Hongkong vor dem 1. Juli 1997. Leben und Überleben auf geborgte Zeit
Paul A. von Hehn
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Zusammenfassung
Die Rückführung Hongkongs an die Volksrepublik China am l. Juli 1997 ist ein historisch einzigartiges Ereignis: Ein westliches, demokratisches Land liefert seine Kolonie einschließlich Bevölkerung an ein kommunistisches Regime aus. Garantien oder Absicherungen für die knapp sechs Millionen zählende Bevölkerung gibt es nicht. China hat lediglich die Einhaltung des Konzepts „One country -two Systems“ versprochen. Ob Hongkong eine Überlebenschance hat, hängt vor allem davon ab, inwieweit es der Volksrepublik China wirtschaftlich nützt. Bisher ist Hongkongs wirtschaftlicher Erfolg weltweit unumstritten und für Chinas wirtschaftliche Entwicklung von ganz entscheidender Bedeutung gewesen. Ob die dann ehemalige britische Kronkolonie diese Rolle auch in Zukunft wird erfüllen können, ist nicht sicher. Hongkong wird in jedem Fall hart dafür kämpfen müssen.
I. Die Erfolgsstory Hongkong
Für eine Branche steht schon jetzt fest, daß die letzten Stunden Hongkongs als britische Kronkolonie ein absoluter Erfolg sein werden: die Hotelindustrie. Bereits heute sind die Spitzen-hotels Hongkongs ausgebucht für ein einzigartiges historisches Ereignis: die Zurückführung Hongkongs an die Volksrepublik China in der Nacht zum 1. Juli 1997.
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Bevölkerungsentwicklung und -dichte )Quelle: Statistisches Bundesamt, Länderbericht Volksrepublik China 1993, Wiesbaden 1993, S. 30/31.
Bevölkerungsentwicklung und -dichte )Quelle: Statistisches Bundesamt, Länderbericht Volksrepublik China 1993, Wiesbaden 1993, S. 30/31.
Hongkong wird oft als Stadt der Action und nicht der Reflexion charakterisiert. Die meisten europäischen Besucher sind von dieser schnellebigen asiatischen Enklave des Kapitalismus mit seinen imposanten Wolkenkratzern, der Geschäftigkeit und Geschäftstüchtigkeit der Hongkong-Chinesen, seiner für Europäer ungewohnten Effizienz fasziniert und beeindruckt.
Abbildung 6
Bevölkerung nach Stadt und Land Quelle: Statistisches Bundesamt, Länderbericht Volksrepublik China 1993, Wiesbaden 1993, S. 38.
Bevölkerung nach Stadt und Land Quelle: Statistisches Bundesamt, Länderbericht Volksrepublik China 1993, Wiesbaden 1993, S. 38.
Leicht wird dabei vergessen, daß Hongkong auch China ist. Und dennoch: das trotz aller Reform-bestrebungen nach wie vor weitgehend ineffiziente, sozialistische China soll mit dem kapitalistischen Hongkong 1997 zusammenkommen, wenn Großbritannien seine Kolonie wieder in chinesische Souveränität zurückführt. „One country -two Systems“, ein Land -zwei Systeme: das ist das Thema, das seit 1984, das heißt seit der Unterzeichnung der sogenannten „Joint Declaration“ zwischen Großbritannien und China, im Mittelpunkt der Diskussion in und um Hongkong steht. 1. Hongkongs Zukunft: Ein einzigartiges historisches Ereignis Während die meisten Kolonien seit Ende des Zweiten Weltkrieges ihre Unabhängigkeit erhalten haben, ist Hongkong nach wie vor eine Kolonie der britischen Krone. Im Falle von Gibraltar und der Falklandinseln ist die Entscheidung über die Unabhängigkeit der Bevölkerung überlassen -nicht so im Fall von Hongkong: -Sein Schicksal wird nicht von seiner Sechs-Millionen-Bevölkerung entschieden, sondern von Beijing und London. -Nicht nur das Territorium wird an die Volksrepublik China zurückgeführt, sondern -und das ist der Zynismus der Politik -auch die Hongkonger Bevölkerung, diejenigen also, die selbst bzw.deren Eltern einst vor den chinesischen Kommunisten geflüchtet sind.
Abbildung 7
Daten des Arbeitsmarktes Quelle: Statistisches Bundesamt, Länderbericht Volksrepublik China 1993, Wiesbaden 1993, S. 55/56.
Daten des Arbeitsmarktes Quelle: Statistisches Bundesamt, Länderbericht Volksrepublik China 1993, Wiesbaden 1993, S. 55/56.
Hongkong hat dreizehn Jahre vorher über sein zukünftiges Schicksal Bescheid gewußt. Seit 1984, dem Datum der Unterzeichnung der „Joint Declaration“, wird nach Mitteln und Wegen gesucht, die Zukunft weniger ungewiß zu machen. 2. Die wirtschaftliche Bedeutung Hongkongs Der herausragende Erfolg Hongkongs ist vor allem ein wirtschaftlicher. Der Grund dafür liegt nicht zuletzt darin, daß die sicherste und vielleicht sogar die einzige Garantie für ein Überleben nach dem 1. Juli 1997 wirtschaftliche Stärke ist. Denn bisher hat die Volksrepublik China von Hongkongs robuster Wirtschaft stark profitiert.
Abbildung 8
Unternehmen des Produzierenden Gewerbes nach Eigentumsformen Quelle: Statistisches Bundesamt, Länderbericht Volksrepublik China 1993, Wiesbaden 1993, S. 71.
Unternehmen des Produzierenden Gewerbes nach Eigentumsformen Quelle: Statistisches Bundesamt, Länderbericht Volksrepublik China 1993, Wiesbaden 1993, S. 71.
Die wirtschaftliche Bedeutung der Kolonie Hongkong spielt sich auf drei Ebenen ab: im internationalen Handel, als Teil der Triade (Süd-) China, Taiwan und Hongkong und schließlich als Entrepot (Mittlerin) im innerasiatischen Handel. Hongkongs Rolle auf diesen drei Ebenen ist teils eine Funktion, teils das Resultat der geschickten Ausnutzung seiner internen Wirtschaftsstruktur.
Abbildung 9
AUSSENHANDEL VON CHINA Quelle: Statistisches Bundesamt 93 0310 B Statistisches Bundesamt, Länderberichtvolksrepublik China 1993, Wiesbaden 1993, S. 90.
AUSSENHANDEL VON CHINA Quelle: Statistisches Bundesamt 93 0310 B Statistisches Bundesamt, Länderberichtvolksrepublik China 1993, Wiesbaden 1993, S. 90.
Mangels ausreichender Ressourcen muß Hongkong praktisch alle Rohstoffe sowie Nahrungsmittel und Energie einführen. Dies und ihren steigenden Lebensstandard muß die Kolonie durch Exporte finanzieren. Das bedeutet Abhängigkeit von den wirtschaftlichen Bedingungen und Handelspolitiken der wichtigsten Abnehmermärkte Hongkongs, nämlich den USA, der Volksrepublik China und der EG. Rund 27 Prozent aller Exporte Hongkongs gehen in die USA, 26 Prozent nach China und 18 Prozent in die EG. Die Bundesrepublik hat lediglich einen Anteil von rund 6, 8 Prozent. Der Produktionssektor als Erzeuger von Hongkongs Exporten ist mit einem Anteil von 16 Prozent am Bruttosozialprodukt nach wie vor eine wichtige Stütze der Hongkonger Wirtschaft. Hong37 kongs Industrie hat sich weg von der Herstellung sogenannter Billigware „up-market“ entwickelt. Hongkong stellt heute Computer, Audio-Video-Anlagen, Präzisionsmaschinen, Telefax-und andere hochqualifizierte Bürogeräte sowie hochmoderne Haushaltswaren her. Ein wesentlicher Faktor für diese „up-market“ -Entwicklung war und ist die Möglichkeit, einen Teil der Produktion nach China, vor allem Südchina, auszulagern. Weiterhin ist Hongkong für den Weltmarkt ein wichtiger Exporteur von Uhren, Spielzeug, Haushaltswaren sowie Reise-und Handtaschen.
Abbildung 10
AUSSENHANDEL DEUTSCHLANDS MIT CHINA Quelle: Statistisches Bundesamt 93 0311 B Statistisches Bundesamt, Länderbericht Volksrepublik China 1993, Wiesbaden 1993, S. 99.
AUSSENHANDEL DEUTSCHLANDS MIT CHINA Quelle: Statistisches Bundesamt 93 0311 B Statistisches Bundesamt, Länderbericht Volksrepublik China 1993, Wiesbaden 1993, S. 99.
Eine der bedeutsamsten Entwicklungen der vergangenen Jahre für die Hongkonger Wirtschaft ist die zunehmende Ausweitung des Service-Sektors, insbesondere im Finanzbereich. Nicht zuletzt aufgrund seines exzellenten Kommunikationsnetzes mit Europa und Amerika auf der einen und seiner Verbindungen mit den anderen Ländern des Fernen Ostens und der Volksrepublik China auf der anderen Seite zählt Hongkong heute zu einem der ganz wichtigen internationalen Finanzzentren der Welt. Zwar ist seine Bedeutung verglichen mit Tokio relativ gering, aber die Zahl der vertretenen Finanzinstitute ist hoch: rund 500 Banken, darunter die hundert ersten Banken der Welt, sind in Hongkong vertreten.
Trotz einer Bevölkerung von nur 5, 9 Millionen Menschen auf einer Fläche von etwas über 1000 Quadratkilometern zählt Hongkong heute zu den großen Handelsmächten der Welt. Sein Bruttoinlandsprodukt übertraf 1992 das einer Reihe von EG-Mitgliedsländern (vgl. Tabelle 1). Das für 1993 auf 18800 US-Dollar geschätzte Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt würde sogar das von Großbritannien übersteigen.
Unabhängig von 1997 bewegen sich die Wirtschaften von Hongkong, der Volksrepublik China (vor allem deren Süden) und zunehmend Taiwans mehr und mehr aufeinander zu und beginnen, einen einheitlichen Wirtschaftsraum zu bilden Dieser „Chinesische Wirtschaftsraum“ wird von manchen Wirtschaftskommentatoren bereits heute als einer der neuen „Tiger“ der Region bezeichnet. Die Perspektiven sind frappierend: Nach einem Bericht der Weltbank von 1992 wird im Jahre 2002 der Chinesische Wirtschaftsraum wirtschaftlich an vierter Stelle nach den USA, Japan und Deutschland stehen (vgl. Tabelle 2).
Die sich hier anbahnende Entwicklung ist ganz wesentlich durch die Ausstrahlungskraft der Hongkonger Wirtschaft auf den südchinesischen Raum in Gang gesetzt worden. Gefördert durch den 1978 begonnenen Öffnungsprozeß der Volksrepublik China hat sich Hongkong mehr und mehr in sein chinesisches Hinterland ausgeweitet: Vor allem das dort bestehende niedrige Lohn-und Kostenniveau hat dazu beigetragen, daß der Großteil derLohn-und Montagefertigung Hongkonger Unternehmen heute in China durchgeführt wird. Taiwan, dem der direkte Handel mit der Volksrepublik nach wie vor verboten ist, hat seit Jahren über Hongkong in China, vor allem in der Provinz Fujian, in beträchtlichem Ausmaße investiert.
In den letzten Jahren ist eine zunehmende Interdependenz der Wirtschaften des Femen Ostens zu beobachten. Die Sogwirkung des potentiellen chinesischen Marktes mit mehr als einer Milliarde Verbrauchern, gekoppelt mit der seit 1978 von China aktiv betriebenen Öffnungspolitik, ist ein ganz wesentlicher Faktor für die rapide Ausweitung des innerasiatischen Handels geworden. In diesem Prozeß nimmt Hongkong eine Mittlerrolle ein: Japan, Südkorea und andere fernöstliche Länder verlegen wegen eigener zu hoher Lohnkosten ihre Fertigung nach Hongkong und in die Volksrepublik China, vor allem nach Südchina. Taiwan muß, wie erwähnt, aufgrund eigener Beschränkungen seine Geschäfte mit China über und durch Hongkong abwickeln.
Diese Mittlerrolle spiegelt sich in der in den letzten Jahren enorm zugenommenen Bedeutung von Hongkongs Entrepot-Handel wider: Der Anteil von Re-Exporten hat in den letzten Jahren im Durchschnitt 75 Prozent aller Exporte Honkongs ausgemacht. Die wichtigsten Ursprungsländer von Re-Exporten waren 1992 China, Japan, Taiwan, die USA und Korea, und die wichtigsten Absatzmärkte für Re-Exporte waren China, die USA, Japan, Deutschland und Taiwan.
Der asiatische Anteil an Hongkongs Exporten beträgt 43 Prpzent, während 23 Prozent auf den Export in die USA und 18 Prozent auf den Export in die EG entfallen.
Hongkongs Stellenwert als internationales Finanzzentrum, -sein ausgedehntes Netz von Geschäftsverbindungen sowie seine kostengünstige Produktionsstruktur fördert Hongkongs Entrepot-Rolle innerhalb Asiens.
II. Die China-Verbindung-wirtschaftliche Annäherung
Abbildung 2
Tabelle 2: Der Chinsesische Wirtschaftsraum im Vergleich zu den größten Volkswirt« schäften im Jahre 2002 (Bruttoinlandsprodukt berechnet zu Marktpreisen in Milliarden US-Dollar) Quelle: Weltbank, Vorhersage Dezember 1992.
Tabelle 2: Der Chinsesische Wirtschaftsraum im Vergleich zu den größten Volkswirt« schäften im Jahre 2002 (Bruttoinlandsprodukt berechnet zu Marktpreisen in Milliarden US-Dollar) Quelle: Weltbank, Vorhersage Dezember 1992.
Die wichtigste Entwicklung der letzten Jahre für die Wirtschaft Hongkongs ist die wachsende Bedeutung des Handels mit der Volksrepublik China. Zunehmend wird die Fertigung von Hongkong nach China, vor allem in die südliche Provinz Guangdong, verlagert. Ungefähr drei Millionen chinesische Arbeitskräfte sind heute für Hongkonger Produzenten vor allem in Südchina tätig. In wachsendem Maße leiten ausländische Unternehmen, sei es aus Europa und den USA, sei es aus der Region selbst -und hier vor allem aus Südkorea und Taiwan -, ihre für China bestimmten Investitionen durch Hongkong.
Die Annäherung zwischen Hongkong und der Volksrepublik China läßt sich am eindrucksvollsten durch einen Vergleich der Besucherzahlen illustrieren (vgl. Tabelle 3):
Eine ganz bedeutsame Ursache für das wirtschaftliche Wachstum Hongkongs war und ist die Volksrepublik China. Im Jahre 1990 konnte dem soge-nannten China-Faktor ungefähr ein Viertel von Hongkongs wirtschaftlichem Output zugerechnet werden; im Jahre 1980 lag der Anteil bei nur fünf Prozent.
Umgekehrt ist Hongkong heute mit einem Anteil von 50 bis 70 Prozent am Gesamtinvestitionsvolumen in China die wichtigste Quelle für sein externes Investment. Investitionen werden vor allem im Bereich der Leichtindustrie und im Hotelsektor getätigt. Die meisten Investitionen sind in Form von Joint-ventures verschiedenster Ausprägungen organisiert. Daneben sind Hongkonger Produzenten in eine Reihe von Kompensations-und Veredelungs-bzw. Montagearrangements mit chinesischen Partnern eingetreten. Der Großteil dieser von Hongkong ausgehenden Investitionstätigkeit konzentriert sich auf die Provinz Guangdong.
Umgekehrt haben chinesische Unternehmen begonnen, ihre Aktivitäten in Hongkong zu verstärken. Neben dem Handels-und Bankenbereich, insbesondere der Handelsfinanzierung, wachsen die Investitionen chinesischer Unternehmen im Immobiliengeschäft und in Hotel-und Infrastrukturprojekten zusehends.
Die wirtschaftliche Verflechtung zwischen Hongkong und der Volksrepublik China hat der Wirtschaft Hongkongs nicht nur eine neue Dimension gegeben, sondern inzwischen auch dazu geführt,daß heute, kurz vor 1997, internationale Investoren von der Risikoeinschätzung her kaum noch einen Unterschied zwischen Hongkong und dem sozialistischen China machen.
III. Politische Annäherung und Übergabe Hongkongs 1997
In der sogenannten „Sino-British Joint Declaration on the Question of Hongkong“, kurz „Joint Declaration“ genannt, hat China seine zukünftige Politik mit Bezug auf Hongkong definiert: Hongkong soll eine Sonderzone Chinas -„Special Administrative Region“ („SAR“) -mit einem „großen Maß an Autonomie“ werden, und seine derzeit geltenden Gesetze sowie sein augenblickliches Wirtschaftsund Sozialsystem sollen für weitere fünfzig Jahre grundsätzlich unverändert fortgelten. Diese politische Grundsatzerklärung wurde inzwischen in Form eines „Basic Law“ oder „Grundgesetzes“ für Hongkong verankert. Es wurde von Chinas National People’s Congress am 4. April 1990 verabschiedet und tritt am 1. Juli 1997 in Kraft. 1. Die Kolonie Hongkong und ihre Verfassung Die Bedeutung der „Joint Declaration“ läßt sich erst vor dem Hintergrund der Situation Hongkongs als britischer Kronkolonie und seiner jetzigen Verfassung begreifen:
Seit 1841 steht Hongkong als Folge der Opium-kriege unter britischer Oberherrschaft. Das Entstehen der britischen Kronkolonie in ihrer heutigen Form erfolgte allerdings in Etappen. So wurden erst durch den Vertrag von Nanjing im Jahre 1843 die Insel Hongkong und später 1860 durch die Konvention von Beijing auch die Kowloon-Halbinsel und Stonecutters Island auf immer an die britische Krone abgetreten. In einem weiteren Vertrag von 1898 wurden schließlich die sogenannten New Territories an Großbritannien für 99 Jahre im Wege der Pacht überlassen. Diese läuft zum 30. Juni 1997 aus; zu diesem Zeitpunkt wird ganz Hongkong, d. h. einschließlich der an Großbritannien ursprünglich auf immer abgetretenen Hongkong-Insel und Kowloon-Halbinsel, an die Volksrepublik China zurückfallen. So ist es in der „Joint Declaration“ von 1984 vorgesehen.
Hongkong ist von der Verfassung her keine Demokratie. Die Kolonie wird von einem von der britischen Krone ernannten Gouverneur regiert und verwaltet. Seine Stellung und seine Befugnisse er-geben sich aus den von der Krone erlassenen „Leiters Patent“ und „Royal Instructions“, Dokumente, die den Status Hongkongs als britische Kronkolonie definieren. Danach hat die britische Regierung vollkommene Macht über alle Angelegenheiten Hongkongs. In der Praxis hat sich jedoch gezeigt, daß von diesen Befugnissen nur wenig Gebrauch gemacht wurde und sich Hongkong insofern eines großen Ausmaßes an Autonomie erfreut.
Der Gouverneur -seit 1992 Brian Patten -wird bei der Ausübung seiner Regierungsgewalt von einem Executive Council und bei der Ausübung der gesetzgebenden Gewalt von einem Legislative Council beraten. In beiden Councils hat der Gouverneur den Vorsitz; beide Organe haben Mitglieder kraft Amtes sowie vom Gouverneur ernannte.
Im Legislative Council gibt es seit 1991 neben indirekt gewählten auch direkt gewählte Mitglieder: Von insgesamt 60 Mitgliedern werden allerdings nur 18 in allgemeinen Direktwahlen und weitere 21 Mitglieder indirekt durch Berufsgruppen gewählt. Die übrigen 21 Mitglieder werden vom Gouverneur ernannt bzw. sind Mitglieder des Legislative Council kraft Amtes.
Der Executive Council ist in erster Linie ein beratendes Organ. Zwar ist der Gouverneur verpflichtet, den Executive Council zu konsultieren, jedoch ist für die Entscheidung über eine Angelegenheit allein der Gouverneur verantwortlich. Die Vergangenheit hat allerdings gezeigt, daß der Gouverneur nur in den seltensten Fällen seine Befugnisse voll wahrgenommen hat. Wichtige und grundsätzliche politische Entscheidungen sowi, die allgemeine Verwaltung wurden bisher in der Regel auf der Grundlage eines breiten Konsensus durchgeführt.
* 2. Die, Joint Declaration“
Die „Joint Declaration“ wurde am 19. November 1984 von den Regierungen Großbritanniens und Chinas unterzeichnet und anschließend ratifiziert. Am 12. Jimi 1985 wurde sie offiziell im Sekretariat der Vereinten Nationen in New York registriert.
Hintergrund für das Zustandekommen der „Joint Declaration“ war zunächst die Tatsache, daß China niemals die zur Entstehung der Kronkolonie Hongkong im letzten Jahrhundert geschlossenen Verträge akzeptiert hatte und die Position einnahm, daß ganz Hongkong chinesisches Territorium sei. Auf der anderen Seite bestand für Großbritannien das Problem, daß die Pacht für die sogenannten New Territories 1997 ausläuft unddieses Gebiet auf jeden Fall an China zurückfallen würde, daß jedoch ohne die New Territories das verbleibende Hongkong für die Fortführung einer lebensfähigen Wirtschaft nicht groß genug ist.
Vor diesem Hintergrund begann 1982 anläßlich eines Besuches der britischen Premierministerin Margaret Thatcher in der Volksrepublik China die Diskussion über die Zukunft Hongkongs. Das Schlüsselkonzept der chinesischen Argumentation war die These „ein Land = zwei Systeme“. Auf dieser Grundlage wurden die Verhandlungen 1984 mit Unterzeichnung der Joint Declaration erfolgreich beendet.
Abgesehen von der bereits erwähnten Rückgabe ganz Hongkongs an die Volksrepublik China bestimmt der Vertrag im Detail, daß für einen Zeitraum von 50 Jahren -beginnend mit dem l. Juli 1997 -Hongkongs rechtliches, wirtschaftliches, finanzielles, soziales und kulturelles System grundsätzlich unverändert fortgelten soll. So heißt es ausdrücklich in Annex 1 zur „Joint Declaration“ mit Bezug auf die zukünftige Special Administrative Region (SAR) Hongkong: „ The socialist System and socialist policies shall not be practiced... and... Hong Kong’s previous capitalist System and lifestyle shall remain unchangedfor 50years. " 2
Bedeutsam in diesem Zusammenhang ist, daß der Begriff „capitalist System“ im vorliegenden Kontext nicht lediglich ein wirtschaftlicher Begriff ist, sondern daß damit eine ganze Reihe von rechtlichen Konzepten Zusammenhängen, die in der Tradition des „common law“ fest verankert sind, wie insbesondere die Betonung persönlicher, individueller Freiheit oder die Gewähr schnellen Zugangs zu Gerichten sowie die Möglichkeit, seine Rechte und Pflichten durchzusetzen. Die fortdauernde Geltung solcher Konzepte wird von der Joint Declaration versichert.
Im einzelnen sieht diese Vereinbarung vor, daß die zukünftige SAR Hongkong direkt der Zentralregierung Chinas untersteht. An die Stelle des britischen Gouverneurs wird der von der chinesischen Zentralregierung ernannte und ihr verantwortliche Chief Executive treten. Der Chief Executive muß Chinese mit unbeschränktem Wohn-und Aufenthaltsrecht in Hongkong sein. Außen-und Verteidigungsangelegenheiten fallen in den Verantwortungsbereich der chinesischen Zentralregierung.
Im übrigen wird jedoch der SAR Hongkong ein „hohes Maß“ an Autonomie zugesichert. So bestimmt Artikel 3(3) der „Joint Declaration“: „The Hong Kong Special Administrative Region will be vested with executive, legislative and independent judicial power, including that of final adjudication. " 3
Ferner sollen die derzeit in Hongkong in Kraft befindlichen Gesetze grundsätzlich unverändert fortgelten. Ebenso wird die Aufrechterhaltung Hongkongs als internationales Finanzzentrum zugesichert, die freie Konvertibilität des Hongkong-Dollar, der offene Hafen und die Fortführung Hongkongs als separates Zollgebiet. Hongkong darf aus eigenem Recht internationale Verträge mit anderen Staaten zur Entwicklung wirtschaftlicher und kultureller Beziehungen abschließen. Rechte wie Rede-und Pressefreiheit, Freizügigkeit, Versammlungsfreiheit, Streikrecht, Freiheit der Berufswahl und Glaubensfreiheit sowie das Recht auf Privateigentum sollen ebenfalls in der SAR Hongkong weitergelten. Die englische Sprache wird neben der chinesischen offizielle Sprache bleiben.
International wurde der Vertrag zunächst als ein Bravourstück staatsmännischer Verhandlungskunst gefeiert: Einer der alten kapitalistischen Mächte war es gelungen, mit einem modernen sozialistischen Regime eine akzeptable Zukunft für knapp sechs Millionen Menschen zu verhandeln. Spätestens jedoch seit dem Tiananmen-Massaker vom Juni 1989 weisen kritische Stimmen darauf hin, daß mit diesem Vertrag zum ersten Mal in der Geschichte ein demokratisches Land seine Kolonie an ein kommunistisches Regime ausliefert und daß die „Joint Declaration“ keine internationalen Garantien oder Kontrollen vorsieht, die die Einhaltung des Vertrages sicherstellen. Hongkongs zukünftiges Grundgesetz -das Basic Law Die politischen Grundsätze, zu denen sich China in bezug auf die Zukunft Hongkongs nach 1997 in der „Joint Declaration“ verpflichtet hat, wurden vom chinesischen National People’s Congress im April 1990 in Form eines Grundgesetzes für die zukünftige Hongkong SAR erlassen. Die Ansichten sind geteilt, inwieweit der Text des Grundgesetzes die Bestimmungen der „Joint Declaration“ völlig und zufriedenstellend umsetzt:Bedenken werden geäußert, daß zwar eine Reihe von Vorschriften wirtschaftliche Autonomie zu gewähren scheinen, daß jedoch die Selbständigkeit im Hinblick auf die Schaffung politischer Institutionen beschränkt ist: Zwar akzeptiert das Grundgesetz in Übereinstimmung mit der Vereinbarung die Einführung von Demokratie, aber nur als langfristiges Ziel; die notwendigen Vorschriften zur Schaffung von Demokratie in Hongkong enthält es nicht. Weder der erste Chief Executive noch die Mehrheit des zukünftigen Legislative Council sollen direkt gewählt werden. Erst nach dem Jahre 2007 können wesentliche Änderungen eingeführt werden, wobei jedoch Änderungen hinsichtlich der Emennungsmethoden des Chief Executive der Zustimmung des National People’s Congress in Beijing bedürfen. Die Einführung allgemeiner, direkter Wahlen für den Legislative Council nach dem Jahre 2007 benötigt die Zustimmung des Chief Executive und die Zweidrittel-Mehrheit des Legislative Council. Dies alles bedeutet im Klartext, daß China ein Vetorecht über die fortschreitende Errichtung von Demokratie in Hongkong hat.
Bedenken bestehen weiterhin darüber, daß bestimmte Fragen der Auslegung und Änderungen des Grundgesetzes in den Zuständigkeitsbereich des ständigen Ausschusses des chinesischen National People’s Congress fallen. So bestimmt das Grundgesetz, daß die von Hongkong erlassenen Gesetze, soweit sie mit solchen Bestimmungen des Grundgesetzes nicht übereinstimmen, die das Verhältnis Hongkongs mit der Zentralregierung Chinas betreffen, vom Ständigen Ausschuß des National People’s Congress an die Hongkonger Legislative zurückgewiesen werden können mit der Folge, daß diese Gesetze ungültig sind. Die Problematik dieser Bestimmungen wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß rechtsstaatliche Verfassungen in der Regel eine gerichtliche Kontrolle über den Umfang und die Auslegung der Verfassung vorsehen; selbst unter dem jetzigen Kolonialsystem haben Hongkonger Gerichte die Befugnis, die Kolonialverfassung (d. h. die Letters Patent und die Royal Instructions) auszulegen. Der Ständige Ausschuß des National People’s Congress, der für die Auslegung der Verfassung Hongkongs zuständig sein wird, ist jedoch ein politisches und kein gerichtliches Gremium.
Ebenso hat die Vorschrift des Grundgesetzes einige Unruhe verursacht, wonach Hongkong Gesetze erlassen soll, um u. a. subversive Tätigkeiten einschließlich subversiver Meinungskundgebungen sowie ausländische politische Organisationen und deren politische Aktivitäten zu verbieten. Hier werden schon jetzt Konflikte mit Grundrechten auf Meinungsfreiheit und anderen demokratischen Rechten befürchtet. 4. Die Patten-„Revolution“
Nach dem Abschluß der „Joint Declaration“ bestand in Hongkong die allgemeine Erwartung, daß rechtzeitig vor 1997 eine im wesentlichen demokratische Verwaltung entstehen würde. China bestand jedoch auf „Konvergenz“, d. h., Großbritanniens Pläne und Vorhaben für Hongkong hatten mit denen Chinas zu konvergieren. Eine Folge dieses Konvergenz-Druckes war und ist, daß Großbritannien akzeptierte, daß nach dem zukünftigen Hongkonger Grundgesetz nicht mehr als 20 Sitze des 60 Mitglieder umfassenden Legislative Council in allgemeinen Direktwahlen 1997 gewählt werden können.
Die von demokratischen Kreisen in Hongkong erbittert geführte Diskussion um weitere Demokratisierung hat schließlich heute, kurz vor 1997, zu einer Situation geführt, in der Großbritannien etwas unternehmen muß, wenn es nicht völlig das Gesicht verlieren will. Dies ist der Hintergrund zu den höchst kontroversen Vorschlägen, die der amtierende Hongkonger Gouverneur Brian Patten gemacht hat, um den Demokratisierungsprozeß in Hongkong zu beschleunigen. Pattens weitreichendster Vorschlag ist, die derzeit indirekte Wahl von Mitgliedern des Legislative Council durch Berufsgruppen so umzugestalten, daß sie de facto auf eine allgemeine Direktwahl hinausläuft. Zu diesem Zweck hat der Gouverneur vorgeschlagen, die Anzahl der wahlberechtigten Berufsgruppen nicht nur zu erhöhen, sondern vor allem auch die Basis innerhalb der jeweiligen Berufsgruppen so zu erweitern, daß praktisch jedes Mitglied einer Berufsgruppe wahlberechtigt ist. So soll in Zukunft beispielsweise in der Berufsgruppe der Banken nicht nur der Bankdirektor, sondern auch der Angestellte an der Kasse ein Wahlrecht haben dürfen.
Diese Vorschläge bleiben zwar formal im Rahmen der Vorschriften des Grundgesetzes; die VR China ist jedoch empört, weil sie ihrer Meinung nach auf ein allgemeines Wahlrecht hinauslaufen, das allenfalls erst nach dem Jahre 2007 in Frage kommt.
Die Meinungen innerhalb Hongkongs über diese „revolutionären“ Vorschläge sind geteilt. Während eine Reihe von Hongkongern diesen Demokratisierungsvorstoß begrüßt, sind andere besorgt, daß diese Vorschläge Hongkongs Überleben gefährden.
IV. Ungewisse Zukunft
Abbildung 4
Quelle: Statistisches Bundesamt, Länderbericht Volksrepublik China 1993, Wiesbaden 1993, S. 10.
Quelle: Statistisches Bundesamt, Länderbericht Volksrepublik China 1993, Wiesbaden 1993, S. 10.
Die Mehrheit der Bürger Hongkongs ist davon überzeugt, daß für ihre Zukunft nicht so sehr der Wortlaut internationaler Verträge entscheidend ist, sondern ihre größte Chance darin liegt, Hongkongs wirtschaftliche Bedeutung für China zu bewahren. Das werde jedoch, so die Meinung vieler Hongkonger, am besten durch die Aufrechterhaltung von Stabilität und Prosperität gewährleistet. Allerdings haben die Ereignisse um das Tiananmen-Massaker vom Juni 1989 dieses Argument mit einer Reihe von Fragezeichen versehen.
Sichere Prognosen über die Zukunft Hongkongs nach 1997 lassen sich nicht stellen. Die umwälzenden Entwicklungen in der Volksrepublik China seit der Öffnung 1978 mit allen ihren politischen und wirtschaftlichen Unwägbarkeiten haben einen ganz wesentlichen Einfluß auf das Schicksal Hongkongs. China ist allerdings nicht der einzige Faktor, der für Hongkongs Zukunft entscheidend ist.
Es lassen sich eine Reihe von Plus-und Risiko-Faktoren herausarbeiten, die für die weitere Zukunft Hongkongs von Bedeutung sind. Eine endgültige Bewertung dieser Faktoren läßt sich jedoch nicht durchführen.
Die Plus-Faktoren sind 1. Hongkongs wirtschaftliche Bedeutung für China; 2. die Fortführung der Wirtschaftsreformen in China (die Unwägbarkeiten der chinesischen Wirtschaft sind heute um einiges geringer geworden wegen der Unumkehrbarkeit des Reformprozesses); 3.der Taiwan-Faktor (je erfolgreicher die Zurückführung Hongkongs in chinesische Souveränität ist, desto größere Chancen hat China, Taiwan von einer Wiedervereinigung mit dem Festland zu überzeugen); 4.der verbesserte Zugang zu den für Hongkongs Wirtschaft wichtigen Ressourcen Chinas durch die Bildung der SAR; 5. die Entwicklung Hongkongs als das entscheidende Service-Center für den südostasiatischen Raum.
Die Risiko-Faktoren sind 1.der sogenannte „Braindrain“ (pro Jahr verlassen zwischen 62 000 und 65 000 gut ausgebildete Hongkong-Chinesen Hongkong, um sich anderswo, vor allem in Kanada und Australien, eine zweite Staatsbürgerschaft zu „verdienen“); 2. die steigenden Kosten (Hongkongs Inflationsrate beträgt derzeit zehn Prozent; qualifizierte Arbeitskräfte werden seltener und teurer); 3. Chinas politische Empfindlichkeit; 4. die Konkurrenz durch andere chinesische Städte wie insbesondere Shanghai und die Sonderzone Shenzhen; 5. die Konkurrenz durch andere asiatische Service-Center. Hongkong kann sicherlich nicht mit einer bevorzugten Behandlung durch die Volksrepublik China rechnen. Chinas Einstellung wird eher die sein, daß es einem kleinen Gebiet, das -ohne die Opfer der revolutionären Jahre durchgemacht zu haben -infolge des China-Handels reich geworden ist, keine besonderen Vergünstigungen schuldet. Das aber heißt, daß Hongkong um sein Fortbestehen weiterhin wird kämpfen müssen. Dabei ist wirtschaftliche Effizienz sicherlich Hongkongs beste Waffe, garantiert aber keinenfalls den Erfolg. Hongkongs in der Vergangenheit immer wieder bewiesene Widerstandsfähigkeit und Flexibilität sind allerdings wichtige Hilfen in diesem Kampf.
Paul A. von Hehn, Rechtsanwalt, geb. 1950; Partner der internationalen Anwaltsfirma Wilmer, Cutler & Pickering (Washington, London, Brüssel, Berlin); Jurastudium in Tübingen, Columbia Law School (LL. M.), East-Asian University (Dipl, in chinesischem Recht); u. a. vier Jahre Tätigkeit in Hongkong für Investment-Fragen in China und Südostasien. Verschiedene Veröffentlichungen zum Geschäft mit China und Hongkong.
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