nicht aber die Spielräume für deren Umsetzung einengen wollen. Die in erster Linie binnenwirtschaftlich ausgerichteten Reformvorhaben zielen durchgehend auf die Erhöhung und Stützung der Binnennachfrage ab. Im einzelnen wird der Regierung vorgeschlagen, sich in den folgenden Aktionsfeldern zu engagieren:

— Verbesserung der quantitativen und qualitativen Wohnsituation der japanischen Bevölkerung durch eine neue Wohnungsbau-und Bodenpolitik;

— Verbesserung der sozialen Infrastruktur auf den in westlichen Industrieländern erreichten Stand; — Angleichung der Lebenshaltungskosten an den Stand in westlichen Industrieländern durch Deregulierungen und Marktöffnungen;

— Anregung des Freizeitkonsums durch Arbeitszeitverkürzungen auf eine Jahresarbeitszeit von durchschnittlich 1 800 Stunden;

— Verhinderung des Entstehens weiterer struktur-schwacher Regionen durch eine aktive Regionalpolitik (Anregung des Wirtschaftswachstums in zentrumsfernen Regionen).

Die primär auf den Abbau der außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte gerichteten Reformvorhaben umfassen unter anderem folgende Punkte:

— Erreichen einer ausgeglicheneren Handelsbilanz durch Abbau von importbehindernden Regulierungen; — Förderung des sektoralen Strukturwandels, insbesondere in exportintensiven Industriezweigen durch freie Entfaltung des Marktmechanismus, Abbau von Erhaltungssubventionen, auch im Agrarbereich; — verstärkte Direktinvestitionen der japanischen Exportwirtschaft im Ausland als Schritt in Richtung auf eine neue internationale Arbeitsteilung;

— Beitrag zur Förderung von Entwicklungsländern und zur Überwindung ihrer Schuldenkrise durch Steigerung der Entwicklungshilfequote und gezielte Öffnung der Inlandsmärkte für Importe aus diesen Ländern.

Neu an diesem Paket von Reformansätzen sind weniger die einzelnen Positionen als vielmehr die Stoßrichtung auf eine Stützung der Binnennachfrage, kombiniert mit einer auf die weltwirtschaftliche Integration abzielcnden Außenwirtschaftspolitik. Die Autoren sahen sich vor der Aufgabe, eine Politik zu entwerfen, die den im Japan der achtziger Jahre akuten Widerspruch zwischen mikroökonomischen Anliegen (Marktanteilszuwächse, Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, Abschottung gegen Auslandskonkurrenz u. a.) und makroökonomischen Zielen (Zahlungsbilanzausgleich. Wechselkursstabilität) überbrücken wird. Sie steckten neue Wachstumsfelder im Inland ab und kündigten zugleich wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Öffnung bisher regulierter Märkte für ausländische Anbieter an. Die rezessiven Wirkungen der Yen-Aufwertung zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der „Maekawa-Berichte" trugen dazu bei. daß die japanische Öffentlichkeit die Notwendigkeit der Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik weitgehend akzeptierte.

Ein Jahr nach dem zweiten „Maekawa-Bericht“ verabschiedete die japanische Regierung im Mai 1988 den neuen Fünfjahresplan für die wirtschaftliche Entwicklung von 1988 bis 1992. Unter dem Motto „Japan zusammen mit der Welt“ umreißt die Economic Planning Agency darin in weitgehender Analogie zu den „Maekawa-Berichten" den wirtschaftspolitischen Kurs zur Überwindung der fundamentalen Ungleichgewichte sowie die zukünftigen Wachstumsgrundlagen der japanischen Wirtschaft (vgl. Synopse, S. 24f.). Diesem elften Wirtschaftsplan der Nachkriegszeit liegt eine Schätzung des realen jahresdurchschnittlichen Wirtschaftswachstums von 3, 75 Prozent zugrunde. Daß dieser neue Wirtschaftsplan bereits zwei Jahre vor Ablauf des Vorgängerplans veröffentlicht wurde sowie seine enge inhaltliche Koppelung an die Maekawa-Empfehlungen deuten an. daß es der japanischen Regierung darum ging, den neuen Kurs der Wirtschaftspolitik fest im Bewußtsein der in-und ausländischen Öffentlichkeit zu verankern. Zwar haben die Autoren des Plans nur in wenigen Punkten ihre Zielvorstellungen in Zahlen gefaßt und sich in der Regel auf qualitative Perspektivaussagen und Empfehlungen beschränkt, aber sie gehen mit der Spezifizierung einer Reihe von Politik-vorschlägen doch einen Schritt weiter als die Verfasser der „Maekawa-Berichte“.

Hervorzuheben sind die folgenden Punkte:

— Als Schwerpunkte des Sozialkapital-und Infrastrukturausbaus sind die soziale Sicherung der Bevölkerung, die Transportsysteme. Institutionen zur Förderung des industriellen Strukturwandels und der Lebensqualität sowie Bildungs-und Forschungseinrichtungen genannt.

— Im Rahmen der Wohnungsbauförderung soll insbesondere die Wohnsituation im Raum Tokio Vorrang erhalten.

— Der noch akzeptable Anstieg der Verbraucher-preise wird mit 1. 5 Prozent angesetzt.

— Das Ziel von durchschnittlich 1 800StundenJahresarbeitszeit soll bereits 1992 erreicht sein. Dazu kommt die Befürwortung von mehr Urlaub bei individueller Wahl der Urlaubszeitpunkte. — Die Arbeitslosenquote soll 1992 nicht mehr als 2, 5 Prozent betragen.

— Im Rahmen der regionalen Industriepolitik soll der Aufbau von Zukunftsindustrien in peripheren und strukturschwachen Gebieten gefördert werden. Tokio soll einerseits als internationales Finanzzentrum ausgebaut werden, andererseits sollen gleichzeitig Regierungsstellen ausgelagert werden. — Im Kapitel „Deregulierungen“ sind zusätzlich zu den auf Importförderung abzielenden Maßnahmen weitere Bereiche aufgeführt, in denen Beschränkungen und Marktordnungen wegfallen sollen. Dazu zählen das Transportwesen, der Handel, die Kommunikationswirtschaft, der Agrarsektor, die Finanzwirtschaft und der Arbeitsmarkt.

— Die Anpassungsprobleme mittelständischer Betriebe im Zuge des sektoralen Strukturwandels sollen abgefedert werden. Die Agrarpolitik hat sich in Zukunft stärker an den Interessen der Konsumenten auszurichten.

Neben den genannten Spezifizierungen fallen im Vergleich zu den „Maekawa-Berichten“ jedoch auch einige Lücken in den Perspektivaussagen auf, So fehlen die vorher ausdrücklich aufgeführter Vorhaben im Rahmen einer neuen Bodenpolitik Auch die differenzierten beschäftigungspolitischer Vorschläge zur Verhinderung eines weiteren Anstiegs der Arbeitslosigkeit sind im Fünfjahresplar nicht mehr enthalten. Offensichtlich handelt es siet hier um zwei Politikbereiche, in denen die Konzept-diskussionen so kontrovers waren, daß der Wirtschaftsbeirat kein Einvernehmen über die Wah des einzusetzenden Instrumentariums erzieler konnte.

V. Konsens bei Reformnotwendigkeit, Skepsis bei Realisierungschancen

Unter Japans Politikern und Wirtschaftsführern, aber auch in großen Teilen der Bevölkerung, besteht heute Konsens darüber, daß sich das Land einer Reihe von — aus japanischer Sicht teilweise radikalen — Reformen auf den verschiedensten Gebieten unterziehen muß, wenn die angestrebte und als unumgänglich angesehene harmonische Einbindung in die Weltwirtschaft realisiert werden soll. Nichtsdestoweniger gehen verständlicherweise die Ansichten und Vorstellungen der Interessengruppen und politischen Fraktionen über das Reformprogramm im einzelnen auseinander, insbesondere darüber, welche (vermeintlichen oder tatsächlichen) Opfer den verschiedenen Teilen der Wirtschaft bzw. Bevölkerungsgruppen zugemutet werden dürfen. Die noch zu erwartenden Widerstände von politisch einflußreichen Gruppen (Landwirtschaft, Handel) gegen Teile des Reform-werks, beispielsweise die Steuer-, die Agrar-und die Arbeitszeitreform, werden für die Regierung in Tokio in den nächsten Jahren eine harte Bewährungsprobe darstellen. Erleichtert wird die Aufgabe zweifellos dadurch, daß der „Währungsschock“ von 1985/86 nicht in die zunächst erwartete lang anhaltende Wirtschaftskrise führte, sondern — nach kurzer Wachstumsschwäche — neue Kräfte mobilisiert hat.

Erfahrungsgemäß läßt sich die Notwendigkeit von einschneidenden Strukturreformen zwar in Krisenzeiten besser begründen und planen, ihre konkrete Realisierung aber fällt — auch in Japan — in Zeiten kräftigen wirtschaftlichen Wachstums wesentlich leichter.

Die Regierungen unter Ministerpräsident Yasuhirc Nakasone und seinen Nachfolgern Noboru Take shita, Sosuke Uno und Kaifu Toshiki, haben siel die meisten der im zweiten „Maekawa-Bericht“ ent haltenen Empfehlungen zu eigen gemacht, sie ir ihre wirtschaftspolitischen Pläne und Programme übernommen und die Realisierung — zum Teil ge gen erhebliche Widerstände der parlamentarischer Opposition und aus den eigenen Reihen bzw. au: bestimmten Interessengruppen — in Angriff ge nommen. Da einige der vorgesehenen Reformer gewachsene wirtschaftliche und soziale Strukturer in ihren Grundfesten erschüttern, wird ihre voll« Implementierung wohl noch geraume Zeit in An spruch nehmen. Immerhin bedeutet die angestrebte Umorientierung für Japan einen grundlegender Wandel der seit dem Ende des Zweiten Weltkriege: politisch propagierten und von allen am Wirt schaftsleben beteiligten Gruppen getragenen öko nomischen Philosophie.

Die neu formulierten bzw. in die Wege geleiteter Strukturreformen berühren alle Bereiche der Wirt schäft. Obwohl sie sich vielfach erst im Planungs oder Gesetzgebungsstadium befinden, haben Teil« der Wirtschaft bereits auf die zu erwartenden Neue rungen reagiert und Anpassungsstrategien entwik kelt, die das neue wirtschaftspolitische Konzept de Regierung unterstützen bzw. ihm entsprechen Diese weitgehende Kongruenz von staatlicher Re formpolitik und neuen unternehmenspolitischer Strategien läßt sich — mehr oder weniger ausge prägt — auf vielen Gebieten der Wirtschafts-unFinanzpolitik feststellen. Die Skepsis der Kritiker der neuen japanischen Wirtschaftspolitik richtet sich vor allem dagegen, daß die Politikkonzepte nur vage umrissen, die einzusetzenden Instrumente nicht spezifiziert und die Ziele nicht quantifiziert sind. Der Fünfjahresplan bis 1992 bleibt in Bezug auf die Konkretisierung der wirtschaftlichen Entwicklungslinien hinter seinen Vorläufern zurück. Konkrete Bedenken wurden zur Höhe der Zielprojektion für das Wirtschaftswachstum bis 1992 geäußert. Selbst ein jahresdurchschnittlich realer Zuwachs des Bruttosozialprodukts von 3, 75 Prozent ist sicherlich zu niedrig, um die Reformziele zu erreichen. Japanische Wirtschaftswissenschaftler und Forschungsinstitute setzen das Vollbeschäftigungswachstum mit mindestens fünf Prozent an. Auch das MITI plädierte für ein Wachstumsziel von real mindestens vier Prozent. Zweifel bestehen auch an einem nachhaltigen Rückgang der Exportabhängigkeit. Die seit 1987 wieder steigenden Investitionen im verarbeitenden Gewerbe werden neben ihrer Nachfragewirkung auch einen Kapazitätseffekt haben, der über kurz oder lang die japanischen Unternehmen wieder auf die Auslandsmärkte zwingen könnte. Die Kernfrage bleibt somit, ob sich das Niveau der Binnennachfrage zumindest mittelfristig auf dem hohen Stand der Jahre 1987 bis 1989 halten läßt. Da die Expansivwirkungen der Aktienkurssteigerungen und der Bodenpreisentwicklung voraussichtlich nicht mehr lange anhalten werden, wird eine expansive Geld-und Fiskalpolitik zur Schlüsselgröße für die Realisierung der skizzierten neuen Wirtschaftspolitik Japans. In den zurückliegenden Jahren haben sowohl Zentralbank als auch Regierung mit ihrer konjunkturstützenden Politik (Zurverfügungstellung reichlicher Liquidität, „Package of Emergency Economic Measures“ von 1987) die strukturellen Reformmaßnahmen wesentlich erleichtert, wobei die florierende Weltkonjunktur Hilfestellung leistete.

Andererseits bedeuteten die innenpolitischen Turbulenzen im Gefolge des Recruit-(und auch des Geisha-) Skandals, der zum Rücktritt der Ministerpräsidenten Takeshita und Uno sowie ihrer Kabinette führte, und der entscheidende — und zwangsläufig unpopuläre — politische Weichenstellungen kaum zuließ, einen empfindlichen Rückschlag für den Reformprozeß. Sie haben verhindert, daß dringend notwendige Maßnahmen in Angriff genommen wurden.

VI. Akuter Handlungsbedarf bei Wohnungsmarkt, Bodenrecht und sozialer Sicherung

Dringender Reformbedarf besteht auf dem Boden-und Wohnungssektor. Die exorbitant hohen Grundstückspreise in den Ballungsgebieten und die — trotz kürzlich erfolgter Auflockerung — noch immer zu restriktiven Bauvorschriften verhindern eine durchgreifende Verbesserung der vor allem qualitativ unzulänglichen Wohnsituation der Bevölkerung. Eine 1988 durchgeführte Befragung der Stadtverwaltung von Tokio ergab, daß 39 Prozent der Bewohner mit ihrer Wohnsituation nicht zufrieden sind. Das waren zehn Prozent mehr als fünf Jahre vorher. Die häufigste Beschwerde betraf die Enge der Wohnungen.

Eine nachhaltige Verbesserung ist aufgrund der dramatischen — spekulativ bedingten — Boden-preissteigerungen seit 1986/87 kaum vorstellbar. Der Traum vom eigenen Heim ist für die überwiegende Mehrzahl der Japaner in weite Ferne gerückt. Nach einer Umfrage der Regierung ist der Anteil der Japaner, die den Plan haben, ein Haus oder eine Wohnung zu kaufen, von 32 Prozent im Jahre 1977 auf 15 Prozent in 1986 zurückgegangen. Heute dürfte dieser Anteil nahe bei Null liegen. Die steigenden Grundstückspreise haben selbst ein Haus bescheidener Größe für den durchschnittlichen Stadtbewohner unerschwinglich gemacht. Der Durchschnittspreis eines Einfamilienhauses in Tokio und Osaka entsprach noch Anfang der achtziger Jahre dem sechs-bis siebenfachen eines Jahreseinkommens. Im Zentrum Tokios, der Ginza, betragen die steuerlichen Einheitswerte heute pro qm rund 21 Millionen Yen. das sind etwa 250 000 DM. Die Marktpreise betragen das vier-bis achtfache. Selbst zwei Bahnstunden entfernt sind Mini-Grundstücke unter einigen Millionen Mark kaum mehr zu haben. Unter diesen Bedingungen ist eine grundlegende Verbesserung der Wohnsituation, die zu einer qualitativen Verbesserung des Lebensstandards beitragen könnte, nur mit massiver staatlicher Unterstützung denkbar.

Neben den bereits im Rahmen des Konjunkturstützungsprogramms vom Mai 1987 beschlossenen und kurzfristig durchaus erfolgreichen Maßnahmen scheint vor allem eine grundlegende Revision der einschlägigen steuerlichen Bestimmungen erforderlich. um mehr Land für den Wohnungsbau in er-23 träglicher Entfernung von den kommerziellen Zentren und damit von den Arbeitsstätten der Masse der Bevölkerung bereitzustellen. Das derzeitige System (Berechnung und Anpassung der Grundsteuer, Steuerfreiheit für landwirtschaftlich genutzte Flächen, Erbschaftsteuer) belohnt das „Halten“ von Grundstücken und bestraft deren Verkauf. Obwohl diesem Problem auch von Seiten der Regierung hohe Priorität beigemessen wird, dürften einschneidende Änderungen hier besonders schwer zu realisieren sein. Im Interesse der angestrebten Stärkung der inländischen Nachfrage wären sie aber besonders wichtig. Die Erleichterung des Erwerbs von Wohneigentum würde nicht nur die Baukonjunktur dauerhaft ankurbeln und den Umsatz zahlreicher Industrien und Branchen positiv beeinflussen, sondern auch die Sparquote der privaten Haushalte reduzieren und damit einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung des Leistungsbilanzüberschusses leisten.

Die Japaner sparen — trotz der hohen Lebenshaltungskosten — einen vergleichsweise großen Anteil ihres Einkommens. Dies ist nicht zuletzt Ausdruck der Notwendigkeit, mangels eines ausreichenden staatlichen Sicherungssystems selber für das Alter vorsorgen zu müssen. Das Vertrauen in das relativ junge Rentenversicherungssystem ist noch gering. Der Anteil derer, die sich in bezug auf ihre Versorgung im Alter Sorgen machen, hat nach einer Umfrage innerhalb von zehn Jahren von 36 Prozent auf 58 Prozent zugenommen. Auch die soziale Absicherung gegen die Risiken Krankheit und Arbeitslosigkeit gehört zu den Gebieten, auf denen ein Nachholbedarf besteht. Ende 1987 fühlten sich nur 20 Prozent der japanischen Bevölkerung als wohlhabend, 30 Prozent äußerten die Meinung, daß sich ihr Lebensstandard verschlechtert habe.

Hier deutet sich eine Tendenz an, die in jüngster Zeit fast dramatische Formen angenommen hat, nämlich die Umwandlung einer der — wie sich die Japaner selbst nannten — „gleichheitsbewußtesten Gesellschaften der Welt“, in der sich noch vor zehn Jahren 90 Prozent der Mittelschicht zugehörig fühlten, in eine Zweiklassengesellschaft der „neuen Reichen“, die sich einen immer luxuriöseren Lebensstil leisten, und der „neuen Armen“. Daß die Kluft zwischen beiden Gruppen sprunghaft zunimmt, liegt nur zum geringeren Teil an der sich vergrößernden Diskrepanz im Erwerbseinkommen der Bürger. Weit stärker ins Gewicht fallen die oben angesprochenen enormen Spekulationsgewinne von Grundbesitzern. So ist der Bodenwert Japans allein 1987, in einem einzigen Jahr, um rund 3 200 Mrd. US-Dollar gestiegen. Eine kleine privilegierte Schicht japanischer Grundbesitzer ist also ohne eigenes Zutun nicht nur um diesen riesigen Betrag reicher geworden, sondern es fiel ihr — wegen der in vielen Fällen fehlenden Realisierungsmöglichkeit freilich nur theoretisch — auch Kaufkraft in einer Höhe zu, die die gesamte Nation als Sozialprodukt in eineinhalb Jahren erwirtschaftet.

Beispielsweise erzielten im Jahr 1987 von den 100 Spitzenverdienern 88 ihre Einkommen vorwiegend aus Grundstücksgeschäften, die übrigen im wesentlichen aus Wertpapiergeschäften. Das bedeutet, daß sich der reale Lebensstandard der reinen Lohnbezieher gravierend verschlechtert hat.

Diese haben nun einen erheblich größeren Teil ihres Einkommens für einen Quadratmeter Lebensraum auszugeben als zuvor. Die soziale Absicherung der Menschen gegen Krankheit und Arbeitslosigkeit sowie für den Lebensabend ist in Japan weit entfernt vom Standard anderer westlicher Industrieländer. Nicht zu Unrecht wird daher im Ausland gegenüber Japan der Vorwurf des „Sozialdumpings“ erhoben. Japans Wirtschafts-und Sozialpolitik täte gut daran, durch entsprechende gesetzliche Regelungen dafür zu sorgen, daß ein größerer Teil der von seiner Exportindustrie verdienten Gewinne für soziale Investitionen verwendet wird, anstatt im Ausland Anlage zu suchen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Willy Kraus hat in seinem lesenswerten Aufsatz das ganze Spektrum der Einstufungen eindrucksvoll dargestellt; vgl. Willy Kraus, Marktwirtschaft „Japanese Style“, in: Orientierungen zur Wirtschafts-und Gesellschaftspolitik, Dezember 1982, S. 32 ff.

  2. Zitiert in einem Vortrag von Bunsohn Yoshino „The New GATT Round and Japan“ auf dem Symposium „Domestic Dimension of the Uruguay Round: Constraints ans Factors within Key Countries likely to affect the Negotiations", 6. -8. März 1987 in Montreux, Schweiz, unv. Manuskript, S. 13.

  3. Vgl. die Dokumentation der ersten neun Pläne bei: Helmut Laumer, Japans Wirtschaft in den achtziger Jahren. Perspektiven, Chancen, Risiken, in: Ifo-Schnelldienst, (1980) 35/36, S. 14 ff.

  4. Vgl. Helmut Laumer/Wolfgang Ochel, Strukturpolit traditionelle Industriezweige in Japan, Berlin-Müi 1985.

  5. Vgl. Angelika Ernst/Helmut Laumer, Japan an der Schwelle zur globalen Wirtschaftsmacht. Strukturwandel und Internationalisierung, München 1989, S. 3 ff.

  6. Vgl. die englische Fassung in: The Japan Economic Journal vom 19. April 1986. S. lf.

  7. Vgl. die englische Fassung unter dem Titel „Action for Economic Restructuring“ in: The Japan Economic Journal vom 23. Mai 1987, S. lf.

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Helmut Laumer, Dr. oec. publ., geb. 1931; Abteilungsleiter und Vorstandsmitglied am Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung, München. Veröffentlichungen u. a.: Japans wirtschaftliche Verflechtung mit Südostasien, Hamburg 1977; Die Direktinvestitionen der japanischen Wirtschaft in den Schwellenländern Ost-und Südostasiens, München-Köln-London 1984; (zus. mit Wolfgang Ochel) Strukturpolitik für traditionelle Industriezweige in Japan, Berlin 1985; (zus. mit E. Batzer) Marketing Strategies and Distribution Channels for Foreign Companies in Japan, Boulder-San Francisco-London 1989; (zus. mit Angelika Ernst) Japan an der Schwelle zur globalen Wirtschaftsmacht. Strukturwandel und Internationalisierung, München 1989.