Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Die Etablierung des Marxismus-Leninismus in der SBZ/DDR (1945-1955) | APuZ 40/1994 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 40/1994 Die Etablierung des Marxismus-Leninismus in der SBZ/DDR (1945-1955) War die DDR totalitär? Kein Recht gebrochen?. Das MfS und die politische Strafjustiz der DDR Ein deutscher Sonderweg Überlegungen zur Sozialgeschichte der DDR Die DDR -ein Blick aus Wünsdorf. Persönliche Eindrücke eines russischen Offiziers

Die Etablierung des Marxismus-Leninismus in der SBZ/DDR (1945-1955)

Wolfgang Leonhard

/ 20 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Übernahme des 1938 in der Sowjetunion eingeführten „Marxismus-Leninismus“ erfolgte in der Sowjetzone Deutschlands mit mehr als zehnjähriger Verspätung. Zwischen 1945 und 1948 wurde der Begriff „Marxismus-Leninismus“ vermieden. Mit der Ankündigung, das Sowjetsystem nicht auf die Sowjetzone Deutschlands übertragen zu wollen, der These vom besonderen deutschen Weg zum Sozialismus, der Veröffentlichung sozialdemokratischer Parteiprogramme und Schriften sowie dem Versprechen der Parität von Kommunisten und Sozialdemokraten und einer demokratischen Parteistruktur der SED sollte der Eindruck eigenständiger Entwicklung entstehen. Die Verschärfung des politischen Kurses seit Frühjahr 1948 bewirkte die Abschaffung der Parität, die Verurteilung der These des besonderen Weges zum Sozialismus und die Konzentration auf den „Kurzen Lehrgang“ der Geschichte der KPdSU. Es folgten das offizielle Bekenntnis der SED zum Marxismus-Leninismus im Januar 1949 und die Einführung des „Parteilehrjahres“ im Juni 1950 -Weichen für die weitere ideologische Schulung. Von 1950 bis 1955 verlagerte sich in der DDR das Schwergewicht auf die Übernahme sowjetischer Erfahrungen, auf Stalin und seine Schriften, den Kampf gegen Abweichungen, Aufrufe zu Wachsamkeit und Bekämpfung der „Parteifeinde“, nicht selten als „Agenten“ diffamiert. Die Funktion des Marxismus-Leninismus war: Legitimierung des bürokratisch-diktatorischen Regimes und Oktroyierung von Denkschablonen zur Disziplinierung der SED-Funktionäre. Durch den Kampf gegen Abweichungen sollten die Auszubildenden dazu erzogen werden, gleichsam automatisch alle Auffassungen abzulehnen, die der Parteilinie widersprachen.

I. Sowjetunion 1938: Die Einführung des „Marxismus-Leninismus“

Am 14. November 1938 -ich lebte damals als 17jähriger Schüler in Moskau -veröffentlichten sämtliche Zeitungen der Sowjetunion eine Resolution des Zentralkomitees (ZK) der KPdSU. Thema: Die Einführung des Marxismus-Leninismus. In dieser Entschließung wurde erklärt, es sei falsch, Marxismus und Leninismus zu trennen; dies sei nicht mehr gestattet: Marxismus und Leninismus seien als untrennbare Einheit zu verstehen.

Von nun an erfolgte die gesamte Schulung in der Sowjetunion nach dem sechs Wochen zuvor veröffentlichten „Kurzen Lehrgang der Geschichte der KPdSU“. In der Resolution, ihrer Diktion nach zu urteilen offensichtlich von Stalin selbst formuliert, wurde ferner erklärt, der Marxismus-Leninismus bestehe aus vier Hauptbestandteilen: Philosophie (dialektischem Materialismus), Geschichtsbetrachtung (historischem Materialismus), Wirtschaftslehre (marxistischer politischer Ökonomie) und den politischen Konzeptionen, für die es zunächst keine Bezeichnung gab. Erst 1962 wurde der Begriff „Wissenschaftlicher Kommunismus“ eingeführt.

Wenige Tage nach jenem 14. November 1938 gab es in allen Fachschulen, Fachhochschulen, Hochschulen und Universitäten der Sowjetunion plötzlich das neue Fach „Marxismus-Leninismus“, das alle bisherigen ideologischen Fächer ersetzte. Der Unterricht erfolgte nach Lehrplänen; gedruckte Lehrbücher gab es nicht. Es ist anzunehmen, daß Stalin deren Erscheinen hinauszögerte, um nicht durch eine festgefügte detaillierte Ideologie in seiner Handlungsfreiheit behindert zu werden. Die entsprechenden sowjetischen ideologischen Lehrbücher des Marxismus-Leninismus erschienen erst seit 1958 bis 1962, d. h. nach Stalins Tod.

II. Die ideologischen Thesen in der Sowjetzone (1945/46)

Während in der Sowjetunion der „MarxismusLeninismus“ bereits seit November 1938 im Mittelpunkt stand, gab es in der damaligen Sowjetzone weder den Begriff „Marxismus-Leninismus“ noch eine entsprechende Schulung. Statt dessen wurde sorgfältig darauf geachtet, „antifaschistisch-demokratische“ Losungen und Zielsetzungen zu verkünden, den eigenständigen Weg Deutschlands zum Sozialismus zu betonen, eine mögliche sozialistische Entwicklung in ferne Zukunft zu verschieben und stets nur die Begriffe „wissenschaftlicher Sozialismus“ oder „Marxismus“ zu benutzen. Die Etablierung des Marxismus-Leninismus in der SBZ/DDR erfolgte nicht sofort nach 1945, sondern erst nach einer längeren Übergangsphase auf der I. Parteikonferenz der SED Ende Januar 1949.

So betonte der Gründungsaufruf der KPD vom 11. Juli 1945 als Ziel die „Demokratisierung Deutschlands“, da „der Weg, Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen, falsch wäre, denn dieser Weg entspricht nicht den gegenwärtigen Entwicklungsbedingungen in Deutschland“. Die KPD bekannte sich damals zur Errichtung „eines antifaschistischen, demokratischen Regimes, einer parlamentarisch-demokratischen Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk“

Diese Grundlinie wurde auch in den seit September 1945 erscheinenden „Vortragsdispositionen“ des ZK der KPD für die Schulungsabende vertreten. Sowohl aktuelle Themen wie „Unser neues Verhältnis zu den Bauern“, „Die Aufgabe der neuen freien deutschen Gewerkschaften“, „Demo-1 * kratische Schulreform“ oder „Die Bodenreform“ als auch ideologisch-historische Themen, etwa „Reaktionäres Preußentum“ oder „Keine Wiederholung der Fehler von 1918“, erfolgten ohne Hinweise auf den Marxismus-Leninismus.

Im Zuge der Kampagne für die Vereinigung von KPD und SPD wurde dies seit Oktober 1945 verstärkt unterstrichen. Von der KPD-Führung erhielten wir -die Abteilung Agitation und Propaganda -die Direktive, sozialdemokratische Bücher und Schriften „mit einzubeziehen“. Zur Überraschung vieler KPD-Mitglieder veröffentlichte der KPD-Verlag „Neuer Weg“ frühe sozialdemokratische Dokumente: das Eisenacher Programm von 1869, das Gothaer Programm von 1875 und das Erfurter Programm von 1891 -Materialien, die für fast alle Kommunisten bis dahin unbekannt waren. Im KPD-Verlag erschienen Bücher von Karl Kautskyund August Bebel. Fred Oelssner, damals in der KPD-Führung für Schulung verantwortlich, gab uns die Direktive, aus den Schriften August Bebels, Wilhelm Liebknechts, Karl Kautskys und Rudolf Hilferdings Zitate herauszusuchen, die für die nunmehr abrollende „Einheitskampagne“ förderlich schienen. Dies sollte vor allem für Bebel gelten: „Wir müssen August Bebel wie ein rohes Ei behandeln“, ermahnte uns Fred Oelssner.

Die Unabhängigkeit, der deutschen sozialistischen Bewegung, die Anpassung an deutsche Verhältnisse, der demokratische Aufbau der Partei und sogar der in der KPD bis dahin verpönte Begriff „soziale Demokratie“ rückten in den Vordergrund. So hieß es im Beschluß der „ 60er Konferenz“ vom 20. und 21. Dezember 1945, an der je 30 Funktionäre der damaligen SPD und KPD teilnahmen: Die zukünftige Einheitspartei werde „eine unabhängige deutsche sozialistische Partei“ sein, der organisatorische Aufbau erfolge „nach demokratischen Grundsätzen“, die Partei strebe „die parlamentarisch-demokratische Republik“ an. Ihr Ziel sei „die Verwirklichung des Sozialismus in der sozialen Demokratie“

Zur „theoretischen Untermauerung“ verfaßte Anton Ackermann, zu jener Zeit in der Spitzen-führung der KPD für Kultur, Presse, Erziehung, Volksbildung und Parteischulung verantwortlich, seinen richtungweisenden Aufsatz „Gibt es einen besonderen deutschen Weg zum Sozialismus?“ Während der Ausarbeitung dieses Aufsatzes, der im Januar 1946 in Druck ging, habe ich Anton Ackermann im damaligen „Getto“ in Niederschönhausen wiederholt besucht. Noch vor Erscheinen las er mir, im Wohnzimmer sitzend, entscheidende Teile des Manuskripts vor -selten habe ich ihn so freudig erregt gesehen wie damals.

Ackermann ging von der (bis dahin kaum erwähnten) Leninschen These aus, es sei der größte Fehler, die Allgemeingültigkeit der russischen Erfahrungen zu übertreiben. Daraus lasse sich folgern, daß „wir einen besonderen deutschen Weg zum Sozialismus bejahen“ müßten. Im Unterschied zur Sowjetunion gäbe es in Deutschland eine weit größere Zahl qualifizierter Arbeitskräfte. Daher könne „das Anwachsen des sozialistischen Wohlstandes“ unter Umständen „rascher vor sich gehen“. Der politische Kampf werde sich aufgrund günstigerer Bedingungen „weniger opferreich gestalten und die Entfaltung der sozialistischen Demokratie beschleunigen“. Falls sich die antifaschistisch-demokratische Republik als ein Staat der Werktätigen entfalte, sei „der friedliche Weg zum Sozialismus durchaus möglich“

Gewiß standen die Thesen des Ackermann-Artikels in krassem Widerspruch zur Realität -zu den sich bereits vollziehenden Verhaftungen, der Demontage, den Eingriffen sowjetischer Militär-kommandanten und der Kontrolle durch die politischen Offiziere. Aber für viele Mitglieder von SPD und KPD vermittelte der Ackermann-Aufsatz große Hoffnungen und spielte für den Verlauf der Einheitskampagne eine wichtige Rolle.

Die entscheidenden damaligen Thesen -der eigenständige Weg zum Sozialismus, der demokratische Aufbau der Partei, die Parität zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten auf allen Ebenen des Parteiaufbaus, das Bekenntnis zur antifaschistisch-demokratischen Republik -wurden auch auf dem Gründungskongreß der SED am 21. und 22. April 1946 im Berliner Admiralspalast deutlich unterstrichen und offiziell bekräftigt.

III. Die SED-Schulung 1946/47

Nach Gründung der SED traten Anfang Mai 1946 die zweimal monatlich erscheinenden „Sozialistischen Bildungshefte“ an die Stelle der „Vortrags­ dispositionen“ der KPD. Auch die Sozialistischen Bildungshefte, die ich von April 1946 bis Juli 1947 verfaßte und die anschließend von Anton Ackermann korrigiert und zum Druck freigegeben wurden, konzentrierten sich vorwiegend auf aktuell-politische Fragen, darunter „Die Gemeindewahlen und unsere Aufgaben“, „Unsere Stellung zu den nominellen PGs“, „Unsere Ernährungspolitik“, „Die Gleichberechtigung der Frau“, „SED und Gewerkschaften“. Selbst in grundsätzlichen politischen Themen, z. B. „Unser Kampf gegen den Militarismus“ und „Das Wesen der Sozialistischen Einheitspartei“, gab es keine Erwähnung des „Marxismus-Leninismus“, nicht einmal eine Annäherung an die sowjetische Staatsideologie. So wurde z. B. im Bildungsheft „Die antifaschistisch-demokratische Republik“ erklärt: „Jedes Volk muß seinen eigenen Weg zur Demokratie gehen, der den besonderen Bedingungen des eigenen Landes entspricht.“ Im Bildungsheft Nr. 9/1946 zum Thema „Der Sozialismus“ wurde -schon wenige Jahre später undenkbar! -nicht ein einziges Mal die Sowjetunion erwähnt, sondern statt dessen auf das Erfurter Programm der deutschen Sozialdemokratie von 1891, August Bebels Buch „Der Sozialismus“ sowie seine Rede auf dem Jenaer Parteitag der SPD im Jahre 1906 verwiesen.

Analoges galt auch für die intensiveren Lehrgänge auf den Internatsparteischulen. Unmittelbar nach Gründung der SED verfügte die Partei über folgende, bereits vorher von der KPD gegründete Landesparteischulen: Friedrich-Engels-Schule in Bestensee, Ernst-Thälmann-Schule in Schmerwitz, August-Bebel-Schule in Klein-Trebbow, Wilhelm-Liebknecht-Schule in Wettin, Fritz-Heckert-Schule in Ottendorf sowie die Rosa-Luxemburg-Schule in Bad Berka.

An der Spitze stand die Parteihochschule „Karl Marx“ in Liebenwalde; der erste Lehrgang nach der Gründung der SED erfolgte vom 5. Juni bis 14. Dezember 1946.

Nach der Niederlage der SED bei den Landtagswahlen in der Sowjetzone, vor allem bei den Wahlen in Berlin am 20. Oktober 1946 (die SED belegte damals mit 19, 8 Prozent nur den dritten Platz gegenüber 48, 7 Prozent für die SPD und 22, 1 Prozent für die CDU), legte die SED-Führung nun das Schwergewicht auf die Parteischulung. In einem Beschluß vom 25. Oktober 1946 wurde u. a. verfügt: -Die Lehrgänge in den erwähnten sechs Landesparteischulen sind von sechs Wochen auf drei Monate zu verlängern, -in allen 130 Kreisen sind Kreisparteischulen auf Internatsbasis mit zweiwöchigen Schulungskursen zu schaffen, -pro Jahr sind 180000 SED-Mitglieder in 14tägigen Kursen in den Kreisparteischulen auszubilden und -die Abteilung „Werbung und Schulung“ (wie die frühere Abteilung „Agitation und Propaganda“ nun hieß) hat in kürzester Frist das Lehrbuch für die neuen SED-Kreisparteischulen auszuarbeiten.

Bei der Übergabe der Direktive lächelte Fred Oelssner verschmitzt: „Über Marxismus-Leninismus reden wir nicht.“

In fieberhafter Tätigkeit gelang es den damals nur wenigen Mitarbeitern, das aus acht Kapiteln bestehende Lehrbuch -mir war das siebente Kapitel „Der Sozialismus“ aufgetragen worden -bis zum Frühjahr 1947 zu erstellen. Auch in diesem für die nächsten Jahre entscheidenden ideologischen Lehrbuch wurde der Begriff „Marxismus-Leninismus“ nicht benutzt und jeder, auch der kleinste Hinweis darauf vermieden.

Selbst in der bis Ende Dezember 1947 in Lieben-walde befindlichen Parteihochschule „Karl Marx“ gab es damals keine Fakultät für Marxismus-Leninismus. Der entsprechende Bereich wurde ironischerweise „Lehrmittelabteilung“ genannt. Frida Rubiner, mehr als zwei Jahrzehnte in der sowjetischen Emigration tätig, leitete diese Abteilung und befand sich in der schwierigen Situation, marxistische Thesen im politischen Bereich zu vermitteln, ohne den Begriff „MarxismusLeninismus“ zu benutzen oder die damals in der Sowjetunion offiziell gültigen Thesen in dieser Form zu behandeln.

Zur Eröffnung des ersten Zwei-Jahres-Lehrgangs an der SED-Parteihochschule in Liebenwalde am 8. Oktober 1947 stand die Festveranstaltung unter der Losung „Sich zu den Besten seines Volkes zu bekennen, verpflichtet, für Einheit, Freiheit und Fortschritt zu streiten.“ Hinweise auf den Marxismus-Leninismus oder Porträts von Lenin und Stalin gab es damals auf der SED-Parteihochschule „Karl Marx“ nicht.

IV. Die Verschärfung des Kurses

Seit Herbst 1947, besonders aber seit Frühjahr 1948 setzte in allen Ländern des Ostblocks -vor allem auch in der Sowjetzone Deutschlands -eine drastische politische Verschärfung ein. Im Februar 1948 fand ein mit der Sowjetführung abgesprochener Umsturz in der Tschechoslowakei statt. In der Sowjetzone wurde die bis dahin bestehende locker organisierte „Ständige Wirtschaftskommission“ in die „Deutsche Wirtschaftskommission“ (DWK) mit weitreichenden Vollmachten umgewandelt; sie bildete de facto den Kern einer möglichen zukünftigen Regierung. Auf die bis dahin übliche paritätische Besetzung mit Kommunisten und Sozialdemokraten wurde erstmals verzichtet: Die Leitung der DWK lag ausschließlich in Händen ehemaliger KPD-Funktionäre.

Im März 1948 schied Marschall Sokolowskij aus dem Alliierten Kontrollrat für Deutschland aus, seit April wurde der Verkehr von West-Deutschland nach West-Berlin zunehmend behindert und jene Entwicklung eingeleitet, die im Juni 1948 zur Blockade West-Berlins führen sollte. Walter Ulbricht besuchte am 16. April 1948 die Partei-hochschule „Karl Marx“, um die bevorstehenden Veränderungen bekanntzugeben. Bis 1947, so Ulbricht, seien die „Grundlagen einer antifaschistisch-demokratischen Ordnung“ geschaffen worden. Jetzt beginne eine neue Phase. „Wir haben jetzt die Möglichkeit, unsere Forderungen mit Hilfe des Staatsapparates durchzusetzen“, erklärte Ulbricht triumphierend.

Kurz darauf gab Oberst Sergej Tulpanow, zu jener Zeit Chef der Informations-und Propagandaabteilung der Sowjetischen Militär-Administration in Deutschland (SMAD), auf der Parteihochschule die Verschärfung des Kurses bekannt. Eine volks-demokratische Entwicklung gehe, so Tulpanow, „wenn sie sich ohne Hindernisse entwickelt, zwangsläufig in eine sozialistische Revolution“ über. Die Volksdemokratie sei damit eine Übergangsform zur Diktatur des Proletariats. Beim Übergang zum Sozialismus gäbe es zwar spezifische Eigenheiten, der Weg zum Sozialismus sei aber in allen Ländern gleich. In seinem Vortrag vor der Parteihochschule deutete Tulpanow eine „schnellere politische Entwicklung“ der Sowjetzone Deutschlands an

Anfang Juni 1948 gab Walter Ulbricht in Halle den Beginn einer „Partei-Säuberung“ bekannt. Unter den SED-Funktionären wurde die bis dahin in der SED sakrosankte Parität zwischen ehemaligen Sozialdemokraten und Kommunisten intern kritisiert und auf das in anderen osteuropäischen Ländern geltende Verhältnis 7 zu 2 (7 Kommunisten auf 2 Sozialdemokraten) hingewiesen Seit Sommer 1948 verstärkte sich die Säuberung ehemaliger Sozialdemokraten als -so die nun übliche Bezeichnung -„Schumacher-Agenten“.

Anfang Juli 1948 gab die SED-Führung anläßlich des Bruchs zwischen Jugoslawien und der Stalin-Führung in Moskau bekannt, „daß die klare und eindeutige Stellungnahme für die Sowjetunion heute die einzig mögliche Position für jede sozialistische Partei ist“ Am 29. Juli folgte der Beschluß i^er SED-Führung über „Die organisatorische Festigung der Partei und ihre Säuberung von entarteten und feindlichen Elementen“. Darin wurde „ein beschleunigtes Ausschlußverfahren“ gegen SED-Mitglieder angekündigt, „die eine partei-feindliche Einstellung vertreten“ oder „eine sowjetfeindliche Haltung bekunden“ *Ulbricht verkündete auf einer Arbeitstagung von Innenministern und führenden Verwaltungsfunktionären in Verden/Havel die Bildung von Kontrollkommissionen bei der Deutschen Wirtschaftskommission mit der Aufgabe, in der Verwaltung „Agenten, Schumacher-Leute, Spione, Saboteure“ zu entlarven und zu entlassen. Am 16. September beschloß die SED-Führung, eine Zentrale Partei-Kontrollkommission (ZPKK) nach sowjetischem Muster, geleitet von Hermann Matern, einzuführen sowie Partei-Kontrollkommissionen zur Überwachung der Parteimitglieder auf Landes-und Kreisebene (LPKK und KPKK) zu schaffen.

V. Januar 1949: Die Einführung des Marxismus-Leninismus in der Sowjetzone

Die drastische Verschärfung im politisch-organisatorischen Bereich griff seit September 1948 auf die Ideologie über. Die seit 1946 propagierten Thesen einer antifaschistisch-demokratischen Republik und eines eigenständigen demokratischen Weges zum Sozialismus wurden nun aufgegeben. Besonders wichtig war dabei der am 20. September 1948 verkündete Beschluß „Über die Verstärkung des Studiums der Geschichte der KPdSU“. Parteimitglieder und Funktionäre wurden verpflichtet, den unter Stalins Leitung im November 1938 veröffentlichten „Kurzen Lehrgang der Geschichte der KPdSU“ zu studieren. Die Parteipresse sollte eine Kampagne zur Förderung dieser Maßnahmen einleiten, die „Sozialistischen Bildungshefte“ laufend einzelne Kapitel aus dem „Kurzen Lehrgang“ behandeln. Das von uns in der Abteilung „Schulung und Werbung“ seit Ende 1946 ausgearbeitete Lehrbuch für SED-Kreisparteischulen war entsprechend „umzuarbeiten“. Sowohl die SED-Landesparteischulen als auch die Parteihochschule „Karl Marx“ wurden angewiesen, den „Kurzen Lehrgang“ zur „Grundlage des Studiums“ zu machen.

Nur vier Tage später veröffentlichte Anton Ackermann -wahrscheinlich unter erheblichem Druck -einen selbstkritischen Artikel „Über den einzig möglichen Weg zum Sozialismus“. Er sagte sich von seinen bisherigen Auffassungen über den besonderen deutschen Weg zum Sozialismus los und erklärte: „Diese Theorie enthält das Element einer Abgrenzung von der Arbeiterklasse und von der Bolschewistischen Partei der Sowjetunion.“

Die Verschärfung und Verhärtung wirkte sich auf allen Ebenen der Partei aus -in Versammlungen und Konferenzen über die „Fehler der jugoslawischen KP“, bei der Verurteilung des „besonderen deutschen Weges zum Sozialismus“, der Verherrlichung der Sowjetunion und im Kampf gegen „Schumacher-Agenten“. Seit Herbst 1948 wurde die Angleichung der SED an die KPdSU verstärkt vollzogen.

Nach diesen Vorbereitungen folgte die entscheidende I. Parteikonferenz der SED (25. -28. Januar 1949). Hier wurde der Übergang zur „Partei neuen Typus“ verkündet und damit die Angleichung an die stalinistische Partei der Sowjetunion bekräftigt. Die auf dem Gründungsparteitag im April 1946 beschlossene und beschworene Parität zwischen ehemaligen SPD-und KPD-Funktionären wurde aufgehoben. An die Stelle des 14köpfigen Zentral-sekretariats der SED trat das in kommunistischen Parteien übliche „Politbüro“ -gebildet aus vier KP-Funktionären (Pieck, Ulbricht, Dahlem und Merker) sowie drei Mitgliedern der ehemaligen SPD (Grotewohl, Lehmann und Ebert). Entscheidend war das neu eingerichtete fünfköpfige „Sekretariat des Politbüros“ unter Führung Walter Ulbrichts. Die SED, wurde erstmals erklärt, sei eine „Kampfpartei des Marxismus-Leninismus“; das Prinzip des „demokratischen Zentralismus“ und eine „straffe Parteidisziplin“ seien zu verwirklichen

Auf dieser I. Parteikonferenz -am 28. Januar 1949 -wurde der Marxismus-Leninismus in der Sowjetzone Deutschlands eingeführt. Wörtlich war die Rede von der „Verpflichtung zum Studium des Marxismus-Leninismus, vor allem anhand des , Kurzen Lehrgangs der Geschichte der KPdSU 6 und der Werke von Marx, Engels, Lenin und Stalin“.

VI. 1950: Der Aufbau des Schulungssystems und das „Parteilehijahr“

Danach verlief alles sehr schnell. Von zentraler Bedeutung war der Beschluß der SED-Führung vom 3. Juni 1950 „Zur Verbesserung der Parteipropaganda“ mit Einführung des hierarchischen Schulungssystems und des „Parteilehrjahres“.

Auf der untersten Stufe dieses Schulungssystems befanden sich die „Politischen Grundschulen“ für Anfänger -sogar Parteilose durften an den Kursen teilnehmen. Auf der nächsten Stufe gab es Zirkel „zum Studium der Biographie Stalins“ und der „Geschichte der KPdSU“. Als nächsthöhere Stufe wirkten die „Kreisabendschulen“ für SED-Funktionäre bis hin zu Kreisleitungen. Auch hier standen die „Geschichte der KPdSU“ und der „Marxismus-Leninismus“ im Zentrum. Die Spitze dieser „Schulungs-Säule“ bildeten die „Abenduniversitäten“ für verantwortliche Funktionäre aus Partei, Wirtschaft und Verwaltung, die bereits Kreis-bzw. Landesparteischulen besucht hatten. Schulungsdauer: zwei Jahre, mit mündlichem und schriftlichem Abschlußexamen.

Besonders wichtig waren die -auf vier Ebenen ebenfalls hierarchisch gegliederten -Internatsparteischulen, beginnend mit Betriebsparteischulen (15 Tage Kursdauer), gefolgt von Kreisparteischulen (zunächst sechs Wochen Kursdauer, bald auf drei Monate verlängert) und Landesparteischulen (seit 1952 Bezirksparteischulen genannt; Kurs-dauer zunächst sechs Monate, bald auf ein Jahr verlängert) -auch hier überall das Hauptfach: „Grundlagen des Marxismus-Leninismus“. An der Spitze stand die SED-Parteihochschule „Karl Marx“ mit Ein-Jahres-Lehrgängen für die Qualifizierung und Zwei-Jahres-Lehrgängen für die Ausbildung, später auf drei bzw. fünf Jahre verlängert, sowie die „Akademie der Gesellschaftswissenschaften“

VII. Der Marxismus-Leninismus in der DDR: 1950-1955

Die Propagierung des Marxismus-Leninismus und das Schulungssystem entwickelten sich von 1950 bis 1955 vor allem in folgenden Hauptrichtungen:

1. Die Verschiebung des Schwergewichts

Im Rahmen des Marxismus-Leninismus wurden die Schriften von Marx und Engels zurückgedrängt und das Schwergewicht des Studiums und der Ausbildung auf Lenin und vor allem auf die zeitgenössischen ideologischen Schriften der Sowjetunion gelegt. Einige Beispiele für die entsprechenden Richtlinien: Am 7. August 1951 beschloß das Politbüro, im zweiten Parteilehrjahr (also 1951/52) „müssen noch stärker als bisher die großen Erfahrungen der Partei Lenins und Stalins ausgewertet und angewandt werden“. Am 20. Oktober erläuterte das SED-Zentralkomitee: „Das Hauptgewicht muß darauf gelegt werden, aus den Erfahrungen der Partei Lenins und Stalins zu lernen und insbesondere die Enzyklopädie des Marxismus-Leninismus, den , Kurzen Lehrgang der Geschichte der KPdSU (B) ‘, zum Leitfaden der gesamten Arbeit zu machen.“

Als „vordringlichste Aufgabe“ bezeichnete es die SED-Führung am 1. November 1951, „insbesondere die Werke J. W. Stalins , Geschichte der KPdSU, Kurzer Lehrgang, und , Der Marxismus und die Fragen der Sprachwissenschaft'gründlich zu studieren“. Am 29. Juli 1952 wurde noch einmal eingeschärft: „Das Studium der Geschichte der KPdSU, das die Grundlage unserer gesamten Parteischulung bildet, und das Studium der Werke des Genossen Stalin ist noch gründlicher durchzuführen“, denn „das geniale Werk J. W. Stalins , Der Marxismus und die Fragen der Sprachwissenschaft 1“ sei bisher „nicht in genügendem Maße für die Verbesserung der Arbeit in den einzelnen Wissensgebieten benutzt“ worden

2. Die Verherrlichung Stalins

In offiziellen Erklärungen der SED-Führung wurde Stalin als „der große Bannerträger des Friedens“ charakterisiert, als „der beste Freund und Führer der werktätigen Menschen der ganzen Welt“, „der weise Lehrer und Führer“, „der geniale Feldherr Generalissimus Stalin“, „der große Wissenschaftler des Marxismus-Leninismus“, „der weise Führer der Werktätigen im Kampf um den Sozialismus“, „der geniale Führer des Großen Vaterländischen Krieges des Sowjetvolkes“, der , „überragende Kämpfer für die Erhaltung und Festigung des Friedens in der Welt“ und der „größte Marxist unserer Epoche“.

Nach dem Tode Stalins erklärte die SED-Führung: „Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands wird der siegreichen Lehre J. W. Stalins stets die Treue wahren.“ Das ZK der SED beschloß, „in der Zeit vom 11. Mai bis 3. August 1953 Stalin-Kurse durchzuführen“, um die Teilnehmer „mit dem Leben und Werk des Genossen Stalin vertraut zu machen“.

Ferner wurde im März 1953 verfügt, ein Lenin-Stalin-Museum zu schaffen, Reproduktionen von Stalin-Büsten und Stalin-Statuen sowjetischer Künstler herzustellen, das Marx-Engels-Lenin-Institut in Marx-Engels-Lenin-Stalin-Institut umzubenennen sowie Eisenhüttenstadt, dem Elektroapparatewerk Treptow und der Hochschule für Planökonomie den Namen Stalins zu verleihen

3. Das Studium der „Werke Stalins“

Im Rahmen der Stalin-Glorifizierung folgten wiederholte Anweisungen, sich mit dem Leben und den Schriften Stalins ausführlich zu beschäftigen. „Die Zirkel zum Studium der Biographie J. W. Stalins“, so das Politbüro am 7. August 1951, „werden aufgrund des Wunsches vieler Teilnehmer um ein weiteres Jahr verlängert“, vor allem seien „die Arbeiten des Genossen Stalin aus der neueren Zeit und Gegenwart“ zu behandeln. Der Dietz-Verlag wurde angewiesen, „die Herausgabe der Werke J. W. Stalins zu beschleunigen“, die Parteiorganisationen erhielten die Aufgabe, „die zum ersten Mal in deutscher Sprache erscheinenden Bände der Werke J. W. Stalins breiter zu popularisieren“. Als „vordringlichste Aufgabe“ bezeichnete das ZK der SED am 7. November 1951, Stalins „Kurzen Lehrgang der Geschichte der KPdSU“ und die Schrift „Der Marxismus und die Fragen der Sprachwissenschaft“ gründlich zu studieren; im Juli 1952 folgte die zusätzliche Anweisung: „Das Studium der Werke des Genossen Stalin ist noch gründlicher durchzuführen.“

Nach dem Erscheinen der kleinen Broschüre Stalins „Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR“ (Oktober 1952) beschloß das ZK der SED, dieses „Werk des Genossen Stalin“ sei „in theoretischen Konferenzen durchzuarbeiten“. Am 21. Dezember 1952 wurde die Broschüre bereits als „großes wissenschaftliches Werk“ bezeichnet, als „unentbehrliches Rüstzeug für jeden Partei-arbeiter, Werktätigen und Wissenschaftler beim Aufbau des Sozialismus“. Am 2. Februar 1953 wurde auch der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) verpflichtet, „die Lehren aus Stalins Werk »Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR für den sozialistischen Aufbau in der Deutschen Demokratischen Republik“ anzuwenden. Die Freie Deutsche Jugend (FDJ) wurde am 3. März 1953 ermahnt, „das geniale Werk des Genossen Stalin »Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR zu studieren“ und „in verständlicher Form durchzuarbeiten“

4. Die Erweiterung des Anwendungsbereichs

Das Studium des Marxismus-Leninismus wurde, weit über die SED hinaus, auf andere Berufszweige und Organisationen ausgedehnt. Einige Beispiele: Am 17. März 1951 verfügte das Zentralkomitee der SED, in allen Kunst-und Kulturverbänden sei „, das Studium des Marxismus-Leninismus zu organisieren“ als Grundlage, „das Leben in seiner Aufwärtsentwicklung richtig darzustellen“. Am 20. Oktober 1951 forderte das SED-Zentralkomitee die FDJ zu „einem gründlichen marxistisch-leninistischen Studium“ auf. Am 7. November 1951 wurde auch der FDGB angehalten, sich „von der marxistisch-leninistischen Theorie“ leiten zu lassen. Die FDJ habe, so das ZK der SED am 23. Februar 1952, die Aufgabe, „der Jugend in der Übermittlung der Erfahrungen beim Studium der Geschichte der KPdSU (B)“ zu helfen. Die „Autoren und Filmschaffenden“ der DEFA erhielten am 22. Juli 1952 die Verpflichtung zur „Organisierung des systematischen Studiums und der Propagierung der Lehren von Marx, Engels, Lenin und Stalin zu den Fragen der Kunst“

5. Bekämpfung von „Abweichungen“

Der Kampf gegen Andersdenkende wurde immer stärker in den Vordergrund gestellt. So rief der III. Parteitag der SED (20. -24. Juli 1950) zu einem unablässigen Kampf „gegen die volksfeindlichen Tendenzen des Kosmopolitismus“ und „gegen den bürgerlichen Objektivismus“ auf. Der Kosmopolitismus wurde als „volksfremde und volksfeindliche Strömung“, als „Waffe des Imperialismus“ bezeichnet. Gleichzeitig müsse der „Kampf gegen die Überreste des Sozialdemokratismus in der SED“ geführt werden. Der „Sozialdemokratismus 66 manifestiere sich „in einer falschen formalen Einstellung zur Demokratie, in der opportunistischen Auffassung der Blockpolitik“ sowie in der „Unterschätzung der Rolle der Sowjetunion“. Dieser Kampf könne nur erfolgreich sein, „wenn er zugleich gegen alle liberalistischen und versöhnlerischen Tendenzen geführt wird“.

Im Januar 1951 wurden die SED-Gruppen an den Hochschulen zum Kampf „gegen Objektivismus, Kosmopolitismus und Sozialdemokratismus“ aufgerufen. Am 17. März 1951 warnte das ZK der SED vor jeglichem Versuch, „diese feindlichen Idologien objektivistisch darzustellen“ und rief am 20. Oktober 1951 zur „Überwindung der Überreste des Sozialdemokratismus“ auf. Dazu sei es notwendig, „das opportunistische Verhalten in ideologischen Fragen zu überwinden“ und den Kampf zur „Überwindung aller feindlichen Ideologien“ zu führen.

Am 20. Dezember 1952 forderte die SED-Führung, „daß mit der ideologischen Sorglosigkeit endlich Schluß gemacht wird“. Die SED müsse „einen unversöhnlichen Kampf gegen den Sozialdemokratismus, gegen alle bürgerlichen Ideologien und Reste des kapitalistischen Denkens, die bei Parteimitgliedern noch vorhanden sind“, führen. Als „Grundbedingung“ dazu forderte die SED-Führung am 1. Januar 1953 „die Überwindung des opportunistischen Ausweichens vor dem Kampf gegen den Sozialdemokratismus“ und mahnte am 13. April 1953 an, „mit den noch vorhandenen versöhnlerischen Auffassungen und Tendenzen des faulen Liberalismus“ aufzuräumen. 1954/55 folgte eine gewisse Akzentverschiebung gegenüber Abweichungen. So wurden Anfang Mai 1955 die SED-Mitglieder aufgerufen, „das reaktionäre Wesen der Religion zu entlarven und religiöse Vorurteile zu überwinden“, „pazifistische und fatalistische Stimmungen zu überwinden“ und „die Werktätigen zur Verteidigung der sozialistischen Errungenschaften und zur Meisterung der Waffen zu erziehen“

6. „Wachsamkeit“ und „Agenten“

Die Anhänger solcher „Abweichungen“ wurden nicht selten als „Agenten“ bezeichnet; es wurde daher zur „Wachsamkeit“ aufgerufen. Auf dem III. Parteitag (20. -24. Juli 1950) wurde verlangt, die „revolutionäre Wachsamkeit“ in der gesamten Partei „zu erhöhen, die bürgerlichen nationalistischen Elemente“ sowie alle sonstigen „Agenten des Imperialismus“, unter welchen Losungen sie auch auftreten mögen, „zu entlarven und auszumerzen“. Am 27. Oktober 1950 warnte die SED-Führung, daß die „imperialistischen Agenturen“ vor allem „frühere Anhänger und Mitglieder parteifeindlicher Gruppierungen“ für „ihre feindliche Tätigkeit einsetzen“. Am 17. März 1951 rief die SED-Führung die Parteimitglieder erneut „zum unversöhnlichen Kampf gegen alle Feinde des Marxismus-Leninismus“ auf. Ebenfalls im März 1951 rügte die SED-Führung, die Parteikommission sei „diesen Parteifeinden gegenüber in ihren Entscheidungen nicht hart und prinzipiell genug“, vielfach sei man sich „über die Gefährlichkeit der ehemaligen parteifeindlichen Gruppierungen noch unklar“.

Im April 1951 wurde erneut bemängelt, daß die Kommissionen für die Überprüfung der Parteimitglieder „noch nicht genügend befähigt sind, getarnte Parteifeinde zu erkennen und sie bei der Überprüfung zu entlarven“. Vor allem seien „Feinde zu entlarven“ unter jenen Parteimitgliedern, „die früher parteifeindlichen Gruppen angehörten“. Die SED-Führung verlangte im Oktober 1951 „verstärkte Wachsamkeit und prinzipielle Härte gegenüber Parteifeinden“.

Die Mitglieder der FDJ wurden von der SED-Führung am 23. Februar 1952 dazu aufgerufen, „Feinde des Volkes, Saboteure, Spione, Schädlinge, Diversanten und sonstige Agenten des amerikanisch-englischen Imperialismus zu entlarven“ und damit „die Organe des Ministeriums für Staatssicherheit“ zum Schutz der Ordnung „überall und allseitig zu unterstützen“

VIII. Die Funktion des Marxismus-Leninismus im DDR-Regime

Der Aufbau des Schulungssystems sowie vor allem Inhalte, Schwerpunkte und Tendenzen der ideologischen Ausbildung geben einen deutlichen Hinweis auf die Funktion des Marxismus-Leninismus in der DDR von 1949 bis 1955. Es ging der DDR-Führung nicht in erster Linie um die Propagierung einer Gesellschaftstheorie zur Errichtung einer zukünftigen klassenlosen kommunistischen Gesellschaft, zur Befreiung der Menschen von Ausbeutung und Unterdrückung -die Ideologie diente vielmehr der Legitimierung des bürokratisch-diktatorischen Regimes: 1. Die in der DDR verbreitete marxistisch-leninistische Ideologie sollte den Unterdrückungscharakter des Regimes verschleiern. Durch ideologische Begriffe -wie den im Juli 1952 eingeführten „Aufbau des Sozialismus“ (später „realer Sozialismus“, „sozialistische Demokratie“ und „sozialistischer Humanismus“) -sollte der Unterdrückungscharakter verdeckt werden. 2. Mit der Behauptung, der Marxismus-Leninismus sei eine „wissenschaftliche Theorie“, versuchte die SED-Führung von den schwierigen ökonomischen Bedingungen, den ökonomisch-politischen Rückschlägen abzulenken und ihre Auswirkungen im Denken der Menschen und dem Verhalten der Funktionäre und Mitglieder der SED zu verringern. Der Marxismus-Leninismus hatte die Aufgabe, Beschlüsse der SED-Führung, die meist aus praktischer Notwendigkeit erfolgten, nachträglich zu begründen und zu rechtfertigen, um den Eindruck zu erwecken, die SED-Führung betreibe eine • „wissenschaftliche Politik“. 3. Die Ideologie diente der Oktroyierung von Denkschablonen zur Disziplinierung der SED-Funktionäre und Mitglieder. Diese ideologischen Schemata beinhalteten nicht nur, was Mitglieder und SED-Funktionäre glauben sollten, sondern -sogar in erster Linie -was sie abzulehnen hatten. Durch die festgelegten „Abweichungen“ sollten die Funktionäre dazu erzogen werden, gleichsam automatisch alle Auffassungen abzulehnen, die nicht in die vorgefaßte Parteilinie paßten. Mit diesem Ablehnungsmechanismus sollten kritische Gedanken und unliebsame Diskussionen vermieden werden.

4. Mit den Aufrufen zur „Wachsamkeit“ und zur Bekämpfung von Parteifeinden -nicht selten als „Agenten“ diffamiert -sollte eigenständiges kritisches Denken unterbunden, eine Psychose der Angst und Unsicherheit erzeugt werden. Die Schulung diente dazu,'SED-Mitglieder zu gefügigen und disziplinierten, der Parteiführung bedingungslos gehorchenden Funktionären auszubilden.

Der Marxismus-Leninismus, einschließlich des hierarchischen Schulungssystems und der Verherrlichung Stalins, wurde keineswegs sofort im Mai/Juni 1945 eingeführt. Im Gegenteil: Zunächst wurden die Zielsetzungen einer antifaschistisch-demokratischen Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk proklamiert, die Unabhängigkeit der deutschen sozialistischen Bewegung, ein demokratischer Parteiaufbau, der eigenständige deutsche Weg zum Sozialismus und die Verwirklichung des Sozialismus in der sozialen Demokratie. Damit sollten breite Kreise der Bevölkerung angesprochen werden, um ein breites Bündnis unterschiedlicher antifaschistisch-demokratischer Kräfte zu ermöglichen. Mit der Zeit klafften Anspruch und Wirklichkeit jedoch immer stärker auseinander.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Deutsche Volkszeitung Berlin vom 13. 6. 1945. Zu den Hintergründen siehe u. a. Wolfgang Leonhard, Die Revolution entläßt ihre Kinder, Köln 1992, S. 484-487, und Gerhard Keiderling, Die Gruppe Ulbricht in Berlin, Berlin 1993.

  2. „Die 60er Konferenz vom Dezember 1945“, in: Erich W. Gniffke, Jahre mit Ulbricht, Köln 1966, S. 119-122.

  3. Anton Ackermann, Gibt es einen besonderen deutschen Weg zum Sozialismus?, in: Einheit, (1946) 1, S. 31ff.; vgl. auch W. Leonhard (Anm. 1), S. 518-522.

  4. Ausführlicher dargestellt, in: W. Leonhard (Anm. 1), S. 592-599.

  5. Vgl. E. W. Gniffke (Anm. 2), S. 328.

  6. Beschluß des Zentralsekretariats der SED zur jugoslawischen Frage, in: Neues Deutschland vom 3. 7. 1948.

  7. Vgl. Dokumente der SED, Band II, Berlin/Ost 1952, S. 84ff.

  8. Anton Ackermann, Über den einzig möglichen Weg zum Sozialismus, in: Neues Deutschland vom 24. 9. 1948.

  9. Protokoll der I. Parteikonferenz der SED, 25. -28. Januar 1949 in Berlin, Berlin/Ost 1949, S. 524ff.

  10. Über die Verbesserung der Parteipropaganda, Beschluß des Parteivorstandes vom 3. Juni 1950, Dokumente der SED, Band I, Berlin/Ost 1952, S. 46-63.

  11. Dokumente der SED, Band III, S. 547, 573, 626, und Dokumente Band IV, Berlin/Ost 1954, S. 105.

  12. Dokumente der SED, Band III, S. 681, Band IV, S. 93, 171, 273, 296, 298, 318, 322, Berlin/Ost 1954.

  13. Dokumente der SED, Band III, S. 543, 580, 581 und 626; Band IV, S. 78, 173, 222, 251, 290-291, Berlin/Ost 1954.

  14. Dokumente der SED, Band III, S. 445, 585, 644, 741, Band IV, S. 90, Berlin/Ost 1954.

  15. Dokumente der SED, Band III, S. 117, 118, 122, 128, 262, 431 und 573, sowie Band IV, S. 227 und 335, Berlin/Ost 1954; Band V, Berlin/Ost 1956, S. 292-293.

  16. Dokumente der SED, Band III, S. 105, 240, 403, 410f.,476 und 744, Berlin/Ost 1954.

Weitere Inhalte

Wolfgang Leonhard, geh 1921; 1935-1945 in der Sowjetunion, u. a. Ausbildung an der Komintern-schule (1942/43); Mitarbeit im Nationalkomitee „Freies Deutschland“; Rückkehr nach Deutschland mit der „Gruppe Ulbricht“ Anfang Mai 1945; Mitarbeiter der Abteilung Schulung und Werbung des Zentral-sekretariats der SED und Dozent an der SED-Parteihochschule „Karl Marx“ (1945-49); Flucht aus der Sowjetzone Deutschlands im März 1949; von 1966 bis 1987 Professor an der Historischen Fakultät der Yale University. Veröffentlichungen u. a.: Die Revolution entläßt ihre Kinder, Köln 1955; Sowjetideologie heute. Politische Lehren, Frankfurt/M. 1962; Die Dreispaltung des Marxismus, Düsseldorf 1970; Was ist Kommunismus? Wandlungen einer Ideologie, München 1976; Das kurze Leben der DDR, Stuttgart 1990; Spuren-suche, Köln 1992; Die Reform entläßt ihre Väter, Stuttgart 1994.