Spanien und Portugal zwischen Regime-Übergang und stabilisierter Demokratie
Walther L. Bernecker
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Zusammenfassung
Spaniens Übergang in die Demokratie hat weltweit Erstaunen und Bewunderung hervorgerufen. Inzwischen kann die liberal-parlamentarische Monarchie längst als stabilisiert gelten. Der Beitrag untersucht wichtige Aspekte der transieiön und der Konsolidierung der Demokratie: Zuerst geht es darum, die allgemeinen Probleme des Übergangs (Reform oder Bruch, einzelne Maßnahmen und Phasen. Anteil der soziopolitischen Kräfte an der Entwicklung) zu schildern. Sodann werden die Parteien und die Wahlen zwischen 1977 und 1989 untersucht, wobei vor allem die Veränderung des Parteiensystems durch die Wahlen von 1982 und die Herausbildung der Sozialistischen Partei (PSOE) als der bis heute im spanischen Parteienspektrum dominierenden Partei betont wird. Der folgende Abschnitt behandelt den Übergang vom Zentralstaat zum heutigen Staat der Autonomen Gemeinschaften, der zu einer regionalpolitischen Neuordnung Gesamtspaniens führte. Heute befindet sich das Land in der Phase der inhaltlichen Ausgestaltung der regionalen Autonomie. Der letzte Abschnitt beschäftigt sich mit der (im Verhältnis zum politischen Demokratisierungsprozeß phasenverschoben begonnenen) wirtschaftlichen Umstrukturierung und Modernisierung, mit der Bedeutung der Sozialpakte im Übergangsprozeß und der neoliberalen Wirtschaftspolitik der PSOE-Regierungen in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre. Der portugiesische Regime-Übergang setzte, im Gegensatz zu Spanien, mit einem Militärputsch ein. Länger als in Spanien waren die entstehende Parteienstruktur und die neuen Institutionen auch sehr instabil, bis schließlich in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre eine deutliche politische Stabilisierung erreicht werden konnte. Wirtschaftlich und gesellschaftlich hat das Land inzwischen von den sozialistischen Zielen Abschied genommen, die in den ersten Jahren nach der „Nelkenrevolution“ bestimmend waren. Heute befindet sich Portugal in einer marktwirtschaftlichen Aufschwungphase.
Beim Übergang von der Diktatur in die Demokratie und bei der Stabilisierung der demokratischen Systeme in den beiden iberischen Staaten Spanien und Portugal lassen sich viele Aspekte vergleichen. Insgesamt muß allerdings häufiger auf Unterschiede als auf Gemeinsamkeiten verwiesen werden. Eine erste zeitliche Übereinstimmung besteht darin, daß es beiden Ländern ungefähr ab Mitte der siebziger Jahre — wenn auch in sehr unterschiedlieher Form — gelang, ihre jahrzehntealten autoritären Strukturen abzuschütteln und zu demokratischen Formen überzugehen.
In Portugal setzte der Demokratisierungsprozeß mit einem Militärputsch gegen das Caetano-Regime ein, was zu einem radikal-revolutionären Bruch mit dem diktatorischen Ständestaat (Estado Novo) führte; in Spanien erfolgte demgegenüber eine (in der politischen Terminologie der Zeit) „ausgehandelte Reform“ (reforma pactada), somit ein Übereinkommen zwischen den Erben von Francos Autorität und der demokratischen Opposition. Diese unterschiedlichen Anfänge der jeweiligen Übergangsprozesse führten nach der Einführung der Demokratie zu differierenden Institutionalisierungsprozessen, zu weit voneinander abweichenden Rollen der einzelnen politischen und sozialen Akteure, zu Unterschieden in der Entwicklung des Parteiensystems, in der Bedeutung der Streitkräfte und der Gewerkschaften.
I. Spanien
Spaniens Übergang in die Demokratie Als im Jahr 1975 der spanische Diktator Francisco Franco starb, wagten nur die wenigsten Beobachter eine Prognose über die politische Zukunft des Landes. In der Folgezeit wurden die autoritären Strukturen des Franquismus in einem derart rapiden Tempo abgebaut und durch demokratische Institutionen ersetzt, daß dieser friedliche Übergangsprozeß die internationale Aufmerksamkeit auf Spanien lenkte und für lateinamerikanische ebenso wie neuerdings für ostmitteleuropäische Regime-Über-gänge als Vorbild angesehen wurde. Das Besondere des Regimewandels bestand darin, daß er unter Leitung und Kontrolle der franquistischen Institutionen und eines Teils der in ihnen vorherrschenden politischen Elite durchgeführt wurde, formal innerhalb der von Franco errichteten Legalität vor sich ging und mit dem autoritären Verfassungsrecht des Franquismus nicht brach — was wohl der wesentliche Grund dafür war, daß die Streitkräfte nicht eingriffen, sondern die Veränderung akzeptierten. Inhaltlich stellte die Transformation jedoch nicht eine Reform oder Revision des franquistischen Systems dar, sondern dessen Ersetzung durch eine neue, auf demokratischen Prinzipien basierende Regierungsform unter Bruch mit den Strukturprinzipien des autoritären Regimes 1) -
Der Tod Francos bedeutete noch nicht das Ende des Franquismus, war aber der Katalysator der folgenden Reformentwicklungen. Bereits in seiner Thronrede vom 22. November 1975 kündigte König Juan Carlos I. eine Öffnung und Demokratisierung des politischen Systems an. Dieses Programm wurde dann in der Regierungserklärung vom Dezember 1975 konkretisiert (Reform der repräsentativen Institutionen, Gewährung des Vereinigungsrechts, Ausweitung der Freiheiten und Rechte der Bürger), machte in der ersten Hälfte des Jahres 1976 jedoch unter der noch stark dem alten System verpflichteten Führung des aus dem Franquismus übernommenen Ministerpräsidenten Carlos Arias Navarro nur wenig Fortschritte. Die Alternative, die sich dem König und den politisch Verantwortlichen stellte, lautete: Bruch mit dem Franquismus, wie es die Opposition forderte, oder Kontinuität bei unwesentlichen Korrekturen am System, was die Rechte erstrebte. Die schließlich eingeschlagene Lösung verzichtete auf die abrupte Demontage des Franco-Systems, sie setzte statt dessen auf den langsamen Wandel, auf das kompromißhafte Aushandeln von Änderungen, auf den „paktierten“ Über-gang. Die „transieiön“ erfolgte als Reform. Ihre Originalität bestand darin, daß sie politisch auf Verhandlungen zwischen Regierung und Vertretern des alten Regimes einerseits, den Kräften der demokratischen Opposition andererseits setzte und daß sie verfassungsrechtlich mittels den in den franquistischen „Grundgesetzen“ für deren Revision vorgesehenen Mechanismen stattfand, so daß die franquistische Legalität für ihre eigene Ersetzung durch eine neue, demokratische Legalität instrumentalisiert wurde. Die erste, entscheidende Maßnahme im Prozeß des Übergangs war die Ablösung von Ministerpräsident Arias Navarro durch den ebenfalls aus dem alten Regime stammenden, aber reformfreudigeren Adolfo Suärez im Juli 1976. Suärez’ Strategie, die bereits im „Projekt für die politische Reform“ (September 1976) zum Ausdruck kam, steuerte auf ein Doppelziel hin: Einerseits mußte er die erforderliche Unterstützung seitens der Franquisten für die geplanten, als „Reform“ dargestellten Änderungen erwirken, andererseits zielte er auf Duldung des eingeschlagenen, inhaltlich als „Bruch“ dargestellten Prozesses durch die demokratische Opposition ab. Die Dialektik Reform/Bruch begleitete denn auch die gesamte Übergangsphase, deren Erfolg darin bestand, einen breiten Konsens für diese sich eigentlich ausschließenden Positionen erreicht zu haben.
Daß die Kräfte des alten Regimes dem politischen Wandel schließlich zustimmten, ist im wesentlichen auf vier Faktoren zurückzuführen: zum einen auf die entschiedene Haltung von König Juan Carlos I. zugunsten des Demokratisierungsprozesses, die vor allem die Haltung der Streitkräfte beeinflußte zum anderen auf das auch und besonders in den Massenmedien zum Ausdruck kommende politische Klima, das eine demokratieorientierte Entwicklung als unausweichlich erscheinen ließ; sodann auf die Überzeugung der traditionellen Machtelite, daß nur durch Preisgabe gewisser Positionen eine Radikalisierung des Prozesses verhindert werden könne; schließlich auf den internationalen Rahmen, da die Interessen der westlichen Staaten mit der Einrichtung einer „gemäßigten“ liberal-pluralistischen Demokratie übereinstimmten
Im November 1976 billigten die Cortes (Volksvertretung) das „Gesetz über die politische Reform“, das die Ersetzung der Ständekammer durch ein allgemein gewähltes Zweikammerparlament mit verfassunggebenden Vollmachten vorsah. Bei einem Referendum im Dezember 1976 über das Gesetz sprachen sich bei einer hohen Wahlbeteiligung (über 77 Prozent) mehr als 95 Prozent der Abstimmenden für das Reformprojekt aus, obwohl die demokratische Opposition — da sie am bisherigen Demokratisierungsprozeß nicht beteiligt worden war — zur Stimmenthaltung aufgerufen hatte (die in den autonomistisch orientierten Regionen besonders hoch ausfiel). Mit der Annahme des Reform-gesetzes kann die erste Phase der „transiciön“ als beendet gelten. Da in dieser Phase im wesentlichen die Regierung Suärez die Ereignisse vorantrieb, kann 1976 auch als Jahr der „Demokratisierung ohne Demokraten“ bezeichnet werden.
Am Beginn der zweiten Phase hing die Dynamik des Wandels weit mehr als zuvor vom zuerst impliziten, später expliziten Konsens zwischen Regierung und demokratischer Opposition ab. „Consenso“ wurde fortan zum Schlüsselwort aller wichtigen, den Übergang bestimmenden Entscheidungen. Die Hauptstationen in dieser zweiten Phase waren die Zulassung von Parteien und Gewerkschaften, die Parlamentswahlen von 1977, die soziopolitischen „Moncloa-Pakte" (Oktober 1977) und die Verfassung von 1978. Inzwischen hatte sich die demokratische Opposition im Frühjahr 1976 zur „Demokratischen Koordination“ (Coordinaciön Democrätica) zusammengeschlossen und ihre Absicht bekundet, Spanien auf friedlichem Weg in einen demokratischen Staat umzuwandeln. Auch die 1977 wieder legalisierten Gewerkschaften forcierten durch massenhaften Basisdruck den Demokratisierungsprozeß, dessen Geschwindigkeit nur aus der Gleichzeitigkeit von Reformwillen von oben und Veränderungsdruck von unten zu erklären ist. Im publizistischen und kulturellen Sektor fand eine schnelle Liberalisierung statt, die zwar nicht ohne Rückfälle und Spannungen vor sich ging, seit 1977 aber ein nicht mehr aufzuhaltender Prozeß war. Sprachrohr für die politische und gesellschaftliche Wende wurde die Tageszeitung „El Pais“. In Sitte und Moral vollzog sich innerhalb kürzester Zeit ein aufregender Wandel. Äußerlich sichtbare Zeichen des Regimewechsels waren unter anderem die Änderung von Straßennamen oder die Beseitigung franquistischer Denkmäler; anstelle der Feiertage des früheren Regimes wurden demokratische Gedenktage (Tag der Verfassung) eingeführt; zu Allerseelen gedenken die Militärs aller Gefallenen im Bürgerkrieg, endlich auch der Republikaner. 2. Parteien und Wahlen Nachdem zu Beginn des Jahres 1977 die gesetzlichen Voraussetzungen für freie Parlamentswahlen geschaffen waren, setzte eine parteipolitische Aktivität ungeahnten Ausmaßes ein. Die erste große Umstrukturierung der politischen Szene betraf die Rechte: Die frühere franquistische Einheitspartei Movimiento Nacional wurde aufgelöst; zur wichtigsten Partei auf der Rechten wurde die nationalistisch-konservative „Volksallianz“ (Alianza Populär, AP) unter ihrem Führer Manuel Fraga Iribarne, die in den folgenden Jahren wiederholt den Namen wechselte und heute als „Volkspartei“ (Partido Populär, PP) die wichtigste Oppositionspartei im Parlament darstellt. Die traditionsreiche Sozialistische Arbeiterpartei (Partido Socialista Obrero Espanol, PSOE) konnte im Zuge ihrer Neugrün-B düng unter dem jungen und populären Führer Felipe Gonzalez verschiedene Flügel des spanischen Sozialismus vereinen und schlagkräftige Geschlossenheit nach außen hin demonstrieren. Mit der (auf konservativer Seite heftig umstrittenen) Legalisierung der Kommunistischen Partei (Partido Comunista de Espana, PCE) stand das Parteienspektrum auf der Linken sodann im wesentlichen fest. Im Bereich der politischen Mitte bildeten sich zahlreiche liberale, konservative, Christ-und sozialdemokratische Parteien, die im Mai 1977 unter der Führung von Adolfo Suärez eine Wahlkoalition bildeten: die „Union des Demokratischen Zentrums“ (Cniön de Centro Democrätico, UCD)
Die ersten freien Parlamentswahlen vom Juni 1977 brachten der UCD mit 34, 6 Prozent der Stimmen erwartungsgemäß einen klaren Sieg über ihre Konkurrenz von rechts und links. An die zweite Stelle trat mit 29, 4 Prozent die Sozialistische Partei, während die rechte Volkspartei sich mit 8, 4 Prozent und die Kommunisten mit 9, 4 Prozent der Stimmen zufriedengeben mußten (vgl. Tabelle 1). Der Wahlerfolg der UCD, die heterogene Interessen und Wählerschichten integrierte, war ein deutliches Anzeichen dafür, daß die früheren Gegensätze zwischen den ländlich-katholischen und den urban-säkularisierten Mittelschichten beseitigt waren. Die UCD als Partei der (rechten) Mitte war von überragender Bedeutung für Spanien, hatte das Land bis dahin doch der Tradition einer großen bürgerlichen Partei der Mitte entbehrt, die in der Lage gewesen wäre, zwischen den Extremen des parteipolitischen und ideologischen Spektrums zu vermitteln; gerade diese Aufgabe aber übernahm die UCD in der Übergangsphase.
Die Wahlen von 1977 brachten — ebenso wie die folgenden von 1979 — keine Polarisierung der politischen Landschaft, vielmehr die Tendenz zu Konzentration und Mäßigung, eine Absage an Extreme. UCD und PSOE vereinigten zusammen etwa zwei Drittel der Wählerstimmen und drei Viertel der Cortes-Mandate auf sich; einen derartigen Strukturierungseffekt der Parteienlandschaft durch die Wahlen hatten selbst Optimisten nicht erwartet. Die Weichen waren in Richtung auf eine moderne, soziale Demokratie europäischen Zuschnitts gestellt.
Nachdem im Dezember 1978 die neue Verfassung in Kraft getreten war fanden im Frühjahr 1979 erneut Parlamentswahlen statt, die der UCD mit 35 Prozent der Stimmen abermals die Möglichkeit verschafften, eine Minderheitsregierung zu bilden. Die Sozialisten blieben mit 30, 5 Prozent deutlich hinter ihren Erwartungen zurück, die Kommunisten konnten sich knapp auf 10, 8 Prozent steigern, die rechte „Demokratische Koalition“ (Coaliciön Democrätica, CD) fiel auf 6, 0 Prozent zurück. Die autonomistischen Parteien des Baskenlandes (Partida Nacionalista Vasco, PNV) und Kataloniens (Convergencia i Uniö, CiU) konnten ihren Stand von 1977 im wesentlichen halten; andere Regionen (Andalusien, Kanarische Inseln) entsandten erstmals autonomistische Abgeordnete ins Parlament.
Wie schon 1977, so wurden aufgrund des Wahlsystems (Mandatsverteilung) auch 1979 die bevölkerungsschwachen ländlichen Provinzen bevorzugt, die im Verhältnis zu ihrer Bevölkerung mehr Abgeordnete entsenden als die dichtbesiedelten städtischen Wahlkreise. Außerdem wirkt das Wahlsystem mehrheitsfördernd: Die 35 Prozent der Wählerstimmen etwa verhalfen der UCD zu über 47 Prozent der Abgeordnetensitze. Bei späteren Wahlen sollte dieses Wahlsystem den Sozialisten zu ihren absoluten Parlamentsmehrheiten verhelfen.
Im Frühjahr 1979 fanden auch die ersten freien Kommunalwahlen seit Francos Machtergreifung statt. Über 200 000 Kandidaten bewarben sich um die rund 8 000 Bürgermeisterämter sowie um Sitze in den Stadt-und Gemeinderäten. Zu Recht wurde diesen Wahlen, vor allem von der Linken, fast größere Bedeutung beigemessen als den Parlamentswahlen, sollten sie doch endlich die Demokratie von der staatlichen Ebene herab „zum Volk bringen“ und die noch von Francos Zivilgouverneuren eingesetzten Kaziken, die Ortsgewaltigen, durch freigewählte Lokalverwaltungen ersetzen. Die Kommunalwahlen brachten den Sozialisten und Kommunisten, die zuvor schon Zusammenarbeit auf lokaler Ebene vereinbart hatten, in den großen Städten einen eindeutigen Sieg. Sie erhielten insgesamt über eine Million Stimmen mehr als die UCD. Über 70 Prozent aller Spanier hatten fortan in ihren Städten und Dörfern Bürgermeister aus Oppositionsparteien: vorwiegend Sozialisten, aber auch Kommunisten und Regionalisten. Im Baskenland gewannen die Autonomisten und Separatisten weiter dazu.
Zu den Hauptaufgaben der zweiten Regierung Surez gehörte die Lösung der Regionalfrage, die zum Teil derart ungeschickt angegangen wurde, daß die UCD dabei einen Großteil ihres politischen Kredits verspielte. Überhaupt wies die Regierungspartei sehr bald nach Amtsantritt deutliche Krisenerscheinungen auf: Fehler in der Behandlung der Autonomiefrage und wachsende Arbeitslosigkeit führten zu Prestigeverlust und empfindlichen Niederlagen bei Regionalwahlen, die Popularitätskurve von Suärez sank deutlich. Innerparteilich wurde die Krise immer offensichtlicher. Die Anführer der verschiedenen Parteiflügel lehnten sich gegen die autoritäre Führung von Suärez auf und setzten eine kollegiale Parteiführung durch; selbst verschiedene Regierungsumbildungen konnten das Vertrauen der Bevölkerung nicht wiederherstellen. Auch nach Suärez’ Rücktritt als Parteivorsitzender und Regierungschef und seiner Ablösung durch Leopoldo Calvo Sotelo im Amt des Ministerpräsidenten konnte die Krise der UCD nicht gemeistert werden; im Gegenteil: Die Partei zerfiel zusehends, immer mehr führende Mitglieder traten aus, die Regierung wurde nahezu handlungsunfähig. Vorgezogene Neuwahlen wurden im Herbst 1982 unausweichlich. Schon seit längerem waren — Meinungsumfragen zufolge — die Sozialisten in der Wählergunst gestiegen. Die Wahl von 1982 fiel zwischen „links“ und „rechts“, nachdem in den Monaten zuvor deutlich geworden war, daß die Parteien der Mitte keine nennenswerte Rolle spielen würden. Der PSOE präsentierte sich keineswegs radikal; er forderte den „cambio“, den (vor allem moralisch verstandenen) Wechsel, soziale Reformen, Gerechtigkeit und Freiheit. Seit Francos Tod hatte der PSOE auf Drängen seines Vorsitzenden Felipe Gonzälez spektakuläre Wandlungen durchgemacht: Zuerst bekannte sich die (traditionell republikanische) Partei zur Monarchie; sodann legte sie sich einen staatserhaltenden Habitus zu. An die Stelle früherer Klassenkampfprogrammatik trat die Ausweitung zu einer breiten Volkspartei (catch-all-party), die Bezeichnung „marxistisch“ für den PSOE fiel — nach heftigen innerparteilichen Auseinandersetzungen — weg. Das „sozialistische“ Wahlprogramm war pragmatisch und gemäßigt.
Nachdem im Bereich der politischen Mitte die UCD zwischen der Notwendigkeit von Reformen und den eigennützigen Interessen konservativer Gruppen, die nur nach Pfründen trachteten, zerrieben worden war, galt im bürgerlichen Lager die Alianza Populär als einzige Partei, die den Sozialisten mit einigem Erfolg entgegentreten konnte. Mit einer Angebotsmischung zwischen rechtem Konservativismus und konservativem Liberalismus konnte Fraga Iribarne nicht nur ehemalige Wähler der bürgerlichen Mitte, sondern auch Anhänger der extremen Rechten gewinnen. Bereits im Wahlkampf zeigte sich, daß sich hinter seiner Partei der größere Teil der vielzitierten „poderes fäcticos“, der spanischen Verfassungswirklichkeit, versammelte: die Finanzoligarchie, das Militär, Teile der konservativen Bürokratie im Regierungs-und Beamtenapparat. Der nach rechts abgedriftete Unternehmerverband unterstützte Fraga als einzigen Parteiführer öffentlich.
Das Ergebnis der Wahl vom 28. Oktober 1982 war sensationell: Bei einer hohen Wahlbeteiligung von fast 79 Prozent erreichten die Sozialisten über 48 Prozent der Stimmen und (infolge des modifizierten Verhältniswahlrechts) mit 202 (von 350) Sitzen eine klare absolute Mehrheit im Parlament. Zweiter Wahlsieger wurde die Volksallianz Fragas, die mit 26 Prozent der abgegebenen Stimmen 106 Sitze (bis dahin lediglich neun) errang. Alle anderen gesamtspanischen Parteien sind als Verlierer zu bezeichnen. Eine wahre Katastrophe erlebte die UCD, die etwa 80 Prozent ihrer Stimmen verlor und sich mit lediglich zwölf Mandaten (zuvor: 168) begnügen mußte. Auch die Kommunisten mußten eine herbe Niederlage hinnehmen: Sie büßten drei Viertel ihrer Mandate ein und errangen nur noch vier Abgeordnetensitze. Über zehn Millionen Wähler gaben ihre Stimmen für die Sozialisten, mehr als elf Millionen für die Linke insgesamt ab. Die Rechte konnte demgegenüber nur mit knapp sechs Millionen, das Zentrum mit etwas über zwei Millionen, die regionalistischen Parteien mit ungefähr anderthalb Millionen Stimmen rechnen. Der Wahl-ausgang veränderte über Nacht die Parteienlandschaft und die politische Konstellation in Spanien. Nur ein halbes Jahr nach dem beeindruckenden Wahlsieg der Sozialisten standen (im Mai 1983) Kommunal-und Regionalwahlen an, bei denen der PSOE abermals einen überwältigenden Sieg errang, der den Sozialisten die Macht auf allen politischen Ebenen des Landes sicherte. Im Vergleich zu den Kommunalwahlen von 1979 verbesserte der PSOE die Zahl seiner Gemeinderatssitze von 12 000 auf rund 22 000; in sechs der 13 gewählten Regionalparlamente erhielten die Sozialisten die absolute, in fünf weiteren die relative Mehrheit.
Mit den Wahlen von 1982 wurde der PSOE zur — bis heute — beherrschenden, wenn auch in sich heterogenen Partei Spaniens. Mit dem Wahlsieg von 1982 kann auch die Periode der transiciön als endgültig abgeschlossen betrachtet werden. Durch den Zerfall und die Auflösung der UCD wurde das noch nicht festgefügte Parteiensystem umgebildet und destabilisiert, durch das Wahlergebnis die noch junge Demokratie allerdings deutlich gefestigt 1986 konnte der PSOE seine absolute Mehrheit halten, 1989 verfehlte er sie nur um ein Mandat. Daß sich die Partei in den achtziger Jahren als vorerst einzige große Partei der Mitte etablierte, war durch ihre gemäßigte Politik mit reformistischer Zielsetzung möglich, die immer deutlicher die Interessen der großen Mehrheit der Lohnabhängigen ansprach. Ihr gelang die Mobilisierung breiter Bevöl-kerungsschichten, des weiteren vermittelte sie — durch einen relativ rigorosen innerparteilichen Zentralismus — den Eindruck von Disziplin und Effizienz. Die bisherige Stetigkeit der Position der Partei im politischen Spektrum stellt ein wichtiges Element der Stabilität und der Konsolidierung des neuen spanischen Parteiensystems dar, das ja 1982 insgesamt eine abrupte Veränderung erfahren hat.
Während die ersten sieben Jahre nach Franco (1975— 1982) als eine Phase politisch-institutioneller Reformen mit einem instabilen, sich erst herausbildenden Parteiensystem bezeichnet werden können, leiteten die Wahlen von 1982 eine zweite Siebenjahresphase ein (1982— 1989), die im parteipolitischen Bereich als eine Epoche des „asymmetrischen Dualismus“ bezeichnet worden ist. Verstanden wird darunter die Festigung eines Zweiparteiensystems. bei dem die eine Partei (PSOE) bisher allerdings eindeutig dominierte und eine realistische Alternative nicht in Sicht war. Der (knappe) Verlust der absoluten PSOE-Mehrheit im Jahr 1989 könnte zu einem „kooperativen“ Pluralismus führen, innerhalb dessen die regierenden Sozialisten die Zusammenarbeit mit anderen gemäßigten Parteien institutionalisieren — wie etwa im „Verfassungspakt“ mit den Zentristen und den nationalistischen Parteien des Baskenlandes und Kataloniens (1989/90) in letzter Zeit angedeutet. 3. Vom Zentralstaat zum Staat der Autonomen Gemeinschaften Eine der schwierigsten Hypotheken des Franquismus war das seit Jahrzehnten schwelende Regionalismusproblem. Der Weg Spaniens in die Demokratie mußte zugleich ein Prozeß der Regionalisierung, der Rekonstruktion der demokratischen Institutionen wie auch der Emanzipation der demokratischen Kultur in den einzelnen Landesteilen sein. Schon bald sah sich die Regierung zur Erwägung der Frage gezwungen, ob es nicht angebracht sei, anstelle individueller Lösungen für einzelne Regionen eine konstitutionelle Formel mit allgemeiner Gültigkeit zu finden. Derartige Überlegungen drängten sich auf, da es nach 1975 zu einem rapiden Anwachsen regionalistischen Eigenwillens und föderalistischautonomistischer Bestrebungen auch in Landesteilen kam. in denen diesen früher kein großes politisches Gewicht zukam. Die Lösung konzentrierte sich schon bald auf eine integrale Regionalisierung des Landes, d. h. auf eine regionalpolitische Neuordnung Gesamtspaniens. Die politische Dezentralisierung des Staates führte schließlich zu einem tiefgreifenden Wandel der politischen, administrativ-institutionellen und rechtlichen Rahmenbedingungen von Spaniens Demokratie. Heute gliedert sich das Land in 17 politisch autonome Regionen, die „Autonomen Gemeinschaften“ (Comunidades Autönomas)
Die konstituierende Phase des Dezentralisierungsprozesses fand mit der Einrichtung der Autonomen Gemeinschaften in den Jahren 1979 bis 1983 ihren Abschluß. Begonnen hatte der Prozeß, dessen Verlauf durch die zeitgleiche Wirtschaftskrise erschwert wurde, in enger Wechselbeziehung mit dem stark ausgeprägten Regionalismus. „Nationalistische“ Parteien im Baskenland (PNV, EE) und in Katalonien (CDC, ERC) forderten — unterstützt durch Massendemonstrationen — die Wiedererlangung der in der Zweiten Republik bereits innegehabten, vom Franco-Regime aber eliminierten politischen Autonomie. Auch die gesamtspanischen Linksparteien (PSOE, PCE) sahen in der politischen Dezentralisierung ein wichtiges Element der Demokratisierung des Landes.
Die Verfassung von 1978 sah eine regionalistische, nicht jedoch föderalistische Lösung der Autonomiefrage vor. wenn auch in neuerer Zeit in Wissenschaft und Politik eine Diskussion über die Fortentwicklung des spanischen Autonomiestaates zu einem föderalen Staat stattfindet. Jede „Nationalität“ und „Region“ hat das Recht auf Selbstverwaltung. Dabei sollte der Begriff „Nationalität" den Basken, Katalanen und Galiciern vorbehalten bleiben, die sich von den übrigen Spaniern nicht nur historisch, sondern auch sprachlich-kulturell und zum Teil ethnisch unterscheiden Die Verfassung schuf außerdem — neben dem „privilegierten“ Weg zur Autonomie, der den Basken, Katalanen und Galiciern zugesprochen wurde — zwei qualitativ verschiedene Modelle von Autonomen Gemeinschaften: Das eine Modell (über Artikel 151) entsprach den Vorstellungen einer politischen Dezentralisierung, das andere (über Artikel 143) konnte zu einer politischen oder aber zu einer lediglich administrativen Dezentralisierung führen.
Die unterschiedlichen Autonomiemodelle führten zu verschiedenartigen Kompetenzaufteilungen zwischen Staat und Autonomen Gemeinschaften. Insgesamt ergibt sich allerdings die Kompetenzenverteilung sowohl aus den Verfassungsartikeln als auch aus den einzelnen Autonomiestatuten und der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts. In der Regel betreffen die Kompetenzen der Regionalorgane die Bereiche Städtebau, öffentliche Arbeiten, Umweltschutz, Nutzung der Wasserkräfte, Wirtschaftsförderung usw.; zu den Kompetenzen der Zentralregierung zählen u. a. Verteidigung, Außenpolitik und Zollhoheit. Die Verfassung bietet zwar die rechtliche Grundlage für die Fortsetzung der 1977 begonnenen Dezentralisierung, stellt jedoch für die meisten konkreten Fragen nur einen Minimalkonsens dar, der viele wesentliche Aspekte ausklammert und damit unterschiedlichen Interpretationen einen relativ großen Spielraum eröffnet.
Die Regionalisierung des Landes hielt in den Jahren bis 1983 Politiker aller Lager in Atem. Der Verlauf der Autonomiegewährung an Andalusien führte zu wiederholten Kurswechseln der von der Union de Centro Democrätico (UCD) gestellten Regierung, die deutlich werden ließen, daß der Autonomieprozeß in den einzelnen Regionen der Zentralregierung aus der Hand glitt, daß die Regionalisierung des Landes eine Eigendynamik zu entwickeln begann, die der UCD politisch nicht mehr kontrollierbar erschien. Die Regierung hatte es versäumt, ein Modell fürjene Regionen zu entwickeln, die kulturell anders ausgeprägt sind als das Baskenland, Katalonien oder Galicien.
Seit ihrem Beginn (Anfang 1976) wurden die Autonomieverhandlungen von den unterschiedlichsten Reaktionen begleitet, die von überwiegender Ablehnung und Warnung vor weitergehender Dezentralisierung — durch einen Teil der Streitkräfte — über die Forderung nach umfassender Autonomie oder Errichtung eines Bundesstaates — eine Zeit-lang etwa durch den PSOE — bis hin zu offen separatistischen Bestrebungen — etwa durch die ETA — reichten Wer in den achtziger Jahren — als mittlerweile die 17 „Autonomen Gemeinschaften“ eingerichtet worden waren — auf die bis dahin zurückgelegten Etappen der Autonomieregelung zurückblickte, konnte zum einen die wenig konsequente, oft widersprüchliche Haltung der Zentralregierung, zum anderen die von Region zu Region unterschiedliche Problemlage feststellen, die jede Prognose auf diesem überaus vielschichtigen und komplexen Gebiet unmöglich machte. Nur ein Aspekt war durchgängig feststellbar: Die UCD, die bis 1982 Regierungspartei gewesen war, hatte bei allen Regionalwahlen (aus unterschiedlichen Gründen) Schiffbruch erlitten. Als Sieger hatten sich die „bürgerlich-nationalistischen“ Parteien (Baskenland, Katalonien), aber auch die „gesamtspanische“ Rechte (Galicien) und Linke (Andalusien) profiliert. Die politisch-ideologische Orientie-rung der Regionalismen war und ist unterschiedlich, die Grundzüge ihrer politischen Verhaltensmuster reichten und reichen vom Kompromißdenken mit der Zentralregierung bis zu maximalistisehen Unabhängigkeitsforderungen.
Als mit den Autonomiewahlen von 1983 die 17 Autonomen Gemeinschaften sich endgültig konstituiert hatten, bestand in Spanien (neben dem Zentral-staat) eine zweite staatliche Entscheidungs-und Steuerungsebene. Die Struktur des Parteiensystems auf nationaler Ebene wurde dadurch nicht wesentlich verändert, der Stimmenanteil der regionalen Parteien blieb bei gesamtstaatlichen Wahlen in etwa konstant. Allerdings stieg die Bedeutung regionaler Parteien bei Wahlen auf der Ebene der Autonomen Gemeinschaften. In den „historischen“ Regionen bestehen jeweils eigene Parteien-systeme unterschiedlicher Struktur und spezifischer Entwicklungstendenzen.
Heute befindet sich der Dezentralisierungsprozeß in der Phase der inhaltlichen Ausgestaltung der regionalen Autonomie. Umstritten sind nach wie vor die Kompetenzen und finanziellen Ressourcen der Autonomen Gemeinschaften, nachdem inzwischen die Gemeinschaften des niedrigeren Kompetenzen-niveaus eine Gleichstellung mit den Comunidades Autonomas des höheren Niveaus fordern und der 1986 erreichte Kompromiß über die Finanzierung wieder in Frage gestellt wird Die Interaktionsmechanismen zwischen Staat und Autonomen Gemeinschaften sind erst im Entstehen begriffen, die Verfahrensweisen sind noch nicht ausgeprägt. Die endgültige inhaltliche Ausgestaltung des „Staates der Autonomen Gemeinschaften“ dürfte noch Jahre dauern. 4. Wirtschaftliche Umstrukturierung und Modernisierung In den auf Francos Tod folgenden Jahren standen die politische Reform, die Demokratisierung von Staat und Gesellschaft sowie die Regionalisierung des Landes eindeutig im Vordergrund aller Regierungsbemühungen. Demgegenüber wurden die Sanierung und Modernisierung der Wirtschaft sträflich vernachlässigt. Der gesamte ökonomische Sektor, der in den Schlußjahren des Franquismus ohnehin in einer tiefen Krise steckte, bedurfte dringend einer Radikalkur: Die Inflationsrate hatte ständig zugenommen (1976: rund 20 Prozent; 1977: rund 30 Prozent), die Industrieproduktion stagnierte, wilde Streiks lähmten den ohnehin ins Stocken geratenen Produktionsprozeß und bescherten dem Land pro Jahr weit über 100 Millionen verlorener Arbeitsstunden, das reale Wirtschaftswachstum sank, die Auslandsverschuldung kletterte — infolge der verteuerten Erdöhmporte und der stagnierenden Exporte — immer höher, das Handelsbilanzdefizit nahm zu, die Arbeitslosigkeit überschritt 1977 die Millionengrenze, und die industriellen Investitionen schrumpften.
Der Übergang zur Demokratie fiel in Spanien mit der durch den Ölpreisschock ausgelösten Weltwirtschaftskrise der siebziger Jahre zusammen. Die spanische Wirtschaft, vor allem die Industrie, war wenig anpassungsfähig und auf die einsetzende Strukturkrise nicht vorbereitet. Hinzu kam, daß die Lösung politischer Probleme in jenen Jahren absolute Priorität vor der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, der Staatsverschuldung und der industriellen Strukturveränderungen besaß. Weitgehende wirtschaftspolitische Abstinenz und die politische Schwäche der Regierungen in der „transieiön“ trugen zur Verschärfung der Wirtschaftskrise bei: Bis 1984 kann man von einer tiefen Depression sprechen. Die Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts waren niedrig oder sogar negativ, die Investitionen und die Beschäftigung gingen im internationalen Vergleich überdurchschnittlich zurück, die Preissteigerungsraten waren hoch, das Haushaltsdefizit stieg weiter an. Die Wirtschaftslage verbesserte sich erst ab 1985 deutlich: Die Investitionen und die Beschäftigung nahmen wieder zu, die Inflationsrate und das Haushaltsdefizit gingen deutlich zurück, die Wachstumsraten des realen Bruttoinlandsprodukts schnellten erneut in die Höhe (vgl. Tabelle 2). Die seit 1973 drastisch angestiegene Arbeitslosenrate konnte allerdings nicht wesentlich reduziert werden
Daß in den Jahren der „transieiön“ die Inflation derart zunahm, hing — neben anderen Ursachen — mit den Streiks und Arbeitskonflikten zusammen, die die realen Lohnstückkosten im internationalen Vergleich in die Höhe schnellen ließen. Das Haushaltsdefizit wiederum ist auf die außerordentliche Ausweitung der Staatsausgaben zwischen 1978 und 1983 zurückzuführen. In jenen Jahren erfuhren die Staatsausgaben eine durchschnittliche Jahressteigerung von 24, 9 Prozent, wobei es sich vor allem um konsumtive Ausgaben und um öffentliche Subventionen für Unternehmen handelte.
Die Verschärfung der Wirtschaftskrise nach 1975 sowie das deutliche Interesse der politischen und gewerkschaftlichen Kräfte, die entstehende Demokratie zu festigen und einen möglichen autoritären Rückschlag zu verhindern, führten bald zu einer Politik der Pakte und Übereinkommen, die eine deutliche Bremswirkung auf die Streikfreudigkeit der Arbeiter ausübten: Nach den Parlamentswahlen von Juni 1977 nahm die Anzahl der Streikenden deutlich ab, stieg allerdings nach der Verabschiedung der Verfassung, als die Verteilungskämpfe härter wurden und politisch die Demokratie abgesichert zu sein schien, erneut deutlich an. Diese Streikaktivitäten standen aber überwiegend in wirtschaftlichen Bezügen und hielten sich zumeist im Rahmen üblicher Arbeitskampfmaßnahmen Seit 1980 läßt sich feststellen, daß die soziale Konzertation (Abschluß tariflicher Mantelverträge und Beschäftigungsabkommen) zu einer deutlichen Reduktion an verlorenen Arbeitsstunden (im Vergleich zur zweiten Hälfte der siebziger Jahre) geführt hat. Auch die stets prekärer werdende Arbeitsmarktsituation dürfte zu einer Eindämmung der Streikfreudigkeit beigetragen haben.
Die zweite Phase des Demokratisierungsprozesses wurde im sozioökonomischen Bereich durch konzertierte Sozialpakte abgesichert. Der erste dieser Pakte war der zwischen Regierung und Parteien abgeschlossene „Pakt von Moncloa“ (Oktober 1977), der sowohl wirtschaftliche Modernisierungsmaßnahmen als auch politisch-strukturelle Reformen (Steuer-und Agrarreform, Neuformulierung der Bildungs-und Erziehungspolitik etc.) vorsah. Die Wirkungen des Moncloa-Paktes waren eher politischer als sozioökonomischer Natur, da die strukturellen Wirtschaftsmaßnahmen weitgehend unterblieben, die politisch-programmatischen Punkte aber ihren Niederschlag in der Verfassung von 1978 fanden. Bedeutsam war der Pakt auch deshalb, weil er die gewerkschaftliche Ablehnung einer Politik der „Sozialpakte“ beendete und den Übergang zu einer neuen Phase im Verhältnis der Tarifpartner markierte. Das deutlichste Beispiel dieser neuen, vor allem bei der sozialistischen Gewerkschaft Uniön General de Trabajadores (UGT) feststellbaren „kooperativen“ Haltung ist das Arbeiterstatut von 1980 (eine Art Betriebsverfassungsgesetz), an dessen parlamentarischer Beratung die UGT maßgeblich beteiligt war
Seit 1978 praktizierte die UGT eine Politik der Sozialpakte und Wirtschaftsabsprachen, die zumeist die Opposition der (kommunistisch beherrschten) Gewerkschaftsrivalin „Arbeiterkommissionen“ (Comisiones Obreras, CCOO) hervorgerufen und die unterschiedlichen Strategien von UGTbzw. CCOO gefestigt haben. 1979 schloß die UGT mit dem Un-temehmerverband Confederacion Espanola de Organizaciones Empresariales (CEOE) ein „Grundsatzabkommen“ über Tarifverhandlungen, 1980 ein „Rahmenabkommen“, 1981 ein erneutes „Grundsatzabkommen“ und (zusammen mit den Arbeiter-kommissionen und der Regierung) ein „nationales Beschäftigungsabkommen“, 1983 ein Tarifabkommen, 1984 das „Wirtschafts-und Sozialabkommen“, an dem sich auch die Regierung und die Vereinigung der Mittel-und Kleinunternehmer beteiligten
Die Kontinuität der Sozialabkommen und der andauernde Einfluß der Regierung auch auf bilaterale Vereinbarungen zwischen Unternehmern und Arbeitern lassen es gerechtfertigt erscheinen, die Strategie der sozialen Konzertation als neokorporatistische Praxis zu bezeichnen, die wirtschafts-und gesellschaftspolitische Steuerungsfunktionen durch „Verbundsysteme“ von Staatsverwaltung, Unternehmerverbänden und Gewerkschaften übernimmt — wenn es sich auch um ein imperfektes Neokorporatismussystem handelt, da keine starke Einheitsgewerkschaft vorhanden ist und bei den CCOO die gewerkschaftliche Konfliktstrategie vorerst überwog
Die Pakte zwischen Regierung, Unternehmern und Gewerkschaften haben vor allem den marktwirtschaftlichen, von sozialen Komponenten durchdrungenen Kapitalismus in Spanien legitimiert. Sie haben bewirkt, daß die Arbeiter das bestehende Wirtschaftssystem akzeptierten (was anfangs überhaupt nicht gesichert erschien). Die Gewerkschaften waren bestrebt, die Rolle „ihrer“ Parteien zu stärken und den konstitutionellen „Pakt für den Übergang“ zu konsolidieren. Daß die Arbeiter insgesamt die Marktwirtschaft in den letzten Jahren akzeptiert haben, geht nicht nur aus der sinkenden Konfliktneigung hervor, sondern läßt sich auch in der Bevorzugung der „gemäßigteren“ UGT und dem vollständigen Positionsverlust revolutionärer Gewerkschaften in der ersten Hälfte der achtziger Jahre erkennen. Je „näher“ eine Gewerkschaft an der Aushandlungspraxis der Abkommen stand, desto mehr stieg sie in der Gunst der Arbeiter. Die Abkommen und die mit den Tarifpartnern quasi vereinbarte Wirtschaftspolitik haben entscheidend zur Konsolidierung der liberalen Demokratie beigetragen.
Bei der Einschätzung der „Sozialpaktpolitik“ ist zu Recht auf deren Ambivalenz hingewiesen worden. Der vor allem von Unternehmer-und Staatsseite am positivsten bewertete Effekt der neokorporatistischen Praktiken lag darin, die Legitimität des (politischen und wirtschaftlichen) Systems gesteigert und damit die nationale Integration gefördert zu haben: Verhandlungen, Kompromisse, Mäßigung, Dialog-und Konsensbereitschaft sind Werte, die durch die Politik der sozialen Konzertation ins Allgemeinbewußtsein der Spanier gedrungen sind und heute als selbstverständlich gelten. Die verschiedenen Pakte (Verfassung, Autonomiegewährung oder Wirtschaftsordnung können als Ergebnisse derartiger Pakte betrachtet werden) bilden jenen „contrat social“ (Sozialvertrag), auf dem das demokratische Spanien ruht. Der bedenkliche Aspekt der Pakte liegt in ihren Auswirkungen auf die Wirtschaft insgesamt: in der mangelhaften Anpassung an die ökonomische Krise und die Weltmarktbedingungen (um die sozialen Kosten bei der Krisenbewältigung niedrig zu halten, unterblieben lange Zeit fällige Strukturmaßnahmen), in der Zunahme an Staatsinterventionismus, vor allem in der Herausbildung einer Schattenwirtschaft, die im heutigen Spanien gigantische Proportionen erreicht hat und all jene Auflagen umgeht, die das System der sozialen Marktwirtschaft ausmachen. Die damit zusammenhängenden Probleme können längerfristig — ganz im Gegensatz zu den kurzfristigen Legitimierungseffekten des Neokorporatismus — zu einer Entlegitimierung des liberaldemokratischen Systems führen
Die Pakte waren eine von Tarifpartnern und Regierung gleichermaßen angewandte Methode, der Wirtschaftskrise zu begegnen. Den politisch verantwortlichen Kräften war jedoch klar, daß langfristig eine Umstrukturierung der Industrie erforderlich sein würde, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen wiederherzustellen. Während jedoch die UCD-Regierungen es bei isolierten Maßnahmen beließen, die vor allem zum Abbau von Arbeitsplätzen führten, betrieben die Sozialisten seit ihrem Regierungsantritt eine kohärente und längerfristig angelegte Industriepolitik. Die industrielle Umstrukturierungspolitik der PSOE-Regierungen setzte sich das Ziel, Ressourcen an Kapital und Arbeit von Krisensektoren in zukunftsträchtige Industrien zu transferieren
De-Industrialisierung und Re-Industrialisierung liefen somit parallel, die Volkswirtschaft sollte „modernisiert“ und wettbewerbsfähig gemacht werden. Dabei wurde das Ziel der Vollbeschäftigung der Revitalisierung der privaten Investitionen untergeordnet. Die Deregulierung des Arbeitsmarktes, die Verstärkung sozialer und regionaler Unterschiede sowie der schließlich (1988) zustandegekommene Bruch zwischen Regierung und sozialistischer Gewerkschaft UGT trüben im sozialen Bereich ganz erheblich die makroökonomische Erfolgsbilanz der Regierung.
Bei der Gegenüberstellung von Erfolgen und Defiziten der PSOE-Politik der achtziger Jahre wird deutlich, daß Spaniens Sozialisten die Restriktionen des Weltmarkts und den Modernisierungsdruck durch den EG-Beitritt (1986) als handlungsbestimmend betrachtet haben. Dementsprechend konzentrierte sich die Politik auch in einer ersten Phase auf die Modernisierung der nationalen Wirtschaft, und erst für eine zweite Etappe ist der Aufbau eines Wohlfahrtsstaates vorgesehen. Die Konzentration der (neo-) liberalen PSOE-Wirtschaftspolitik auf den Markt verwies Umverteilungsvorstellungen deutlich an die zweite Stelle der regierungspolitischen Ziele, während die gesamtwirtschaftliche Strategie sich primär an der Inflationsbekämpfung, der Stabilisierung der Leistungsbilanz und der Eindämmung des Defizits im öffentlichen Sektor (etwa durch Rationalisierung und Teilprivatisierung) orientierte. In diesem Sinne wird man — in Übereinstimmung mit neuesten spanischen wirtschaftswissenschaftlichen Studien — sagen können, daß die ökonomische „transiciön“ noch längst nicht beendet ist, im sozioökonomischen Bereich vielmehr noch zahlreiche Strukturreformen erforderlich sind
II. Portugal
Abbildung 7
Tabelle 2: Jährliche Veränderungen von Wirtschaftsdaten in Spanien 1975— 1989 (in Prozent) Quelle: Werner Lang, in: W. L. Bernecker /J. Oehrlein (Anm. 6). a) Schätzungen
Tabelle 2: Jährliche Veränderungen von Wirtschaftsdaten in Spanien 1975— 1989 (in Prozent) Quelle: Werner Lang, in: W. L. Bernecker /J. Oehrlein (Anm. 6). a) Schätzungen
1. Von der „Nelkenrevolution“ zur „cohabitation“
Im Gegensatz zu Spanien erfolgte in Portugal der Übergang vom autoritären Caetano-Regime zur Demokratie durch einen Militärputsch („Nelkenrevolution“ vom 25. April 1974) der „Bewegung der Streitkräfte“ (Movimento Das Forqas Armadas, MFA). General Antonio de Spinola, ein eher konservativer Soldat, übernahm das ihm angetragene Präsidentenamt, wurde aber bereits nach wenigen Monaten von General Francisco da Costa Gomes im Amt des Staatspräsidenten abgelöst. In jenen sozialistisch geprägten, politisch eher chaotisch verlaufenden Monaten wurden die Kolonien in die Unabhängigkeit entlassen und damit die imperiale außenpolitische Position Portugals beendet.
Von Anfang an spielten in der portugiesischen Übergangsphase die Streitkräfte eine ungleich wichtigere Rolle als in Spanien Zeitweilig schien der revolutionäre Prozeß auch eine kommunistische Orientierung zu nehmen, und sämtliche Mitte-undRechts-Parteien gaben sich in den ersten Jahren nach dem Sturz des korporativistisch-diktatorialen Regimes im Hinblick auf die linksgerichtete „Bewegung der Streitkräfte“ ebenfalls ein eher „linkes“ Gepräge. Die entstehende Parteienstruktur und die neuen Institutionen waren längere Zeit äußerst instabil. Eine gefestigte Parteienstruktur konnte sich wegen der in der Zeit des diktatorischen „Neuen Staates“ (Estado Novo) unterbrochenen Traditionen des Parlamentarismus und der Parteiendemokratie vorerst nicht herausbilden, was auch die Unsicherheiten, die organisatorischen Schwierigkeiten und die starke Personenfixiertheit der großen Parteien in der Übergangszeit erklärt.
Erst allmählich entwickelten sich einige gemäßigte Parteien zu den bis heute dominierenden politischen Kräften des Landes. Ausdruck der längere Zeit andauernden Labilität der politischen Situation war die Kurzlebigkeit vieler Regierungen: Seit dem Umsturz hat das Land bisher nicht weniger als 18 Kabinette verbraucht. Portugal wurde von einem Rechts-ebenso wie von einem Linksputsch bedroht, die neue Verfassung wurde inzwischen bereits einer gründlichen Revision unterzogen. Am 25. April 1976 verabschiedete die erstmals aus freien, allgemeinen und gleichen Wahlen hervorgegangene Verfassunggebende Versammlung die neue Verfassung der „II. Republik“, die Portugal als „demokratischen Staat auf der Grundlage der Volksherrschaft“ definierte und als Ziel des Staates proklamierte, „den Übergang zum Sozialismus zu gewährleisten“ Die Verfassung enthielt einen umfangreichen soziopolitischen Grundrechtsteil und die Verpflichtung auf eine sozialistische Wirtschaftsordnung.
Bis Ende der siebziger Jahre war das Parteiensystem zu keinen dauerhaften Mehrheiten fähig und immer neuen Spaltungen ausgesetzt. In den ersten Jahren beruhte das Regierungssystem primär auf einem außerkonstitutionellen „Pakt“ zwischen den politischen Parteien und der „Bewegung der Streitkräfte“, durch den der Revolutionsrat als oberstes Kontrollorgan eingesetzt wurde. Diese militärisch-revolutionäre Vormundschaft über die Parteiendemokratie begrenzte die Autonomie des sich etablierenden Parteiensystems. Deutliche Anzeichen für die Schwäche der parlamentarisch-parteienstaatlichen Legitimität und die Verstärkung des Präsidentialismus — in dem semipräsidentiellen System (vgl. Frankreichs V. Republik und die Weimarer Republik) kommt dem Staatspräsidenten eine politisch wichtige Funktion zu — waren die Präsidialregierungen von 1979 (mit parteilosen Premierministern) und die abnehmende Bedeutung der legislativen Tätigkeit des Parlaments.
Vor der „Nelkenrevolution“ hatten eigentlich (illegal und regional) nur die Kommunistische Partei (Partido Comunista Portugues, PCP) und die Sozialistische Partei (Partido Socialista, PS) bestanden. Alle anderen Parteien formierten sich erst in der Revolutionszeit: die „Christdemokraten“ (Centro Democrätico e Social, CDS), die Sozialdemokraten (Partido Social Democrata, PSD), sehr viel später die Staatspräsident Ramalho Eanes nahestehende Erneuerungspartei (Partido Renovador Democrätico, RD), außerdem zahlreiche Splitterparteien und verschiedene Parteienbündnisse
Die vorerst schwachen Parteien befanden sich ein Jahr nach dem Umsturz auf dem Wege der Konsolidierung durch die Wahl zur Verfassunggebenden Versammlung; das unerwartet schlechte Abschneiden der Kommunisten (12, 5 Prozent) und das gute Ergebnis der Sozialisten (37, 9 Prozent) sowie der späteren Sozialdemokraten (26, 4 Prozent) ließen bald erkennen, daß Portugal sich in Richtung einer liberal-parlamentarischen Demokratie entwickeln würde. Das ursprünglich radikale MFA-Programm wurde modifiziert und strebte nunmehr den Über-gang zum Sozialismus in einer pluralistischen Demokratie an, was einer Absage an das orthodox-kommunistische Modell gleichkam, wenngleich nach wie vor — unter dem Einfluß von Otelo Saraiva de Carvalho — die Vorstellung einer revolutionären „Volksmacht“ bestehen blieb. Ende 1975 leitete der zum Generalstabschef ernannte Ramalho Eanes die Entpolitisierung der Streitkräfte ein, der „Revolutionsrat“ reduzierte seine Funktion auf die eines „Garanten“ der revolutionären Errungenschaften.
Auf die ersten sechs „provisorischen“ Regierungen — die nicht parlamentarisch abgesichert waren, sondern auf der Machtverteilung im MFA beruhten — folgte 1976 die erste verfassungsmäßige Regierung seit 50 Jahren. Die Sozialistische Partei unter Mario Soares hatte die ersten Parlamentswahlen mit 35 Prozent der abgegebenen Stimmen deutlich für sich entscheiden können. Soares’ Regierungsprogramm zielte auf eine Konsolidierung der revolutionären Errungenschaften, zugleich aber auf westeuropäische Integration ab. 1978 mußte die Minderheitsregierung durch Mitglieder des „Demokratisch-Sozialen Zentrums“ (CDS) erweitert werden, konnte jedoch ihren Sturz nach Meinungsverschiedenheiten über die Landwirtschaftspolitik nicht verhindern.
In der Folgezeit wechselten sich kurzlebige Regierungen (Maria de Lourdes Pintasilgo, Francisco Sä Carneiro, Balmesäo) bis Mitte Francisco Pinto ab, 1983 Mario Soares nach dem parlamentarischen Wahlsieg seiner Partei erneut (in einer Koalitionsregierung mit den Sozialdemokraten) das Amt des Regierungschefs übernehmen konnte. Die Koalition zerbrach 1985, als der neue sozialdemokratische Parteichef Anibal Cavaco Silva sich deutlich von Soares distanzierte. Neuwahlen im gleichen Jahr erbrachten eine erdrutschartige Niederlage der Sozialisten (von 36, 3 Prozent auf 20, 8 Prozent) und die Bildung einer sozialdemokratischen Minderheitsregierung unter Cavaco Silva, der 1987 völlig überraschend in einer personalistischen Wahl zum ersten Mal im nachrevolutionären Portugal eine absolute Mehrheit der Stimmen (50, 2 Prozent) erringen konnte und bis heute die Regierung stellt (vgl. Tabelle 3).
Da 1986 im zweiten Wahlgang überraschenderweise Mario Soares gegen seinen Konkurrenten Diego Freitas do Amaral (Centro Democrätico e Social) zum Nachfolger von Eanes in das Amt des Staatspräsidenten gewählt worden war, begann damit für Portugal eine Art „cohabitation“ zwischen Präsident und Regierung nach französischem Muster. Zugleich bedeuteten die Wahlen von 1987 einen epochalen Einschnitt in der Geschichte des demokratischen Portugal, denn zum ersten Mal wurde (trotz des geltenden Verhältniswahlrechts) die absolute Parlamentsmehrheit einer Partei erzielt. Außerdem war die Zeit der instabilen Koalitions-und Minderheitsregierungen zu Ende, eine Phase politischer Stabilität begann. Schließlich bedeutete dieser Wahlsieg der „Rechten“ eine Art Bruch mit der linken Rhetorik und dem revolutionären Programm des Umsturzes von 1974 sowie ein Bekenntnis zu Pragmatismus und — im Rahmen der EG — zu wirtschaftlich Realisierbarem. 2. Von sozialistischen Zielen zu marktwirtschaftlichem Aufschwung Ab Anfang 1975 war die Struktur der Eigentumsverhältnisse teilweise durch Nationalisierungen, staatliche Verwaltung von Unternehmen, Landbesetzungen und Enteignungen von Großgrundbesitz sowie durch die Übernahme von Betrieben in Arbeiterselbstverwaltung verändert worden. Aufgrund von Gewerkschaftsforderungen beschloß der Revolutionsrat 1975 die Nationalisierung der Banken, der Versicherungsgesellschaften, des Transport-, Verkehrs-, Energiesektors und der Grundstoffindustrien. Bis Ende 1975 waren 226 Unternehmen mit ca. 157 000 Beschäftigten verstaatlicht worden. Weitere indirekte Verstaatlichungen von 380 Unternehmen hatten sich als Folge der Nationalisierung von Banken und Versicherungen ergeben. Die sozialen Reformen der Anfangszeit — Einführung von garantierten Mindestlöhnen, Ausbau des Gesundheits-, Sozial-und Erziehungswesens etc. — und die Folgekosten der Nationalisierungen hatten den Staatshaushalt schwer belastet und steigende Inflationsraten zur Folge gehabt
Bereits die erste sozialistische Regierung leitete 1976 eine strikte Austeritätspolitik ein, die von der folgenden konservativen Koalitionsregierung des Wahlbündnisses Alian^a Democrätica (vgl. Tabelle 3) fortgesetzt wurde: In der Periode 1980— 1983 wurde die Agrarreform beendet, die Reallöhne wurden gedrückt. Arbeiterrechte zurückgenommen und das Kündigungsrecht liberalisiert. Es begann die Reprivatisierung von Versicherungsbetrieben und einiger Industrien, enteignete Großgrund-und Fabrikbesitzer wurden entschädigt, die Agrarreform durch weitgehende Reprivatisierungsmaßnahmen zurückgenommen. Spätestens seit Beginn der achtziger Jahre war es das Ziel der liberalen und konservativen Kräfte, alle sozialistischen Zielvorstellungen aus der Verfassung zu streichen und die Militärs als politisch mitbestimmenden Faktor auszuschalten. Mitte 1982 wurde schließlich, nach langen Verhandlungen zwischen der Alianqa Democrätica und der Sozialistischen Partei, eine Verfassungsrevision verabschiedet, die den Revolutionsrat auflöste und durch einen Staatsrat ersetzte, die präsidialen Befugnisse reduzierte und den Rückzug der Militärs in die Kasernen abschloß. Nach dem Rechtsruck in der portugiesischen Politik durch die Wahlen von 1987 standen die Privatisierung aller nach 1974 verstaatlichten Betriebe und die Verhinderung einer auch nur bescheidenen Agrarreform im Alentejo im Vordergrund der politischen Bemühungen. Ende 1988 konnte schließlich — mit den Stimmen der Sozialistischen Partei — die lange angestrebte Verfassungsrevision verabschiedet werden, die alle sozialistischen Elemente aus der Verfassung strich und das Verbot der Reprivatisierung verstaatlichter Betriebe aufhob. Die revidierte Verfassung stellt damit einen definitiven Abschied von den sozialistischen Idealen und Hoffnungen der „Nelkenrevolution“ dar. Seit dem EG-Beitritt (1986) und der liberalen Wirtschaftspolitik der Regierung Cavaco Silva hat das Vertrauen der Privatwirtschaft in das portugiesische System — ähnlich wie in Spanien — wieder deutlich zugenommen, die makroökonomischen Daten der letzten Zeit sind positiv, die Leistungsbilanz weist Überschüsse auf. Gesamtwirtschaftlich befindet sich Portugal in einer marktwirtschaftlichen Aufschwungphase
III. Schlußbetrachtung
Abbildung 8
Tabelle 3: Ergebnisse der Parlamentswahlen 1976— 1987 und der Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung 1975 in Prozent (Portugal)Quelle: Bodo Freund, in: Wahlatlas Europa: Wahlen und Abstimmungen in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft. Braunschweig 1988. S. 154.
Tabelle 3: Ergebnisse der Parlamentswahlen 1976— 1987 und der Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung 1975 in Prozent (Portugal)Quelle: Bodo Freund, in: Wahlatlas Europa: Wahlen und Abstimmungen in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft. Braunschweig 1988. S. 154.
Die Betrachtung der spanischen und portugiesischen Entwicklung der letzten 15 Jahre läßt deutliche Entwicklungsunterschiede zwischen beiden Ländern erkennen In beiden Fällen gelang der Übergang in die Demokratie und deren Stabilisierung. Im Gegensatz zu Spanien erfolgte in Portugal ein klarer Bruch mit dem vorhergehenden Regime: Der von Teilen des Militärs getragene Umsturz begann als Offiziersrevolte und entwickelte sich schnell zu jener „Nelkenrevolution“, deren Ergebnis nach einer turbulenten Phase — in der sich die Gefahr einer erneuten, diesmal linken Diktatur abzeichnete — ein demokratisches System war.
Die nachrevolutionäre Phase in Portugal läßt sich als ein Prozeß von der zeitweiligen Dominanz der Linken zur Stabilisierung der rechten Mitte kennzeichnen; die Parteienlandschaft änderte sich vor allem seit Ende der siebziger Jahre. Anfangs stand die Sozialistische Partei — ebenso wie in Spanien — programmatisch weit links; allerdings ließen sowohl ihr konstitutioneller und parlamentarischer Kurs als auch ihre klare Bindung an die westeuropäische Sozialdemokratie schnell erkennen, daß die Linksorientierung nicht eingelöst werden sollte Daß die Sozialistische Partei bereits frühzeitig klare Wahlerfolge erzielte, erklärt Thomas Bruneau mit dem politischen Vakuum, das nach der Nelkenrevolution bestand; in diesem Vakuum trat nur die Kommunistische Partei als organisierte Kraft mit kohärenter politischer Ideologie an. Sehr schnell wurden die Sozialisten als einzige realistische Alternative zu den Kommunisten angesehen; sie erhielten organisatorische, finanzielle und programmatische Hilfestellung von den Parteien der Sozialistischen Internationale, was ihren Vorsprung vor den anderen Parteien erklären dürfte.
Der Unterschied zwischen revolutionärem Bruch in Portugal und paktierter Reform in Spanien hatte weitreichende Folgen für zumindest zwei wichtige Bereiche: die Machtverteilung in der Gesellschaft und die Rolle der Streitkräfte. Letztere stellt — äußerlich sichtbar — den wohl augenscheinlichsten Unterschied in der Entwicklung beider Länder dar. In Portugal hatten die Streitkräfte in den letzten Jahren des Caetano-Regimes wegen der (nicht siegreich zu beendenden) Kolonialkriege einen Radikalisierungsprozeß durchlaufen, der 1974 ihre politische Protagonistenrolle zur Folge hatte. Zuerst als Bewegung und danach als Institution waren die „Foras Armadas“ ein sichtbarer politischer Akteur des gesamten Prozesses. Die jahrelange Beibehaltung des Revolutionsrates als einer Institution mit Vetomacht beschränkte die Souveränität des Parlaments und führte zu einer komplexen Machtaufteilung zwischen Parlament, Präsident und Revolutionsrat. Im Gegensatz zu Portugal blieb in Spanien die institutionelle Bindung der Streitkräfte an das Franco-Regime bis zuletzt viel stärker; die Armee war alles andere als ein Motor der Veränderung, ihre Rolle blieb auch nach Beginn des Übergangsprozesses eher „unsichtbar“ (wenn auch bestimmt nicht unbedeutend). Die herausragenden Akteure waren im spanischen Fall zivile Politiker und der König, während in Portugal die Schlüsselpersonen Offiziere waren, die den Zivilisten erst allmählich Zugang zu politischen Entscheidungspositionen ermöglichten, sie jedoch zwangen, einen Pakt mit den Streitkräften zu unterzeichnen, bevor eine Verfassung ausgearbeitet werden konnte.
Im Hinblick auf die Machtverteilung in der Gesellschaft ist vor allem darauf zu verweisen, daß die Kommunistische Partei Portugals die bestehende Gewerkschaftsorganisation Intersindical durch dc27 ren vollständige Kontrolle übernehmen konnte, während in Spanien politisch unterschiedlich ausgerichtete Gewerkschaften entstanden. Wenngleich in beiden Ländern die Parteienstruktur anfangs äußerst labil und vielfältigen Änderungen unterworfen war, so konnten die Kommunisten in Portugal doch vorübergehend, allerdings erfolglos, die Hegemonie anstreben, während in Spanien der Kompromißcharakter der politischen Entwicklung den Partido Comunista de Espana von Anfang an zu einer deutlichen Mäßigung seiner Positionen zwang. In Portugal trieb der radikale Bruch mit dem vorhergehenden Regime einen erheblichen Teil der alten Elite ins Exil oder zumindest zur Preisgabe führender Verwaltungspositionen, während der ausgehandelte Übergang in Spanien einem großen Teil der Elite des alten Regimes die Möglichkeit beließ, am öffentlichen Leben der jungen Demokratie teilzuhaben.
Die größere Radikalität des portugiesischen Um-bruchs äußerte sich auch in der Verfassung. Die erste portugiesische Verfassung war letztlich eine Verfassung der Linken, während die spanische viel deutlicher eine Konsens-Verfassung darstellt, die — im Gegensatz zur portugiesischen — auch auf breite Zustimmung in der Bevölkerung stieß. Gerade die relative Einseitigkeit der portugiesischen Verfassung, die es der Rechten schwierig machte, mit ihr zu regieren, hat schon wenige Jahre nach ihrer Inkraftsetzung eine Revision erforderlich gemacht, während in Spanien der Regierungswechsel von der konservativen UCD zu den Sozialisten im Jahr 1982 keinerlei Verfassungsdebatten auslöste. Der wohl größte Unterschied zwischen beiden Ländern sowohl in der Phase der „transiciön“ als auch der bereits konsolidierten Demokratie dürfte im komplexen Regionalismus-Nationalismus-Problem liegen. In Spanien führte die „transiciön“ zu einer ernsthaften Infragestellung des überlieferten Zentralstaates und zu einer neuen Rolle der nationalistisch-regionalistischen Peripherien. Zusammen mit anderen Fragen hat dieser Problemkomplex zweifellos die Konsolidierung demokratischer Institutionen in Spanien erschwert und zugleich zu zwei paradoxen Erscheinungen geführt:
Zum einen hat zwar Portugal nach 1974 radikalere Phasen revolutionären Umbruchs als Spanien durchlaufen; zugleich bedeuten aber längerfristig die strukturellen Veränderungen der Zentrum-Peripherie-Beziehungen in Spanien einen weit tiefer-gehenden Bruch mit der Vergangenheit und eher eine Revolution — wenn auch eine „legale“ — als die Veränderungen in Portugal. Daß die politische Regionalismuskomponente in Portugal neutralisiert werden konnte, hing wesentlich damit zusammen, daß das Land — bei allen sozioökonomischen und politischen Unterschieden, die es zwischen dem Norden und dem Süden gibt — auch im Bewußtsein seiner Bürger zu den ältesten und (im Hinblick auf Sprache und Kultur) homogensten Staatsnationen Westeuropas zählt. Zum anderen war in Portugal, das in einigen Gegenden tatsächlich revolutionäre Veränderungen im sozioökonomischen Bereich erlebte, die Zahl der Opfer politischer Gewalt im Übergangsprozeß bedeutend geringer als in Spanien. Dies dürfte mit dem oben angesprochenen politischen Dezentralisierungsprozeß Zusammenhängen, der extrem emotionsgeladen vorangetrieben wurde und außerordentliche Leidenschaften freisetzte. Ein weiterer Erklärungsfaktor kann gerade im Fehlen jenes demokratischen „Bruchs“ liegen, den die extreme Linke mit Gewalt erzwingen und die extreme Rechte ebenso gewalttätig verhindern wollte
Insgesamt überwiegen im spanisch-portugiesischen Vergleich eindeutig die Unterschiede. Wenn auch im Lebensgefühl der Menschen und neuerdings im Konsumverhalten der städtischen Bevölkerung deutliche Anzeichen der Annäherung zwischen beiden Ländern festzustellen sind, gilt nach wie vor, daß die beiden Staaten auf der Iberischen Halbinsel unterschiedliche Entwicklungen durchlaufen und der „Korkvorhang“ — wie die Grenze zwischen Portugal und Spanien genannt wird — immer noch den Blick zum Nachbarn verstellt
Walther L. Bernecker, Dr. phil., geb. 1947; Lehrtätigkeiten an den Universitäten Augsburg, Pittsburgh, Bielefeld, Chicago; seit 1988 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Bem. Veröffentlichungen u. a.: Spaniens Geschichte seit dem Bürgerkrieg, München 1988; Die Handelskonquistadoren. Europäische Interessen und mexikanischer Staat im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1988; Sozial-geschichte Spaniens im 19. und 20. Jahrhundert. Vom Ancien Regime zur parlamentarischen Monarchie, Frankfurt 1990; (Hrsg. zus. mit Josef Oehrlein) Spanien heute. Politik, Wirtschaft, Kultur, Frankfurt 1990; (Mitverf.) Spanien-Lexikon. Wirtschaft, Politik, Kultur, Gesellschaft, München 1990.
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