Zur Beschäftigungssituation in den neuen Bundesländern. Entwicklung und Perspektiven
Katharina Belwe
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Zusammenfassung
Der mit der Wende im Herbst 1989 eingeleitete Umbruch hat sich mittlerweile für die meisten Menschen der ehemaligen DDR als ein kritischer Lebenseinschnitt erwiesen: Mitte April 1991 war beinahe jeder zweite Haushalt von Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit oder der sogenannten „Warteschleifenregelung*-betroffen. Zahlen über die Höhe der Arbeitslosigkeit gibt es seit Februar 1990. Ende des ersten Quartals 1990 waren in der DDR rund 40000 Menschen arbeitslos. Seither ist ein bis heute kaum gebrochener Anstieg der Erwerbslosenzahl zu verzeichnen; im Mai 1991 waren 842285 Menschen arbeitslos. Das sind 9, 57% aller zivilen Beschäftigten der ehemaligen DDR (8, 8 Millionen). Damit ist der Zenit noch nicht erreicht. Es wird für Ende 1991 mit Arbeitslosen in einer Größenordnung von mehreren Millionen gerechnet. Von einer zu erwartenden Arbeitslosenquote zwischen 30 und 50 Prozent ist die Rede. Zusätzlich verschärft wird das Problem durch die Zahl der Kurzarbeiter in den neuen Bundesländern, die seit der Einführung entsprechender Regelungen im Juli 1990 von 656000 (7, 4% aller Beschäftigten) bis Dezember 1990 rasch auf 1, 8 Millionen (20, 5 %) angewachsen ist. Sie betrug im April 1991 2, 0 Millionen bzw. 22, 8 % und ist jetzt mit 1, 96 Millionen (Mai 1991) zum ersten Mal leicht zurückgegangen. Wer in den neuen Bundesländern heute kurzarbeitet, befindet sich vielfach im Wartestand auf die Arbeitslosigkeit: Die früher durch Überbeschäftigung in den Volkseigenen Betrieben und Kombinaten erzeugte „verdeckte Arbeitslosigkeit“ gibt es jetzt in Form der Kurzarbeit. Insgesamt ist derzeit etwa jeder Dritte (32%) von Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit betroffen. Spätestens zum Jahresende 1991 wird voraussichtlich jeder zweite dieses Schicksal erleiden müssen. Ob die Menschen den „Härtetest“ bestehen werden, der ihnen damit abverlangt wird, hängt nicht zuletzt von den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen ab, die die Bundesregierung schaffen muß.
I. Vorbemerkungen
Die DDR-Bürger erwarte eine tiefgreifende Umwälzung ihrer gesamten Lebensordnung, hat Kurt Biedenkopf, heute Ministerpräsident des Freistaates Sachsen, im Juni 1990 in einem Interview mit der PDS-Zeitung „Neues Deutschland“ gesagt. Der schnelle Übergang von der alten zur neuen Ordnung werde schockartig wirken; ein radikalerer Wandel sei kaum vorstellbar -Biedenkopf hat recht behalten. Der mit der Wende im Herbst 1989 eingeleitete Umbruch hat sich mittlerweile für die meisten Menschen der ehemaligen DDR als ein kritischer Lebenseinschnitt erwiesen. Mitte April 1991 war beinahe jeder zweite Haushalt von Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit oder der sogenannten „Warteschleifenregelung“ betroffen
Während ein vergleichsweise kleiner Teil der Bevölkerung jetzt vielleicht die Chance der privaten Existenzgründung (1990 betrug das Potential an Neugründungen 270 000 oder des beruflichen Aufstiegs wahrnehmen kann, fühlt sich die große Mehrheit unter den neuen Bedingungen eher verunsichert. Es haben sich die bisherigen Beschäftigungsmöglichkeiten und -bedingungen radikal verändert. Das reicht von ungewohnten Leistungsanforderungen am Arbeitsplatz, erhöhten Mobilitätserwartungen an den einzelnen über neuartige bzw.
II. Entwicklung der Beschäftigungssituation in der ehemaligen DDR bzw. in den neuen Bundesländern nach der Wende
Abbildung 5
Diagramm 1:
Quelle: Die von der früheren Regierung der DDR bzw. von der Bundesanstalt für Arbeit Nürnberg zum jeweiligen Monatsanfang herausgegebenen aktuellen Arbeitslosenzahlen.
Diagramm 1:
Quelle: Die von der früheren Regierung der DDR bzw. von der Bundesanstalt für Arbeit Nürnberg zum jeweiligen Monatsanfang herausgegebenen aktuellen Arbeitslosenzahlen.
Mit Herstellung der Wirtschafts-, Währungs-und Sozialunion am l. Juli 1990 ist die Arbeitsrechts-tiefgreifend geänderte Anforderungen an die persönliche Qualifikation bis zum Beschäftigungsverlust.
Der klassische Zusammenhang zwischen individueller Leistungsfähigkeit und beruflichem Erfolg ist unter den derzeit in den neuen Bundesländern herrschenden katastrophalen wirtschaftlichen Bedingungen kaum herstellbar. Der Markt, von dem diese Regelhaftigkeit erwartet wird, funktioniert (noch) nicht. Es gibt in der ehemaligen DDR heute keinen einzigen Industrie-, Landwirtschaftsoder Handwerksbetrieb, keine einzige wissenschaftliche Einrichtung, keine einzige Behörde oder öffentliche Verwaltung, die sich nicht zumindest mit dem Problem des Personalabbaus konfrontiert sieht. Fachleute schätzen, daß in den Betrieben der ehemaligen DDR zwischen 30 und 50 % der Arbeitsplätze im internationalen Wettbewerb nicht überlebensfähig sein werden Vielfach ist Konkurs angesagt, droht als Ergebnis der „Abwickelung“ die Schließung oder bestenfalls das Aufgehen in einer anderen Institution. Für die meisten der Betroffenen bedeutet dies, daß sie zunächst arbeitslos werden. Ihr Schicksal hängt davon ab, ob der Betrieb, in dem sie tätig sind, verkauft, saniert oder geschlossen wird.
Ordnung der früheren DDR an die Bedingungen der sozialen Marktwirtschaft angepaßt und das „Recht auf Arbeit“ durch den nicht so umfassenden „Schutz der Arbeit“ ersetzt worden. Seit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 gelten in den neuen Bundesländern grundsätzlich das Arbeitsrecht und das Arbeitsschutzrecht der Bundesrepublik. Arbeitslosigkeit gab es jedoch schon zum Jahreswechsel 1989/1990. Zu diesem Zeitpunkt galt zwar noch das in der Verfassung der DDR niedergelegte Recht auf Arbeit, das in der Vergangenheit tatsächlich jedem Bürger ein juristisch gültiges Arbeitsverhältnis garantiert hatte. Aber es wurde in der Praxis bereits unterlaufen. Damals sah sich die Bevölkerung der früheren DDR zum ersten Mal in der vierzigjährigen Geschichte des SED-Staates wieder mit dem Phänomen der Arbeitslosigkeit konfrontiert 1. Entwicklung der Arbeitslosenzahlen Zahlen über die Höhe der Arbeitslosigkeit gibt es seit Februar 1990. Ende des ersten Quartals 1990 waren in der DDR rund 40000 Menschen arbeitslos. Seither ist ein bis heute kaum gebrochener Anstieg der Erwerbslosenzahl zu verzeichnen (vgl. Tabelle 1 und Diagramm1).
Zum Jahresende 1990 waren in den neuen Bundesländern insgesamt 642 200 Menschen von Arbeitslosigkeit betroffen. Die Arbeitslosenquote betrug 7, 3%. Inzwischen (Ende Mai 1991) sind 842285, also rd. 200000 mehr Menschen arbeitslos; das sind 9, 57 % aller zivilen Beschäftigten der ehemaligen DDR (8, 8 Millionen). Damit ist der Zenit noch nicht erreicht. Aus dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung und aus der Bundesanstalt für Arbeit Nürnberg kommen düstere Prognosen. Es wird für Ende 1991 mit Arbeitslosen in einer Größenordnung von mehreren Millionen gerechnet. Von einer zu erwartenden Arbeitslosenquote zwischen 30 und 50 Prozent ist die Rede
Zwischen Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen ist ein deutliches Nord-Süd-Gefälle der Arbeitslosigkeit auszumachen. Im Norden Ostdeutschlands und in Berlin (Ost) liegt die Erwerbslosenquote derzeit (Mai 1991) mit 12, 1 % bzw. 11, 2% einige Prozentpunkte über dem Durchschnitt (9, 5 %). Im Süden des Beitrittsgebietes sind „nur“ 8, 3 % aller Beschäftigten ohne Arbeit. Dazwischen liegen Sachsen-Anhalt (9, 5 %), Thüringen (9, 5%) und Brandenburg (9, 5 %) 2. Entwicklung der Kurzarbeiterzahlen Zusätzlich verschärft wird das Problem durch die hohe Zahl der Kurzarbeiter in den neuen Bundesländern, die seit der Einführung entsprechender Regelungen im Juli 1990 von 656000 (7, 4% aller Beschäftigten) bis Dezember 1990 rasch auf 1, 8 Millionen (20, 5 %) angewachsen ist. Sie betrug im April 1991 2, 0 Millionen bzw. 22, 8% und ist jetzt mit 1, 96 Millionen (Mai 1991) zum ersten Mal leicht zurückgegangen (vgl. Diagramm 2). 70 % aller Kurzarbeiter arbeiten bereits länger als ein halbes Jahr verkürzt Es ist davon auszugehen, daß der Höhepunkt der Kurzarbeit erreicht bzw. überschritten ist. Ein Rückgang wird allerdings zu Lasten der Arbeitslosenzahlen gehen.
Die Kurzarbeitergeldregelung, die nach dem Einigungsvertrag eigentlich zum 30. Juni 1991 auslaufen sollte, ist erst vor kurzem bis zum Jahresende 1991 verlängert worden. Eine entsprechende Gesetzesänderung hat der Bundestag Mitte Mai 1991 beschlossen. Danach wird auch künftig bei einem Arbeitsausfall von 100% die entsprechende Leistung gewährt, allerdings jetzt mit einer verstärkten Bindung an berufliche Weiterbildung
Im vergangenen Jahr sind die Möglichkeiten der Weiterbildung von den Betroffenen nur wenig beachtet worden. Von knapp zwei Millionen Kurzarbeitern hatten im September 1990 gerade 12600 entsprechende Qualifizierungsangebote genutzt (Dezember 1990: 30000, Februar 1991: 45000) Insgesamt hatten sich bis zum Jahresende 1990 nur rund 100000 Arbeitnehmer an entsprechenden Maßnahmen beteiligt. Inzwischen, seit Jahresbeginn 1991, haben 281200 Ostdeutsche mit einer Qualifizierung begonnen. Im Bundeshaushalt stehen für das laufende Jahr 1991 Gelder für ca. 550000 Fortbildungs-und Umschulungsmaßnahmen bereit
Die Ursachen für das anfänglich geringe Interesse an Weiterbildungsmaßnahmen liegen zum einen in der Mentalität der Ostdeutschen, die lieber erst einmal abwarten wollen, was (mit ihnen) geschieht, als möglicherweise etwas Falsches zu tun. In der Regel ist unklar, ob die erworbenen neuen Fertigkeiten im Anschluß an die Weiterbildung verwertbar sind. Für Kurzarbeiter gibt es darüber hinaus noch einen anderen Grund: Das Kurzarbeitergeld liegt vielfach über dem Unterhaltsgeld, das während einer Ausbildung gezahlt wird. So sehen zum Beispiel die im Bereich der Industriegewerkschaft Metall geschlossenen, Ende Juni 1991 großenteils auslaufenden „Rationalisierungsschutzabkommen“ eine Aufstockung des staatlichen Kurzarbeitergeldes (es liegt zwischen 63 und 68 % des letzten Nettolohnes der ausgefallenen Stunden) durch Leistungen des Betriebes auf ca. 90 % vor.
Diese Tarifregelungen haben sich insofern kontraproduktiv ausgewirkt, als damit der finanzielle Anreiz für eine Teilnahme der Kurzarbeiter an Weiterbildungsmaßnahmen entfallen ist. Wer ohnehin 90 % seines letzten Nettolohnes erhält, für den stellt die Anhebung des Kurzarbeitergeldes im Falle der Teilnahme an Weiterbildungslehrgängen auf 65 bis 73 % (Arbeitnehmer mit Kind) keinen Anreiz dar -im Gegenteil
Am stärksten sind von der Kurzarbeit das verarbeitende Gewerbe (einschließlich Bergbau und Baugewerbe) sowie die Land-, Forst-und Fischereiwirtschaft betroffen. In diesen Branchen mußte in der jüngeren Vergangenheit etwa jeder Dritte verkürzt arbeiten. Im tertiären Wirtschaftssektor spielt die Kurzarbeit dagegen mit einer Quote von 7 % eine vergleichsweise geringe Rolle. Schwerpunkte der Kurzarbeit innerhalb des produzierenden Gewerbes waren Anfang 1991 die Branchen Elektrotechnik (176900), Maschinenbau (174800), Chemie (117900), die Textilindustrie (83400), das Bauhauptgewerbe (77000), die Metallverformung (65 700) und die Nahrungs-und Genußmittelindustrie (65 600) 3. Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit Die in den neuen Bundesländern gegebenen Möglichkeiten der Kurzarbeit auch in konkursgefährdeten Betrieben für ein Jahr und länger (alte Bundesländer: sechs Monate) haben die Arbeitslosen-zahlen lange Zeit vergleichsweise niedrig gehalten. Im Beitrittsgebiet lag die Arbeitslosenrate Ende 1990 mit 7, 3 % nur wenig über der der bisherigen Bundesrepublik Deutschland (6, 8%). Tatsächlich befindet sich, wer in den neuen Bundesländern heute kurzarbeitet, jedoch vielfach nur im Warte-stand auf die Arbeitslosigkeit: Die früher durch Überbeschäftigung in den Volkseigenen Betrieben und Kombinaten vorhandene „verdeckte Arbeitslosigkeit“ gibt es jetzt in Form der Kurzarbeit. Von knapp zwei Millionen Betroffenen „arbeiteten“ im September 1990 34%, im Dezember 1990 41%, im Januar 1991 49 %, im April 55 % und im Mai bereits 56 % weniger als die Hälfte der normalenArbeitszeit, zum großen Teil Null Stunden pro Tag. Die Zahl der tatsächlich Arbeitslosen liegt folglich um mindestens eine halbe Million über der offiziell ausgewiesenen Es sollte jedoch darauf hingewiesen werden, daß sich die finanziellen und vor allem sozialen Folgen für die jeweils Betroffenen ganz erheblich unterscheiden. Wahrend Kurz-arbeiter noch dem Betrieb angehören, sind Arbeitslose bereits „draußen“.
Insgesamt ist derzeit (Mai 1991) etwa jeder Dritte (32%) von Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit betroffen. Spätestens zum Jahresende 1991 wird wohl ungefähr jeder zweite dieses Schicksal erleiden müssen. Zwar ermöglicht die Verlängerung der Kurzarbeiterregelung bis 31. Dezember 1991 eine zeitliche Streckung der Entlassungen, aber dennoch wird bis zum Jahresende knapp die Hälfte von 2, 8 Millionen Arbeitsplätzen in Unternehmen, die unter der Regie der Treuhandanstalt stehen, wegfallen. Davon werden insbesondere die Branchen Feinmechanik und Optik sowie Elektrotechnik und Elektronik betroffen sein. Es wird davon ausgegangen, daß sich die Belegschaftsstärken der aufgeführten Bereiche im Laufe des Jahres 1991 auf ca. 40 % reduzieren werden Nach den Worten von Bundesarbeitsminister Blüm werden bis zum Herbst 1991 mindestens drei Millionen (!) Entlassungen (700000 Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes der früheren DDR, 400000 Arbeitnehmer aus der Landwirtschaft, 1, 5 Millionen Arbeitnehmer aus Betrieben, die vom Zusammenbruch der Exporte in die östlichen Partnerländer betroffen sind, 550000 Arbeitnehmer aus der Metall-und Elektrobranche, wo am 30. Juni 1991 Rationalisierungsschutzabkommen auslaufen) erwartet 4. Allgemeine Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung (ABM)
Neben der Möglichkeit der Kurzarbeit sieht die DDR-Variante des Arbeitsförderungsgesetzes auch abweichende Maßnahmen der Arbeitsbeschaffung (AB) vor. Danach können für AB-Maßnahmen, die in den neuen Bundesländern seit dem l. Juli 1990 möglich sind, von den Arbeitsämtern bis zu 100 % der Bruttolohnkosten (einschließlich der Beiträge zur Sozialversicherung) übernommen werden. Nach einem Jahr der Förderung ist eine Verlängerung auf zwei Jahre möglich. Sofern der Träger der Maßnahme eine Festanstellung in Aussicht stellt, kann sogar ein drittes Jahr gefördert werden. Die Sonderregelungen für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die wie die entsprechenden Sonderregelungen zur Kurzarbeit ursprünglich nur bis zum 30. Juni 1991 gelten sollten, sind inzwischen bis zum 31. Dezember 1992 verlängert worden. Außerdem besteht seit dem 1. April 1991 die Möglichkeit der Bezuschussung von Sachkosten der AB-Maßnahme
Die breite Durchführung der ABM-Programme -sie sollen vorrangig Aufgaben umfassen, die dazu dienen, die soziale Infrastruktur oder die Umwelt-bedingungen zu verbessern und sind zumeist auf ein Jahr begrenzt -ist im vergangenen Jahr vor allem daran gescheitert, daß kaum Geld für Sachmittel vorhanden war. Außerdem waren die Kommunen den mit der Organisation der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen verbundenen verwaltungstechnischen Anforderungen nicht gewachsen. Schließlich stößt bei vielen Arbeitslosen eine ABM-Beschäftigung noch auf Vorbehalte So konnten Ende Dezember 1990 für gerade ca. 20000 Personen ABM-Stellen vergeben werden, womit das Ziel von 30000 bis 40000 nicht erreicht worden ist. Ende April 1991 waren 84900 Personen im Rahmen der AB-Maßnahmen beschäftigt, Ende Mai 1991 113 900 Für 1991 sind im Bundeshaushalt ursprünglich 130000 ABM-finanzierte Arbeitsplätze eingeplant worden. Als sich dann zu Jahresbeginn die katastrophale Situation auf dem Arbeitsmarkt abzuzeichnen begann, wurde der Etat aufgestockt. Nun steht Geld für rund 300000 Stellen zur Verfügung Werden die 550000 Umschulungsplätze hinzugerechnet, die 1991 im Rahmen des Gemeinschaftswerks „Aufschwung Ost“ vergeben werden können, so haben im laufenden Jahr insgesamt 850000 Arbeitnehmer die Chance des beruflichen Neubeginns. Zumindest entgehen sie vorübergehend dem Schicksal der Arbeitslosigkeit und -sie entlasten die Statistik. 5. Entwicklung der Zahl der offenen Stellen Die Zahl der offenen Stellen hat sich bis zum Jahresende 1990 genau gegenläufig zum Anstieg der Erwerbslosenziffer entwickelt. Sie ist von 139729 im Februar auf 21630 im Dezember 1990 gesunken. Seither ist ein leichter Anstieg zu verzeichnen. Im Mai 1991 betrug die Zahl der offen gemeldeten Stellen 55 200 (vgl. Diagramm 3) 6. Entwicklung der Zahl der Erwerbstätigen Die Monat um Monat von der Bundesanstalt für Arbeit Nürnberg bekanntgegebene Arbeitslosenquote der neuen Bundesländer ist genau genommen falsch. Sie ist zu niedrig, weil die von der Bundesanstalt zugrunde gelegte Zahl der Erwerbs-personen (8, 8 Millionen) unter anderem durch Vorruhestand und Abwanderung von Arbeitskräften nach Westdeutschland längst abgenommen hat. Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) schätzen die Zahl der Erwerbspersonen (Erwerbstätige plus Arbeitslose) im Durchschnitt des vierten Quartals 1990 auf nur noch 8, 3 Millionen Am Institut für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit Nürnberg wird davon ausgegangen, daß sie Ende Dezember 1990 bei ca. 8 Millionen lag. Zu diesem Ergebnis ist auch der Ostberliner Wirtschaftswissenschaftler Jürgen Wahse gelangt. Die Zahl der Erwerbstätigen ist nach seinen Erhebungen von 9, 6 (einschließlich Staats-und Parteiapparat, Staatssicherheit, Verteidigung usw.) im Jahr 1989 auf ca. 8 Millionen Ende 1990 gesunken
Wahse rechnet bis zum Jahresende 1991 mit einem weiteren Rückgang; dann sei nur noch einPotential von etwa 6, 7 Millionen zu erwarten. Zu vergleichbaren Ergebnissen sind Wissenschaftler anderer Institute gelangt: Am Institut für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit Nürnberg wird im Jahresdurchschnitt 1991 mit 20% weniger Arbeitskräften in Ostdeutschland als 1990 gerechnet. Dies würde einem absoluten Verlust von 1, 7 Millionen Erwerbstätigen entsprechen Wissenschaftler des Wirtschafts-und Sozialwissenschaftlichen Instituts des DGB (WSI) gehen davon aus, daß die Zahl der Erwerbstätigen in den neuen Bundesländern von gegenwärtig rund 7, 5 Millionen bis zum Jahresende 1990 auf 6, 0 bis 6, 3 Millionen zurückgehen wird
Die Erklärung für das Sinken der Erwerbstätigen-ziffer ist nicht allein in der hohen Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern zu suchen. Zwar ist dies der entscheidende Faktor, denn für Ende 1991 rechnen die Experten bekanntlich mit mehreren Millionen Erwerbslosen, aber es gibt darüber hinaus auch andere, arbeitsmarktentlastende Faktoren. Wahse sieht diese vor allem in der Abwanderung von Teilen der arbeitsfähigen Bevölkerung in die alten Bundesländer, in der Pendlerbewegung, in der Inanspruchnahme von Vorruhestands-bzw. Altersübergangsgeld, im Rückgang der Zahl der berufstätigen Rentner, in der Verringerung des Beschäftigtengrades der Frauen, in Arbeitszeitverkürzungen und Urlaubsverlängerung sowie in der Kündigung von Ausländem
Die Zahl der in die frühere Bundesrepublik übergesiedelten Arbeitskräfte betrug 1989 ca. 250000 und 1990 ca. 200000. 1991 werden nach Schätzungen Wahses noch einmal 100000 Erwerbstätige das Beitrittsgebiet verlassen Arbeitspendler gibt es seit dem Fall der Mauer und nur im Raum Berlin sowie im früheren Grenzgebiet zwischen Ost-und Westdeutschland. Insgesamt gingen Ende Mai 1991 350000 Personen mit festem Wohnsitz in der früheren DDR einer Tätigkeit in den alten Bundesländern nach Weil ein Abbau des Wohlstandsgefälles nicht in Sicht ist, wird mit einem weiteren Anstieg dieser Zahl im Verlaufe des Jahres 1991 gerechnet. Nach Schätzungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) wird es bis zum Jahresende 1991 etwa eine halbe Million Arbeitspendler von Ost nach West geben. Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände glaubt, daß die Zahl der Pendler auch in den nächsten zwei Jahren noch zunehmen werde
Von der Möglichkeit der Vorruhestandsregelung 31), die Anfang Februar 1990 von der damaligen Regierung Modrow in Kraft gesetzt wurde, haben bis zum 2. Oktober 1990 knapp 372 000 ältere Arbeitnehmer Gebrauch gemacht. An ihre Stelle ist am 3. Oktober 1990 das sogenannte Altersübergangsgeld getreten. Bis Ende Mai 1991 haben sich weitere 14'1000 Personen dafür entschieden. Das Berechtigungsalter, das unter Modrow bei 55 (Frauen) bzw. 60 (Männer) Jahren lag, und später -mit dem 3. Oktober 1990 -für Frauen und Männer auf 57 Jahre gesetzt wurde (eine Ausnahmeregelung erlaubte, daß Frauen noch bis Ende 1990 mit 55 Jahren vorzeitig in den Altersruhestand treten konnten), ist erst kürzlich -per 1. Juli 1991 -für beide Geschlechter auf 55 Jahre gesenkt worden. Diese Altersbegrenzung soll bis zum Dezember 1991 -und zwar rückwirkend vom 3. Oktober 1990 -gelten. Es können also auch Arbeitnehmer, die in der Zeit vom 3. Oktober 1990 bis zum Inkrafttreten der Gesetzesänderung arbeitslos geworden sind und das 55. Lebensjahr vollendet haben, Altersübergangsgeld beantragen. Die Bundesregierung verspricht sich davon eine wesentliche Entlastung des Arbeitsmarktes
Diesen Effekt verursachen auch die jetzt aus dem Berufsleben ausscheidenden Rentner. In der früheren DDR war auf Grund des niedrigen Renten-niveaus ein nicht unerheblicher Teil der Altersrentner (10 % der Bevölkerung im Rentenalter) weiter seinem Beruf nachgegangen (1989: 280000 bzw. 3 Prozent der Berufstätigen). Neben den Frauen und den Ausländem zählen heute die noch berufstätigen Rentner zu der am stärksten von den verschiedenen Kündigungswellen seit der Wende im Herbst 1989 betroffenen Gruppe. 1990 dürfte sich, so die Schätzung Wahses, die Zahl der noch berufstätigen Rentner halbiert haben; mit einem weiteren deutlichen Rückgang sei zu rechnen
Der Ostberliner Wirtschaftswissenschaftler geht außerdem davon aus, daß sich die Frauenerwerbsquoten der fünf neuen (ohne Berlin) und der elf alten Bundesländer allmählich angleichen werden. In der früheren DDR waren knapp 50% aller Beschäftigten weiblichen Geschlechts; in der alten Bundesrepublik Deutschland nur 38 Prozent
Arbeitsmarktentlastend wirkt schließlich die mit Beginn des Jahres 1990 schrittweise Einführung der 40-Stunden-Woche sowie die allmähliche An gleichung der Urlaubsdauer an das Niveau der westlichen Bundesländer. Bislang mußte die Mehrzahl der Beschäftigten 43% Stunden pro Woche arbeiten; der durchschn Prozent 34).
Arbeitsmarktentlastend wirkt schließlich die mit Beginn des Jahres 1990 schrittweise Einführung der 40-Stunden-Woche sowie die allmähliche An gleichung der Urlaubsdauer an das Niveau der westlichen Bundesländer. Bislang mußte die Mehrzahl der Beschäftigten 43% Stunden pro Woche arbeiten; der durchschnittliche Urlaubsanspruch betrug nur 20 Tage. Damit gehörte die DDR zu den Ländern mit der längsten jährlichen Arbeitszeit in Europa 35).
Auch die Rückkehr ausländischer Arbeitskräfte in ihre Heimat entlastet den Arbeitsmarkt. In der DDR waren Ende 1989 ca. 90000 Ausländer beschäftigt. Der größte Teil der meist befristeten Arbeitsverträge mit den ca. 60000 Vietnamesen, 15 000 Mocambiquanern und 8 000 Kubanern ist im Laufe des Jahres 1990 gekündigt worden. Ende des Jahres waren nur noch ca. 30000 ausländische Arbeitskräfte im Osten Deutschlands tätig. Wahse rechnet damit, daß 1991 alle der noch verbliebenen Ausländer in ihre Heimat zurückkehren werden 36).
II. Zur Struktur der Arbeitslosigkeit
Abbildung 6
Diagramm 2:
Quelle: Die von der früheren Regierung der DDR bzw. von der Bundesanstalt für Arbeit Nürnberg zum jeweiligen Monatsanfang herausgegebenen aktuellen Kurzarbeiterzahlen.
Diagramm 2:
Quelle: Die von der früheren Regierung der DDR bzw. von der Bundesanstalt für Arbeit Nürnberg zum jeweiligen Monatsanfang herausgegebenen aktuellen Kurzarbeiterzahlen.
1. Kriterien des Personalabbaus in den neuen Bundesländern Von dem seit Jahresbeginn 1990 in der damaligen DDR bzw. später in den neuen Bundesländern forciert betriebenen Personalabbau sind verschiedene Beschäftigtengruppen in unterschiedlichem Maße betroffen. Die Ostberliner Forschungsgruppe Arbeitsmarkt/Beschäftigung ist auf der Basis von Befragungen in Berliner Industriebetrieben verschiedener Branchen (Elektrotechnik/Elektronik, Chemische Industrie, Metallverarbeitende Industrie, Textilindustrie, Dienstleistungsbereich) im Frühjahr 1990 und im Herbst 1990 zu Ergebnissen gelangt, die über den Berliner Raum hinaus für das Gebiet der neuen Bundesländer insgesamt relevant sind: Die wichtigsten Kriterien für den Personalabbau waren danach 1990 Alter, Nationalität und Leistungsfähigkeit 37).
Die „Freisetzung" älterer Arbeitnehmer ist dabei bislang insofern „konfliktgebremst“ gelaufen, als die Vorruhestands-bzw. Altersübergangsgeldregelungen von den betreffenden Altersgruppen weitgehend genutzt worden sind, Kündigungen also großenteils gar nicht ausgesprochen werden mußten 38). Im Hinblick auf die noch in diesem Jahr erwartete Arbeitslosenquote von bis zu 50 % ist jedoch zu befürchten, daß das Kriterium „Alter“ künftig eine viel größere Gruppe als diejenigen treffen wird, die von der Möglichkeit jener Altersübergangsregelungen Gebrauch machen können. Das „kritische Alter“ dürfte wohl schon bei 45 Jahren liegen.
Die o. a. Zahlen der in den neuen Bundesländern verbliebenen ausländischen Arbeitskräfte korrespondieren mit den Ergebnissen der Forschungsgruppe: Ausländer gehören in den Untersuchungsbetrieben zum bevorzugten Freisetzungspotential
Das Kriterium Leistungsverhalten trifft nach den Ermittlungen der Ostberliner Wissenschaftler vor allem Beschäftigte, die man eigentlich schon vor der Wende gern entlassen hätte, wenn dies möglich gewesen wäre. Sie lassen sich unter den Begriff „soziale Problemgruppen“ zusammenfassen. Dazu zählen u. a. kriminell Gefährdete, Alkoholiker und Verhaltensgestörte, die jetzt mit großer Wahrscheinlichkeit der Langzeitarbeitslosigkeit zum Opfer fallen werden. Dieser Gruppe sind aller-dings auch weibliche Beschäftigte zuzurechnen. Weil sie Kinder haben oder bekommen können, gelten sie als weniger verläßlich (im Sinne von verfügbar) als männliche Arbeitskräfte 2. Qualifikationsstruktur der Arbeitslosen In den ersten Monaten des Jahres 1990 waren Beschäftigte mit Hoch-oder Fachschulabschluß überproportional unter den Arbeitslosen vertreten, was unter anderem auf die Auflösung bzw. Reduzierung bestimmter Bereiche des Staatsapparates, gesellschaftlicher Organisationen, von Wissenschaftseinrichtungen, von Leitung und Verwaltung der Kombinate und Betriebe zurückzuführen ist. Später hat sich das Qualifikationsprofil der Erwerbslosen dann eher zugunsten der Intelligenz verschoben. Seit März 1990 erfolgten verstärkt Entlassungen aus der Produktion. Damit hat der Anteil der Facharbeiter und Meister sowie der An-und Ungelernten unter den Arbeitslosen sprunghaft zugenommen 3. Frauen unter den Arbeitslosen Die Geschlechtsstruktur der Arbeitslosen hat sich im Verlauf des Jahres 1990 immer stärker zuungunsten der Frauen verschoben. Waren im Mai %) und im Juni 1990 (49 %) noch weniger als die Hälfte aller erwerbslos gemeldeten Personen weiblichen Geschlechts, so sind es seit Juli 1990 über 50%. Ende April 1991 waren 56% aller Erwerbslosen weiblichen Geschlechts (alte Bundesländer: 47 %) 42).
Das Ansteigen der Frauenarbeitslosigkeit ist mit einer erheblichen Verringerung des bislang hohen weiblichen Beschäftigtengrades verbunden. Er lag 1989 in der DDR bei über 80 % (Bundesrepublik Deutschland: 57%). Als Ursache für die höhere Frauenerwerbslosigkeit hat der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Heinrich Franke, die notwendigen Freisetzungen in Industriezweigen mit einem hohen Anteil weiblicher Beschäftigter genannt. So liegt z. B. in der in Sachsen und Thüringen stark vertretenen Textilindustrie der Frauen-anteil bei über 90 %. Ein sich insgesamt verengender Arbeitsmarkt in den neuen Bundesländern trägt -so Franke -„die Gefahr in sich, daß Frauen zu den Verlierern des Strukturwandels werden“
Frauen werden nicht nur vermehrt entlassen, sie sind außerdem unter den neuen Bedingungen von den Arbeitsämtern schwerer vermittelbar als ihre männlichen Konkurrenten. Im Oktober 1990 waren beispielsweise nur 27 % derjenigen, die eine neue Stelle antreten konnten, weiblichen Geschlechts. Insbesondere Frauen mit Kindern, Alleinerziehende und Frauen im höheren Alter gelten als schwer vermittelbar. Wegen (inzwischen) fehlender Kinderbetreuungseinrichtungen ist ihre Mobilität stark eingeschränkt 4. Jugendliche Arbeitslose Der Anteil Jugendlicher unter den Arbeitslosen war in den Monaten Mai bis August 1990 mit 15 bis 21 % bedenklich hoch. Eine wesentliche Ursache dafür ist in der spontanen Kündigung der jungen Menschen zu sehen, die unter den neuen Bedingungen andere Wege gehen wollen. Hinzu kam die betriebsseitige Auflösung bereits geschlossener Lehrverträge nach dem 1. Juli 1990 (10446). Etwa die Hälfte der betroffenen Jugendlichen konnte in der Folgezeit allerdings neue Lehrverträge abschließen. Anfang September 1990 waren zwischen 30000 und 40000 junge Menschen ohne Lehrstelle Im vierten Quartal 1990 lag der Anteil der Jugendlichen unter den Arbeitslosen dann bei nur noch rund 6%, womit er allerdings immer noch beinahe doppelt so hoch war wie in den alten Bundesländern. Hier belief er sich im Dezember 1990 auf 3, 2%. Inzwischen hat sich der Prozentsatz junger Menschen bis zum Alter von 20 Jahren unter den Erwerbslosen auf rund 5 % eingependelt
Für den Sommer 1991 werden von der Bundesanstalt für Arbeit rund 140000 Schulabgänger in den neuen Bundesländern erwartet. Wieviel von ihnen einen Ausbildungsplatz suchen werden, ist schwer zu sagen. Es wird geschätzt, daß etwa 10000 bis 30000 von ihnen bis zum Abitur weiterlernen werden; andere werden ihr Glück beim Jobben versuchen. Ein großer Teil beabsichtigt, zur Ausbildung oder Arbeit in die alten Bundesländer abzuwandern. Sie alle werden die östliche Statistik entlasten. Übrig bleiben nach derzeitigen Schätzungen etwa 120000 Lehrstellensuchende. Hinzu kommen die „Konkurslehrlinge“, die wegen des Zusammenbruchs ihrer Betriebe einen neuen Ausbildungsplatz benötigen. Ihre Zahl wird von der Industriegewerkschaft Metall auf 30000 geschätzt. Außerdem stoßen noch die Schulabgänger auf den Lehrstellenmarkt, die im Vorjahr „unversorgt“ geblieben sind. Bildungsexperten des DGB rechnen vor diesem Hintergrund damit, daß im Sommer 1991 insgesamt rund 160000 ostdeutsche Jugendliche auf Lehrstellensuche sein werden -die meisten von ihnen vergeblich Weil von ostdeutschen Betrieben und Einrichtungen gerade ca. 50000 Lehrstellenangebote vorliegen, richten sich alle Hoffnungen auf die Bundesanstalt für Arbeit. Sie will in Zusammenarbeit mit der Treuhandanstalt ca. 70000 überbetriebliche Ausbildungsplätze einrichten. Trotzdem wird befürchtet, daß im Herbst 1991 zwischen 30000 und 70000 Ausbildungsplätze fehlen könnten
III. Zum Einkommen der Ausgegliederten
Abbildung 7
Diagramm 3: Offene Stellen in der ehemaligen DDR bzw. in den neuen Bundesländern
Quelle: Die von der früheren Regierung der DDR bzw. von der Bundesanstalt für Arbeit Nürnberg zum jeweiligen Monatsanfang bekanntgegebenen aktuellen Zahlen
Diagramm 3: Offene Stellen in der ehemaligen DDR bzw. in den neuen Bundesländern
Quelle: Die von der früheren Regierung der DDR bzw. von der Bundesanstalt für Arbeit Nürnberg zum jeweiligen Monatsanfang bekanntgegebenen aktuellen Zahlen
1. Arbeitslose Arbeitslose erhalten vom Arbeitsamt zwischen 63 % (Arbeitnehmer ohne Kind) und 68 % (Arbeitnehmer mit Kind) des letzten um die gesetzlichen Abzüge verminderten Arbeitsentgelts bzw. eine entsprechend geringere (zwischen 56 und 58%) Arbeitslosenhilfe Legt man das monatliche Durchschnittseinkommen von Arbeitern und Angestellten der neuen Bundesländer (2. Halbjahr 1990: 1357, 00 DM) zugrunde, so stehen diesem Personenkreis im Falle der Arbeitslosigkeit zur Bestreitung des Lebensunterhaltes im Durchschnitt nur zwischen 854, 00 DM und 922, 00 DM (bei Arbeitslosenhilfe zwischen 759, 00 DM und 787, 00 DM) monatlich zur Verfügung. 2. Kurzarbeiter Kurzarbeiter erhalten für die ausgefallenen Stunden Kurzarbeitergeld in Höhe von 63 % (Arbeitnehmer ohne Kind) bzw. 68 % (Arbeitnehmer mit Kind). Für die übrige Zeit beziehen die Betroffenen ihren normalen Lohn Im Falle von Null Stunden Kurzarbeit entspricht ihr Einkommen dem eines Arbeitslosen, sonst liegt es entsprechend höher. Wer sich als Kurzarbeiter für eine Weiterbildungsmaßnahme meldet, erhält zwischen 65 % und 73 % (Arbeitnehmer mit Kind) des letzten Nettolohnes. 3. Bezieher von „Wartegeld“
Mit einem um 30 % verringerten Bruttogehalt muß sich seit Inkrafttreten des Einigungsvertrages auch ein großer Teil der früher beim Staat angestellten 2, 25 Millionen Beschäftigten abfinden. Das soge-nannte „Wartegeld“ wird ihnen, wenn sie noch keine 50 Jahre alt sind, für sechs, sonst für neun Monate gewährt. In dieser Zeit sollen sie eine neue Arbeitsstelle finden oder sich umschulen lassen. Nach Ablauf der Frist (für einen Großteil der Betroffenen Ende Juni 1991) geraten sie aus der „Warteschleife“ in die Arbeitslosigkeit. Wieviel Menschen davon genau betroffen sind, ist nicht bekannt. Es wird angenommen, daß es zwischen 300000 und 600000 Menschen sind. Während die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) von 600000 bis 700000 spricht, geht das Bundesministerium des Innern davon aus, daß sich nur etwa 100000 bis 150000 Beschäftigte in der „Warteschleife“ befinden. Nach dem am 24. April 1991 in Karlsruhe ergangenen Urteil (gegen die sogenannte „Warteschleifen“ -Klausel war Verfassungsbeschwerde eingelegt worden) sind Bund und Länder nun verpflichtet, soziale Härte- fälle zu vermeiden. Das bedeutet, daß Schwangeren und Müttern nach der Entbindung jetzt ein Kündigungsschutz zu gewähren ist. Geschützt werden sollen auch Schwerbehinderte, ältere Arbeitnehmer und Alleinerziehende. Ihnen ist künftig die Entlassung nur dann zuzumuten, wenn ihnen eine begründete Aussicht auf eine neue Stelle im öffentlichen Dienst geboten wird 4. Rentner Zur großen Gruppe der sozial Schwachen sind auch die ca. 600000 älteren Menschen zu zählen, deren Renten durch den im Einigungsvertrag vereinbarten Sozialzuschlag aufgestockt werden. In den neuen Bundesländern leben insgesamt rd. 3, 5 Mio. Rentner. Die Mindestrente liegt seit dem 1. Januar 1991 bei 545, 00 DM (1990: 495, 00 DM; ab dem 1. Juli 1991 600, 00 DM). Der sogenannte „Standard“ -oder „Eckrentner“, der 45 Jahre Beiträge zur Rentenversicherung geleistet sowie Beiträge zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) entrichtet und durchschnittlich verdient hat, erhält nach der am 1. Januar 1991 beschlossenen Rentenerhöhung um 15 % 773, 00 DM (1990: 672, 00 DM) Lebt der so definierte Rentner in den alten Bundesländern liegt sein Einkommen bei ca. 1751, 00 DM. 5. Alleinerziehende Frauen Alleinerziehende Frauen, von denen es im Osten Deutschlands ca. 350000 (96% aller Alleinerziehenden sind Frauen) gibt, sind -wenn sie arbeitslos werden -oft noch schlechter gestellt als die Bezieher von Mindestrenten. Weil sie in der früheren DDR vielfach teilzeitbeschäftigt waren, liegt ihr Arbeitslosengeld nicht selten unter 495, 00 DM, dem im Einigungsvertrag vereinbarten Mindestsatz. Zum Jahresende 1990 waren ca. 10 % aller arbeitslosen Frauen alleinerziehend. Die meisten von ihnen sind auf Sozialhilfe angewiesen Wie sie materiell gestellt sind, zeigt das Beispiel von Berlin (Ost): Dort war im Spätherbst 1990 jeder zehnte Sozialhilfeempfänger eine alleinerziehende Frau mit Kindern bis zu sieben Jahren. Die allein-erziehenden Mütter waren zwar in der ehemaligen DDR materiell auch nicht sehr viel besser gestellt, aber durch verschiedene Sozialleistungen und die gesicherte Kinderbetreuung wurde doch manches kompensiert
Dieselben Frauen sehen sich heute vielfach vor einer existenzbedrohenden Situation. Die Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt sind härter geworden, die Lebenshaltungskosten gestiegen, Kindertagesstätten müssen schließen oder werden teurer. Hinzu kommt, daß notwendige Regelungen für Eineltern-Familien im Einigungsvertrag ausgespart worden sind. Das gilt zum Beispiel für Fragen des Unterhalts. Seit 1989 gibt es zudem ca. 20000 Alleinerziehende, deren Partner sich durch Abwanderung in die Altbundesländer ihren Zahlungsverpflichtungen entziehen. Um wenigsten 60 DM Unterhaltssicherung vom Staat zu erhalten, muß die Sorgeberechtigte die Adresse des Unterhaltspflichtigen beibringen 6. Bezieher von Vorruhestands-bzw. Altersübergangsgeld Mit einem geminderten Einkommen müssen sich auch die Bezieher von Vorruhestands-oder Altersübergangsgeld begnügen. Wer von der noch unter der Regierung Modrow beschlossenen „Vorruhestandsregelung“ Gebrauch gemacht hat, erhält 70 % des durchschnittlichen Nettolohnes der letzten zwölf Monate. Demgegenüber beläuft sich das „Altersübergangsgeld“, durch das die bisherige Regelung mit Jahresbeginn 1991 abgelöst worden ist, auf nur 65 %. Mit Wirkung vom 1. Januar 1991haben sich jedoch die Bezüge der Betreffenden um 15 Prozent auf Basis von 65 % des früheren Nettodurchschnittslohnes erhöht
Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, Warteschleife oder vorzeitiger Ruhestand führen bei immer mehr Haushalten zu deutlichen Einkommensminderungen. Nach Erhebungen des Instituts für Marktforschung Leipzig (IM) waren davon Mitte April 1991 47 % aller Haushalte von Erwerbsfähigen betroffen. In 30 % aller Erwerbsfähigenhaushalte ist das Einkommen durch Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit verringert. Im Wirtschafts-und Sozialwissenschaftlichen Institut des DGB wird davon ausgegangen, daß 1992 zwei Drittel aller in den neuen Bundesländern lebenden Menschen von Sozialleistungen und privaten Unterhaltszahlungen leben werden müssen
IV. Voraussichtliche Entwicklung der Arbeitslosigkeit: Prognosen
War die Medienlandschaft zu Beginn des Jahres 1990 durch die Berichte über vergleichsweise optimistische Prognosen % des früheren Nettodurchschnittslohnes erhöht 59).
Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, Warteschleife oder vorzeitiger Ruhestand führen bei immer mehr Haushalten zu deutlichen Einkommensminderungen. Nach Erhebungen des Instituts für Marktforschung Leipzig (IM) waren davon Mitte April 1991 47 % aller Haushalte von Erwerbsfähigen betroffen. In 30 % aller Erwerbsfähigenhaushalte ist das Einkommen durch Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit verringert. Im Wirtschafts-und Sozialwissenschaftlichen Institut des DGB wird davon ausgegangen, daß 1992 zwei Drittel aller in den neuen Bundesländern lebenden Menschen von Sozialleistungen und privaten Unterhaltszahlungen leben werden müssen 60).
IV. Voraussichtliche Entwicklung der Arbeitslosigkeit: Prognosen
War die Medienlandschaft zu Beginn des Jahres 1990 durch die Berichte über vergleichsweise optimistische Prognosen der renommierten Wirtschaftsforschungsinstitute der Bundesrepublik Deutschland über die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen in den neuen Bundesländern geprägt 61), so sieht das 1991 ganz anders aus: Durch die Presse geistert jetzt die beinahe unvorstellbare Arbeitslosenquote von 30 bis 50 %. Für das laufende Jahr 1991 wird tatsächlich ein Anstieg der Arbeitslosenziffer von 842285 (Ende Mai 1991) auf bis zu vier Millionen befürchtet. Nach Auffassung des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit Nürnberg, Egon Franke, ist „die Talsohle noch längst nicht erreicht“. Man müsse sich damit abfinden, daß insgesamt 30 bis 50 % der vormals 9, 8 Mio. Erwerbstätigen der früheren DDR, also ungefähr vier Mio. Menschen, arbeitslos würden 62).
Nach jüngsten Prognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute ist mit einer Erholung auf dem Arbeitsmarkt möglicherweise erst im zweiten Halbjahr 1992 zu rechnen. Vorher sei eine „Vitalisierung der angeschlagenen ostdeutschen Wirtschaft ... kaum zu erwarten“, ist beispielsweise aus dem Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung e. V. Berlin (IAW) zu hören. Bis Ende 1991 werde sich die Talfahrt von Produktion und Beschäftigung fortsetzen. Mit dem „dramatischen Fortgang des Schrumpfungsprozesses“ der ostdeutschen Wirtschaft (1990 ist das Bruttosozialprodukt um fast 20 % zurückgegangen; für 1991 wird ein Rückgang um 23 % erwartet) beschleunige sich der Zusammenbruch des Arbeitsmarktes. Das IAW erwartet bereits Mitte des Jahres 1991 über 4 Millionen Arbeitslose 63). Im Ostberliner Institut für Wirtschaftswissenschaften (IWW) wird damit gerechnet, daß 1992 ca. 4, 5 Millionen Menschen von den verschiedenen Formen der Nicht-oder Unterbeschäftigung betroffen sein werden. 1995 sei immer noch mit 2, 5 bis 3 Millionen Unterbeschäftigten zu rechnen 64).
Ungeachtet aller Negativ-Prognosen gibt es gleichwohl Anlaß zu vorsichtigem Optimismus. Zwar ist das Tief am Arbeitsmarkt noch nicht erreicht und hier ist trotz des schwächeren Anstiegs der Arbeitslosen-und geringfügigen Rückganges der Kurzarbeiterzahlen im Mai 1991 von Zuversicht auch nichts zu spüren, aber es gibt in der ostdeutschen Industrie doch Anzeichen einer Stabilisierung. Das Geschäftsklima und die Exporterwartungen -vor allem in die Staaten Osteuropas -hätten sich verbessert, heißt es im März-Konjunkturtest des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung München. Fast zwei Fünftel der von den Münchner Wissenschaftlern befragten Industrieunternehmen rechnen für das zweite Halbjahr 1991 mit einer günstigeren Entwicklung. Nach Angaben des Präsidenten des Deutschen Industrie-und Handelstages (DIHT) erwarten übrigens fast 50 % der ostdeutschen Industrieunternehmen für das dritte Quartal 1991 Produktionssteigerungen 65). Hoffnungsschimmer am Horizont sehen auch die Wissenschaftler des Ostberliner Instituts für angewandte Wirtschaftsforschung (IAW). Sie haben Hinweise für positive Beschäftigungseffekte in der Bauwirtschaft und bei den Dienstleistungen. Bei Banken, Versicherungen, unternehmensnahen Diensten und Freien Berufen (Rechtsanwälte und Steuerberater) gebe es Anzeichen für einen Netto-zuwachs an Arbeitsplätzen
Schließlich beginnt das von der Bundesregierung auf den Weg gebrachte Gemeinschaftswerk „Aufschwung Ost“, in dessen Rahmen zum Beispiel 1991 300000 Arbeitsbeschaffungs-und 550000 Qualifizierungsmaßnahmen realisiert werden sollen, langsam zu greifen. Zu diesem Ergebnis ist die siebte Wirtschaftskonferenz beim Bundeskanzler am 4. Juni 1991 gelangt. Der langsamere Anstieg der Erwerbslosenzahlen im Mai 1991 ist tatsächlich auf den massiven Einsatz der zur Verfügung stehenden arbeitsmarktpolitischen Instrumente zurückzuführen. Eine rasche Konsolidierung des Arbeitsmarktes in den neuen Bundesländern (die Bundesregierung rechnet nach jüngsten Verlautbarungen für 1991 nur noch mit 1, 1 bis 1, 4 Mio. Arbeitslosen) wird auch durch den zügigen Verkauf der unter der Regie der Treuhandanstalt stehenden ca. 8000 Unternehmen erwartet. Bis Ende Mai 1991 konnten 1950 Unternehmen verkauft werden, womit ein Investitionsvolumen von 60 Mrd. DM erschlossen und 400000 Arbeitsplätze geschaffen worden sind
Die Bundesregierung unterstützt inzwischen die seit langem von der SPD und den Gewerkschaften und jetzt auch von den Arbeitgeberverbänden vorgetragene Forderung, die Ex-DDR „flächendekkend“ mit Beschäftigungsgesellschaften zu überziehen. Der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Klaus Murmann, hat sich dafür ausgesprochen, die Strukturkrise im Osten Deutschlands mit Hilfe von sogenannten Auffang-und Arbeitsförderungsgesellschaften zu überwinden. Ihre Aufgabe soll darin bestehen, zu qualifizieren, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu organisieren und den Arbeitnehmern den Übergang in ein normales Beschäftigungsverhältnis zu ermöglichen. Murmann geht davon aus, daß auf diese Weise eine Anpassung des östlichen an den westlichen Arbeitsmarkt innerhalb eines Zeitraumes von etwa drei Jahren möglich wird. Zur Umsetzung des Gemeinschaftswerkes „Aufschwung Ost“ sollten ostdeutsche Länder, Kommunen, die Treuhandanstalt, die Arbeitsverwaltung, die Sozialpartner und die Bundesregierung deshalb jetzt ein Gremium „Arbeitsmarkt Ost“ schaffen, das die notwendigen Maßnahmen in die Wege leitet
Von anderer Seite kommt der Vorschlag, die materielle Absicherung der Menschen im Osten Deutschlands mit einer „Vorwärtsstrategie für die Qualifizierung“ zu verknüpfen. Der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft Kiel, Horst Siebert, hat dafür plädiert, die Arbeitslosen mit sogenannten „Qualifizierungsgutscheinen“ auszustatten. Es solle dann dem Einzelnen überlassen bleiben, wo er -bei seinem bisherigen Arbeitgeber, bei der kommunalen Qualifizierungsgesellschaft oder bei einer neuen Firma -seine Zukunftschancen wahrnimmt
Alle genannten Maßnahmen werden nichts daran ändern können, daß die Bevölkerung Ostdeutschlands das tiefe Tal der Massenarbeitslosigkeit durchschreiten muß. Der Ministerpräsident des Landes Brandenburg, Manfred Stolpe, erwartet zwar, daß die Lebensverhältnisse in den neuen Bundesländern bis 1994 in den „Eckwerten“ dem Westen angeglichen sein werden, aber zuvor werde den Menschen der „Härtetest“ abverlangt. Bleibt zu fragen, ob sie diese „psychologische Herausforderung“ bestehen können Das hängt nicht zuletzt ab von den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen, die die Bundesregierung schaffen muß.
Katharina Belwe, Dr. rer. pol., geb. 1949; 1977-1982 wiss. Assistentin an der FU Berlin; seit 1982 Referentin am Gesamtdeutschen Institut Bonn. Veröffentlichungen u. a.: Zwischenmenschliche Entfremdung in der DDR. Wachsender materieller Wohlstand versus Verlust an sozialen Kontakten, in: G. -J. Glaesner (Hrsg.), Die DDR in der Ära Honecker. Politik -Kultur -Gesellschaft, Opladen 1988; Sozialstruktur und gesellschaftlicher Wandel in der DDR, in: W. Weidenfeld/H. Zimmermann (Hrsg.), Deutschland-Handbuch. Eine doppelte Bilanz. 1949-1989, Bonn 1989.