„Die Wiedervereinigung der deutschen Männer braucht keine Frauen ..." Frauen als Wendeverliererinnen?
Emst Kistler/Dieter Jaufmann/Anita B. Pfaff
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Zusammenfassung
In der Diskussion über die großen Probleme der deutschen Einigung und den ökonomischen und sozialen Um-und Zusammenbruch Ostdeutschlands ist eine These besonders häufig zu hören: Frauen sind die Verliererinnen der Wende. Vor dem Hintergrund aktueller Zahlen zu geschlechtsspezifischen Problemen auf dem Arbeitsmarkt wird im vorliegenden Beitrag vor allem die Entwicklung der Kinderbetreuungseinrichtungen in den neuen Bundesländern thematisiert. In der DDR gab es ein quantitativ vorzüglich ausgebautes System von Kinderbetreuungseinrichtungen. Dies ermöglichte eine politisch gewünschte, ökonomisch notwendige und von den Frauen breit mitgetragene hohe weibliche Erwerbstätigkeit. Berufstätig zu sein war und ist -trotz aller Schwierigkeiten der Vereinbarkeit von Familie und Beruf -Bestandteil weiblicher Lebensentwürfe in Ostdeutschland. Die gegenwärtige Arbeitsmarktsituation im Osten ist durch eine immer stärkere Verdrängung der Frauen gekennzeichnet. Ihre Qualifikationen werden entwertet -es droht ihnen die Verbannung an den Herd und in die „stille Reserve“. Durch eine Abwärtsspirale beim Angebot von und bei der Nachfrage nach Plätzen in Kinderbetreuungseinrichtungen wird diese Entwicklung verstärkt. Wenn es in den neuen Bundesländern zu einer Zementierung der westdeutschen Unzulänglichkeiten auf dem Gebiet der Kinderbetreuungseinrichtungen kommt, dann werden die Frauen in Ostdeutschland zu den Verliererinnen der deutschen Vereinigung.
I. Vorbemerkungen
Der Nachsatz zu obigem Motto aus einem aktuellen Programm des Kabaretts „Die Distel“ lautet, die deutsche Einheit zeige, daß den Männern ein Lustgewinn auch ohne Frauen möglich sei. Dies ist wohl überzogen: Katerstimmung macht sich geschlechtsunspezifisch breit. Der Prozeß des „Zusammenwachsens dessen, was zusammengehört“ ist schmerzhafter und langwieriger als versprochen und erhofft. Gerade darum ist darüber nachzudenken, was an der häufig zu hörenden These von den „Frauen als besonderen Verliererinnen im Einigungsprozeß“ dran ist.
Die folgenden Ausführungen -entstanden aus einer kleinen Pilotstudie für die Hans-Böckler-Stiftung zum Thema „Frauen, Arbeit, Familie“ -messen einige aktuelle Entwicklungen an einem klar vorgegebenen Maßstab. In Artikel 31 des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 heißt es: „Es ist Aufgabe des gesamtdeutschen Gesetzgebers, die Gesetzgebung zur Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen weiterzuentwickeln.“ In Absatz 2 wird explizit auf ein zentrales Problem verwiesen. „Es ist Aufgabe des gesamtdeutschen Gesetzgebers, angesichts unterschiedlicher rechtlicher und institutioneller Ausgangssituationen bei der Erwerbstätigkeit von Müttern und Vätern die Rechtslage unter dem Gesichtspunkt der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gestalten.“ Damit ist die Meßlatte recht hoch gelegt. Der Bund hat z. B. in der Vergangenheit ziemlich lokker EG-Beschlüssen und Richtlinien zugestimmt -sie politisch mitgetragen 1 -, die genau den Inhalt von Artikel 31 (2) Einigungsvertrag zum Gegenstand hatten. Die Realität hinkt aber in allen EG-1 Ländern hinter diesen die Gleichstellungsfrage betreffenden Ansprüchen her; gerade auch im Hinblick auf den Europäischen Binnenmarkt bleibt hier noch viel zu tun. Dies gilt nicht zuletzt für Deutschland.
Mit der Herbstrevolution 1989 bzw.der deutschen Vereinigung im Oktober 1990 ist dieses Problem auf einer ganz anderen Ebene neu aufgeworfen worden. In den alten Ländern stellen sich viele z. B. die Frage, warum ein desolates Staats-und Wirtschaftssystem wie das der DDR doch immerhin quantitativ gesehen in der Lage war, ein so gut ausgebautes System an Kinderbetreuungseinrichtungen zu entwickeln. Für die ostdeutschen Familien (ob „vollständig“ oder nicht) stellte und stellt sich die Frage, was aus diesen Einrichtungen wird. Hinzuzufügen ist die berechtigte Frage westdeutscher Frauen bzw. Familien nach entsprechenden Angeboten in den alten Bundesländern. Institutioneile Betreuungsangebote für Kinder sind dabei wohlgemerkt nur die Spitze eines Eisbergs, an dem Artikel 31 Einigungsvertrag aufzulaufen droht: Die Thematik eines generellen Rechts auf Arbeit, des beruflichen Aufstiegs, Gestaltungsfragen der Arbeitszeit für Väter und Mütter, Lohndiskriminierung, Probleme des Wiedereinstiegs von Frauen in den Beruf, die eine „Familienphase“ einlegen, die sozialversicherungsrechtliche Absicherung derselben -das sind nur einige der Facetten, die hier mitgedacht werden müssen.
Im folgenden soll, vor dem Hintergrund der geschlechtsspezifischen Arbeitsmarktentwicklung, die Frage im Zentrum stehen, wie es mit dem Angebot an und der Nachfrage nach Kinderbetreuungseinrichtungen sowie ihrer Akzeptanz in den neuen Ländern weitergeht. Dieses Problem ist nicht nur politisch hochaktuell, es herrscht auch in der Öffentlichkeit große Unklarheit über die tatsächliche Situation und die Perspektiven dieser für die berufliche Zukunft der ostdeutschen Frauen so wichtigen Institutionen.
II. Die These von den Frauen in den neuen Ländern als „Verliererinnen“
Abbildung 3
Abbildung 1: Geschlechtsspezifische Arbeitslosenquoten in den neuen Bundesländern von Juni 1990 bis Dezember 1992 (Angaben in Prozent)
Quelle: INIFES, eigene Darstellung nach Angabe der Bundesanstalt für Arbeit.
Abbildung 1: Geschlechtsspezifische Arbeitslosenquoten in den neuen Bundesländern von Juni 1990 bis Dezember 1992 (Angaben in Prozent)
Quelle: INIFES, eigene Darstellung nach Angabe der Bundesanstalt für Arbeit.
„Die Verliererinnen der Einheit“ titelte der „Stern“ im Herbst 1992 mit der Unterzeile „In der DDR hatten sie alle einen Job und fühlten sich anerkannt. Heute sind zwei Drittel der Arbeitslosen in Ostdeutschland Frauen -und ohne Perspektive.“ Gisela Notz schreibt: „Frauen werden die Hauptleidtragenden sein, wenn sie sich nicht massiv zur Wehr setzen. Alle Fakten deuten darauf hin, daß sie -nach westlichem Vorbild -auch in der ehemaligen DDR die wiedergeschaffenen unbezahlten Arbeitsplätze in Küche und Kinderzimmer übernehmen sollen.“
Natürlich ist -wenn die Frage nach „Verliererinnen“ der Einheit gestellt wird -zu bedenken, daß die Wende in der DDR und die „Einheit" von der Mehrheit der Ostdeutschen (auch der Frauen, wenngleich etwas reservierter) gewünscht war und daß die Wende auch materielle Vorteile wie z. B. die bis dahin nicht vorhandene Reisefreiheit und Konsumangebote gebracht hat Auch ist vor der in der öffentlichen Diskussion oft zu beobachtenden Polarisierung durch Betonung von Einzel-aspekten zu warnen. Weder darf die soziale Lage der Frauen/Familien in der DDR im Nachhinein idealisiert werden, noch ist es erträglich, die Sozialleistungen in der DDR durch Setzung von Anführungsstrichen zu desavouieren Nach der friedlichen Revolution von 1989 und nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 waren die Karten neu gemischt: „Frauen sind es vor allem, die beim Über-gang von einer total heruntergekommenen Planwirtschaft in die moderne marktwirtschaftliche Gesellschaft der vereinigten deutschen Bundesrepublik aufgrund der geschilderten sozialen Benachteiligung jetzt die eindeutig schlechteren Start-chancen haben. Sie sind es, die primär von Langzeitarbeitslosigkeit bedroht sind. Unter ihnen vor allem die alleinerziehenden Frauen mit Kleinkindern und die über 50jährigen, die vorrangig in den Bereichen der Verwaltung bzw.den nicht mehr zu haltenden völlig veralteten Bereichen der Wirtschaft tätig waren“ schrieb Marina Beyer im Vorwort zum „Frauenreport ’ 90“. Ein Ergebnis solcher empirisch fundierter Bemühungen zur retrospektiven Klärung der sozialen Lage der Frauen in der DDR ist die Erkenntnis: Die Lage der Frauen in der DDR war trotz aller Bemühungen unter Gleichstellungs-IGleichberechtigungsaspekten ambivalent.
III. Frauen und Arbeitsmarkt in den neuen Ländern
Abbildung 4
Tabelle 2: Vereinbarkeit von Beruf und Familie -Meinungen (Angaben in Prozent)
Quelle: INIFES, eigene Darstellung nach Angaben der genannten Institute.
Tabelle 2: Vereinbarkeit von Beruf und Familie -Meinungen (Angaben in Prozent)
Quelle: INIFES, eigene Darstellung nach Angaben der genannten Institute.
1. Hohe Erwerbsorientierung der Frauen Erwerbstätigkeit von Frauen, auch von Müttern kleiner Kinder, war in der DDR vor der Wende gesellschaftliche Norm. In der alten Bundesrepublik und in den anderen Staaten der EG ist allerdings auch ein anhaltender Prozeß des Anstiegs der Frauenerwerbstätigkeit und eine steigende Akzeptanz dieser langsamen, aber tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderung feststellbar. 4 • Für die DDR zeigt eine Vielzahl von empirischen Untersuchungen einhellig eine hohe Arbeits-bzw. Erwerbsorientierung bei beiden Geschlechtern. Auch wenn bei der Analyse der Ergebnisse der DDR-Arbeitssoziologie ein gewisses Maß von Hypostasierung (ideologischer Überhöhung) der Arbeit in den Methoden und vor allem in der Ergebnispräsentation und -interpretation beachtet wer-den muß so gilt dennoch: Erwerbstätigkeit war -trotz aller Probleme der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, der Doppelbelastungen und des nicht ausreichenden Angebots an z. B. Teilzeitarbeitsplätzen -für die DDR-Frauen selbstverständlich. Auch nach der Wende hat sich an dieser Haltung nichts verändert. „Ein Hausfrauendasein ist im subjektiven Wertgefüge der Frauen nach wie vor ebenso gering fundamentiert wie eine Meinungsunsicherheit in dieser Frage.“ Das Institut für Demoskopie Allensbach stellte in einer Umfrage im Frühjahr 1992 fest, daß nur vier Prozent der befragten Frauen in den neuen Bundesländern sich die Rolle „Nur-Hausfrau“ wünschen würden Stellvertretend für viele weitere ähnliche Befunde zeigt Tabelle 1 die Zustimmungswerte zu einigen diesbezüglichen Statements aus einer Umfrage vom Herbst 1991. Befragt wurden 1661 westdeutsche und 952 ostdeutsche Frauen und Männer.
Aus Tabelle 1 geht hervor, daß die gesellschaftliche Akzeptanz der Frauenerwerbstätigkeit sowohl in West-als auch in Ostdeutschland sehr hoch ist, wobei sie in den neuen Bundesländern noch etwas ausgeprägter ist. Mit einem gewissen Rückstand setzt sich dieses Denken auch bei Männern durch, wobei Ulrich Becks Diagnose zu bedenken ist: „Wir stehen... -mit allen Gegensätzen, Chancen und Widersprüchen -erst am Anfang der Freisetzung aus den , ständischen 4 Zuweisungen des Geschlechts. Das Bewußtsein ist den Verhältnissen vorweggeeilt. Daß die Uhren des Bewußtseins zurückgedreht werden können, bleibt unwahrscheinlich.“ Dafür spricht auch, daß die „Widersprüche“ in Tabelle 1 -z. B. beim Statement zum finanziellen Erwerbsmotiv oder bezüglich der Geschlechterkonkurrenz auf dem Arbeitsmarkt im Kontrast zu den 96 bzw. 99 Prozent Zustimmung zum ersten angeführten Statement -vor allem auf die Äußerungen von älteren Befragten zurückzuführen sind.
Vor diesem Hintergrund einer breiten (und im Osten praktisch völligen) Verankerung von Erwerbstätigkeit als Bestandteil auch weiblicher Lebensentwürfe ist die Arbeitsmarktentwicklung zu sehen. 2. Frauen auf dem Arbeitsmarkt in den neuen Bundesländern Von der Pflicht zur und dem Recht auf Arbeit des Artikels 24 der DDR-Verfassung ist nicht viel geblieben. Die Zahl der Beschäftigten hat sich in den neuen Bundesländern in besonders schneller Weise verringert. Sogar in der GUS ist dieser Prozeß, wie schwierig der Vergleich auch sein mag, bisher langsamer vonstatten gegangen. So waren in der gesamten Russischen Föderation am 1. Juli 1992 insgesamt 779 900 Arbeitssuchende registriert (neue Bundesländer: 1, 1 Mio.). Davon waren 202900 arbeitslos gemeldet; das entspricht allerdings einer Verdreifachung gegenüber dem 1. Januar 1992
Ende Dezember 1992 waren in den neuen Bundesländern 1100749 Arbeitslose registriert 703513, also 63, 9 Prozent, unter ihnen waren Frauen. Abbildung 1 zeigt die Entwicklung der Arbeitslosenquote für Männer und Frauen seit Juni 1990. Der geschlechtsspezifische Unterschied ist evident: Im Dezember 1992 lag die Arbeitslosenquote der Männer bei 9, 7 Prozent, die der Frauen war mit 18, 6 Prozent fast doppelt so hoch. Im Bundesgebiet West lag die Arbeitslosenquote im Dezember 1992 bei 7, 1 Prozent für Männer und 7, 8 Prozent für Frauen, der Frauenanteil an den registrierten Arbeitslosen betrug 44, 2 Prozent. Dies ist aber nur ein Teil der Wahrheit: In den alten Ländern erscheinen viele Personen im erwerbsfähigen Alter, die faktisch arbeitslos sind, nicht in der Arbeitslosenstatistik. Angehörige dieser Personengruppe wären laut Definition des Arbeitsförderungsgesetzes zwar durchaus arbeitswillig bzw. -fähig, ja sie wären sogar „verfügbar“. Sie sind jedoch -wegen subjektiv empfundener oder objektiv gegebener Aussichtslosigkeit des Unterfangens einer Arbeitsplatzssuche, zu geringen Vertrauens in die Vermittlungskünste der Arbeitsverwaltung, Unkenntnis, fehlender Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld oder -hilfe usw. -nicht als arbeitslos registriert. Das ist -stark vereinfacht -der Kern des in der breiten Öffentlichkeit so wenig verstandenen Begriffs der „stillen Reserve“. Auch in den neuen Bundesländern gibt es diese „Reserve“, aber (sie ist momentan schwer meßbar) sicherlich (noch) in nur geringem Ausmaß. Solange Ansprüche auf Arbeitslosengeld, z. T. auch Arbeitslosenhilfe bestehen, dürfte dieses Problem (auch bei Frauen) nicht oder nur am Rande bestehen.
Allerdings ist mit Blick auf die neuen Länder deutlich darauf zu verweisen (ohne in Vergessenheit geraten lassen zu wollen, daß die Arbeitslosigkeit im Westen seit vielen Jahren trotz aller Zunahme der Zahl der Beschäftigten skandalös weit am Ziel des „hohen Beschäftigungsstandes“ des § 1 Stabilitätsgesetz von 1967 vorbeigeht), daß die Arbeitsmarktbilanz in Ostdeutschland noch viel brisanter ist, als es die Arbeitslosenstatistik offenbart. Die Situation kann -ohne zu übertreiben -als „dramatisch“ bezeichnet werden: Neben den registrierten Arbeitslosen gab es im Dezember 1992 578090 Empfängerinnen von Altersübergangsgeld, also vorzeitig aus dem Erwerbsleben und damit der Arbeitslosenstatistik ausgegliederte, 354864 im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) „geparkte“, rund eine halbe Million in Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung „beschäftigte“ Frauen und Männer sowie noch eine viertel Million Kurzarbeiterinnen, Pendler/Migranten usw. Hinzu kommt z. B. ein überproportionaler Rückgang des Frauenanteils in höher qualifizierten Berufen, eine Abnahme der Anzahl der ohnehin knappen Teilzeitarbeitsplätze und die Verdrängung der Frauen in schlechtere Beschäftigungsverhältnisse Die Erfolgsquote im Sinne einer Weiter-bzw. Wiederbeschäftigung nach Fortbildungs-und Umschulungsmaßnahmen liegt bei Männern deutlich höher als bei Frauen 3. Das Ende des „Gleichstellungsvorsprungs"?
Als Folge der skizzierten Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt und angesichts fehlender Silberstreifen am Horizont droht der von Rainer Geißler konstatierte relative „Gleichstellungsvorsprung der DDR“ in sich zusammenzubrechen. Je länger die Massenarbeitslosigkeit andauert, um so „weiblicher“ wird die Langzeitarbeitslosigkeit und um so mehr Frauen werden sich „am Herd“, also in der „Stillen Reserve“ wiederfinden. Je länger die Arbeitslosigkeit währt, um so mehr werden Qualifikationen entwertet und um so schlechter schneiden die Frauen im Wettbewerb der Geschlechter , auf dem Arbeitsmarkt ab. Eine deutlich Männer bevorzugende Personalrekrutierungspraxis der Betriebe fördert diesen Prozeß. Ähnlich wie den „klassischen Problemgruppen“ (Behinderte, Minderqualifizierte, Ältere) droht auch den Frauen eine Abwärtsspirale, angesichts derer die Warnung vor einem ostdeutschen künftigen „Beschäftigungswunder durch ungeschützte, geringfügige Arbeitsverhältnisse“ -durch „bad jobs“ -wohl nicht unberechtigt ist. Frauen sind aber keine arbeitsmarktpolitische Randgruppe, sondern die Mehrheit der Bevölkerung.
Eine weitere Hürde macht es Frauen -vor allem wenn sie Kinder haben -schwierig bis unmöglich, einen Arbeitsplatz zu er-oder zu behalten: Das in der DDR geschaffene dichte Netz von Regelungen und Hilfen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf (auf dessen bekannte Qualitätsmängel hier nicht eingegangen werden soll) ist löcherig geworden und droht jetzt zu zerreißen. Damit soll nicht implizit gesagt werden, daß das Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein Frauenproblem sein sollte: Gleichstellung würde heißen, daß sich Männer und Frauen die Produktions-und die Reproduktionsarbeit teilen. Die genannten Hilfen entsprechend § 3 des Arbeitsgesetzbuches der DDR waren in ihrer Konzentration auf die Mütter Ausdruck einer „patriarchalischen Politik für die Frauen“, aber sie ermöglichten es ihnen, einem Beruf nachzugehen. Die Vereinbarkeitsfrage war faktisch ein Problem der Frauen; seit der Wende droht sie in noch viel stärkerem Maße dazu zu werden.
Das weite Feld möglicher Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist in der Bundesrepublik politisch äußerst umstritten; teilweise (Stichwort Kleinkinderbetreuung) herrscht sogar ein geradezu dogmatisches Diskussionsklima. Im folgenden soll zunächst -unter erneutem Rückgriff auf Umfrageergebnisse -einiges zur Meinung der Bevölkerung zu diesem Thema ausgeführt werden. Dies ist nötig, da ein Teil dieser Ergebnisse in der politischen Diskussion offensichtlich mißverstanden, vielleicht sogar gezielt mißinterpretiert wurde. Im Anschluß daran soll -vor allem mit Blick auf die neuen Länder -die Entwicklung der Kinderbetreuungseinrichtungen seit der Wende untersucht werden. Kinder-krippen, -gärten und Schulhorte sind zwar keine hinreichende, wohl aber eine notwendige, ganz wichtige Voraussetzung, um die Probleme der Vereinbarkeit von Familie und Beruf abzumildern. Darüber hinaus haben sie, worauf noch einzugehen sein wird, auch für Kinder nichterwerbstätiger Mütter/Väter eine wichtige Sozialisationsfunktion.
IV. Vereinbarkeit von Familie und Beruf -Einige Sichtweisen der ost-und westdeutschen Bevölkerung
Abbildung 5
Tabelle 3: Meinungen zu Berufstätigkeit der Mutter und Kleinkinderbetreuung (Angaben in Prozent)
Quelle: INIFES, eigene Darstellung nach Angaben der genannten Institute.
Tabelle 3: Meinungen zu Berufstätigkeit der Mutter und Kleinkinderbetreuung (Angaben in Prozent)
Quelle: INIFES, eigene Darstellung nach Angaben der genannten Institute.
Für Aufsehen und anhaltende Aufmerksamkeit sorgte im Frühjahr 1991 die Veröffentlichung eines Ergebnisses aus einer Infas-Umfrage vom Oktober/November 1990. Danach plädierten zwar nur drei Prozent der befragten ostdeutschen Frauen für die „Hausfrauenrolle“, 50 Prozent stimmten aber für eine nur kurz unterbrochene, ansonsten durchgängige Erwerbstätigkeit und 46 Prozent stimmten dem Statement „Die Frau unterbricht die Erwerbstätigkeit für einige Jahre, wenn sie Kinder hat, und kehrt später in den Beruf zurück“ zu (vgl. Tabelle 2, oberer Teil). Infas kommentierte damals: „Es fällt auf, daß die Attraktivität des Drei-Phasen-Modells (gemeint ist: Berufstätigkeit-Kinderpause-Berufstätigkeit, A. d. V.) in Ost und West ziemlich gleich stark zu sein scheint.. ,“ Diese Interpretation wurde in kon-servativen politischen Kreisen -da in der Tendenz arbeitsmarktentlastend und kostensparend (für Kinderbetreuungseinrichtungen) -begierig aufgegriffen und -umgekehrt -von Frauenforscherinnen heftig kritisiert Die Kritik bezog sich insbesondere auf das Nichtfunktionieren dieses Drei-Phasen-Modells, da in der alten Bundesrepublik die Frauen nach der Kinderpause häufig nur noch, wenn überhaupt, geringe Beschäftigungschancen hatten und haben, und das in aller Regel nicht im erlernten Beruf, sondern unter-oder außerhalb der erworbenen Qualifikation
Betrachtet man die gruppendifferenzierten Ergebnisse in den vorliegenden zugehörigen Tabellen-werken zu dieser Umfrage näher, so fällt weiterhin auf, daß der -methodisch unsauber und ungenau („für einige Jahre“) formulierten -zweiten Alternative von bestimmten Frauengruppen überproportional häufig zugestimmt wurde. Der Berufsunterbrechung auf „unbestimmte Zeit“ stimmten in dieser Umfrage vor allem 46-bis 60jährige Frauen (53 Prozent) und Rentnerinnen (56 Prozent) sowie Frauen, die keine Kinder unter 16 Jahren im Haushalt haben (51 Prozent), zu. Diese Beispiele illustrieren die methodische Unschärfe der Infas-Umfrage, mehr noch die Fahrlässigkeit im Umgang mit den gewonnenen Daten. So kann, so darf man Umfrageergebnisse nicht interpretieren, gar veröffentlichen; die Hintergründe sind zu komplex, die Frageformulierung bzw.der Inhalt der Statements zu weich! Tabelle 2 enthält deshalb als Kontrast im unteren Teil Ergebnisse einer IPOS-Umfrage vom Herbst 1991, die die „gewünschte“ Dauer der Kinderpause etwas mehr konkretisiert. Es zeigt sich hier, daß für 12 Prozent der ostdeutschen Frauen -ob gezwungenermaßen oder nicht, kann hier nicht geprüft werden, dazu wären auch mehr offene Fragen in den Interviews nötig -die Mutterschutzfrist das Limit wäre. 75 Prozent halten die künftige Dreijahresfrist des Erziehungsurlaubs für den richtigen Zeitrahmen; nur 12 Prozent plädieren für eine längere Berufspause. Vor allem die Ost-West-Ergebnisunterschiede sprechen für sich.
Tabelle 3 -in aller aus Platzgründen gebotenen Kürze nur vorgestellt, nicht interpretiert, nicht methodisch hinterfragt und somit dem Leser zum Weiterdenken überlassen -ist ein weiteres Beispiel der Gegenüberstellung von verschiedenen Umfrageergebnissen, hier zu der „ideologischen“ Frage der außerfamilialen Kleinkinderbetreuung. Kurze Hinweise seien im folgenden angeführt: 1. Die Zahlen zeigen in Abhängigkeit von der jeweiligen Umfrage deutliche Unterschiede in der Bewertung institutioneller Betreuung von Kleinkindern. Ein Herausgreifen der Ergebnisse eines Instituts verbietet sich von selbst -
obwohl gerade dies alltäglich in Presse und Politik geschieht. Je mehr die vorgegebenen Statements offensiv formuliert werden (vgl.
IfD-Allensbach 1992 und Infas 1990), um so mehr geht bei den befragten ostdeutschen Frauen in ihr Urteil offensichtlich das Erinnern an Zeitengpässe, an qualitative Unzulänglichkeiten des „alten Systems“ ein. Bei „weicheren“ Fragekonstruktionen (vgl. IPOS 1991)
stellen sich die Ergebnisse anders dar. Vor diesem Hintergrund ist ein differenzierterer Umgang sowohl der Demoskopen als auch der Politiker mit solchen Themen zu fordern. 2. Die Ergebnisse der IfD-Allensbach-Umfrage 1992 und der IPOS-Umfrage 1991 (sowie eine Reihe weiterer einschlägiger Umfrageergebnisse) deuten auf eine wesentlich höhere Akzeptanz institutioneller, außerfamilialer (Klein-)
Kinderbetreuung in den neuen Ländern hin als im Westen. Dies fügt sich ins Bild vielfältiger anderer Befunde: Kindereinrichtungen zählen zu den DDR-Einrichtungen (vor allen anderen wie Sero-Sammelstellen, Polikliniken usw.), die die Ostdeutschen unbedingt erhalten (95 Prozent) wollten Das Thema Kindereinrichtungen hat -nach dem Thema Gewerbegebiete -in ostdeutschen Kommunalparlamenten eine sehr hohe Bedeutung.
V. Die Zukunft der Kindereinrichtungen als ein wichtiger Prüfstein der Qualität der Deutschen Einheit
Abbildung 6
Abbildung 2: Kapazitäten in Kinderbetreuungseinrichtungen am Beispiel der Stadt Neubrandenburg 1989-1992
Quelle: INIFES, eigene Darstellung nach schriftlichen und mündlichen Informationen der Ämter der Stadt Neubrandenburg.
Abbildung 2: Kapazitäten in Kinderbetreuungseinrichtungen am Beispiel der Stadt Neubrandenburg 1989-1992
Quelle: INIFES, eigene Darstellung nach schriftlichen und mündlichen Informationen der Ämter der Stadt Neubrandenburg.
Angesichts unterschiedlicher Ausgangssituationen bei der Erwerbstätigkeit von Müttern und Vätern muß die Rechtslage unter dem Gesichtspunkt der Vereinbarkeit von Familie und Beruf gestaltet werden, heißt es in Artikel 31 Einigungsvertrag. Ein wesentlicher Schritt in diese Richtung ist erstens in der „Garantie eines Kindergartenplatzes“ für alle Kinder der entsprechenden Altersjahrgänge -auch in den alten Bundesländern -zu sehen, die im neugefaßten § 218 StGB enthalten ist. Zweitens hat nicht nur das Deutsche Jugendinstitut, sondern auch der Wissenschaftliche Beirat für Familienfragen ganz deutlich auf die pädagogische und sozialisationsbezogen unabdingbare Bedeutung von außerfamilialen Kinderbetreuungseinrichtungen -gerade in einer Zeit, in der die Ein-Kind-Familien dominieren -verwiesen Es ist hier weder Ort noch Raum, die entsprechende pädagogische Kontroverse zwischen Ideologen und Fachleuten nachzuzeichnen und zu diskutieren. Überzeugend erscheint uns aber das abwägende Fazit von Rosemarie Nave-Herz, der Leiterin des Instituts Frau und Gesellschaft, daß auch für Kleinkinder entsprechende Angebote in einem (post-) modemen Land notwendig wären Oder, um es mit dem Titel eines Zeitschriftenaufsatzes ganz deutlich zu sagen: „Nicht alles, was die Partei (gemeint ist die SED, A. d. V.) der Frau zusammenbraute, gehört gleich in den Gully der Vereinigung.“ 1. Institutioneile Betreuung von Kindern im deutsch-deutschen Vergleich vor der Wende Für die eben genannte Sichtweise spricht nicht zuletzt die von der EG-Kommission getroffene Feststellung, daß die „Infrastrukturangebote“ zur Erleichterung der Berufstätigkeit von Müttern (von der Zahl der Plätze in Kindereinrichtungen bis zu den Öffnungszeiten solcher Einrichtungen oder der Schulen) in der alten Bundesrepublik vergleichsweise schlecht sind und erheblich hinter Ländern wie Dänemark oder Frankreich hinterherhinken Unbestritten ist, daß in den alten Bundesländern zwischen 1986 und 1990 die Zahl der Plätze in Kinderbetreuungseinrichtungen um rund 150000 angestiegen ist. Allerdings hat sich in diesem Zeitraum auch die Anzahl der Kinder erheblich erhöht, so daß die Platz-Kinder-Relation z. B. für Kindergärten (Drei-bis unter Sechsjährige) sogar leicht von 80, 9 auf 80, 2 gesunken ist In der DDR war die Versorgung mit Kinderbetreuungseinrichtungen im Vergleich dazu nahezu flächendeckend. Der Versorgungsgrad lag bei Kinderkrippen (plus Dauerheime) bei über 80 Prozent, bei den Kindergärten bei 95 Prozent bis -je nach Anteil der eingerechneten Sechs-bis unter Siebenjährigen -deutlich über 100 Prozent und bei den Schulhorten (Klassen I-IV) bei über 80 Prozent
Der Wissenschaftliche Beirat für Familienfragen hat in seinem Gutachten vom November 1990 deutlich gefordert: „Im Hinblick auf die Gewährleistung der Vereinbarkeit von Familientätigkeit und Erwerbstätigkeit im Lebenslauf von Frauen sowie zur Sicherung der Rechte und Bedürfnisse von Kindern erwerbstätiger Mütter (Eltern) auf Betreuung und pädagogische Förderung sollten die in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik bestehenden Betreuungseinrichtungen nicht leichtfertig zerstört, sondern -bei gleichzeitiger Verbesserung der pädagogischen Qualität -im Umfang des tatsächlichen Bedarfs erhalten und gesichert werden... Der Vereinigungsprozeß sollte dazu genutzt werden, die extremen Unterschiede zwischen beiden deutschen Staaten im Hinblick auf den Ausbau von familienergänzenden Betreuungseinrichtungen dahingehend zu überwinden, daß in den Ländern der bisherigen Bundesrepublik Deutschland wesentliche Schritte zu einem bedarfsgerechten Ausbau eingeleitet werden.“ 2. Entwicklung seit der Wende Ohne hier näher auf die Qualität der Betreuung in diesen Einrichtungen in der DDR eingehen zu können (Stichworte: Bewahranstalten; rigide, direktive Pädagogik; ideologische Beeinflussung -aber auch: vorbildliche präventivmedizinische Betreuung, ernährungswissenschaftlich ausgewogene Mahlzeiten), muß festgehalten werden, daß diesbezügliche Mängel kein Grund sein können, der eben zitierten Empfehlung des Wissenschaftlichen Beirats nicht zu folgen.
Deshalb ist es von größter Bedeutung, die Entwicklung der Kinderbetreuungseinrichtungen in den neuen (und alten) Ländern genau zu beobachten. Dies ist aber extrem schwierig. Bereits im Juni 1991 hat die Bundesregierung auf entsprechende Daten-und Abgrenzungsprobleme verwiesen Die in den neuen Ländern außerturnusmäßig eingeschobene „Statistik der Jugendhilfe, Teil III. Einrichtungen und tätige Personen zum Stichtag: 31. 12. 1991“ ist erst in der Auswertung und gibt nur über Einrichtungen/Träger, Personal und verfügbare Plätze Auskunft. Genaue Angaben über die tatsächliche Belegung, über Öffnungszeiten, Gebühren, Versorgungsgrade usw. liegen noch nicht vor. Man ist also gegenwärtig auf nicht-flächendeckende Informationen angewiesen. Auf Basis entsprechender Angaben aus einer Presseanalyse und Anfragen bei zuständigen Stellen auf kommunaler und Länderebene sowie Recherchen „vor Ort“ läßt sich nur ein heterogenes Bild zeichnen Wir beschränken uns hier auf ein Beispiel, das uns aber für die Problematik in den neuen Ländern als nicht untypisch erscheint. Abbildung 2 zeigt, wie sich die Anzahl der Plätze in Kinderkrippen, -gärten und den Horten Neubrandenburgs zwischen 1989 und dem Herbst 1992 entwickelt hat. Die Abnahme ist offensichtlich allein von Ende 1990 bis September 1992 hat sich das Gesamtangebot aller drei Einrichtungen um über fünftausend Plätze verringert. Abbildung 3 zeigt für September 1992 die Relationen von Platzangebot, belegten Plätzen und potentieller Nachfrage -sie sind deutlich geringer als 1989. Dabei ist anzumerken, daß die Stadt Neubrandenburg, nach Meinung von Experten in Verbänden und auf Landesebene, zu denjenigen Kommunen gehört, die die Vorgabe des Landesgesetzgebers und dieper Ratsbeschluß eingegangene Verpflichtung zur bedarfsgerechten Versorgung mit Plätzen in Tageseinrichtungen für Kinder sehr ernst nimmt. Eine Analyse der vorgestellten Zahlen verdeutlicht denn auch das Dilemma, das die Perspektiven der Kinderbetreuungseinrichtungen in den neuen Bundesländern recht gut charakterisiert
Die Angebots-/Nachfragespirale dreht sich nach unten!
Schon in der Zeit vor 1989/90 war die Geburten-entwicklung in der DDR rückläufig Wurden 1980 noch 245000 Lebendgeburten gezählt, so waren es 1989 nur 199000. Im ersten Quartal 1991 waren es 30952, von Februar bis April 1992 nur noch 21824. Damit bricht auch der Bedarf an Kinderbetreuungseinrichtungen weg. Hinzu kommt, daß angesichts der hohen (Frauen-) Arbeitslosigkeit Mütter, Omas, Tanten (aber auch Männer) als Alternative für die Kinderbetreuung zur Verfügung stehen. Außerdem kostet z. B. in Neubrandenburg -von Eltern mit einem Familieneinkommen unter dem Sozialhilfesatz abgesehen -ein Vollzeit-Krippenplatz monatlich 295 DM für das erste und zweite Kind (180 DM für das dritte und weitere; bei Teil-zeit: 205 bzw. 126 DM). Ein Vollzeit-Kindergartenplatz kostet z. B. 135 bzw. 85 DM. Hinzu kommen noch 3 DM pro Mittagessen -während früher insgesamt nur maximal 1, 50 DM pro Tag Verpflegungskostenanteil zu zahlen waren; ansonsten wurden die Kosten voll vom Staat bzw. von den Betrieben getragen. Die Neubrandenburger Sätze sind aber noch nicht die Obergrenze, in anderen Kommunen liegen sie z. T. noch höher; die Gebühren für einen Ganztageskrippenplatz bewegen sich nicht selten um 350 DM monatlich. 3. Wider die „bayerische Lösung“ Über den Preis, der für die Kinderbetreuung zu entrichten ist, findet eine „soziale Rationierung öffentlicher Leistungen“ statt. Aus Unterlagen des Finanzministeriums in Schwerin geht darüber hinaus hervor, daß ab 1995 ohnehin mit einem niedrigeren Versorgungsgrad für Krippenkinder (ein Drittel) gerechnet wird Es deutet also alles darauf hin, daß der breite Abbau von Kinderbetreuungseinrichtungen in den neuen Ländern weiter gehen wird.
Den Kommunen mit ihrer knappen Finanzausstattung kann ein weiterer Rückgang des „Bedarfs“ vordergründig nur recht sein. Sind jedoch die Einrichtungen erst einmal geschlossen, wird es sehr schwer sein, sie bei einem irgendwann ansteigendem höheren Bedarf wieder oder neu zu eröffnen. Die Prognose ist also für Kinderkrippen und übrigens auch für Horte äußerst ungünstig. Für die Drei-bis Sechsjährigen (Kindergartenkinder) deutet sich aber schon, vor allem auch wegen der völlig unklaren Option des für 1995 vorgesehenen gesamtdeutschen Länderfinanzausgleichs, die „bayerische Lösung“ an: Dies ist gleichbedeutend mit einem Ausscheren aus der -u. E. ohnehin brüchigen -bundesweiten „Garantie eines Kindergarten-platzes“ mit dem Argument der Kulturhoheit der Länder. Die „bayerische Lösung“ zeichnet sich durch die Ablehnung entsprechender Oppositionsanträge oder die Verzögerung ihrer Behandlung aus. Sie gipfelt letztendlich darin, einen Personalabbau auch im Kindergartenbereich mit dem unhaltbaren und verlogenen Argument einer „Entbürokratisierung“ zu begründen
VI. Fazit
Abbildung 7
Abbildung 3: Kinderbetreuungseinrichtungen und Horte in der Stadt Neubrandenburg. September 1992
Quelle: Amt für Statistik und Wahlen der Stadt Neubrandenburg.
Abbildung 3: Kinderbetreuungseinrichtungen und Horte in der Stadt Neubrandenburg. September 1992
Quelle: Amt für Statistik und Wahlen der Stadt Neubrandenburg.
„Sie hat sich nicht gewehrt, nun kommt sie an den Herd“ überschreibt Gisela Notz einen Aufsatz zum Thema Der Erhalt von Arbeitsplätzen für Frauen, der Erhalt von Kindereinrichtungen in den neuen und deren Ausbau in den alten Bundesländern ist jedoch nicht in erster Linie das Feld feministischer Politik, sondern eine eher geschlechtsunspezifische Frage der Sozialpolitik -mithin eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Während in der früheren DDR rund zwei Drittel der Kosten für den Unterhalt und die Erziehung der Kinder vom Staat und ein Drittel von den Eltern getragen wurde, ist dies in der Bundesrepublik Deutschland in etwa umgekehrt Der Kinderlastenausgleich nach bundesrepublikanischem Recht ist also erheblich niedriger, als er in der früheren DDR durch monetäre und reale Transfers sowie Preissubventionen war.
Den Elterninitiativen, die in den neuen Ländern Kinderbetreuungseinrichtungen ins Leben zu rufen versuchen, muß klar sein, daß ein ähnliches Unterfangen im Westen sehr schwer war und ist. Sollte es nicht gelingen, das institutionelle Angebot an KinderbetreuungSeinrichtungen im Osten zu erhalten (und im Westen auszubauen), werden die „privaten Alternativen“ mit all ihren auch negativen Konsequenzen Platz greifen. Für viele Frauen wird der Zugang zum Arbeitsmarkt an der „dritten Schwelle“ dann verschlossen bleiben. Andere haben vielleicht die Möglichkeit, ihre Kinder von Verwandten oder vor allem von „Tagesmüttern“ betreuen zu lassen -mit allen Problemen vor allem auch für die Kinder, denen „abenteuerliche Betreuungskarrieren“ drohen. Wenn diese Entwicklung eintritt, es also zu einer Zementierung der westdeutschenUnzulänglichkeiten in diesem Punkt der Gleichstellungsfrage kommt, dann werden die Frauen in Ostdeutschland tatsächlich -und zwar auf Dauer -zu Verliererinnen der deutschen Vereinigung.
Ernst Kistler, Dr. rer. pol., geb. 1952; Gesellschafter und Projektgruppenleiter am Internationalen Institut für Empirische Sozialökonomie (INIFES) in Stadtbergen bei Augsburg. Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg. zus. mit Dieter Jaufmann u. a.) Empirische Sozialforschung im vereinten Deutschland. Bestandsaufnahme und Perspektiven, Frankfurt am Main-New York 1992. Dieter Jaufmann, Dr. rer. pol., geb. 1953; wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektleiter am INIFES. Veröffentlichungen u. a.: Technik und Wertewandel -Jugendliche und Erwachsene im Widerstreit?, Frankfurt am Main u. a. 1990. Anita B. Pfaff, Dr. jur., geb. 1942; Professorin an der Universität Augsburg und stellv. Direktorin am INIFES. Veröffentlichungen u. a.: Feminisierung der Armut durch den Sozialstaat? in: Stephan Leibfried/Wolfgang Voges (Hrsg.), Armut im modernen Wohlfahrtsstaat, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozial-psychologie, Sonderheft (1992) 32.
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