Ausbau der regionalen Wirtschaftsbeziehungen in Ostasien
Johann Vranic
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Zusammenfassung
Gemessen am Wachstum, dem Pro-Kopf-Einkommen und der Verringerung der Armut hat die ostasiatische Wirtschaft in den letzten 30 Jahren bemerkenswerte Erfolge verbucht. Diese sind vor allem auf die wirtschaftlichen Leistungen folgender Länder zurückzuführen: Japan, die „vier Tiger“ (Hongkong, Südkorea, Singapur und Taiwan), die drei Schwellenländer Indonesien, Malaysia und Thailand und Newcomer VR China. In den achtziger und den frühen neunziger Jahren hat sich die dynamische Aufwärtsentwicklung Asiens -die von Japan aus auf die Nachbarländer Übergriff -verstärkt. Die wirtschaftliche Kraft der gesamten asiatisch-pazifischen Region nahm zu, der Wohlstand erhöhte sich. Dies führte gleichzeitig zu einer intensiveren regionalen wirtschaftlichen Verflechtung. In Asien herrscht derzeit jene Aufbruchstimmung, die Europa und selbst Amerika offenbar verloren haben. Diese Entwicklung wird -sollte es in Zukunft keine politischen Einbrüche in der Region geben -Asien zu einer relativ eigenständigen regionalen Wirtschaftsmacht führen.
I. Ostasien -Wirtschaftsmacht des 21. Jahrhunderts
Die Wirtschaft Ostasiens wuchs in den letzten Jahren mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit (s. Tabelle) In den letzten 30 Jahren betrug die reale durchschnittliche Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts jährlich fünf Prozent. Das Pro-Kopf-Einkommen hat sich nahezu vervierfacht und damit die Armut in dieser Region vermindert. Die Zahl der absolut Armen sank von 400 auf 180 Millionen, während gleichzeitig die Bevölkerung um mehr als 60 Prozent stieg Die wachsende Wirtschaftskraft Asiens verwirft einen wesentlichen Aspekt des Erklärungsmodells der Weltwirtschaft aus den achtziger Jahren -nämlich die Beschränkung der Wirtschaftsmächte auf die Triade USA-Japan-EU. Die in Ostasien an Kraft gewinnenden Volkswirtschaften sind zwar nicht in einem der EU vergleichbaren Wirtschaftsblock vereint, dennoch findet verstärkt intraregionaler Handel unter ihnen statt, der allein zwischen 1988 und 1991 um 72 Prozent zunahm
Nach einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln soll der asiatisch-pazifische Wirtschaftsraum zur Jahrtausendwende 30 Prozent des Weltsozialprodukts erwirtschaften. 1990 waren es noch knapp 18 Prozent Asien ist bereits ein Synonym für Dynamik und Optimismus und wird -vorausgesetzt, dieser Trend hält an -zu einem wirtschaftlichen Zentrum des 21. Jahrhunderts werden. Bereits jetzt leisten die ostasiatischen Staaten 16 Prozent (1970: vier Prozent) des Welt-exports
Dieses enorme Wirtschaftswachstum ist u. a. auf die außergewöhnliche Akkumulation von Human-kapital und Geld zurückzuführen. Grundlagen des fernöstlichen Exportwunders sind gezielte, exportorientierte Entwicklungsstrategien, niedrige Arbeitskosten und ein großes Geschick, sich westliche Technologien, Qualitätskriterien und Produktionsverfahren anzueignen. Darüber hinaus sind die ostasiatischen Wirtschaftssysteme in der Lage, ihre Ressourcen in hochproduktive Investitionen zu lenken. Sie sind grundsätzlich marktwirtschaftlich orientiert, vertrauen aber von Zeit zu Zeit auf maßgeschneiderte staatliche Eingriffe. Die makro-ökonomischen Bedingungen dieser Region sind ungewöhnlich stabil und bilden den notwendigen Rahmen für private Investitionen. Dazu kommt die konfuzianische Tradition -Sparsamkeit, Fleiß und Disziplin -den „Tigern“ und „Drachen“ unterstützend entgegen. Die eigentliche Basis für die Entwicklung des zukünftig größten Binnenmarktes der Erde bilden die mehr als zwei Milliarden konsumhungrigen Menschen in dieser Region.
Asiens große Vorbilder für die wirtschaftliche Entwicklung sind schon lange nicht mehr die klassischen Industrienationen des Westens, sondern Japan und die nordostasiatischen Schwellenländer. „Look East!“ heißt die Devise; sie symbolisiert sich anschaulich im Bild fliegender Wildgänse, mit Japan als Leitvogel. Hinter Japan folgen die „vier Tiger“, danach die weniger entwickelten ASEAN-Staaten China und Vietnam bilden die Nachhut. Die Volkswirtschaften dieser Länder sind sehr unterschiedlich strukturiert, aber sie ergänzen sich vorteilhaft. Rohstoffreiche Länder (Indonesien, Malaysia und Thailand) stehen extrem rohstoffarmen (Korea und Taiwan) gegenüber. Japan und die „vier Tiger“ verfügen über modernste Technologien und Kapital. Indonesien wird z. B. von Japan und den „vier Tigern“ als verlängerte Werkbank benutzt, während das Land selbst sich auf die Billig-konkurrenz Chinas und Vietnams einstellen muß.
Trotz der unterschiedlich entwickelten Volkswirtschaften -während das Pro-Kopf-Einkommen 1992 in Japan bei 29780 US-Dollar lag, betrug es in China gerade 374 US-Dollar, in Hongkong allerdings 16 381 US-Dollar -und vielen tarifären Hürden, die noch zu überwinden sind, nahmen der Handel und die Kooperation der ostasiatischen Staaten untereinander stark zu. 1993 gingen bereits 43 Prozent (1986: 31 Prozent) ihrer Exporte in die ostasiatischen Staaten Für Japan und die „vier Tiger“ spielen außer den niedrigen Produktionskosten die geographische Nähe und die kulturelle Verwandtschaft eine entscheidende Rolle dafür, sich in den Nachbarstaaten verstärkt wirtschaftlich zu engagieren. Dort rechnen sie auch langfristig mit lukrativen Absatzmärkten. Durch diese Investitionen und Technologietransfers erfahren die Newcomer einen Entwicklungsschub und einen wirtschaftlichen Aufschwung; mit dem steigenden Bruttosozialprodukt (BSP) nimmt auch die Kaufkraft der Bevölkerung zu.
II. „Greater China“ -ein Begrifffür überstaatliche Zusammenarbeit
Die ungewöhnlichste aller wirtschaftlichen Verflechtungen Asiens besteht zwischen Hongkong, Taiwan und den Südprovinzen der VR China Trotz der unüberwindlich scheinenden politischen Systemdifferenzen wurde seit der Öffnungspolitik der VR China 1979 zwischen den drei Regionen, die zwei völlig verschiedene Wirtschaftssysteme haben, eine wirtschaftliche Brücke gebaut. Seitdem nimmt der direkte Handel zwischen Taiwan und der VR China-der offiziell immer noch illegal ist -stark zu. Er floriert ungehindert über Hongkong. Das Handelsvolumen stieg von 1, 5 Milliarden US-Dollar 1987 auf 14, 3 Milliarden US-Dollar 1993. Auch wirtschaftliche Kooperationen bahnen sich im großen Ausmaß an: Mehr als 5 000 taiwanesische Unternehmen haben sich bereits in der VR China niedergelassen Es handelt sich dabei hauptsächlich um arbeitsintensive Industrien, da das Festland-China beim Faktor Arbeit erhebliche komparative Vorteile aufweist.
Hongkong ist immer noch Chinas Fenster zur Außenwelt. Fast 70 Prozent aller ausländischen Investitionen kamen 1992 über Hongkong in die VR China. Umgekehrt haben sich rund 3 000 chinesische Unternehmen in Hongkong niedergelassen. Hongkong tätigt heute 75 Prozent seines gesamten Außenhandels mit Festland-China In zwei Jahren wird Hongkong seinen Sonderstatus als britische Kronkolonie verlieren und nur noch eine von mehreren Regionen der VR China sein, d. h., es wird sich innerhalb eines überregionalen chinesischen Rahmens entfalten müssen. Experten behaupten, daß sich an Hongkongs überragender wirtschaftlicher Bedeutung dadurch wenig ändern wird. Manche Firmen trauen Peking aber nicht und verlagern schon jetzt ihren Sitz und ihr Kapital ins benachbarte Singapur. Der Stadtstaat Singapur garantiert nicht nur politische Stabilität, sondern hat auch die beste Infrastruktur der Region und ist ein wichtiges internationales Technologiezentrum. Der Stadtstaat wird auch vom westlichen Ausland gerne als Sprungbrett zur Geschäftsexpansion in die asiatisch-pazifische Region gewählt; so errichtet z. B. das Land Baden-Württemberg dort ein Industrie-und Handelszentrum.
Mit dem verstärkten Austausch von Waren und Dienstleistungen bewegen sich in den letzten Jahren auch Geldströme über die Staatsgrenzen Süd-ostasiens: In der südchinesischen Provinz Guandong zirkulieren inzwischen ca. zwei Milliarden Hongkong-Dollar, das sind 30 Prozent der Gesamtmenge an Hongkong-Dollar, und in der Provinz Fujian wird zunehmend mit Taiwan-Dollar gearbeitet Hongkong, Taiwan und Singapur sind für Südchinas wirtschaftliches Wachstum von zentraler Bedeutung. China wiederum ist als Absatzmarkt und Standort für investives Engagement seiner südlichen Nachbarn interessant. Die Regierung in Taipeh tut sich -trotz der wachsenden wirtschaftlichen Integration mit dem Festland -nach wie vor schwer, direkte politische Kontakte zu Peking aufzunehmen. Peking demonstriert Gelassenheit, obwohl die 21 Millionen Einwohner Taiwans mit ihrem Bruttosozialprodukt von 210 Milliarden US-Dollar aus wirtschaftlichen Gründen von der VR China nicht ignoriert werden können. Allein im Jahr 1993 flossen 15 Milliarden US-Dollar von Taiwan via Hongkong nach China. Nach offiziellen Schätzungen haben taiwanesische Unternehmen in der VR China bereits mehr als zehn Milliarden US-Dollar investiert, inoffiziell schätzt man die Summe auf das Doppelte Das ungewisse politische Verhältnis zwischen den beiden Kontrahenten läßt dennoch keine eindeutige Voraussage über weitere Entwicklungen zu. Vieles -vor allem die zunehmende wirtschaftliche Verflechtung -spricht jedoch dafür, daß beide Seiten in Zukunft bestrebt sein werden, die Wohlstandsgewinne aus der gemeinsamen Arbeit durch politische Stabilität zu wahren und den Prozeß der wirtschaftlichen Integration auf chinesische Weise -d. h. ohne diplomatische Vertretungen und zwischenstaatliche Verträge, aber wirtschaftlich effizient -fortzusetzen. Eine besondere Rolle bei der dynamischen Aufwärtsentwicklung in Asien fällt Japan zu: Es ist in den letzten Jahren der größte Exportmarkt und die größte Quelle der Direktinvestitionen für die asiatischen Staaten geworden.
III. Japan als Vorreiter des ostasiatischen Wirtschaftsaufschwungs
Anfang der sechziger Jahre war Japan selbst noch ein Entwicklungsland. Das Pro-Kopf-Einkommen lag bei 380 US-Dollar, achtmal weniger als in den USA. Der wirtschaftliche Aufstieg Japans erfolgte innerhalb zweier Jahrzehnte. Bereits in den achtziger Jahren behauptete das Inselreich einen wirtschaftlich gleichrangigen Platz neben Europa und den USA. Im asiatisch-pazifischen Raum nahm die Präsenz japanischer Industrie nach der steilen Aufwertung des Yen (1985) spürbar zu. In den neunziger Jahren gilt das japanische Wirtschaftsinteresse verstärkt den asiatischen Nachbarländern Es kam zum bisher Unvorstellbaren -einer zunehmenden Abwendung von den USA und von Europa. Zwischen 1950 und 1992 investierten japanische Unternehmen 122 Milliarden US-Dollar in Asien; allein 1993 betrugen die japanischen Direktinvestitionen in Asien über 12 Milliarden US-Dollar. In Europa waren es lediglich sieben Milliarden US-Dollar, und in den USA lagen sie noch darunter Seit 1991 versenden japanische Konzerne mehr Waren in ihre asiatischen Nachbarstaaten als in jeden anderen Teil der Welt. 1993 übertraf der Überschuß im Handel mit diesen Staaten selbst das gigantische Plus, das Japan Amerika gegenüber verbucht. Inzwischen haben die Japaner ihre asiatischen Nachbarn mit einem Netz von 5 000 Fabriken überzogen, in denen mehr als eine Million Menschen arbeiten. Komplette Wirtschaftszweige sind fest in der Hand der Multis aus Tokio oder Osaka.
Japanische Unternehmen sind mit dem Engagement in ihrer asiatischen Nachbarschaft nicht an einer einmaligen Gewinnmitnahme interessiert, sondern sie wollen sich hauptsächlich die Marktanteile vor ihrer Haustür sichern sowie den Vertrieb der eigenen Produkte und die Gewinnung von Marktinformationen fördern. Durch die Verlagerung der Fertigung ins benachbarte Ausland wird die wirtschaftliche Entwicklung Japans und zugleich die regionale Stabilität der Nachbarländer gestützt. Dies entspricht dem Konzept japanischer Sicherheitspolitik, die auf ökonomische und soziale Stabilität vertraut. Nachbarstaaten werden dadurch ökonomisch eingebunden und wirtschaftlich stabilisiert, so daß sie keine Bedrohung für Japan darstellen. Die zunehmenden regionalisierten Wirtschaftsbeziehungen zu Asien kurbeln auch die heimische Wirtschaft Japans an und sorgen für ein langfristiges Wirtschaftswachstum.
Die japanische Wirtschaft ist im asiatisch-pazifischen Raum nicht nur die am weitesten entwickelte, sondern auch die größte. 1990 lag der japanische Anteil am gesamten asiatischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei ca. 70 Prozent Japans Kolonialvergangenheit macht es Tokio aber nicht einfach, eine seiner Wirtschaft angemessene politische Führungsrolle in Asien zu übernehmen. Japanische Konzerne besitzen in den meisten asiatischen Staaten bereits eigene Produktionsstätten und sind deshalb zollunabhängiger als die amerikanische oder europäische Konkurrenz. Den japanischen Wirtschaftsakteuren liegt es deshalb fern, über die regionale Rolle Japans zu debattieren -sie schweigen und verdienen. Das Land wird von seinen asiatischen Nachbarn bewundert, und weil sich eine Zusammenarbeit mit dem einstigen Feind lohnt, wird die Vergangenheit nicht mehr aufgerechnet. Sie sind bestrebt, vom „großen Bruder“ zu lernen und ihm nach Möglichkeit nachzueifern.
Der erste musterhafte Schüler Japans ist Südkorea. Das Land hat mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 6750 US-Dollar 1992 inzwischen den Entwicklungsstand der südosteuropäischen Staaten erreicht. Eine beachtliche Leistung -bedenkt man, daß das Land vor 30 Jahren noch zu den ärmsten Entwicklungsländern der Welt gehörte. Die südkoreanische Regierung hat es verstanden, mit finanzieller Hilfe und Technologietransfer aus Japan und den USA innerhalb dreier Jahrzehnte den wirtschaftlichen Aufschwung zu schaffen. Südkorea hat sich bereits zu einem Hochlohnland entwickelt, das arbeitsintensive Produktionen nun in asiatische Billiglohnländer auslagert. Deshalb liegt Seoul an der Vertiefung wirtschaftlicher Beziehungen zu seinen asiatischen Nachbarn sehr viel. Derzeit richtet Südkorea sein Augenmerk besonders auf die VR China. Dort erreichten die Investitionen 1992 ca. 200 Millionen US-Dollar, und die Exporte nach China stiegen 1993 im Vergleich zu 1992 um 94 Prozent Damit wurde China -bisher war es Japan -Südkoreas größter Wirtschaftspartner.
IV. Einbindung der ASEAN-Staaten in die wirtschaftliche Kooperation
Den ersten regionalen Zusammenschluß im asiatisch-pazifischen Raum unternahmen 1967 sechs ostasiatische Staaten. Sie gründeten die Assoziation der Südostasiatischen Staaten (ASEAN), der die sogenannten Schwellenländer der zweiten Generation (Indonesien, Malaysia, Thailand, Brunei, Singapur und den Philippinen) angehören. Ihr Ziel war, den intraregionalen Handel durch Handelsabkommen zu fördern, indem die Mitglieder sich gegenseitig Präferenzen einräumten. Der Erfolg dieser Blockbildung ist aber bisher ausgeblieben. Der intraregionale Handel nahm am gesamten Handel innerhalb der ASEAN-Länder minimal von 3, 2 Prozent 1980 auf vier Prozent 1990 zu Für die ASEAN-Staaten ist Japan der Wirtschaftspartner Nummer eins, Investor und Entwicklungshilfegeber, regionaler Wirtschaftsmotor und Vorbild zugleich. Von 1989 bis 1991 stieg der jährliche Anteil japanischer Direktinve-stitionen in den ASEAN-Staaten auf über 30 Prozent
In den achtziger Jahren verschob sich die Wirtschaftsstrategie der ASEAN-Staaten von der Importsubstitution zur exportorientierten Entwicklung. Die Regulierungen von ausländischen Direktinvestitionen wurden gelockert, Maßnahmen der Handels-und Finanzliberalisierung unterstützten diese Strategie. Gleichzeitig stiegen die Produktionskosten in den Schwellenländern der ersten Generation rapide an, so daß der Standort der ASEAN-Staaten attraktiver wurde und die Verlagerung der Fertigung japanischer sowie von Firmen der „vier Tiger“ deutlich zunahm.
Der Export aus den ASEAN-Staaten nach Korea, Taiwan und Hongkong verzeichnet in den letzten Jahren den größten Anstieg und spiegelt die steigende Arbeitsteilung und den zunehmenden Handel innerhalb Asiens wider. Von „Greater China“ ist Taiwan in dieser Region am stärksten aktiv und bereits an über 2 600 Joint-ventures beteiligt Seit Mitte der achtziger Jahre hat sich Taiwans Export in diese Staaten vervierfacht, und der Import aus ihnen verdoppelt. Besonders in Indonesien, Thailand und auf den Philippinen, wo es hohe Arbeitslosenraten gibt, werden durch das Engagement der ausländischen Unternehmen Arbeitsplätze geschaffen und die Regionalentwicklung gefördert. Dadurch gewinnt die gesamte Region an wirtschaftlicher und politischer Stärke.
V. Soziale und ökologische Folgen des ostasiatischen Wirtschaftsbooms
Die asiatische Gesellschaft befindet sich derzeit in einer Umorientierungsphase: „Asia’s main occupation now is making money.“ Konsum und materieller Reichtum sind das Maß aller Dinge geworden. Die Regierungen versuchen mit zum Teil diktatorischen Methoden, die auseinanderdriftende Gesellschaft zusammenzuhalten. Beim einfachen Volk wächst aber das Verlangen nach sozialer Gerechtigkeit und Sicherheit. Korruption ist weit verbreitet, und die vielen Neureichen zahlen kaum Steuern. Die Folge sind soziale Spannungen. Die erstarkende Mittelschicht will sich nicht länger bevormunden lassen; sie will nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch an der Macht partizi-pieren. Auf die Leistungsbereitschaft der Menschen haben diese Phänomene bisher noch keinen negativen Einfluß. Dies mag damit Zusammenhängen, daß erfolgreiches Wirtschaften des einzelnen in der asiatischen Gesellschaft traditionell als nationaler Beitrag verstanden wird, der dem Land eine ehrenvolle Position in der Welt sichern soll.
Der Binnenmarkt hat sich in Ostasien schneller entwickelt als sonst irgendwo, dadurch gewann die Wirtschaft an Eigendynamik. Dies sorgt für eine hohe Effizienz der Investitionstätigkeiten und für die Bildung regionaler Kaufkraft, die wiederum die Entwicklung des Marktes fördert. Da diese Staaten ihre Wirtschaft von Anfang an auf den Weltmarkt ausrichteten, wurden sie mit einem ungeheueren Druck zur Anpassung an das Weltmarktniveau konfrontiert. Dies machte ihre Produkte international wettbewerbsfähig. Einige der asiatischen Völker haben es in den letzten Jahren nicht nur zu Wohlstand und Prosperität gebracht, sondern sind auch zu einem neuen Selbstbewußtsein gelangt. Asiaten sind auf die eigene Nation und die wirtschaftlichen Leistungen der letzten Jahre stolz.
Der größte Verlierer des schnellen wirtschaftlichen Wachstums in der asiatischen Region ist die Umwelt. Die städtische und industrielle Umweltverschmutzung stieg weitaus stärker an als das wirtschaftliche Wachstum. Landflucht und die damit verbundene Verstädterung, Konzentration der Industrie auf bestimmte Ballungsgebiete und Zunahme der Zahl der Kraftfahrzeuge verursachten vielerorts irreparable Umweltschäden. Dieses Problem wurde von den Regierungen lange ignoriert und kann heute nur mit einer kostspieligen, überstaatlichen Umweltpolitik gelöst werden. Die bisherige gute wirtschaftliche Kooperation der asiatischen Staaten untereinander läßt hoffen, daß durch gemeinsame Anstrengungen auch die Umwelt wieder mehr Schonung erfährt. Der langfristige Erfolg aufstrebender Staaten Südostasiens hängt wesentlich vom Aufbau dauerhaft ökologisch verträglicher Wirtschaftssysteme ab.
VI. Ausblick
Wenn es in Zukunft ein starkes Asien gibt -welchen Platz wird dann Europa in der neuen Weltordnung einnehmen? Wird es zur „Boutique dieser Welt“ verkommen? Die berechtigte Sorge ist, daß wir an der asiatischen Erfolgsstory nicht partizipieren werden, obwohl der dortige Markt für unsere stotternde Wirtschaft ideal wäre. Ein spöttischer Witz macht in Asien die Runde: „In Asien operieren in der Wirtschaft inzwischen die Tiger, in Europa sind es noch Hauskatzen.“ Tatsächlich ist diese gewaltige Wirtschaftskonzentration für Europa beeindruckend und beängstigend zugleich, weil Asiens wirtschaftliches Potential von den eigenen Staaten geschöpft und erschlossen wird, was langfristig zu einer Abschottung führen könnte.
Alle Anzeichen sprechen dafür, daß die Lokomotive Ostasien auch in Zukunft mit Volldampf weiterfahren wird. Mit steigendem Wohlstand entstehen profitable, einheimische Märkte, die die Wirtschaft noch stärker anheizen. Die Bande zwischen den asiatischen Staaten werden immer enger, auch wenn die ehemaligen Feinde -China, Japan und Korea -sich zuweilen noch mit Mißtrauen begegnen. Nicht die heterogenen Volkswirtschaften, sondern politische Interessen machten es bisher unmöglich, die asiatischen Staaten unter einen Hut zu bringen. Daher ist es nicht verwunderlich, daß die kleineren Staaten ihre Freiheit und ihren Wohlstand ausschließlich durch die amerikanische Präsenz in der Region garantiert sehen. Da aber der neue Regionalismus im Handel weltweit zunimmt, können auch in Asien die Stimmen, die ein wirtschaftliches Zusammenwachsen auf dem ostasiatischen Kontinent fordern, nicht mehr lange überhört werden. Vor allem Malaysias Regierungschef Mahathir Ben Mohamad setzt sich vehement für die Gründung eines eigenständigen ostasiatischen Wirtschaftsclubs (EAEC) ein. Damit könnte Asien seine wirtschaftliche Integration politisch untermauern und mit den beiden Blöcken Amerika und EU aus seiner Position der Stärke heraus verhandeln.
Johann Vranic, Dipl. -Volksw., geb. 1962; Studium der Volkswirtschaft mit dem Schwerpunkt Regional-studien ostasiatischer Raum an der Universität in Tübingen; Studienaufenthalt in der VR China 1987-1989; journalistische sowie ökonomisch beratende Tätigkeit. Veröffentlichungen u. a.: Studium in der VR China -Persönliche Erfahrungen und die Juni-Ereignisse 1989, Bochum 1990; Chinas verschlungene Wege zur Marktwirtschaft, in: Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, (1994) 4.
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