Ostdeutsche Jugendliche fünfJahre nach der Wiedervereinigung
Kerstin Seiring
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Zusammenfassung
Zentrale Fragestellung des Beitrages ist, wie die Integration ostdeutscher Jugendlicher in die Bundesrepublik Deutschland gelingt. Anhand von Daten des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) der Jahre 1990-1994 wird versucht, vorläufige Antworten zu geben. Dazu wird die subjektive Sicht der ostdeutschen Jugendlichen -ihre Zukunftszuversicht, Erwartungen, Ängste, Sorgen -der objektiven Situation beim Übergang von der Ausbildung in den Beruf gegenübergestellt. Die Bilanz ist insgesamt positiv. Die Mehrheit der Berufsanfänger fand eine Stelle und behielt sie auch über den untersuchten Zeitraum. Das subjektive Wohlbefinden dieser Jugendlichen hat sich mit dem Erfolgserlebnis verbessert, das Zurechtfinden in der neuen Gesellschaft scheint weniger kompliziert, der Zukunftsoptimismus ist gestiegen. Aber nicht allen Jugendlichen aus den neuen Bundesländern ist der Statuswechsel von der Berufsausbildung zur Erwerbstätigkeit bis 1994 reibungslos gelungen. Das niedrige Niveau der Lebenszufriedenheit arbeitsloser Jugendlicher macht deutlich, daß diese mit zunehmender Dauer ihrer Arbeitslosigkeit zu einer Problem-gruppe innerhalb des Transformationsprozesses werden könnten. Insgesamt zeigen die Ergebnisse dieses Beitrages aber, daß bei ostdeutschen Jugendlichen ein großes Potential an optimistischen Einstellungen und Orientierungen vorhanden ist, das vorteilhaft für ihre Integration in die neue Gesellschaft sein wird, wenn sie von der Gesellschaft eine Chance erhalten.
I. Einleitung
Zu untersuchen, wie Jugendliche auf die Veränderung ihres Alltags durch politische und ökonomische Entwicklungen reagieren, ist in der anhaltenden Umbruchsituation, in der sich die Bundesrepublik Deutschland seit der Vereinigung am 3. Oktober 1990 befindet, wichtig. Welches Verhältnis die ostdeutschen Jugendlichen zu der für sie neuen Gesellschaft entwickeln, wird nicht zuletzt von der ökonomischen Entwicklung in den neuen Bundesländern abhängen. Diese bestimmt in hohem Maße die Chancen ihrer persönlichen und beruflichen Entwicklung.
Abbildung 9
Tabelle 6: Anzahl/Dauer von Arbeitslosenphasen bei ost-und westdeutschen Jugendlichen 1989/90 bis 1993/94 Datenbasis: SOEP (1989-1994) eigene Längsschnittberechnungen.
Tabelle 6: Anzahl/Dauer von Arbeitslosenphasen bei ost-und westdeutschen Jugendlichen 1989/90 bis 1993/94 Datenbasis: SOEP (1989-1994) eigene Längsschnittberechnungen.
Die zentrale Fragestellung dieses Beitrages -wie die Integration ostdeutscher Jugendlicher innerhalb des Transformationsprozesses verläuft -zielt 1. auf die subjektive Sicht der Jugendlichen: Wie ist ihre Zukunftszuversicht, welche Erwartungen, Ängste und Sorgen haben sie? 2. und auf die objektive Situation der Jugendlichen: Gelingt der Übergang von der Ausbildung in das Erwerbsleben?
Fragestellungen dieser Art sind deshalb wichtig, weil so festgestellt werden kann, ob Jugendliche die Wende subjektiv als „kritisches Lebensereignis“ oder als Chance zur Realisierung einer individuell besser gestaltbaren Zukunft erleben Dies wird maßgeblich davon mitbestimmt, wie schnell sie sich einen Platz in der neuen Gesellschaft erobern können. Sollte dieser Prozeß durch Arbeitslosigkeit, sozialen Abstieg oder andere soziale Ausgrenzungsprozesse behindert werden oder so-gar scheitern, würde dies weitreichende Konsequenzen haben: einerseits für die Jugendlichen, die sich dann mit einer Gesellschaft konfrontiert sähen, in der sie zwar leben müssen, die sie aber nicht verstehen und vielleicht sogar in wichtigen Bereichen ablehnen, andererseits für die Gesellschaft, die die Spannungen auffangen müßte, die zwischen dieser wichtigen Teilgruppe und den bestehenden Normen und Wertmustern entstehen
Während ostdeutsche Jugendliche in einer Umbruchgesellschaft leben, haben sich für westdeutsche Jugendliche die Lebensbedingungen seit der Vereinigung beider deutscher Staaten kaum verändert, deshalb wird u. a.der Transformationsprozeß von ihnen mit weniger innerer Anteilnahme verfolgt. Selbst wenn bei ost-und westdeutschen Jugendlichen die Gemeinsamkeiten in ihren Lebenszielen und Wertorientierungen überwiegen sollten, ist eher davon auszugehen, daß sich aufgrund der sehr unterschiedlichen Sozialisationsbedingungen in Ost-und Westdeutschland auf längere Sicht „kein gemeinsamer Generationszusammenhang“ entwickelt
Die Antworten auf die oben gestellten Fragen können zum gegenwärtigen Zeitpunkt -fünf Jahre nach der Wende -und mit dem vorliegenden empirischen Material nur vorläufigen Charakter haben. Denn welchen zusätzlichen Einfluß sozialisations-bedingte Unterschiede auf „die gegenwärtige Formierung'jugendlicher Lebensorientierungen“ in Deutschland haben werden, ist auch davon abhängig, „inwieweit es gelingt, dieser generationsprägenden Lebenserfahrung“ eine relativ einheitliche Form zu geben D. h. in erster Linie wird die Ermöglichung von vergleichbaren Lebensbedingungen und -erfahrungen für Jugendliche in Ost und West mitbestimmend dafür sein, wie erfolgreich der Prozeß des Zusammenwachsens beider Jugendgenerationen verläuft.
II. Anmerkungen zum Jugendbegriff und zur Vorgehensweise
Abbildung 5
Tabelle 2: Zukunftszuversicht und Anomiesymptome Jugendlicher und älterer Generationen in Ost-und Westdeutschland zwischen 1990 und 1993 Datenbasis: SOEP-Querschnitte (1990-1993); eigene Berechnungen.
Tabelle 2: Zukunftszuversicht und Anomiesymptome Jugendlicher und älterer Generationen in Ost-und Westdeutschland zwischen 1990 und 1993 Datenbasis: SOEP-Querschnitte (1990-1993); eigene Berechnungen.
1. Zum Jugendbegriff Viele Jugendforscher haben sich ihrem Untersuchungsgegenstand genähert, indem sie den Übergangscharakter von Jugend, d. h.den Aspekt der Übergangsphase vom Kind zum Erwachsenen, hervorgehoben und gleichzeitig auf die wichtige Funktion dieser Lebensphase bei der Entwicklung von Werten und Überzeugungen für das eigene Denken und Verhalten von Jugendlichen hingewiesen haben. In der Jugendphase finden Prozesse der Aneigung bestimmter Normen und Regeln bei gleichzeitigem Erwerb der ökonomischen, sozialen und juristischen Voraussetzungen für den Eintritt in das Erwachsenendasein statt. Dieses Kriterium ist auch Bestandteil einer Definition von Jugend durch Helmut Schelsky Der Prozeßcharakter von Jugend, wie ihn Schelsky verwendet, enthält wesentliche Merkmale, um den Jugendbegriff einzugrenzen. Schelsky ging in seiner Definition von Jugend von einer Integration nachwachsender Generationen in ein relativ stabiles Gefüge aus, was allerdings derzeit nur für westdeutsche Jugendliche zutrifft. Für ostdeutsche Jugendliche ist eine Integration in ein stabiles Gesellschaftssystem gerade nicht gegeben, da sich die wirtschaftlichen und sozialen Strukturen in den neuen Bundesländern gegenwärtig in einer Umbruchphase befinden, weshalb Schelskys Begriff von Jugend einer Ergän-zung bedarf. Obwohl viele Jugendliche in der DDR ihren Platz noch nicht gefunden hatten bzw. finden konnten, müssen sie diesen nun in einer Gesellschaft finden, die selbst einem umfassenden Wandel unterliegt. Diese doppelte Dynamik -der Übergangsprozeß der Jugendlichen vom Kind zum Erwachsenen und die Transformation der Gesellschaft -ist ein spezifisches Problem bei der Integration ostdeutscher Jugendlicher in die neue Gesellschaft 2. Zur Vorgehensweise Mit den Daten des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) werden die Jugendlichen (16 Jahre und älter) als eigene Subgruppe innerhalb der Gesamtbevölkerung mit spezifischen Lebensbedingungen, Einstellungs-und Wertmustern lokalisiert Außerdem bietet das Material die Möglichkeit, Vergleiche zwischen ost-bzw. westdeutschen Jugendlichen und älteren Generationen zur gleichen Thematik durchzuführen. Soweit für eine Untersuchung von Einstellungs-und Wertmustern im SOEP-Ost und -West vergleichbare Indikatoren vorhanden sind, wird ein Kreuzvergleich vorgenommen: a) zwischen Jugendlichen in Ost-und Westdeutschland, um Unterschiede oder Gemeinsamkeiten bei Werten, Einstellungen und Freizeitverhalten zwischen den Jugendlichen herauszufinden, und b) zwischen Jugendlichen und älteren Generationen jeweils in Ost-und Westdeutschland, um Unterschiede oder Gemeinsamkeiten zwischen Jugendlichen und älteren Generationen herauszufinden.
Der Vorteil der gewählten Vorgehensweise liegt darin, daß Positionen ostdeutscher Jugendlicher mit denen westdeutscher Jugendlicher und älterer Befragter verglichen werden können. Folgende Annahme liegt dem zugrunde: Ist die Distanz zwischen ost-und westdeutschen Jugendlichen geringer als zwischen ost-bzw. westdeutschen Jugendlichen und den jeweiligen älteren Generationen, könnte das für die Integration ostdeutscher Jugendlicher von Vorteil sein und wäre eine Voraussetzung für die Herausbildung einer „gemeinsamen Generationsgestalt“ Für diese Vorgehensweise wurden drei Vergleichsgruppen gebildet: 1. Jugendliche werden definiert als Gruppe der Nichterwerbstätigen, ledig und bis 27 Jahre alt, d. h. unter Ausschluß von zentralen Erwachsenenbereichen wie z. B. eigene Familie oder Erwerbstätigkeit. 2. Die zweite Altersgruppe bilden erwerbstätige bzw. -fähige Erwachsene: 35 bis 55 Jahre. 3.
Die dritte Altersgruppe repräsentieren nichterwerbstätige Erwachsene: 65 Jahre und älter.
III. Die Wende -ein „kritisches Lebensereignis“?
Abbildung 6
Tabelle 3: Wichtigkeit von Lebenszielen von verschiedenen Altersgruppen in Ost-und Westdeutschland nach Geschlecht 1990 (West) und 1992 (Ost) Datenbasis: SOEP-Ost (1992); SOEP-West (1990); eigene Berechnungen.
Tabelle 3: Wichtigkeit von Lebenszielen von verschiedenen Altersgruppen in Ost-und Westdeutschland nach Geschlecht 1990 (West) und 1992 (Ost) Datenbasis: SOEP-Ost (1992); SOEP-West (1990); eigene Berechnungen.
Die Befindlichkeit ostdeutscher Jugendlicher in der anhaltenden Umbruchsituation äußert sich in ihren Hoffnungen, Zukunftserwartungen, Ängsten und Sorgen. Bei deren Bewertung muß berücksichtigt werden, daß die Zukunft der Jugendlichen in der DDR mehr oder weniger vorgezeichnet und materiell gesichert war: Jedem Jugendlichen wurde ein Ausbildungs-und späterer Arbeitsplatz garantiert. Kehrseite der sozialen Sicherheit waren allerdings starke Reglementierungen der Bildungschancen und bei der Berufswahl. So erscheint heute die persönliche Zukunft ostdeutscher Ju gendlicher angesichts der hohen Arbeitslosen-zahlen und des ungewohnten Leistungs-und Konkurrenzdrucks einerseits zwar unsicherer als vor 1989. Andererseits eröffnet sich ihnen aber durch den gesellschaftlichen Transformationsprozeß ein Markt neuer Möglichkeiten, das Leben individuell nach den eigenen Bedürfnissen zu gestalten. Ob ostdeutsche Jugendliche diese neuen Herausforderungen als Chance an-oder als Bedrohung wahrnehmen, soll im folgenden untersucht werden. 1. Sorgen und Erwartungen Welchen Einfluß die noch andauernde Umbruch-situation auf die Befindlichkeit ostdeutscher Jugendlicher hat, läßt sich anhand ihrer „großen Sorgen“ zu verschiedenen Lebensbereichen im Vergleich zu westdeutschen Jugendlichen feststellen (vgl. Tabelle 1).
Erwartungsgemäß war zu Beginn des Jahres 1990 das Ausmaß großer Sorgen über die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung, die eigene wirtschaftliche Situation und die Sicherheit des Arbeitsplatzes (soweit vorhanden) bei ostdeutschen Jugendlichen vergleichsweise stärker ausgeprägt als bei westdeutschen. So konnte bei der Untersuchung der großen Sorgen zur allgemeinen und eigenen wirtschaftlichen Situation festgestellt werden, daß zwischen diesen beiden Problembereichen ein starkes Ost-West-Gefälle existiert. Der Anteil Jugendlicher, die sich große Sorgen um die allgemeine wirtschaftliche Lage machten, differierte in Ost-und Westdeutschland nicht sehr stark; über die Entwicklung der eigenen wirtschaftlichen Situation machten sich aber ostdeutsche Jugendliche mehr als doppelt so häufig große Sorgen wie Jugendliche in den alten Bundesländern. Eine Erklärung für dieses Ergebnis könnte sein, daß sich ab 1991 zunehmend negative soziale Folgen der Umstrukturierung der ostdeutschen Wirtschaft abzuzeichnen begannen und sich dieses Miterleben bzw. Mitbetroffensein deutlich in der Bewertung als „große Sorgen“ zu den angesprochenen Problembereichen widerspiegelt. Da bis 1993 aber kein weiterer Anstieg des Anteils derer, die sich „große Sorgen“ zu diesem Problembereich machen, erfolgte, kann angenommen werden, daß ostdeutsche Jugendliche in der dazwischen liegenden Zeit „gelernt“ haben, sich unter veränderten Lebensbedingungen in der neuen Gesellschaft besser zurechtzufinden und die Möglichkeiten ihrer persönlichen Entwicklung besser einzuschätzen und einzuordnen als 1991.
Von den westdeutschen Jugendlichen machte sich 1990 nur jede(r) sechste „große Sorgen“ um die all- gemeine wirtschaftliche Entwicklung. Da sich dieser Anteil aber bis 1994 vergrößerte, kann gefolgert werden, daß der Transformationsprozeß nun auch von westdeutschen Jugendlichen wesentlich aufmerksamer und kritischer verfolgt wird als in den zurückliegenden Jahren. Für ein größeres Problembewußtsein hat sicher zum einen die konjunkturelle Arbeitslosigkeit mit ihren zunehmenden Auswirkungen auch für Familien in Westdeutschland gesorgt. Zum anderen können Befürchtungen, aufgrund des enger werdenden Arbeitsmarktes nicht mehr den erwünschten Ausbildungs-und Berufsweg auf geradem Wege zu erreichen oder selbst von Arbeitslosigkeit betroffen zu werden, als Grund hierfür angenommen werden. Die „Krise des Ostens“ hat damit -das jedenfalls signalisiert die subjektive Bewertung einzelner Problemlagen, wie die Einschätzung der allgemeinen wirtschaftlichen Situation -mittlerweile auch viele westdeutsche Jugendliche erreicht.
Anders verhält es sich mit den Sorgen um die eigene wirtschaftliche Situation. Machten sich 1990 32 Prozent und 1991 sogar 38 Prozent der ostdeutschen Jugendlichen noch „große Sorgen“ um ihre eigene wirtschaftliche Situation, so reduzierte sich dieser Anteil 1992 und 1993 auf 25 Prozent. Es besteht Grund zu der Annahme, daß gegenwärtig in Ausbildung befindliche ostdeutsche Jugendliche erwarten, daß sich durch einen anerkannten modernen Berufsabschluß die eigene wirtschaftliche Situation positiv entwickeln wird. Bei westdeutschen Jugendlichen gab es zur Entwicklung über die eigene wirtschaftliche Situation weniger Befürchtungen, nur jeder achte Westdeutsche äußerte 1990 und 1991 diesbezüglich „große Sorgen“. 1992 und 1993 war es nur noch etwa jeder zehnte. D. h. ostdeutsche Jugendliche machten sich 1993 etwa doppelt so häufig „große Sorgen“ um ihre eigene wirtschaftliche Situation wie westdeutsche Jugendliche und erwarteten persönliche Probleme in diesem zentralen Lebensbereich in stärkerem Maße als diese. Während westdeutsche Jugendliche bei ihren Sorgen um die eigene wirtschaftliche Situation eher noch von ihren Eltern unterstützt werden können, ist dies bei den ostdeutschen Jugendlichen nicht in gleichem Maß zu erwarten. Durch die wirtschaftliche Umstrukturierung in den neuen Bundesländern wurden viele Eltern Jugendlicher arbeitslos, arbeiteten kurz, sind oder waren in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen tätig oder beziehen Altersübergangsgeld und können aus diesen Positionen heraus ihre Kinder bei materiellen Problemen relativ wenig unterstützen
Der hohe Anteil ostdeutscher Jugendlicher, die sich „große Sorgen“ um den Arbeitsplatz machten,verdeutlicht, welchen zentralen Stellenwert dieser Lebensbereich in Ostdeutschland einnimmt: 1990, angesichts der beginnenden Arbeitsmarktkrise, waren dies 35 Prozent und 1991 sogar 38 Prozent der ostdeutschen Jugendlichen. Der Anteil Jugendlicher mit „großen Sorgen“ um die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes sank zwar bis 1993 auf 21 Prozent, aber es ist im Zeitverlauf klar erkennbar, daß vor allem junge Frauen „große Sorgen“ (1992: 37 Prozent; 1993: 29 Prozent) hinsichtlich der Sicherheit ihres Arbeitsplatzes äußerten.
Da in der DDR eine sehr hohe Frauenerwerbsquote (von zuletzt 83 Prozent) zur Normalität gehörte, ist davon auszugehen, daß ostdeutsche junge Frauen aus ihrer Erwerbsarbeit wesentliche Teile ihres Selbstwertgefühls ableiten. Weil es für sie schwieriger geworden ist, einen Arbeitsplatz zu bekommen (bzw. zu behalten), sorgen sie sich stärker als die gleichaltrigen Männer um ihren Arbeitsplatz. Die zurückliegenden Jahre haben gezeigt, daß sich junge ostdeutsche Frauen bei Beschäftigungsunsicherheiten und Engpässen auf dem Arbeitsmarkt zunächst eher gegen (weitere) Kinder bzw. gegen eine Familiengründung entscheiden, um wirtschaftlich selbständig und unabhängig zu werden bzw. zu bleiben Das „Konzept der Vereinbarkeit von Familie und Beruf“, das in der DDR durch entsprechende sozialpolitische Maßnahmen abgesichert war, läßt sich nicht mehr so leicht realisieren. Es ist jedoch davon auszugehen, daß junge ostdeutsche Frauen auch künftig die Erwerbstätigkeit als zentrale Lebensorientierung und als wichtigen Bestandteil ihrer Selbstverwirklichung ansehen. Deshalb sind die Anteile weiblicher Jugendlicher, die sich „große Sorgen“ um die Sicherheit des Arbeitsplatzes machen vor dem Hintergrund der Befürchtung, daß durch die Umstrukturierung der Wirtschaft Ostdeutschlands eine massive Verdrängung der Frauen vom Arbeitsmarkt stattfinden könnte, als Zeichen für Integrationsprobleme junger Frauen in die Gesellschaft zu werten. Hier liegt eine mögliche Ursache für die oft beschriebene, skeptischere Grundhaltung ostdeutscher Frauen zur Wiedervereinigung. Schließlich war abzusehen, daß sie durch den Wegfall sozialpolitischer Maßnahmen von Veränderungen in ihrem Leben und ihrer Erwerbstätigkeit in stärkerem Ausmaß als junge Männer betroffen sein würden
Von den westdeutschen Jugendlichen machten sich 1990/1991 nur insgesamt 11 bzw. 10 Prozent „große Sorgen“ um den Arbeitsplatz. Bis 1993 reduzierte sich dieser Anteil sogar auf sechs Prozent, wobei sich westdeutsche weibliche Jugendliche häufiger als männliche Jugendliche „große Sorgen“ um die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes machten. Es stellt sich die Frage, ob nun auch zunehmend westdeutsche weibliche Jugendliche befürchten (müssen), daß sich die Folgen des Transformationsprozesses nachteilig auf ihren Wunsch, am Erwerbsleben teilzunehmen, auswirken werden und sie häufiger als männliche Jugendliche von Arbeitsplatzabbau betroffen sein werden.
Im Vergleich zur Generation der erwachsenen Erwerbstätigen (35 bis 55 Jahre) in Ostdeutschland kann festgestellt werden, daß sich diese wesentlich häufiger „große Sorgen“ um die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung, um die eigene wirtschaftliche Situation und auch um die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes machten als Jugendliche. Besonders 1991 kann anhand der hohen Anteile dieser Gruppe mit „großen Sorgen“ als ein schwieriges Jahr mit besonderen psychosozialen Belastungen angesehen werden Bei der westdeutschen Vergleichsgruppe waren in diesem Zeitraum die entsprechenden Anteile eher gering, die „großen Sorgen“ mithin weniger verbreitet. Dies änderte sich aber bis 1993: Sowohl 45 Prozent der ost-als auch 42 Prozent der westdeutschen Erwerbstätigen-gruppe (35 bis 55 Jahre) machten sich nun „große Sorgen“ um die allgemeine wirtschaftliche Situation, d. h., die Ost-und Westgeneration mittleren Alters äußerte sich gleichermaßen besorgt zu diesem Problembereich. Auch in dieser Vergleichs-gruppe ist das Problembewußtsein, die weitere wirtschaftliche Entwicklung betreffend, gestiegen. Als Ursache hierfür können ebenso die mittlerweile eigene Betroffenheit als auch die zu erwartenden Sonderabgaben und Einsparungen bei Sozialleistungen zur Finanzierung der deutschen Einheit angenommen werden.
Allerdings machte sich die westdeutsche Erwerbstätigengruppe (35 bis 55 Jahre) ähnlich wie die Generation der Jugendlichen in viel geringerem Ausmaß „große Sorgen“ über ihre eigene wirtschaftliche Situation und über die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes als die ostdeutsche Vergleichs-gruppe. Dieser Trend läßt sich auch bei den bereits aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen älteren Ostdeutschen feststellen. Die Häufigkeit ihrer „großen Sorgen“ um die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung ist von 1990 bis 1993 sogar kontinuierlich gestiegen.
Zusammenfassend kann zu Tabelle 1 festgehalten werden, daß seit 1993 die Krisenerscheinungen in der deutschen Wirtschaft subjektiv nun gleichermaßen stark von ost-und westdeutschen Befragten wahrgenommen werden: Die Anteile derjenigen, die sich „große Sorgen“ um die allgemeine wirtschaftliche Situation in der Bundesrepublik Deutschland machen, sind in beiden Vergleichs-gruppen gestiegen. Um die Entwicklung der eigenen wirtschaftlichen Situation waren und sind aber nach wie vor Ostdeutsche wesentlich besorgter als die westdeutschen Befragten. 2. Zukunftszuversicht und Anomiesymptome Anomiesymptome sind Anzeichen von Belastungen und einer „mangelnden sozialen Integration“, d. h., sie sind „ein Maß für Defizite im (persönlichen) Wohlbefinden“ Der Zukunftsoptimismus Jugendlicher spiegelt in eindrucksvoller Weise ihr momentanes Lebensgefühl wider. Befragt zur eigenen Zukunft, gaben viele ost-und westdeutsche Jugendliche an, daß sie ihre persönliche Zukunft eher zuversichtlich sehen. Tabelle 2 zeigt, daß die Zukunftszuversicht ostdeutscher Jugendlicher sich von 1990 (65 Prozent) bis 1992 (76 Prozent) insgesamt positiv verändert hat. 1993 war allerdings ein Stimmungsrückgang zu verzeichnen: Nur noch 64 Prozent der ostdeutschen Jugendlichen gaben an, zuversichtlich zu sein, wenn sie an ihre Zukunft denken. Ein ähnlicher Rückgang der Zukunftszuversicht ist auch bei westdeutschen Jugendlichen zu erkennen: Hier reduzierte sich der Anteil von insgesamt 75 Prozent (1992) auf 64 Prozent (1993). D. h., ost-und westdeutsche Jugendliche weisen hier momentan eine vergleichbare rückläufige Grundstimmung auf. Männliche Jugendliche in Ost und West waren dabei etwas zuversichtlicher als weibliche.Welche Meinung Jugendliche darüber haben, wie gut sie sich in der Gesellschaft zurechtfinden, ist ein weiterer Hinweis für eine erfolgte oder nicht erfolgte Integration. Während 1990 noch 28 Prozent der ostdeutschen Jugendlichen das Zurechtfinden in der neuen Gesellschaft kompliziert erschien, betrug dieser Anteil 1992 nur noch Prozent bzw. 1993 18 Prozent. Diese positive Entwicklung betrifft gleichermaßen männliche und weibliche Jugendliche. Allerdings sind viele dieser Jugendlichen (noch) nicht von den Folgen der gegenwärtigen Arbeitsmarktkrise betroffen, auch dürften die neuen Ausbildungsmöglichkeiten und die generelle Freiheit, sich selbst für ein Ausbildungsziel zu entscheiden, den Zukunftsoptimismus der Jugendlichen fördern. Auf der anderen Seite steht die Feststellung, daß trotz der neu gewonnenen „Freiheiten“ etwa jeder fünfte ostdeutsche Jugendliche 1993 angab, sich einsam zu fühlen; jeder sechste äußerte, seine Arbeit (die Ausbildung) mache ihm keine Freude mehr. Dieses Ergebnis spricht für eine noch nicht gelungene soziale Integration ostdeutscher Jugendlicher, verbunden mit Orientierungsproblemen in der Gesellschaft. Eine mögliche Ursache dafür ist, daß besonders ältere ostdeutsche Jugendliche, deren Sozialisation noch in der DDR erfolgte, heute angesichts des Konkurrenzdrucks einer „Ellenbogengesellschaft“ und der Notwendigkeit, ständig eigene Entscheidungen treffen zu müssen, die „Geborgenheit“ und Fürsorgefunktion des DDR-Staates vermissen. Zusätzlich dazu läßt die Gefahr, trotz einer guten und anerkannten Ausbildung keinen gesicherten bzw.der Ausbildung entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten, viele ostdeutsche Jugendliche 1993 ihre eigenen Zukunftsperspektiven wieder kritischer beurteilen, was sich negativ auf ihre Befindlichkeit auswirkt.
Bei den westdeutschen Jugendlichen der Untersuchungsgruppe traten diese Anomiesymptome in (wesentlich) geringerem Maß auf als bei den ostdeutschen Gleichaltrigen. Im Vergleich mit der zweiten und dritten Generation blickten besonders die Befragten der dritten Altersgruppe weniger zuversichtlich in ihre Zukunft, fühlten sich häufiger als Jugendliche einsam und fanden das Zurechtfinden in der neuen Gesellschaft bis 1993 zunehmend komplizierter. 3. Wichtigkeit von Lebenszielen Lebensziele geben Aufschluß darüber, welche Werte Jugendliche oder Angehörige älterer Generationen jeweils anstreben. Besonders interessant ist eine Analyse von Lebenszielen Jugendlicher, weil diese auf grundlegende Lebensorientierungen schließen lassen. Tabelle 3 zeigt, daß Jugendliche in Ostdeutschland allgemein jeden Lebensbereich höher bewerten als die im Westen lebende Altersgruppe. In der Rangfolge der wichtigen Lebensbereiche weisen Jugendliche in Ost und West allerdings eine bemerkenswerte Ähnlichkeit auf. An der Spitze stehen gleichermaßen „Eine glückliche Ehe/Partnerschaft“, wohingegen „Ein eigenes Haus haben“ und „Sich politisch/gesellschaftlich einsetzen“ keinen hohen Stellenwert für die ost-und westdeutschen Jugendlichen haben. Allerdings ist dies ein Phänomen, das auch in den anderen Altersgruppen anzutreffen ist 15.
Ein deutlicher Unterschied zwischen ost-und westdeutschen Jugendlichen wird bei der Bewertung des Lebenszieles „Erfolg im Beruf haben“ sichtbar. Während dieses Ziel bei den ostdeutschen Jugendlichen an zweiter Stelle der Rangfolge steht und von 59 Prozent als „sehr wichtiges“ Lebensziel angesehen wird, rangiert beruflicher Erfolg bei den westdeutschen Jugendlichen erst an vierter Stelle. Es finden sich übrigens Hinweise dafür, daß ostdeutsche Jugendliche vor der Wende anders gewichteten: „Der Wert der Arbeit hat erst seit 1989/90 einen Spitzenplatz in der Hierarchie der Lebensziele der jungen Leute eingenommen. Zu DDR-Zeiten wurde die sinnerfüllte Arbeit von ihnen eher kontemplativ-positiv eingeschätzt. Sie war für sie jedoch weniger ein Lebenswert, den es aktiv anzustreben galt, belegte daher meist nur einen mittleren Rangplatz.“ Die Ursache für die gestiegene Bedeutung dieses Lebenszieles, das auch in traditionellen Werten der Arbeitsgesellschaft der DDR und in der Vorbildwirkung der zumeist berufstätigen Eltern verankert ist, liegt in den Bedingungen der neuen Gesellschaft: Die Jugendlichen müssen sich bald auf dem angespannten Arbeitsmarkt bewähren. Hinzu kommt, daß neue Berufschancen und Weiterbildungsangebote den Jugendlichen Möglichkeiten eröffnen, die sie in der DDR nicht hatten. Sie sind ein weiterer wichtiger Aspekt, weshalb die Bedeutung des Wertes „Erfolg im Beruf“ gestiegen ist.
Westdeutsche Jugendliche bewerten nur den Lebensbereich „Selbstverwirklichung“ höher als die entsprechende ostdeutsche Altersgruppe. Generell läßt die bei den westdeutschen Jugendlichen ermittelte Rangfolge wichtiger Lebensbereiche auf eine postmaterialistischere Lebenseinstellung schließen. Werte, die auf die Selbstentfaltung der eigenen Persönlichkeit zielen, sind demnach bei ihnen stärker ausgeprägt als bei ostdeutschen Jugendlichen. Daß ostdeutsche Jugendliche diese bisher nicht in gleichem Maß entwickelt haben, läßt sich mit einem gewissen Nachholbedarf erklären. Viele beliebte Konsumgüter waren in der ehemaligen DDR Mangelware und zudem sehr teuer.
Ein weiteres wichtiges Ergebnis wird deutlich, wenn man nach dem Geschlecht der Befragten differenziert. Tabelle 3 zeigt, daß ostdeutsche junge Frauen (16 bis 27 Jahre) eine doppelte Anspruchs-haltung Im Gegensatz zu jungen Frauen aus
dem Westen bewerten sie „Erfolg im Beruf“ höher als junge Männer -in Ost und West. Gleichzeitig wird aber auch „Kinder haben“ als wichtiges Lebensziel angegeben. Zurückführen läßt sich diese doppelte Anspruchshaltung auf die Sozialisation ostdeutscher Frauen, die wie die männlichen Jugendlichen einen Anspruch auf Erwerbstätigkeit und berufliche Entwicklung erheben. Die Verwirklichung dieser in der DDR staatlich geförderten Haltung gerät gegenwärtig durch die Umstrukturierung konkreter sozialer Hilfeleistungen in Gefahr
In der zweiten und dritten Altersgruppe dominieren in Ost-und Westdeutschland eine „glückliche Ehe/Partnerschaft“ als wichtigstes Lebensziel. Die Kombination von „Erfolg im Beruf“ und „Kinder haben“ sowie das Lebensziel „Sich etwas leisten können“ ist bei älteren ostdeutschen Vergleichs-gruppen stärker ausgeprägt als bei westdeutschen. Diese Werte vertreten ganz offensichtlich nicht nur ostdeutsche Jugendliche, sondern auch Angehörige älterer Generationen in Ostdeutschland. Die Differenz in den wichtigen Lebenszielen ost-und westdeutscher Jugendlicher und Angehöriger älterer Generationen ) st aus den jeweils unterschiedlichen Sozialisationsbedingungen in der DDR und in der (alten) Bundesrepublik zu erklären. Die Probleme, mit denen ostdeutsche Frauen, die bei-des wollen -Familie und Beruf -, heute zu kämpfen haben, werden sich wohl aufgrund der schlechten Arbeitsmarktsituation und des Wegfalls vieler von den Frauen der DDR geschätzten sozialpolitischen Maßnahmen längerfristig nicht lösen lassen.
IV. Auf dem Weg in die neue Gesellschaft: Übergänge von der Ausbildung in das Berufsleben
Abbildung 7
Tabelle 4: Gegenüberstellung von Erwerbsabsichten und subjektiver Einschätzung der Arbeitsmarkt-chancen Ost-und Westdeutscher zwischen 1990 und 1993 Datenbasis: SOEP (1990 bis 1993); eigene Querschnittsberechnungen.
Tabelle 4: Gegenüberstellung von Erwerbsabsichten und subjektiver Einschätzung der Arbeitsmarkt-chancen Ost-und Westdeutscher zwischen 1990 und 1993 Datenbasis: SOEP (1990 bis 1993); eigene Querschnittsberechnungen.
Nachdem dargestellt wurde, wie Jugendliche ihre Lebenssituation „subjektiv“, d. h. aus ihrer persönlichen Sicht, beurteilen, soll nun der Frage nachgegangen werden, wie die Integration ostdeutscher Jugendlicher in den Arbeitsmarkt „objektiv“ verläuft. Zwar kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt und auf Basis der bislang vorliegenden empirischen Ergebnisse keine endgültige Antwort auf diese Frage gegeben werden, aber es soll versucht werden, erste Anhaltspunkte dafür zu finden, wie ostdeutsche Jugendliche die Bewältigung des Übergangs von Nichterwerbstätigkeit und Ausbildung in die Erwerbstätigkeit gelingt.
Vor der Darstellung des objektiven Verlaufs der Erwerbsbiographien ostdeutscher Jugendlicher soll zunächst eine kurze Gegenüberstellung von Erwerbsabsichten und subjektiver Einschätzung der Chancen am Arbeitsmarkt erfolgen. 1. Erwerbsabsichten und Arbeitsmarktchancen Wie aus Tabelle 4 zu entnehmen ist, äußerten 1990 insgesamt 93 Prozent der ostdeutschen Jugendlichen (96 Prozent männliche und 90 Prozent weibliche Jugendliche) die feste Absicht, in Zukunft eine Erwerbstätigkeit aufnehmen zu wollen. Der Anteil derer, die auch in den drei Folgejahren noch dieser Antwortposition zustimmten, hat sich bis 1993 auf 83 Prozent (männliche Jugendliche um 81 Prozent, weibliche Jugendliche um 85 Prozent) reduziert. Dieser Trend ist weniger als rückläufige Erwerbsneigung ostdeutscher Jugendlicher, sondern vielmehr als Ausdruck einer realistischen Einschätzung zu interpretieren, inwieweit eine Erwerbstätigkeit unter den heutigen Bedingungen eines immer knapper werdenden Arbeitsplatzangebotes noch realisiert werden kann. Bei westdeutschen Jugendlichen hatten schon 1990 weniger Jugendliche, insgesamt 80 Prozent, die Absicht geäußert, „auf jeden Fall“ erwerbstätig zu werden. Dieser Anteil betrug im Jahr 1993 noch 78 Prozent, war also relativ stabil.
Kaum Unterschiede zwischen nichterwerbstätigen ost-und westdeutschen Jugendlichen gab es im Frühjahr 1990 bei der Einschätzung, eine geeignete Arbeitsstelle zu finden wäre „schwierig“ oder „praktisch unmöglich“; 66 Prozent bzw. 65 Prozent der männlichen Jugendlichen aus Ost und West sowie jeweils 74 Prozent der weiblichen Jugendlichen befürchteten hierbei Probleme. Während in den beiden Folgejahren der Anteil ostdeutscher Jugendlicher, die ihre Arbeitsmarktchancen schlecht einschätzen, steigt, sinkt er bei westdeutschen Jugendlichen. 1993 hingegen wurden die Arbeitsmarktchancen von ost-und westdeutschen Jugendlichen ähnlich schlecht eingeschätzt: 65 Prozent bzw. 68 Prozent der ost-und westdeutschen männlichen Jugendlichen und 86 Prozent bzw. 83 Prozent der weiblichen Jugendlichen halten es für„schwierig“ oder „praktisch unmöglich“, eine geeignete Stelle zu finden. Damit fällt die Beurteilung der Arbeitsmarktchancen bei ostdeutschen Jugendlichen zwar wieder etwas „optimistischer“ aus als 1991 und 1992, allerdings liegt der Anteil der weiblichen Jugendlichen, die diese Befürchtungen äußerten, ähnlich wie in Westdeutschland weit über dem der männlichen Jugendlichen. Dies entspricht der tatsächlichen Arbeitsmarktlage. 2. Erwerbsverläufe ost-und westdeutscher Jugendlicher Nachdem gezeigt wurde, wie Jugendliche ihre Arbeitsmarktchancen beurteilen, soll nun anhand der Daten des SOEP der Jahre 1990 bis 1994 überprüft werden, wie der Übergang der ostdeutschen Jugendlichen in die Erwerbstätigkeit tatsächlich verlaufen ist (vgl. Tabelle 5). Betrachtet man rückblickend ab 1994 den bis dahin erreichten Ziel-stand des Erwerbsverlaufs ost-und westdeutscher Jugendlicher, der gleichzeitig wichtige Aspekte ihrer Integration in die Gesellschaft widerspiegelt, ergibt sich für die beiden Gruppen folgendes Bild: a) Ostdeutsche Jugendliche Die Prozentanteile von 1991 bis 1994 lassen insgesamt nur wenig Hinweise finden, die für deutlich zunehmende Probleme beim Berufseintritt Jugendlicher sprechen. Von den 1990 noch nicht erwerbstätigen ostdeutschen Jugendlichen war 1991, nach einem Jahr, bereits mehr als jeder vierte erwerbstätig. Dieser Anteil erhöhte sich kontinuierlich bis 1994 auf über 50 Prozent, gleichzeitig ging erwartungsgemäß der Anteil der in Ausbildüng befindlichen Jugendlichen deutlich zurück. Die Zahl der arbeitslos gemeldeten Jugendlichen hat sich bis 1994 insgesamt nur wenig verändert. Eine nennenswerte Gruppe von dauerarbeitslosen Jugendlichen ist über den untersuchten Zeitraum nicht zu erkennen. Die Prozentangaben in Tabelle 5 beziehen sich auf die Verteilung des Erwerbsstatus in den einzelnen Jahren. Die Veränderungen dieser Verteilungen spiegeln jedoch das Ausmaß tatsächlicher Erwerbsübergänge nicht korrekt wider, da in ihnen lediglich der „Endsaldo“ von Ein-und Austritten in einzelne Statuskategorien zum Ausdruck kommt. Betrachtet man die Gesamtheit aller stattgefundenen Statuspassagen im einzelnen, ergibt sich ein detaillierteres Bild über die Struktur individueller Erwerbsverläufe im Untersuchungszeitraum 1994 waren insgesamt 50 Prozent der in die Untersuchung einbezogenen ostdeutschen Jugendlichen erwerbstätig, d. h., der Übergang von der Ausbildung in das Erwerbsleben gelang den meisten Jugendlichen, verlief jedoch nicht für alle reibungslos. Von diesen haben allerdings nur 39 Prozent (42 Prozent männliche und 36 Prozent weibliche Jugendliche) nach ihrer Ausbildung einen „regulären“ Wechsel -ohne eine weitere, erneute Ausbildung bzw. ein Studium oder eine Arbeislosenphase -in das Erwerbsleben vollzogen. 10 Prozent der ab 1991 erwerbstätig gewordenen Jugendlichen blieben bis 1994 auch konstant erwerbstätig. Umgekehrt hatten von den 1994 Erwerbstätigen in den zurückliegenden Jahren 11 Prozent mindestens eine Phase der Arbeitslosigkeit erlebt (12 Prozent männliche und 10 Prozent weibliche Jugendliche).
In Ausbildung waren 1994 noch insgesamt 12 Prozent der Jugendlichen, davon drei Prozent konstant seit 1990, weitere sechs Prozent unterbrachen bzw. beendeten ihr Studium, um dann noch einmal eine Berufsausbildung oder ein anderes Studium zu beginnen. Eine Erklärung dafür könnte sein, daß sich einige dieser Jugendlichen aufgrund der schwierigen Arbeitsmarkt-lage in einer „Warteschleife“ befanden bzw. daß sie nach der Wende die Chance nutzen wollten, nun doch noch ihren Wunschberuf zu realisieren.
Von den befragten Jugendlichen waren 1994 26 Prozent Schüler bzw. Studenten, einschließlich acht Prozent „Dauerstudenten“, die ohne Unterbrechung von 1991 bis 1994 studierten. Fast jeder zehnte heute studierende Jugendliche beendete oder unterbrach seine Berufsausbildung, um danach ein Studium aufzunehmen. Von diesen zehn Prozent der ostdeutschen Jugendlichen erlebten drei Prozent nach der Beendigung ihrer Ausbildung eine Arbeitslosenphase und nahmen ein Studium auf, um ihre Arbeitslosigkeit zu beenden bzw. ihre Arbeitsmarktchancen zu verbessern. Weitere fünf Prozent der 1994 insgesamt 26 Prozent Studenten waren 1991 erwerbstätig, begannen aber in den Folgejahren entweder eine neue Berufsausbildung oder ein Studium.
Arbeitslos gemeldet waren 1994 insgesamt 13 Prozent der ostdeutschen Jugendlichen, d. h., fast jeder siebente männliche und jede neunte weibliche Jugendliche in Ostdeutschland war 1994 ohne Arbeitsplatz. Von diesen 1994 arbeitslos gemeldeten Jugendlichen hatten drei Prozent drei Arbeitslosenphasen (mit oder ohne Unterbrechung) erlebt, fünf Prozent waren bereits zweimal und weitere fünf Prozent mindestens einmal in ihrem Erwerbsverlauf arbeitslos. b) Westdeutsche Jugendliche Bei den westdeutschen Jugendlichen nahmen in einem Zeitraum von vier Jahren insgesamt 52 Prozent der in die Untersuchung einbezogenen Jugendlichen eine Erwerbstätigkeit auf. Von diesen 1993 erwerbstätigen Jugendlichen wechselten 49 Prozent (48 Prozent männliche und 50 Prozent weibliche Jugendliche) nach ihrer Ausbildung regulär in das Erwerbsleben. Nur 13 Prozent der 1990 erwerbstätig gewordenen Jugendlichen blieben bis 1993 auch konstant erwerbstätig. Dieses Teilergebnis entspricht in etwa dem für ostdeutsche Jugendliche festgestellten Erwerbsverlauf. In Ausbildung waren 1993 noch insgesamt 14 Prozent der Jugendlichen, davon ein Prozent konstant seit 1990, weitere acht Prozent unterbrachen bzw. beendeten ihr Studium, um eine neue Berufsausbildung zu beginnen. 29 Prozent der bis 1993 befragten Jugendlichen waren Schüler bzw. Studenten, davon waren 13 Prozent „Dauerstudenten“. Etwa jeder fünfzehnte heute studierende Jugendliche beendete oder unterbrach seine Berufsausbildung, um danach ein Studium aufzunehmen. Von diesen sechs Prozent der westdeutschen Jugendlichen erlebte ein Prozent nach der Beendigung ihrer Ausbildung eine Arbeitslosenphase und nahm dann ein Studium auf, um die Arbeitslosigkeit zu beenden bzw. die eigenen Arbeitsmarktchancen zu verbessern. Weitere sieben Prozent der insgesamt 29 Prozent Studenten 1993 waren 1990 erwerbstätig, begannen aber in den Folgejahrenentweder eine neue Berufsausbildung oder ein Studium.
Arbeitslos gemeldet waren 1993 insgesamt nur fünf Prozent der westdeutschen Jugendlichen, d. h., es waren 1993 drei Prozent der männlichen und sieben Prozent der weiblichen Jugendlichen ohne Arbeitsplatz. Von diesen hatten zwei Prozent bereits zwei Arbeitslosenphasen (auch mit Unterbrechung) erlebt, drei Prozent waren mindestens einmal in ihrem Erwerbsverlauf arbeitslos.
Betrachtet man die hier für ost-und westdeutsche Jugendliche vorgestellten Erwerbsverläufe insgesamt, kommt man zu folgenden gemeinsamen Ergebnissen: 1. Gut der Hälfte der 1990 (Ost) und 1989 (West)
nichterwerbstätigen oder in Ausbildung befindlichen Jugendlichen gelang es, innerhalb des hier betrachteten Vierjahres-Zeitraumes bis 1994 bzw. 1993 erwerbstätig zu werden.
2. Im gleichen Maß wie die Erwerbstätigkeit der Jugendlichen zunahm, nahm erwartungsgemäß vor allem die Zahl derer, die sich noch in der Ausbildung befinden, kontinuierlich ab. Waren es 1990 in Ostdeutschland 38 Prozent und 1989 in Westdeutschland noch 40 Prozent, reduzierte sich dieser Anteil bis 1994 bzw. 1993 auf 12 bzw. 14 Prozent.
3. Ähnlich verhielt es sich mit dem Anteil der Studenten unter den Jugendlichen, der bis 1994 im Osten 26 Prozent und bis 1993 im Westen 29 Prozent betrug. Während aber der Anteil der Studenten im Osten von 1991 nahezu gleich-geblieben ist, kann für Westdeutschland zwischen 1989 (37 Prozent) und 1993 (29 Prozent)
ein leichter Rückgang um acht Prozent festgestellt werden. Möglicherweise beendeten die Studenten in Westdeutschland ihre Ausbildung, um eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, während ostdeutsche Jugendliche nach einer bereits absolvierten Ausbildung noch ein Studium begannen, um sich weiterzuqualifizieren und damit ihre Arbeitsmarktchancen zu verbessern oder auch um sich einen Berufswunsch zu erfüllen, der vor der Wende nicht realisierbar war.
Unterschiede in den Erwerbsverläufen bei ost-und westdeutschen Jugendlichen finden sich hingegen bei der Arbeitslosigkeit.
In der ostdeutschen Untersuchungsgruppe waren jeweils im Jahresdurchschnitt von 1991 bis 1994 zwischen 12 Prozent und 13 Prozent der Jugendlichen von Arbeitslosigkeit betroffen, bei den westdeutschen Jugendlichen waren es 1990 nur drei und 1994 fünf Prozent. D. h. im Jahres-durchschnitt war jeweils etwa jeder fünfundzwanzigste Jugendliche im Westen von Arbeitslosigkeit betroffen, im Osten dagegen jeder achte. Noch deutlicher werden diese Unterschiede, wenn man die Jugendlichen betrachtet, die in dem hier untersuchten Vierjahreszeitraum mindestens einmal arbeitslos waren. In Ostdeutschland war dies zwischen 1990 und 1994 bei rund 30 Prozent aller befragten Jugendlichen zwischen 16 und 27 Jahren (davon 33 Prozent männliche und 26 Prozent weibliche Jugendliche) der Fall. In Westdeutschland hingegen waren es „nur“ neun Prozent der Jugendlichen (acht Prozent männliche und zehn Prozent weibliche Jugendliche), die zwischen 1989 und 1993 mindestens einmal arbeitslos gemeldet waren.
Noch differenzierter wird dieser große Unterschied zwischen ost-und westdeutschen Jugendlichen anhand der Anzahl der Arbeitslosenphasen (vgl. Tabelle 6). In dem hier beschriebenen Untersuchungszeitraum waren insgesamt 70 Prozent der ostdeutschen und rund 90 Prozent der westdeutschen Jugendlichen in ihrem Erwerbsverlauf nie von Arbeitslosigkeit betroffen. Geschlechtsspezifische Unterschiede sind dabei eher gering. Drei Phasen der Arbeitslosigkeit erlebt zu haben, gaben fünf Prozent der ostdeutschen männlichen Jugendlichen an. In Westdeutschland hatten dies weder männliche noch weibliche Jugendliche der Untersuchungsgruppe erlebt. Jugendliche, die zwischen 1991 und 1994 bereits ein-oder zweimal arbeitslos gemeldet waren, gab es in Ostdeutschland fast dreimal so häufig wie in Westdeutschland. Diese müssen im Rahmen des Transformationsprozesses als eine Problemgruppe unter den Jugendlichen lokalisiert werden. Der wichtige Übergang von der Ausbildung in die Erwerbstätigkeit ist ihnen bislang nur unter Schwierigkeiten bzw. noch nicht (wieder) gelungen.
Als wichtigstes Ergebnis der hier auszugsweise referierten Verlaufsanalyse kann damit festgehalten werden, daß bis 1994 bei der überwiegenden Mehrheit der ostdeutschen Jugendlichen keine schwerwiegenden Probleme beim Übergang von der Ausbildung in die Erwerbstätigkeit zu erkennen sind. Dies ist angesichts der anhaltenden Arbeitsmarktkrise in Ostdeutschland von Bedeutung und ein Indiz für die erfolgreiche Integration ostdeutscher Jugendlicher in die neue Gesellschaft. Es darf aber dabei nicht vergessen werden, daß immerhin fast jeder dritte ostdeutsche Jugendliche zwischen 1991 und 1994 bereits die Erfahrung der Arbeitslosigkeit gemacht hat.
V. Ausblick
Abbildung 8
Tabelle 5: Erwerbsverläufe von ost-und westdeutschen Jugendlichen zwischen 1990 und 1994 (Ost) bzw. 1989 und 1993 (West) Datenbasis: SOEP (1989-1994), eigene Längsschnittberechnungen (für 1994 vorläufige Hochrechnung).
Tabelle 5: Erwerbsverläufe von ost-und westdeutschen Jugendlichen zwischen 1990 und 1994 (Ost) bzw. 1989 und 1993 (West) Datenbasis: SOEP (1989-1994), eigene Längsschnittberechnungen (für 1994 vorläufige Hochrechnung).
Wie schnell der Prozeß des Zusammenwachsens der Jugendgeneration Ost-und Westdeutschlands vonstatten geht, hängt ganz wesentlich davon ab, wie die Angleichung der Lebensbedingungen gelingt, da diese überhaupt erst vergleichbare Lebenserfahrungen ermöglicht.
Ein positives Signal auf diesem Weg ist, daß die ostdeutschen Jugendlichen ihre eigene Lebens-situation inzwischen weitgehend optimistisch einschätzen. Sie finden sich zunehmend besser in den neuen gesellschaftlichen Verhältnissen zurecht und machen sich weniger Sorgen um zentrale Lebensbereiche. Das vergleichsweise hohe Ausmaß an subjektivem Wohlbefinden ist sicher günstig für ihren weiteren Integrationsprozeß in die neue Gesellschaft und wird sich wohl auch von den Erfahrungen anderer (älterer) Bevölkerungsgruppen abheben. Die Fähigkeit Jugendlicher, sich rasch auf Neues einzustellen, und ihre hohe Flexibilität helfen ihnen, sich den neuen Bedingungen anzupassen und diese auch anzunehmen. Daß sich diese positiven Ansätze fortsetzen, bleibt zu wünschen.
Beunruhigend ist, daß sich die Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt trotz des anhaltenden Wirtschaftsaufschwungs bislang kaum entspannt hat. Die Gefahr, daß nennenswerte Teile ostdeutscher Jugendlicher nach Beendigung ihrer Berufsausbildung oder ihres Hochschulstudiums zunächst in ein berufliches Vakuum fallen, ist keineswegs gebannt. Die möglichen Folgen von Arbeitslosigkeit haben viele bislang nicht betroffene Jugendliche bereits in ihrem Familienkreis erfahren müssen.
Nicht zu übersehen sind schließlich die ebenfalls auf die Arbeitslosigkeit zurückzuführenden Integrationsprobleme weiblicher Jugendlicher in Ostdeutschland. Weil sich unter den neuen Bedingungen Familie und Berufstätigkeit nur noch sehr schwer verwirklichen lassen, haben die jungen Frauen ihren Kinderwunsch bereits hinausgeschoben. Dessenungeachtet sind sie stärker als ihre männlichen Altersgenossen von Arbeitslosigkeit betroffen.
Kerstin Seiring, Dipl. -Soz., geb. 1966; Studium der Soziologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und an der Freien Universität Berlin; seit 1994 im Rahmen des europäischen „Panel Comparability“ -Projektes (PACO) am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin, tätig.
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