Vom Ende der Diktaturen zum Binnenmarkt 1993. Griechenland, Portugal und Spanien auf dem Weg zurück nach Europa
Wolfgang Merkel
/ 32 Minuten zu lesen
Link kopieren
Zusammenfassung
Mit dem Ende der autoritären Regime Griechenlands, Portugals und Spaniens zu Mitte der siebziger Jahre gewinnt die politische und ökonomische Integration der drei Länder in das liberaldemokratisch verfaßte und marktwirtschaftlich organisierte Westeuropa eine neue Dynamik. Für den Zeitraum 1974— 1990 wird auf der politischen und ökonomischen Ebene untersucht, wie sich diese Rückkehr nach Europa vollzogen hat. Dabei wird gezeigt, daß sich die Rückkehr zur Demokratie in allen drei Ländern rasch, kontinuierlich und erfolgreich vollzogen hat. Wenngleich leichte Einschränkungen für Griechenland zu machen sind, zeigt die Analyse, daß die politischen Systeme Griechenlands, Portugals und Spaniens sich „europäisiert“ haben und keine substantiellen Unterschiede zu westlichen Demokratien aufweisen, die den fortgeschrittenen Grad der demokratischen Konsolidierung in den drei Ländern in Frage stellen könnten. Der Anschluß an das ökonomische Niveau der Kemländer Westeuropas wurde jedoch nicht erreicht. Ein erfolgreiches Aufholen scheiterte bisher neben politischen Restriktionen und fehlenden gesellschaftlichen Voraussetzungen vor allem an der unvollständigen Integration Südeuropas in die internationale Arbeitsteilung. Zudem verläuft die wirtschaftliche Integration der drei Länder der südeuropäischen Peripherie in die EG schwieriger und widersprüchlicher als Europa-Euphorie oder neoliberale Marktemphase suggerieren. Die bisherigen ökonomischen Effekte des Beitritts sind ambivalent, der Gesamtsaldo für die EG-Nachzügler keineswegs eindeutig positiv.
Im September 1973 gründeten beruflich unzufriedene und militärisch desillusionierte Offiziere der portugiesischen Armee in den afrikanischen Kolonien die oppositionelle „Bewegung der Streitkräfte“ (Movimento dos Fortas Amadas). Zwei Monate später ließ die griechische Militärjunta eine studentische Revolte am Politechnikum in Athen blutig niederschlagen und entzweite sich darüber.
Schließlich sprengte im Dezember des gleichen Jahres ein Kommando der baskischen Terrororganisation ETA Carrero Blanco, den designierten Nachfolger Francos, in die Luft. Spätestens damit waren den letzten Diktaturen Westeuropas die Menetekel ihres Unterganges an die Wand geschrieben.
Abbildung 5
Tabelle 5: Entwicklung der Intra-EG Handelsbilanz (in Mio. ECU) Quelle: Eurostat. Monatsbulletin der Außenhandelstatistik, Jge. 1984-1990.
Tabelle 5: Entwicklung der Intra-EG Handelsbilanz (in Mio. ECU) Quelle: Eurostat. Monatsbulletin der Außenhandelstatistik, Jge. 1984-1990.
Während die bald auch auf politische wie soziale Veränderungen drängenden Offiziere des „Movimento dos Forcas Amadas“ mit einem Militärputsch der moribunden Diktatur des Salazar-Nachfolgers Marcelo Caetano am 25. April 1974 ein Ende bereiteten, Überstand die politische Herrschaft der griechischen Obristen das Abenteuer eines dilettantisch eingefädelten Putsches auf Zypern gegen Erzbischof Makarios nicht, als türkische T Truppen am 20. Juli 1974 mit einer Besetzung des Nordteils der Insel antworteten. Allein in Spanien mußte das Ende der langen Agonie des Generalissimo Francisco Franco im November 1975 abgewartet werden, bis der Weg zur Demokratisierung des autoritären politischen Systems frei wurde. Die Rückkehr Portugals, Griechenlands und Spaniens in die Gemeinschaft des überal-demokratisch verfaßten und marktwirtschaftlich organisierten Europa hatte damit begonnen.
Seit 1981 bzw. 1986 sind die demokratischen Staaten Griechenland, Portugal und Spanien Vollmitglieder der EG. Die Europäische Gemeinschaft steht zwei Jahre vor der Vollendung des Europäischen Binnenmarktes. 1993 enden für ihre Volkswirtschaften die letzten wesentlichen Schutz-und Übergangsklauseln. Damit wäre die Integration der drei südeuropäischen Länder vollendet. Werden Griechenland, Portugal und Spanien dann auch tatsächlich Mitglieder der EG sein wie Dänemark, die Niederlande oder die Bundesrepublik Deutschland? „Waren“, um es in Abwandlung eines einst auf Spanien gemünzten Wortes Ortega y Gassets zu formulieren, die drei Länder das „Problem“ und „Europa die Lösung“?
Eine empirisch begründete Antwort auf diese Fragen ist schwieriger, komplexer und in ihrer Aussage ambivalenter, als der normative Imperativ des spanischen Philosophen es vermuten läßt. Im folgenden soll sie auf zwei essentiellen Ebenen gesucht werden: auf der politischen und auf der ökonomischen. Es soll geprüft werden, inwieweit sich die jungen Demokratien Südeuropas an die demokratischen und wirtschaftlichen Standards Westeuropas angenähert haben.
I. Vom Regimewandel zur Konsolidierung der Demokratie
Abbildung 1
Tabelle 1: Fragmentierungsindex der Parteien-systeme Quelle: Klaus Armingeon, Sozialdemokratie am Ende?, in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaften. (1989) 4, S. 344.
Tabelle 1: Fragmentierungsindex der Parteien-systeme Quelle: Klaus Armingeon, Sozialdemokratie am Ende?, in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaften. (1989) 4, S. 344.
Das Ende der Diktaturen und der Übergang zur Demokratie Der internationale Kontext Mitte der siebziger Jahre begünstigte zweifellos Regimewandel und Demokratisierung in Südeuropa 1) -Griechenland. Portugal und Spanien waren in Westeuropa von konsolidierten Demokratien umgeben. Die EG hatte unzweideutig die Herstellung der Demokratie als Vorbedingung zum Beitritt der drei Länder gestellt. Auch die USA — die im lateinamerikanischen Kontext gegenüber Diktaturen häufig eine Machtinteressen untergeordnete, ambivalente Haltung einnahmen — sprachen sich für demokratische Verhältnisse in Südeuropa aus. Dennoch muß der Zusammenbruch der autoritären politischen Strukturen Mitte der siebziger Jahre hauptsächlich aus den nationalen Entwicklungen der drei Länder erklärt werden
Auf der sozio-ökonomischen Ebene unterspülten seit Ende der fünfziger Jahre insbesondere in Spa-nien, und etwas später auch in Portugal Modernisierungsprozesse die Legitimationsgrundlagen und die soziale Basis der autoritären Regime. So wiesen die Volkswirtschaften der drei Länder 1960— 1973 deutlich höhere Wachstumsraten auf als das übrige Westeuropa. Während in Spanien die von Franco gerufenen Technokraten des Opus Dei die Wirtschaft schon Ende der fünfziger Jahre zu öffnen und modernisieren begannen, setzten in Portugal reformwillige Kräfte die außenwirtschaftliche Öffnung durch (1960 EFTA-Beitritt) und begannen mit der Modernisierung des autoritären „Neuen Staates“ (Estado Novo) Salazars. Doch die von den Pragmatikern der Regime zur Stabilisierung und Legitimierung ihrer politischen Macht gewollten und forcierten Modernisierungsprozesse erzeugten nicht-intendierte Effekte, die zu einer Destabilisierung der autoritären Herrschaft führten. Die Internationalisierung von Kapital und Produktion, die Ausbreitung von „westlichen“ Konsumgewohnheiten und die durch Tourismus und Arbeitsemigranten importierten „westlichen“ Lebensformen machten die Diskrepanz zwischen einer sich öffnenden Ökonomie und den geschlossenen, autoritären Herrschaftsstrukturen offensichtlich. Außerdem entstanden durch den forcierten sektoralen Wandel von der Landwirtschaft zu Industrie und Dienstleistungsbereich ein ausgedehntes Industrieproletariat und neue städtische Mittelschichten. Bedeutende Teile der einer parochialen politischen Kultur verhafteten Landbevölkerung, die zu den sozialen Stützen der autoritären Regime insbesondere in Portugal und Spanien gehörten, wurden sukzessive „wegmodernisiert“. Die expandierenden neuen Mittelschichten und die Industriearbeiterschaft forderten dagegen mehr politische Mitsprache und eine gerechtere Mitbeteiligung am wirtschaftlichen Reichtum. Die passiv-resignative Loyalität gegenüber dem autoritären Regime wich politischen und wirtschaftlichen Partizipationsforderungen. Bezeichnenderweise entfalteten die nicht-intendierten Modernisierungseffekte erst dann ihre volle systemdestabilisierende Wirkung in Spanien und Portugal, als in der Wirtschaftskrise von 1973 der „Traum immerwährender Prosperität“ zerplatzte und die im Boom geweckten materiellen Erwartungen und Karrierehoffnungen sich häufig nicht erfüllten.
Doch diese langfristigen Prozesse allein können keineswegs den Zusammenbruch selbst oder gar die unterschiedliche Art und Weise erklären, in der sich das Ende der Diktaturen in Südeuropa vollzog. Häufig werden die Unterschiede der demokratischen Regimewechsel in Spanien und Portugal mit der Dichotomie von „reforma“ und „ruptura“ auf den Begriff gebracht. Dazwischen, im begrifflichen Niemandsland, wird Griechenland angesiedelt. Reforma steht für den behutsamen Wandel aus dem alten autoritären System heraus, ruptura für den radikalen Bruch mit diesem. So einleuchtend beide Begriffe für die Kennzeichnung der Demokratisierung in Spanien und Portugal sein mögen, so bedürfen sie dennoch einer analytischen Ergänzung. In Spanien wurde die Demokratisierung durch begrenzte Liberalisierungsmaßnahmen von wichtigen Eliten des autoritären Regimes selbst, den Pragmatikern (softliners) begonnen. Strömungen innerhalb der herrschenden autoritären Koalition waren schon vor dem Tode Francos zu der Überzeugung gelangt, daß eine weitere Öffnung des Regimes und die vorsichtige, kontrollierte Einführung demokratischer Reformen längerfristig eher ihren Interessen dienen könnten und umsturzähnliche Veränderungen wie in Portugal verhindern würden. Gestützt auf diesen reformwilligen Sektor wählte der König Adolfo Suarez, eine prominente, aber nicht zu stark kompromittierte Persönlichkeit des Movimiento, zum Initiator des Demokratisierungsprozesses Suarez, seit Juli 1976 Premierminister, vollbrachte einen „paktierten Regimewechsel“ (transiciön pactada), der sich in drei Etappen vollzog: erstens, der Phase der sich im alten konstitutionellen Rahmen bewegenden Vorbereitung der Verfassungsreform; zweitens, der Erarbeitung einer neuen Verfassung; drittens, einer konsensuellen Politik, die alle demokratischen Parteien und Gewerkschaften in politische Entscheidungen mit einband (u. a. Moncloa Pakte). Diese Politik des paktierten Konsenses, die das alte autoritäre System symbolisch nie gänzlich verwarf, half unter den Auspizien einer latent drohenden Putschgefahr der poderes facticos (Armee, alte regimetreue Eliten etc.) ein völlig neues und demokratisches System zu etablieren. Es liegt in der Logik dieses aus dem alten autoritären Regime heraus initiierten Systemwandels, daß im südeuropäischen Kontext Spanien der einzige Fall war, in dem keinerlei Säuberungen des Staatsapparates möglich waren und stattfanden. Dennoch war die demokratische Legitimation für das neue Regime eindeutig und wurde durch die Einbeziehung der Bevölkerung auf allen entscheidenden Etappen realisiert: durch die Zustimmung der Bevölkerung zum einleitenden „Gesetz über die politische Reform“ durch ein Referendum, durch demokratische Wahlen zum verfassunggebenden Parlament (cortes) sowie durch die Ratifizierung der neuen Verfassung durch ein weiteres Referendum
In Portugal erwiesen sich die alten Regimeeliten als unfähig, den Regimewandel einzuleiten, und somit irgendeinen Einfluß auf den Ablauf des Demokratisierungsprozesses zu nehmen. Der Impuls zum Wandel kam aus den mittleren Offiziersrängen: Das alte Regime wurde von Teilen des Staatsapparates (Militär) gestürzt Ebenfalls im Unterschied zu Spanien, wo das Militär in der ersten Phase des Übergangs (transicion) relativ homogen blieb, zeigten sich in den portugiesischen Streitkräften rasch tiefe politische Konflikte, die die hierarchischen Kommandostrukturen teilweise außer Kraft setzten und zu Desintegrationserscheinungen führten. Das Militär war unfähig, nach dem Putsch (1974) in der ersten Demokratisierungsphase einheitlich zu agieren. Wo aber staatliche Akteure den Regimewandel initiieren und in dessen Verlauf die Hierarchie und Kohäsion staatlichen Handelns unterminiert werden, staatliche Funktionen nicht mehr verläßüch und berechenbar ausgeführt werden können, ergeben sich Räume für sozial-revolutionäre Mobilisierung Dies, und die Verbindung, die einzelne Teile der Streitkräfte mit den Kommunisten Cunhals (Goncalves) oder Gruppen der extremen Linken (Cavalho) eingegangen waren, führten zu der mehr als ein Jahr anhaltenden „revolutionären“ Mobilisierung breiter Teile der Bevölkerung. Während in Spanien die (Euro ) Kommunisten unter Santiago Carillo sich in politischen und sozialen Pakten als wichtiger, pazifizierender und konsensbereiter Partner in prekären Phasen des demokratischen Übergangs erwiesen, spielte der Partido Comunista Portugues eine wichtige Rolle in den Konflikten um die politische, soziale und ökonomische Reichweite des Regimewandels. Es ist zweifellos auf die sofortige Ausschaltung der alten Regimeeliten und die Konstellation von linken Militärs, einer sich revolutionär verstehenden KP und die Massenmobilisierung zurückzuführen, daß im Unterschied zu Spanien und Griechenland wirtschaftliche Reformen wie die Kollektivierung von Latifundien (vor allem im Alentejo), die Nationalisierung von Industrien und von Banken parallel zur politischen Demokratisierung liefen. Anders auch als in dem von frankistischen Eliten initiierten Demokratisierungsprozeß in Spanien, wurden in Portugal weite Teile des Staatsapparates und der Geheimpolizei PIDE von den alten Regimeanhängem gesäubert. e Ähnlich wie in Portugal (Kolonialkrieg in Afrika) war es in Griechenland ein externer Faktor (Zypern-Konflikt), der Teile des Militärs veranlaßte, das Ende der Militärjunta einzuleiten. Da in Griechenland die Militärs selbst das Regime bildeten, wird hier die analytische Distinktion von Regime und Staat undeutlich. Dennoch läßt sich im Rückgriff auf Stepans Unterscheidung von „Militär als Regierung“ und „Militär als Institution“ argumentieren, daß das griechische Militär im Gefolge der Zypernkrise als „Institution“ (Teil des Staates) gegen das „Militär als Regierung“ (Teil des Regimes) handelte, als die Stabschefs der Streitkräfte beschlossen, die politische Macht an eine Zivilregierung zurückzugeben. Damit distanzierten sich die Spitzen des griechischen Militärs von dem in Auflösung befindlichen Regime, stellten die militärisch-institutionelle Kontrolle über die politische Hierarchie der Junta her und neutralisierten erfolgreich die Machtbasis der Regime-„hard-liners“ um Brigadegeneral Demetrios Joanides. Gefangen in einer schweren Legitimationskrise, ohne zuverlässige Bündnispartner unter den konservativen politischen Eliten und barjeder Unterstützung aus der Bevölkerung verloren die Militärs dennoch rasch jeden Einfluß auf den Fortgang des Demokratisierungsprozesses. Spätestens als der aus Militärs und konservativen Politikern bestehende Notstandsrat Konstantin Karamanlis aus dem Pariser Exil zurückrief und mit der Bildung einer Übergangsregierung betraute, entglitt dem Militär die politische Macht.
Als charismatischer Führer der antikommunistischen Rechten während der fünfziger Jahre bot Konstantin Karamanlis den Pragmatikern (soft-liners) des Militärs und dem rechtskonservativen Lager scheinbar die Aussicht, die außenpolitische Krise zu lösen und gleichzeitig zu den Zuständen der konservativ „gelenkten Demokratie“ der fünfziger Jahre zurückzukehren. In Karamanlis’ gradualistischer Übergangsstrategie überwogen jedoch bald die Elemente des politischen Wandels jene der Kontinuität. So wurden unverzüglich alle politischen Parteien einschließlich der KP wieder zugelassen. Damit konnte sich die seit dem Ende des Bürgerkrieges verbotene Kommunistische Partei zum ersten Mal wieder legal politisch betätigen. Schon im November 1974 wurden die ersten Parlamentswahlen abgehalten. Im Dezember wurde Griechenland nach einem Referendum zur Repu-blik erklärt und im Februar 1975 der Prozeß gegen die drei Hauptverantwortlichen des Militärputsches von 1967 eröffnet. Schon ein halbes Jahr nach dem Zusammenbruch des autoritären Regimes waren alle zentralen institutioneilen Arrangements eines demokratischen Systems konstituiert. Die „erste genuine politische Demokratie in Griechenland“ begann sich zu etablieren. Damit war die erste Übergangsphase zur Demokratie deutlich schneller beendet und die Phase der demokratischen Konsolidierung rascher eingeleitet als in Portugal und Spanien, wo die ersten demokratischen Wahlen erst rund zwei Jahre nach dem Ende des autoritären Regimes, bzw. Francos Tod, abgehalten wurden. 2. Die Konsolidierung der Demokratien Diese Konsolidierung beginnt bereits vor Abschluß der Übergangsphase zur Demokratie. Beide Phasen überlappen sich und lassen sich in der Realität nicht immer exakt voneinander trennen. Dennoch ist es plausibel, vom Ende der Transition zu sprechen, wenn die im Regimeübergang entstandenen ad hoc-Verhaltensmuster in stabile Strukturen überführt worden sind, wenn die Zulassung von politischen Akteuren und der Ablauf von politischen Entscheidungen bestimmten allgemeinen Regeln unterworfen ist. Dies heißt, daß ein für die Demokratie unverzichtbares prozedurales Minimum etabliert sein muß: die geheime Wahl, universelles Stimmrecht, regelmäßige Wahlen, Parteien-wettbewerb, Organisationsfreiheit, Verantwortlichkeit und Kontrolle der Exekutive. Inwieweit welcher Form sich diese und und in prozeduralen institutionellen Minima in den drei Ländern konsolidiert haben, soll auf zwei zentralen Ebenen gezeigt werden: — der Ebene der territorialen Repräsentation (Parteien, Parteiensystem, Regierungsbildung); — der Ebene der funktionalen Repräsentation (Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, industrielle Beziehungen). a) Die Parteiensysteme Die neuen Verfassungen Spaniens (Art. 6) und Portugals (Art. 3. 3) verpflichten die Parteien auf demokratische Grundsätze. Eine vergleichbar präzise Regelung ist in der griechischen Verfassung nicht zu finden. Trotz dieser unterschiedlichen konstitutionellen Regelung haben sich in den Parteien-systemen der drei Länder einige Gemeinsamkeiten herausgebildet, die auf eine demokratische Konsolidierung hindeuten. Drei zentrale Indikatoren sollen dies verdeutlichen: Fragmentierung des Parteiensystems, ideologische Polarisierung im Parteien-system, volatility (Wählerfluktuation) Fragmentierung: Dieser Indikator mißt die Zahl der Parteien, gewichtet nach ihren Stimmenanteilen In der Stabilitätsbeurteilung demokratischer Systeme gelten, nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen in Weimar und der IV. Französischen Republik, hohe Fragmentierungsindices der Parteiensysteme als destabilisierend. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie mit anderen Indikatoren, wie ideologischer Polarisierung und häufigen Regierungswechseln, verbunden sind Der Fragmentierungsindex in Portugal und Spanien bewegt sich im Durchschnitt der 18 westeuropäischen Länder. In Griechenland liegt er gar deutlich darunter. Im Verlauf der Konsolidierung der Parteiensysteme in den achtziger Jahren ging überdies die Fragmentierung in allen drei Ländern zurück (vgl. Tabelle 1).
Eine weitere demokratiestabilisierende Tendenz lassen diese aggregierten Zahlen nicht sofort erkennen: Mehrheitlich nämlich bevorzugte die Wählerschaft — insbesondere in Spanien, mit Abstrichen aber auch in Portugal — die beiden großen Mitte-Rechts-oder Mitte-Links-Parteien. Diese Tendenz zur Mitte brachte in Spanien die liberal-konservative Partei UCD von 1977— 1982 in die Regierung. Als die UCD völlig zerfiel und die gemäßigte Sozialistische Partei (PSOE) in die Mitte des Parteien-spektrums rückte, wurde sie dafür von den Wählern belohnt und zur unangefochtenen Regierungspartei der achtziger Jahre.
Dasselbe gilt auch für Portugal — nur in umgekehrter Reihenfolge. Der gemäßigt sozialdemokratische Partido Socialista war die dominierende Partei in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre. Er verschliß sich dort jedoch im Krisenmanagement der Austeritätspolitik und sank in der Wählergunst unter 30 Prozent. Trotz eines elektoralen Zwischenhochs (1983: 36, 1 Prozent) mußten die portugiesischen Sozialisten den neoliberalen Sozialdemokraten (Partido Social Democrata) die Führung der Regierung und der portugiesischen Politik in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre überlassen. In Griechenland vereinigten die beiden großen Parteien Nea Dimokratia (ND) und die sozialistische PASOK im Durchschnitt noch mehr Stimmen auf sich (1974— 1990: 79, 3 Prozent). Allerdings sind die politischen Distanzen zwischen der rechtskonservativen ND und der populistisch-sozialistischen PASOK deutlich größer als zwischen den beiden portugiesischen Parteien. Die Folge sind stärker polarisierte Auseinandersetzungen auf der Ebene der politischen Eliten und der breiten Wählerschaft, wie sie insbesondere in den Wahlkämpfen von 1989 und 1990 sichtbar wurden.
Polarisierung und Antisystemparteien: Die Polarisierung eines Parteiensystems läßt sich als die ideologische Distanz zwischen den relevanten linken und rechten Flügelparteien des Parteiensystems messen Dazu liegen jedoch für Griechenland, Portugal und Spanien in den achtziger Jahren keine vergleichbaren Daten vor. Deshalb soll hier zur Einschätzung der Polarisierung ein kurzer Blick auf die extreme Rechte und Linke geworfen werden. Die extreme antidemokratische Rechte war aufgrund der vorangegangenen autoritären Herrschaft in den drei jungen Demokratien zu diskreditiert, als daß sie politisch relevante Parteien hätte etablieren können. In Griechenland blieben rechtsradikale Parteien Splittergruppen, die weniger als 2 Prozent der Wähler auf sich vereinigen konnten. Lediglich 1977 erreichte die Nationale Formation (NF) 6, 8 Prozent der Stimmen, um aber sofort danach im Verlauf der Polarisierung zwischen der sozialistischen PASOK und der konservativen Nea Dimokratia von letzterer absorbiert zu werden
In Portugal konnten rechtsextreme Parteien überiaupt nicht Fuß fassen. Verbliebene Reste der Salatar-Anhänger wurden in die rechtskonservative CDS integriert. Ähnliches gilt für Spanien, wo die extreme Rechte ohne parlamentarische Repräsenanz blieb, und sich die rechtsradikale Fuerza Nuwa nur als eine blasse Inkarnation der frankistiichen Bewegung erwies. Während der achtziger fahre findet die parteipolitisch organisierte extreme Rechte in keinem der drei Länder eine den italieniichen Neo-Faschisten (MSI) oder der französischen Front National vergleichbare Räsonanz unter den Vählern.
Auch die kommunistische Linke entwickelte in den letzten 15 Jahren keine destabilisierende Wirkung auf die Demokratie. Die reformfreudig-eurokommunistische KP Spaniens (PCE) ließ sich in die Politik des demokratischen Konsenses in der Anfangsphase der Demokratisierung einbinden (Moncloa Pakte) und leistete damit einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der Demokratie. Danach rieb sie sich in Flügelkämpfen und Abspaltungen auf, sank in der Wählergunst von 10, 5 Prozent (1979) auf zeitweise 3, 9 Prozent (1982). Damit brachte sie sich in den achtziger Jahren selbst um ihre politische Wirkung. In Portugal und Griechenland konnten sich orthodoxe KPs unter der Führung der Altstalinisten Cunhal und Florakis ein stabiles Segment in der Wählerschaft ihrer Länder sichern. Doch obwohl die portugiesischen Kommunisten einen beachtlichen Einfluß auf die politische Entwicklung der ersten 20 Monate nach dem Regimewechsel ausübten, und obwohl sie 1983 in einer Listenverbindung 18, 2 Prozent der Wählerstimmen erhielten, gelten sie seit 1976 als nicht koalitionsfähig und werden von den politis 2 Prozent der Wählerstimmen erhielten, gelten sie seit 1976 als nicht koalitionsfähig und werden von den politischen Entscheidungszentren des Landes ferngehalten. Dasselbe gilt auch für die griechische KP (EKKE, exterior), die nur vereinzelt auf kommunaler Ebene staatlichen Entscheidungseinfluß gewinnen konnte. Eine Gefahr für die Demokratie stellen die KPs in keiner der drei jungen Demokratien dar.
WählerFluktuation (volatility): Mit dem Konzept der volatility wird die Summe der Netto-Wählergewinne und Netto-Verluste der relevanten Parteien von Wahl zu Wahl gemessen. Eine geringe Wähler-fluktuation gibt Hinweise auf den Grad der Konsolidierung des Parteiensystems.
Die durchschnittliche volatility-Rate in 16 westeuropäischen Ländern betrug im Zeitraum 1945— 1984 10, 6 Prozent 17). Demgegenüber weisen die drei Untersuchungsländer von den ersten freien Wahlen Mitte der siebziger Jahre bis 1990 eine deutlich höhere Volatilität auf: Griechenland 17, 1 Prozent, Portugal 18, 5 Prozent, Spanien 23 Prozent 18). Die Stabilität der Wählerbindung und damit die Konsolidierung der drei südeuropäischen Parteiensysteme ist infolge ihres jungen Alters erwartungsgemäß deutlich geringer ausgeprägt. Interessanter ist jedoch, ob in den drei Ländern Konsolidierungseffekte von den siebziger zu den achtziger Jahren zu messen sind. Hier zeigen die Daten, daß in Griechenland (1981 — 1990) die Netto-Wählerfluktuation mit 7, 8 Prozent gar unter, in Spanien (1982— 1989) mit 12, 8 Prozent nur leicht über dem westeuropäischen Durchschnitt lag. Auch wenn zehn Jahre ein kurzer Untersuchungszeitraum sind, können den Parteiensystemen der bei-den Länder zu Beginn der neunziger Jahre relativ stabile Strukturen attestiert werden. Allein in Portugal ist ein umgekehrter Effekt zu beobachten: Lag in den siebziger Jahren die durchschnittliche Volatilität bei erstaunlich niedrigen 13, 4 Prozent, steigerte sich dies in den achtziger Jahren auf 23, 6 Prozent. Dies ist weitgehend aus der Oszillation und dann dem starken Rückgang der sozialistischen Wählerstimmen sowie dem kometenhaften Aufstieg der (neoliberalen) Sozialdemokraten zu absoluten Wählermehrheiten in den achtziger Jahren zu erklären. In Portugal haben sich bisher noch am wenigsten feste Wähleridentifikationen mit den Parteien herausgebildet. Dies könnte in stabilen, verwurzelten Demokratien auch als Ausdruck von aufgeklärten, rationalem Wahlverhalten gedeutet werden In jungen Demokratien aber erscheint 6 Prozent. Dies ist weitgehend aus der Oszillation und dann dem starken Rückgang der sozialistischen Wählerstimmen sowie dem kometenhaften Aufstieg der (neoliberalen) Sozialdemokraten zu absoluten Wählermehrheiten in den achtziger Jahren zu erklären. In Portugal haben sich bisher noch am wenigsten feste Wähleridentifikationen mit den Parteien herausgebildet. Dies könnte in stabilen, verwurzelten Demokratien auch als Ausdruck von aufgeklärten, rationalem Wahlverhalten gedeutet werden 19). In jungen Demokratien aber erscheint die Interpretation plausibler, daß ein nicht konsolidiertes Parteiensystem in einem noch nicht fest verwurzelten demokratischen System durchaus destabilisierende Effekte erzeugen kann. b) Regierungsbildung und Regierungsdauer Diese Effekte kommen insbesondere dann zum Tragen, wenn es keine regierungsfähigen Mehrheiten oder nur instabile Regierungen von nur kurzer Lebensdauer gibt. Das Land mit der größten Wählerfluktuation — Portugal (1976— 1990) — hatte die meisten Regierungen (zwölf) und die kürzeste durchschnittliche Kabinettsdauer (14 Monate). Damit liegt Portugal deutlich unter dem westeuropäischen Durchschnitt von 24 Monaten 20). Dies wurde neben den erheblichen Wählerfluktuationen durch ein fast lupenreines proportionales Wahl-und Stimmenverrechnungssystem begünstigt, das im Unterschied zu den „verstärkten Verhältniswahlsystemen“ Spaniens und Griechenlands keine „künstlichen“ parlamentarischen Mehrheiten erzeugen kann 21). Allerdings ging seit 1983 die Häufigkeit der Regierungswechsel in Portugal zurück und die Lebensdauer der Kabinette erhöhte sich. Durch dramatische Wählerverschiebungen begünstigt, konnten die Sozialdemokraten 1987 mit 50, 2 Prozent der Wählerstimmen zum ersten Mal eine stabile Einparteienmehrheitsregierung in Portugal bilden.
In Griechenland amtierten von 1974 bis 1990 sechs Regierungen. Die durchschnittliche Kabinetts-dauer von 30 Monaten lag damit deutlich über dem Schnitt in Westeuropa. Dies ist u. a. auf die sich seit 1977 abzeichnende bipolare Wettbewerbsstruktur des Parteiensystems und das „verstärkte Verhältniswahlsystem“ (bis 1986) zurückzuführen. Dieses Wahlsystem, das einen durchschnittlichen disproportionalen Verzerrungseffekt zwischen Wählerstimmen und Parlamentsmandaten von 7, 6 Prozent (Spanien: 7, 6 Prozent; Portugal: 3, 3 Prozent) in den vergangenen Wahlen erzeugte 22), verschaffte über einen Mehrheitsbonus 1977 der ND (41, 8 Prozent Wählerstimmen) sowie 1981 (48, 1 Prozent) und 1985 (45, 4 Prozent) der PASOK absolute parlamentarische Mehrheiten. Nach dem Abbau der wahlsystematischen Verstärkungsmomente in der Verfassungsrevision von 1986 hat die Instabilität der griechischen Regierungen in den letzten beiden Jahren deutlich zugenommen.
Griechenland hat seit Mitte 1989 drei Parlamentswahlen und drei Regierungswechsel mit unterschiedlichen Koalitionsformeln erlebt. Auch die seit Mai 1990 amtierende konservative Regierung verfügt mit 151 von 300 Parlamentsmandaten nur über eine hauchdünne Mehrheit. Dies zeigt, daß „institutional engineering“ durchaus politische Stabilität unterstützen kann. Spanien hat seit 1977 die stabilsten Regierungen in Südeuropa aufzuweisen. Wie in Griechenland liegt auch hier die durchschnittliche Kabinettsdauer bei 30 Monaten. Aber Spanien erlebte nur einmal einen vorzeitigen Regierungswechsel (1981) in einer laufenden Legislaturperiode. In den achtziger Jahren profitierten auch die spanischen Sozialisten von Verstärkungseffekten ihres Wahlsystems. 1982 (48, 4 Prozent) und 1986 (44 Prozent) verwandelten sich ihre relativen Wählermehrheiten in ungefährdete absolute Parlamentsmehrheiten. Selbst 1989 erhielt der PSOE mit nur 39, 6 Prozent der Wählerstimmen noch die Hälfte aller Parlamentsmandate.
Die Stabilität der Regierungen in Spanien und bis 1989 auch in Griechenland ist in demokratietheoretischer Hinsicht jedoch janusköpfig. Zum einen leistete sie einen Beitrag zur Konsolidierung der Demokratie und zur Kontinuität in der Regierungspolitik. Zum anderen wurde dies häufig mit der Unterordnung des Parlaments unter die Exekutive bezahlt. So hatten in den achtziger Jahren insbesondere die sozialistischen Einparteienregierungen in Griechenland und Spanien ihre Parlamentsfraktionen mit eiserner Disziplin organisiert und dadurch die Parlamente teilweise ihrer demokratischen Kontroll-und Initiativfunktionen beraubt 23). Eine Entwicklung freilich, die den beiden Ländern mit vielen parlamentarischen Demokratien Westeuropas gemein ist.
Einen entscheidenden Test ihrer demokratischen Stabilität bestanden die drei Länder mit dem ersten richtungspolitischen Wechsel in der Regierungsverantwortung: in Portugal, als 1976 die gemäßigten Sozialisten nach den ersten zwei Jahren revolutionärer Mobilisierung die erste verfassungsmäßige Regierung bildeten, und in Griechenland, als mit der populistisch-sozialistischen PASOK 1981 zum ersten Mal nach dem Bürgerkriegstrauma eine linke Regierung die Macht übernahm. Von besonders hohem realpolitischen und symbolischen Wert für die Konsolidierung der spanischen Demokratie muß der Regierungswechsel von der bürgerlichen UCD auf die sozialistische PSOE (1982) angesehen werden. Nach dem vereitelten Putschversuch von Teilen des Heeres und der Guardia Civil (paramilitärisch organisierte Polizei) im Februar 1981 war dies ein entscheidender Schritt für die dennoch fortschreitende Normalisierung der Demokratie in Spanien. c) Arbeitsbeziehungen Erwartungsgemäß dauerte die Stabilisierung der funktionalen Repräsentation bei den beiden großen Interessenverbänden von Kapital und Arbeit länger als die rasche erste Konsolidierung territorialer Repräsentationsstrukturen. Insbesondere die Herausbildung stabiler Verhandlungsmuster zwischen den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden erwies sich als schwierig und von vielfältigen Konflikten durchsetzt Die industriellen Beziehungen sind in den drei südeuropäischen Ländern auch zu Beginn der neunziger Jahre dezentralisiert, organisatorisch fragmentiert und von ideologischen Konflikten durchzogen. Damit sind sie dem syndikalistischen Typ der Arbeitsbeziehungen zuzurechnen
In Portugal gibt es seit 1978 zwei heftig miteinander konkurrierende Gewerkschaftsverbände, von denen die größere CGTP-IS (1, 15 Mio. Mitglieder) eng mit der kommunistischen Partei verbunden ist, während die UGT (1 Mio. Mitglieder) der sozialistischen und der sozialdemokratischen Partei nahe-steht. Auch bei den Arbeitgebern gibt es interne regionale (Lissabon, Porto) und sektorale Differenzierungen (Industrie, Handel, Landwirtschaft), die sich bis in die Dachverbände durchziehen Eine noch stärkere richtungspolitische Fragmentierung der Gewerkschaftsbewegung findet sich in Spanien. Dort konkurrieren nicht nur die kommunistischen Arbeiterkommissionen (CC. OO.) mit der seit Beginn der achtziger Jahre etwa gleichstarken sozialistischen UGT, sondern es haben sich auch kleinere konservative und linksradikale sowie regionalistisch/autonomistische Gewerkschaften, etwa im Baskenland, Galizien und im agrarischen Andalusien, etabliert Demgegenüber steht mit der CEOE seit 1977 ein zentraler Arbeitgeberverband, der zwar mit einem Organisationsgrad von 80 Prozent zur quasi monopolistischen Interessenorganisation der Unternehmer wurde, dessen Durchsetzungsfähigkeit gegenüber den eigenen Mitgliedern jedoch relativ gering ist.
Organisatorisch zersplittert und von parteipolitischen Konflikten durchzogen ist auch die griechische Gewerkschaftsbewegung Zwar ist sie nach dem Prinzip einer Einheitsgewerkschaft organisiert, doch diese Einheit wird gleich mehrfach gebrochen: durch die Konkurrenz von berufständischen Organisationen und Industrie-Gewerkschaften, durch rund 4 000 Einzelgewerkschaften sowie durch die richtungspolitische Pluralität innerhalb des größten gewerkschaftlichen Dachverbandes GSEE. Nicht weniger als fünf politische Strömungen kämpfen dort um Macht und Einfluß. Bezeichnend für die traditionell extensiven Eingriffe des Staates in die inneren Belange der Gewerkschaftsführung ist, daß die politische Mehrheit in der Gewerkschaftsführung bis 1989 jeweils mit der Couleur der Regierungspartei identisch ist. Eher als Gegner denn Verhandlungspartner steht den Gewerkschaften der Verband der griechischen Industrie (SEV) gegenüber. Er vertritt nur etwa ein Drittel aller Arbeitgeber in der Industrie und besitzt wenig Durchsetzungsfähigkeit gegenüber seinen einzelnen Mitgliedern.
Insgesamt sind die syndikalistischen Arbeitsbeziehungen in Griechenland, Spanien und Portugal jenen Frankreichs und Italiens ähnlich, nicht jedoch den zentralisierten kooperativen oder gar neokorporatistischen Verhandlungssystemen der meisten westeuropäischen Länder. Nun sind kooperative und zentralisierte oder gar neokorporatistische Verhandlungssysteme industrieller Beziehungen keineswegs per se demokratischer als syndikalistische. Auf die hohen demokratietheoretischen Kosten der von der gewerkschaftlichen Basis notwendigerweise abgehobenen korporatistischen Verhandlungsmechanismen hat Claus Offe aufmerk-sam gemacht Zudem besitzen die Spitzenverbände von Kapital und Arbeit auch in neokorporatistischen Systemen kein demokratisch ausreichend legitimiertes Mandat für ihre direkte Mitbestimmung der staatlichen Wirtschaftspolitik. Für Demokratien jedoch, die sich noch in der Konsolidierungsphase befinden, lassen sich aus einer funktionalistischen Perspektive begründete Gegenüberlegungen formulieren: Neokorporatistische Arrangements entlasten die Arena staatlichen Handelns von polarisierenden politischen Konflikten in der Verteilungsfrage. Sie koordinieren die gegensätzlichen Interessen von Kapital und Arbeit unter weitgehender Ausschaltung von Arbeitskonflikten und tragen so zu wirtschaftlichen Erfolgen bei, die sich wiederum stabilisierend auf noch nicht gefestigte Demokratien auswirken. In syndikalistisch strukturierten Arbeitsbeziehungen geschieht im Regelfall das Gegenteil: Verteilungspolitische Konflikte werden nicht deeskaliert, sondern werden von der Arena der Parteien in die Arena der industriellen Beziehungen und vice versa getragen, verschränken sich dort, werden verstärkt und führen zu konflikt-reicheren industriellen und politischen Beziehungen. Dies wirkt sich nicht nur negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung aus, sondern polarisiert auch die politischen Lager.
Gegen alle theoretischen und empirischen Argumente der Neokorporatismusforschung entwickelten sich in bestimmten Phasen der demokratischen Konsolidierung in Spanien und Portugal eine Reihe von Wirtschafts-und Sozialpakten zwischen Kapital, Arbeit und Staat. Insbesondere in Spanien waren die kommunistischen CC. OO. und die sozialistische UGT bereit, in einer Serie von Pakten (1977/78— 1986) mit Staat und Unternehmern Lohn-und Streikzurückhaltung zu garantieren, um die noch fragilen demokratischen Institutionen in einer tiefen Wirtschaftskrise zu stabilisieren. 1986 weigerten sich die Gewerkschaften, weitere Abkommen zu unterzeichnen, da weder die Regierung ihre wirtschafts-und sozialpolitischen Verpflichtungen, noch der Unternehmerverband seine Zusage hinsichtlich der Schaffung von Arbeitsplätzen im ausgehandelten Umfang erfüllt hatten Zeitlich umgekehrt verlief die Entwicklung in Portugal. In der prekären Phase der Demokratisierung von 1974 bis 1977 übte der kommunistisch dominierte Gewerkschaftsverband (GTP-IS) weder lohnpolitische Mäßigung noch Streikzurückhaltung, sondern verschärfte an der Seite der KP die Klassenauseinandersetzungen. Seit Mitte der achtziger Jahre jedoch kommen im Kontext einer relativ konsolidierten Demokratie immer wieder konzertierte Aktionen zwischen den Gewerkschaften (CGTP-IS, UGT), den Unternehmerverbänden und der Regierung zustande, so daß portugiesische Gewerkschaftsforscher schon voreilig vom Neokorporatismus in Portugal sprachen In Griechenland kam es zu keinen vergleichbaren bi-oder trilateralen Abkommen. Pakte zur Stabilisierung des Demokratisierungsprozesses standen nie zur Debatte. In ihrer Zersplitterung, dem Selbstausschluß und der Fremdausgrenzung der Gewerkschaften von jeder gesamtwirtschaftlichen Mitbestimmung und Mit-verantwortung stellen die Arbeitsbeziehungen in Griechenland einen ökonomisch dysfunktionalen und politisch destabilisierenden Faktor im demokratischen System Griechenlands dar, wie nicht zuletzt die Streikwelle des Jahres 1990 zeigte. d) Die neuen Demokratien im Vergleich Die Konfiguration von Parteiensystem, Regierungsstabilität und industriellen Beziehungen alleine vermag die Konsolidierung von Demokratien keineswegs vollständig zu erklären. Um einer institutionalistischen Verkürzung zu entgehen, müßten stärker gesellschaftliche Faktoren mit berücksichtigt werden. An erster Stelle wäre hier sicherlich die Entwicklung der politischen Kultur zu nennen. Auch Phänomene wie personalistischer oder staatlich-organisierter Massenklientelismus müßten unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten beurteilt werden. Trotz dieser Defizite in der Analyse läßt sich anhand der drei untersuchten zentralen politischen Bereiche dennoch die These erhärten, daß die politischen Systeme Griechenlands, Spaniens und Portugals sich „europäisiert“ haben und keine substantiellen Unterschiede zu westlichen politischen Systemen aufweisen, die den fortgeschrittenen Grad demokratischer Konsolidierung in Frage stellen könnten. Nachdem über konstitutionelle Reformen in den achtziger Jahren zudem semipräsidentielle Elemente der Regierungssysteme Portugals und Griechenlands revidiert wurden, unterscheiden sich die Regierungssysteme der drei Länder auch institutionell kaum mehr vom Normal-typus des parlamentarischen Regierungssystems in Westeuropa. Berücksichtigt man allerdings auch den zeitlichen Verlauf der Konsolidierungsprozesse, erhält Griechenland zweifellos die schlechtesten Noten. Obwohl dort die demokratische Konsolidierung am schnellsten eingeleitet werden konnte, zeigte zu Ende der achtziger Jahre die Verschränkung von sich verschärfender politischer Polarisierung, prekären parlamentarischen Mehrheitsverhältnissen, konfliktreichen, kaum steuerbaren industriellen Beziehungen, öffentlicher Korruption und staatlichem Massenklientelismus, daß demokratische Konsolidierung nicht linear verläuft, sondern auch Rückschläge erleiden kann.
II. Modernisierungswettlauf und strukturelle Abhängigkeit
Abbildung 2
Tabelle 3: Bruttoinlandprodukt pro Kopf (in ECU zu den jeweiligen Preisen und Kaufparitäten) Quelle: Eurostat
Tabelle 3: Bruttoinlandprodukt pro Kopf (in ECU zu den jeweiligen Preisen und Kaufparitäten) Quelle: Eurostat
Nach 15 Jahren des Regimewandels und der demokratischen Konsolidierung haben sich Portugal, Griechenland und Spanien im Europa der liberal-demokratisch verfaßten politischen Systeme etabliert. Von einer ähnlich erfolgreichen Integration ihrer Volkswirtschaften in den europäischen Markt (und in den Weltmarkt) sind die drei Länder jedoch noch ein erhebliches Stück entfernt. Zwar wurde die Herausforderung angenommen, und alle drei Länder haben sich — wenn auch mit unterschiedlicher Entschlossenheit, Strategie und unterschiedlichem Erfolg — auf einen Modernisierungswettlauf mit den hochentwickelten Ökonomien Westeuropas eingelassen. Freilich erinnert manches an den berühmten Wettlauf zwischen dem Hasen und dem Igel. Dies soll unter teilweisem Verzicht auf eine Differenzierung der drei Länder untereinander kurz erläutert werden.
Die wirtschaftliche Entwicklung und Modernisierung hat, in absoluten Zahlen gemessen, seit 1975 zweifellos Fortschritte zu verzeichnen, der relative Abstand zu den übrigen Ländern der EG ist jedoch nach wie vor unverändert groß (vgl. Tabelle 2).
Die Daten zeigen, daß der Strukturwandel der drei Länder vom primären zum sekundären und tertiären Sektor häufig überschätzt wird. Während er in Portugal und Spanien von 1977 bis 1987 forciert verlaufen ist. stagnierte der Wandel in Griechenland weitgehend. Aber selbst Spanien, das am weitesten entwickelte Land, zeigt mit seinem ausgeprägten Agrarsektor immer noch ein deutlich abweichendes Profil vom Durchschnitt der EG-Länder. Darüber hinaus ist der beachtliche Umfang des Dienstleistungsbereiches in den drei Südländern keineswegs als Modernisierungsindikator zu interpretieren, da er — abweichend zu den hoch entwikkelten Ökonomien — stärker ineffiziente, unproduktive und parasitäre Segmente aufweist. Dennoch nähert sich die sektorale Gliederung der Wirtschaft insbesondere in Portugal und Spanien schrittweise an „europäische“ Werte an. Dies gilt jedoch nicht für den aussagekräftigeren, zentralen Entwicklungsindikator des Bruttoinlandsprodukts (BIP) pro Kopf (vgl. Tabelle 3). 1975 betrug dieses im Durchschnitt der drei Südländer 58. 8 Prozent des EG-Durchschnittes. 1980: 57. 4, 1985: 60, 3 und 1988: 61. 0. In 14 Jahren hat sich das pro Kopf erwirtschaftete Inlandsprodukt der Südländer nur um 2. 2 Prozent dem EG-Durchschnitt angenähert. Berücksichtigt man, daß nach 1980/86 die drei unterentwickelten Neumitglieder den Gesamtdurchschnitt der Europäischen Gemeinschaft gegenüber 1975 relativ gesenkt haben, hat sich der Abstand zwischen den führenden Volkswirtschaften Westeuropas und der südeuropäischen Peripherie gar vergrößert (siehe Tabelle 3: EG-Durchschnitt ohne G, P. S). Bestätigt und differenziert werden diese Ergebnisse durch die BIP-Zuwachsraten pro Beschäftigten. Hier zeigt sich ein deutlicher Unterschied zwischen Portugal und Spanien einerseits und Griechenland andererseits. Während Griechenland in der Periode 1973 bis 1988 deutlich unter dem EG-Mittelwert liegt, erzielten die beiden iberischen Länder Produktivitätszuwächse deutlich über dem EG-Durchschnitt
Bei anderen klassischen Modernisierungsindikatoren gibt es zwar eine langsame Annäherung an eu-ropäische Standards. Aber auch hinsichtlich der Analphabetenquote, der Säuglingssterblichkeit, der Telephonanschlüsse und der Ausgaben für Forschung und Entwicklung rangieren Griechenland, Portugal und Spanien im EG-Vergleich auf den letzten Plätzen. Nun ließe sich die These vertreten, dies sei ein Durchgangsstadium und die drei Länder würden ihren Entwicklungsrückstand aufholen und sukzessive an das Niveau der hochentwickelten westeuropäischen Staaten aufschließen. Dagegen spricht jedoch manches: Zunächst die Tatsache, daß sich gemessen am zentralen Vergleichsmaßstab (BIP pro Kopf) die Entwicklungsdifferenz weder in den letzten 30 noch 15 Jahren verringert hat. Die Gründe dafür sind vor allem in der kaum gelungenen Integration der drei Länder in die internationale Arbeitsteilung des Weltmarktes zu suchen Denn trotz höherer Wachstumsraten als alle anderen OECD-Länder während der sechziger Jahre hat sich nichts an der strukturellen Abhängigkeit der drei Länder von den dominanten Ökonomien geändert. Im Gegenteil: Die technologische Abhängigkeit ist gewachsen, die Kapitalgüterindustrie ist nach wie vor schwach, die sektorale Kohärenz gering, die reale Einkommensentwicklung von außenwirtschaftlichen Faktoren wie ausländischen Direktinvestitionen, Tourismus und Handel bestimmt. In der transnationalen Kapitalzirkulation sind Griechenland, Portugal und Spanien Nehmer-und nicht Geberländer. Im Vergleich zu der kapitalintensiven Produktion der Länder des ökonomischen „Zentrums“ ist das Segment der arbeitsintensiven Produktion noch zu umfangreich. Und trotz der infolge des niedrigeren Lohnniveaus partiell vorhandenen komparativen Kostenvorteile bei weniger entwickelten Gütern macht die Export-Import-Struktur Portugal und Griechenland nach wie vor zu Opfern des Güteraustausches (terms of trade). Exportiert werden vornehmlich jene einfacheren Niedriglohnprodukte (Nahrungsmittel, Textil, Bekleidung, Schuhe etc.), aus denen sich die fortgeschrittenen Industrienationen sukzessive zurückgezogen haben Spanien scheint immer mehr eine intermediäre Position zwischen der südeuropäischen Peripherie und den EG-Kemländem einzunehmen. Es hat sich stärker von Produktionen mit niedriger Technologie, geringem Kapitaleinsatz und unqualifizierter Arbeit zu kapitalintensiveren Industrien mit Standardtechnologie (Chemie, Stahl, Metallverarbeitung, Autos) entwickelt. Es bleibt aber relativ schwach im Hochtechnologiebe-reich So kann auch Spanien sich der Logik des Wettlaufes zwischen Hase und Igel nicht entziehen. Zwar erreichte es in den vergangenen Jahrzehnten durch beachtliche Entwicklungsschübe immer wieder einen neuen Stand der ökonomischen Entwicklung, den aber hatten die hochentwickelten Ökonomien des Weltmarktes auf dem Weg in eine neue Entwicklungsphase schon wieder verlassen.
Sieht man einmal von dem Paradox ab, daß die südeuropäische Peripherie sich zur Vollendung der industriellen Moderne anschickt, während die fortgeschrittensten Gesellschaften gerade mit deren Aporien, Fallen und Risiken zu kämpfen haben, bleiben erhebliche Zweifel, daß die drei Länder überhaupt die Fähigkeit besitzen, um einen tragfähigen Modernisierungskonsens dauerhaft etablieren zu können. Außenwirtschaftliche und binnen-gesellschaftliche Restriktionen dürften sich gleichermaßen hemmend auf den südeuropäischen Modernisierungswettlauf auswirken -Die relative Schwäche insbesondere der Märkte Griechenlands, aber auch Portugals und mit weiterer Einschränkung auch Spaniens wird komplementiert von einer relativen Schwäche der zivilen Gesellschaft und des Staates. Vereinfacht läßt sich folgende Kausalkette des Ineinandergreifens von ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Faktoren erkennen: Die Marktschwäche drückt sich in einer geringen Bedeutung des Kapitalgütersektors und niedriger Produktivität aus; dies zieht einen geringen Ausbildungsgrad der Arbeiterschaft und niedrige Löhne nach sich; das wiederum birgt die Gefahr sozialer Konflikte und inflationärer Risiken; diese Problemkonstelldtion trifft auf ein System von industriellen Beziehungen, das organisatorisch fragmentiert, ideologisch polarisiert und kaum zu längerfristigen Konzertierungspolitiken fähig sein dürfte; dem Staat, der als drittes Steuerungsmedium Markt-und Gesellschaftsversagen zumindest teilweise kompensieren könnte, sind in vielfältiger Weise die sowieso nicht sehr „effizienten Hände“ gebunden, denn der hohe Verflechtungsgrad der Weltwirtschaft und die starke außenwirtschaftliche Abhängigkeit Griechenlands, Spaniens und Portugals verhindern weitgehend eine national eigenständige makroökonomische Steuerung; darüber hinaus nehmen seit 1981 bzw. 1986 die staatlichen Steuerungsoptionen durch die fortschreitende Übertragung nationaler Prärogativen auf die EG weiter ab.
Dennoch bestehen erhebliche Zweifel, ob sie der Größe der Anpassungsprobleme dort überhaupt gerecht werden können.
III. Ökonomische Kosten und Nutzen der EG-Mitgliedschaft
Abbildung 3
Tabelle 2: Zivile Beschäftigung nach Wirtschaftssektoren Quelle: Eurostat 1978 (vergleichbare Daten für Griechenland und Portugal sind erst ab 1977 erhältlich). 1989
Tabelle 2: Zivile Beschäftigung nach Wirtschaftssektoren Quelle: Eurostat 1978 (vergleichbare Daten für Griechenland und Portugal sind erst ab 1977 erhältlich). 1989
Betrachtet man die Europäische Gemeinschaft unter dem Aspekt einer Zollunion, sind zwei Elemente von besonderer Bedeutung: der vollkommene Abbau der Zollschranken zwischen den Mitgliedsstaaten und eine gemeinsame Zollpolitik gegenüber Drittländern. Dies hat die Wirkung einer Liberalisierung des Handels im Inneren der Gemeinschaft und einer Diskriminierung des Handels mit der Außenwelt. Ob in einer solchen Zollgemeinschaft handelserweiternde oder handelsumlenkende Effekte auftreten, steht a priori nicht fest Dies hängt vielmehr davon ab, ob es gelingt, Produktionen von kostenintensiven Regionen einiger Mitgliedsstaaten in kostengünstigere Standorte anderer Mitgliedsländer zu verlegen. Geschieht dies, wird die Produktion nach der Theorie der komparativen Kostenvorteile effizienter unter den Mitgliedern reorganisiert. Die daraus entstehenden positiven Effekte müssen jedoch mit den negativen saldiert werden, die dadurch entstehen, daß mitunter kostengünstigere Produkte aus Drittländern aufgrund der Zollschranken durch kostenungünstigere Waren innerhalb der Zollunion ersetzt werden müssen. Die Produktion verschiebt sich dann zu einem weniger effizienten Standort Entstehen für die Gemeinschaft wohlfahrtssteigernde Effekte, was für die EG als Ganzes nach 1993 zweifellos zu erwarten ist, ist noch nichts über die Symmetrie ihrer internen Verteilung entschieden. Diese theoretischen Überlegungen zu den Effekten einer Zollunion lassen sich auch auf die Problematik der EG-Süderweiterung für die neuen Mitgliedsländer beziehen. Analog wäre zu fragen, ob der Beitritt von Griechenland, Portugal und Spanien zu der „Zollunion“ EG wohlfahrtssteigernde Effekte für diese Länder gehabt hat, oder profitierten vor allem deren Handelspartner in der Gemeinschaft? Bei der Beantwortung dieser Fragen sollen kurz-und langfristige Effekte berücksichtigt werden. Als kurzfristige Wirkungen lassen sich die Entwicklung der Handelsbilanzen und Nettotransfers zwischen der EG und den neuen Mitgliedsländern unterscheiden. Langfristige Effekte betreffen fundamentale dynamische Faktoren für das Wirtschaftswachstum, wie Produktivitätszuwächse, Anlageinvestitionen und Rationalisierungseffekte
Der Übergang von einer protektionistisch abgeschirmten in eine offene Wirtschaft zwang zu einer grundsätzlichen Revision der Handelspolitik vor allem in Spanien, mit Einschränkung aber auch in Portugal (vormals EFTA-Mitglied) und Griechenland (seit 1962 EWG-assoziiert). Als besonders problematische Integrationsbarrieren erwiesen sich dabei die starke Zersplitterung der Produktionskapazitäten, die veralteten Kapitalstöcke sowie ineffiziente staatliche Monopole und private Oligopole die hinter den einstigen Schutzmauern protektionistischer Abschottung und hoher Staatszuschüsse überleben konnten. Die EG war sich durchaus der erheblichen Integrationsprobleme bewußt, die sich zwangsläufig aus dem Zusammenschluß der industriell hochentwickelten europäischen Kern-länder mit den strukturschwachen Staaten des Südens ergaben. Deshalb räumte sie in den Beitritts-verhandlungen den neuen Mitgliedern fünf-bis siebenjährige Übergangsfristen ein, in denen die Zollschranken der drei Staaten sukzessive abgebaut und die Zollabkommen der Gemeinschaft gegenüber Drittländern übernommen werden sollten. Gleichzeitig sollten gezielte Strukturhilfen aus den EG-Fonds für Regionale Entwicklung und für Soziales sowie aus dem Ausrichtungs-und Garantiefonds für die Landwirtschaft die Wettbewerbsfähigkeit der südeuropäischen Volkswirtschaften stärken. Eine Saldierung der Finanzbeiträge zum und Leistungen aus dem EG-Haushalt zeigt, daß alle drei Länder als Netto-Transferbezieher finanziell von ihrer EG-Mitgliedschaft profitieren (vgl. Tabelle 4).
Nach einem Beschluß von 1988 sollen die EGÜberweisungen an die drei Länder bis 1992 noch verdoppelt werden. Die Nettotransfers an die südeuropäische Peripherie werden also weiter steigen. Die gestiegenen Nettotransfers aus der EG müssen zudem mit der Veränderung der Handelsbilanzen der drei Länder bis 1992 saldiert werden. Und hier ergibt sich ein vollkommen anderes Bild: Die Erwartung, daß der Abbau der Handelsbarrieren eine asymmetrische Wirkung auf die Handelsbilanzen der Gemeinschaft haben werde, traf tatsächlich ein. Das Verhältnis von Importen zu Exporten innerhalb der Gemeinschaft verschlechterte sich rapide zuungunsten der neuen Mitglieder. Dies hat zwei Gründe. Zum einen folgt hier die reale Entwicklung nur einer ökonomischen Schulweisheit, derzufolge wettbewerbsstärkere Volkswirtschaften ihre Produkte, da höherwertig und kostengünstiger, in weniger entwickelten Ländern schneller und massenhafter absetzen können als umgekehrt. Zum anderen hatte die EG über Vorzugsabkommen den Industrieprodukten der drei Länder den Zugang zum Gemeinsamen Markt schon vor deren Beitritt erheblich erleichtert, während die Zölle in diesen Ländern gegenüber EG-Waren weitgehend bestehen blieben. So exportierten Griechenland schon vor 1980 und Spanien und Portugal vor 1986 über 60 Prozent ihrer Manufakturgüter zollfrei auf die Märkte der Gemeinschaft Nach dem Beitritt setzte synchron zur sukzessiven Absenkung der Zölle in den drei Ländern ein Importsog aus der EG ein, während die Exporte in die EG-Länder im Falle Portugals und Spaniens deutlich langsamer anstiegen und im Falle Griechenlands stagnierten und 1988 gar unter die Marge von 1984 fielen. Der Beitritt jedenfalls führte zu Handelsbilanzdefiziten (Spanien) oder verschärfte die schon vorher existierenden negativen Salden drastisch (vgl. Tabelle 5).
Zugespitzt läßt sich formulieren, daß die drei Südländer bei den Sekundäreffekten der Integration (EG-Transfers) die Gewinner waren, bei den ökonomisch weit wichtigeren Primäreffekten (Import/Export-Entwicklung) zu den Verlierern zu rechnen sind
Dennoch sind hier zwei differenzierende Einschränkungen angebracht. Spanien hat in den vergangenen Jahren zu einem weit größeren Anteil Investitionsgüter importiert als Portugal oder gar Griechenland. In diesem Sinne dürfte dort ein weit größerer Anteil der Importe als längerfristige Investition in die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit der spanischen Wirtschaft betrachtet werden. Ob es aber selbst Spanien schafft, den sich in Südeuropa bisher bewahrheiteten Satz: „Die Liberalisierung stärkt vor allem die Starken“ zu durchbrechen, wird an den langfristigen Effekten der Integration zu messen sein. Wenngleich in Spanien unter den drei Ländern noch am ehesten die Voraussetzungen dafür bestehen und zweifellos auch erhebliche Modernisierungsfortschritte in den letzten fünf Jahren zu beobachten sind, ist der Zeitraum der EG-Mitgliedschaft bisher zu kurz, um eindeutige Aussagen treffen zu können. Für das schon seit zehn Jahren der Gemeinschaft angehörende Griechenland haben sich die Hoffnungen bisher nicht erfüllt. Weder hat der Konkurrenzdruck aus der EG zu den erhofften Rationalisierungseffekten (economies of scale) oder zu wettbewerbsfähigeren Unternehmen geführt, noch kam es zu einer sichtbaren Verminderung ökonomischer Risiko-und Unsicherheitsfaktoren, die allein zu einem ausgedehnten europäischen Investitionsengagement führen können. Der relativ kleine Markt Griechenland, wie im übrigen auch der Markt Portugal, läuft Gefahr, nicht von Direktinvestitionen zu profitieren, sondern weitgehend durch Exporte abgedeckt zu werden.
Zur EG-Integration der südeuropäischen Länder gab es jedoch keine Alternative. Eine Verweigerung hätte die südliche Peripherie vollends von der wirtschaftlichen Weiterentwicklung Europas abgekoppelt. Eine tendenzielle Albanisierung wäre eher als eine Skandinavisierung zu erwarten gewesen. Auch soll keineswegs bestritten werden, daß Wohlfahrts-und Modernisierungseffekte durch die EG-Integration in allen drei Ländern zu beobachten waren. Der Abstand zum europäischen Zentrum hat sich dadurch aber kaum verringert. In diesem Sinne ist der Süden nach wie vor nicht nur die geographische Peripherie Europas.
Wolfgang Merkel, Dr. phil., geb. 1952; post graduate studies in „International Affairs“ an der Johns-Hopkins-University in Bologna; 1985 — 1988 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld; 1988— 1989 John F. Kennedy Fellow am Center for European Studies der Harvard University; seit 1989 wiss. Assistent am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Heidelberg. Veröffentlichungen u. a.: Vom Oppositionssozialismus zur Staatspartei. Die sozialistische Partei Italiens unter Bettino Craxi, Bochum 1985; Sozialdemokratische Politik in einer post-keynesianischen Ära? Das Beispiel der sozialistischen Regierung Spaniens, in: Politische Vierteljahresschrift, (1989) 4; Niedergang der Sozialdemokratie? Sozialdemokratische und sozialistische Regierungspolitik im westeuropäischen Vergleich, in: Leviathan, (1990) 1; (Hrsg. zus. mit Ulrike Liebert) Die Politik zur deutschen Einheit. Probleme — Strategien — Kontroversen, Opladen 1991.
Helfen Sie mit, unser Angebot zu verbessern!
Ihre Meinung zählt: Wie nutzen und beurteilen Sie die Angebote der bpb? Das Marktforschungsinstitut Info GmbH führt im Auftrag der bpb eine Umfrage zur Qualität unserer Produkte durch – natürlich vollkommen anonym (Befragungsdauer ca. 20-25 Minuten).