Über Abgeordnete im allgemeinen und über ihre Amtsauffassung im besonderen sind viele Vorurteile im Umlauf. Empirische Untersuchungen zum, Amtsverständnis deutscher Abgeordneter fehlen hingegen weitgehend. Diese Forschungslücke wird anhand einer Studie an bayerischen Landtags-, Bundestags-und Europaabgeordneten geschlossen. Zunächst wird gezeigt, daß Parlaments-und Wahlkreisarbeit sich als die wichtigsten Tätigkeitsfelder der Abgeordneten erweisen, die um Partei-und Öffentlichkeitsarbeit sowie um die Tätigkeit auf politischen Spezialgebieten ergänzt werden. Sodann werden die einzelnen Züge des Amtsverständnisses identifiziert. Dieses ist geprägt durch die Arbeit im Parlament sowie durch die Bereitschaft zu intensiver Informationsaufnahme und zur Umsetzung dieser Informationen in politische Arbeit und Entscheidungen bei klarer Betonung der damit einhergehenden Führungsaufgabe gewählter Politiker. Wichtige Bestandteile sind ferner die Ansicht, Abgeordnete hätten Dienstleistungsaufgaben für ihre Wahlkreise und die dort lebenden Bürger zu erfüllen, sowie die Vorstellung, ein Netzwerk an Kontakten, ein dichtes Kommunikations-und Interaktionsgeflecht solle von Parlamentariern aufgebaut, aufrechterhalten und genutzt werden, in dem Information, Willensbildung, Führung und Legitimierung möglich sind. Die jeweiligen Befunde werden mit vergleichbaren Daten aus den verfügbaren sonstigen Studien über deutsche Parlamentarier in Verbindung gesetzt. Dabei zeigt sich, daß von den bei bayerischen Abgeordneten gewonnenen Ergebnissen im großen und ganzen wohl auf das Amtsverständnis (west-) deutscher Parlamentarier verallgemeinert werden darf.
Über Abgeordnete weiß das gesunde Volksempfinden mancherlei: „Die da oben“ sind abgehoben, vom „eigentlichen Leben“ weit entfernt und zuallererst auf eigenen Vorteil aus; sie kümmern sich nicht um „den einfacher Bürger“, lügen ihrer Karriere willen wie gedruckt und haben, von Partei-oberen kujoniert, vom Fraktionszwang geknechtet und von der Lobby vereinnahmt, auf eigene Meinung und ihr Gewissen längst verzichtet. Wird im Kabarett formuliert: So wie Versicherungsvertreter Versicherungen verkauften, hielten es die Abgeordneten mit dem Volk, sind die Lacher gewiß
Doch wo sind die Daten, die solche Empfindungen belegen? Zweifellos sind Einzelfälle, der Tagespresse entnommen, leicht anzuführen. Doch die Annahme bedarf schon einer gewissen Naivität, daß ausgerechnet beim Umgang mit Politikern die alte Journalistenregel nicht mehr gelte, wonach „Hund beißt Mann“ nicht erwähnenswert, „Mann beißt Hund“ aber eine Meldung wert sei. Jedenfalls kann von solcher Medienberichterstattung über Abgeordnete nicht leichthin verallgemeinert werden; Urteile sollten sich auf die Ergebnisse systematischer Forschung stützen.
I. Forschungslücken
Abbildung 1
Abbildung 1: Die Tätigkeitsfelder eines Abgeordneten
Abbildung 1: Die Tätigkeitsfelder eines Abgeordneten
Allerdings tut man sich in Deutschland schwer, diese Forderung hinsichtlich des Amtsverständnisses von Abgeordneten zu beherzigen. Obwohl dessen Untersuchung seit der 1962 erfolgten Veröffentlichung der bahnbrechenden Studie „The legislative System“ von John C. Wahlke, Heinz Eulau, William Buchanan und LeRoy C. Ferguson in der US-geprägten internationalen Forschung nachgerade modisch wurde blieb die deutsche Parlamentarismusforschung hier abstinent Mit dem von Wahlke u. a. entwickelten Modell der Rollenorientierungen von Abgeordneten untersuchte zunächst ein amerikanischer Autor deutsche Volksvertreter: Arthur B. Gunlicks zeigte 1969 in einer Studie an Kommunalparlamentariern, daß zumal die von Edmund Burke inspirierte Trias von Repräsentationsrollen (der Abgeordnete als seinem Gewissen folgender „Trustee“, als quasi ein imperatives Mandat akzeptierender „Delegate“ und als um eine vermittelnde Position bemühter „Politico“) ungeeignet ist, die Rollenorientierungen deutscher Mandatsträger zu erfassen Ähnliches förderten 1983 und 1989 zwei Passauer Forschungsprojekte über bayerische Landes-, Bundes-und Europaparlamentarier zutage Nun ist die Zurückweisung falscher Annahmen zwar ein wertvolles Forschungsergebnis. Wertvoller wäre allerdings zu wissen, welche Annahmen wohl stimmen. Eigentlich hätte man Abgeordnete in Interviews nur zu ihrem Amtsverständnis befragen und ihnen frei formulierte Antworten gestatten müssen, um aus diesen Äußerungen dann herauszuarbeiten, was sich an Grundstrukturen eines möglicherweise gemeinsamen Mandatsverständnisses findet. Derlei Forschungen wurden aber kaum unternommen; Ausnahmen sind nur die Untersuchung von Gunlicks, die Passauer Abgeordnetenstudie sowie die Interviews der -leider nie mit einer umfassenden Monographie abgeschlossenen -Münchener Erhebung an den Abgeordneten des V. Deutschen Bundestages bei der indessen nicht das Amtsverständnis, sondern das Parlamentsverständnis der Abgeordneten in Frage stand Die seltenen Untersuchungen speziell des Amtsverständnisses arbeiteten vielmehr stets mit „geschlossenen Fragen“: auf vorgegebene, hypothetische Beschreibungen ihres Amtsverständnisses mußten die Abgeordneten mit Zustimmung oder Ablehnung reagieren. Dergestalt konnten zutreffende Ergebnisse nur dann erlangt werden, wenn die vorgegebenen Kategorien auf die abgefragten Komponenten des Amtsverständnisses paßten, wenn also gewissermaßen schon bekannt war, was es herauszufinden galt. Außerdem richtete die deutsche Parlamentarismusforschung ihr Interesse am Amtsverständnis von Parlamentariern stark auf die Entgegensetzung von Art. 38, I GG, der dem Abgeordneten Weisungsfreiheit und das Recht auf eigene Gewissensentscheidung garantiert, und Art. 21, 1 GG, welcher die Mitwirkung von Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes festschreibt So wurde, nicht zuletzt unter dem Einfluß der Parteienstaatslehre von Gerhard Leibholz folgende Frage zum zentralen Diskussionsgegenstand: Verstehen sich die Parlamentarier eher als allein ihrem Gewissen verantwortliche, dem ganzen Volk verpflichtete Treuhänder des Gemeinwohls -oder eher als „Delegates“ ihrer Parteien Um diese Frage konzentrierten sich analoge Fragen nach der Bindung des Abgeordneten an Interessenverbände sowie nach einer Rollenorientierung als Wählervertreter mit quasi-imperativem Mandat Überdies interessierte in erster Linie gar nicht die empirische Frage, wie es die Abgeordneten mit ihren Rollenorientierungen wirklich halten, sondern die normative Frage, wie sich ein Parlamentarier auf dem Kontinuum zwischen „freiem“ und „imperativem“ Mandat einordnen soll bzw. gemäß der bestehenden Rechtslage einordnen darf Diese einerseits staatsrechtliche, andererseits an der Funktionslogik parlamentarischer Demokratie orientierte politikwissenschaftliche Diskussion schob die offen gebliebene empirische Frage faktisch in den Hintergrund. Wann immer man sich an eine empirische Bestandsaufnahme des Amtsverständnisses von Abgeordneten machte, wurden jene in normativer oder systematischer Absicht ausgetauschten Argumentationen zum als selbstverständlich geltenden und in seiner methodischen Blickverengung kaum mehr reflektierten Bezugsrahmen der Fragebogenerarbeitung.
Abbildung 5
Tabelle 3: Das Verhältnis von Parlaments-und Wahlkreisarbeit: SOLL und IST
Tabelle 3: Das Verhältnis von Parlaments-und Wahlkreisarbeit: SOLL und IST
Weitere Studien, welche in ihrem Titel vom Selbst-oder Rollenverständnis der Abgeordneten sprechen, verzichteten völlig auf diesen Gegenstand betreffende Fragen: so Stefan Holl in einer Untersuchung an Landtagsabgeordneten in Baden-Württemberg und Ewald Rose/Joachim Hofmann-Göttig in einer Studie zum Selbstverständnis und zu den politischen Wertungen von Bundestagsabgeordneten Schon gar nicht hat die deutsche Abgeordnetenforschung ihren auf das Beobachtungsfeld zwischen „freiem“ und „imperativem“
Abbildung 6
Tabelle 4: Der Wähler-und Wahlkreisservice unter den Aufgaben eines Abgeordneten: SOLL und IST
Tabelle 4: Der Wähler-und Wahlkreisservice unter den Aufgaben eines Abgeordneten: SOLL und IST
Mandat gerichteten Blickwinkel zur Perspektive neuerer repräsentationstheoretischer Ansätze hin erweitert, welche die „Bindeglied-Funktion“ von Abgeordneten der Aufmerksamkeit empfehlen In dieser Betrachtungsweise, die man als „LinkagePerspektive der Repräsentationsforschung“ bezeichnen kann ist die Frage wichtig, ob und wie sich im Amtsverständnis eines Mandatsträgers die Aufgabe niederschlägt, durch politische Arbeit „sein“ Parlament mit dem zu regierenden Volk zu vernetzen und in diesem Netzwerk durch Kommunikation zugleich für Responsivität von Partei und Parlament sowie für politische Führung zu sorgen. Wenn Dietrich Herzog unlängst meinte, die Forschung über das Rollenverständnis der Abgeordneten betrete in der Bundesrepublik immer noch Neuland so hatte er offenbar weitgehend recht. Um diese Forschungslage zu verbessern, sollen die hier einschlägigen Befunde der Passauer Abgeordnetenstudie zusammengefaßt und mit den Ergebnissen der vorstehend dargestellten Arbeiten verglichen werden.
II. Das Amtsverständnis der bayerischen Abgeordneten
Abbildung 2
Tabelle 1: Das Amtsverständnis bayerischer Abgeordneter: „Was sind die wichtigsten Dinge, die ein Abgeordneter tun sollte?“ 25)
Tabelle 1: Das Amtsverständnis bayerischer Abgeordneter: „Was sind die wichtigsten Dinge, die ein Abgeordneter tun sollte?“ 25)
I. Die Grundstruktur des Amtsverständnisses Da Abgeordnete ihr Amtsverständnis vermutlich eher in ihrer praktischen politischen Arbeit denn anhand normativer Überlegungen ausprägen, soll die Beschreibung des Amtsverständnisses mit einem Blick auf die Tätigkeitsfelder von Abgeord-neten beginnen, und zwar aus der Perspektive der Abgeordneten. Sowohl in den Interviews als auch bei der schriftlichen Erhebung wurden die Parlamentarier gefragt, wie sie selbst ihre Aufgaben gliedern würden Den Antworten läßt sich folgendes Grundmuster entnehmen: Aus der Gestaltung der Rahmen in der Abbildung 1 ist zu erkennen, daß die am häufigsten genannten Tätigkeitsfelder die Parlaments-und die Wahlkreisarbeit sowie die Parteiarbeit an der regionalen Basis sind. Zur Wahlkreisarbeit gehören vor allem Tätigkeiten des Kontakthaltens zum vorpolitischen Raum, zur Bevölkerung allgemein und zu Behörden, sodann der weite Bereich des Wähler-und Wahlkreisservice und Repräsentationspflichten. Bei kommunalen Mandatsträgern, wie sie unter den Landtagsabgeordneten nicht selten sind, kommen kommunalpolitische Aufgaben hinzu. Die Verbindungspfeile geben an, wie stark die Abgeordneten die einzelnen Tätigkeitsfelder inhaltlich miteinander verbunden sehen. Hier sticht ins Auge, daß erfolgreiche Wahlkreisarbeit als Voraussetzung für die Sicherheit des parlamentarischen Mandats und somit für die Parlamentsarbeit gilt. Diese ist wiederum eng mit der Arbeit auf politischen Spezialgebieten verbunden.
Abbildung 7
Der Abgeordnete als „Sozialarbeiter“
Der Abgeordnete als „Sozialarbeiter“
Die in ihrer Aussage schwerlich überraschende Abbildung 1 ist die „Basis“ der Amtsvorstellungen von Abgeordneten; auf ihr lassen sich die Aufgabenprioritäten der Parlamentarier aufschichten. Diese wurden in den Interviews und auf dem Fragebogen mit der „klassischen“ Frage der Studie von Wahlke u. a. erhoben: „Wir würden Sie insgesamt den Beruf des Abgeordneten beschreiben? Was sind die wichtigsten Dinge, die ein Abgeordneter tun sollte?“ Die von 129 Befragten erhaltenen Auskünfte wurden zunächst einer qualitativen Inhaltsanalyse unterzogen. Bei ihr zeigte sich, daß die Kategorien der Rollentaxonomie von „The legislative System“ nicht auf die erhaltenen Auskünfte paßten. Darum wurde ein davon unabhängiges, von der Linkage-Perspektive der Repräsentationsforschung inspiriertes Kategorienschema entwickelt, welches die erhaltenen Aussagen besser zu erfassen erlaubt. Anhand dieses Schemas wurde eine quantitative Inhaltsanalyse vorgenommen, deren Ergebnis in Tabelle 1 zeigt, wie häufig welche Aufgaben eines Abgeordneten als besonders wichtig genannt wurden. In der hieraus entstehenden Rangordnung von „Amtspflichten“ spiegeln sich die Grundzüge des herauszufindenden Amtsverständnisses. Leicht lassen sich die Kategorien der Tabelle 1 den in Abbildung 1 zusammengestellten Tätigkeitsfeldern zuordnen. Zur Parlamentsarbeit gehören die Aufgaben der Gesetzgebungs-und Ausschußarbeit sowie der Kontrolle der Regierung, zur Wahlkreis-arbeit die Aufgaben der Kontaktpflege zur Bevölkerung, des Bürger-oder Wahlkreisservice bzw.des Agierens als Ombudsmann sowie die „Repräsentation“ von Parlament und Staat bei der Bevölkerung. Die Verwurzelung in der eigenen Partei zu pflegen ist Bestandteil der Parteiarbeit, während konzeptuelle Arbeit, Spezialisierung und überregionaler Einsatz die Tätigkeit auf politischen Spezialgebieten ausmachen. Die Öffentlichkeitsarbeit wird unter den Aufgaben der Abgeordneten nicht gesondert erwähnt, da sie als instrumentell aufgefaßt wird Die ansonsten genannten „wichtigsten Aufgaben eines Abgeordneten“ liegen quer zu einer Einteilung nach Tätigkeitsfeldern: Information aus vielerlei Kontakten und die Erarbeitung eines guten Informationsstandes sind für die gesamte Arbeit in Wahlkreis, Partei und Parlament von größter Bedeutung; die Umsetzung von Wünschen und Anliegen im Parlament sowie die Übernahme und Verdeutlichung von „Verantwortung für das Ganze“ bedürfen der Verschränkung aller Einzeltätigkeiten; und dasselbe gilt für die Sicherung von Vertrauen ebenso wie für die Ausübung politischer Führung Bezieht man die Häufigkeit, mit welcher die einzelnen Aufgaben genannt werden, in die Betrachtung ein, so läßt sich feststellen, daß das Amtsverständnis zunächst einmal geprägt ist von der typischen Aufgabe der Abgeordneten „als Korporation“: von der Arbeit im Parlament Die weiteren Grundzüge des Amtsverständnisses sind: -Informationsaufnahme, Umsetzung dieser Informationen in politische Arbeit und Entscheidungen („Responsivität“ bei klarer Betonung der damit einhergehenden Führungsaufgabe gewählter Politiker
Abbildung 8
Tabelle 5: Politische Diskussion als Bestandteil des Amtsverständnisses
Tabelle 5: Politische Diskussion als Bestandteil des Amtsverständnisses
-die Vorstellung, Abgeordnete hätten Dienstleistungsaufgaben für ihre Wahlkreise und die dort lebenden Bürger zu erfüllen -die Vorstellung, ein Netzwerk an Kontakten, ein dichtes Kommunikations-und Interaktionsgeflecht solle aufgebaut, aufrechterhalten und genutzt werden, in dem Information, Willensbildung, Führung und Legitimierung möglich sind
Abbildung 9
Tabelle 6: Die Bindeglied-Funktion im Amtsverständnis der Abgeordneten
Tabelle 6: Die Bindeglied-Funktion im Amtsverständnis der Abgeordneten
Dieses Amtsverständnis sollte sich wenigstens in groben Zügen in der tatsächlichen Amtsausübung von Abgeordneten niederschlagen. So verhält es sich auch, wie Herzog u. a. bei ihrer Untersuchung an den Abgeordneten des 11. Deutschen Bundestages herausfanden. Dort wurden die Parlamentarier gefragt: „Wenn Sie an Ihre Abgeordneten-Tätigkeiten insgesamt denken, worauf liegt da bei Ihnen das Schwergewicht der Arbeit? Welche der Tätigkeitsschwerpunkte würden Sie in erster, in zweiter, in dritter, in vierter und fünfter Linie nennen?“ Welche Schwerpunkte in erster Linie genannt wurden, zeigt die Tabelle 2.
Abbildung 10
Tabelle 7: Vertrauensstiftung als Kem der Arbeit eines Abgeordneten
Tabelle 7: Vertrauensstiftung als Kem der Arbeit eines Abgeordneten
Auch hier stehen die parlamentarischen Tätigkeiten an der Spitze (1), gefolgt von Aufgaben praktizierter Responsivität (2), politischer Führung (3), Dienstleistung (4) und der Erfüllung der Bindeglied-Funktion (5). Der aus Tabelle 1 abgeleitete und durch Tabelle 2 bekräftigte Befund läßt sich nun in einem Schaubild so darstellen, daß die gesuchte „Grundstruktur“ des Amtsverständnisses bayerischer Abgeordneter leicht zu überblicken ist. Zu diesem Zweck wird einerseits die Darstellung der Tätigkeitsfelder eines Abgeordneten aus Abbildung 1 verkürzt auf die Gegenüberstellung von Parlaments-und Wahlkreisarbeit Andererseits ist als Kontext des Schaubildes zu beachten, daß ein Abgeordneter stets weiß, nur als einflußreiches Mitglied seiner Partei seinen Aufgaben als Mandatsträger gerecht werden zu können.
Die laut Tabelle 1 das Amtsverständnis besonders I stark prägende parlamentarische Arbeit, zu der ein (Politiker in freien Wahlen abgeordnet wird, bildet gleichsam die Spitze des wie eine Pyramide aufgebauten „legislative System“ und besteht in jedem Fall aus Gesetzgebung und Kontrolle. Ihre Grundlage ist in jeder Hinsicht die Arbeit an der Basis in Partei und Region, bei der es auf die Pflege eines funktionstüchtigen Kontaktnetzes, auf vielfältige Informationen sowie auf die Erfüllung der Erwartung ankommt, ein Abgeordneter setze sich nachweislich für Wahlkreis und Wähler ein. Zwischen {Basis und Spitze der Pyramide des „legislative System“ und zwischen diesen beiden „Polen“ des Amtsverständnisses vermittelt die Bereitschaft, aus vielfältigen Kontakten aufgenommene Impulse wirklich in die parlamentarische Arbeit einzubringen („Responsivität“), sowie die Absicht, selbst Impulse zu geben und getroffene Entscheidungen gegen Kritik zu vertreten („Führung“). Führungskraft mit Responsivität zu paaren, der Responsivitätsbereitschaft stets Führungswillen beizumischen, erweist sich so als systematischer Angelpunkt der Rollenorientierungen von Abgeordneten und sollte die krasse Gegenüberstellung von freiem und imperativem Mandatsverständnis ersetzen.
Für die Tauglichkeit dieser schematischen Darstellung einer „Grundstruktur“ des Amtsverständnisses spricht, daß sie nicht nur auf eine Inhaltsanalyse frei formulierter Angaben der Abgeordneten gegründet ist, sondern in wesentlichen Teilen auch den Antworten auf acht gesondert gestellte quantitative Fragen zu den Rollenorientierungen von Parlamentariern abzugewinnen ist Diese Ant-Worten wurden einer Faktorenanalyse unterzogen. Bei ihr waren sowohl getrennt als auch gemeinsam für die Parlamentarier von CSU und SPD drei allgemeine Komponenten des Amtsverständnisses aufzufinden die sich klar in die Abbildung 2 einfügen lassen: „Bereitschaft zur politischen Führung und Legitimierung“, „Responsivitätsbereitschaft“ sowie „Bereitschaft zum Wähler-und Wahlkreisservice“. Jede diese drei allgemeinen Komponenten kann stärker oder schwächer ausgeprägt sein und führt dann zu anderen persönlichen Schwerpunktsetzungen im Amtsverständnis. 2. Einzelne Komponenten der Grundstruktur Betrachten wir nun die Komponenten der „Grundstruktur“ näher. Tabelle 3 stellt die Antworten auf folgende zwei Fragen zusammen: „Wo sollte nach Ihrem Urteil der Schwerpunkt der Tätigkeit eines Abgeordneten liegen?“, und: „Wo liegt aufgrund der gegebenen Umstände bei Ihnen praktisch der Schwerpunkt Ihrer Tätigkeit als Abgeordneter?“
Diese Tabelle bestätigt einesteils die Aussage der Tabelle 1, nach der das Amtsverständnis der Abgeordneten durch eine Rollenorientierung als Parlamentarier akzentuiert ist. Andemteils zeigt sie, daß die Abgeordneten praktisch weniger stark Parlamentarier sind, als sie es sein möchten Drei Gründe sind dafür anzuführen. Erstens ist zwar normativ klar, daß ein ins Parlament entsandter Abgeordneter am besten dort seinen Arbeitsschwerpunkt haben sollte. Doch in der Praxis müssen, wie ein altgedienter Abgeordneter im Interview anmerkte, die meisten Abgeordneten ihren Arbeitsschwerpunkt aus dem Parlament heraus-halten, „weil nicht 500 ihren Schwerpunkt in der Parlamentsarbeit haben können, objektiv nicht, weil es nicht geht. Dann funktioniert ein Parlament nicht mehr. ... Es können nicht alle dort auftreten, unmöglich.“ Zweitens erleben die meisten Abgeordneten, daß sie aufgrund der parlamentarischen Arbeitsteilung als Einzelperson im Parlament wenig ausrichten können. Falls sie dann nicht den Eindruck haben, durch harte, wenn auch zunächst vielleicht frustrierende Ausschußarbeit ihren parlamentarischen Aufstieg bewerkstelligen zu können, der ihnen dann auch größere persönliche Einwirkungschancen eröffnet, oder falls sie ohnehin keine Parlamentskarriere anstreben, so neigen sie dazu, ihre Arbeitskraft in den Wahlkreis zu investieren, wo sich im Bereich des Wähler-und Wahlkreisservice viel rascher persönlich befriedigende Erfolgserlebnisse einstellen. Und drittens zwingt die faktische Beanspruchung der Abgeordneten durch Wahlkreis-und Wählerwünsche sie oft zu anderer Schwerpunktsetzung, als sie eigentlich gewollt ist
Auch zur Service-Komponente des Amtsverständnisses liefern zwei Fragen näheren Aufschluß. Im Anschluß an die Bitte um Beschreibungen konkreter Wünsche, die Einzelbürger oder Kommunen an sie herantragen, wurden die Abgeordneten gefragt: „Welchen Stellenwert sollte es innerhalb der Tätigkeiten eines Abgeordneten haben, sich um die eben beschriebenen Anliegen einzelner Bürger bzw.des Wahlkreises allgemein zu kümmern?“, und gleich anschließend: „Welchen Stellenwert hat der Wähler-und Wahlkreisservice aufgrund der gegebenen Umstände im Rahmen Ihrer Tätigkeit als Abgeordneter?“ Die Tabelle 4 gibt die Antworten wieder: Die Aussage der Abgeordneten ist klar: weder eine Nebensache noch der Schwerpunkt soll der Wähler-und Wahlkreisservice sein. Klar gewichten ihn die Sozialdemokraten stärker als die CSU-Abgeordneten, was wohl deren Oppositionsrolle widerspiegelt: wenn im Parlament wenig zu bestellen ist, gilt es, Punkte bei der Wahlkreisarbeit zu sammeln -Umgekehrt werden, vermutlich wegen ihrer größeren „Nähe zur Macht“, die CSU-Mandatare vom Wähler-und Wahlkreisservice stärker belastet als ihre Kollegen: sie widmen dem Wähler-und Wahlkreisservice deutlich mehr Arbeits-kraft, als sie es für richtig halten Faktisch verändert sich mit einer von vielen Gesprächspartnern in den Interviews behaupteten Zunahme der Belastung durch den Wähler-und Wahlkreisservice das Berufsbild des Abgeordneten, und zwar bestimmt mit Folgen für die Attraktivität des Amtes und die Rekrutierung von Mandataren: für Bürger mit politischen Gestaltungsabsichten wird die Rolle des Abgeordneten natürlich um so weniger verlokkend, je mehr sie die eines auf „Repräsentationsveranstaltungen“ Hof haltenden Ombudsmannes ist, bei dem sich hinter dieser Schauseite des Amtes endlose Kleinarbeit an Telefonaten, Behörden-gängen und Schriftwechseln verbirgt. So geprägte Selbstselektion kann uns freilich mehr und mehr Abgeordnete bescheren, die auch ihr Amtsverständnis an diesem Anforderungsprofil ausrichten und dann in der Wahlkreisarbeit, die sie als Dienstleistung verstehen, geradezu aufgehen, ihre Stärken aber viel weniger in der rationalen Bewältigung komplexer politischer Gestaltungsaufgaben haben. Solche Abgeordnete werden dann auch bei der politischen Führungsaufgabe keine optimalen Leistungen bringen.
Politische Führung umschrieb ein Parlamentarier als Aufgabe eines Abgeordneten dahin gehend, daß dieser „die Erkenntnisse, die er im Parlament sammelt, ... die er einfach aus der breiten Sicht von der Landesebene her... zusammentragen wird aus verschiedenen Mosaiksteinen aller Regierungsbezirke und [aus] den Wünschen, Kritiken, Anregungen, die von den anderen Parteien im Parlament hinzugefügt werden, [daß er diese] nun in seinen Stimmkreis zu übertragen [hat] und dort sich eben auch vor bestimmte Beschlußfassungen des Parlaments zu stellen [hat], die dem Stimmkreis vielleicht oder der Bevölkerung des Stimmkreises nicht sofort verständlich sind“ Diese Aufgabe verlangt politische Diskussion, in welcher die Bereitschaft zum Zuhören mit der Absicht zu überzeugen gepaart wird. Gelingt dies, so wird Akzeptanz für Positionen und Entscheidungen geschaffen, wird „Legitimation durch Kommunika-Eine überwältigende Mehrheit der Abgeordneten -zumal von CSU und SPD -betont tatsächlich, in der rationalen politischen Diskussion mit seinen Rollenpartnern habe ein Abgeordneter den „Kern“ seiner Arbeit zu sehen. Eine Bekräftigung dieses Ergebnisses findet sich in der Passauer Landtagsstudie. Dort wurde diese Komponente politischer Führung in folgende These gekleidet: „Der Abgeordnete hat auch die Pflicht, die Bürger im Rahmen seiner Möglichkeiten mit politischen Themen vertraut zu machen. So soll er sie durchaus auch zu eigener Urteilsbildung anhalten“ -was für den politischen Praktiker in der Regel bedeutet: zu einem Urteil, das mit der eigenen Ansicht konvergiert. „Stimme sehr zu“ gaben damals 3 Prozent von 122 Befragten an, „stimme zu“ 47, 5 Prozent, „stimme teils zu“ 7, 4 Prozent, und „stimme weniger zu“ 0, 8 Prozent. Ebenso deutlich wird die Bereitschaft, politische Führung auszuüben, in den Antworten auf folgende These, die den Abgeordneten bei der Passauer Landtagsstudie vorgelegt wurde: „Wichtige Sachfragen unserer Gesellschaft und müssen die Parteien selbst aufgreifen in der Bevölkerung stärker thematisieren“ -was ja tion“ bewirkt. Auf diesen Bestandteil politischer Führung und somit des Amtsverständnisses zielte folgende, die Diskussionsaufgabe pointierende These, welche die Abgeordneten aus ihrer persönlichen Sicht zu beurteilen hatten: „Der Kem der Arbeit eines Abgeordneten besteht darin, mit denen, die er repräsentiert, über Politik zu diskutieren, ihre Argumente zu hören, und vor ihnen die eigenen Positionen zu vertreten“. Die Tabelle 5 zeigt die Antworten: dem Abgeordneten als lokalem oder regionalem Parteiführer Aktivitäten abverlangt: 90, 2 Prozent von 122 Parlamentariern stimmten dieser These (sehr) zu, und weitere 9, 0 Prozent wenigstens teilweise.
Keineswegs erkennen die Abgeordneten einen Widerspruch zwischen ihrer Führungsaufgabe und der Pflicht zur Responsivität 44). Typisch für die Verbindung von Führung und Responsivität sind die folgenden Interviewauszüge: -„[Der Abgeordnete] sollte ein Transmissionsriemen für die Wünsche der Bevölkerung sein und ... versuchen, [diese Wünsche] in Politik umzusetzen. Er sollte die Wünsche der Bevölkerung auch seismographisch aufnehmen und [sie] in ein Konzept bringen -und dieses Konzept nun wiederum öffentlich darstellen, um so, indem er für sich und seine Partei wirbt, diese Gedanken auch zu vervielfältigen.“ -[Ausschlaggebend ist, ] „daß ich derjenige bin, der sozusagen den Wunsch des Bürgers artikuliert und ihn vergleicht. Das heißt, nicht jeder Wunsch, den ein Bürger in mich hineinwirft, wird von mir dann getragen. ... Aber jeder Wunsch, der von einem Bürger artikuliert wird, wird von mir ernstgenommen und wird von mir verglichen mit den Aufgaben, denen ich mich insgesamt gegenübersehe, und kriegt von daher seine Wertigkeit und bestimmt... auch dann meinen Einsatz für das Gebiet.“
Ferner verstehen sich Abgeordnete nicht als passive Rezipienten von politischen Anliegen: eigene Informationssuche sehen sie als wichtige Aufgabe an. „Intensiver Kontakt zur Bevölkerung, um Probleme oder Lücken der Gesetzgebung aufgreifen zu können und einer Lösung über das Parlament zuzuführen“, so formulierte ein Parlamentarier auf dem Fragebogen diese Aufgabe. Im Interview meinte ein anderer: „Die Fühler draußen müßten eigentlich die Abgeordneten sein, da die Unter-gliederungen der Parteien offensichtlich nicht in der Lage sind, das alles aufzunehmen. ... Deswegen glaube ich, daß es ganz wichtig ist, daß man viel in Organisationen, Verbände reingeht und daß man sich auch anbietet zu Themen -... weil man draußen bei Veranstaltungen mit normalen Bürgern am ehesten noch deren Betroffenheiten mitbekommt. ... Und wenn man diese Dinge nicht Unübersehbar sind -bei allgemeiner und großer Zustimmung zu dieser These -die Abstufungen zwischen den Parteien: CSU-Abgeordnete sehen ihre Verflechtungsaufgabe am klarsten. Bei ihnen gibt es auch einen deutlichen Zusammenhang zwischen dieser Sicht ihrer Bindeglied-Funktion und den Antworten auf die Frage, ob der Abgeordnete den Schwerpunkt seiner Arbeit eher im Parlament oder im Wahlkreis haben solle: Je stärker die Bindeglied-Aufgabe betont wird, um so eher wird mitkriegt, dann ist man halt sehr schnell dabei, da oben abgehoben zu sein.“ „Abgehoben“ meint ganz konkret: die Bindeglied-Funktion nicht mehr oder nur schlecht zu erfüllen, also kommunikativ nicht mehr erreichbar zu sein oder auch nicht mehr selbst an die Bevölkerung heranzukommen. Nicht nur für den Abgeordneten schlägt dies zum Nachteil aus, denn seine Wiederwahl hängt doch aufs stärkste vom Kontakt zu seiner Parteibasis im Wahlkreis ab; sondern das gesamte Repräsentativsystem erleidet Funktionseinbußen, wenn die Repräsentanten die Vernetzung zu den Repräsentierten nicht mehr schaffen. Demgemäß kommt gerade der Bindeglied-Funktion im Amtsverständnis ein bedeutendes Gewicht zu. Formuliert wird dies von Abgeordneten so: „Die wichtigsten Dinge für einen Abgeordneten? [Das] ist zunächst ’mal Verbindung mit den Wahl-bürgern, also mit den Bürgern seines Wahlkreises“, oder: „Ein Abgeordneter muß absolut ständigen Kontakt zu den Bürgern halten.“ Folgende, den Parlamentariern zur Einschätzung vorgelegte These sollte den Stellenwert dieser Komponente ihres Amtsverständnisses erfassen: „Die Aufgabe eines Abgeordneten ist es, durch seine Person und seine Kontakte , sein‘ Parlament und damit das Staatswesen, in dem es steht, mit der Bevölkerung zu verknüpfen“. Die Tabelle 6 stellt die Antworten zusammen: auch für einen Schwerpunkt auf der Wahlkreisarbeit plädiert (gamma = 0, 30). Hingegen setzen die Mandatare der GRÜNEN -allen normativen Vorstellungen von Basisdemokratie und imperativem Mandat zum Trotz -den Stellenwert der Verflechtungsaufgabe am niedrigsten an. Einer von ihnen gab sogar folgenden Kommentar: „Die These wird für viele Abgeordnete stimmen. Ich möchte aber eher in kritischer Distanz zum Staatswesen arbeiten“ -was wohl heißen soll: , Zwar bin ich abge-ordnet zum Parlament; doch ich bleibe zu dieser Institution auf Distanz und möchte auch meine Wähler eher zu ihr auf Distanz halten, als-sie mit ihr zu verbinden 1. Zweifellos ist eine solche Haltung in einem Repräsentativsystem dysfunktional und prägt keineswegs das Amtsverständnis der meisten Abgeordneten.
Natürlich werden die Abgeordneten bei ihrer Vernetzungsleistung Schwerpunkte setzen bzw. schon aufgrund der gesellschaftlichen Verankerung ihrer Parteien ein bestimmtes „Kontaktprofil“ auferlegt bekommen. Deutlich unterscheiden sich beispielsweise die Netzwerke von Sozialdemokraten und CSU-Abgeordneten In diesem Sinn vertreten Abgeordnete dann einzelne Bevölkerungsteile unterschiedlich, nämlich vor allem jene, deren Einflußchancen aufgrund des individuellen Kontakt-geflechts optimiert sind. Die normative Vorstellung, im Prinzip für jeden zugänglich zu sein und eigentlich eines jeden Wünsche wie Anregungen durch den Filter des eigenen Urteils laufen zu lassen, bleibt davon unberührt. Darum ist es irreführend, faktische Vernetzungspräferenzen in Rollenpräferenzen umzudeuten und dementsprechend „Abgeordnetentypen“ wie den „Wählervertreter“, den „Parteivertreter“ oder den „Verbändevertreter“ zu unterscheiden. Nicht nur widerstreitet, wie der nächste Abschnitt zeigt, das Amtsverständnis selbst einer solchen einseitigen Rollenakzentuierung; sondern gerade aus praktischen Gründen können es sich nur die wenigsten Abgeordneten leisten, ihr Kontaktnetz allzu selektiv zu gestalten, gefährden sie doch dergestalt ihren persönlichen Handlungsspielraum oder gar ihre Renominierung: die Basis wird einfach zu schmal. Ein „freier“ Abgeordneter kann eigentlich nur sein, wer ein möglichst weit verzweigtes Kommunikationsgeflecht als Fundament seines politischen Handelns aufzubauen und zu nutzen versteht, wer also zugleich Wähler-, Partei-und Verbändevertretet ist und damit etwaigen „Druck“ durch Aktivierung jeweils anderer Vertrauensbeziehungen auszutarieren vermag.
Der Fluchtpunkt, auf den alle Komponenten des Amtsverständnisses zulaufen, ist die Stiftung und Sicherung einer weit ausgreifenden, von Vertrauen geprägten Beziehung zwischen dem Abgeordneten, seiner Partei, „seinem“ Parlament und der Bevölkerung im Wahlkreis. Ein Parlamentarier formulierte dies so: ein Abgeordneter „braucht das nötige Vertrauen. Und dieses nötige Vertrauen muß er in einem engen Kontakt mit seinen Wählern immer wieder erwerben. Ist gleich Wahlkreis-arbeit, Arbeit an der Basis“ -und somit all das, was die Abbildung 2 entsprechend darstellte. Genau die Aufgabe, Vertrauen zu schaffen und, auf solches Vertrauen gestützt, die Bindeglied-Funktion eines Parlamentariers zu erfüllen, zielte im Fragebogen folgende These an: „Der Kern der Arbeit eines Abgeordneten besteht darin, politisches Vertrauen zu erwerben und zu sichern: Vertrauen für sich persönlich, für seine Partei, für sein Parlament und letztlich für das Staatswesen.“ Die Beurteilungen dieser These gibt die Tabelle? wieder:
Eindeutig stimmen die meisten Abgeordneten dieser These zu. Freilich sind Unterschiede zwischen den Parteien unverkennbar: von der CSU über die SPD bis hin zu den GRÜNEN wird die Zustimmung immer schwächer. Der Zusammenhang, der wegen der Natur der Sache zwischen der „Vertrauensarbeit“ von Abgeordneten und der Wahrnehmung ihrer Bindeglied-Funktion besteht, ist den Befragten wohlvertraut: wer Vertrauensstiftung stärker als „Kern“ der Aufgabe von Abgeordneten gewichtet, betont auch die Verknüpfungsaufgabe (CSU: gamma = 0, 54; SPD: gamma = 0, 64) und meint auch eher, der Schwerpunkt der Arbeit eines Abgeordneten solle im Wahlkreis, nicht im Parlament liegen (CSU: gamma = 0, 53; SPD: gamma = 0, 25). Allerdings reicht gute Wahlkreis-arbeit für die Stiftung von Vertrauen zum politischen System insgesamt nicht aus: es bedarf auch guter parlamentarischer Arbeit und einer entsprechenden Vermittlungsleistung des Mediensystems.
III. Fazit
Abbildung 3
Tabelle 2: Schwerpunkte der Tätigkeit von Bundestagsabgeordneten
Tabelle 2: Schwerpunkte der Tätigkeit von Bundestagsabgeordneten
In der Grundstruktur des Amtsverständnisses war nur ein Echo der heftigen Debatten um freies vs. imperatives Mandat, um „Gewissensfreiheit des Abgeordneten“ vs. „Parteisoldatentum“ zu erkennen: Führungswille und Responsivitätsbereitschaft prägen das Amtsverständnis und schließen einander nicht aus. Spezielle Fragen nach möglichen Konflikten zwischen „Gewissensorientierung“ und „Parteiloyalität“ förderten ebenfalls zutage, daß so gliedernde Denkweisen ungeeignet sind, das alltagspraktische Amtsverständnis von Abgeordneten zu beschreiben Was sich indessen herausfinden ließ, stimmt zufrieden: das diagnostizierte Amtsverständnis entspricht normativen Erwartungen ebenso wie der Funktionslogik eines parlamentarischen Systems. In welchem Umfang die Amtsausübung diesen Rollenorientierungen tat-sächlich folgt, ist damit noch nicht gesagt; immerhin zeigen Untersuchungen der Wahlkreisarbeit, daß Norm und Praxis hier einander recht nahe kommen Obwohl diese Ergebnisse in einer Untersuchung an allein bayerischen Abgeordneten erarbeitet wurden, können sie vermutlich auf die Amtsvorstellungen zumindest der Parlamentarier in den alten Bundesländern verallgemeinert werden Entsprechende Folgestudien in anderen Bundesländern wären natürlich wünschenswert, und die Ausprägung der Rollenorientierungen von Abgeordneten sollte im nun aufzubauenden Parlamentarismus der neuen Bundesländer kontinuierlich beobachtet werden.
Werner J. Patzelt, M. A., Dr. phil. habil., geb. 1953; Studium der Politikwissenschaft, Soziologie und Geschichte an den Universitäten München, Straßburg und Ann Arbor, Mich.; Privatdozent und wissenschaftlicher Oberassistent am Lehrstuhl für Politikwissenschaft der Universität Passau. Veröffentlichungen u. a.: Einführung in die sozialwissenschaftliche Statistik, München -Wien 1985; Sozialwissenschaftliche Forschungslogik. Einführung, München -Wien 1986; Grundlagen der Ethnomethodologie. Theorie, Empirie und politikwissenschaftlicher Nutzen einer Soziologie des Alltags, München 1987; Jugend im Bayerischen Wald. Eine Umfrage unter Schülern, Passau 1991; Beiträge zur Parlamentarismusforschung in Fachzeitschriften.
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