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Rechtsextremismus und Anti-Rechtsextremismus in der modernen Industriegesellschaft | APuZ 2-3/1993 | bpb.de

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APuZ 2-3/1993 Gesellschaftliche Desintegrationsprozesse als Ursachen von fremdenfeindlicher Gewalt und politischer Paralysierung Rechtsextremismus und Anti-Rechtsextremismus in der modernen Industriegesellschaft Gewalt in Deutschland -Eine psychologische Analyse Artikel 1 Jugendliche in Brandenburg -Signale einer unverstandenen Generation Zur Akzeptanz von Asylbewerbern in Rostock-Stadt. Empirische Ergebnisse aus dem Frühjahr 1992

Rechtsextremismus und Anti-Rechtsextremismus in der modernen Industriegesellschaft

Wolfgang Kowalsky

/ 33 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die rechtsextreme Renaissance hat sich in mehreren europäischen Industriegesellschaften zu einer soziopolitischen Herausforderung ersten Ranges entwickelt. In Frankreich konnte innerhalb eines Jahrzehnts eine Sekte zur stärksten rechtsextremen Partei Europas -der Nationalen Front -aufsteigen. Die Gegenmaßnahmen von „SOS-Racisme“, Medien und politischen Gegnern erwiesen sich als ineffektiv. Von daher ist eine Überprüfung des anti-rechtsextremen Handlungsspektrums auf Effizienz und der Begründung der Gegenstrategien auf Plausibilität erforderlich. Die Gegenmaßnahmen wurden zu diesem Zwecke acht Gesichtspunkten zugeordnet und auf ihre Stimmigkeit und Effizienz hin untersucht. Das Ergebnis lautet, daß sich das antirechtsextreme Denken und Handeln noch weitgehend von der Antifa-Strategie der dreißiger Jähre leiten läßt und an den heutigen Herausforderungen weitgehend vorbeigeht. Kritik an linken Strategien zu üben ist nicht gleichbedeutend mit Gegnerschaft. Vielmehr geht es um die Förderung einer theoretisch reflektierten Praxis, die eine Überprüfung der eigenen Handlungsmuster zur Regel macht.

I. Vorbemerkungen

Die westlichen Industriegesellschaften sind seit dem Ausbruch der wirtschaftlichen Krise 1973/74 von rasanten gesellschaftlichen Umbrüchen erfaßt worden, die durch den Zusammenbruch des Real-sozialismus noch beschleunigt wurden. Krisenzeiten sind Zeiten des Umdenkens, da sie Gewißheiten in Frage stellen. Wer glaubte, der rechtsextreme Wahlerfolg im Frühjahr 1989 in Berlin, bei dem die „Republikaner“ entgegen allen Erwartungen den Sprung ins Abgeordnetenhaus schafften, bleibe etwas Kurzlebiges, sei ein vorübergehendes Phänomen dem dürften mittlerweile Zweifel kommen. Nicht wenige Rechtsextremismus-Forscher gehen inzwischen davon aus, daß eine Periode rechtsextremer Renaissance angebrochen sei, und zwar nicht allein in Deutschland, sondern in den meisten europäischen Ländern. Demnach wäre Rechtsextremismus keineswegs ein Anachronismus, ein Relikt der NS-Zeit, sondern ein Phänomen der Moderne, das aus dem Kem hoch-entwickelter Industriegesellschaften erwächst.

Ein Blick nach Frankreich legt die Vermutung nahe, daß die rechtsextremen Parteien in Deutschland erst an ihrem Anfang stehen: In Frankreich wurde 1972 die Nationale Front um Jean-Marie Le Pen gegründet, und sie konnte bei den Europa-wahlen mit zehn Prozent der abgegebenen Stimmen ihren ersten großen Erfolg feiern. Die meisten Beobachter damals deuteten das Wahlergebnis als konjunkturelles Phänomen, als Welle im Auf und Ab rechtsextremer Strömungen. Doch diese optimistische Prognose wurde seither von der Wirklichkeit widerlegt, denn die Partei Le Pens konnte sich ausbreiten und ihre Wahlergebnisse konsolidieren (1988: 14, 6 Prozent). Sie ist zur mächtigsten rechtsextremen Partei in Europa avanciert und gibt für Nacheiferer ein Modell ab. So sehen auch viele deutsche Rechtsextremisten im französischen Beispiel den Weg ihrer Zukunft.

Das Augenmerk muß auf das Moderne an den heutigen Rechtsextremisten gerichtet werden, denn es waren keinesfalls antiquierte neonazistische Parolen, die die französischen Rechtsextremisten aus dem Sektierertum hinausführten und ihnen beträchtlichen Zulauf verschafften. Sie sprachen aktuelle Problemlagen an, die den anderen Parteien zu „heiß“ waren. Beim Aufgreifen dieser brachliegenden oder tabuisierten Themen konnten die Rechtsextremisten auf neurechte Vorarbeiten zurückgreifen. Unter Neuer Rechter wird hier eine intellektuelle Strömung insbesondere in Frankreich verstanden -Denkzirkel und Denkfabriken, die nach dem Mai 1968 ein Defizit der traditionellen Rechten auf vielerlei politischen Gebieten feststellten und davon ausgehend sich an die Theorie-arbeit setzten. Dabei lasen sie vornehmlich linke Theoretiker (u. a. Antonio Gramscis Gefängnis-hefte) und zogen Lehren aus linken Aktionsformen, die im Mai 1968 Furore gemacht hatten.

Die Themenpalette, derer sich diese Theoriezirkel in Frankreich annahmen, ist denkbar breit: Nation/Nationale Identität, „Dritter Weg“, Kritik am „American Way of Life“, Europa, Dekadenz, Sittenverfall, Aids, Immigration, multikulturelle Gesellschaft, Sicherheit und Kriminalität, Bevölkerungsentwicklung, Wohnungsnot usw. Die derzeit in Deutschland vieldiskutierten Problemkreise Asyl und Ausländer sind Bruchstücke ihres farbig schillernden Programmentwurfs, der weiter ausbaufähig ist. Hinzugekommen ist in Deutschland das Thema Umwandlung der DM in ECU.

Neuartig und beunruhigend an den jüngsten Entwicklungen in Deutschland ist die Herausbildung einer rechtsextremen Jugendszene, denn bislang war die rechtsextreme Szene von alten Männern, von Ewiggestrigen beherrscht. Neu ist auch derVersuch, die politisch-konzeptionelle Bildungsarbeit, die Theoriearbeit und generell eine Intellektualisierung der Rechten voranzutreiben. Ob diese Bestrebungen von parteiförmigem Erfolg gekrönt sein werden, hängt davon ab, ob die Rechtsextremisten in der Lage sein werden, Visionen zu entwerfen. Insgesamt ist eine Neustrukturierung der rechtsextremen Szene zu beobachten, verbunden mit einer Neustrukturierung des Jugendmilieus: Jugendliche und Jugendgruppen instrumentalisieren nazistische Elemente zum Ausleben von Gewaltphantasien und Aggressivität. Die bisherige Entwicklung in Deutschland deutet darauf hin, daß sich der Rechtsextremismus über den Weg einer außerparlamentarischem Protestbewegung etabliert.

Rechtsextremismus, dies läßt sich festhalten, ist ein Produkt der Moderne und kein Überbleibsel aus der Epoche des historischen Faschismus. Die meisten Strategien gegen den Rechtsextremismus behandeln diesen jedoch als Wurmfortsatz der NS-Zeit. Daher ist es nicht verwunderlich, daß sie sich, wie ein Blick nach Frankreich zeigt, als verfehlt, wirkungslos oder sogar kontraproduktiv erwiesen haben. Einem weiteren Aufstieg der extremen Rechten steht auch in Deutschland wenig im Wege, sowohl im gedanklichen als auch im Handlungsspektrum. Eine Revision anti-rechtsextremer Denkmuster und Aktionsformen wäre dringend angebracht, sowohl um Denkblockaden zu überwinden als auch um verfehlte Aktionsformen, die die eigenen Intentionen konterkarieren, aus dem Repertoire zu entfernen. Viele Theoretiker und Praktiker übersehen, daß das -politische -Handeln nicht nur beabsichtigte Folgen, sondern auch unerwünschte Nebenwirkungen hat. Diese nichtintendierten Folgen haben oft einen ebenso großen, manchmal größeren, jedenfalls unterschätzten Stellenwert.

Kollektive Konstruktionen lassen sich aufgrund einer Unschärfe von Sozialwissenschaft nur schwer beschreiben. Diese Unschärfe geht nicht auf methodische Fahrlässigkeit zurück, sondern ist ein Merkmal der sozialen Realität. Mentalitäten, Denkmuster, aber auch Aktionsformen lassen sich nicht exakt voneinander abgrenzen und dennoch ist unstrittig, daß sie real existieren. Wenn hier von Strategien gesprochen wird, handelt es sich im Grunde genommen um einen Euphemismus, denn die im folgenden analysierten Bekämpfungsvorschläge ergeben noch keine Strategie. Da aber diese Maßnahmen als Strategie, zumindest als Strategieersatz fungieren, soll der Begriff trotzdem beibehalten werden.

Im vorliegenden Beitrag geht es darum, eine gängige linke Strategie auf den Prüfstand zu stellen. Dieses Verfahren mag wenig konstruktiv erscheinen, doch die Freilegung von Denkblockaden ist ein notwendiger Schritt auf dem Weg zu neuen Konstruktionen und daher langfristig konstruktiver als ein schnelles Kurieren an Oberflächen-symptomen, das auf der irrigen Annahme beruht, auf tiefgehende Analyse könne verzichtet werden. An Analysen der Ursachen des Rechtsextremismus herrscht kein Mangel Aus den Erklärungshypothesen leiten einige Forscher und Wissenschaftler Bekämpfungsstrategien ab oder legen sie zumindest durch monokausale Ursachenbefunde nahe. Wichtige Gegenmaßnahmen sollen hier kurz erörtert werden. Die ausgewählten Strategiemuster existieren nicht in Reinform. Trotzdem erscheint es aus analytischen Gründen sinnvoll, einzelne Aspekte zu betrachten, obwohl sie in Wirklichkeit ineinander verschlungen sind. Nur so ist die ihnen eigentümliche Logik herauszuarbeiten. Entgegen dem Anschein, der durch die Aufzählung von acht Strategiekomponenten erweckt werden könnte, handelt es sich nicht um einander ausschließende Alternativen, sondern um Kombinationen. Die Nähe zu einer Strategiefacette bedeutet nicht notwendig Distanz zu einer anderen. Wie bei einem gedrehten Kaleidoskop entstehen aus denselben Elementen verschiedene Gesamt-konfigurationen. Die Kritik soll Anstoß geben zur notwendigen Auseinandersetzung mit Versäumnissen und Mythen.

Folgende Fragen leiteten die Analyse: Von welchen Prämissen gehen die Gegenmaßnahmen aus? Welche Ursachenzuschreibung läßt sich ihnen zuordnen? Welche Konsequenzen ergeben sich aus ihnen? Reichen die vorgeschlagenen Strategien an die Wurzel des Phänomens oder kurieren sie bloß Symptome? Wird ihre Effektivität nur behauptet oder bewiesen?

Diese Fragen können im Rahmen eines Zeitschriftenbeitrages nur ansatzweise beantwortet werden. Die folgenden Ausführungen haben daher eher den Charakter einer vorläufigen Skizze denn eines endgültigen Tableaus.Betrachten wir -notgedrungen schematisiert -die einzelnen Facetten der Bekämpfungsstrategien genauer

II. Anti-Rechtsextremismusstrategien der Linken auf dem Prüfstand

1. Zur Antifaschismusstrategie Die traditionsreichste Strategie zur Bekämpfung rechtsextremer Bestrebungen ist die Antifaschismusstrategie, die von einer Wesensgleichheit bzw. einer Wesensverwandtschaft des historischen Faschismus mit rechtsextremen Organisationen ausgeht. Vertreten wurde bzw. wird sie u. a. von Reinhard Kühnl, Reinhard Opitz, Wolfgang Wippermann, Kurt Gossweiler, zahlreichen kommunistischen Parteien und Teilen der Jusos. Diese Bekämpfungsweise unterscheidet sich nicht grundlegend von der Antifaschismusstrategie der dreißiger Jahre selbst wenn die Anhänger dieser Position nicht müde werden, wortreich das Neue und Moderne ihrer Strategie herauszustreichen. Die Verfechter dieser Strategie versuchen, die Kontinuitätshypothese zu belegen, indem sie strukturelle und personelle Verbindungen von der Epoche des historischen Faschismus zur Jetztzeit aufspüren und nachzeichnen Im Grunde genommen wird dabei das Neuartige ausgeblendet, das Diskontinuierliche rechtsextremer Bewegungen zurechtgestutzt und unterbewertet zugunsten der aufgezeigten Kontinuitäten. (Es sollte zu denken geben, daß ausgerechnet in den östlichen Bundesländern, wo Antifaschismus jahrzehntelang als Staatsdoktrin herrschte, rechtsextreme Denkmuster und Aktionsformen großen Zuspruch finden.) Das Augenmerk wird nicht auf die heutigen Rechtsextremisten gerichtet, sondern es wird kurz-schlüssig eine Analogie zur NS-Zeit hergestellt und behauptet, die heutigen Rechtsextremisten wollten das NS-Regime wieder errichten, eventuell mit Modemisierungslack.

Die meisten Demonstrationen nach den xenophoben Ausschreitungen von Hoyerswerda im Herbst 1991 bzw. Rostock 1992 standen unter dem antifaschistischen Vorzeichen. Sowohl auf Spruchbändern als auch Flugblättern waren entsprechende Parolen zu lesen: „Stoppt die rassistisch-faschistischen Angriffe!“, „Gegen Rassismus und Faschismus“, „Gegen Nazi-Terror“, „Wehret den Anfängen“. Anspruchsvollere Vertreter dieser Strategie bemühten Bertolt Brecht und skandierten pathe -tisch: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“ Den Slogans liegt die Grundannahme zugrunde, daß in der Bundesrepublik die Gefahr einer Wiederkehr des Faschismus akut sei. Die Ereignisse werden als Reminiszenzen der NS-Zeit wahrgenommen. Dabei wird umstandslos eine Kontinuitätslinie zu dieser Epoche gezogen und die Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik in den Hintergrund gedrängt.Selbst kritische Analytiker bundesrepublikanischer Verhältnisse wie Jürgen Habermas gestehen dieser Republik zu, daß in ihr demokratische Verhältnisse herrschen, die eine ideelle und emotionale Verbundenheit aufweisen. Der Begriff Verfassungspatriotismus soll diese Verbundenheit mit dem demokratischen Gemeinwesen, die sich im Laufe der letzten Jahrzehnte herausgebildet hat, zum Ausdruck bringen. Zwar kann gegen diese optimistische Einschätzung eingewendet werden, daß die relativ junge demokratische Tradition noch keine Bewährungsproben überstehen mußte und daß die rechtsextreme Renaissance sich in nächster Zeit durchaus zu einer solchen Herausforderung auswachsen könnte. Aber niemand vermag den Ausgang einer Erschütterung der bundesrepublikanischen Gesellschaft von rechtsaußen vorauszusagen. Jedenfalls hat der rechtsextreme Protest wenig mit der historischen Hypothek des NS-Regimes zu tun. Wilhelm Heitmeyers Untersuchungen zufolge lehnen zahlreiche Jugendliche das NS-Regime ab und orientieren sich dennoch an rechtsextremen Vorstellungen Über die Hilflosigkeit des traditionellen Antifaschismus und sein veraltetes Koordinatensystem ist bereits viel Tinte verschrieben worden Dennoch lebt er fort und von daher ist eine aktualisierte Fortschreibung der Kritik sinnvoll. Ein Antifaschismus, der sich in Warnungen vor „ 33“ und im Beschwören einer Wiederholungsgefahr der Geschichte erschöpft, führt geradewegs zu moralischer Selbstgerechtigkeit und zur Inszenierung von Betroffenheitsritualen, die auf Jugendliche eher demotivierend wirken und nicht geeignet sind, ein Nachdenken zu initiieren. Wenn „antifaschistische“ Pädagogen Antworten präsentieren, die nicht die Fragen der angesprochenen Jugendlichen betreffen, dann ist durch ein solches Vorgehen genausowenig gewonnen wie durch Dramatisierungen.

Die oftmals kritisierte inflationäre Benutzung des Faschismus-Begriffs, seine gebetsmühlenartige Wiederholung und ein allgegenwärtiger Faschismus-Verdacht nutzen bestenfalls zur Diffamierung des politischen Gegners. Letztendlich tragen sie durch Banalisierung des historischen Faschismus zu dessen Verharmlosung bei. Sprüche wie „Nazis raus“ oder „Schlagt die Faschos, wo ihr sie trefft“, Begriffe wie „Mob“ (Frankfurter Aufruf) ebnen den Weg in Ausgrenzung bzw. Gewalt. Manche meinen offenbar, gegen das autoritäre Verhalten von Rechtsextremisten sei durch ein ebenso autoritäres Gehabe von links anzukommen. 2. Zur Aufarbeitungsstrategie Eine andere Strategiefacette besteht in der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, die zu einer Daueraufgabe hochstilisiert wird, die dem Rechts-extremismus den Boden entzöge. Plädiert wird für eine permanente Geschichtslektion über die NS-Zeit und diese Forderung wie ein Gebot behandelt, gegen das nicht verstoßen werden dürfe. Zwei Lager stehen sich hier gegenüber: Das linke klagt über eine versäumte bzw. mangelhafte Aufarbeitung der Vergangenheit (Ralph Giordano, Alexander und Margarete Mitscherlich u. a.), das rechte fordert schlicht und einfach einen Schlußstrich. Seriöse Studien, die die eine oder andere These belegen, liegen bislang nicht vor.

Die Auseinandersetzung ist folgerichtig ausgeartet zu einem Streit zweier Glaubensbekenntnisse, über die sich jedoch bekanntlich schlecht diskutieren läßt. Jedenfalls läßt sich nicht leugnen, daß es gerade seit den Anstößen, die von der achtundsechziger Studentenbewegung ausgingen, eine Reihe positiver Ansätze zur Aufarbeitung der Vergangenheit gegeben hat. Die Vorstellung aber, daß Vergangenheit jemals vollständig aufgearbeitet werden könnte -ein Maßstab, den das eine Lager zur Richtschnur erhoben hat -ist realitätsfremd.

Die These der fehlenden Aufarbeitung der Vergangenheit ist weder neu noch originell. Sie wiederholt nur in einem radikalen moralischen Gestus das, was seit den fünfziger Jahren immer wieder behauptet wurde Die NS-Vergangenheit werde verleugnet und verdrängt, es herrsche ein großes oder kollektives Schweigen, die Aufarbeitung liege im argen. Die stete, geradezu obsessive Wiederholung solcher Pauschalurteile bestätigt noch nicht ihren Wahrheitsgehalt. Um die Diskussion zu versachlichen, wäre es hilfreich, Kriterien für eine erfolgreiche Aufarbeitung aufzustellen und anzulegen. Bislang existieren solche konsensfähigen Beurteilungsmaßstäbe nicht, und daher bleibt die Frage der Aufarbeitung ein Tummelplatz für selbstgerechtes Moralisieren und für politische Instrumentalisierungen.

Als Grund für das Erstarken des Rechtsextremismus wird von Ralph Giordano, Lea Rosh u. a. angeführt, es habe keine wirkliche Aufarbeitung der NS-Zeit gegeben. Damit ist das Gegenrezept, nämlich die verstärkte Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, umrissen. Doch eine intensivere Beschäftigung mit der Nazi-Zeit kann eine Auseinandersetzung mit den Rechtsextremisten von heute nicht ersetzen. Eine Erfolgsbedingung für rechtsextreme'Parteien von heute besteht darin, daß sie sich von der diskreditierten NS-Vergangenheit permanent distanzieren. Unterließ eine rechtsextreme Partei diese Abgrenzung, so fiel sie stets in der Wählergunst.

Zwischen dem Verhältnis der Deutschen zu ihrer Vergangenheit und dem Terror gegen Ausländer besteht ein Zusammenhang, aber es kommt darauf an, wie dieser formuliert wird. Einige behaupten, wenn wir genug für die Aufarbeitung des Holocaust getan hätten, gäbe es keine Gewalt gegen Ausländer. Die historisierende Pädagogik erscheint in dieser holzschnittartigen Formulierung als Wundermittel zur Herstellung einer friedlichen Gesellschaft. Jede einzelne Gewalttat liefert dann einen neuen Beweis, daß diese Pädagogik gescheitert ist. Der starre Blick auf zwölf Jahre NS-Zeit bewirkt, daß die Verarbeitung der Vergangenheit und die Anmahnung der Erinnerung zu einer vornehmen Aufgabe der Linken werden. Damit läuft sie Gefahr, die Gestaltung von Gegenwart und Zukunft dem Gegner zu überlassen. 3. Zur Repressionsstrategie Als Repressionsstrategie sei die Forderung bezeichnet, die rechtsextremen Parteien zu verbieten und deren Mitgliedern Berufsverbot zu erteilen. Das Verbot soll dazu dienen, „neofaschistischen“ Organisationen das Wasser abzugraben und die Ausbreitung „neofaschistischer Ideologie“ zu verhindern. Zu Vertretern dieser Position können einige Grüne, Siegfried Jäger, der „Bund der Antifaschisten“ (VVN) u. a. gezählt werden.

Dagegen ist einzuwenden, daß Verbote in der Regel kein geeignetes Mittel der Auseinandersetzung sind. Ein Verbot würde bloß bewirken, daß die Rechtsextremisten in die Illegalität oder in Tarnorganisationen abwandem, die sich bereithalten und in einem günstigen Augenblick erneut ans Tageslicht treten würden. Staatliche -Repression birgt das Risiko, Tendenzen zur Ghettoisierung und halbgeheimen Organisationsbildung zu stärken. Wenn eine rechtsextreme Partei in den Untergrund abgedrängt wird, ist das Risiko groß, daß sich eine Sekten-und Wagenburgmentalität ausbreitet mit einem Syndrom wie Verfolgungswahn. Auch bestünde die Gefahr, ungewollt Märtyrer zu erzeugen. Nicht zuletzt würde den demokratischen Instanzen der Überblick und die Kontrolle erschwert. Insbesondere gegenüber desorientierten Jugendlichen ist es fragwürdig, ob diese Stigmatisierung der geeignete Weg ist, sie vor dem Abgleiten in die rechtsextreme Szene zu bewahren, oder ob sie dadurch nicht erst recht in rechtsextreme Verhaltensmuster hineingepreßt werden. Fataler-weise wird jeder Krawall in die Schublade „Rechtsextremismus“ gepackt.

Da die Vertreter der Repressionsstrategie oftmals dieselben sind, die vor noch nicht allzu langer Zeit gegen Berufsverbote für Linke auftraten, ist es inkonsequent, daß sie hier einen anderen Maßstab anlegen. Gesellschaftliche Ächtung und Berufsverbot werden als geeignete Mittel der Auseinandersetzung mit Rechtsextremisten propagiert. Es wird ignoriert, daß sie gesellschaftliche Desintegrationsund Polarisierungsprozesse fördern. Auch für Rechtsextremisten muß gelten, daß die Auseinandersetzung auf politischer Ebene zu erfolgen hat und nicht mit administrativen Mitteln, die letztlich doch zum Scheitern verurteilt sind, wie es die Entwicklung in der DDR gezeigt hat.

Diese Leitlinie einer vornehmlich politischen Auseinandersetzung stößt dort an Grenzen, wo rechtsextremistische Gewalttäter den Rechtsstaat herausfordern, wie es in Hoyerswerda, Rostock oder im schleswig-holsteinischen Mölln und anderswo der Fall war. Dort ist ein entschiedenes Eingreifen staatlicher Kräfte (Generalbundesanwalt, Bundes‘kriminalamt etc.) erforderlich und, wie sich im Kampf gegen die RAF gezeigt hat, durchaus möglich. Die Bedrohung, die von Rechtsaußen ausgeht, ist größer als die Gefährdung durch die RAF jemals war. Für ausländerfeindliche Ausschreitungen darf es keinerlei Entschuldigungen geben: weder mit dem Verweis auf mangelnde Erfahrung mit Fremden, schlechte Lebensverhältnisse und Massenarbeitslosigkeit noch mit der Aufzählung sonstiger soziostruktureller Ursachen kann hier für mildernde Umstände plädiert werden. Gegenüber der Verletzung von Menschen-und Bürgerrechten ist sowohl zivilbürgerliches Eingreifen als auch das konsequente Vorgehen des Rechtsstaates gefordert. In der Bundesrepublik muß der Rechtsstaat in dieser Hinsicht rigoroser sein als in anderen Ländern, damit der Eindruck einer heimlichen oder offenen Duldung oder sogar Komplizenschaft nicht aufkommt. Zudem ermutigt jede Schwäche die Gewalttäter.

Einige Autonome rechtfertigen linke Gegengewalt und verdrängen, daß diese Aufweichung des staatlichen Gewaltmonopols auf die Einführung von Bürgerwehren hinauslaufen kann und damit aufSelbst-und in letzter Instanz auf Lynchjustiz. Gewalt nützt stets dem Rechtsextremismus, dem es so gelänge, seine Gegner auf sein ureigenes Terrain zu ziehen. Es sollte zu denken geben, daß Gewalt-akzeptanz und Gewaltanwendung neben der Ideologie der Ungleichheit Kernbestandteil rechtsextremer Orientierungen sind, wie Wilhelm Heitmeyer herausgearbeitet hat. In diesem Zusammenhang müßte die Linke ihren überhöhten Anspruch, für die Abwehr des gesellschaftlichen Notstands zuständig zu sein, aufgeben und ein unverkrampftes Verhältnis zum Rechtsstaat und zur Rechtsstaatlichkeit entwickeln, damit sie die Zuständigkeit ruhigen Gewissens an eben diesen Rechtsstaat und seine Instanzen abtreten und das staatliche Gewaltmonopol akzeptieren kann. Der größte Feind der zivilisierten Gesellschaft ist deren Militarisierung. 4. Zur Psycho-bzw. Ausgrenzungsstrategie Eine weitere Strategiefacette ist die psychologische bzw. Ausgrenzungsstrategie. Die Verfechter dieser Position spüren autoritäre, um nicht gleich zu sagen: faschistoide Charakterstrukturen bei „den“ Deutschen auf und sehen damit die allgegenwärtige Gefahr einer Wiederkehr des Faschismus, die es zu verhindern gelte Unter Ausgrenzungsstrategie fällt die Praxis vieler linker Jugendzentren, Jugendliche, die für Rechtsextremismus anfällig sind, vor der Tür zu halten („Nazifreie“ Jugendclubs), statt sie in ihre Arbeit einzubeziehen

Ausgangspunkt persönlichkeitsorientierter Erklärungsmuster bilden Arbeiten von Erich Fromm, Wilhelm Reich und Theodor W. Adorno. In verschiedenen Studien über Autorität und Familie wurden masochistische, aggressiv-sadistische oder sadomasochistische Veranlagungen nachgewiesen, die autoritätssüchtig machen. An seriöse Studien knüpfen sozialpsychologisch angehauchte Aktualisierungen und zahllose Vulgarisierungen an. Die genannten Autoren selbst hüten sich zwar, aus ihren Analysen geradlinig Therapien abzuleiten, und warnen davor, aber es geschieht dennoch. Und diesen Therapien, die in ihre Theorie hineininterpretiert werden, verdanken sie ihre Beliebtheit bei vielen Gegnern des Rechtsextremismus.

Hinter solchen undifferenzierten Therapievorschlägen steht die Vermutung, die Deutschen seien faschistoid und hätten seit jeher eine Veranlagung zu autoritärer Führung, Militarismus, Rassenhaß, Verfolgung von Minderheiten -mit anderen Worten: dem deutschen Nationalcharakter seien böse, gefährliche Züge eigen. Gegen solche Neigungen ist nach dieser Logik nur mit psychoanalytischen oder -therapeutischen Methoden anzukommen. Sowohl die therapeutische als auch die pädagogische Praxis unterstellt den Rechtsextremisten psychische Defekte, die es zu beheben gelte. Schärfere Vertreter dieser Linie plädieren für gesellschaftliche Ächtung, Berufsverbot und Gegengewalt gegen rechtsextreme Gewalt.

Dabei wird übersehen, daß „Fascho-Sprüche" noch nichts mit Rassismus und Neofaschismus zu tun haben müssen, sondern gerade bei Jugendlichen oftmals einen mit Orientierungslosigkeit verbundenen verklausulierten Protest darstellen. Zu überzeugtem neonazistischem Handeln wird diese hilflose Protestform vielfach erst nach längeren Phasen der Etikettierung und Stigmatisierung als Neonazis, also nach der Ausgrenzung durch antifaschistische Pädagogen, durch überengagierte Sozialarbeiter, durch moralisierende Lehrer. Das eilige Anheften des Etiketts Neonazi hat zudem häufig den unerwünschten Nebeneffekt einer Stärkung der so bezeichneten Jugendlichen, die den Schrekken spüren, den dieser Titel Erwachsenen einjagt, sowie einer Banalisierung des historischen Faschismus. Die Jugendlichen oder Jugendgruppen werden im Rahmen der Ausgrenzungsstrategie vorschnell zu Problemgruppen gestempelt: Viele Jugend-und Sozialarbeiter bringen den Schwierigkeiten, die diese Jugendlichen haben, weniger Aufmerksamkeit entgegen als den von ihnen verursachten Problemen.

In den Themenbereich „Ausgrenzung“ gehört auch die Vorstellung, Rechtsextremismus sei eine Art Krankheit moderner Gesellschaften. Die häufig verwendeten Metaphern „Bazillus“ oder „Virus“ legen nahe, daß es sich um eine ansteckende Krankheit handelt, vor der die anständigen Jugendlichen, die anständigen Gewerkschaftsmitglie der die anständigen Demokraten geschützt werden müßten. Dieses Bild einer Krankheit ist trügerisch, da es im Fall des Rechtsextremismus -im Gegensatz zu ansteckenden Krankheiten wie Grippe -weder einen immunisierenden Impfstoff, noch einen unumstrittenen Heilungsplan und Erkenntnisse über die Dauer des Phänomens, sondern nur Placebos gibt. Im Unterschied zu beispielsweise einem Fieberanfall kann die rechtsextreme „Pathologie“, das rechtsextreme „Leiden“, eine Gesellschaft auf Jahre oder Jahrzehnte befallen, muß also nicht vorübergehender Natur sein.

Es wäre nun allerdings abwegig, Sozialarbeitern, Lehrern, Erziehern usw. aufgrund der unangemessenen Behandlung des komplexen Problems Böswilligkeit zu unterstellen, sind sie doch in mehrfacher Hinsicht überfordert: Sie sind mit den krassen Widersprüchen der sozialen Welt, mit Revolte, Protest, Hoffnungslosigkeit und Leiden jeglicher Art konfrontiert, mit sozialem Sprengstoff, mit sinnlos erscheinendem Vandalismus, den die moderne Staatsnoblesse, die Ministerialbürokratie und die Finanzwelt zu ignorieren vorziehen Der Staat zieht sich durch Kürzung oder Streichung von Mitteln aus ganzen Bereichen des sozialen Lebens zurück: weil die moderne Staatsnoblesse sich der Verantwortung entzieht und den Preis nicht länger zahlen will. Damit werden öffentlicher Wohnungsbau, Schulen, Universitäten, Krankenhäuser, Bibliotheken einer schleichenden Auszehrung überlassen. Eine Vernachlässigung der sozialen Infrastruktur und sozialstaatlicher Errungenschaften bildet eine soziostrukturelle Triebkraft von Rechtsextremismus. 5. Aufklärungsstrategie Die Forderung nach mehr Aufklärung über die Nazi-Zeit in der Schule, in der politischen Bildung und einer interessierten Öffentlichkeit wird als ein weiteres Bekämpfungsmuster propagiert, und zwar nicht nur von linker Seite. Die Protagonisten gehen davon aus, daß mit einer besseren Aufklärung dem Rechtsextremismus der Boden entzogen werden kann. Aufklärung soll ein Bollwerk gegen rechtsextremistische Versuchungen darstellen. Kann ein Neuaufkommen rechtsextremer Gruppierungen tatsächlich mit verstärkten Bestrebungen zur Aufarbeitung der NS-Zeit verhindert werden, mit vermehrten Auschwitz-Pflichtbesuchen, mit ritualisierter, dogmatischer Aufklärung?

Volkspädagogische Aufrufe und einseitig verkürzte Ideologie-Kritik sollen die richtige, sprich: antifaschistische Moral hervorbringen. Im Vordergrund steht die Entlarvung rechtsextremen Gedankenguts. Mit viel Eifer werden Aussagen zweitrangiger Funktionäre oder Zitate aus rechtsextremen Postillen gesammelt, um die Verwandtschaft mit Nazi-Ideen zu belegen. Es wird davon ausgegangen, daß solche Aufklärung einen Immunisierungseffekt haben könnte. Tatsächlich vermag sie jedoch gegen aktuelle rechtsextreme Bestrebungen wenig auszurichten. Notwendig ist vielmehr eine direkte Auseinandersetzung mit rechtsextremistischen Programmen, Organisationen, Vorstellungen, die auf einer genauen Kenntnis beruhen müssen, um die Angesprochenen in die Lage zu versetzen, argumentativ gegen die rechtsextremen Vorstellungen anzutreten.

In diesem Kontext sind die Vorarbeiten, die die Neue Rechte liefert, von hohem Interesse: In Frankreich, wo sich die mächtigste rechtsextreme Partei Europas, die Nationale Front, seit fast einem Jahrzehnt etabliert hat, verdanken die Rechtsextremisten ihren Aufstieg nicht zuletzt den neurechten Vordenkem und Clubs (um den GRECE und den Club de l’Horloge die als rechtsintellektuelle Denkfabriken Themen bearbeitet und teilweise sogar für eine rechtsextreme Weiterverwendung aufbereitet haben. In Deutschland waren analoge Bestrebungen zwar bislang nicht von dem gewünschten Erfolg gekrönt, diese Erfolglosigkeit muß aber nicht alle Zeiten andauern.

Gegen Aufklärung wäre nichts einzuwenden, würde darunter nicht häufig ein Konglomerat aus Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und „aufklärendem“ oder „agitierendem“ Journalismus verstanden. Viele Vertreter einer Aufklärungsstrategie verstehen unter Aufklärung keineswegs den Kantschen Imperativ, sich seines Verstandes selber zu bedienen, sondern versuchen, die Jugendlichen mit arg gefärbter Berichterstattung bzw. moralisierenden Appellen auf eine bestimmte Orientierung einzuschwören, ihnen eine antifa-schistische Moral und Haltung einzutrichtern Gerade die Alt-Achtundsechziger wollen häufig nicht von einer beschwörenden, appellativ-moralisierenden Vorgehensweise, die sich auf Empörung und Denunziation beschränkt, lassen.

Viele Pädagogen und Sozialarbeiter, die die Umbruchszeit der Endsechziger miterlebt haben, arbeiten auf der Grundlage eines moralisierenden Antirassismus, einer fein säuberlichen Aufteilung in Gut und Böse, die sie nicht gefährdet sehen wollen. Von oben herab praktizieren sie Ausgrenzung. Eine wuchernde Betroffenheitsrhetorik ersetzt allzu oft Analyse und argumentatives Vorgehen. Dieses moralisierende Vorgehen ist aus religiösen Ritualen hinübergerettet worden. Eine schuldfertige Haltung, die für die Sünden der Elterngeneration büßen will, wirkt auf heutige Jugendliche nur noch peinlich oder abstoßend, vermag jedenfalls nicht zu überzeugen: „Je höher die Moralisierung, desto niedriger sind die Kommunikationschancen.“ Die moralisierende Orientierung wirkt paradoxerweise ebenso des-orientierend und verunsichernd wie die komplementäre Haltung der Laisser-faire-Pädagogik, die ein Wertevakuum entstehen läßt.

Neuere Studien zeigen: Die einfache Gleichung, daß Jugendliche resistenter gegenüber dem heutigen Rechtsextremismus sind, je mehr sie über den Holocaust wissen, geht nicht mehr auf. Rechtsextremes Denken und Handeln basiert nicht notwendigerweise auf Informationsdefiziten. Daher greift die Aufklärungsstrategie zu kurz und überbewertet zugleich den Stellenwert historischer Aufklärung. Darüber hinaus ist an der Erkenntnis nicht vorbeizukommen, daß Information und Aufklärung da an Grenzen stößt, wo sie an eingefleischte Gewohnheiten, Gefühle, festgefahrene Verhaltensweisen rütteln möchte. Aufklärung ist und bleibt zwar ein unentbehrlicher Bestandteil politischer Auseinandersetzung, doch ein Patentrezept gegen rechtsextremistische Gefahren ist damit nicht gefunden. 6. Zur Antikapitalismusstrategie Ein weiterer Topos befürwortet eine grundsätzliche Bekämpfung rechtsextremer Bestrebungen und bezieht sich auf das Horkheimersche Motto, daß, wer vom Kapitalismus nicht reden will, auch vom Faschismus schweigen sollte. Den Vertretern dieser These geht es darum, das kapitalistische System und zugleich die westlichen Demokratien als faschismusträchtig zu diskreditieren. Es wird versucht, den Nutzen rechtsextremer Bewegungen für die „Bourgeoisie“ aufzuzeigen oder aber Querverbindungen zu konservativen, bürgerlichen Parteien auszumachen, um die Gleichung Schwarz gleich Braun zu belegen.

Ausgangspunkt der These, daß eigentlich der Kapitalismus abgeschafft gehöre, bilden Ausführungen von Georgi Dimitroff, seines Zeichens Generalsekretär der Kommunistischen Internationale, die insbesondere in der Faschismus-Forschung der DDR die Leitlinie bildeten. Aber auch westdeutsche Faschismus-Forscher wie Reinhard Kühnl behaupten, der Kapitalismus bereite die Massen ideologisch auf den Faschismus vor, er produziere autoritäre und irrationale Denkmuster und schaffe so eine faschismusträchtige Situation Mit der Gefahr einer „Liquidierung der Demokratie von rechts“ müsse „gerechnet“ werden, solange die „sozioökonomischen Grundlagen“ des Faschismus „in den kapitalistischen Ländern“ weiter bestehen, „der Faschismus also noch aktuell ist“ Der Sozialismus als Gegenentwurf zum Kapitalismus sei das Bollwerk gegen den Faschismus. Dieser plakative Ansatz wird heutzutage nur noch selten vertreten. Für die Forschung ist die Horkheimersche Formel unergiebig gewesen.

Die These von den Querverbindungen der Rechtsextremisten zu rechten, konservativen Kreisen macht letztere für die rechtsextremistischen Erfolge verantwortlich, zumindest mitverantwortlich und damit indirekt das kapitalistische System selbst. Sie hat damit viel von einer Schuldzuweisung. Sowohl der CDU/CSU als auch der FDP und SPD wird vorgeworfen, daß sie die Spielregeln der Rechtsextremisten akzeptierten, daß sie „mitspielen“ und sich so „schuldig“ machten. Hingewiesen wird von den Vertretern der Mitverantwortungsthese darauf, daß die Machtübernahme durch die Nazis nur durch konservative Hilfestellung möglich geworden ist. Geschlagen wird der Sack, nämlich die Rechtsextremisten, und gemeint wird derEsel, nämlich die Rechte, das gesamte konservative Lager. Braun und Schwarz werden leichtfertig zusammengerührt und so wird ungewollt an der Realisierung einer self-fulfilling prophecy mitgewirkt, nämlich einem Zusammenrücken rechter und rechtsextremer Parteien, das bis zur Koalitionsbildung reichen kann.

Oft wird die Frage aufgeworfen, ob Rechtsextremismus eine Normalität oder eine Krankheit hoch-entwickelter Industriegesellschaften sei. Erwin K. Scheuch und Hans-Dieter Klingemann prägten den Begriff „normale Pathologie“ den Claus Leggewie zu „normalen Leiden“ eindeutschte. Durch diese Begriffsbildung wird das Einerseits-Andererseits überwunden und das Spannungsverhältnis Pathologie -Normalität zusammengehalten, d. h. beide Aspekte werden zusammen-gedacht. Rechtsextremismus hat etwas Pathologisches und ist zugleich ein Normalfall moderner Industriegesellschaften. 7. Zur Antirassismusstrategie Unter Antirassismusstrategie subsumiere ich jene Ansätze, die in rassistischen Orientierungen den Kem rechtsextremen Denkens und Handelns sehen Ihre Vertreter schlagen folgerichtig vor, vorrangig Fremdenhaß und Rassismus zu bekämpfen. Einige gehen so weit, den rassistischen Deutschen nichtrassistische Ausländer gegenüberzustellen, einer geschlossenen nationalen Gesellschaft bzw.der Festung Europa ein multikulturelles, offenes, harmonisches Gemeinwesen.

Dieses manichäische Denken vereinfacht die komplexe Realität, die neben verklärten Ausländem und xenophoben Deutschen ebenso rassistische Ausländer und nichtrassistische Deutsche aufweist. Kritik an Ausländem wird voreilig in die rassistische Ecke abgedrängt und zugleich in „appellativer Ausländerfreundlichkeit“ ein geschöntes Bild makelloser Ausländer transportiert. Das rassistische Klischee erscheint ins Negativ gewendet. Daniel Cohn-Bendit hat zu Recht darauf hingewiesen, daß gar nicht beabsichtigt ist, „daß alle Menschen die Ausländer lieben“, denn das wäre -um mit Hans Magnus Enzensberger zu sprechen -eine philisterhafte Scheinheiligkeit, ähnlich dem Philosemitismus im Nachkriegsdeutschland

Ein Zusammenhang zwischen Rechtsextremismus und Rassismus besteht ohne Zweifel, aber wie ist er zu bestimmen? Die Mehrzahl der Rechtsextremismus-Erklärungen nimmt Bezug auf Rassismus. Oft wird ein monokausaler Zusammenhang hergestellt und behauptet, der Rassismus entscheide über Erfolg und Scheitern des Rechtsextremismus. Genauso simpel wie die Erklärung ist dann die vorgeschlagene Abhilfe: Ausländerinnen und Ausländer müßten mehr Rechte bekommen, eingebürgert werden und mitbestimmen können Doch auch in Ländern, in denen Einwanderer die Zivilbürgerrechte erkämpft haben, also eingebürgert sind, gibt es Rassismus. In der Anti-Rassismus-Strategie wird verdrängt, daß eine demokratische Republik Andersdenkende tolerieren muß und damit auch die Rechtsextremisten.

Ein neuerlicher Blick nach Frankreich ist in diesem Zusammenhang aufschlußreich: Kann der spektakuläre Aufstieg der französischen „Nationalen Front“ auf einen Anstieg von Rassismus zurückgeführt werden? Ist es nicht vielmehr so, daß die „Nationale Front“ eine ganze Palette von gesellschaftlichen Problemen, darunter an vorderster Stelle die Schwierigkeiten, die im Zusammenhang mit Einwanderung auftreten, die Probleme derer, die mit Fremden Wohnhäuser, Arbeitsplätze, Schulen, Kindergärten, Spielplätze und soziale Hilfen teilen, aufgegriffen hat? Sie hat Themen, die durchaus heikel sind und deswegen -nicht nur -von linker Seite lieber beiseite geschoben und tabuisiert werden, auf spektakuläre Weise in die Öffentlichkeit gebracht.

Ein Beispiel für eine anti-rassistische Aktionsform sind Informationskampagnen über die Wohn-und Lebensbedingungen von asylsuchenden Flüchtlingen. Hinter solchen Programmen von Anti-Rassismus-Initiativen steht die Auffassung, daß derjenige, der über die Lebensbedingungen der Ausländer aufgeklärt wird, sich für diese einsetzt. Da aber hauptsächlich solche Menschen, die ohnehin davon überzeugt sind, daß für Ausländer etwas getan werden müsse, sich angesprochen fühlen, stellt sich die Frage, ob auf diese Weise der Rechtsextremismus bekämpfbar sei, erst gar nicht.

Generell müßte gefragt werden, ob es reicht, über Rechtsextremisten zu reden. Veranstaltungen über den Rechtsextremismus sind oft Foren politologischer und soziologischer Analyse, aber stets geschlossene Veranstaltungen von Nicht-Rechtsextremisten, die unter sich bleiben und nach einer bestimmten Dramaturgie diskutieren: Auf Ursachenanalysen folgen Kassandrarufe und die besorgte Frage nach dem Wie der Bekämpfung von Rechtsextremismus. Für die Verständigung von Wissenschaftlern mag dieses Vorgehen sinnvoll sein, aber bei öffentlichen Veranstaltungen sind Zweifel angebracht: Wenn eine Auseinandersetzung mit der rechtsextremen Sympathisantenszene gesucht wird, müssen auch Vertreter rechtsextremer Positionen auf das Podium. Jugendliche Skinheads hören sich die Gegenargumente nur an, wenn einer von ihnen mit auf der Bühne sitzt.

Appellative Ausländerfreundlichkeit auch in Form von Pro-Ausländer-Kampagnen, wie beispielsweise der Plakataktion „Ich bin ein Ausländer“, erreicht nur die ohnehin Überzeugten, nicht jedoch diejenigen, um die es eigentlich gehen sollte. Auch die inflationäre Aufforderung, endlich Farbe zu bekennen, vermeidet im Grunde eine wirkliche Auseinandersetzung mit Fremdenhaß und dient nur dazu, die Fronten festzuklopfen. Xenophile Aufkleber wie „Alle Menschen sind Ausländer -fast überall“ oder „Jeder ist Ausländer. Oder verreisen Sie nie?“ werden offenbar in der Überzeugung ans Jackett geheftet, daß Bekenntnisse Mut machen und zumindest indirekt einem Argument gleichkämen.

Viele Vertreter einer multikulturellen Gesellschaft verklären diese zu einem „modernen Garten Eden harmonischer Vielfalt“, wie es Daniel Cohn-Bendit und Thomas Schmid zuspitzen Diese Art multikultureller Vision sei eine Ersatzutopie für eine orientierungslose Linke geworden, so deren Fazit. Die Ausländerfrage wird von vielen Linken, die von ihrer Dritte-Welt-Begeisterung nicht lassen mögen, instrumentalisiert, um das eigene Linkssein unter Beweis zu stellen. Oft geht es gar nicht um die Ausländer, sondern darum, welche Inländer von sich behaupten dürfen, daß es ihnen wahrhaftig um die Sache der Ausländer gehe.

Wenn Wähler rechtsextremer Parteien als ihr wichtigstes Wahlmotiv die als bedrohlich empfundene Präsenz von Ausländern nennen, so ruft diese Aussage unerbittliche Interpreten auf den Plan, die sich berufen fühlen, die „eigentlichen“ Ursachen rechtsextremen Wahlverhaltens dingfest zu machen. Sie zweifeln um so mehr an der Authentizität des Handlungsmotivs, je heftiger es angeführt wird. Was der Akteur selbst als Hauptsache erlebt und empfindet, wird genüßlich als Illusion enttarnt, in seine ideologischen Bestandteile zerlegt oder zur Nebensache verkleinert. Wer ist in diesem Fall ideologisch verblendet? Könnte es nicht sein -und bestünde insofern nicht Prüfungsbedarf -, daß ein wie auch immer gearteter Zusammenhang zwischen rechtsextremem Wahlverhalten und einer plötzlichen massiven Zuwanderung von Ausländern oder Problemen im Zusammenleben mit Ausländem besteht? Kann die Selbstwahrnehmung und -interpretation der Menschen umstands-los beiseite geschoben werden? Es müßte darüber nachgedacht werden, ob der Antirassismus nicht ungewollt dazu beiträgt, den Rassegedanken mit am Leben zu halten. Lothar Baier hat eine passende Nietzsche-Aussage hervorgeholt: „Wer davon lebt, einen Feind zu bekämpfen, hat ein Interesse daran, daß er am Leben bleibt.“ Durch Denkblockaden oder schlimmer: -verböte wird ein umfassendes Herangehen an die Gesamtproblematik verhindert. Autonome und pastorale Ausländerfreunde bestreiten, daß es Asylmißbrauch überhaupt geben kann. Durch diese Schönfärberei verhindern sie, vereint mit der CDU/CSU, die leugnet, daß Deutschland längst zum Einwanderungsland geworden sei, eine Gesamtbetrachtung von Asyl und Immigration. Aus dem Dilemma ist nur herauszukommen, wenn Deutschland sich als Einwanderungsland deklariert und so das Nadelöhr Asyl wieder auf die politisch Verfolgten eingegrenzt werden kann 8. Zur Antinationalismusstrategie In der Antinationalismusstrategie wird das Kern-element Rassismus gegen Nationalismus ausgetauscht, der zur Triebfeder von Rechtsextremismus erklärt wird Da sowieso viele Linke ein gestörtes Verhältnis zur Nation, speziell zur deutschen, haben, ist es ein leichtes, aus den Bestandteilen Nationalismus und Rechtsextremismus eine braune Suppe zu rühren. Diese Linke betätigt sich -viele gewollt, einige ungewollt -als Tabuisiererin.

Daß Nation eine Heimat sein kann mag eine im alten Denken befangene Altlinke nicht zugeben, was vor dem Hintergrund linker Dezentralisierungsabsichten und Kiez-Aktivitäten schwer einsehbar ist. Nur ideologische Borniertheit bringt es mit sich, daß das Kind nicht beim Namen genannt werden mag. Die Gleichung „Heimat gleich Blut und Boden gleich Braun“ spukt noch in zu vielen Köpfen herum, obwohl sie längst obsolet ist. Damit wird ungewollt das Terrain den Rechten und den Rechtsextremisten überlassen, die nicht davor zurückschrecken, Heimat und Nation mit ihren eigenen, ausgrenzenden Inhalten zu füllen. Dazu gehört als Ingredienz in der Regel das Deutschtum, eine obsolete Vorstellung, mit der eine versierte Linke nichts zu tun haben möchte, die ihr aber un-berechtigterweise als Vorwand dient, das ganze Thema brachliegen zu lassen.

Angesichts des zentralistischen europäischen Einigungsprozesses wäre eine Stärkung regionaler und föderativer Bestrebungen plausibler, wenn sie Bezug nehmen könnte auf einen modernen Begriff von Nation, der -wie es auch in anderen alten Demokratien der Fall ist -mit den Prinzipien von Demokratie, Zivilbürger-und Menschenrechten eng und fest verbunden ist (und so Orientierungspunkte setzen kann). Nation wirkt als soziales Bindemittel gerade in Zeiten fortschreitender gesellschaftlicher Desintegration. Eine moderne Auffassung von Nation kann den Weg zu einer modernisierten Konzeption von Nationalität und Staatsangehörigkeit bahnen, die sich nicht auf ethnischen Regeln zu gründen hätte, sondern auf dem Territorialprinzip und republikanischen Gesetzen, demokratischen und zivilgesellschaftlichen Rechten, die für alle gleichermaßen gelten. Der Umgang mit dem Thema deutsche Nation ist bekanntlich heikel, und zwar aufgrund der deutschen Vergangenheit, genauer der NS-Zeit. Doch dieser Hinweis darf keine Entschuldigung dafür sein, daß im Kampf gegen Idee und Tatsache der Nation jedes Argument und jedes Mittel recht ist. Trotz dieser deutschen Vergangenheit ist eine plausible Auffassung von Nation möglich. Verkürzt stellt sich die Alternative so dar: Nation kann einerseits mit Demokratie und Demokratisierung, einer Ausdehnung zivilgesellschaftlicher Rechte verknüpft werden; andererseits -so die rechtsextreme Version -mit Staatsräson und dem Vorrang des Kollektivs vor den Individuen. In dieser letzteren, kollektivistischen Version bildet die Nation den höchsten Wert, wird sie verabsolutiert zum Ganzen, in dem die Individuen aufgehen.

Eine solche Auffassung, die die Individuen auf dem Altar des Kollektivs opfert, verwirft die Linke zu Recht. Doch ist gegen ein generelles „Das-Kindmit-dem-Bade-Ausschütten“ einzuwenden, daß Nation durchaus ein profaner Wert unter anderen sein kann, Nation nicht verstanden als etwas Religiös-Erhabenes, Ewigwährendes, sondern als historisches, soziokulturelles und damit veränderbares Konstrukt. Wenn die Linke eine solche Kategorie mit einem solchen Konzept akzeptieren und sich zu eigen machen könnte, wäre auch die schnelle Flucht nach Europa und der Verweis auf die Überlebtheit von Nationen nicht länger das penetrant wirkende „Allheilmittel“ gegen nationalistische Vorstellungen. Viele Kritiker von Nation trennen dieses Konzept nicht genügend von Nationalismus. Immer wieder wird Nationalbewußtsein und -gefühl mit Nationalismus gleichgesetzt (z. B. von Wolfgang Wippermann). In dieser Logik ist der Nationalismus seinerseits ein Manipulationsinstrument zur Integration von Bevölkerungsmehrheiten, also ein simples Herrschaftsmittel Die untergeschobene Argumentation ist beinahe teleologisch: Es wird suggeriert, daß ein Befürworter von Nation Nationalist ist und Nationalismus als nationaler Taumel mit unerbittlicher Logik stets in die Katastrophe führen wird, wie es vor fünfzig Jahren mit Auschwitz geschehen ist. Weiterhin wird so getan, als wäre Nation eine imaginierte Gemeinschaft, also ein Produkt menschlicher Phantasie, das in der Realität keine Wurzeln habe.

III. Schlußfolgerungen

Der Überblick über einige Aspekte der gängigen Bekämpfungsstrategien von Rechtsextremismus, die selten in reiner Form existieren, sich vielmehr überlagern und überschneiden, mußte kursorisch ausfallen. Ein übergreifendes Merkmal der kritisierten Topoi ist ihr gestörters Verhältnis zur parlamentarischen Demokratie, zu den Grundrechten, zum Rechtsstaat und zur Geschichte der Bundesrepublik. Das vorherrschende, quasi religiöse Verhältnis zum (Anti-) Rechtsextremismus harrt einer Säkularisierung, die angesichts der wachsenden rechtsextremen Gefahr zu einer vordringlichen Aufgabe wird.

Ein erster ursächlicher Faktor für das Ignorieren nicht-intendierter Folgen von Strategien liegt im selbstreferentiellen Charakter, d. h. in der Selbstbezogenheit vieler Strategien, die den Gegner ignorieren und vor allem zur Selbstvergewisserung und -beruhigung dienen. Ein zweiter Faktor für die Ineffizienz liegt im rituellen Ablauf anti-rechtsextremer Veranstaltungen/Demonstrationen/Resolutionen. Er drängt sich vor das eigentliche Ziel; die Folge ist, daß polarisiert, statt argumentativ zu integrieren versucht wird. Ein dritter Faktor ist der Etatismus, die Forderung nach staatlicher Repression von Meinungen/Gesinnungen bzw. staatlicher „Therapie“ der Gesellschaft statt zivilgesellschaftlicher Intervention. Ein vierter Faktor ist das Wirken mächtiger sakraler Tabus, ein fünfter die Sloganisierung, die beide ein Herangehen an die Thematik verstellen bzw. ihm ihren reduktiven Stempel aufdrücken.

Alle hier grob skizzierten, sich überschneidenden und überlagernden Strategiefacetten vereinfachen die Komplexität der gesellschaftlichen Realität, indem sie Rechtsextremismus auf möglichst einen einzigen Erklärungsfaktor zurückführen. Rechts-extremismus ist jedoch ein Resultat vielschichtiger -sozialer, politischer, beruflicher, familiärer, schulischer etc. -Desintegrations-und Auflösungsprozesse, eines umfassenden industriellen Modernisierungsprozesses, der „sich um die Menschen einen Teufel schert“ (Daniel Cohn-Bendit). Er hat seine Wurzeln auch, aber natürlich nicht primär, in der Unfähigkeit der Linken, auf die Modernisierung eine überzeugende Antwort zu geben. Ein ganzes Bündel von Maßnahmen ist erforderlich, von denen hier nur einige genannt werden können. Die pädagogische Arbeit mit rechtsextremen Jugendlichen steckt noch in den Kinderschuhen, neue Konzepte müssen erarbeitet werden. Neue urbane Ideen sind gefragt, um die großen Städte, „Laboratorien der Moderne“, die immer öfter den Geburtsort rechtsextremen Denkens und Handelns bilden, mit Leben zu füllen und die Städte der Zukunft zu schaffen. Gegen den „Krieg in den Städten“, die zahlreichen Gewalteruptionen ist eine zivilisierende, zivilgesellschaftliche Kraft vonnöten, andernfalls werden die gesellschaftlichen Desintegrationstendenzen zu einer zentrifugalen Kraft, die die Fundamente der westeuropäischen Zivilgesellschaften zu zerschleudern droht. Die Konstruktion Europas ist nur sinnvoll, wenn sie das Beste, das die Nation(alstaat) en hervorgebracht haben, aufhebt und den Zivilbürgem die Möglichkeit eröffnet, stolz auf Europa zu sein. Die Möglichkeiten sind immens, denn dies ist „eine Zeit, in der Intellektuelle nicht nur denkend, sondern denkend und handelnd manches bewirken können -im Sinne der (...) Auffassung Gottfried Kellers, , daß es gesünder sei, nichts zu hoffen und das Mögliche zu schaffen, als zu schwärmen und nichts zu tun. “

Rechtsextremismus ist ein vielfältiges Phänomen, und Anti-Rechtsextremismus, dessen Mängel hier unter die Lupe genommen und das heißt im wörtlichen Sinne: vergrößert und überbetont wurden, muß dem Rechnung tragen. Die Strategien bedürfen nicht besonderer Schonung; Kritik ist nicht Gegnerschaft, und die Vermeidung der Überprüfung darf nicht System werden. Strategisches Handeln setzt nicht unbedingt bewußtes Räsonieren voraus, folgt vielmehr einem „praktischen Sinn“ (Bourdieu). Es ging wesentlich darum, Sensibilität für bestimmte Probleme zu wecken und für eine komplexere, differenziertere Vorstellung zu werben. Doch um die Relationen zurechtzurükken, muß betont werden, daß nur der, der nicht handelt, auch keine Fehler macht. Im Zentrum antirechtsextremer Aktivitäten stehen Linke. Gegenüber falschen Indienstnahmen von Kritik an linken Gegenstrategien muß hervorgehoben werden, daß es eine moralisch unendlich höher stehende Haltung ist, gegen den Rechtsextremismus anzukämpfen, als mit Verweis auf die Fehlerhaftigkeit vieler Strategien untätig zu bleiben. Der Kern, das Anliegen, gegen den Rechtsextremismus zu kämpfen, bleibt von der Kritik unberührt. Neue effizientere Strategien entstehen nur in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus, in einer theoretisch reflektierten Praxis.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Dieter Roth, Schneller Aufstieg und tiefer Fall, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 37-38/90, S. 27-39.

  2. Unter Rechtsextremismus soll im folgenden verstanden werden: 1. Mitgliedschaft in rechtsextremen Organisationen (inkl. Parteien), 2. Wahl rechtsextremer Parteien, 3. rassistische bzw. rechtsextreme Einstellungs-oder Orientierungsmuster. Quer zu dieser Aufteilung stehen gesellschaftliche Protestbewegungen und insbesondere militante und paramilitärische Gruppierungen, die eine deutsche Besonderheit des Rechtsextremismus darstellen. Xenophobe Bestrebungen sind nur ein Aspekt des Rechtsextremismus, der in Deutschland besonders gewalttätig auftritt.

  3. Vgl. Richard Stöss, Die extreme Rechte in der Bundesrepublik, Opladen 1989; ders., Die Republikaner, Köln 1990; Peter Dudek/Hans-Gerd Jaschke, Entstehung und Entwicklung des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik, 2 Bände, Opladen 1984; Franz Greß/Hans-Gerd Jaschke/Klaus Schönekäs, Neue Rechte und Rechtsextremismus in Europa, Opladen 1990; Hans-Gerd Jaschke, Die „Republikaner“, Bonn 1990; Nonna Meyer/Pascal Perrineau, Le Front National ä dcouvert, Paris 1989; Thomas Assheuer/Hans Sarkowicz, Rechtsradikale in Deutschland, München 1990; Claus Leggewie, Die Republikaner, Berlin 1990.

  4. Vgl. ausführlicher: Wolfgang Kowalsky, Rechtsaußen... und die politischen Strategien der deutschen Linken, Berlin 1992. Das Buch hat wütende Reaktionen hervorgerufen. Der taz-Rezensent erhebt den Vorwurf, die positiven, zivilisierenden Wirkungen von Bürgerinitiativen und sozialen Bewegungen blieben unberücksichtigt und damit sei das Thema verfehlt (die Tageszeitung vom 18. August 1992, S. 9). Der im Buch kritisierte Zeit-Korrespondent Joachim Fritz-Vannahme fühlt sich auf die Füße getreten (die Lektüre sei ein „Ärgernis“) und verdreht meine Aussagen ins Lächerliche (Daniel Cohn-Bendit und Claus Leggewie seien keine Linken..., in: Die Zeit vom 11. September 1992, S. 22). Der Hauptvorwurf lautet, ich erkläre „den Aufstieg des Rechts-extremismus aus Defiziten“ der Linken (Detlev Claussen, „If you can’t beat them, join them?“, in: Frankurter Rundschau vom 19. September 1992, S. ZB 4), beziehungsweise ich würde behaupten, die „Unfähigkeit“ der Linken habe „rechtsradikale Organisationen unterstützt“ (Eberhard Seidel-Pielen). Natürlich geht es nicht um „die Linke“, sondern um einige ihrer Repräsentanten. Weiterhin beansprucht das Buch keineswegs, eine wissenschaftliche Ursachenanalyse von Rechtsextremismus zu leisten, sondern es geht um die einer bestimmten anti-rechtsextremen Praxis unterlegten Begründungsmuster, also um das „kollektive Imaginäre“ linker Strategien, um vortheoretische Auffassungen. Diese Absicht erkennt Eberhard Seidel-Pielen, wenn er von einer Kritik an „linkem Basiswissen“ spricht. Schließlich meint Detlev Claussen, der Verfasser plädiere für „Eingemeindung“ von Rechtsextremisten und die Übernahme rechtsextremen Gedankengutes (join them), doch ein neurechter Rezensent versteht das Buch als Plädoyer, „rechte Positionen gesellschaftlich zu ächten und ihre bloße Existenz zu leugnen“ (Hans-Ulrich Kopp, Die verfehlten Strategien, in: Junge Freiheit vom Oktober 1992, S. 16). Die Zeitschrift „konkret“ (10/1992, S. 4) bezeichnet das Ganze als „völkischen Käse“.

  5. Die Kernsätze dieser Auffassung hat Georgi Dimitroff in seinem Bericht auf dem VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale (2. August 1935) vertreten, in: Georgi Dimitroff, Ausgewählte Schriften 1933-1945, Köln 1976, S. 95-164.

  6. So beispielsweise Margret Feit, Die „Neue Rechte“ in der Bundesrepublik, Frankfurt 1987.

  7. Mit diesen kritischen Anmerkungen soll nicht der Sinn solcher Demonstrationen in Frage gestellt werden. Wie in Frankreich wenige Tage nach den Grabschändungen des jüdischen Friedhofs in Carpentras eine Demonstration mit Staatspräsident Mitterrand stattfand (14. Mai 1990), so hätte umgehend nach Hoyerswerda und nach Rostock eine nationale Demonstration mit prominenter Beteiligung in die Wege geleitet werden müssen und nicht erst am 8. November 1992. Ebenso wäre sofort eine Bundestagsdebatte fällig gewesen und nicht erst nach einjähriger Verzögerung.

  8. Vgl. auch den Beitrag von Wilhelm Heitmeyer in diesem Heft.

  9. Vgl. Wolfgang Fritz Haug, Der hilflose Antifaschismus, Frankfurt 1967, bzw.ders., Vom hilflosen Antifaschismus zur Gnade der späten Geburt, Berlin 1987.

  10. Vgl. Peter Dudek, „Vergangenheitsbewältigung“. Zur Problematik eines umstrittenen Begriffs, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Bl-2/92, S. 44-53.

  11. Vgl. Wolfgang Wippermann, Faschismustheorien, Darmstadt 1989, S. 76-80.

  12. Kritikern, die diese Position als generelle „Eingemeindung“ (Claussen) mißverstehen, sei entgegengehalten, daß Ausgrenzung schnell kontraproduktiv wird: Viele der des-orientierten rechtsextremen Jugendlichen, gerade in den östlichen Bundesländern, waren nie integriert, und es gilt in der Tat, ihr Denken und Handeln im demokratischen Gemeinwesen zu verankern und die Brücke zur Gewaltanwendung zu kappen. Diesem übergreifenden Ziel müssen ideologische Aversionen untergeordnet werden. Statt die integrative und prophylaktische Arbeit von Streetworkern, Jugendarbeitern, Jugendrichtern etc. leichtfertig abzuqualifizieren, sollte ihnen Respekt gezollt werden, um so mehr, als sie selber vielleicht linken Überzeugungen anhängen und es ihnen nicht leicht fällt, ausgerechnet mit rechtsextremen Jugendlichen zusammenzuarbeiten.

  13. Vgl. hierzu: Wilhelm Heitmeyer, Eine gewerkschaftliche Politik gegen den Rechtsextremismus findet nicht statt, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, (1992) 10, S. 620-633.

  14. Vgl. Pierre Bourdieu, Interview, in: Le Monde vom 14. Januar 1992, S. 2.

  15. Beide Denkfabriken sind Pfeiler der Weiterbildungseinrichtung von Le Pens Nationaler Front (Ren Monzat, Enqutes sur la droite extreme, Paris 1992, S. 226).

  16. Vgl. neuere Ausgaben von Criticn und Junge Freiheit. Über letztere vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2. November 1992, S. 35.

  17. Vgl. ausführlicher: Wolfgang Kowalsky, Moralisierender Antirassismus, in: Das Argument, (1992) 195, S. 695-701. Als Beispiel für unhistorisches Moralisieren in der Asylproblematik läßt sich Emst Tugendhats Artikel „Asyl: Gnade oder Menschenrecht?“ heranziehen. Tugend-hat behauptet, der Artikel 16 des Grundgesetzes stehe „nur noch auf dem Papier“, die Position-der SPD sei „verlogen“ und „grotesk“. Er beteiligte sich auch an der sterilen Lager-kontroverse und gesellt sich denen zu, die behaupten, die Bundesrepublik sei „fremdenfeindlich“. Vgl. Ernst Tugend-hat, Ethik und Politik, Frankfurt 1992, S. 62ff.

  18. Interview mit Wilhelm Heitmeyer, Die Gesellschaft löst sich auf, in: Die Zeit vom 16. Oktober 1992, S. 4.

  19. Vgl. W. Wippermann (Anm. 11), S. 58-65.

  20. Vgl. Reinhard Kühnl, Faschismustheorien. Ein Leitfaden, aktualisierte Neuauflage, Heilbronn 1990, S. 250.

  21. Ebd. S. 276ff., 285.

  22. Nach: R. Stöss, Die extreme Rechte (Anm. 3), S. 9.

  23. Vgl. C. Leggewie (Anm. 3), S. 129.

  24. Christoph Butterwegge/Horst Isola, Rechtsextremismus im vereinten Deutschland, Bremen 1991, S. 21.

  25. Vgl.den ausgezeichneten Essay von Hans Magnus Enzensberger, Die Große Wanderung, Frankfurt 1992, S. 53.

  26. So Christoph Butterwegge, Rechtsextremismus vor und nach der Wiedervereinigung, in: Ch. Butterwegge/H. Isola (Anm. 24), S. 21 ff.

  27. Daniel Cohn-Bendit/Thomas Schmid, Wenn der Westen unwiderstehlich wird, in: Die Zeit vom 22. November 1991, S. 5.

  28. Lothar Baier, Fighter und Sozialarbeiter oder die neue Kunst des rechten Einteilens, in: Freibeuter, (1992) 53, S. 50.

  29. Zu den Konsequenzen gehört eine Festlegung von Einwanderungskontingenten und -quoten durch ein gesellschaftliches Gremium. Notwendig ist eine klare Unterscheidung zwischen einem Einwanderungsgesetz zur Steuerung von Im-migration, dem Recht auf politisches Asyl und einem vorübergehenden Bleiberecht für (Bürger-) Kriegsflüchtlinge. Die derzeitige Zuwanderung allein über den Kanal des Asylrechts für politisch Verfolgte, die notwendigerweise zu dessen massivem Mißbrauch führt, fördert via die Ausnutzung des Sozialstaates den Rechtsextremismus. (Vgl. ähnlich Erhard Eppler, Den Kopf wieder frei machen, in: Die Zeit vom 30. Oktober 1992, S. 6). Die von „Pro Asyl“ verbreitete Parole „Wer kommt schon freiwillig nach Deutschland?“ entbehrt jeglichen Realitätsgehalts, denn damit wird der Mahl-strom der Migrationsbewegung schlicht geleugnet. Der derzeitige rechtsextreme Auftrieb in Deutschland kann als verirrte, hilflose Antwort und Ausdruck von Verunsicherung angesichts der Abwesenheit von Politik in der Immigrationsfrage, die sich zu einer gesellschaftspolitischen Herausforderung ersten Ranges entwickelt hat, gewertet werden, wobei die Sympathie vieler Bürger für Xenophobie sich eher auf eine potentielle Gefahr gründet, denn auf die überschaubare aktuelle. Die ausländerfeindlichen Strömungen sind eine Verlegenheitsbewegung mangels Vertrauen in politische Problemlösungspotentiale. Für die Integration der Immigranten ist es von hoher Bedeutung, die Einbürgerung durch Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts zu erleichtern, z. B. nach französischem Muster. Vgl. dazu Daniel Cohn-Bendit/Thomas Schmid, Heimat Babylon, Hamburg 1992, und Ute Knight/Wolfgang Kowalsky, Deutschland nur den Deutschen?, Erlangen 19922; auch die hervorragenden „Zehn Thesen zum Asylrecht“ von Agnes Heller, in: Die Zeit vom 6. November 1992, S. 60.

  30. Vgl. Chr. Butterwegge (Anm. 26), S. 21, 186.

  31. Vgl. Peter Glotz, Die Linke nach dem Sieg des Westens, Stuttgart 1992, S. 181.

  32. So z. B. Hajo Funke, „Republikaner“, Berlin 19892; dasselbe behauptet Butterwegge über Rassismus, in: Chr. Butterwegge/H. Isola (Anm. 24), S. 23.

  33. Wolf Lepenies, Aufstieg und Fall der Intellektuellen in Europa, Frankfurt am Main 1992, S. 7.

Weitere Inhalte

Wolfgang Kowalsky, Dr. phil., Dipl. Soz., geb. 1956; von 1987-1992 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin; seit 1992 Mitarbeiter der Abteilung Grundsatzfragen beim Vorstand der IG Metall. -Veröffentlichungen u. a.: (zusammen mit Ute Knight) Deutschland nur den Deutschen?, Erlangen 19922; Kulturrevolution? Die Neue Rechte im neuen Frankreich und ihre Vorläufer, Opladen 1991.