Umweltschutz im deutschen Betriebsalltag. Eine Bestandsaufnahme in mikropolitischer Perspektive
Martin Birke/Michael Schwarz
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Zusammenfassung
Der Druck auf die Unternehmen, sich einer ökologischen Modernisierung zu unterziehen, wächst. Die Beschränkung auf nachgeschalteten Umweltschutz und entsprechende Umwelttechnik wird zukünftig auch ökonomisch zum Problem. Eine sorgfältig aufeinander abgestimmte Umgestaltung von Produktentwicklung, Verfahrenstechnik, Unternehmens-und Arbeitsorganisation nach ökologischen Kriterien wird erforderlich. Bei der Entwicklung, eines betriebsspezifischen Umweltmanagements stehen die Unternehmensführungen nicht nur vor erheblichen ökonomischen und technischen Umstellungsproblemen, sondern insbesondere vor der Frage, wie Umweltmanagement durch umweltorientierte Organisationsentwicklung als schrittweises Lernen im Unternehmen zu realisieren ist. Anhand von Fallstudien werden verschiedene Strategien und Handlungskonstellationen im betrieblichen Umweltschutz dargestellt.
I. Einleitung
Die Belastungsgrenzen des Ökosystems Erde sind erreicht, in einigen Bereichen sogar bereits überschritten Unter diesen Bedingungen entzieht sich ein Weiterwirtschaften und Konsumieren wie bisher perspektivisch selbst die Grundlagen. Vor diesem Hintergrund ist die Notwendigkeit eines grundlegenden Richtungswechsels wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung kaum mehr ernsthaft zu bestreiten. In Wirtschaft, Gesellschaft und Politik wird die Suche nach Ansatzpunkten und Strategien einer nachhaltigen, dauerhaften, zukunftsfähigen Entwicklung zunehmend zum Motor institutioneller und organisatorischer Innovationen.
Die Ökologisierung der Unternehmen ist sowohl eine unternehmerische Herausforderung als auch ein noch immer ungelöstes Managementproblem Gestiegene Ansprüche an die Produktqualität, verschärfte Umweltschutzbestimmungen, zunehmende Haftungsrisiken und nicht zuletzt der Kostenaufwand des technisch-reparativen Umweltschutzes erhöhen für alle Unternehmen den Druck, integrierte Umweltschutzkonzepte zu entwickeln. Umweitmanagement-Instrumente (wie Umweltinformationssysteme, Ökocontrolling und Ökobilanzen) werden seit Jahren propagiert und auch immer mehr praktiziert. Unterstützt und getragen wird diese Entwicklung bisher durch wissenschaftliche, vor allem betriebswirtschaftliche Analysen, geförderte und prämierte Pilotprojekte sowie durch umweltorientierte Unternehmensverbände. Regelmäßige Umweltbetriebsprüfungen, wie sie die EG-Öko-Audit-Verordnung vorsieht, werden in Zukunft den Anreiz zur Einführung von Umweltmanagementsystemen auf freiwilliger Basis noch erhöhen. Mit der Förderung von Eigeninitiative und -kontrolle im betrieblichen Umweltschutz bringt die europäische Umweltpolitik zusätzlich zu der bisherigen Konzentration auf Grenzwerte, Steuern und Abgaben ein neuartiges Instrumentarium zum Einsatz. Der Schwerpunkt verlagert sich vom technischen, ordnungsbehördlich kontrollierten Umweltschutz auf den organisatorischen Bereich. Kernelemente der Verordnung sind die Verpflichtung zur Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen, zur kontinuierlichen Verbesserung des betrieblichen Umweltschutzes, der darauf ausgerichtete Aufbau eines Umweltmanagementsystems sowie die Veröffentlichung einer Umwelterklärung. Die Unternehmen, die sich freiwillig an dem „Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung“ beteiligen, müssen sich in regelmäßigen Abständen einer externen Prüfung (Auditing) durch zugelassene Umweltgutachter (Auditoren) unterziehen. Überprüfte Betriebe mit anerkanntem Umweltmanagementsystem und gültiger Umwelterklärung erhalten das Recht, ein EG-Umweltemblem in ihrer Firmenpost und -Werbung zu verwenden. Angesichts der Erfahrung jedoch, daß selbst von sogenannten Öko-Pionier-Unternehmen ambitioniert begonnene Pilot-Projekte oftmals auf unterem Niveau der Zielerreichung stagnieren, ist eine mikropolitische Bilanzierung von Implementationsproblemen und (Selbst-) Blockaden im „Normalfall“ des betrieblichen Umweltmanagements dringend erforderlich
II. Praxis des betrieblichen Umweltschutzes
Daß Umweltschutz für deutsche Unternehmen schon seit den siebziger Jahren ein Thema ist und Umwelttechnik zum „made in Germany“ gehört, ist bekannt. Aber es ist kein Geheimnis, daß das Bekenntnis zum integrierten Umweltschutz in einem krassen Mißverhältnis zur unternehmerischen Praxis steht. Clean production ist auch in Deutschland „nur“ Philosophie und noch keine Methode. Obwohl Risikominimierung durch Umweltschutz ebenso wie die ökologische Modernisierung von Produktlinien und Produktionsprozessen auch unter ökonomischen Bedingungen zunehmend wichtig wird, rückt Umweltschutz gerade unter Krisenbedingungen in der Praxis wieder spürbar in den Hintergrund. Von den wenigen, aber immer wieder zitierten ökologischen Pionieren einmal abgesehen gibt es allen Verlautbarungen zum Trotz so etwas wie „Öko-Management“ und Umweltschutz als Unternehmensziel nur ausnahmsweise. Das ist selbst bei der Minderheit der relativ umweltaktiven Betriebe nicht viel anders. Integrierter Umweltschutz setzt sich ganz offensichtlich nur sehr schleppend durch, und genau dies wird kaum thematisiert und kritisch hinterfragt! Der praktizierte betriebliche Umweltschutz ist ganz eindeutig -produktionslastig (d. h. auf den Produktionsprozeß und nicht auf Produktinnovation konzentriert); -techniklastig; -reaktiv (d. h. auf gesetzliche bzw. behördliche Auflagen reagierend); -reparierend (d. h. auf die Beseitigung bestimmter Umweltschäden zielend).
Im technisch-reparativen Umweltschutz lassen sich branchenübergreifend zum Teil deutliche Fortschritte erkennen. Aber die Entwicklung umwelt-verträglicher Produkte und Verfahren spielt ebenso wie organisatorische Maßnahmen nur eine untergeordnete Rolle. Die betriebliche Organisation von Umweltschutz entspricht in der Regel dem gesetzlich vorgeschriebenen Minimalzuschnitt und ist dementsprechend meist als spezielle Funktion oder Institution (Betriebsbeauftragte bzw. Umweltschutzabteilung) vorgesehen, dem betrieblichen Arbeitsschutz-und Arbeitssicherheitsystem angegliedert und bietet kaum realistische Möglichkeiten, innovative Impulse auszustrahlen. Im Mittelpunkt stehen Umweltprobleme, bei denen aus unterschiedlichen Gründen akuter Handlungsbedarf besteht, deren Bearbeitung sich voraussichtlich schnell amortisiert oder die Erschließung neuer und profitabler Marktsegmente erwarten läßt. Im Normalfall wird betrieblicher Umweltschutz auf das Nötigste beschränkt, auf unumstrittene Bereiche und Gegenstände konzentriert, nur insoweit praktiziert, wie dadurch der Arbeitsablauf nicht gestört wird, keine zusätzlichen Kosten entstehen, keine größeren technischen oder organisatorischen Umstellungen erforderlich sind. Aktiver Umweltschutz ist weder bereits zum Sachzwang geworden, noch ist ein verantwortliches und selbstverständliches Umweltmanagement schon Normalität, wie manche Verbände verkünden. Dort, wo Umweltschutz ansatzweise praktiziert wird, hat dies eher den Charakter von Flickwerk als den einer durchgängigen Strategie. Dementsprechend variieren die betrieblichen Strategien im Umweltschutz je nach den betrieblichen Besonderheiten sehr. Sie bewegen sich in dem Spektrum zwischen Ökologie-Ignoranz und integriertem Umweltschutz auf der einen Seite und reaktivem bzw. aktivem Umweltschutz auf der anderen Seite mit einer deutlichen Häufung an den unteren Rändern (siehe Schaubild).
III. Strategien und Handlungskonstellationen im betrieblichen Umweltschutz
Beim Vergleich betrieblicher Fallstudien, die wir im Zeitraum von 1990 bis 1993 im Rahmen eines Forschungsprojektes durchgeführt haben haben wir eine überraschende Verschiedenartigkeit von Anlässen, Potentialen und Verläufen, eine hochgradige Politikhaltigkeit und dementsprechende Ergebnisoffenheit im praktizierten betrieblichen Umweltschutz festgestellt. Betriebswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Überlegungen spielen zwar in jedem Falle eine Rolle, geben aber weder für noch gegen eine Ökologisierung der Betriebe den Ausschlag.
Aus dem Spektrum möglicher Bedingungs-, Akteurs-und Strategiekonstellationen im Umweltschutz haben wir vorgefunden und untersucht: -Umweltschutz unter Bedingungen drohender Betriebsschließung, -Umweltschutz als Standortsicherungs-und Modernisierungsstrategie, -Umweltschutz als patriarchalische Chefsache, -betrieblicher Umweltschutz als profitable Rest-größe, -integrierter Umweltschutz als Ziel und Bestandteil aufgeklärten Managements und moderner Unternehmenskultur.
Die Anlässe für Umweltschutzaktivitäten kommen überwiegend, aber nicht ausschließlich von „außen“. Allerdings gibt es zwischen Art und Qualität der „Außenanforderung“ und der jeweiligen betrieblichen Reaktionsform offenbar keinen eindeutigen Zusammenhang. Strategiebestimmend sind wohl eher Art und Ausmaß der generellen Innovationsbereitschaft und -fähigkeit, die Aktivitäten bzw. Vorstöße einzelner Akteure und die ein-geschliffenen arbeitspolitischen Muster.
Unser Fallbeispiel aus der Chemieindustrie (mittelgroßer Traditionsbetrieb der Grundstoffchemie) zeigt, wie technisch-qualifikatorisch ohne weiteres realisierbare und sogar standortsichernde Umweltschutzaktivitäten in einer über Jahre hinweg aufge-bauten innovationshemmenden Handlungskonstellation des „Lebens von der Substanz“ nicht zum Zuge kommen. Der Betrieb hat sich immer weiter in einer „stofflichen Einbahnstraße“ festgefahren. Umweltschutz wird hier ausschließlich als Kostenfaktor angesehen, und dementsprechend hat sich eine durch und durch widerwillig-reaktive Anpassung an behördlicherseits reklamierte Auflagen und Grenzwerte als Normalfall etabliert.
Die Emissions-und Entsorgungsprobleme setzten integrierte Umwelt-Techniken voraus, mit denen das Management ökonomisch, technisch und qualifikatorisch überfordert ist. Lernprozesse hat das Management in den Umweltkonflikten mit der Gewerbeaufsicht insofern vollzogen, als es sein reaktiv-defensives Verhalten durch konfliktorisches Aussitzen und Aushandeln von Ausnahmegenehmigungen „optimiert“ hat. Intern führt diese Art von Umweltschutz als Chefsache zu einer Konfliktsituation mit dem Betriebsrat, der -allerdings erst unter dem ansteigenden Druck drohender Betriebsschließung -in der verläßlichen Einhaltung von behördlichen Auflagen die Chance einer Standortsicherung und Arbeitsplatzsicherung sieht. Die Überalterung von Management und Belegschaft, extreme Kooperationsprobleme zwischen Chemikern, Verfahrensingenieuren und Betriebswirten haben in Kombination mit einer dringend modernisierungsbedürftigen Produktionstechnik, Arbeitsorganisation und Personalpolitik zu Innovationsblockaden geführt, denen der Betriebsrat und Teile des Managements auch durch ein verspätet entwickeltes „umweltorientiertes Standortsicherungskonzept“ nicht mehr begegnen konnten.
Eine völlig andere -modernisierungsfreundlichere -Situation fanden wir in einem faßherstellenden Betrieb vor, der aufgrund der starrsinnig-innovationsfeindlichen Haltung der ehemaligen Betriebsleitung wegen unzulässiger Emissionen akut von Schließung bedroht war. Die niederländische Konzernleitung beauftragt einen konzernintern geschulten, jungen Manager mit der Realisierung einer ökonomisch tragfähigen, von den Umweltschutzbehörden akzeptierten Sanierung. Immissionsschutz und betriebliches Entsorgungskonzept sind die beiden unverbunden nebeneinander stehenden Bestandteile eines auf externe Anstöße reagierenden Umweltschutzkonzepts, das auf Konflikt-und Kostenminimierung zielt. Eine unabhängig von formalen Zuständigkeiten im betrieblichen Umweltschutz zusammengesetzte Projekt-gruppe kommt zu einer ansatzweise integrierten Sichtweise und ökologischen Bewertung der Betriebs-und Arbeitsabläufe sowie des gesamten Materialflusses. Die Alleinzuständigkeit des Managements für Umweltschutz wird durch die Projekt-gruppejedoch nicht in Frage gestellt, Mitbestimmungsinteressen und Gestaltungsvorschläge des Betriebsrats oder der Belegschaft werden nicht eingebracht. Perspektivisch strebt der Werksleiter eine organisatorische Integration von Umweltschutz auf allen Ebenen, klare Verantwortlichkeiten und breite, aktive Mitwirkung im Rahmen formeller Regelungen und im Sinne umweltgerechten individuellen Verhaltens an.
Eine patriarchalische Variante des Umweltschutzes als eigeninitiative Chefsache haben wir bei einem großen mittelständischen Hersteller von Spezialwalzen gefunden. Das mehr oder minder planvolle Zusammenspiel von Unternehmensführung, betrieblicher Sicherheits-und Expertenkultur hat ein technisch hoch entwickeltes Arbeitsund Umweltschutzsystem entstehen lassen. Ein offensiv praktizierter technischer Umweltschutz ist das Leitbild der zehn Umweltgebote, für die das Unternehmen von einem Arbeitgeberverband eine Anerkennungsurkunde für umweltbewußte Unternehmensführung erhielt. Die Einhaltung der gesetzlichen Normen wird nicht mehr als Existenzgefährdung, sondern als wichtiger und positiver Beitrag zur Existenzsicherung angesehen. Dieser umweltpolitische Fortschritt ist in erster Linie auf die persönliche Motivation und die Umweltleitlinien des Seniorchefs und seine die Unternehmenskultur prägende Rolle zurückzuführen. Beim oberen wie mittleren Management dominiert demgegenüber ein defensives, sich absicherndes Verhalten: Die neuen Umweltschutzziele werden zwar nicht offen abgelehnt, aber auch nicht eigeninitiativ oder mit eigenem produktionstechnischen Erfahrungswissen unterstützt. Der durch den Unternehmenssenior persönlich initiierte Einstieg in eine Betriebsökologie wird nur mit neuen Pro-motoren im Management zu konsolidieren und auszubauen sein.
Eine in Teilbereichen effiziente Mischung aus adaptivem und eigeninitiativem Umweltschutz haben wir in einem mittelständischen Verlags-und Druckunternehmen angetroffen. Mittels hochentwickelter, den vorhandenen Anlagen nachgeschalteter sogenannter End-of-the-pipe-Techniken konnten die Probleme der Emissionen, der Abwässer und Gefahrstoffe über die vorgeschriebenen Grenzwerte hinaus reduziert werden. Dies war Ende der achtziger Jahre Anlaß für eine Anerkennungsurkunde für umweltbewußte Unternehmensführung. Die Reichweite des hier praktizierten Umweltschutzes wird durch die Kriterien: komplikationslose technisch-organisatorische Einführung in den Betriebsalltag und mindestens Kostenneutralität bestimmt. Dementsprechend ist die Entwicklung eines integrierten Umweltschutzsystems nicht beabsichtigt; in dieser Hinsicht gegebene Möglichkeiten wurden beim Neubau eines Druck-zentrums und der Anschaffung einer neuen Rotationsanlage nicht genutzt. Das hängt unter anderem auch damit zusammen, daß der betriebliche Umweltschutz dem institutionalisierten Arbeitsschutzsystem angegliedert und nicht als eigenständiges Aufgabenfeld organisiert wurde.
Eine hochgradig differenzierte und eingebundene Organisation von Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten und Tätigkeitsfeldern im Umweltschutz haben wir in einem großen EDV-Unternehmen vorgefunden. Relativ unabhängig voneinander angestoßen durch marktbezogene Aktivitäten im Bereich Umweltsoftware und -beratung auf der einen Seite und konkrete, auf den Arbeitsalltag bezogene Belegschaftsinitiativen auf der anderen Seite, bemühen sich Geschäftsleitung und Vorstand erfolgreich um eine Einbindung der gesamten betrieblichen Umweltschutzaktivitäten in das unternehmerische Corporate-identity-Konzept. Während die Unternehmensleitung Umweltschutz zu einem Hauptbestandteil der Unternehmensphilosophie ausbaut, einen Umweltbeauftragten, einen Umwelt-Auditor und Umweltteams einsetzt und mehrere betriebliche Umweltgruppen koordiniert, steht der Betriebsrat außen vor und verzichtet erklärtermaßen auf eigene Aktivitäten in diesem Zusammenhang. Völlig unangefochten sind dementsprechend alle Umwelttätigkeitsfelder an dem Ziel orientiert, zusätzliche, die Marktposition verbessernde Kenntnisse und Fähigkeiten aufzubauen und sie in ein neues, profitables Geschäft umzusetzen. In dem näher untersuchten Betrieb ist auch die betriebliche Umweltgruppe de facto bloß Anhängsel des unternehmerischen Umweltschutz-konzepts und nur pro forma eine „Initiative von unten“. Unter arbeitspolitischen Gesichtspunkten läuft diese Variante betrieblichen Umweltschutzes letztendlich auf die Zementierung der Alleinzuständigkeit der Geschäftsleitung hinaus.
IV. Betriebsökologie als Organisationswandel und Lernprozeß
Ganz offensichtlich läßt sich eine Ökologisierung der Betriebe nicht entlang eines bestimmten Entwicklungsmodells planen und strategisch umsetzen. Schon bei technischen Umweltschutzmaßnahmen hat man es vor Ort mit einem spannungsreichen Nebeneinander von Chancen und Risiken, von strukturkonservativen wie innovativen Elementen und Handlungsoptionen zu tun. Die jeweilige Konstellation von entscheidungsrelevanten Akteuren im Betrieb, ihren Interessen, Leitbildern, Fachkompetenzen und ihrem betriebs-politischen Durchsetzungsvermögen prägt Verlauf und Ergebnis der betrieblichen Umweltschutzprojekte. (Selbst-) Begrenzung auf umwelttechnisches Flickwerk ist trotz unterschiedlicher Anlässe, Aktivitäten und Konstellationen in allen Fallbeispielen feststellbar. Dabei spielen weniger offen ausgetragene Interessenkonflikte zwischen ökologischen Promotoren und ihren Gegenspielern als informelle und latente Konflikte eine maßgebliche Rolle.
Wenn in dem bisherigen Stückwerk betrieblicher Umweltschutzmaßnahmen ein „Ökologisierungspfad“ zu erkennen ist, dann ist es die Dominanz von Bastlermethoden und -mentalitäten.
Wie die Diskussion um die Öko-Audit-Verordnung gestiegene Umwelt-, Haftungs-und Produktansprüche sowie eine ökologische Steuerreform signalisieren, wächst der Druck auf die Unternehmen, sich einer ökologischen Modernisierung zu unterziehen. Mit der gemeinhin praktizierten Beschränkung auf nachsorgende Umwelt-reparatur und Einsatz von Umwelttechnik dürfte es zukünftig nicht mehr getan sein. Vielmehr ist eine sorgfältig aufeinander abgestimmte Umgestaltung von Produktentwicklung, Verfahrenstechnik, Unternehmens-und Arbeitsorganisation auch nach ökologischen Kriterien erforderlich. Probleme des Ressourcenverbrauchs, der Immissionen und Abfälle, der Fertigungstiefe, Produktqualität und Produktentsorgung sowie des Transports müssen betriebsintern und betriebsübergreifend neu gelöst werden.
Quer durch alle Branchen und Betriebstypen ist die Bewältigung der damit verbundenen Reorganisations-und Gestaltungsanforderungen das Schlüsselproblem. Ebenso wie die technisch-organisatorische Rationalisierung sind die ökologischen Modernisierungsprozesse vielfältigen Brüchen und Gegentendenzen ausgesetzt. Darüber hinaus geraten sie notwendigerweise mit herkömmlichen Rationalisierungs-und Produktivitätsvorstellungen in Konflikt und erfordern eine grundlegende Veränderung der betrieblichen Sozialbeziehungen. Ansonsten stehen diese einer Ökologisierung der Betriebe entgegen und werden alles, was über kleinere Korrekturen hinausgeht, blockieren. Denn traditionell sind die industriellen Beziehungen ökologieblind Sie sind abgestimmt auf Besitzstandssicherung und Verteilungskonflikte. Die Nutzung der mit Umweltschutzinnovationen verbundenen Chancen erfordert demgegenüber vor allem eine innerbetrieblich verbesserte und funk-tionierende Koordination und Kooperation. Die Integration aller Teilprozesse und Abteilungen ist ein Kernproblem ökologischer Veränderungen im Betrieb. Bei der Entwicklung eines betriebspezifisch abgestimmten Umweltmanagements stehen die Unternehmensführungen deshalb nicht nur vor erheblichen ökonomischen und technischen Umstellungsproblemen, sondern insbesondere vor der Frage, wie Umweltmanagement durch umwelt-orientierte Organisationsentwicklung innerhalb des Unternehmens umzusetzen ist
Als geplanter Organisationswandel steht eine ökologische Umstrukturierung der Unternehmen vor immensen Abstimmungsproblemen und Konflikten Wegen der Komplexität und Neuartigkeit der mit Umweltschutz verbundenen Anforderungen spielen die Uneindeutigkeiten, latenten Konflikte, unterschiedlichen Interessen und Problem-wahrnehmungen, die ohnehin das Innenleben der Betriebe prägen, eine ganz besonders wichtige Rolle. Bislang verläßliche Praktiken und Routinen stoßen für alle Akteure erfahrbar an Grenzen. Konservatismus, Pragmatismus, Besitzstandsorientierung und Durchwursteln als beharrliche Grund-muster des betrieblichen Arbeitsverhaltens und der Unternehmensführung erweisen sich umwelt-politisch als kontraproduktiv.
Obwohl dezentrale, eigenverantwortliche und beteiligungsoffene Arbeits-und Führungsstrukturen als zentrale Elemente modernen Managements mittlerweile weitgehend einvernehmlich akzeptiert sind, steht dem in der betrieblichen Praxis eine starke Tendenz zur Status-quo-Zementierung gegenüber. Den vielbeschworenen neuen (schlanken) Produktionskonzepten (lean production) Und der oft beklagten Innovationskrise zum Trotz herrschen in der Praxis jedoch nach wie vor Unfähigkeit zur Veränderung und Festhalten an traditionellen Orientierungsmustern und Erfolgskriterien vor Kurzfristige Kosten-Nutzen-Überlegungen, hierarchische Entscheidungsstrukturen, technokratische Ursache-Wirkungs-Vorstellungen, das Gegeneinander betrieblicher Funktionsbereiche und ihrer Eigeninteressen sowie die Kooperationsblockaden zwischen Herstellern, Anwendern und Zulieferern sind nicht nur für die ökologische Modernisierung schwierig zu überwindende Hindernisse. Sie stehen den Produkt-und Verfahrens-innovationen,die zur Überwindung der ökonomi sehen Krise notwendig sind, insgesamt im Wege.
Der schrittweise Aufbau einer Betriebsökologie verlangt unter diesen Bedingungen dem Management eine hohe „Optionsfähigkeit“, Flexibilität und Innovationsbereitschaft ab. Um eingefahrene Organisationsstrukturen und Orientierungsmustei zu verändern, besteht management of change gerade darin, in Kenntnis betrieblicher Handlungsbedingungen und Konfliktkonstellationen den geplanten Organisationswandel so zu gestalten, daß für alle Beteiligten ein offener Lernprozeß entsteht.
Dabei sind die möglichen Instrumente und Methoden äußerst vielfältig und nur betriebsspezifisch zu erschließen. Der Erfolg umweltorientierter Organisationsentwicklung erfordert in erster Linie eine jeweils angemessene Abstimmung mittel-und langfristiger Veränderungen von Organisationsstrukturen und Akteurseinstellungen. Partizipation und Kooperation als Grundelemente einer Betriebsökologie sind per se keineswegs Erfolgsgaranten. Sie können sogar zunächst problemverschärfend wirken, da Widersprüche im Umweltbewußtsein deutlicher hervortreten. Widerstände und unterschiedliche Interessen gegenüber ökologischer Modernisierung können aber durchaus auch problemlösend wirksam sein und für die Diskussion und den Nachvollzug des betrieblichen Umweltmanagements genutzt werden: z. B. auf der Grundlage einer genau darauf abgestimmten Einrichtung und Zusammensetzung von übergreifenden Querschnittsprojekten, Entwicklungsteams, Arbeitskreisen oder „Qualitätszirkeln“. Dies setzt allerdings nicht nur auf der Managementseite ein Mindestmaß an Diskurs-, Lern-und Kooperationsbereitschaft voraus. Um diese zu fördern, ist die Hinzuziehung von betriebsexternen Experten und der Dialog mit aktiven Umweltschützern gleichermaßen hilfreich.
V. Umweltbetriebsprüfung Anstoß für Betriebsökologie?
Daß externe Innovationsanstöße für die unternehmensinterne Reorganisation notwendig, aber nicht hinreichend sind, illustriert der „umweltpolitische Glücksfall" der EG-Öko-Audit-Verordnung. Ihr relativ offen gehaltenes Verfahren der Umwelt-Betriebsprüfung mit der freiwilligen, aber zyklisch kontrollierten Verpflichtung zum Aufbau eines Umwelt-Managementsystems eröffnet der flächendeckenden, branchen-und unternehmensübergreifenden Verbreitung von betrieblichen Umweltschutz-Standards neue Perspektiven. Aus mikropolitischer Sicht sind neben dieser Breitenwirkung die zu erwartenden Veränderungen im Binnenverhältnis der Betriebe mindestens ebenso relevant. Denn hier wird darüber „entschieden“, ob das Auditing-Verfahren zu einer Mogelpackung zwecks Zertifizierung des umwelt-politischen business as usual verkommt oder tatsächlich den internen Reorganisationsprozeß effektivieren kann.
Nach ihrer bisherigen Anlage ist die Umweltbetriebsprüfung Innovationsanreiz und Status-quo-Festschreibung zugleich. Einerseits kann die sich abzeichnende Verknüpfung von Qualitätssicherungs-und Öko-Audit-Normen das Umweltmanagement auf die ohnehin dominierende Checklisten-Kultur fixieren und damit die qualitativ neue Herausforderung verfehlen. Andererseits kann die Kombination von Qualitätssicherungs-und Umweltmanagement jedoch auch als erster Schritt eines abteilungsübergreifenden Schnittstellen-Managements angelegt werden.
Aus Sicht von Unternehmen, die sich bereits an Öko-Audit-Pilotprojekten beteiligt haben, stecken große Nutzenpotentiale darin. Genannt werden insbesondere -Imagewirkung (zahlreiche Anfragen für Interviews und Diplomarbeiten);
-hoher Informationsgewinn (durch Ökobilanz); -Aufdecken von Einsparpotentialen;
-erhöhte Rechtssicherheit;
-verbesserte Organisation;
-höherer Stellenwert des Umweltschutzes vor allem bei der Geschäftsleitung;
-Sensibilisierung der Mitarbeiter;
-Informationsgewinn auch für andere Untemehmensbereiche wie Controlling, Kostenrechnung etc.;
-Mitarbeitermotivation;
-Identifizierung von Schwachstellen.
Die wissenschaftliche Begleitforschung von dreizehn Pilot-Öko-Audits in Hessen weist demgegenüber vor allem auf folgende Defizite hin: Die entwickelten „Umweltprogramme orientieren sich stark an den in den Prüfungen festgestellten Schwachstellen bzw. Maßnahmenkatalogen“. Weder findet eine Anwendung „moderner Instrumente der partizipativen Organisationsentwicklung“ statt, noch ist eine gelungene „Verbindung mit den installierten bzw. geplanten Qualitätsmanagementsystemen angestrebt“. Es mangelt an „organisatorischer Integration von proaktiver unternehmerischer Umweltvorsorge“, an Anstößen „zur unternehmenskulturell angepaßten Organisationsentwicklung“. Der Aufbau integrierter Umweltmanagementsysteme macht Organisationsreformen unumgänglich: leistungsfähige Teamstrukturen, Verstärkung des Schnittstellen-Managements, professionelle Anwendung von Informationsnetzwerken, Reintegration der unternehmensinternen Funktionen und Bereiche, Ergänzung der Orientierung auf Funktionen durch eine Orientierung auf Prozesse. Im Verlaufe der alle drei Jahre zu wiederholenden Betriebsprüfungen wird die mit der EG-Verordnung angestrebte Umwandlung der traditionellen Umweltschutz-Organisation zum Umweltmanagementsystem in den Unternehmen nicht ohne Konflikte und Einfluß bleiben. Selbst Pflichtenhefte und Checklisten standardisierter DIN-Normen können mikropolitisch Wirkung entfalten, wenn ihr Einsatz und Nutzen an der „doppelten Orgänisationswirklichkeit“ zu scheitern droht: an der scheininnovativen Normerfüllung seitens des mittleren Managements, an Zuordnungskonflikten zwischen Linienmanagern und Umweltverantwortlichen um Auditkosten, an den Qualitäts-und Funktionseinbußen umweltfreundlicher Produkte und Prozesse oder an abteilungsegoistischen Sichtweisen, die eine querschnittsorientierte Weiterentwicklung der überforderten konventionellen Umweltschutzorganisation behindern.
Der Aufbau von Umweltmanagement ist mit komplexen Gestaltungs-, Organisations-und Lemanforderungen verbunden, in die das Auditing-Verfahren interveniert. Auch wenn es von seiner Anlage her eine Betriebsprüfungsverordnung und kein Instrument der Organisationsentwicklung ist, ermöglicht es Prozesse des Organisationslernens, die die Substanz einer ökologischen Reorganisation bilden können.
Michael Schwarz, Diplomsoziologe, Dr. rer. soc., geb. 1953; Studium der Soziologie in Bielefeld; seit 1980 wissenschaftlicher Mitarbeiter am ISO Institut zur Erforschung sozialer Chancen in Köln. Veröffentlichungen u. a.: (zus. mit Martin Birke) Neue Techniken -neue Arbeitspolitik?, Frankfurt am Main-New York 1989; (zus. mit Martin Birke) Umweltschutz im Betriebsalltag. Praxis und Perspektiven ökologischer Arbeitspolitik, Opladen 1994; Strategien und Handlungskonstellationen im betrieblichen Umweltschutz, in: Wilfried Müller (Hrsg.), Der ökologische Umbau der Industrie. Beiträge zur sozialwissenschaftlichen Umweltforschung, Münster-Hamburg 1995. , - '1 " '• ? ') Martin Birke, Dr. rer. soc., geb. 1947; Studium der Wirtschafts-und Sozialwissenschaften an der Universität zu Köln; seit 1974 wissenschaftlicher Mitarbeiter am ISO Institut zur Erforschung sozialer Chancen in Köln. Veröffentlichungen u. a.: (zus. mit Michael Schwarz) Neue Techniken -neue Arbeitspolitik?, Frankfurt am Main-New York 1989; Betriebliche Technikgestaltung und Interessenvertretung als Mikropolitik, Wiesbaden 1992; (zus. mit Michael Schwarz) Umweltschutz im Betriebsalltag. Praxis und Perspektiven ökologischer Arbeitspolitik, Öpladen 1994.
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