Der Beitrag versucht, vor dem Hintergrund der schon mehr als drei Jahrzehnte andauernden Diskussion um Umweltbelastungen als anscheinend zwingende Folge von Industrialisierung und vor allem angesichts der Umbruch-Situationen in Osteuropa einige Problemfelder der Umweltthematik in dieser Region zu analysieren. Dabei wird deutlich, daß in fast allen Ländern die Wirtschaftsentwicklung der vergangenen Jahrzehnte mit einer gravierenden Verschlechterung der Umweltsituation verbunden war. Am Beispiel der Sowjetunion werden zunächst einige Umweltbereiche betrachtet, danach vor allem die Umweltpolitik unter Gorbatschow dargestellt. Die Länder Ostmittel-und Südosteuropas (CSFR, Polen, Ungarn, Bulgarien) werden als Beispiele einer Umweltpolitik zwischen Anspruch und Wirklichkeit analysiert. Der Transformationsprozeß in der ehemaligen DDR könnte eine Chance für eine neue Umweltpolitik bedeuten. Die entscheidenden Ursachen für die katastrophale Situation der Umwelt sind in systemimmanenten Gründen zu suchen. Mit dem Umbruch und der Demokratisierung verbinden sich nicht nur eine Offenlegung der Umweltverhältnisse (Öko-Glasnost), sondern es werden auch Ansätze zu einer neuen praktischen Politik sichtbar. Eine wesentliche Verbesserung wird allerdings erst mit einem ökologisch verträglichen Umbau der Wirtschaft erzielt werden können. Die Hilfe der europäischen Nachbarn ist dabei eine wichtige Voraussetzung.
I. Grenzüberschreitende Umweltproblematik
Seit mehr als drei Jahrzehnten werden in westlichen wie in östlichen Ländern die sehr komplexen Probleme der Umweltbelastungen als eine anscheinend zwingende Folge von Industrialisierung und Wirtschaftswachstum diskutiert. Hatte sich zu Anfang dieser Umweltdebatten das Interesse vornehmlich auf die Analyse der Symptome im regionalen oder globalen Maßstab beschränkt, so war in den letzten Jahrzehnten eine verstärkte Auseinandersetzung mit den Ursachen der Umweltbelastungen zu verzeichnen
Aus der Erkenntnis der hohen Kosten zur Beseitigung oder Verminderung von Umweltschäden trat in den westlichen, mit zeitlicher Verzögerung auch in den östlichen Industrieländern, der ökonomische Aspekt der Umweltbelastungen in den Vordergrund. Ansatzpunkt dieser Überlegungen war, daß in absehbarer Zeit die natürlichen Ressourcen vollständig erschöpft oder in ihrr Regenerationskraft durch übermäßige Nutzung geschwächt sein würden. Zu berücksichtigen war außerdem, daß die früher in begrenztem Umfang als „freie Güter“ betrachteten Medien Luft und Wasser zu teuren Wirtschaftsgütern würden.
Aus diesen Erkenntnissen resultierten zahlreiche Ansätze umweltökonomischer Theorien. Vor allem in den siebziger und achtziger Jahren wurde die Diskussion um die Ursachen von Umweltbelastungen hineingezogen in die Auseinandersetzungen um alternative Wirtschafts-und Gesellschaftssysteme Zwei Positionen standen sich dabei gegenüber: Zum einen wurde die Ursache der Umwelt-krise generell in der modernen Industriegesellschaft gesehen, als Folgeerscheinung fortschreitender Industrialisierung und Technisierung. Zum anderen galt das Wirtschafts-und Gesellschaftssystem selbst als entscheidende Ursache.
Bis in die frühen achtziger Jahre wurde in den meisten sozialistischen Ländern Ostmittel-und Osteuropas das Dogma von der eo ipso umweltkonformen Wirtschaftsordnung des Sozialismus propagiert und entsprechend gefolgert, die Umweltkrise im Kapitalismus sei eine zwangsläufige Folge des Profitstrebens.
Umweltbelastungen, Störfunktionen im System Umwelt — Gesellschaft der sozialistischen Länder, galten als zeitbedingte, nur durch den Sozialismus überwindbare Phänomene oder als Erbe früherer kapitalistischer Wirtschaftsweisen bzw. als Folgeerscheinungen des vom Kapitalismus aufgezwungenen „Wettbewerbs der Systeme“. Ähnlich wie die sechziger Jahre waren auch die achtziger Jahre für Osteuropa zu einer Periode der Wirtschaftsreformen geworden. Der zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts einsetzende Trend weg vom Primat der Wirtschaftspolitik (Strukturpolitik, Investitionspolitik), wie er für die siebziger Jahre, typisch war. hin zur Reformpolitik, hat schließlich am Ende dieses Jahrzehnts eine Dynamik gewonnen. die über die Perestrojka in der Sowjetunion zu dem grundlegenden Umbruch in Osteuropa führte. Unabhängig davon, wie man die Erfolge dieser Perestrojka. auch in den Auswirkungen auf die Entwicklungen in den anderen ehemals sozialistischen Ländern, bewertet, hat sie doch über eine Öko Glasnost zur entscheidenden Öffnung der Umwelt-diskussion und Umweltpolitik beigetragen.
Die politischen und ökonomischen Veränderungen im „alten Osteuropa“, die von der friedlichen Wende in der DDR über die blutigen Ereignisse in Rumänien und die „samtene“ Revolution in der Tschechoslowakei zu einer Rückkehr der ehemals sozialistischen Länder nach Europa und zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten reichten, haben nun für die Bewertung und Lösung der Um-weltprobleme in dieser Region neue Möglichkeiten und Chancen aufgetan.
Allerdings bleibt es fraglich, ob sich die in der westlichen Diskussion zurecht geforderte ökologische Strukturanpassung der Wirtschaft bzw. eine ökologisch orientierte Wirtschaftspolitik auch im Rahmen des rasch ablaufenden Transformationsprozesses von Wirtschaft und Gesellschaft im nun „neuen Osteuropa“ durchsetzen läßt Denn diese Länder stehen vor gewaltigen Aufgaben und zugleich vor einem kaum lösbaren Dilemma: Durch einen unverzüglichen Wirtschaftsaufbau bzw. durch eine grundlegende Umstrukturierung der Wirtschaft gilt es, eine schnelle politische Stabilisierung zu erreichen. Ferner müssen sie als Folge einer über vierzigjährigen sozialistischen Wirtschaftspolitik und Regionalentwicklung noch kaum überschaubare Altlasten bewältigen, die in einigen Regionen — z. B. in Polen und in der Tschechoslowakei — die Dimensionen einer ökologischen Krise bzw. eines ökologischen Desasters erreicht haben.
Im folgenden soll daher versucht werden, vor dem Hintergrund der abgelaufenen und sich noch vollziehenden politischen und ökonomischen Veränderungen die äußerst vielfältigen und unterschiedlich dimensionierten Umweltprobleme an jeweils ausgewählten Länderbeispielen nachzuzeichnen.
II. Die Umweltsituation in osteuropäischen Ländern
Abbildung 2
Tabelle 2: Wirtschaftliche Indikatoren und Energieverbrauch (Stand: Mitte der achtziger Jahre) Quelle: J. Slama (Anm. 6), S. 154.
Tabelle 2: Wirtschaftliche Indikatoren und Energieverbrauch (Stand: Mitte der achtziger Jahre) Quelle: J. Slama (Anm. 6), S. 154.
Die Umweltprobleme und die Umweltpolitik der ehemals sozialistischen Länder Ostmittel-und Osteuropas sind nicht erst seit der Katastrophe von Tschernobyl (26. April 1986) verstärkt in das wissenschaftliche wie öffentliche Interesse gerückt. Bereits in den sechziger und siebziger Jahren wurden in den damaligen RGW-Ländern, allerdings primär unter umweltökonomischen Sachzwängen, ökologisch ausgerichtete Umweltforschung betrieben und Umweltkonzeptionen vorgelegt (z. B. in der CSSR und in der DDR), die auch international diskutiert wurden.
Jedoch zeigte es sich schon damals, daß es angesichts eines erheblichen Vollzugsdefizits innerhalb der Umweltgesetzgebung völlig irreführend ist, von fortschrittlichen Umweltkonzeptionen allein auf eine bessere (oder verbesserte) Umweltqualität zu schließen. Die Informationspolitik über die Ereignisse von Tschernobyl spiegelt die sehr unterschiedlichen Möglichkeiten für eine öffentliche Umwelt-diskussion (und damit auch Umweltpolitik) in den einzelnen östlichen Ländern zu jener Zeit wider (UdSSR, Polen. DDR).
Seit jener Katastrophe sind jedoch — in Verbindung mit den sich langsam durchsetzenden ökonomischen und politischen Veränderungen (Sowjetunion, Ungarn) — neue Tendenzen in der Umweltpolitik Osteuropas festzustellen.
Das Bewußtwerden des Gefahrenpotentials von Kernkraftwerken hat deutlich gemacht, daß Um-weltprobleme weit über nationale Grenzen hinausgehen und daher nur im Zuge einer gegenseitig abgestimmten Informations-und Umweltpolitik gelöst werden können. In diesem Sinne erhielten in den vergangenen Jahren auch die oftmals als ÖkoKriege apostrophierten grenzüberschreitenden Umweltprobleme im böhmisch-sächsischen Erzge-birge, im südpolnisch-nordmährischen Grenzraum, im slowakisch-ungarischen (Gabcikovo-Nagymaros) oder rumänisch-bulgarischen Donaugebiet (Russe) einen neuen Stellenwert
Schließlich ist es — bei allen Vorbehalten — den westlichen Industrieländern in den letzten Jahren gelungen, eine gewisse Entkoppelung des Wirtschaftswachstums resp.des Niveaus der Wirtschaftsentwicklung von der Inanspruchnahme natürlicher Ressourcen bzw.der Umweltbelastung zu erreichen.
In allen europäischen RGW-Ländern war dagegen die Wirtschaftsentwicklung der siebziger und achtziger Jahre mit einer deutlichen Verschlechterung der Umweltsituation verbunden. Das sich in den westlichen Ländern verstärkende Umweltbewußtsein (mit Verzögerung auch in den östlichen Ländern) — vor allem die ernsthaften Versuche von Politik und Wirtschaft, von einer nachsorgenden auf eine präventive Umweltpolitik überzugehen — läßt gerade im Zuge des Zusammenwachsens von Europa eine Beschäftigung mit den Umweltproblemen des „neuen“ Osteuropas notwendig erscheinen.
Eine erste quantifizierende Kennzeichnung der zunehmenden Umweltbelastungen in Osteuropa erlauben die Ergebnisse der umfangreichen empirischen Studie von J. Slama Diese Bestandsaufnahme erfolgte vor dem Hintergrund der weltweiten Umweltbelastungen, im Ost-West-Vergleich und in Beziehung zum jeweiligen Niveau der Wirtschaftsentwicklung. Den Daten für die Bewertung der Luftverschmutzung (vor allem durch Stäube, Flugasche u. a. Schwebstoffe wie Schwefeldioxid, Stickoxide und organische gasförmige Verbindungen) kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu, denn Luftschadstoffe stellen auch für andere Umweltbereiche wie Gewässer, Böden oder Vegetation und nicht zuletzt für den Menschen wesentliche Belastungen dar. Sie bilden aufgrund ihrer grenzüberschreitenden Wirkung zugleich ein internationales Konfliktpotential. Für die Industrieländer sind diese Daten zudem international vergleichbar.
J. Slama konnte in seiner Analyse feststellen, daß die Emissionen von SO 2 in Osteuropa pro Kopf der Bevölkerung 204 Prozent, pro Einheit Energieerzeugung 141 Prozent und pro Einheit Bruttosozialprodukt (BSP) 248 Prozent des westeuropäischen Niveaus betrugen. Die Immissionen pro Kopf der Bevölkerung erreichten in Osteuropa 235 Prozent, pro Flächeneinheit 43 Prozent der Werte Westeuropas
Tabelle 1 bietet eine Übersicht über die Entwicklung von Schwefeldioxid-(SO 2) und Stickoxidemissionen (NO,) ausgewählter Industrieländer des Ostens und Westens für die Zeit von 1980 bis 1985; damit werden bereits die wesentlichen Belastungsdimensionen sichtbar. Tabelle 2 erlaubt sodann eine nähere Differenzierung der Belastungen für die Länder Osteuropas, wobei diese Daten in Relation zum jeweiligen Energieverbrauch und zum erwirtschafteten Bruttosozialprodukt gesetzt werden. Differenziert nach Regionen wiesen dabei folgende Länder die höchsten Emissionen an SO 2 pro Million Einwohner auf:
DDR: 240 000 t CSSR: 223 000 t Ungarn: 161 000 t Polen:
123 000 t UdSSR: 97 000 t Bezogen auf das erwirtschaftete Bruttosozialprodukt ergab sich folgende Reihung (Menge an SO 2 pro Milliarde US-Dollar): -DDR: 35 000 t -CSSR: 35 000 t — Ungarn: 28 000 t — Polen: 24 000 t — Rumänien: 20 000 t Hinsichtlich der Emissionen von Stickoxiden (NO.) wiesen zur selben Zeit die sozialistischen Länder pro Einheit Bruttosozialprodukt 183 Prozent der Emissionswerte westlicher Länder auf. Die Rangfolge innerhalb des Ostblocks wurde hier von der DDR angeführt, gefolgt von der Tschechoslowakei und Bulgarien.
Die hier zitierten Daten, die sich in den letzten Jahren zum Teil noch verschlechtert haben und die nur annähernd die bedrohliche Umweltsituation in Osteuropa widerspiegeln, sind Ausdruck eines ganzen Ursachenbündels. Zu ihm zählen natürliche Faktoren wie klimatologische und hydrologische Bedingungen, die unterschiedlichen Ressourcen-strukturen (z. B. ungünstige feste Brennstoffe), aber auch technologische Rückstände und Lücken (z. B. beim Energieeinsatz: er ist zwei bis dreimal höher als in westlichen Ländern). Die entscheidenden Ursachen waren jedoch systembedingt: die der sozialistischen Wirtschaft entsprechende Wirtschaftspolitik mit der Präferenz für Energie-und Rohstoffwirtschaft, Schwerindustrie und Chemie, das mangelnde (ökonomische und politische) Interesse an einer Umweltentlastung sowie eine letztlich nicht wirksame Umweltgesetzgebung (praktische Umsetzung und Kontrolle).
Nachfolgend werden diese Wirkungszusammenhänge ebenso wie die Struktur und die Dimensionen der Belastungen nach den einzelnen Ländern differenziert.
III. Zur Umweltsituation und Umweltpolitik in der Sowjetunion
Abbildung 3
Tabelle 3: Entwicklung der Emissionsstrukturen 1985-1988 (in Mio. t)
Tabelle 3: Entwicklung der Emissionsstrukturen 1985-1988 (in Mio. t)
1988 hat das „Staatskomitee für Umweltschutz“ der UdSSR erstmals einen umfassenden Bericht zur Umweltsituation und zur Umweltpolitik vorgelegt Was in den Jahren vor Tschernobyl bzw. vor Beginn der Perestrojka durch Geheimberichte und Einzelstudien, durch verschiedene in-und ausländische Medien bruchstückhaft angedeutet werden konnte, erfuhr nun in einer weit größeren Dimension Bestätigung und ergab ein düsteres Bild der ökologischen Lage: Luftbelastungswerte wurden in vielen Städten um das Fünfzehnfache überschritten, 70 Prozent der nach dem Gesetz zu reinigenden Gewässer wurden ungeklärt abgeleitet, Böden sind durch Erosion, Versalzung oder unsachgemäße Bearbeitung geschädigt, oftmals erheblich mit Pestiziden oder Schwermetallen belastet. Regional betroffen sind dabei nicht nur die Ballungsgebiete und Wirtschaftszentren, sondern ebenso die Räume extensiver Entwicklungen wie in Sibirien oder Mittelasien. 1. Die Luftbelastungen und ihre Ursachen In der letzten Statistik (1988) wurden die Schadstoffemissionen von Industrie und Energiewirtschaft mit 61, 7 Mio. t angegeben, das bedeutet insgesamt im Vergleich zu 1980 einen Rückgang. Die Entwicklung der Emissionsstrukturen läßt sich aus Tabelle 3 ersehen.
Zur Ermittlung der Verursacher bzw.der Emissionsquellen fehlen allerdings entsprechende Kataster, doch erlaubt die neuere Umweltstatistik eine Zuordnung zu einzelnen Branchen. Danach zählen zu den größten Emittenden die Kraftwerke mit 15, 4 Mio. t (Anteile an SO-Em. in Prozent: 43, an NOx-Em.: 59, an Flugasche: 40), die Eisen-und Stahlindustrie mit 10, 4 Mio. t, die Nicht-Eisen-Metallurgie mit 5, 9 Mio. t (davon 4, 5 Mio. t SO 2), ferner die Erdölindustrie (ohne Abfackelung) mit 5, 6 Mio. t und die Erdgasindustrie mit 2, 8 Mio. t. Auch die erdölverarbeitende und die petrochemische Industrie gehören zu den Luftverschmutzern (3, 7 Mio. t), die zudem zu einem Drittel für die Kohlenwasserstoff-Emission verantwortlich zeichnen.
Ergänzt werden diese Spitzenreiter der Beiaster durch weitere Branchen der Montan-und Grundstoffindustrie, der chemischen Industrie und Düngemittelerzeugung. Trotz einer weitaus geringeren Verkehrsdichte (abgesehen von einigen Ballungsräumen) erzeugt das Verkehrswesen 36 Mio. t Schadstoffe, davon allein 29 Mio. t Kohlenmonoxide; die Tendenz ist dabei steigend.
In keiner größeren sowjetischen Industriestadt werden sämtliche, an den Empfehlungen der WHO orientierte Grenzwerte eingehalten. Landesweit ist eine Überschreitung der Jahresdurchschnittswerte bei Staub, Phenolen, Ammoniak und NOX festzustellen, bei Schwefelkohlenstoff, Formaldehyd und Benzpyren sogar um das Zwei-bis Dreifache. Nach Zeitungsmeldungen leben 70 Mio. Menschen in Städten, in denen die Schadstoffkonzentrationen der Luft die MIK-Werte (maximale Immissionskonzentration) zeitweise um das Fünffache übersteigen; in 68 Prozent aller Städte mit insgesamt 43 Mio. Einwohnern wurden 1988 an einzelnen Tagen die Grenzwerte mindestens um das Fünfzehnfache überschritten.
Aus dem schon zitierten Umweltbericht ist ersichtlich, daß zu den gefährdeten Städten die Haupt-städte Alma-Ata, Duschanbe, Kiew, Erewan, Frunse, Süd-Moskau, ferner die Millionenstädte Dnepropetrowsk, Donezk, Kujbyschew, Nowosibirsk, Odessa, Omsk, Perm, Rostow am Don, Swerdlowsk und Tscheljabinsk gehören. Damit handelt es sich bei diesen Belastungsgebieten also nicht nur um die traditionellen Zentren der Montan-und Schwerindustrie wie die südliche Ukraine (Gebiet Donezk: 3 Mio. t Industrieemissionen pro Jahr, t/a) oder der südliche und mittlere Ural (Tscheljabinsk: 420 000 t/a, Magnitogorsk: 871 000 t/a Belastungen). Betroffen sind auch jene Räume, die in den vergangenen Jahrzehnten als Entwicklungsstandorte bzw. Entwicklungsregionen durch überdimensionierte Industrialisierung geprägt wurden: z. B. das Gebiet Norilsk in Sibirien (1987: 2, 4 Mio. t Em.) oder einzelne Wirtschaftsräume in Kasachstan.
Extensive Raumerschließung, der Aufbau einer Infrastruktur (Energie), chemische oder ölverarbeitende Industrie oder Aluminiumproduktion haben die Industrieemissionen zwischen 1980 und 1987 um 20 Prozent ansteigen lassen. Zusätzlich zu den selbstverursachten Luftbelastungen ist die UdSSR stark von grenzüberschreitender Luftverschmutzung betroffen. Nach Angaben des Umweltberichtes entfielen 1988 von den 15 Mio. t SO 2-Immissionen ca. 3 Mio. t auf „Importe“ aus westlichen Nachbarländern.
Die Zusammenhänge zwischen Luftverschmutzung und Schädigung der Wälder, zwischen saurem Regen und Waldsterben sind wissenschaftlich erwiesen. Weißenburger hat in seiner Untersuchung auf diese Vegetationsschäden hingewiesen. Danach gelten in mehreren Regionen der Nadelwaldzone die Wälder als durch industrielle Schadstoffemissionen (SO 2, NOx, Fluorwasserstoffe) erheblich geschädigt. Beispiele für ein Waldsterben finden sich vor allem auf der Halbinsel Kola, in den sibirischen Regionen um Ust-Iljimsk oder Norilsk. Gravierende Schäden treten aber auch im Kussbas oder im Gebiet des Baikal-Sees auf. 2. Zur Gewässerbelastung Das Baikal-See-Problem stand in den letzten zwanzig Jahren symbolhaft für die Auseinandersetzung zwischen Politik/Ökonomie und Ökologie Es war Gegenstand mehrerer Partei-und Regierungsbeschlüsse, in der Region wurde relativ viel in den Umweltschutz investiert. Dennoch ist das Ökosystem des Sees nach wie vor in Gefahr.
Aus der Übersicht über die Investitionen im Bereich des Umweltschutzes (Tabelle 4) läßt sich zugleich die volkswirtschaftliche Bedeutung des Gewässerschutzes in der UdSSR ableiten. Im Mittelpunkt dieses Themenkreises stehen insbesondere die Fragen der Abwasserreinigung in den Städten und Ballungsgebieten, die Verschmutzung der Ostsee und des Nordpolarmeeres, aber auch die Belastung der Binnenseen und Fließgewässer. Generell ist in der UdSSR die Menge der als unzureichend gereinigt geltenden Gewässer von 15, 9 (1985) auf 28, 4 Mrd. m 3 (1989) gestiegen.
In mehr als 600 Städten gilt die Abwasserreinigung als nicht gewährleistet; von den 30 Mio. t Schadstoffen. die 1988 in Gewässer abgeleitet wurden. waren allein 15 Mio. t Chloride, 11 Mio. t Sulfate, 2. 1 Mio. t organische Stoffe und Schwebstoffe. Dazu kamen Tenside, Erdölprodukte und Pestizide.
Als besonders problematisch gelten die Belastungen im Einzugsbereich des Kaspischen Meeres (13, 6 Mrd. m 3 verschmutzte Abwässer, nur 18 Prozent gereinigt). Gleiches gilt für die Wolga, wo Grenzwerte bezüglich der Phenol-Erdöl-Belastung um das Achtfache und bezüglich der Kupfersalze um das Fünfzehnfache überschritten wurden. Ähnlich hohe Belastungen weist das Schwarze Meer auf; auch hier sind bereits andere Wirtschaftszweige (z. B. Fischfang) erheblich betroffen. Die Belastungsstrukturen lassen eindeutige Rückschlüsse auf die Verursacher zu. So sind für das Schwarze Meer vor allem die Chemie-sowie die Eisen-und Stahlindustrie für das „ökologische Umkippen“ verantwortlich.
Die Reihe der ökologischen Krisengebiete ließe sich fortsetzen: Trotz internationaler Absprachen weisen weite Küstenabschnitte der Ostsee — insbesondere durch die bei Leningrad mündende Newa, aber auch durch die Standortentwicklungen an der Küste der Baltischen Länder — zunehmende Belastungen auf.
Der Baikal-See ist nicht nur Symbol, sondern auch ein Sonderfall der gesamten sowjetischen Umwelt-problematik. Dieser größte Süßwassersee der Erde (23 000 km 3) enthält 80 Prozent der Süßwasservorräte der UdSSR und bildet zugleich ein einzigartiges, jedoch hochsensibles Ökosystem. Zwar konnte seit 1984 die Schadstoffeinleitung reduziert werden; ins Auge gefaßt wurde dabei die Umstrukturierung des Baikal-Zellulose-und Papierkombinates. Dennoch hat sich der ökologische Zustand des Sees noch nicht nennenswert gebessert, da die Realisierungen von Umweltschutzmaßnahmen in der Einzugsregion des Baikal-Sees hinter den Planungen weit Zurückbleiben.
Mit der Baikal-Wasserverschmutzung ist das Umweltproblem der Wasserbilanzen in der Sowjetunion eng verknüpft. Überhöhter Wasserverbrauch in Industrie und Landwirtschaft hat in einigen Regionen wie im Ural, im Donezbecken, im zentralen Schwarzerdegebiet oder in den zentralasiatischen Republiken zu beträchtlichen Defiziten geführt. Die überhöhte Inanspruchnahme der Gewässer hat besonders in Zentralasien ökologische Notstandssituationen verursacht.
Das bekannteste Beispiel bildet der Aral-See. Seit 1960 fiel sein Wasserspiegel um 13 Meter, seine Fläche verringerte sich um ein Drittel, der Salzgehalt stieg, einstige Hafenstädte sind heute Wüsten-städte. Erfolgen keine raschen Gegenmaßnahmen, ist der See im Jahr 2010 ausgetrocknet.
Hierbei handelt es sich nicht um einen Einzelfall. Daher haben Zentralkomitee und Ministerrat 1988 ein umfangreiches Sanierungskonzept verabschiedet, und zunehmend setzt sich die Erkenntnis durch; daß die extensiven und kostenintensiven Bewässerungsprojekte der entsprechenden Ministerien als Ursache für die entstandenen ökologischen Probleme anzusehen sind. 1986 wurden deshalb — im Zeichen der neuen Öko-Glasnost — die seit Jahrzehnten immer wieder verfolgten Pläne zur Umleitung eines Teils der nordeuropäischen und sibirischen Flüsse nach Süden aufgegeben. 3. Umweltbewußtsein, Umweltgesetze, Umwelt-kompetenzen Bis zu 40 Prozent der Sowjetbürger leben unter „ungünstigen“ Umweltbedingungen, 20 Prozent leben in einem ökologischen Krisengebiet. Bei den oben angedeuteten Belastungsdimensionen lassen sich die gesundheitlichen Schäden für die Bevölkerung leicht ermessen. Es ist daher nicht verwunderlich, daß es seit Mitte der achtziger Jahre mit Glasnost und Perestrojka zu veränderten Einstellungen der offiziellen Umweltpolitik, zu einem höheren Umweltbewußtsein und zu entsprechenden Aktivitäten der Bevölkerung gekommen ist. Die Gründung von Bürgerbewegungen wie „Ökologie und Frieden“, „Sozialökologischer Bund“ oder „Grüner Frieden“ sind prominente Beispiele; inzwischen agieren über 40 000 Gruppierungen. Die volkswirtschaftlich relevanten Schadenssummen von über 50 Milliarden Rubel werden nicht mehr beschönigt. Ökonomische Notwendigkeiten und Druck der Bevölkerung haben allerdings noch nicht zu einer wesentlichen Erhöhung der Umweltschutzinvestitionen geführt.
Obwohl die Sowjetunion kein umfassendes Umweltschutzgesetz (z. B. wie das Landeskulturgesetz in der ehemaligen DDR) besitzt, ist eine nachhaltige Durchsetzung einzelner Gesetze erkennbar. Vorgesehen sind außerdem nach dem Verursacher-prinzip zu erhebende Abgaben und Bußgelder ebenso wie Maßnahmen, die bis zur Schließung ganzer Produktionsstandorte führen können.
Hervorzuheben ist auch der Versuch, die Kompetenzen neu zu gestalten: Eine Zentralisierung sowohl auf Staatsebene (Staatskomitee für Umweltschutz) wie auch auf Republikebene soll die Effizienz der Maßnahmen erhöhen. Wesentlich ist dabei das Bemühen, den Umweltschutz in die räumliche Planung zu integrieren (im Sinne einer Verträglichkeitsprüfung) und vor allem die einzelnen Unternehmen und Behörden in die Verantwortung zu nehmen. Ob dies aber bei den geplanten gigantischen Projekten in Westsibirien gelingt, ist fraglich: Im Gebiet Tjumen sollen in den nächsten zehn Jahren im Rahmen eines Joint Ventures mit Firmen aus den USA, Japan, Deutschland und Italien fünf große Öl-, Erdgas-und Chemiekomplexe errichtet werden. Hier droht ein Eingriff in Ökosysteme, der den Ausmaßen der Belastungen in den Tropischen Regenwäldern gleichkommt.
Angesichts der gegenwärtigen katastrophalen wirtschaftlichen Lage und des bisherigen Vollzugsdefizits in der Gesetzgebung ist zu befürchten, daß sich „ökonomische Sachzwänge“ durchsetzen. Dies zeigt sich — nicht nur in der Sowjetunion — an der Frage des weiteren Einsatzes von Kernenergie. Trotz der noch nicht abzuschätzenden Folgen von Tschernobyl (über 10 Mrd. Rubel an Kosten bislang) wird — mit Ausnahme in der CSFR — an den Kernenergiekonzeptionen festgehalten.
IV. Die Umweltdiskussion in den Ländern Ostmitteleuropas
Abbildung 4
Tabelle 4: Staatliche Umweltinvestitionen 1976-1988 Quelle: U. Weißenburger (Anm. 10), S. 24.
Tabelle 4: Staatliche Umweltinvestitionen 1976-1988 Quelle: U. Weißenburger (Anm. 10), S. 24.
Geographische Bestimmungsgrößen, politisch-historische Entwicklungen, wirtschaftliches und technologisches Potential sowie die Intensität der Raumerschließung lassen nur sehr bedingt einen Vergleich der Umweltsituation in der Sowjetunion mit den Problemen der kleineren Länder Ostmitteleuropas zu. Dennoch zeichnen sich im Ursache-Wirkungs-Gefüge der Umweltbelastungen und in der Umweltpolitik nach über vier Jahrzehnten gemeinsamer Wirtschafts-und Gesellschaftspolitik vielfältige Übereinstimmungen ab, wenngleich in länderspezifischer Form und Dimension.
So war die Tschechoslowakei bereits vor dem Zweiten Weltkrieg ein hochindustrialisiertes Land mit einer ausgewogenen Industriestruktur und einer leistungsfähigen Landwirtschaft. Als nach der kommunistischen Machtübernahme 1948 dann diesem Land das sowjetische Modell der Planwirtschaft aufgezwungen wurde, bedeutete dies eine völlige Umstrukturierung der Wirtschaft mit hohen Investitionen in die Bereiche der Grundstoffindustrie, der Energiewirtschaft und der Infrastruktur. Das führte bis in die Gegenwart zu Disproportionen in der Volkswirtschaft.
Mit dem Modell der „Industrialisierung als Motor der Raumentwicklung“, das für alle ost-und ostmitteleuropäischen Länder galt, war stets das grundlegende Problem der Rohstoff-und Ressourcenpolitik, die Frage der Nutzungsintensität und der Effizienz des Ressourceneinsatzes (insbesondere im Energiebereich) verbunden.
In Polen ließen bereits in den fünfziger Jahren, verstärkt aber in den sechziger und siebziger Jahren, zahlreiche Verordnungen, Gesetze, Programme und Zielkonzeptionen ein gewisses Umweltbewußtsein oder Ansätze von Umweltpolitik erkennen. Jedoch wird in einer Analyse dieser Unterlagen das ganze Dilemma zwischen Wunsch und Realität deutlich: Es gab und gibt kaum Aussagen, wie unter den jeweils gegebenen wirtschaftlichen Bedingungen diese „Programme“ realisiert werden sollen Am Beispiel Ungarn läßt sich exemplarisch der Zusammenhang zwischen den verschiedenen Reformen der letzten Jahrzehnte (seit 1968) und der Umsetzung realistischer Umweltpolitik dokumentieren. Erst das ungeheure Tempo, das der Umbau des politischen Systems seit dem Sommer 1988 entwickelte, hat die Bedingungen für ein kritisches Umweltengagement geschaffen. Eine im Vergleich zur CSFR oder Polen verspätet einsetzende Industrialisierung und eine überdurchschnittliche Bedeutung der Landwirtschaft waren die Ursachen dafür, daß Fragen des Umweltschutzes im Bewußtsein der Bevölkerung nur eine geringe Rolle spielten
Der wiederum im Vergleich zur DDR, CSFR oder Polen relativ geringe Problemdruck hat außerdem dazu beigetragen, daß eine staatliche Umweltpolitik erst mit großer Verzögerung einsetzte. Wie stark dann allerdings im Zuge der Demokratisierung die Regierung unter den öffentlichen Druck der Ökologie-Bewegungen geriet, zeigt die Rücknahme der Entscheidung zum Bau des Donaukraftwerkes Nagymaros im Mai 1989.
Lange Zeit wurde der Weg Bulgariens, der Über-gang von einem rückständigen Agrarland hin zu einem Agrar-Industrie-Staat nach sowjetischem Modell (wenn auch mit geringen Abweichungen), als eine sehr erfolgreiche Entwicklung bewertet. Eine gut funktionierende Agrarwirtschaft, der Tourismus und eine räumlich stark konzentrierte Industrie schienen feste Säulen zu bilden. Was anscheinend in den drei Nachkriegsjahrzehnten wirtschaftsfördernd wirkte, eben die „sozialistische Landwirtschaft“ mit ihren Großbetrieben, großflächigen Monokulturen und sich ständig extensiv erweiternden Produktionen, bedroht nun Flora und Fauna (verursacht durch übermäßige Düngergaben und damit enorme Boden-und Wasserbelastungen) oder fördert wie in der Donauniederung die Erosion wertvoller Böden.
Die „sozialistische Industrialisierung" mit ihrem Trend zu Industriegiganten hat in Verbindung mit falschen Standortentscheidungen (z. B. Becken von Sofia) einen enormen Anstieg der Luft-, Gewässer-und Bodenbelastungen nach sich gezogen und rief zugleich Nutzungskonflikte hervor, die andere Wirtschaftszweige existenziell gefährdeten (z. B. Industriekomplexe und Tourismus an der Schwarzmeerküste)
Während in der Tschechoslowakei die Umweltprobleme bis zum Umbruch im Herbst 1989 zwar vereinzelt diskutiert, aber in ihrer Dimension geheim gehalten wurden (wie auch in der DDR), konnte in Polen sehr offen und direkt eine Auseinandersetzung über Ursachen und Wirkungen ablaufen. Die konkreten Auswirkungen praktischer Umweltpolitik aber waren nur in der kurzen Zeit der Solidarnosc vor Verhängung des Ausnahmezustands 1981 voll spürbar.
In Bulgarien beschränkte sich diese Umweltdiskussion auf einen engen Bereich des Naturschutzes; eine wirklich ökologisch orientierte Auseinandersetzung scheint sich nun erst nach dem Umbruch zu formieren: Schiffsdemonstrationen auf der Donau. Brückenblockaden sowie die Konflikte um die rumänisch-bulgarischen Industriekomplexe Giurgiu und Russe zwangen die Regierung, zur katastrophalen Lage der Umwelt Stellung zu beziehen. Doch die ebenso katastrophale aktuelle Wirtschaftslage Bulgariens läßt offensichtlich nur wenig Spielraum.
Obwohl die Tschechoslowakei im Vergleich mit Ungarn, Polen oder gar mit Bulgarien, Rumänien und der Sowjetunion in ihrer gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage recht gut abschneidet, bietet die Umweltsituation ein besorgniserregendes Bild. Trotz der in den letzten zwanzig Jahren erlassenen Gesetze und Verordnungen, trotz etablierter Meßund Warnsysteme hat sich die Umweltqualität radikal verschlechtert Schon zu Beginn der siebziger Jahre waren vor allem in den alten industriellen Ballungsräumen, aber auch in den Randgebirgen Böhmens, Mährens und in der Slowakei warnende Vorzeichen einer ökologischen Krise erkennbar. Jedoch wurden diese von der politischen Führung nicht ernst genug genommen.
Mehr als 58 Prozent der Wälder in Böhmen und Mähren sowie 35 Prozent der Waldgebiete in der Slowakei gelten als Folge der Luftverschmutzung durch Stäube, SO 2, CO, NOx oder Kohlenwasserstoffe als stark geschädigt. Fast 70 Prozent der Flüsse sind belastet oder sogar ökologisch tot. Über 70 Prozent der toxischen Abfälle werden unsachgemäß gelagert. Hohe Konzentrationen von Nitraten. Nitriten, Nitrosaminen. Pestiziden und toxischen Metallen beeinträchtigen in zunehmendem Maße die Qualität der Lebensmittel. Nahezu 35 Prozent der Bevölkerung — über fünf Mio. Menschen — leben in Gebieten, deren Lebensmilieu als hygienisch stark beeinträchtigt gilt.
Als Verursacher, durch Meßergebnisse und Kataster seit 1987 erfaßbar, lassen sich wie in den anderen östlichen Industrieländern vor allem jene Produktionsanlagen ausmachen, die fossile Energieträger einsetzen bzw. Kraftstoffe umsetzen. Hierzu zählen insbesondere die Hütten-und Buntmetallindustrien und die Chemie (Kohle-und Petrochemie). Mitte der achtziger Jahre entfielen 39, 5 Prozent der festen Emissionen auf den Brennstoff-und Energiesektor sowie 13, 1 Prozent auf die Hütten-bereiche. Die Brennstoff-und Energiebranche lag auch bei den SO 2-Emissionen mit 64, 1 Prozent und bei den NOx-Emissionen mit 64, 5 Prozent Anteilen an der Spitze. Die Zusammenhänge zwischen Energiestruktur, Energieeinsatz und Luftbelastung, die für alle ehemaligen Ostblockländer gelten, lassen sich beispielhaft für die CSFR aus der Abbildung erkennen (S. 22).
Entsprechend der regionalen Konzentration von Bevölkerung und Industrie gehören in der CSFR die traditionellen Wirtschaftsregionen wie Nordmähren (Revier Ostrava) — in denen sich der Steinkohlenbergbau (23 Mio. t/a). die Metallurgie (zwei Drittel des Landes) und die Chemie konzentrieren — oder Nordböhmen zu den Hauptbelastungsgebieten und ökologischen Krisenregionen. Dabei wurde die Umweltsituation im Ostrauer Revier — die nicht nur von Luft-und Gewässerbelastungen, sondern auch von Bergsenkungen. Bodendevastierungen und Waldschäden bestimmt wird — bereits im Rahmen von RGW-Umweltprogrammen analysiert. Das durch Braunkohlenbergbau, Kraftwerke und Chemie geprägte Nordböhmische Bekken ist die am stärksten zerstörte und belastete Kulturlandschaft in Europa.
Aber nicht nur die klassischen Montangebiete stellen ökologische Krisengebiete dar. sondern auch die Hauptstadtregion Prag: Hier verursachen ständige Überschreitungen von erlaubten Konzentrationswerten jährliche Kosten von über 1. 2 Mrd. Kronen; zusätzlich werden die nicht unbedingt nur monetär erfaßbaren gesundheitlichen Schäden für die Bevölkerung auf über eine Mrd. Kronen beziffert. Ebenso besorgniserregend ist die Tatsache, daß die nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten Industriekomplexe wie die der slowakischen Hauptstadt Bratislava (40 Prozent der chemischen und petrochemischen Produktion des Landes) oder die Entwicklungsstandorte in der Mittel-und Ost-slowakei mit zu den Verursachern der Umweltbelastungen zu rechnen sind.
Zu den „selbstverursachten“ Belastungen von Luft. Gewässern. Böden und Vegetation kommen für die CSFR in besonderem Maße „importierte“ Schadstoffe. So standen 1987 z. B.den 441 000 t SO-Exporten immerhin 302 000 t SOz-Importimmissionen gegenüber, die aufgrund der großklimatischen Situation vorwiegend die bewaldeten Randgebirge Böhmens und der Slowakei gefährden. Die Tschechoslowakei steht — ebenso wie in weit schwierigerer Weise Polen oder gar die Sowjetunion — vor der Frage, in welcher Reihenfolge unter den Bedingungen der gegenwärtigen Wirtschaftslage und der knappen Ressourcen die Schwerpunkte der Strukturpolitik gesetzt werden sollen. Das gilt vor allem in bezug auf die katastrophale Zerstörung der Umwelt, auf konkurrierende Ziele der verwahrlosten Infrastruktur (Verkehrswesen, Städtebau) oder auf die unumgängliche Modernisierung des veralteten Produktionsapparates; fraglich ist auch, in welche Richtung der Energiesektor, Einsparungen vorausgesetzt, entwickelt werden muß
Diese Problemstellungen gelten in noch größerem Maße für Polen. Das bereits angesprochene Dilemma der Umweltpolitik, die Diskrepanz zwischen einer umfangreichen Umweltstatistik, Umweltgesetzgebung und umweltpolitischen Konzeptionen und der Realität, die Polen als eines der am höchsten belasteten Länder Europas kennzeichnet, ist in zahlreichen politologischen und soziologischen Untersuchungen dargestellt worden. Ähnlich wie in der Tschechoslowakei haben in den siebziger und achtziger Jahren die Emissionen dramatisch zugenommen. Innerhalb von fünf Jahren stiegen die gasförmigen Emissionen um fast 69 Prozent, die Schwefeldioxidexhalationen allein um 33 Prozent, die des Kohlenmonoxids hatten sich verdreifacht, die der Stickoxide und Kohlenwasserstoffe mehr als verdoppelt. Als Verursacher sind wie in den anderen Ländern auch hier die Stein-und Braunkohlenkraftwerke (Anteil bei Stäuben und Gasen 39 Prozent), die Metallhütten (32 Prozent), die chemische (9 Prozent) und die Baustoffindustrie (8 Prozent) auszumachen.
1986 wurde eine Dokumentation publiziert, in der u. a. 145 Betriebe und Standorte mit den durch sie verursachten Schäden sowie die benötigten Investitionen zur Sanierung genannt wurden. Die gesamte Sanierungssumme bezifferte man auf 501, 354 Mrd. Zloty; zu den größten Investitionsbedürftigen zählten dabei Hüttenbetriebe und Chemiewerke
Entsprechend der Raumstruktur der Wirtschaft Polens sind die Regionen des Südens und Südwestens am stärksten von den Belastungen betroffen Bereits 1984/85 wurden 27 „Zonen der ökologischen Gefährdung“ ausgewiesen, die etwa 35 200 km 2 (entsprechend 10, 3 Prozent der Landesfläche) umfassen und in denen rund ein Drittel der polnischen Bevölkerung lebt.
Zu den „ökologischen Katastrophengebieten“ zählen neben der Region der Danziger Bucht das Kupferrevier von Glogau und Liegnitz sowie vor allem das Oberschlesische Industrierevier (vgl. Tab. 5). Als Altindustriegebiet mit traditioneller Montanstruktur und seinen Strukturproblemen ist es nach wie vor das industrielle Kernstück der polnischen Wirtschaft. So werden in der Wojwodschaft Katowice, die nur 2, 1 Prozent der Landesfläche einnimmt, in der 10, 5 Prozent der Bevölkerung mit 19, 5 Prozent der Industriebeschäftigten Polens (1985) leben, 98, 4 (jeweils in Prozent) der Steinkohle, 100 der Zink-und Bleierze Polens gefördert sowie 100 der Zink-und Bleiproduktion. 53, 7 der Stahl-, 32, 3 der Koks-und 27, 3 der Elektroenergieerzeugung erbracht. Zugleich betrug der Anteil (jeweils in Prozent) der Wojwodschaft an der Gas-emission 32, 3, an der Staubemission 26, 3 und an der Abwassererzeugung 20 der Landesmengen. Jährlich werden hier ca. 60 Prozent der industriellen Abfälle Polens „produziert“.
Was für die altindustrialisierten Gebiete der CSFR galt, muß in verstärktem Maße für Oberschlesien gesagt werden. Eine Verbesserung der Umweltqualität — vor allem auf den Gebieten Luft, Wasser, Boden, Vegetation und Umwelthygiene — kann nicht nur durch Umweltschutzmaßnahmen (z. B. Filter) erreicht werden, sondern muß über einen Strukturwandel der Produktion und eine Umorientierung der Produktionsziele angestrebt werden.
Besonders besorgniserregend ist in Polen wie in der Tschechoslowakei die Tatsache, daß die Umweltbelastungen auch in den vor 1945 wenig industrialisierten Gebieten zunehmen. So hat der extensive industrielle Ausbau, z. B. im Glogau-Liegnitzer Kupferrevier, Raubbau mit den vorhandenen Ressourcen betrieben, der Pflanzen, Tiere und Menschen gleichermaßen bedroht. Auch Regionen an der Ostseeküste oder in Nordostpolen, die als wertvolle ökologische Ausgleichsräume fungieren könnten, wurden durch Luft-und Gewässerbelastungen (z. B. Weichsel, Danziger Bucht, Stettiner Bucht) „entwertet“.
Falsche Standortentscheidungen, z. T. politisch motiviert wie im Falle Krakaus, haben zudem wertvolles Kulturgut stark geschädigt: Der Zustand der Altstadt von Krakau ist ein trauriges Symbol. Ob nun angesichts der von der neuen polnischen Führung zur Überwindung der polnischen Krise verordneten Schocktherapie auf dem Wege zur Marktwirtschaft eine verstärkt präventive Umweltpolitik möglich sein wird, bleibt abzuwarten.
V. Transformationsprozesse in der ehemaligen DDR
Abbildung 5
Abbildung: Zeitliche Entwicklung der Luftverschmutzung in der CSFR durch SO 2 und feste Stoffe in Abhängigkeit von Kohleförderung und Elektrizitätserzeugung Quelle: Gutachten der Ökolog. Sektion der Tschech. Biolog. Gesellschaft der Zustand und Entwicklung der Umwelt in der Tschechoslowakei, esk Budejovice, Prag 1989, S. 6.
Abbildung: Zeitliche Entwicklung der Luftverschmutzung in der CSFR durch SO 2 und feste Stoffe in Abhängigkeit von Kohleförderung und Elektrizitätserzeugung Quelle: Gutachten der Ökolog. Sektion der Tschech. Biolog. Gesellschaft der Zustand und Entwicklung der Umwelt in der Tschechoslowakei, esk Budejovice, Prag 1989, S. 6.
Seit der Wiedervereinigung Deutschlands erlebt die ehemalige DDR auf allen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sozialen Ebenen einen Umbruch, dessen Konsequenzen für die Bevölkerung heute nicht abzusehen sind. Auch in der Umweltpolitik werden sich mit der Übernahme bundesdeutscher ZielVorstellungen, Verordnungen und Gesetze grundlegende Veränderungen ergeben. Erst seit der Wende ist das gewaltige Ausmaß der Umwelt-belastungen transparent geworden, obwohl zuvor durch Medien, Bürgerinitiativen oder kirchliche Organisationen lokal und regional immer wieder auf katastrophale Zustände aufmerksam gemacht wurde.
Betrachtet man rückschauend die Entwicklung der Umweltpolitik in der DDR, so muß daran erinnert werden, daß Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre die Umweltpolitik eingespannt war in das Ziel einer internationalen Anerkennung der DDR (z. B. auf der UNO-Konferenz in Stockholm 1972). Später erforderte der ökonomische Druck eine verstärkte wissenschaftliche und technologische Auseinandersetzung mit der Gesellschaft — Umwelt — Problematik. Das in der Verfassung verankerte „Landeskulturgesetz“ galt, wie andere Aktionsprogramme damals, als (theoretisch) vorbildlich. Doch die energiepolitischen Antworten auf die Energiepreiserhöhungen 1973/1979, die rigorose Ausweitung der Energieerzeugung auf einheimischer Rohstoffbasis (Anteil der Braunkohle: 70 Prozent) sowie die Versuche, im Bereich der Grundstoffindustrie Exporterfolge zu erzielen, führten zu einem unverantwortlichen Raubbau an Ressourcen und zur weiteren Belastung der Umwelt. Die Folge: Die „sozialistische Landeskultur“ trat in den Hintergrund, Umweltinformationspolitik wurde restriktiv gehandhabt (Geheimschutz). Zwar verpflichtete man sich 1984 und 1985 auf Umweltkonferenzen bzw. im Rahmen der Vereinbarungen der UNO-Wirtschaftskommission für Europa zur Emissionsverminderung (SO 2: 30 Prozent bis 1993), andere Verpflichtungen aber, z. B. innerhalb des RGW, wurden zurückgestellt
So legte erst der Umweltbericht des Ministeriums für Umweltschutzund Wasserwirtschaft im Februar 1990 schonungslos die Umweltsituation in der DDR offen Danach wurde z. B. die „unabdingbare Nutzung der Naturressourcen“ besonders durch Fehlentscheidungen der Standort-und Strukturpolitik verstärkt. Zu geringe Umweltschutzinvestitionen sowie vor allem die Entscheidungen zur Fortführung veralterter Produktionsprozesse und zur Steigerung des Braunkohleneinsatzes verschärften die Umweltbelastungen besonders in den Bezirken Leipzig und Halle, im oberen Elbetal sowie im Raum Cottbus, Zittau und Görlitz.
Verursacht durch einen jährlichen Ausstoß von 2, 2 Mio. t Staub (1980: 2, 4 Mio. t) und 5, 2 Mio. t SO 2 (1980: 4, 2 Mio. t) hatte die DDR die höchste Belastung aller europäischen Länder aufzuweisen. Bei einer der ungünstigsten Wasserbilanzen im europäischen Maßstab konnten 1988 wegen zu hoher Verschmutzung lediglich 20 Prozent des Wasserangebots zur Bewässerung oder Trinkwasseraufbereitung verwendet werden. Umgekehrt wurden nur zwei Drittel aller Industrieabwässer gereinigt. Diese beiden Beispiele sowie die inzwischen hinlänglich bekannten Dimensionen vielfältiger Belastungen werden nur noch übertroffen von jenen Altlasten, die mit der Übernahme der ehemals sowjetisch-deutschen AG Wismut, mit dem Uranbergbau und der Nuklearindustrie auf den Staat zukommen: Ganze Landstriche (z. B. im Erzgebirge und in Ostthüringen) müssen saniert, Kraftwerke demontiert und Altlasten entsorgt werden. Mit der Wende und den sich gegenwärtig vollziehenden Transformationsprozessen scheinen auch Chancen für eine neue Umweltpolitik gegeben zu sein. Sie beschränken sich nicht nur darauf, Fehlentwicklungen zu kurieren, sondern bieten auch Ansätze zu einer Neuorientierung, wobei durchaus auch tradierte Strukturen überdacht werden sollten (z. B. Wärme-und Energieversorgung, Verkehrs-systeme). Unbestritten ist, daß eine Emissionsminderungspolitik allein nicht ausreicht. Standortstillegungen oder Umprofilierungen erreichen zwar rasche Wirkungen, erfahren aber oft aus betriebs-oder volkswirtschaftlichen Gründen Verzögerungen bzw. sind sozialpolitisch nicht akzeptabel. Zu beachten bleibt auch, daß schon seit Jahrzehnten Stoffeintragungen in Landschaft und Ökosysteme erfolgten, die als Altlasten Wirkungen zeigen.
Ein „ökologischer Umbau“ der Wirtschaft, wie er oftmals diskutiert wurde, erscheint unter dem gegebenen politischen und wirtschaftlichen Druck kaum möglich. Aber der zweifellos notwendige, grundlegende Wandel der Wirtschaft sollte zumindest an einer ökologischen Verträglichkeit orientiert sein.
VI. Ein Ökologieplan für Osteuropa?
Abbildung 6
Tabelle 5: Staub-und gasförmige Emissionen in Polen, in der Wojwodschaft Katowice sowie in deren Städten (1986) Quelle: M. J. Weifens (Anm. 17), S. 361.
Tabelle 5: Staub-und gasförmige Emissionen in Polen, in der Wojwodschaft Katowice sowie in deren Städten (1986) Quelle: M. J. Weifens (Anm. 17), S. 361.
Wie gezeigt werden konnte, war in den vergangenen zwei Jahrzehnten in fast allen Ländern Osteuropas die Wirtschaftsentwicklung mit einer deutlichen Verschlechterung der Umweltsituation verbunden. Die Ursachen: Mängel im ökonomischen und rechtlichen Mechanismus, absolute Priorität der Produktionsziele und administrative Planauflagen orientierten die Wirtschaftsgebiete auf eine extensive Nutzung der Ressourcen; externe Effekte blieben unberücksichtigt, Umweltgesetze erwiesen sich in der Praxis als wirkungslos.
Bei der augenblicklichen Wirtschaftslage sind diese Länder kaum im Stande, die ökologische Krise aus eigener Kraft zu bewältigen. Bereits vor Jahren war die Unterstützung des Umweltschutzes in den osteuropäischen Ländern ein Bestandteil der Ost-West-Kooperation. Schweden, Finnland, die USA und die Bundesrepublik waren beteiligt. Alle Aktivitäten hatten den Nachteil, keiner Gesamtkonzeption zu folgen. Der im Spätherbst 1989 von Schewardnadse vorgebrachte und auch in Deutschland aufgegriffene Vorschlag eines langfristigen ökologischen Programms für Europa (u. a. Energie-einsparung, Reaktorsicherheit, Umweltschutzindustrien, Luftreinhaltung, Gewässerschutz, Entlastungsschwerpunkte) bietet diesen Ländern eine echte Chance. Daß sie trotz der angespannten weltpolitischen Situation, im Nahen Osten wie in Osteuropa selbst, ergriffen werden kann, ist zu hoffen.
Horst Förster, Dr. phil., geb. 1940; Professor für Geographie an der Ruhr-Universität Bochum; Leiter der Fachkommission Wirtschafts-und Sozialwissenschaften im Herder-Forschungsrat. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Wirtschafts-und regionalen Geographie Ostmittel-und Osteuropas, insbesondere zur Tschechoslowakei, Polen. Ungarn und zum RGW.
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