Ausländische Kinder und Jugendliche in der Bundesrepublik -mehrheitlich Kinder der ehemals angeworbenen „Gastarbeiter“ -waren in der Vergangenheit hinsichtlich ihrer Bildungs-wie Ausbildungschancen gegenüber ihren deutschen Altersgenossen deutlich benachteiligt. Mangelnde Sprachkompetenz, aufrecht-erhaltene Rückkehrabsichten der Eltern, kulturelle Distanz zu den Wertvorstellungen einer fortgeschrittenen Industriegesellschaft, aber auch geringer Bildungsgrad der Eltern waren nur einige aus einem komplexen Geflecht von Faktoren, die einem erfolgreichen Durchlaufen des deutschen Bildungssystems und der Aufnahme einer Berufsausbildung im Wege standen. Nicht zuletzt mit Hilfe einer Vielzahl und Vielfalt an Förderprogrammen konnten hier Defizite abgebaut und teilweise beachtliche Erfolge erzielt werden. Doch insgesamt sind noch Rückstände zu verzeichnen, kann der erreichte Zustand nicht als zufriedenstellend bewertet werden. Der Zuzug von Ausländem nach Deutschland hält an. Kinder von Asylbewerbern und Flüchtlingen aus Kriegs-und Krisengebieten stellen die Bildungspolitik vor neue Aufgaben. Ihre zumindest zeitweise Integration in das deutsche Bildungs-, Ausbildungs-und Beschäftigungssystem erfordert Phantasie und weitere Anstrengungen. Doch ein höherer Bildungsgrad der Zuwanderer steigert letztlich auch ihre Akzeptanz bei der einheimischen Bevölkerung.
Derzeit leben im Bundesgebiet (West) mehr als 1, 3 Millionen ausländische Jugendliche im Alter zwischen 15 und 25 Jahren. Die Mehrheit von ihnen sind Kinder der in den fünfziger, sechziger und frühen siebziger Jahren aus den Anrainerstaaten des Mittelmeeres angeworbenen ausländischen Arbeitnehmer; viele von ihnen sind bereits hier geboren. Ihre Anwesenheit in Deutschland ist im wesentlichen eine Folge der Arbeitsmarktpolitik und später der Ausländerpolitik jener Jahre Aber auch die wirtschaftliche und politische Situation in den Herkunftsländern förderten die Migrationsbereitschaft, führten dazu, daß die zeitliche Perspektive für die Rückkehr immer wieder revidiert wurde. Zu den Nachkommen der Arbeitsmigranten gesellen sich Kinder von Flüchtlingen aus Kriegs-, Krisen-und Armutsregionen in aller Welt, die mit den Zuwanderungswellen der achtziger und neunziger Jahre nach Deutschland kamen.
I. Ungeplanter Daueraufenthalt
Der Arbeitsaufenthalt der angeworbenen Ausländer in der nach dem II. Weltkrieg gegründeten Bundesrepublik Deutschland sollte zeitlich befristet sein, gewissermaßen zur Deckung eines vorübergehenden Spitzenbedarfes an Arbeitskräften dienen.
Die Regierungen der Entsendeländer sahen darin eine Qualifizierungsmöglichkeit für ihre Staatsbürger und erwarteten bei deren Rückkehr einen Zuwachs an harten Devisen und eine Art Technologietransfer. Das Interesse der damals in Deutschland als „Gastarbeiter“ bezeichneten Wanderarbeiter selbst galt dem schnellen Gelderwerb für den Aufbau einer gesicherten Existenz in der Heimat. Doch die jeweiligen Vorstellungen gingen nicht auf:
In den Entsendeländern haben sich die wirtschaftlichen Hoffnungen nicht erfüllt. Sie waren nicht in der Lage, den Rückkehrern quantitativ ausreichende und qualitativ passende Arbeitsplätze anzubieten und so das erworbene Know-how der Rückkehrer zu nutzen. Viele Wanderarbeiter konnten ihr gestecktes Sparziel nicht im gewünschten Zeitraum realisieren und mußten die geplante Rückkehr hinausschieben. Und in der Bundesrepublik wurde bald deutlich, daß die Beschäftigung von Ausländem nicht allein eine Angelegenheit des Arbeitsmarktes war, sondern auch humanitäre Verantwortung erforderte.
Als 1973 eine wirtschaftliche Rezession mit hoher Arbeitslosigkeit drohte, beschloß die damalige sozialliberale Bundesregierung, den weiteren Zuzug von ausländischen Arbeitskräften aus Nicht-EG-Staaten nicht mehr zuzulassen und verfügte am 23. November 1973 den sogenannten Anwerbestopp
Der Anwerbestopp markiert einen Wendepunkt in der Ausländerbeschäftigung und bewirkte eine Strukturverschiebung in der ausländischen Bevölkerung. Er beendete die Zeit der organisierten Anwerbung; gleichzeitig kehrten in den Folgejahren viele ausländische Arbeitnehmer in ihre Heimatländer zurück (1973 bis 1978 etwa 740000 Arbeitnehmer); die Ausländerbeschäftigung sank von etwa 2, 6 Millionen im Jahre 1973 auf knapp 1, 6 Millionen 1985. Der Anwerbestopp beendete jedoch nicht die Zuwanderung, denn davon nicht betroffen war der Nachzug von Ehegatten und minderjährigen Kindern der in der Bundesrepublik lebenden Ausländer. Vor allem gegenüber den Türken als größte Ausländergruppe versagte der Anwerbestopp als Steuerungsinstrument. Nach geltendem Ausländerrecht wäre ihnen im Fall der Rückkehr eine Wiedereinreise in der Regel nicht mehr möglich gewesen. Zum anderen boten die wirtschaftliche Entwicklung mit anhaltend hoher Arbeitslosigkeit und die politische Situation in der Türkei keine Anreize für eine endgültige Rückkehr. Auch hatte die Türkei trotz des bekundeten Wunsches nach Rückkehr ihrer Staatsbürger ein Repatriierungskonzept nicht erarbeitet. Die Entwicklung nahm einen unerwarteten Verlauf: Der Anwerbestopp verstärkte die Tendenz zum Dauer-aufenthalt. In Verbindung mit der hohen Geburtenrate stieg die ausländische Wohnbevölkerung rasch an. Die Vorstellung von der Rückkehr der „Gastarbeiter“ in ihre Heimatländer wurde zu einem historischen Irrtum. Aus „Gastarbeitern“ wurden Dauer-gäste und schließlich Einwanderer. Vor allem türkische Arbeitnehmer blieben und holten ihre Familienangehörigen in die Bundesrepublik nach; die Nationalitätenstruktur verschob sich damit zugunsten der Türken, die seither die stärkste Ausländergruppe stellen.
II. Die bildungspolitische Herausforderung
Abbildung 14
Tabelle 2: Ausländische Auszubildende nach Ausbildungsbereichen und ausgewählten Staatsangehörigkeiten im Bundesgebiet West (1992) Quelle: Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (Hrsg.), Berufsbildungsbericht 1994, Bad Honnef 1994.
Tabelle 2: Ausländische Auszubildende nach Ausbildungsbereichen und ausgewählten Staatsangehörigkeiten im Bundesgebiet West (1992) Quelle: Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (Hrsg.), Berufsbildungsbericht 1994, Bad Honnef 1994.
Der Anwerbestopp hat Konsequenzen für die Lebensperspektive vieler in Deutschland lebender Ausländer -vor allem der Türken -gehabt und die deutsche Ausländerpolitik vor neue Probleme und Aufgaben gestellt. Besondere Herausforderungen entstanden für die deutsche Bildungspolitik, denn unter den zuziehenden Familienangehörigen befanden sich viele Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen Alter. Die Zahl der ausländischen Schüler stieg zwischen 1975 und 1980 um etwa 50000 pro Jahr; der größte Zuwachs entfiel dabei auf die Grund-und Hauptschulen.
Insbesondere die türkischen Eltern brachten in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre ihre Kinder in die Bundesrepublik. Doch nur eine Minderheit von ihnen war problemlos in das deutsche Bildungssystem zu integrieren. 1. Seiteneinsteiger und Pendelkinder Das Problem der schulischen Integration ausländischer Kinder erhielt besondere Akzente durch die Gruppen der Seiteneinsteiger und Pendelkinder. Nicht alle ausländischen Kinder im schulpflichtigen Alter kamen zu Beginn ihrer Schulpflicht nach Deutschland, sondern viele erst nach begonnenem, teils auch beendetem Schulbesuch in der Heimat. Die schulische Situation dieser Kinder war dadurch beeinträchtigt, daß sie nicht über ausreichende Kenntnisse in der deutschen Sprache verfügten, ihre Kommunikationsmöglichkeiten also begrenzt waren. Konfliktsituationen ergaben sich auch aus ihrem im Heimatland erworbenen Sozial-verhalten: Ihre Sozialisation war durch die dortige Kultur geprägt, deutsche Normen und Wertvorstellungen waren ihnen weitgehend unbekannt, unangepaßte Verhaltensweisen häufig die Folge. Mit steigendem Einreisealter hatten sie außerdem noch Probleme damit, ihre soziale Identität zu behaupten. a) Seiteneinsteiger Die Gruppe der Seiteneinsteiger bestand vor allem aus jungen Türken. Viele unter ihnen kamen mit bereits abgeschlossener Schulbildung in die Bundesrepublik Deutschland. Doch sie hatten dann höchstens die fünfjährige Grundschule absolviert. Sie identifizierten sich bereits mit der Kultur und der Gesellschaft des Herkunftslandes. Die Probleme verschärften sich bei den Jugendlichen, die aufgrund ihres Alters vom deutschen Schulsystem spät oder nicht mehr erfaßt werden konnten. Sie wurden dem mit der Übersiedlung verbundenen Kulturschock in der Pubertät ausgesetzt, besaßen nur eine für unsere Gesellschaft unzureichende Schulbildung, hatten keinen Beruf erlernt und sprachen kein Wort Deutsch.
Aber nicht nur diese Defizite standen der Eingliederung der jungen Seiteneinsteiger im Wege. Viele von ihnen brachten auch andere, für eine Berufsausbildung unabdingbare Voraussetzungen im Verhaltensbereich nicht mit. Vor allem mangelte es ihnen an den für eine Ausbildung oder Arbeit notwendigen „Industrietugenden“: Disziplin, Aufmerksamkeit, Konzentrationsfähigkeit und Über-sicht. Diese „Industrietugenden“ sind notwendig für die Existenzfähigkeit in einer fortgeschrittenen Industriegesellschaft; sie werden im Elternhaus, im Kindergarten und im Verlaufe von wenigstens acht Jahren Schulunterricht erlernt. Diese Fähigkeiten sind in den ländlichen Gebieten der Türkei nicht zu erwerben. Die Jugendlichen wurden daher in der Bundesrepublik ständig mit ungewohnten Anforderungen und Normen konfrontiert und sahen sich zunächst einmal in ihren mit dem Leben in Deutschland verbundenen Erwartungen enttäuscht.
Nicht alle ausländischen Kinder, die in Deutschland leben, bleiben während des Arbeitsaufenthaltes ihrer Eltern ohne Unterbrechung hier. Manche werden in das Herkunftsland zurückgeschickt, um dort die Schule zu besuchen und nach Beendigung des Schulbesuches wieder nach Deutschland geholt. Hier werden viele erneut schulpflichtig. b) Pendelkinder Viele ausländische Kinder wurden aber auch zu Pendlern zwischen beiden Ländern: Die Eltern hatten sie angesichts eines zeitlich limitierten Arbeitsaufenthaltes zunächst bei Verwandten in der Heimat zurückgelassen, holten sie dann aber, weil die Rückkehr sich verzögerte, nach Deutschland nach. Konnten sie sich in der Schule nicht eingewöhnen, wozu meist auch durch die lange Trennung bedingte Probleme in der Familie hinzukamen, wurden die Kinder wieder ins Herkunftsland zurückgeschickt und später, nicht selten kurz vor Erreichen der Altersgrenze von 16 Jahren, bis zu der der Nachzug erlaubt war, doch wieder nach Deutschland geholt. Bei diesen „Pendelkindern“ hatte die Persönlichkeitsentwicklung durch den wiederholten Wechsel von Umgebung und Bezugspersonen Schaden genommen, was den Erfolg ihrer Schullaufbahn erheblich beeinträchtigte. 2. Förderungsprogramme Um die Eingliederung der ausländischen Kinder und Jugendlichen in das bundesdeutsche Bildungssystem zu verbessern, wurde auf der Basis von Modellversuchen eine Reihe von Maßnahmen entwickelt, die von den Ländern, Kommunen und freien Trägern durchgeführt und angeboten wurden. Für diejenigen spät einreisenden ausländischen Kinder und Jugendlichen, deren Sprach-und Bildungsdefizite im allgemeinbildenden Schulsystem nicht mehr abgebaut werden konnten, wurden zusätzlich vorbereitende Maßnahmen für die berufliche Eingliederung konzipiert.
Es entstand eine Vielzahl von Förderungsprogrammen, die sich an den spezifischen Defiziten, aber auch an den Sozialisationserfahrungen dieses Personenkreises ausrichteten. Träger waren staatliche Stellen, die Privatwirtschaft, Länder und Gemeinden, Gewerkschaften, Kirchen, die Wohlfahrtsverbände, Privatinitiativen und andere mehr. Ihr vorrangiges Ziel bestand darin, zu vermeiden, daß die jungen Ausländer zu einer Generation von Hilfsarbeitern oder Arbeitslosen heranwachsen. 3. Häufiges Schulversagen Trotz vielfältiger Förderprogramme und Integrationshilfen konnte das schulische Abschneiden der ausländischen Kinder und Jugendlichen erst längerfristig verbessert werden. Ein großer Teil der ausländischen Schüler verließ die Hauptschule nach Beendigung der Vollzeitschulpflicht ohne Abschluß. 1983, als erstmals Statistiken über die Schulabschlüsse ausländischer Schüler Vorlagen, waren es 40, 7 Prozent; für die davorliegenden Jahre gehen Experten von Schätzungen bis zu 60 Prozent aus. Der fehlende Hauptschulabschluß war das ausländerspezifische Bildungsdefizit schlechthin. Hauptursache dafür war der oben beschriebene späte Einstieg in das deutsche Schulsystem. Durch Beobachtungen ist belegt, daß das Erreichen des Hauptschulabschlusses entscheidend von der Verweildauer im deutschen Schulsystem abhängt: Von denjenigen ausländischen Jugendlichen, die das deutsche Bildungssystem von der Einschulung bis zum Ende der Schulpflicht durchlaufen, erreichen ebenso viele den Abschluß wie deutsche Schüler. Mithin sind der Zeitpunkt der Einreise in die Bundesrepublik und der Eingliederung in das deutsche Schulsystem wesentliche Einflußfaktoren für Schulerfolg, wenngleich die Gründe hierfür insgesamt vielschichtig sind.
Ursachen für das schlechte schulische Abschneiden der ausländischen Kinder und Jugendlichen wurden aber auch in den ausländischen Familien ausgemacht: Beengte Wohnverhältnisse, Besuch von muttersprachlichem Unterricht und Korankursen, Heranziehen der Kinder zu Aufgaben der Haushaltsführung gingen bzw. gehen zu Lasten der Erledigung von Hausaufgaben. Zudem können ausländische Eltern aufgrund eigener Bildungsund Sprachdefizite ihren Kindern bei der Erledigung von Hausaufgaben oft nicht helfen
Der Qualifizierte Hauptschulabschluß gilt in unserer Gesellschaft als Mindestvoraussetzung für den Übergang in eine Berufsausbildung und eine dauerhafte Integration in das Beschäftigungssystem. In den Rekrutierungsverfahren der Betriebe sind Schulabschluß und Zeugnisse wesentliche formale Auswahlkriterien.
Das Fehlen des Qualifizierten Hauptschulabschlusses hat ein Scheitern bereits an der untersten betrieblichen Selektionsstufe zur Folge und bedeutet Ausschluß vom beruflichen Bildungssystem. Mißerfolg im allgemeinbildenden Schulbereich setzt sich dann in der persönlichen Biographie als Fehlstart in den Beruf fort. Dieser Fehlstart verweist den Jugendlichen auf an-oder ungelernte Tätigkeiten und zieht in der Regel eine unstabile Erwerbsbiographie mit hohem Beschäftigungsrisiko und häufigen Unterbrechungen durch Arbeitslosigkeit nach sich. Diese Entwicklung war in der Vergangenheit für viele ausländische Jugendliche die Regel
Tatsächlich befindet sich die größte Gruppe der arbeitslosen Ausländer in der Altersklasse 25 bis 30 Jahre, gefolgt von den 20-bis unter 25jährigen; in diesen Altersklassen befinden sich heute die ehemaligen Seiteneinsteiger.4. Erzielte Fortschritte Viele Probleme im Schulunterricht mit ausländischen Schülern konnten in den siebziger und achtziger Jahren erfolgreich gelöst werden, manche wurden mit steigender Aufenthaltsdauer obsolet. Es gibt Daten, die auf eine kontinuierliche Verbesserung der schulischen Situation von Kindern der ersten Ausländergeneration schließen lassen. 1993 war zwar noch immer ein Drittel der Ausländer, die das allgemeinbildende Schulsystem ohne Abschluß verließen, ohne Hauptschulabschluß, doch bezogen auf die Gesamtheit der ausländischen Schulabgänger hat sich das Bild deutlich verbessert. In diesem Jahr hatten -16, 6 Prozent keinen Hauptschulabschluß (1983: 28, 9 Prozent); -34, 8 Prozent einen Hauptschulabschluß (1983: 42, 1 Prozent); -24, 4 Prozent einen Realschulabschluß (1983: 18, 5 Prozent); -11, 5 Prozent die Hochschulreife (1983: 5, 2 Prozent).
Die größten Erfolge liegen im Erreichen des Hauptschulabschlusses, also der Grundvoraussetzung für eine Berufsausbildung. Doch da bei deutschen Schülern das Niveau der formalen Schulabschlüsse in diesem Zeitraum ebenfalls gestiegen ist, konnte der Anschluß an das formale Bildungsniveau deutscher Schüler noch nicht erreicht werden. 5. Die neuen Seiteneinsteiger Die Aufgabe, Kinder ausländischer Herkunft nach Beginn der Schulpflicht in das deutsche Bildungssystem zu integrieren, wird bestehen bleiben und hinsichtlich zahlenmäßiger Größenordnungen und Schwierigkeitsgrad eher noch zunehmen. 1993 zogen insgesamt 144260 Ausländer im Alter unter 18 Jahren nach Deutschland (Nettozuzüge). Unter ihnen war die Mehrheit bosnisch-herzegowinischer Herkunft (25 367), gefolgt von anderen jungen Personen aus dem ehemaligen Jugoslawien (20781) und jungen Türken (7 894).
In dem Maße, in dem Deutschland Ziel ausländischer Zuwanderer und ihrer Familien, auch von Aussiedlem, bleibt, wird es auch Späteinsteiger in das deutsche Bildungssystem geben. Sie werden ebenso verantwortungsvoll gefördert werden müssen wie die Kinder der ehemaligen „Gastarbeiter“.
III. Ausbildung und Beschäftigung
Im gesamten Bundesgebiet lebten Ende 1993 5457000 ausländische Jugendliche im Alter zwischen 15 und 18 Jahren. In diesem Alter können sie in schulischer/beruflicher Ausbildung sein, bereits in Beschäftigung stehen oder auch als arbeitslos registriert sein. Die Gesamtheit dieser jungen Ausländer läßt sich in folgende Teilgruppen aufspalten: -Personen in Einrichtungen des allgemeinen Bildungswesens; -Auszubildende im dualen System oder in vollzeitschulischen Einrichtungen; -sozialversicherungspflichtig Beschäftigte; -mithelfende Familienangehörige Selbständiger; -registrierte Arbeitslose; -Jugendliche, die faktisch arbeitslos, aber nicht gemeldet sind.
Die Situation in Ausbildung und Beschäftigung ist deutlich abhängig von Schullaufbahn und Schulerfolg. Aber auch soziale Faktoren öffnen oder versperren Optionen
1. Ausländer in beruflicher Ausbildung Immer mehr ausländische Jugendliche befinden sich in einer beruflichen Ausbildung. Ihre Zahl ist von 49175 im Jahr 1984 auf 119849 im Jahr 1992 gestiegen, hat sich also in diesem kurzen Zeitraum mehr als verdoppelt (vgl. Tabelle l)
Das Interesse ausländischer Jugendlicher an einer Berufsausbildung ist auch in der Vergangenheit hoch gewesen. In der Repräsentativuntersuchung ’ 80 sagten 82, 2 Prozent der befragten ausländischen Jugendlichen, die in der Bundesrepublik Deutschland eine Schule besucht hatten, daß sie eine Berufsausbildung absolvieren wollten. Doch ihr schulisches und allgemeines Qualifikationsniveau reichte nicht aus, ihnen fehlten wesentliche Voraussetzungen für eine Berufsausbildung. So hatten von den befragten Jugendlichen nur 44, 4 Prozent einen Ausbildungsvertrag tatsächlich abgeschlossen. Auch kann davon ausgegangen werden, daß viele ausländische Jugendliche ohne Hauptschulabschluß sich gar nicht erst um einen Ausbildungsplatz bewarben, sondern unmittelbar nach Schulabgang als Un-oder Angelernte erwerbstätig wurden.
Die Mehrheit der ausländischen Auszubildenden wurde in der Vergangenheit im Handwerk ausgebildet, jedoch mit rückläufiger Tendenz, während das Interesse an einer Ausbildung in Industrie und Handel zunahm. 1992 war erstmals die Ausbildungsbeteiligung ausländischer Jugendlicher in Industrie und Handel (44, 8 Prozent) größer als im Handwerk (43, 6 Prozent). Damit folgen die jungen Ausländer dem Trend der deutschen Jugendlichen (vgl. Tabelle 2).
Freie Berufe (Ärzte, Zahnärzte, Rechtsanwälte) gewinnen an Bedeutung und bieten Chancen gerade für die mehrfach benachteiligten ausländischen Mädchen. Ähnlich wie deutsche haben auch ausländische Jugendliche ihre Traumberufe: Mädeben werden am liebsten Friseurin und Arzthelferin, Jungen bevorzugen eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker oder Elektroinstallateur Die Konzentration auf die Lieblingsberufe wächst: Die Anteile ausländischer Auszubildender sind 1992 in allen Berufen, die bereits hohe Ausländerquoten aufweisen, gegenüber 1991 weiter gestiegen.
Die Ausbildungsbeteiligung wird durch objektive Bedingungen -Ausbildungsstellenangebot, Rekrutierungsmuster, Ausbildungspraxis der Betriebe -entscheidend gesteuert; doch auch soziale Faktoren spielen eine Rolle. Das Bundesinstitut für Berufsbildung fand empirische Korrelationen zwischen der Ausbildungsbeteiligung ausländischer Jugendlicher und -dem Einreisealter; -dem Elternhaus; -den Remigrationsplänen; -dem Schulbesuch; -dem freiwilligen Verzicht auf Berufsausbildung; -der Berufsberatung und Berufsinformation; -den Plänen für Schulabgang
Die Berufswahl der ausländischen Jugendlichen wird auch vom Ansehen des jeweiligen Berufes in der Heimat bestimmt. In allen Herkunftsländern genießen akademische Berufe, mindestens „White-colour-Tätigkeiten“, eine hohe Wertschätzung. Auch Berufe, die in einer selbständigen Existenz ausgeübt werden, besitzen ein hohes soziales Ansehen. Abgelehnt werden abhängige Industrie-tätigkeiten, besonders solche, die mit hoher körperlicher Belastung und negativen Umgebungseinflüssen (Schmutz, Lärm) verbunden sind. Können die akademischen Berufspläne nicht verwirklicht werden, dann wird eine Ausbildung in einem Beruf gewählt, der ein selbständiges Arbeiten oder den Aufstieg in eine Position mit hohem Ansehen ermöglicht und auch im Heimatland ausübbar ist.
Zugenommen hat der Verzicht auf eine Berufsausbildung zugunsten des schnellen Gelderwerbs, er ist bei Jungen besonders häufig. Mädchen verzichten eher auf das Erlernen eines Berufes, weil die Eltern gegenüber einer beruflichen Qualifizierung negativ eingestellt sind, wenn diese in der Heimat nicht üblich ist. 2. Beschäftigungsschwerpunkte Beschäftigungsschwerpunkt ausländischer Jugendlicher ist das Verarbeitende Gewerbe, in dem 40, 2 Prozent der 15-bis 19jährigen und 34, 0 Prozent der 20-bis 24jährigen Ausländer arbeiten.
Das Verarbeitende Gewerbe ist Beschäftigungsschwerpunkt in allen Altersjahrgängen der sozial-versicherungspflichtig tätigen Ausländer, jedoch mit unterschiedlich starker Besetzung. Hier arbeiteten Mitte 1994 noch ---47, 9 Prozent der 45-bis 49jährigen, 49, 8 Prozent der 50-bis 54jährigen und 45, 1 Prozent der 55-bis 59jährigen, also fast die Hälfte derjenigen, die zur Arbeitsaufnahme in der deutschen Industrie angeworben worden waren Für die jüngeren Jahrgänge sinken die Anteilswerte der im Produzierenden Gewerbe Tätigen, während diejenigen für die Wirtschaftsgruppen Handel und Dienstleistungen steigen. Damit folgt die Struktur der Ausländerbeschäftigung tendenziell, wenngleich mit zeitlicher Verzögerung, der Verschiebung der Beschäftigungsstruktur in der deutschen Bevölkerung: Abnahme der Beschäftigung im Produzierenden Gewerbe und Zunahme im Dienstleistungssektor.
Diese Strukturverschiebung wird bei den ausländischen Jugendlichen begünstigt durch ein steigendes Qualifikationsniveau, bessere Sprachkenntnisse und Bestrebungen um beruflichen und sozialen Aufstieg. Deutliche Unterschiede in der Beschäftigungssituation ergeben sich zwischen jungen Männern und jungen Frauen: Von den Männern zwischen 15 und 19 Jahren sind 45, 0 Prozent, von den 20-bis 24jährigen 40, 4 Prozent im Verarbeitenden Gewerbe tätig. Anders bei den jungen Frauen: Von den 15-bis 19jährigen arbeitet hier nur etwa jede sechste (15, 6 Prozent) und aus der nächsten Altersgruppe etwa jede vierte (24, 2 Prozent). Bei den jungen Frauen dominieren Dienstleistungen (54, 0 Prozent beziehungsweise 46, 7 Prozent) und der Bereich Handel (21, 1 Prozent und 17, 9 Prozent).
Im Verarbeitenden Gewerbe beschäftigte junge Männer bevorzugen den Bereich Kfz-Reparatur, worin die hohe Präferenz für die Ausbildung zum Kfz-Mechaniker zum Ausdruck kommt. Hier arbeiten 19, 8 Prozent aller 15-bis 19 jährigen ausländischen Männer, die im Produzierenden Gewerbe beschäftigt sind. Für die älteren ausländischen Beschäftigten spielt dieser Bereich eine eher nachgeordnete Rolle. Anders verhält es sich in der Kfz-Herstellung: Sie ist Beschäftigungsschwerpunkt der über 35jährigen, die vor allem von der Automobilindustrie angeworben und überwiegend in einfachen Montagetätigkeiten eingesetzt wurden. Von den 15-bis 19jährigen Ausländern, die im Verarbeitenden Gewerbe tätig sind, arbeiten nur 9, 5 Prozent in der Automobilherstellung.
Junge ausländische Frauen bevorzugen im Dienstleistungsbereich das Gesundheits-und Veterinär-wesen, das in der Frauenbeschäftigung aller Altersgruppen einen Schwerpunkt bildet.
Bei den jüngeren Frauen finden sich hier die -auch angehenden -Arzthelferinnen. Ältere in diesem Bereich arbeitende Frauen verrichten vermutlich eher Hilfstätigkeiten. Sie sind etwa als Küchenhilfen und Reinigungspersonal in Krankenhäusern angestellt. 3. Arbeitslosigkeit Die Arbeitslosigkeit ist unter ausländischen Jugendlichen (im Bundesgebiet West) höher als unter deutschen: Während von deutschen Arbeitslosen 13 Prozent Jugendliche (unter 25 Jahre alt) sind, sind es bei den Ausländem 18, 8 Prozent. Jeder fünfte ausländische Arbeitslose ist also ein Jugendlicher (Stand: 30. September 1994)". Das Fehlen einer abgeschlossenen Berufsausbildung erweist sich als besonderes Risiko, arbeitslos zu werden: 71, 1 Prozent der arbeitslosen jungen Ausländer haben keine abgeschlossene Berufsausbildung. Allerdings ist die Dauer der Arbeitslosigkeit bei den Jüngeren gering: Über die Hälfte der jungen Ausländer, die Ende September 1994 als arbeitslos registriert waren, war weniger als drei Monate ohne Arbeit. Das bedeutet, daß dieser Personenkreis trotz Qualifikationsdefiziten relativ schnell wieder in Beschäftigung kommt, doch erweisen sich diese Beschäftigungsverhältnisse als wenig stabil und damit nicht integrationsfördernd. Im Nationalitätenvergleich sind besonders junge Türken von Arbeitslosigkeit betroffen: 26, 8 Prozent aller türkischen Arbeitslosen sind Jugendliche unter 24 Jahren.
IV. Fazit
Die Kinder der in den fünfziger, sechziger und frühen siebziger Jahren angeworbenen ausländischen Arbeitnehmer sind in das erwerbsfähige Alter gekommen. Im Gegensatz zu ihren Eltern sehen sie ihren Aufenthalt in Deutschland nicht als arbeitsbedingte Interimsphase des Lebens und als Provisorium, ausgerichtet am Leitbild der Rückkehr. Sie haben sich vielmehr in Deutschland eingerichtet, die Mehrheit will bleiben. Diese jungen Leute orientieren sich an deutschen Normen und Lebenszielen, beherrschen die deutsche Sprache, und viele können nur noch im statistischen Sinn als Ausländer gelten. Die Integration des bleibewilligen Teiles der jungen Ausländer ist in weiten Bereichen gelungen.
Doch Integrationspolitik als gesellschaftliche Aufgabe hat sich damit nicht erledigt; sie muß sich an neue Personengruppen wenden: Aussiedler und Flüchtlinge aus Kriegs-, Krisen- und Armutsregionen wollen in Deutschland leben und arbeiten. Auf Deutschland wie auf die gesamte Europäische Union kommt ein anhaltend hoher Dauerzuzug von Menschen aus Ländern Osteuropas und der Dritten Welt zu. Die Erfahrung mit den ehemaligen Gastarbeitern und ihren Familien hat gezeigt, daß die Eingliederung bleibewilliger Migranten sich mit steigender Verweildauer nicht von selbst ergibt, sondern gezielt gefördert werden muß. Bildung, Ausbildung und Beschäftigung sind wesentliche Stationen auf diesem Weg.
Helga Herrmann, Dr. rer. pol., geb. 1940; Studium der Volkswirtschaftslehre in Münster und Köln; von 1968 bis 1975 im Personal-und Trainingswesen der Ford-Werke AG, Köln; 1975 wissenschaftliche Assistentin im Fachbereich Sicherheitstechnik der Gesamthochschule Wuppertal; 1975 bis 1980 Referentin im zentralen Personalwesen der BMW AG, München; seit 1980 im Institut der deutschen Wirtschaft Köln, Leiterin des Referates bildungspolitische Grundsatzfragen.
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