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Zwischen Krieg und Frieden Die Potsdamer Konferenz 1945 | APuZ 28/1995 | bpb.de

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APuZ 28/1995 Von Versailles nach Potsdam Deutsche Frage und internationales System Zwischen Krieg und Frieden Die Potsdamer Konferenz 1945 Die Besatzungspolitik der Alliierten in Deutschland 1945-1949 „Preußen im Westen“. Großbritannien, die Gründung des Landes Nordrhein-Westfalen 1946 und die Wiedergeburt der Demokratie in Deutschland

Zwischen Krieg und Frieden Die Potsdamer Konferenz 1945

Manfred Görtemaker

/ 33 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Potsdamer Konferenz vom 17. Juli bis 2. August 1945 markierte einen Wendepunkt in den Beziehungen zwischen der Sowjetunion und den Westmächten, die seit 1941 in der sogenannten „Anti-Hitler-Koalition“ miteinander verbündet waren. Nach der Machterweiterung der UdSSR im Zuge des Vordringens der sowjetischen Armee in Osteuropa war bereits auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945 erkennbar geworden, daß ein neuer Ost-West-Konflikt bevorstand. Der britische Premierminister Churchill rückte deshalb schon zu dieser Zeit von Vorstellungen einer Zerstückelung Deutschlands und überhöhten Reparationsforderungen ab. Auf der Potsdamer Konferenz setzte sich diese Entwicklung nicht einfach fort, sondern gewann eine neue Qualität. Denn mit Präsident Truman, der im April 1945 den verstorbenen Franklin D. Roosevelt im Weißen Haus abgelöst hatte, führte ein neuer Mann die Verhandlungen, der weniger als sein Vorgänger von Visionen einer gemeinsamen Weltordnung geleitet war, sondern dem Vordringen der Sowjetunion mit Sinn für die Realitäten zu begegnen suchte. Die Zündung der ersten amerikanischen Atombombe am Vorabend des Beginns der Potsdamer Konferenz verlieh dieser neuen Konstellation zusätzliche Dramatik. Das Ergebnis von Potsdam war demzufolge im wesentlichen eine Besiegelung des Status quo. Dies betraf sowohl die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als neue polnische Westgrenze wie auch den Verzicht auf präzise und umfassende Reparationsfestlegungen. Es galt der Grundsatz, daß jede Besatzungsmacht in dem Gebiet, für das sie Verantwortung trug, in der Lage sein sollte, ihre Auffassungen durchzusetzen. Damit wurden die Einflußsphären der UdSSR und der Westmächte festgeschrieben, ohne daß jedoch Optionen für die Zukunft -etwa für eine Wiedervereinigung Deutschlands -verschüttet wurden.

Als der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt zu Beginn des ersten Gipfeltreffens der „Großen Drei“ während des Zweiten Weltkrieges am 28. November 1943 in Teheran den britischen Premierminister Winston Churchill um „einige allgemeine Worte über die Wichtigkeit dieser Zusammenkunft“ bat, entgegnete Churchill ohne Zögern -von seiner eigenen Geschichtsmächtigkeit überzeugt und um treffende Worte nie verlegen dies sei „die gewaltigste Konzentration von Weltmächten, die es je in der Geschichte der Menschheit gegeben“ habe Eineinhalb Jahre später, im Juli 1945, als sich die Regierungschefs der USA, Großbritanniens und der Sowjetunion nach einer weiteren Begegnung in Jalta im Februar 1945 zum dritten Mal versammelten -diesmal vor den Toren Berlins, im Herzen des besiegten Deutschland -, war von der „Konzentration“ nicht mehr viel übrig. Das Bündnis zwischen der Sowjetunion und den Westmächten, das seit dem deutschen Über-fall auf die UdSSR im Juni 1941 bestanden hatte, war brüchig geworden Der Kalte Krieg warf seine Schatten voraus.

Die Berliner Konferenz, die vom 17. Juli bis 2. August 1945 im Großen Saal des Schlosses Cecilienhof zu Potsdam stattfand und deswegen allgemein als „Potsdamer Konferenz“ bezeichnet wird, bedeutete somit einen Wendepunkt in den Ost-West-Beziehungen Der neue amerikanische Präsident Harry S. Truman, der den im April 1945 verstorbenen Roosevelt abgelöst hatte, der sowjetische Diktator Josef Stalin und der britische Premierminister Winston Churchill, der während der Konferenz abgewählt Und durch Clement Attlee ersetzt wurde, bewegten sich in Potsdam mit ihren Außenministern und anderen Mitarbeitern geradezu zwischen zwei Zeitaltern: Die UdSSR hatte durch das Vordringen ihrer Armee in Osteuropa Tatsachen geschaffen, die für lange Zeit nicht mehr revidierbar waren; Großbritannien sah sich zunehmend in die Rolle eines Junior-partners der USA gedrängt; und die USA wichen unter Truman von der sowjetfreundlichen Politik Roosevelts so erheblich ab, daß die oft gegensätzlichen Interessen der UdSSR und der Westmächte in Potsdam weit stärker aufeinanderprallten, als dies in Teheran oder Jalta jemals der Fall gewesen war. Nichts unterstreicht diesen politischen Umbruch mehr als die während der Potsdamer Konferenz von Präsident Truman getroffene Entscheidung, Atombomben über zwei japanischen Großstädten abzuwerfen. Durch den Einsatz dieser neuartigen Waffe, die erst im Juli 1945 erfolgreich getestet worden war, hoffte Truman nicht nur, das Leben einer großen Zahl amerikanischer Soldaten zu retten, die bei einer Invasion der japanischen Hauptinseln voraussichtlich umgekommen wären, sondern er suchte damit auch die UdSSR von einer Besetzung Japans fernzuhalten, um den wachsenden sowjetischen Einfluß wenigstens im Fernen Osten zu begrenzen, nachdem er in Osteuropa bereits zu einer unumstößlichen Tatsache geworden war. Die Absicht Trumans, mit der er nach Potsdam gekommen war, nämlich die Sowjetunion für eine Beteiligung am Krieg gegen Japan zu gewinnen, wurde dadurch in ihr Gegenteil verkehrt: Die UdSSR wurde -schon in Potsdam -nicht länger als Verbündeter, sondern als Rivale begriffen

Die Potsdamer Konferenz steht damit nicht nur für den Beginn des Atomzeitalters, sondern auch für den Anfang der amerikanisch-sowjetischen Bipolarität. Daneben verblassen auf den ersten Blick die zahlreichen anderen Themen, über die in Potsdam ebenfalls beraten wurde und die gleichwohl für die Entwicklung der Nachkriegsordnung von erheblicher Bedeutung waren: die Errichtung eines Rates der Außenminister mit einem gemeinsamen Sekretariat in London, die Verabschiedung von Grundsätzen zur Behandlung Deutschlands, die Reparationsfrage, die „Westverschiebung“ Polens mit der Neufestlegung der polnischen Westgrenze entlang der Oder-Neiße-Linie sowie die Vorbereitung von Friedensverträgen mit Italien, Bulgarien, Finnland, Ungarn und Rumänien.

In all diesen Bereichen -ebenso wie hinsichtlich des Abzuges der alliierten Truppen aus dem Iran und der Revision der 1936 in Montreux geschlossenen Konvention über die Meerengen -wurden die Weichen allerdings nicht erst in Potsdam gestellt. Vielmehr bauten die in Potsdam geführten Verhandlungen auf den in Teheran und Jalta erzielten Ergebnissen auf, wobei vor allem die Entwicklungen seit der Konferenz von Jalta im Februar 1945 für das Verständnis der Potsdamer Konferenz unverzichtbar sind. Sie sollen daher am Beginn der folgenden Abhandlung stehen.

I. Die Vorbereitung der Potsdamer Konferenz

1. Jalta und die Folgen Die Konferenz von Jalta war auf Initiative Präsident Roosevelts einberufen worden und fand vom 4. bis 11. Februar 1945 auf der Krim statt Die Sowjetunion befand sich zu diesem Zeitpunkt -anders als noch während der Konferenz von Teheran im November und Dezember 1943 -politisch gegenüber den Westmächten im Vorteil, da die sowjetischen Armeen inzwischen nahezu ganz Osteuropa -darunter Polen, Bulgarien und Ungarn -überrannt hatten. Damit hatte sich die Machtverschiebung fortgesetzt, die in Teheran schon sichtbar geworden war. Dort war die Sowjetunion nicht nur als gleichberechtigter Partner in den Kreis der Großmächte aufgenommen worden, sondern hatte neben den USA den Rang einer „Welthegemonialmacht“ erhalten, während Frankreich praktisch aus dem Kreis der Führungsmächte ausgeschieden war und Großbritannien sich mit einer begrenzten Rolle an der Seite der USA begnügen mußte.

In Jalta wurde diese Machtverschiebung nun zusätzlich durch die reale politische und territoriale Expansion der Sowjetunion untermauert, wie sich besonders in der Polen-Frage zeigte. Stalin hatte bereits im Juli 1944 das Moskau-orientierte „Lubliner Komitee“ eingesetzt, das eine De-facto-Regierung in dem von der Roten Armee besetzten Gebiet zwischen Weichsel und Bug darstellte und am 1. Januar 1945 in die Polnische Provisorische Regierung umgebildet wurde. Die UdSSR hatte damit eine Situation geschaffen, mit der sich weder die polnische Exilregierung in London noch die britische Regierung abfinden mochten. Eine Beseitigung der neuen Strukturen erwies sich angesichts der militärischen Übermacht der Sowjetunion allerdings als unmöglich, so daß man sich mit dem von Stalin in Jalta gegebenen Versprechen begnügen mußte, die Provisorische Regierung durch einige demokratische Politiker aus Exilkreisen aufzufüllen und „möglichst bald freie und uneingeschränkte Wahlen auf der Grundlage des allgemeinen Wahlrechts und geheimer Abstimmung“ abzuhalten. Nach Aussage Stalins sollte dies sogar schon „in einem Monat“ möglich sein In einer zusätzlich verabschiedeten „Deklaration über das befreite Europa“ wurde die Zusage freier Wahlen noch ein weiteres Mal ausdrücklich bekräftigt. Dafür erkannten die Westmächte im Gegenzug die Provisorische Regierung an. Zugleich wurde die Westverschiebung Polens, die bereits auf der Konferenz von Teheran ins Auge gefaßt worden war, in Jalta bestätigt, wobei der genaue Grenzverlauf im Westen immer noch offenblieb, so daß darüber auf der Konferenz von Potsdam erneut beraten werden mußte.

Präsident Roosevelt, der in Jalta bereits ein vom Tode gezeichneter Mann war, hoffte überdies auf eine Beteiligung der Sowjetunion am Krieg gegen Japan und die Zustimmung Stalins und Churchills zur Gründung einer Weltorganisation der Vereinten Nationen. Tatsächlich gelang es ihm, eine Vereinbarung zur Einberufung eines Vorbereitungstreffens der Großmächte nach Dumbarton Oaks in Washington und der eigentlichen Gründungskonferenz nach San Francisco zu erreichen. Zugleich kündigte er jedoch an, daß die USA ihre globalen Verpflichtungen bald wieder zu reduzieren gedachten. Bemerkenswert war in diesem Zu-sammenhang seine Feststellung, er „glaube nicht, daß amerikanische Truppen länger als zwei Jahre in Europa bleiben würden“ Für die Zusage Stalins zu einer sowjetischen Beteiligung am Krieg gegen Japan, bei dem Militärexperten zu dieser Zeit noch von einer mindestens zweijährigen Dauer der Kämpfe ausgingen, da die Atombombe noch nicht einsatzbereit war, akzeptierte Roosevelt die Ansprüche der UdSSR in der Mandschurei sowie auf Süd-Sachalin und den Kurilen-Inseln.

Für Churchill war diese Politik des amerikanischen Präsidenten, die auch nach dem Ende des Krieges von einem Mindestmaß an Gemeinsamkeit mit der Sowjetunion ausging, allerdings eher beunruhigend. Er befürchtete, daß Großbritannien von den USA mit der Sowjetunion als der künftigen Hegemonialmacht auf dem europäischen Kontinent allein gelassen werden könnte, und rückte deshalb von wesentlichen Positionen ab, die er noch auf der Konferenz von Teheran mit großer Überzeugung vertreten hatte. So lehnte er nun jegliche Zerstückelungspläne für Deutschland ab und brachte außerdem den Vorschlag ein, Frankreich an der Besatzung Deutschlands zu beteiligen, um die Rolle Frankreichs als europäische Großmacht wenigstens teilweise wiederherzustellen. Offenbar dachte Churchill weiterhin in den klassischen britischen Kategorien des europäischen Gleichgewichts und hoffte, durch die Erhaltung der Einheit Deutschlands und die Wiederaufwertung Frankreichs ausreichende Gegengewichte gegen die neue Stärke Rußlands zu schaffen.

Die Unsicherheit über das neue Ungleichgewicht in Europa zugunsten der Sowjetunion prägte auch die in Jalta geführten Diskussionen über die Frage der Reparationen. Zwar erkannten die Westmächte durchaus an, daß die UdSSR verheerende Zerstörungen erlitten hatte, die einer gewissen Kompensation bedurften. Dennoch waren weder Großbritannien noch die USA bereit, auf Kosten einer langfristigen Schwächung Deutschlands einer für die Sowjetunion großzügigen Reparationsregelung zuzustimmen. Man konnte sich in Jalta daher lediglich auf eine allgemeine Bezifferung des Reparationsumfangs in einer Höhe von 20 Milliarden Dollar einigen, wovon etwa 50 Prozent an die Sowjetunion gehen sollten Allerdings handelte es sich bei diesen Zahlen noch nicht um einen endgültigen Beschluß, sondern nur um die Formulierung einer „Diskussionsgrundlage“, über die in einem eigens eingerichteten Reparationsausschuß mit Sitz in Moskau noch weiter beraten werden sollte.

Die Ergebnisse der Konferenz von Jalta spiegelten damit das veränderte politische Klima zwischen Ost und West wider. Die Übereinstimmung, die noch in Teheran geherrscht hatte, war in Jalta einer latenten Spannung gewichen, auch wenn insbesondere Präsident Roosevelt nach wie vor an einer konstruktiven Zusammenarbeit mit der Sowjetunion interessiert war, um das Projekt der Vereinten Nationen nicht zu gefährden. Aber die machtpolitischen Verschiebungen, die sich durch das Vordringen der sowjetischen Armee in Osteuropa und die nachfolgende Ausrichtung der vom Nationalsozialismus befreiten Gebiete auf die Politik der UdSSR ergeben hatten, ließen eine Fortsetzung des Kriegsbündnisses immer weniger zu. 2. Churchills Initiative für ein erneutes Gipfeltreffen und die amerikanischen Sondierungen Als die Spannungen zwischen den Verbündeten im Frühjahr 1945 zunahmen, schlug Churchill am 6. Mai schließlich die Einberufung eines weiteren Gipfeltreffens der Großen Drei vor. Die Konferenz sollte diesmal „auf dem Territorium Deutschlands“ stattfinden, wobei der Premierminister zunächst Jena ins Auge faßte. Als möglichen Termin für den Konferenzbeginn nannte er Mitte Juni Präsident Truman war zwar nicht überzeugt, daß Stalin an einem weiteren Teffen überhaupt interessiert war. Doch Churchill meinte, daß nach der Erringung des Sieges jetzt so viele große Fragen vor den Alliierten lägen, daß es ohne ein persönliches Treffen der Regierungschefs der drei Großmächte unmöglich sein werde, die Spannungen zu beseitigen. Er messe einem erneuten Treffen der Großen Drei daher sehr große Bedeutung zu: Entweder man rede miteinander über die weitete Zusammenarbeit der Alliierten, oder die Welt werde in einen angloamerikanischen Block und ein sowjetisches Lager zerfallen -mit unübersehbaren Folgen für die weitere Entwicklung Entgegen den An-nahmen Trumans stimmte Stalin einem weiteren Gipfeltreffen jedoch sofort zu und bemerkte am 27. Mai in einem Telegramm an Churchill, ein solches Treffen sei wohl „am bequemsten in der Umgebung von Berlin durchzuführen“ Churchill schlug daraufhin den „nächstmöglichen Termin“ für eine Konferenz vor, die „in dem, was von Berlin übriggeblieben ist“, abgehalten werden sollte

Zur Vorbereitung des Treffens entsandte der amerikanische Präsident Sonderbotschafter nach London und Moskau, um die Stimmung zu erkunden und die Linie seiner Administration zu erläutern: Joseph E. Davies reiste nach England, Harry Hopkins in die Sowjetunion Davies war ein unkritischer Bewunderer der Sowjetunion; nun sollte er Churchill gegenüber deutlich machen, daß die neue amerikanische Regierung die britischen Empfehlungen nicht aufgreifen und dem Mißtrauen gegen Rußland keinen Raum geben werde. Offenbar sahen die USA -oder zumindest große Teile der Regierung -eine fortgesetzte Zusammenarbeit mit der Sowjetunion immer noch als wesentlich an. Außerdem wünschte man insbesondere in militärischen Kreisen in Washington eine Kooperation mit der UdSSR, um den Krieg gegen Japan so schnell wie möglich zu beenden.

Die Tatsache, daß ausgerechnet der als naiv prosowjetisch geltende Davies für die Mission nach London ausgewählt worden war, bedeutete indessen für Churchill eine Demütigung Diese war von Truman vielleicht nicht beabsichtigt gewesen, wog aber gerade deshalb um so schwerer, weil sie von Unsicherheit über den neuen Kurs in Washington zeugte. Der Premierminister warnte deshalb in seinen Unterredungen mit Davies vor der Gefahr, daß Stalin „ein neuer Unterdrücker Europas“ werden könne. Mit unverhohlener Abneigung berichtete der Emissär Trumans aus London, Churchill sei „dem Sowjetstaat bitter feindselig gesinnt“. Der Premierminister habe Angst vor einem Rückzug der USA aus Europa, sei dabei jedoch „weniger um den Frieden als um die Stellung Englands besorgt“

Unter gänzlich anderen Vorzeichen stand dagegen die Entsendung von Hopkins nach Moskau. Sie war bereits kurz nach der deutschen Kapitulation von Botschafter W. Averell Harriman in Moskau befürwortet worden. Hopkins war ein erfahrener Diplomat, der schon von Roosevelt wiederholt mit schwierigen Missionen betraut worden war; er genoß deshalb hohes Ansehen. In Moskau ließ Hopkins keinen Zweifel daran, daß sich das politische Klima in Washington verändert hatte So erklärte er unumwunden, das amerikanische Volk sei „ungehalten“ über die russische Entwicklung. Vor allem die Polen-Frage sei für die USA ein Grund zu großer Besorgnis. Im übrigen, so Hopkins, behielten die Prinzipien der Rooseveltschen Außenpolitik auch unter Truman ihre Gültigkeit: Die USA würden sich auch in Zukunft für die Belange der Welt interessieren; eine Beschränkung auf Nord-und Südamerika oder den Pazifik gebe es nicht. Zwischen Roosevelt und Stalin sei darauf geachtet worden, daß die wirtschaftlichen und geographischen Interessen der USA und der Sowjetunion nicht kollidierten. Jetzt komme es darauf an, die neuen Themen der Politik aufzugreifen: die Behandlung Deutschlands und Japans nach dem Kriege, die Abstimmung der Interessen der USA und der Sowjetunion im Fernen Osten, die Errichtung einer internationalen Organisation für Sicherheit und -nicht zuletzt -die Verwirklichung der Jalta-Vereinbarungen zu Polen.

Doch Hopkins warnte Stalin nicht nur vor einer Verschlechterung der amerikanisch-sowjetischen Beziehungen, sondern bekundete zugleich Verständnis für Moskaus Interesse an einer „befreundeten Regierung“ in Polen Im übrigen erweckte der Sonderbotschafter Trumans den Eindruck, daß das Verhältnis der USA zu Großbritannien ebenfalls zu wünschen übriglasse. Hopkins schuf damit eine nicht unwichtige atmosphärische Voraussetzung für das bevorstehende Treffen der Großen Drei. Denn Stalin durfte nach seinen Gesprächen mit Hopkins zumindest hoffen, daß die Politik Roosevelts ungeachtet aller aktuellen Schwierigkeiten im Prinzip fortgesetzt würde

Währenddessen wurden in Deutschland weitere Fakten geschaffen. Am 28. Mai entschied PräsidentTruman, die von amerikanischen Truppen besetzten Gebiete in Thüringen und Sachsen zu räumen und die Streitkräfte in die Besatzungszonen zurückzuziehen, auf die man sich 1944 bei den Verhandlungen der Europäischen Beratenden Kommission in London geeinigt hatte und die in Jalta beschlossen worden waren. Präsident Truman ignorierte damit die Empfehlung Churchills, die amerikanischen Truppen so lange in Mittel-deutschland zu belassen, bis der Alliierte Kontrollrat funktionierte. Truman erklärte dazu in einem Telegramm an Churchill am 12. Juni noch einmal, eine „Verzögerung des Truppenabzugs als diplomatische Waffe“ komme für ihn nicht in Betracht; als Rückzugstermin wolle er der Sowjetunion vielmehr den 21. Juni anbieten. Churchill kommentierte diesen Schritt späte Juni anbieten. Churchill kommentierte diesen Schritt später in seinen Memoiren über den Zweiten Weltkrieg mit den Worten: „Das klang mir wie ein Totengeläut, aber es blieb mir keine Wahl, als mich zu beugen.“ 20 Für den amerikanischen Präsidenten war die Fortsetzung eines konstruktiven Verhältnisses zur Sowjetunion offenbar wichtiger als das Faustpfand der militärischen Kontrolle einiger deutscher Territorien.

Einig war man sich dagegen in Washington und London, die Forderung General de Gaulles und der von ihm vertretenen Französischen Provisorischen Regierung abzulehnen, Frankreich an der geplanten Konferenz in Potsdam zu beteiligen. Zwar hatten die USA und Großbritannien in Jalta ihre bis dahin ablehnende Haltung gegenüber einer Aufnahme Frankreichs in die Reihe der alliierten Siegermächte geändert. Doch die Probleme, die de Gaulle den Westmächten bereitete, weil er nicht nur in Deutschland, sondern auch in Nordwestitalien erhebliche territoriale Ansprüche stellte, ließen die USA und Großbritannien zu der Auffassung gelangen, daß die Anwesenheit einer französischen Delegation bei den Diskussionen in Potsdam eher ein Hindernis als eine Hilfe sein würde. Stalin, der die Rolle Frankreichs im Zweiten Weltkrieg ohnehin nicht besonders positiv beurteilte, war durchaus zufrieden, daß die Westmächte nicht auf der Anwesenheit der Franzosen bestanden. 3. Die inhaltliche Vorbereitung der Verhandlungen Die Briten waren die ersten, die Vorschläge für eine Tagesordnung ausarbeiteten: Bereits am 29. Mai wurde der amerikanischen Regierung ein entsprechendes Memorandum Churchills übermittelt 21. Die Überlegungen der USA kamen dagegen zunächst nur schleppend voran, weil Außenminister Stettinius sich noch auf der Gründungskonferenz der Vereinten Nationen in San Francisco aufhielt. So gab der stellvertretende Außenminister Joseph C. Grew erst am 14. Juni eine Stellungnahme zu den britischen Vorstellungen ab. Ein eigener amerikanischer Entwurf für eine Tages

Ordnung lag sogar erst am 30. Juni vor Bis zum 11. Juli wurden die amerikanischen und britischen Vorschläge nach vorheriger Abstimmung zwischen London und Washington der Sowjetunion in getrennten Memoranden mitgeteilt. Dabei wurde betont, daß man für weitere Themen offen sei. Stalin erhob keine Einwände, legte aber auch keine eigene Tagesordnung vor, so daß Truman und Churchill über das geplante Vorgehen der sowjetischen Seite bis Konferenzbeginn im ungewissen blieben

Aus den von den USA und Großbritannien aufgelisteten Themen ging nicht hervor, daß sich die inhaltlichen Schwerpunkte ihrer Politik seit Teheran und Jalta entscheidend verändert hatten. Im Ansatz war dies auf britischer Seite aber bereits in Jalta deutlich geworden, als Churchill sich einer präzisen Festlegung des Umfangs der Reparationen und vor allem der noch in Teheran einvernehmlich für richtig gehaltenen Zerstückelung Deutschlands widersetzt hatte. Jetzt vollzogen auch die USA diese Richtungsänderung nach. So hieß es in den „Richtlinien für die amerikanische Delegation“ vom 29. Juni 1945, „daß sich die Regierung der Vereinigten Staaten -unabhängig von der Abtretung von Grenzgebieten und der Vornahme von Grenzberichtigungen -gegen die Aufteilung Deutschlands in zwei oder mehr Einzelstaaten erklärt“ Von den in Teheran vorgelegten Rooseveltschen Zerstückelungsplänen war damit nichts mehr übriggeblieben. Auch die USA traten nunmehr für die Erhaltung der deutschen Einheit ein -allerdings weniger aus dem von den Briten angeführten Motiv, ein Gegengewicht gegen die sowjetische Vormacht auf dem europäischen Kontinent zu schaffen, sondern mehr aus Gründen wirtschaftlicher Vernunft.

Die Forderung nach Aufrechterhaltung der deutschen Einheit wurde deshalb mit der Feststellung verknüpft, Deutschland sei „während der Besatzungszeit ... als eine wirtschaftliche Einheit zu betrachten“ In einem beigefügten Memorandum wurde dazu ausdrücklich erklärt, die Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen bedeute nicht die Errichtung eigener wirtschaftlicher Ordnungen der einzelnen Zonen. Vielmehr solle in Deutschland eine einheitliche wirtschaftliche Ordnung erhalten bzw. wiederhergestellt werden, weil nur sie es ermögliche, das deutsche Wirtschaftspotential wirksam zu mobilisieren, die Einfuhren nach Deutschland auf ein Minimum zu beschränken und angemessene Vorkehrungen zur Wahrung eines einheitlichen Lebensstandards auf der Höhe des Existenzminimums zu treffen. Zudem trage eine Wirtschaftseinheit dazu bei, Unterschiede in der Behandlung der deutschen Bevölkerung zu vermeiden und Bemühungen von deutscher Seite vorzubeugen, eine Besatzungsmacht gegen die andere auszuspielen

In einem weiteren Papier, das „Wirtschaftliche Grundsätze“ für die Entwicklung Deutschlands enthielt und später in das Verhandlungsprotokoll der Potsdamer Konferenz Eingang fand, wurde der Handlungsrahmen für die deutsche Wirtschaft im einzelnen abgesteckt. Dabei ließen die amerikanischen Experten erkennen, daß es ihnen vor allem darum ging, die deutsche Währungseinheit zu erhalten und die Finanzierung der deutschen Ein-fuhren zu sichern Offenbar wurden sie von dem Alptraum geplagt, daß eine geteilte, entindustrialisierte und durch Reparationen geschwächte deutsche Wirtschaft nicht mehr in der Lage sein würde, die Bevölkerung zu ernähren, so daß Deutschland dann langfristig auf Hilfe von außen angewiesen wäre. Die USA lehnten daher auch die von den sowjetischen Vertretern in der Alliierten Reparationskommission in Moskau wiederholt vorgetragene Forderung ab, im Sinne der Empfehlung der Konferenz von Jalta Deutschland Reparationen in Höhe von 20 Milliarden Dollar abzuverlangen, wovon 10 Milliarden an die UdSSR gehen sollten. Der amerikanische Delegierte in der Kommission, Edwin W. Pauley, erklärte dazu, eine genaue Festlegung der Reparationsverpflichtung Deutschlands sei so lange unmöglich, bis wenigstens eine vorläufige Abschätzung der Zahlungsfähigkeit Deutschlands erfolgt sei Da diese aber vorerst nicht erfolgen konnte, war eine einvernehmliche Regelung hier auf absehbare Zeit nicht zu erreichen.

Der Konflikt zwischen den USA und der Sowjetunion in der Reparationsfrage zeichnete sich somit frühzeitig ab. Die Briten unterstützten dagegen die amerikanische Position, weil sie zwar am Erhalt von Reparationen und generell an einer Schwächung des deutschen Wirtschaftspotentials interessiert waren, zugleich aber die amerikanische Sorge teilten, daß es notwendig werden könnte, die deutsche Bevölkerung langfristig mit Einfuhren zu versorgen, wenn die deutsche Wirtschaft der Fähigkeit beraubt würde, die Importe selber zu finanzieren. Ein vom Kabinett befürwortetes Memorandum des britischen Schatzkanzlers (Finanzministers) Sir John Anderson hatte dazu bereits am 7. März 1945 festgestellt, daß die Frage der Reparationen an den wirtschaftlichen Interessen Großbritanniens und aller auf den internationalen Handel angewiesener Staaten orientiert sein müsse Die internationale Verflechtung des Handels erfordere es, Deutschland als Handelspartner zu erhalten und deutsche Reparationen „maßvoll“ festzusetzen sowie zeitlich auf höchstens zehn Jahre zu begrenzen. Reparationen dürften überdies erst nach Befriedigung des Inlandbedarfs und der Finanzierung der notwendigen Einfuhren entnommen werden

Diese rein ökonomische Argumentation des britischen Schatzkanzlers ließ jedoch unerwähnt, daß die britische -wie die amerikanische -Abwendung vom Reparationsdenken früherer Jahr vor allem von der zunehmenden Sorge über die Stärke der Sowjetunion bestimmt war. Die Wiederherstellung einer ausreichenden deutschen Wirtschaftskraft wurde damit in erster Linie als Gegengewicht gegen das drohende Übermaß sowjetischer Macht in Europa gesehen. Zugleich wurde der Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft aber auch als Schlüssel für den Wohlstand ganz Westeuropas betrachtet. Ohne Genesung Deutschlands -so hatte die Entwicklung nach dem Ersten Weltkrieg gezeigt -bestand auch kaum Hoffnung auf eine ökonomische Gesundung des übrigen Europa. Die Angst vor dem Kommunismus verband sich daher mit der Furcht vor politisch-wirtschaftlicher Instabilität, die die europäische Ordnung der Zwischenkriegszeit gesprengt hatte.

Die Sowjetunion, die Ende März/Anfang April in Presse und Propaganda ihren Ton gegenüber Deutschland erheblich verändert hatte und praktisch vom Rachegedanken abgerückt war, stand in dieser Frage vor einem Dilemma: Einerseits strebte man einen umfassenden wirtschaftlichen und sozialen Wandel an -etwa die Vergesellschaftung der Industrie und die Beseitigung des Groß-grundbesitzes. Andererseits wünschte man jedoch zugleich hohe Reparationszahlungen aus der deutschen Produktion, so daß man kein Interesse an einer völligen Entindustrialisierung Deutschlands haben konnte. Das Ergebnis waren widersprüchliche Äußerungen sowohl zur Teilung Deutschlands als auch zu dessen wirtschaftlicher Zukunft. Unerschütterlich blieb nur die Forderung Moskaus nach Einhaltung der in Jalta „als Diskussionsgrundlage“ formulierten Reparationszusage in Höhe von 20 Milliarden Dollar. Dies war zugleich eine Reparationshöhe, die sich mit einer politischen Parzellierung Deutschlands nicht vertrug. Auch die So-wjetunion trat deshalb in Potsdam für die Einheit Deutschlands ein.

Das Bekenntnis aller drei Siegermächte zur deutschen Einheit schloß Gebietsabtretungen jedoch keineswegs aus. Schon die „Westverschiebung“ Polens machte eine erhebliche Revision der deutschen Grenzen im Osten notwendig. Ostpreußen, Danzig, Oberschlesien und Ostpommern galten von vornherein als Dispositionsmasse, auch wenn endgültige Festlegungen nach amerikanischer und britischer Auffassung einer späteren Friedenskonferenz Vorbehalten bleiben sollten. Hinsichtlich der deutschen Westgrenze stimmten die Westmächte aber mit der Sowjetunion überein, die sehr weitgehenden französischen Forderungen höchstens teilweise zu unterstützen. Um die ohnehin komplizierten Beziehungen zur Provisorischen Französischen Regierung unter General de Gaulle nicht zusätzlich zu belasten, zeigte man sich zwar in bezug auf das Saargebiet kompromißbereit und beim Rheinland unentschieden. Aber eine Abtrennung des Ruhrgebietes kam nach amerikanischer, britischer und sowjetischer Auffassung von Anfang an nicht in Betracht. Dazu war die wirtschaftliche Bedeutung dieser Region zu groß, von der alle zu profitieren hofften: die Briten, weil das Ruhrgebiet in ihrer Besatzungszone lag; die Amerikaner, weil das Gebiet „einen Großmarkt für industrielle Rohstoffe aus vielen Ländern“ darstellte; und die Russen, weil der größte Teil der geforderten Reparationen nur von dort kommen konnte.

Eng verbunden mit der Frage der Gebietsabtretungen war die Thematik der Umsiedlung bzw. Ausweisung der deutschen Bevölkerung oder deutscher Volksgruppen aus den von Deutschland abzutretenden Gebieten. Während die von Churchill am 29. Mai an Präsident Truman übermittelte Tagesordnung als einen Besprechungspunkt das Problem der „Aussiedlung der deutschen Bevölkerung aus Polen und der Tschechoslowakei“ enthielt, stellte der stellvertretende amerikanische Außenminister Grew in seinen Gegenvorschlägen vom 14. Juni zu dieser Frage ausdrücklich fest, daß es „keine Stellungnahme zur Einbeziehung dieser Themen in die Tagesordnung“ geben sollte Offenbar war man auf amerikanischer Seite an einer Behandlung durch die Regierungschefs nicht interessiert.

Doch das Problem war zu schwerwiegend, als daß man es einfach ignorieren konnte. Sowohl die Tschechoslowakei als auch Polen ließen im Juni und Juli 1945 keinen Zweifel an ihrer Absicht aufkommen, die deutsche Bevölkerung auszuweisen bzw. zu vertreiben. Beide Staaten drängten auf eine Erörterung des Problems auf der Potsdamer Konferenz. Die britische Regierung stellte daher am 28. Juni fest, daß es Sache des Alliierten Kontrollrats in Deutschland sein werde, eine Entscheidung darüber zu treffen, wann und in welchen Etappen außerhalb der Grenzen Deutschlands lebende deutsche Minderheiten in Deutschland aufgenommen werden könnten. Diese Frage werde die allgemeine Verwaltung Deutschlands stark beeinflussen. Daher sei ein umfassender Meinungsaustausch notwendig, der auch zu „Dreierbesprechungen auf der bevorstehenden Konferenz“ führen könne

Dieser Auffassung schloß sich Ende Juni auch die amerikanische Regierung an, indem sie bemerkte, daß „die Chefs der alliierten Regierungen ... diese Frage vielleicht in ihrem großen Zusammenhang erörtern (sollten), um für eine ordentliche Lösung des Gesamtproblems der deutschen Minderheiten zu sorgen“ Der amerikanische Kriegsminister Henry L. Stimson legte Präsident Truman allerdings noch am 16. Juli -einen Tag vor Beginn der Potsdamer Konferenz -ein Memorandum vor, in dem er es ablehnte, Verantwortung für die aus den Gebieten östlich von Oder und Neiße umzusiedelnden Deutschen zu übernehmen. Er sei der Ansicht, daß es Rußland obliege, „nachzuweisen, daß entsprechende Vorkehrungen getroffen werden, um für die Millionen Deutschen, die sich jetzt in diesen Gebieten befinden, zu sorgen. Wir müssen eindeutig herausstellen, daß sie nicht in amerikanische Verantwortung abgeschoben werden können.“

Für Präsident Truman stand indessen in Potsdam noch weit mehr auf dem Spiel als das Schicksal der Deutschen. Als er Washington verließ, kam es ihm vor allem auf die Zusage der Sowjetunion zum Kriegseintritt gegen Japan an. Denn für die USA war der Krieg noch keineswegs zu Ende. Der schwerste Opfergang schien sogar noch bevorzustehen, wenn es zur Invasion der japanischen Hauptinseln kam. Die amerikanischen Militärs rechneten mit eigenen Verlusten von mindestens 500000, vielleicht sogar einer Million Soldaten. Der blutige Kampf um Okinawa hatte gerade erst bewiesen, wozu die Japaner fähig waren, wenn es um ihr eigenes Territorium ging. Truman mußte sich daher zwangsläufig um eine gemeinsame Fernost-Politik -aber auch um eine gemeinsame Deutschland-und Europapolitik -mit der Sowjetunion bemühen, weil nur auf diese Weise ein baldiger Abzug der amerikanischen Truppen aus Deutschland und ihre Verlegung nach Asien möglich war, wo sie dringend gebraucht wurden.

Erst der erfolgreiche Test einer amerikanischen Atombombe auf dem Luftwaffenstützpunkt Alamogordo in New Mexico am 16. Juli 1945 änderte diese Situation grundlegend. Unmittelbar danach erklärte der amerikanische Generalstabschef George C. Marshall in einem Gespräch mit Kriegsminister Stimson, nun sei die russische Hilfe im Japan-Krieg nicht mehr wirklich notwendig -und eigentlich auch gar nicht mehr erwünscht

II. Verlauf und Ergebnisse der Konferenz

1. Die Eröffnung Der amerikanische Präsident traf am 15. Juli in Potsdam ein. In seiner Begleitung befand sich unter anderem der neue Außenminister James F. Byrnes. Churchill wurde nicht nur von Außenminister Anthony Eden, sondern auch -für den Fall, daß nach den Unterhauswahlen während der Konferenz ein Wechsel in der britischen Regierung stattfinden würde -von Oppositionsführer Clement Attlee begleitet. Stalin ließ jedoch auf sich warten. Er hatte einen Schwächeanfall erlitten und reiste erst am 17. Juli in Begleitung von Außenminister Wjatscheslaw Molotow mit der Bahn aus Moskau an. Truman und Churchill nutzten die Verzögerung und fuhren am 16. Juli in das zerstörte Berlin. Zu den besichtigten Stätten gehörten Hitlers Reichskanzlei und der Führerbunker. Am Nachmittag des 17. Juli konnte die Potsdamer Konferenz endlich eröffnet werden. Auf Vorschlag Stalins wurde Truman zum Vorsitzenden gewählt. Der amerikanische Präsident präsentierte sogleich einen Vorschlag zur Errichtung eines Rates der Außenminister sowie ein Memorandum mit Grundsätzen zur Behandlung Deutschlands und regte an, daß der Alliierte Kontrollrat für Deutschland gemäß den bereits getroffenen Abkommen unverzüglich seine Tätigkeit aufnehmen sollte 2. Die erste Konferenzphase 17. bis 25. Juli 1945) der Konstituierung der Konferenz begannen am folgenden Morgen die eigentlichen Arbeitssit-zungen. Dabei ging es zunächst um die äußere und innere Neuordnung Deutschlands, um die Verteilung der deutschen Kriegs-und Handelsflotte sowie um das Reparationsproblem. Ausgelöst durch eine Frage Churchills nach der geographischen Bestimmung des Begriffes „Deutschland“, einigten sich die Regierungschefs am 18. Juli nach längerer Diskussion darauf, bei ihren weiteren Beratungen „das Deutschland des Jahres 1937 als Ausgangspunkt zu nehmen“ -also das Deutschland nach dem Versailler Vertrag und vor dem Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich 1938. Diese „Arbeitshypothese“, wie Stalin sie nannte, sollte als eine Definition Deutschlands gelten, bis in einem künftigen Friedensvertrag durch eine Neufestlegung der Grenzen die äußere Gestalt Deutschlands endgültig fixiert werden würde.

Sehr rasch einigte man sich auch über die beiden von Truman in der Eröffnungssitzung vorgelegten Dokumente. Die Errichtung eines Rates der Außenminister war ebenso unstrittig wie der Text über die politischen und wirtschaftlichen Grundsätze, der von den amerikanischen Experten im Vorfeld der Konferenz ausgearbeitet worden war und in dem es nicht nur allgemein um Fragen der Entnazifizierung, Demokratisierung, Entmilitarisierung und wirtschaftlichen Dezentralisierung Deutschlands ging, sondern auch um die Errichtung eines Kontrollsystems, das von den Oberbefehlshabern der Streitkräfte der Vier Mächte -also einschließlich Frankreichs -„nach den Weisungen ihrer jeweiligen Regierungen ausgeübt“ werden sollte, „und zwar von jedem in seiner eigenen Besatzungszone, sowie gemeinsam in ihrer Eigenschaft als Mitglied des Kontrollrats in den Deutschland als Ganzes betreffenden Fragen“

In Verbindung mit dem Prinzip der Einstimmigkeit der Entscheidungen im Alliierten Kontrollrat bedeutete diese Formulierung, daß die einzelnen Besatzungsmächte in ihren jeweiligen Zonen in der Lage sein würden, eigenständig zu agieren, ohne daß der Kontrollrat sie daran hindern konnte. Die spätere Teilung Deutschlands wurde damit indirekt vorbereitet, weil der Zusammenhalt der Besatzungszonen nunmehr von der Bereitschaft der Besatzungsmächte zur Zusammenarbeit abhängig gemacht wurde.

Sehr viel breiteren Raum als die Erörterung die(„Grundsätze“ nahm die Diskussion über die Verteilung der deutschen Kriegs-und Handels-Nach ein. Vor allem Großbritannien und die Sowjetunion waren an den deutschen Schiffen interessiert. Aber auch die USA bemühten sich um einen größeren Anteil, weil sie das deutsche Material noch in ihrem Kampf gegen Japan verwenden wollten. Die Frage wurde schließlich entsprechend einem Vorschlag Stalins entschieden, die deutsche Flotte in drei gleiche Teile aufzuteilen

Unüberwindbar waren die Differenzen dagegen in der Reparationsfrage. Dieses Problem wurde nicht nur in den Plenarsitzungen und in den Zusammenkünften der Außenminister, sondern auch in einem eigens dafür eingesetzten Unterausschuß für deutsche Wirtschaftsfragen erörtert. Der Grund-konflikt bestand darin, daß die Sowjetunion den Reparationen Vorrang vor deutschen Einfuhren geben wollte, während die Westmächte darauf bestanden, daß die Deutschen zunächst einmal ihre Einfuhren selber finanzieren müßten, ehe daran gedacht werden könne, von ihnen Reparationen zu verlangen. In diesem Zusammenhang wurde auch die Frage eines internationalen Gebietes an Rhein und Ruhr unter Vier-Mächte-Kontrolle behandelt. Ein entsprechender Vorschlag wurde dazu von der Sowjetunion am 20. Juli unterbreitet, fand jedoch bei den Westmächten keine Unterstützung

Ein zweiter großer Themenbereich -neben der Neuordnung Deutschlands -war während der ersten Verhandlungsphase die Polen-Frage, wobei es Meinungsverschiedenheiten sowohl über die Stabilisierung der inneren Verhältnisse Polens als auch über die Festlegung der polnischen Westgrenze gab. Die USA trugen in den verschiedenen Gremien wiederholt ihre Kritik an der Sowjetunion wegen der Nichteinhaltung der „Deklaration über das befreite Europa“ vor. Churchill widersetzte sich vehement der Forderung Stalins, der Bitte der polnischen Regierung zu entsprechen und die Oder-Neiße-Linie als polnische Westgrenze zu billigen. Der Premierminister erklärte, es sei für Polen „nicht gut, soviel deutsches Gebiet zu übernehmen“. Außerdem würde dadurch die wirtschaftliche Struktur Deutschlands zerrissen. Und die Umsiedlung von acht bis neun Millionen Deutschen aus diesen Gebieten bedeute „eine schwere moralische Verantwortung“ für die Siegermächte

Als Stalin daraufhin entgegnete, in den von Polen einzunehmenden Gebieten befänden sich gar keine Deutschen mehr, alle seien schon geflohen, beharrte Churchill darauf, die Frage zu klären. Das vorliegende schriftliche Ersuchen der polnisehen Regierung, Polen die Gebiete östlich von Oder und Neiße einfach zu übertragen, lehnte er ebenso ab wie Präsident Truman. Allerdings könne man die Angelegenheit, so Churchill, auch nicht bis zur Friedenskonferenz vertagen, weil sonst in jedem Falle Fakten geschaffen würden. Dazu Churchill wörtlich: „Die Polen würden sich festsetzen und Schritte ergreifen, sich zu alleinigen Herren dieses Gebietes zu machen.“ Schließlich verständigte man sich darauf, eine polnische Delegation einzuladen und anzuhören.

Diese Delegation erhielt am 24. Juli Gelegenheit, ihre Argumente vorzutragen. Sie behauptete, in den von Polen beanspruchten Ostgebieten des Deutschen Reiches lebten nur noch etwa eine bis eineinhalb Millionen Menschen, die alle in das nach der Gebietsabtretung verbleibende Rest-deutschland übersiedeln wollten Am darauffolgenden Tag kam es in der Plenarsitzung der Regierungschefs noch einmal zu einer ausführlichen Diskussion über dieses Problem. Churchill hielt dabei an seinen bereits bekannten Auffassungen fest und führte auch noch einmal bittere Klage über das sowjetische Vorgehen in Ost-und Südosteuropa. Anschließend verließ der Premierminister die Konferenz, um in London das Ergebnis der Unterhauswahlen entgegenzunehmen. Die Sitzungen der Regierungschefs wurden daraufhin unterbrochen, bis die britische Delegation wieder vollzählig war -allerdings ohne Churchill, der die Wahl verloren hatte und Clement Attlee weichen mußte. 3. Die zweite Konferenzphase (26. Juli bis 2. August)

Der Übergang von Churchill zu Attlee bedeutete nicht nur für die britische Politik, sondern auch für die Potsdamer Konferenz einen wichtigen Einschnitt. Churchills überragende Persönlichkeit sowie die Tatsache, daß er seit den dreißiger Jahren -lange bevor er in das Amt-des Premierministers gewählt worden war -gegen Hitler und den Nationalsozialismus gekämpft und während des Zweiten Weltkrieges nicht nur die britische Strategie bestimmt, sondern auch an sämtlichen alliierten Beratungen über die Nachkriegsordnung teilgenommen hatte, waren für seine Rolle auf der Konferenz bestimmend gewesen. Churchill war eine Autorität als Person, auch wenn die britische Weltmachtposition längst im Niedergang begriffen war. Attlee konnte Churchill daher -bei allem guten Willen -nicht adäquat ersetzen. Seine Rolle reichte kaum über bloße Anwesenheit hinaus. Schon während der Konferenzunterbrechung verlagerte sich deshalb das Schwergewicht der Verhandlungen auf Truman und Stalin. Diese Veränderung wurde noch dadurch unterstrichen, daß der amerikanische Präsident am Vortage der Abreise Churchills die sowjetische Delegation über den erfolgreichen Test der ersten Atombombe in der Wüste von New Mexico unterrichtete. Stalin reagierte darauf äußerlich zwar ungerührt mit der Bemerkung, er hoffe, daß die Amerikaner im Krieg gegen Japan von der neuen Waffe guten Gebrauch machen würden, gab aber zugleich die geheime Anweisung, die eigene Atombombenentwicklung zu beschleunigen. Da die Sowjetunion über ihren Spion Klaus Fuchs, der im amerikanischen „Manhattan“ -Projekt mitarbeitete, bereits über präzise Kenntnisse verfügte und auch Kopien der wichtigsten amerikanischen Pläne besaß, war die Zündung einer eigenen sowjetischen Atombombe nur noch eine Frage der Zeit.

Der amerikanische Kriegsminister Stimson, der davon natürlich nichts ahnte, hatte bereits am 21. Juli -fünf Tage nach Erhalt der Nachricht über den erfolgreichen Test -eine Stimmungsveränderung bei Truman bemerkt und dazu notiert, der Präsident habe jetzt „ein völlig neues Gefühl der Zuversicht“ Offenbar glaubte man in der amerikanischen Delegation, daß sich die Gewichte auf der Waagschale der Konferenz zugunsten der eigenen Seite verschoben hätten. War Stalin aufgrund des sowjetischen Vordringens in Osteuropa und seiner Politik der Schaffung vollendeter Tatsachen zunächst im Vorteil gewesen, besaßen die USA nun ebenfalls einen Trumpf, den sie jederzeit ausspielen konnten und der auch von der Sowjetunion schwerlich zu ignorieren sein würde.

Die Unterbrechung der Plenarsitzungen und die durch die Abwesenheit des Premierministers bedingte Schwächung der britischen Delegation führte aber auch dazu, daß sich die amerikanischen und sowjetischen Konferenzteilnehmer am 26. und 27. Juli zu zahlreichen Sondersitzungen trafen, auf denen über die noch ungeklärten Fragen offen diskutiert wurde. Bei einer dieser Sitzungen zwischen den Außenministern Byrnes und Molotow wurden auch die Frage der Westgrenze Polens und das Reparationsproblem nochmals erörtert, wobei Byrnes betonte, daß es das Ziel der USA sei, einen Weg zu finden, der für alle gangbar sei. Vielleicht könne die Lösung darin bestehen, die beiden schwierigen Problemkomplexe miteinander zu verbinden und damit in beiden Bereichen einen Ausweg aus der Sackgasse zu weisen

Als der neue Premierminister Attlee und sein Außenminister Ernest Bevin am frühen Abend des 28. Juli in Potsdam eintrafen, hatten sich die Verhältnisse auf der Konferenz bereits dramatisch verändert. Die entscheidenden Personen waren nun neben Truman und Stalin vor allem Byrnes und Molotow. Die Diskussion über den Kern des Gipfeltreffens spitzte sich am 29. Juli zu, als Truman und Byrnes mit Molotow in Abwesenheit Stalins, der aus gesundheitlichen Gründen erneut pausieren mußte, einen weiteren Versuch unternahmen, den Gordischen Knoten von polnischer Westgrenze und Reparationen zu durchschlagen Das Ergebnis war eine von den USA am 30. Juli unterbreitete Paketlösung, bei der der Sowjetunion drei Vorschläge vorgelegt wurden, die die Westgrenze Polens, die Aufnahme Italiens und der sogenannten „Satellitenstaaten“ Bulgarien, Finnland, Ungarn und Rumänien in die Vereinten Nationen sowie das Reparationsproblem betrafen.

Bei den Reparationen verzichtete die Sowjetunion auf die Fixierung einer genauen Summe, so daß von den in Jalta genannten 20 Milliarden Dollar nicht mehr die Rede. war. Es hieß jetzt nur noch allgemein, die Reparationsansprüche der Drei Mächte und mit ihnen verbündeter Länder sollten aus den jeweiligen Besatzungszonen der Alliierten in Deutschland und aus entsprechenden deutschen Auslandsguthaben gedeckt werden. Zusätzlich zu den Reparationen aus ihrer eigenen Zone sollte die Sowjetunion aus den Westzonen 15 Prozent der Industrieanlagen, die „für eine Friedenswirtschaft unnötig“ waren, erhalten -allerdings im Austausch gegen einen entsprechenden Wert an Nahrungsmitteln und Rohstoffen aus der sowjetischen Zone. Weitere 10 Prozent der Industrieanlagen dieser Art aus den Westzonen sollten ohne Gegenleistung geliefert werden Eine genaue Definition, was „für eine Friedenswirtschaft unnötig“ sei, erfolgte jedoch nicht, so daß weiterer Streit über das anzustrebende Industrieniveau in Deutschland vorprogrammiert war.

Immerhin ließ sich die Sowjetunion auf diese Regelung ein, weil sie sich in ihrer eigenen Zone bedienen und auf ein gewisses Maß an Lieferungen aus den Westzonen rechnen konnte. Vor allem jedoch sah die Paketlösung ein maximales angloamerikanisches Entgegenkommen bei der Festlegung der polnischen Westgrenze vor. Hier hatten die USA ursprünglich einen Grenzverlauf entlang der Oder und der östlichen (Glatzer) Neiße vorge-schlagen, während die polnische Delegation, die am 24. Juli angehört worden war, eine Grenzziehung bis zur westlichen (Görlitzer) Neiße gefordert hatte. Nach den Sonderverhandlungen zwischen Truman, Byrnes und Molotow am 29. Juli war Stalin seinerseits schon kompromißbereit gewesen und hatte den polnischen Staatspräsidenten Boleslaw Bierut zu einem Gespräch empfangen, um ihn zum Einlenken zu bewegen. Die polnische Delegation hatte daraufhin einen neuen Kompromiß vorgeschlagen, der nicht mehr die Lausitzer Neiße, sondern eine Linie entlang der Queis vorsah, die zwischen östlicher und westlicher Neiße verlief Alles dies war nun Makulatur, weil die USA bereit waren, die westliche Neiße als neue polnische Westgrenze hinzunehmen, wenn die UdSSR im Gegenzug der vagen Reparationsregelung zustimmte.

Als die Großen Drei am 31. Juli zu ihrer elften Plenarsitzung zusammentrafen, war der Weg für eine abschließende Beratung der Regierungschefs geebnet. Schon in Aufbruchstimmung, diskutierte man noch einmal ausführlich über die polnische Westgrenze, ehe die Polen am 1. August unterrichtet wurden und die Außenminister den Auftrag erhielten, die noch offenen Detailfragen zu klären. In der zwölften Plenarsitzung am Nachmittag des 1. August wurden in einer rasch abgewickelten Tagesordnung nochmals kleinere Themen behandelt, ehe man am späten Abend desselben Tages zur dreizehnten und letzten Vollsitzung der Konferenz zusammentrat, auf der absatzweise das vom Protokollausschuß unter dem Vorsitz von Andrej Gromyko erstellte Protokoll verlesen und lange nach Mitternacht, also am 2. August 1945, unterzeichnet wurde. Damit war die Potsdamer Konferenz beendet.

Es sollte, so die Absicht der Teilnehmer, nicht das letzte Gipfeltreffen der Großen Drei sein. Präsident Truman schloß die Zusammenkunft mit dem Wunsch, daß das nächste Treffen in Washington stattfinden möge. Doch dazu kam es nicht mehr. , Der Kalte Krieg ließ eine Fortsetzung der Beratungen nicht zu. Erst ein Jahrzehnt später, im Juli 1955, trafen die Regierungschefs erneut zusammen, diesmal in Genf und mit Beteiligung Frankreichs. Von den Staatsmännern, die in Potsdam die Verhandlungen geführt hatten, war zu diesem Zeitpunkt jedoch niemand mehr im Amt. Eine neue Ära hatte begonnen.

III. Bewertung und historische Einordnung

Die historische Bedeutung der Potsdamer Konferenz liegt zweifellos mehr im politischen als im juristischen Bereich. Zwar ist später oft vom „Potsdamer Abkommen“ die Rede gewesen. Ein solches Abkommen hat es jedoch nie gegeben. Über die Konferenz wurde von den Alliierten lediglich eine „Mitteilung“ herausgegeben, die als Ergänzungsblatt Nr. 1 im Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland veröffentlicht und später allgemein fälschlich als „Potsdamer Abkommen“ bezeichnet wurde. Die Mitteilung ist praktisch eine Kurzfassung des von den Regierungschefs der Drei Mächte unterzeichneten „Protokolls“, das noch auf den 1. August 1945 datiert ist, obwohl es erst am 2. August, kurz nach Mitternacht, unterschrieben wurde. Die Ortsangabe lautet im übrigen nicht Potsdam, sondern Berlin, weil die Konferenz offiziell als „Konferenz von Berlin“ geführt wurde.

Die Formulierungen in diesem Protokoll sind in vielen Fällen unbestimmt und vage. Sie waren damit Ausdruck der 1945 einsetzenden Spannungen zwischen Ost und West, die bald zu einem Kalten Krieg eskalierten. Für Deutschland war dies vermutlich ein Glücksfall, weil ein einheitliches Vorgehen der Alliierten, wie es sich in Teheran und teilweise sogar noch in Jalta gezeigt hatte, mit großer Wahrscheinlichkeit zu eindeutigeren und für Deutschland nachteiligeren Regelungen geführt hätte. Der Rachegedanke, der angesichts der nationalsozialistischen Verbrechen mehr als verständlich war, hätte den Deutschen nicht nur hohe Reparationen auferlegt, sondern vielleicht auch die dauerhafte Zerstückelung Deutschlands heraufbeschworen. Zwar war Churchill schon in Jalta von dieser Position abgewichen, weil er ein einheitliches Deutschland als Gegengewicht gegen das dramatisch erstarkte und nach Westen ausgedehnte Rußland brauchte. Aber erst in Potsdam erhielt der britische Premierminister dafür die erforderliche Hilfestellung des amerikanischen Präsidenten, da Truman die idealistischen Weltordnungsvisionen seines Vorgängers Roosevelt nicht mehr uneingeschränkt teilte, sondern eine eher nüchterne und pragmatische Realpolitik betrieb. Auch in dieser Hinsicht bedeutete Potsdam somit einen Wendepunkt, weil die Westmächte sich nun auf eine gemeinsame Linie gegenüber der Sowjetunion verständigten.

Das Ergebnis waren Vereinbarungen, die nur noch eine vorübergehende Stabilisierung des Status quo mit sich brachten. Die Sowjetunion hatte ihren Einflußbereich in Ost-und Südosteuropa militärisch gesichert und wurde in dieser Position in Potsdam bestätigt. Die Westmächte andererseits konnten von der UdSSR nicht gezwungen werden, sich auf eine internationale Kontrolle des Ruhrgebietes oder auf Reparationsregelungen einzulassen, die für die Sowjetunion entscheidende Vorteile gebracht hätten. Insofern bestand der logische Kompromiß in der „Paketlösung“, die von der amerikanischen Delegation am 30. Juli vorgeschlagen und von der Sowjetunion sofort akzeptiert wurde.

Alle anderen Forderungen und Bestimmungen des Potsdamer Protokolls waren dagegen kaum mehr als Rhetorik. Die Regierungschefs werden sich, in ihre jeweiligen Hauptstädte zurückgekehrt, schon nicht mehr daran erinnert haben. Nur wenn es politisch opportun erschien, gedachte man später der einen oder anderen Formulierung, um sie propagandistisch zu nutzen und öffentlichkeitswirksam zu verwenden. Tatsächlich bedeutete der Verzicht auf „endgültige Regelungen“ im Potsdamer Protokoll, daß sowohl die Teilung als auch die Wiedervereinigung Deutschlands denkbare Optionen blieben, bis der deutsche Einigungsprozeß 1989/90 und der „Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland“ vom 12. September 1990 einen Schlußstrich unter dieses Kapitel der Nachkriegspolitik setzten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zit. nach: Alexander Fischer (Hrsg.), Teheran, Jalta, Potsdam. Die sowjetischen Protokolle von den Kriegskonferenzen der „Großen Drei“, Köln 1968, S. 22.

  2. Siehe hierzu jetzt Valentin Falin, Zweite Front. Die Interessenkonflikte in der Anti-Hitler-Koalition, München 1995. Vgl. ferner Viktor Issraelian, Die Antihitlerkoalition. Die diplomatische Zusammenarbeit zwischen der UdSSR, den USA und England während des Zweiten Weltkrieges 1941-1945, Moskau 1975.

  3. Die Literatur zur Potsdamer Konferenz ist nach wie vor überschaubar. Unter den Darstellungen sind vor allem zu nennen: Herbert Feis, Between War and Peace. The Potsdam Conference, Princeton (N. J.), 1960; Ernst Deuerlein, Deklamation oder Ersatzfrieden? Die Konferenz von Potsdam 1945, Stuttgart u. a. 1970; Alfons Klafkowski, The Potsdam Agreement, Warschau 1963; Charles L. Mee, Meeting at Potsdam, London 1975; Wolfgang Benz, Potsdam 1945. Besatzungsherrschaft und Neuaufbau im Vier-Zonen-Deutschland, München 1986; V. N. Beleckij, Potsdam 1945. Istorija i sovremenost’, Moskau 19872; Michael Antoni, Das Potsdamer Abkommen -Trauma oder Chance? Geltung, Inhalt und staatsrechtliche Bedeutung, Berlin 1985; Fritz Faust, Das Potsdamer Abkommen und seine völkerrechtli-

  4. Vgl. Gar Alperovitz, Atomic Diplomacy. Hiroshima and Potsdam, New York 1965, passim. Neuerdings auch Peter Auer, Von Dahlem nach Hiroshima. Die Geschichte der Atombombe, Berlin 1995, S. 243ff.

  5. Siehe hierzu ausführlich Diane Shaver Clemens, Jalta, Stuttgart 1972.

  6. A. Fischer (Anm. 1), S. 187 u. 157.

  7. Ebd., S. 113.

  8. Als Stalin auf der zweiten Sitzung der Konferenz am 5. Februar die bereits in Teheran diskutierte Frage der Auf-gliederung Deutschlands aufwarf, plädierte Churchill dafür, die Angelegenheit an eine „Zerstückelungskommission“ zur Beratung weiterzuleiten -und sie damit diplomatisch vornehm zu beerdigen. Im einzelnen erklärte Churchill, er sei „prinzipiell mit einer Aufgliederung Deutschlands einverstanden“, doch sei „das Verfahren der Grenzziehung zwischen den einzelnen Teilen Deutschlands an sich zu kompliziert, um diese Frage hier innerhalb von 5 bis 6 Tagen zu lösen“. Es sei „ein sehr sorgfältiges Studium der historischen, ethnographischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten erforderlich“, so daß es sich empfehle, diese Frage „in einem Unterausschuß oder in einem Ausschuß“ zu beraten. Zit. nach: A. Fischer (Anm. 1), S. 107f.

  9. Vgl. Protokoll über die Verhandlungen der drei Regierungschefs auf der Krim-Konferenz zur Frage von Reparationen in Form von Naturalleistungen aus Deutschland, 11. Februar 1945. Zit. nach A. Fischer (Anm. 1), S. 193.

  10. Vgl. Winston S. Churchill, Der Zweite Weltkrieg, Bd. VI, 2. Buch: Der Eiserne Vorhang, Bern 1954, S. 180.

  11. Vgl. ebd., S. 386.

  12. Briefwechsel Stalins mit Churchill, Attlee, Roosevelt und Truman 1941-45, Berlin 1961, S. 443.

  13. Ebd., S. 444. Ferner Vojtech Mastny, Moskaus Weg zum Kalten Krieg. Von der Kriegsallianz zur sowjetischen Vormachtstellung in Osteuropa, München-Wien 1980, S. 340.

  14. Vgl. hierzu u. a. H. Feis (Anm. 3), S. 97ff. und 124ff.

  15. Vgl. V. Mastny (Anm. 13), S. 341.

  16. H. Feis (Anm. 3), S. 126.

  17. Siehe hierzu ausführlich W. Averell Harriman/Elie Abel, In geheimer Mission. Als Sonderbeauftragter Roosevelts bei Churchill und Stalin 1941-1946, Stuttgart 1979, S. 361 ff.

  18. Zu den Gesprächen zwischen Hopkins und Stalin über Polen siehe auch H. Feis (Anm. 3), S. 102ff.

  19. Vgl. Hermann Graml, Die Alliierten und die Teilung Deutschlands. Konflikte und Entscheidungen 1941-1948, Frankfurt am Main 1985, S. 81.

  20. Vgl. H. Feis(Anm. 3), S. 155.

  21. Vgl. ebd.

  22. Vgl. E. Deuerlein, Deklamation oder Ersatzfrieden? (Anm. 3), S. 102.

  23. Foreign Relations of the United States. 1945. The Conference of Berlin (Potsdam), Vol. I, Washington (D. C.), 1960, S. 606f.

  24. Ebd., Vol. I, S. 447ff.

  25. Vgl. ebd.

  26. Vgl. E. Deuerlein, Deklamation oder Ersatzfrieden?

  27. Vgl. The Conference of Berlin (Anm. 24), Vol. I, S. 507 ff.

  28. Vgl. H. Graml (Anm. 19), S. 82f.

  29. Vgl. ebd.

  30. Vgl. The Conference of Berlin (Anm. 24), Vol. I, S. 164ff.

  31. Vgl. ebd., Vol. I, S. 644f.

  32. Ebd., Vol. I, S. 743ff.

  33. Ebd., Vol. II, S. 754ff.

  34. Vgl. H. Feis (Anm. 3), S. 180.

  35. Vgl. A. Fischer (Anm. 1), S. 199ff.

  36. Ebd., S. 215.

  37. Mitteilung über die Berliner Konferenz der drei Mächte, 2. August 1945, in: A. Fischer (Anm. 1), S. 393.

  38. Vgl. ebd., S. 223ff.

  39. Vgl. The Conference of Berlin (Anm. 24), Vol. II, S. 183f.

  40. Ebd., Vol. II, S. 244ff. Siehe auch A. Fischer (Anm. 1), S. 269 ff.

  41. The Conference of Berlin (Anm. 24), Vol. II, S. 245.

  42. Vgl. ebd., Vol. II, S. 335f.

  43. Zit. bei G. Alperovitz (Anm. 4), S. 141.

  44. Vgl. The Conference of Berlin (Anm. 24), Vol. II,

  45. Vgl. ebd., Vol. II, S. 471 ff.

  46. Vgl. Mitteilung über die Berliner Konferenz der drei Mächte (Anm. 38), S. 397f.

  47. Vgl. The Conference of Berlin (Anm. 24), Vol. II, S. 1539. Vgl. hierzu auch Carsten Lilge, Die Entstehung der Oder-Neiße-Linie als Nebenprodukt alliierter Großmacht-politik während des Zweiten Weltkrieges, Frankfurt am Main 1995, passim.

Weitere Inhalte

Manfred Görtemaker, Dr. phil., geb. 1951; Professor für Neuere Geschichte an der Universität Potsdam. Veröffentlichungen u. a.: Die unheilige Allianz. Die Geschichte der Entspannungspolitik 1943-1979, München 1979; (zus. mit Arnulf Baring) Machtwechsel. Die Ära Brandt-Scheel, Stuttgart 1982; Deutschland im 19. Jahrhundert. Entwicklungslinien, Opladen 19944; (zus. mit Gerhard Wettig) USA-UdSSR. Dokumente zur Sicherheitspolitik, Opladen 1987; Unifying Germany 1989-1990, New York 1994.