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Die Generation der Vereinigung Jugendliche in den neuen Bundesländern über die Plan-und Marktwirtschaft | APuZ 19/1996 | bpb.de

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APuZ 19/1996 Das Verhältnis Jugendlicher und junger Erwachsener zur Politik: Normalisierung oder Krisenentwicklung? Jugendliche in den neuen Bundesländern. Ergebnisse einer empirischen Studie zum Wandel der Meinungen, Einstellungen und Werte von Jugendlichen in Sachsen 1990 bis 1994 Die Generation der Vereinigung Jugendliche in den neuen Bundesländern über die Plan-und Marktwirtschaft

Die Generation der Vereinigung Jugendliche in den neuen Bundesländern über die Plan-und Marktwirtschaft

Hans-Joachim Beyer

/ 20 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die vorgestellten Untersuchungsergebnisse sind Teil eines von der informedia-Stiftung Gemeinnützige Stiftung für Gesellschaftswissenschaften und Publizistik Köln geförderten Projektes „Jugend in der Wirtschaft der neuen Bundesländer -Wege in die Zukunft“. Befragt wurden 2 700 ostdeutsche Jugendliche über ihre Erfahrungen beim Übergang von der Plan-in die Marktwirtschaft, ergänzt durch eine Umfrage unter 300 Geschäftsführern ostdeutscher Unternehmen zum Persönlichkeitsprofil und den Qualifikationsvoraussetzungen der Jugendlichen. Die Umfrageergebnisse zeigen eine junge Generation, die zuversichtlich und der Marktwirtschaft gegenüber offen ist, auf Leistung setzt und zukunftsorientiert denkt. Vor allem sind die ostdeutschen Jugendlichen selbstbewußter geworden; sie gehen davon aus, ihre Lebensziele in der Marktwirtschaft besser verwirklichen zu können als in der sozialistischen Planwirtschaft. Allerdings sind sich die meisten bewußt, daß dies Zeit und Energie erfordert, daß die Leistungsansprüche viel höher sind als im Sozialismus, der persönliche Einsatz größer ist, Korrekturen in Berufs-und anderen Zielen nicht ausbleiben können und mit Erfolg oft erst in einigen Jahren zu rechnen ist. Berufliche und überhaupt Erfahrungsdefizite mit der Marktwirtschaft, wie sie nach der Wende typisch waren, konnten inzwischen, das bestätigen Vertreter der Wirtschaft, abgebaut werden, und in mancher Hinsicht erweisen sich die jungen Ostdeutschen sogar als leistungs-und anpassungsfähiger an Innovationen und Umstrukturierungen als ihre Altersgefährten in Westdeutschland.

I. Vorbemerkungen

Tabelle 1: Auffassungen ostdeutscher Jugendlicher über die Realisierbarkeit ihrer beruflichen Vorstellungen 1995

Quelle: Umfrage des IW Köln, Berliner Büro, Berlin 1995

Der Wirtschaftsaufbau in den neuen Bundesländern braucht eine aufgeschlossene Jugend. Jeder vierte Deutsche unter 30 Jahren lebt in den neuen Bundesländern; 2, 7 Millionen ostdeutsche Jugendliche und junge Erwachsene sind heute zwischen 16 und 29 Jahre alt. Die meisten von ihnen erlebten also den gesellschaftlichen Umbruch in einer Phase der ersten wichtigen Lebensentscheidung, der Berufsfindung und beruflichen Entwicklung. Sich über ihren Wertewandel Gedanken zu machen ist nicht nur eine Frage der Retrospektive, um rückwärtsgewandt die DDR-Vergangenheit zu dechiffrieren, sondern bedeutet vor allem zu fragen, wie die Jugendlichen in der sozialen Marktwirtschaft Fuß fassen konnten, welche Ansprüche sie stellen und wie sie ihre Zukunft sehen.

Gegenstand der vorgestellten Analyse war es deshalb nicht, ein komplettes soziologisches Bild der ostdeutschen Jugend zu entwerfen, im Vordergrund stand eher eine Meinungserkundung über ihren Weg von der Plan-in die Marktwirtschaft. Die verbreiteten Ost-Klischees und die immer wieder zitierte vermeintliche DDR-Nostalgie sind Anlaß genug, eine genauere Kenntnis über die Vergangenheitsbewältigung der ostdeutschen Jugend und gleichermaßen ihre wirtschaftliche Neuorientierung zu gewinnen.

Wenn man dem Wertewandel unter den Jugendlichen seit der Wende, ihrer Distanz zur Sozialismus-Ideologie und den verbliebenen Rudimenten nachgehen will, scheint in zweierlei Hinsicht Vorsicht geboten: Da ist zum einen die Versuchung, aus den Antworten auf ein bis zwei pauschalisierende Fragen -wie etwa „Was halten Sie vom Sozialismus?“ oder „Was gab es in der DDR Erhaltenswertes?“ -ein Gesamtbild zu erzeugen, das das ganze Wertespektrum und seine Veränderung überhaupt nicht wiedergeben kann. Solche Fragen bieten zu viele Freiräume für Interpretationen, und wenn sie nicht vertieft werden, fördert das eher die Verständigungsschwierigkeiten. Zum anderen werden Umfrageergebnisse aus der Gesamtbevölkerung gern vorschnell auf die Jugend übertragen. Denken die Jugendlichen überhaupt wie die ältere Generation? Die Demoskopen mußten im vergangenen Jahr eine allgemeine Stimmungsverschlechterung unter den Ostdeutschen in bezug auf ihre Meinung zur Marktwirtschaft feststellen. Bei den Jugendlichen sind nach den Ergebnissen unserer Umfrage Veränderungen zum Positiven erkennbar. Es ist aber durchaus berechtigt, wenn bei solchen Bewertungen immer wieder auf den notwendigen Realismus verwiesen wird. Beziehen sich diese Einschätzungen außerdem auf die ostdeutsche Jugend als Ganzes, ohne daß sich das auch aus den Antworten der verschiedenen Alters-und Statusgruppen heraus ergibt, sind einseitige Verallgemeinerungen kaum auszuschließen. Im vorliegenden Fall wurde versucht, durch ein größeres Spektrum vertiefender Fragen die gefestigteren Positionen des Meinungswandels kennenzulernen. Die Ergebnisse beruhen auf einer Umfrage des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) Köln, Berliner Büro, bei 2 700 Jugendlichen im Alter zwischen 16 und 29 Jahren im ersten Halbjahr 1995 Im Unterschied zu anderen Untersuchungen wurden Schüler, Lehrlinge, Studenten, Arbeiter, Angestellte, selbständige und arbeitslose Jugendliche jeweils in repräsentativen Gruppen befragt und Altersklassen gebildet. Der unterschiedliche Erfahrungshorizont, der damit erfaßt werden konnte, ist schon deshalb so wichtig, weil für die heute 16jährigen, zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung gerade erst 10 Jahre alt, die DDR-Vergangenheit und der Sozialismusbezug als „Ideologie“ keine solche Rolle spielen wie bei den älteren Jugendlichen.

Bei einem Thema wie Sozialismus und Marktwirtschaft im Meinungsbild der Jugend lag es nahe, gewissermaßen als Pendant, neben den Einschätzungen der Jugendlichen außerdem eine Umfrage unter Geschäftsführern und Personalleitern ostdeutscher Firmen durchzuführen, um eine Bewer-tung der jungen Generation aus der Wirtschaftspraxis heraus einbeziehen zu können.

II. Selbstvertrauen und Zukunftserwartungen

Tabelle 2: Meinungen über die Ursachen des Zusammenbruchs der DDR-Planwirtschaft

Quelle: wie Tabelle 1.

Im Ergebnis der Untersuchung präsentiert sich eine durchaus zuversichtliche Generation, die auf Leistung setzt und zukunftsorientiert denkt. Trotz vieler familiärer und persönlicher Probleme, die die Transformation für die meisten ostdeutschen Jugendlichen mit sich brachte, sind diese selbstbewußter geworden und überzeugt, ihre Lebensziele heute besser verwirklichen zu können als im realen Sozialismus der DDR. Sie sehen keine unüberbrückbaren Barrieren darin, mit den neuen Freiheiten fertig zu werden, Initiative zu ergreifen, Beruf und Fortkommen in die eigenen Hände zu nehmen, Chancen zu nutzen. Dieses starke Selbstwertgefühl kommt in verschiedener Weise zum Ausdruck. Es korrespondiert in den Antwort-quoten sehr eng mit dem, was Elisabeth Noelle-Neumann das Grundgefüge der Einheits-Empfindungen nennt, mit der Freude über die Wiedervereinigung, wenngleich von den Medien eher ein negativer Eindruck ausgeht

69 Prozent der ostdeutschen Jugend bewerten die Situation nach der Wiedervereinigung für sich persönlich als Chance. Daß nicht alles glatt läuft und mit Unsicherheiten verbunden ist, spielt dabei keine Rolle. Immerhin sehen sich 23 Prozent neuen, hohen Ansprüchen gegenüber, aber daß ihre Lebensvorstellungen ohne Perspektive seien, äußern nur drei Prozent. Als nicht weniger wichtig angesehen wird die größere persönliche Freiheit. 87 Prozent der ostdeutschen Jugend heben dieses Grundrecht hervor. Angesichts einer solchen Zustimmung besteht kein Grund, die These auf die Jugend zu beziehen, vom Freiheitsempfinden der Wendezeit sei immer weniger die Rede, es interessiere vor allem die materielle Seite der deutschen Einheit.

Die Jugendlichen erwarten von ihrer Zukunft etwas. Rund 86 Prozent halten ihre beruflichen Absichten für realisierbar, wenngleich 39 Prozent damit rechnen, daß dies nicht ohne Schwierigkeiten zu meistern sein wird. Für erst in einigen Jah-ren -aber trotzdem positiv -lösbar halten sie rund 12 Prozent. Auf dem „no-future-trip" befinden sich nicht mehr als zwei Prozent. Daß allerdings die Hälfte der arbeitslosen Jugendlichen die Schwierigkeiten hervorheben, mit denen sie in beruflichen Fragen zu kämpfen haben, ist verständlich. Aber knapp 73 Prozent sind nach wie vor überzeugt, ihre beruflichen Ziele durchsetzen zu können, 20 Prozent erst in einigen Jahren, und nur acht Prozent rechnen sich keinen Erfolg aus. In dieser Beziehung läßt sich kein gravierender Unterschied zu anderen Jugendlichen feststellen. Insgesamt ergibt sich für die Zukunftserwartungen ein positiver Grundbefund (vgl. Tabelle 1).

Und was ist mit jungen ostdeutschen Frauen? Sie gehen zwar insgesamt von mehr Problemen und Schwierigkeiten aus als die Männer, aber in der Bewertung ihrer beruflichen Möglichkeiten sind sie genauso selbstbewußt. Der Wunsch zur Erwerbstätigkeit ist bei ihnen ungebrochen. Von allen jungen Frauen resignieren bei den beruflichen Chancen drei Prozent, von den Männern knappe zwei Prozent.

Schwierig gibt sich die Gruppe der 16-bis 19jährigen, vor allem die der Schüler, die mehr Unsicherheiten in bezug auf die beruflichen Aussichten sehen, obwohl sie längerfristig ihre Perspektiven ebenfalls zu 96 Prozent als gut bewerten. 58 Prozent erwarten allerdings, daß dieser Weg nicht leicht sein wird und vieler Anstrengungen bedarf. Individuelle Vorstellungen auf der einen Seite und reale Möglichkeiten des Arbeitsmarktes auf der anderen bringen Anpassungsschwierigkeiten mit sich, die nicht ohne Umorientierung in der Berufswahl und erhebliche Eigenbemühungen befriedigend zu bewältigen sind. Für Schüler und Eltern ist das nach den Jahrzehnten staatlicher Berufslenkung in der DDR eine neue Erfahrung, die praktisch gemeistert sein will.

III. „Wende rückwärts“ nicht gefragt

Tabelle 3: Akzeptanz der sozialen Marktwirtschaft unter ostdeutschen Jugendlichen 1995

Quelle: wie Tabelle 1.

Wie steht es um das vielbeschworene ostdeutsche Beharrungsvermögen? Die Ergebnisse sprechen nicht dafür, daß die Jugendlichen etwa die früheren Verhältnisse zurückwünschen würden und nach den Vorstellungen des DDR-Sozialismus leben möchten. Zwar halten auch in dieser Umfrage 37 Prozent von ihnen den Sozialismus für eine schlecht ausgeführte, aber immerhin gute Idee. Die innere Distanz, auf die die Jugendlichen zur Staatsdoktrin der DDR gegangen sind, ist jedoch größer, als sich das aus den Antworten zur Idee des Sozialismus ablesen läßt. Man sollte zurückhaltend sein, auf dieser Basis den Jugendlichen eine besondere DDR-Identität zu unterstellen. Fragt man, ob sie den Sozialismus wirklich zurückhaben wollen, bejahen dies ganze 1, 3 Prozent. 59 Prozent lehnen sozialistische Experimente rundweg ab, und 73 Prozent antworten darüber hinaus auf die zu DDR-Zeiten strapazierte These von der „Überlegenheit des realen Sozialismus“, daß diese für sie von der Wirklichkeit widerlegt ist und nicht ihrer Auffassung entspricht. Nicht anders fällt die Antwort auf die Frage aus, was am politischen System der DDR vor allem gefehlt habe. 95 Prozent nennen die Meinungsfreiheit und 90 Prozent die Demokratie.

Bei diesen Quoten ist es auch nicht so gravierend, wenn die Reisefreiheit mit 96 Prozent an der Spitze der Antworten liegt. Auf alle Fälle nehmen die politischen Grundrechte, die die Einheit brachte, bei den Jugendlichen einen wichtigeren Rang ein als beispielsweise das höhere Konsum-niveau oder die damals fehlende D-Mark. Ebenso überzeugend ist bei den Jugendlichen, daß 87 Prozent die Umweltsünden zu DDR-Zeiten nicht nur beklagen, sondern als Systemmangel des Sozialismus bezeichnen. Nur sieben Prozent lasten dies der DDR nicht an.

Bei der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit spielt allerdings der altersbedingte Erfahrungshorizont der Jugendlichen eine nicht unwichtige Rolle. Von den politischen Zwängen fühlten sich besonders die 25-bis 29jährigen jungen Erwachsenen betroffen. 74 Prozent empfanden die innerdeutsche Mauer und den Schießbefehl als eine starke Belastung. Bei den 16-bis 19jährigen, damals zur Wende noch im Kindesalter, antworteten deutlich weniger in diesem Sinne (46 Prozent). Aber gleichgültig und unbelastet äußerten sich von allen Jugendlichen nur sieben Prozent. Ohne eine differenzierte Berücksichtigung des Lebens-bildes der Altersgruppen würden solche Gesamt-einschätzungen an politischen Konturen verlieren. Zunehmend wächst auch die Zahl der jungen Leute, die mit den Begriffsinhalten der Sozialismus-Ideologie, wie „Diktatur des Proletariats“, nichts mehr anfangen können oder ihnen gleichgültig gegenüberstehen. Von den 16-bis 19jährigen waren das 35 Prozent.

Vieles von dem, was an Sozialismusgedanken in den Köpfen der Jugendlichen überhaupt noch übriggeblieben ist, ähnelt eher sozialen Fiktionen und vagen Vorstellungen. Immerhin wurde selbst bei Umfragen in den alten Bundesländern von 39 Prozent zumindest die Idee des Sozialismus als gut bezeichnet, ohne daß damit eine größere praktische Relevanz für das politische Verhalten verbunden war.

Bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit einer Planwirtschaft überwiegt nüchterner Realismus. Die Illusionen über das, was in der DDR gern als „soziale Errungenschaften“ bezeichnet wurde, sind bei den meisten Jugendlichen gering, obwohl immer wieder zu hören ist, dies sei der Werteposten, der sich bei aller sonstigen Ablehnung des DDR-Systems und trotz der realsozialistischen Pleite verfestigt habe. Tatsächlich waren aber nur acht Prozent der befragten ostdeutschen Jugendlichen der Meinung, daß die sozialen Leistungen -gemeint ist die Subventionierung etwa der Mieten oder der Tarife der öffentlichen Verkehrsmittel -sowie die vielen bezahlten Freistellungen von der regulären Arbeit der realen Produktivität der Wirtschaft entsprachen. Betrachtet man die Arbeiter unter den Jugendlichen, sind sich 74 Prozent bewußt, wie wenig damit Leistung motiviert wurde und statt dessen vielfach Gleichgültigkeit und Ineffizienz die Folge waren.

Von größerem Interesse ist jedoch die Antwort der ostdeutschen Jugendlichen auf die Frage, inwieweit solche Prinzipien in die Marktwirtschaft übernommen werden sollten. Bemerkenswert ist dafür beispielsweise die Meinung über den staatlichen Erhalt von unrentablen Arbeitsplätzen. 87 Prozent äußern gegen eine solche Subventionierung von Arbeitsplätzen zum Zwecke der Vollbeschäftigung Bedenken. 58 Prozent sprechen sich direkt dagegen aus und 29 Prozent haben Zweifel. Ausdrücklich für erhaltenswert erachten sie nur acht Prozent. Das bedeutet auf der anderen Seite nicht, daß Ängste vor Arbeitslosigkeit die Jugendlichen nicht belasten würden.

Ostdeutschen Frauen wird oft unterstellt, sie seien solchen DDR-Prinzipien besonders verhaftet. 86 Prozent bezweifeln aber den Sinn einer Stützung von Arbeitsplätzen, die keine Chance am Markt besitzen und ohne Perspektive sind.

Erwartungsgemäß haben arbeitslose Jugendliche, wenn es um diese Subventionen geht, größere Hoffnungen. 17 Prozent sind dafür, die Zustimmung ist bei ihnen doppelt so groß wie bei den ostdeutschen Jugendlichen insgesamt. Ungeachtet dessen bleibt auch für die jungen Arbeitslosen festzustellen, daß über 70 Prozent von ihnen die Erhaltung unrentabler Arbeitsplätze ablehnen oder zumindest Zweifel daran haben.

Demgegenüber werden Unterstützungen für Sport und Kultur und bessere Bedingungen für alleinerziehende Mütter von der überwiegenden Mehrheit aller Jugendlichen eingefordert. Ohne größere Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Jugendlichen und durchgängig in allen Berufsgruppen wird diese Meinung vertreten. 67 Prozent plädieren für die Förderung von Sport und Kultur und 89 Prozent engagieren sich für alleinerziehende Mütter.

IV. Mängelliste der Planwirtschaft

Tabelle 4: Meinungen von 300 Vertretern aus der Wirtschaft zum Qualifikations-und Persönlichkeitsprofil ostdeutscher Jugendlicher 1995

Quelle: wie Tabelle 1.

Die Planwirtschaft ist für die jungen Leute passe. Die Einmischung der SED in die Wirtschaft und fehlerhafte Wirtschaftspolitik werden von mehr als 80 Prozent als Hauptgründe für den Zusammenbruch der DDR-Planwirtschaft angeführt. Daß aber genauso viele das Ende der Planwirtschaft auf das Wirtschaftssystem selbst zurückführen, ist das aussagekräftigere Ergebnis dieses Fragenkomplexes. Ca. 82 Prozent aller ostdeutschen Jugendlichen sehen dies so. Damit bewerten sie das Scheitern der staatlichen Kommandowirtschaft nicht nur als subjektives Versagen der DDR, sondern sie halten die Planwirtschaft für das falsche Wirtschaftsmodell schlechthin. Ca. 77 Prozent der Jugendlichen nennen denn auch als weitere Gründe die fehlende privatwirtschaftliche Initiative und den fehlenden Wettbewerb. Darüber hinaus geben knapp 72 Prozent den technischen Rückstand und Ineffizienz der Wirtschaft an und 80 Prozent die nicht konvertierbare Währung. Die Planwirtschaft ist also für die Mehrzahl der Jugendlichen, in ihrem subjektiven politischen Erscheinungsbild wie im ordnungspolitischen Sinne, diskreditiert (vgl. Tabelle 2).

Einfluß auf die Meinungsbildung hat auch hier, wie schon bei anderen mit der Ideologie des Sozialismus im Zusammenhang stehenden Fragen, der Erfahrungshorizont. In der Altersgruppe der 16-bis 19jährigen, und dabei wieder besonders bei den Schülern, fällt dieser Erkenntnisprozeß bei weitem nicht so deutlich aus. Während beispielsweise das subjektive Versagen der Politiker und die Einmischungspolitik der SED in die Wirtschaft von 81 Prozent aller Jugendlichen hervorgehoben werden, sind es bei den Schülern 58 Prozent. Einsichten, die wir bei den älteren Jugendlichen heute vorfinden und die gewissermaßen das Ergebnis eigener Vergangenheitsbewältigung sind, wachsen bei den Jüngeren nicht einfach nach. Ohne die Verhältnisse in der DDR aktiv miterlebt zu haben, bedarf es für sie zunehmend vermittelnder Möglichkeiten der geistigen Auseinandersetzung mit dem System der DDR. Ein „Zustandsbericht“ der ostdeutschen Jugend im sechsten Jahr nach der deutschen Einheit läßt dies, rein „statistisch“ betrachtet, schon nicht mehr sichtbar werden.

V. Wert der Demokratie

Erfahrungen mit der Demokratie waren für die ostdeutschen Jugendlichen etwas Neues. Was dabei das Bekenntnis zur Demokratie anbelangt, liegen die Antwortquoten der Zustimmung mit 89 Prozent bei denen in den alten Bundesländern. Wir kennen aber auch die skeptischen Äußerungen, wonach es der Jugend an demokratischen Überzeugungen mangelt. Die hier angeführten grundsätzlich bejahenden Antworten der ostdeutschen Jugendlichen zur Demokratie verdienen mehr Aufmerksamkeit, denn sie schließen den unzweifelhaft bestehenden Nachholbedarf in bezug auf Demokratieerfahrungen, -normen und Institutionen überhaupt nicht aus. Dennoch sollen fehlende Erfahrungen nicht zu dem „Umkehrschluß“ benutzt werden, es sei bisher nicht gelungen, den jungen Leuten in Ostdeutschland die

Werte der Demokratie zu vermitteln. Man kann ihnen durchaus ein Urteil über die grundlegenden Unterschiede zu den DDR-Verhältnissen zutrauen. Die Jugendstudie des Instituts für praxisorientierte Sozialforschung (IPOS) Mannheim, die u. a.der Frage nachgegangen ist, inwieweit von den ostdeutschen Jugendlichen die Einführung einer politischen Ordnung nach westlichem Muster befürwortet wird, kommt zum gleichen Ergebnis

Die höchste Zustimmung zur Demokratie gibt es nach den Ergebnissen unserer Umfrage aus den Reihen der Studenten, Angestellten und Selbständigen, die jeweils mit 93 Prozent noch über dem Durchschnitt aller Jugendlichen liegen. Von den Lehrlingen stimmen 71 Prozent dafür, 8 Prozent sind vom Wert der Demokratie noch nicht überzeugt, 21 Prozent wissen nicht sicher, wie sie sie beurteilen sollen. Beeinflußt wird die Zustimmung bei den arbeitslosen Jugendlichen zweifellos von ihrer unmittelbaren sozialen Situation. 69 Prozent identifizieren sich ohne Vorbehalte mit der Demokratie, 14 Prozent nehmen sie nicht so wichtig, und 17 Prozent können sich nicht entscheiden. Von dieser Gruppe geht die größte Skepsis aus. Die Vermutung, daß Frauen mehr auf Distanz gehen würden, bestätigte sich in der Umfrage nicht. 90 Prozent der befragten jungen Frauen betrachten die Demokratie als eine wertvolle Errungenschaft, sogar etwas mehr als bei den männlichen Jugendlichen, lediglich 1, Prozent sind nicht dafür.

VI. Akzeptanz der Marktwirtschaft

Und wie fällt der Brückenschlag zur sozialen Marktwirtschaft aus? Knapp 14 Prozent der jungen Ostdeutschen sind schlecht auf die Marktwirtschaft zu sprechen. Das Überraschende an diesem Ergebnis liegt im Vergleich: Im Westen Deutschlands haben 17 Prozent keine gute Meinung zur Marktwirtschaft. Knapp die Hälfte aller befragten ostdeutschen Jugendlichen steht dieser jedoch positiv gegenüber, 37 Prozent zögern noch mit der endgültigen Bewertung. Einer anderen Umfrage zufolge -um einen Vergleich zu führen -votieren 55 Prozent der Ostdeutschen für die Marktwirtschaft 4.

Auch unter der Jugend bestätigt sich, daß eine deutliche Ablehnung der Planwirtschaft nicht automatisch mit einer Reverenz an die Marktwirtschaft einhergeht, was bei Schülern, Lehrlingen und Studenten am deutlichsten zum Ausdruck kommt. 20 Prozent äußern sich negativ zur Marktwirtschaft. Selbst bei den arbeitslosen Jugendlichen und bei den jungen Frauen sind es weniger, nämlich 13 und 16 Prozent, die sich nicht für die Marktwirtschaft aussprechen. Wesentlich auffälliger als diese Unterschiede ist etwas anderes: Recht groß fällt in allen Gruppen der Anteil derer aus, die sich in der Meinungsbildung über die Marktwirtschaft noch abwartend verhalten. Bei den arbeitslosen Jugendlichen liegt dies besonders nahe. Rund 47 Prozent von ihnen sind unentschieden und machen ihre Entscheidung vermutlich von ihrem weiteren beruflichen Erfolg und sozialen Fortkommen abhängig. Bei den jungen Frauen sind es rund 42 Prozent. Marktwirtschaft persönlich zu akzeptieren heißt ja nicht allein, sich nur ihrer allgemeinen Vorzüge bewußt zu sein. Viel wesentlicher für die jungen Leute ist, durch eigene Leistung und Initiative in dieser Wirtschaftsordnung zum Erfolg zu kommen, Chancen wahrzunehmen und sich selbst zu bewähren (vgl. Tabelle 3).

VII. Durchsetzungsvermögen und Schwierigkeiten

Nahe liegt die Frage, welchen mentalen Schwierigkeiten sich die ostdeutschen Jugendlichen nach der Wende besonders ausgesetzt fühlen. Die Antworten der jungen Leute fallen aber sehr viel unbefangener aus, als das „Problematisierern" von mentalen Unterschieden zwischen Ost und West lieb sein dürfte. Größere „Berührungsängste“ gegenüber den westdeutschen Landsleuten kennt die Mehrheit der ostdeutschen Jugendlichen nicht. Wenig und überhaupt keine Bedenken haben 75 Prozent, und 20 Prozent sehen in der Frage, von Westdeutschen anerkannt zu werden, für sich ein erhebliches Problem.

Wie steht es um das Durchsetzungsvermögen und die Selbständigkeit, die für Beruf und im weiteren Sinne die Lebensverhältnisse in einer Marktwirtschaft entscheidend sind? Nicht mehr als 20 Prozent geben an, damit größere Schwierigkeiten zu haben. Am wenigsten davon betroffen fühlen sich unter den Jugendlichen erwartungsgemäß die Selbständigen. Die wirtschaftlichen Ansprüche meistern und sich durchsetzen zu können, ist bei ihnen am stärksten ausgeprägt. Nur ganzen fünf Prozent dieser Gruppe bereitet das nennenswerte Probleme.

Auch die jungen ostdeutschen Frauen lassen keinen Zweifel an ihrer Leistungsbereitschaft aufkommen. Sie fühlen sich in dieser Beziehung weder den männlichen Jugendlichen unterlegen, noch weichen sie vom Durchschnitt aller Jugendlichen ab. Sie sehen sich ausreichend aktiv, um mit den neuen Ansprüchen fertig zu werden.

Trotzdem wäre es nicht angebracht, bei der Mehrzahl der Jugendlichen von einer Unterschätzung all dessen zu sprechen, was auf sie eingestürmt ist und mentale Reaktionen auslöst. Die meisten ostdeutschen Jugendlichen, nach der Umfrage etwa zwei Drittel, sind sich dieser Ansprüche durchaus bewußt, sehen sie aber trotzdem nicht als außergewöhnliche Schwierigkeiten ihrer Lebensbewältigung an. Zudem ist sich der größte Teil der Jugendlichen seiner Meinung in bezug auf Verhaltensweisen und Handlungsstrategien in der Marktwirtschaft ziemlich sicher, denn im Unterschied zu anderen Aspekten der Umfrage gibt es hier wenige Jugendliche, die sich bei der Beantwortung noch bedenken müssen oder Zweifel haben. Deren Zahl erreicht nicht einmal fünf Prozent aller Jugendlichen.

Abstufungen schließt diese Einschätzung nicht aus. Vor allem beim Thema Arbeitslosigkeit fühlen sich die Jugendlichen weitaus stärker angesprochen als durch andere ungewohnte neue Lebens-umstände. 31 Prozent empfinden eine mögliche Arbeitslosigkeit -die der Eltern nicht weniger als die eigene -als sehr belastend. Diese Bewertung der Arbeitslosigkeit für das persönliche Leben zieht sich ausnahmslos durch alle Gruppen der Jugendlichen. Bei den von Arbeitslosigkeit direkt betroffenen Jugendlichen sind es 56 Prozent. Die Lehrlinge, von denen sich viele im Anschluß an die Lehre nach einem neuen Arbeitsplatz umsehen müssen, bewegt dieses Thema mit 43 Prozent ebenfalls stärker als den Durchschnitt. Genauso fühlen sich die weiblichen Jugendlichen mit 39 Prozent mehr belastet als die männlichen Jugendlichen.

Beiden genannten Gruppen, den arbeitslosen Jugendlichen wie auch den Lehrlingen, bereitet es mehr als anderen Jugendlichen Mühe, mit den Leistungsanforderungen fertig zu werden. Arbeitslose Jugendliche empfinden den Leistungsdruck besonders deutlich, denn sie wissen am besten, was es heißt, sich am Arbeitsmarkt bemühen zu müssen. 41 Prozent schätzen das so ein. Ihr Anteil ist doppelt so groß wie im Durchschnitt aller Jugendlichen. Lehrlinge haben vor allem mit der Berufs-suche und der Selbständigkeit in der Arbeit, die ihnen frühzeitig während der Ausbildung abverlangt wird, zu kämpfen. Ihre Antwortquote von 34 Prozent liegt ebenfalls über dem Durchschnitt der Jugendlichen. Mit der freien Lehrstellensuche, verbunden mit mehrmaligen Bewerbungen und eventuellen Umorientierungen in Berufswünschen, die nicht ausbleiben, sowie der Hoffnung auf ein festes Arbeitsverhältnis nach der Ausbildung im Lehrbetrieb, wofür es jedoch keine Garantie gibt, sehen sie sich Anforderungen gegenüber, die die Ostdeutschen unter der staatlich vorgeschriebenen Berufslenkung so nicht kannten. Allerdings sagen 63 Prozent der Lehrlinge, daß ihnen diese neuen Lebens-und Leistungsumstände persönlich wenig oder keine Probleme bereiten.

VIII. Meinungen aus der Wirtschaft

Wie urteilen die ostdeutschen Unternehmen über die Leistungsfähigkeit der Jugendlichen? Eine Umfrage unter 300 Geschäftsführern bestätigt überzeugend das Meinungsbild der Jugend und macht ebenfalls nicht nur punktuelle, sondern in vielen wichtigen Richtungen Fortschritte sichtbar.

Ob im Facharbeiterbereich, bei den Hochschulabsolventen oder in der Erstausbildung, man hört immer öfter die Einschätzung aus den Unternehmen, daß die ostdeutschen Jugendlichen in mancher Hinsicht sogar leistungs-und anpassungsfähiger an neue Unternehmensbedingungen seien als ihre Altersgefährten im Westen. Das allgemeine Leistungsbild und Persönlichkeitsprofil, das den Jugendlichen bescheinigt werden kann, spricht für Fachwissen und Engagement. Ca. 78 Prozent der Unternehmen bewerten die beruflichen Voraussetzungen als sehr gut und gut.

Wenn ein deutliches Manko besteht, dann bezieht sich das auf die Fremdsprachenkenntnisse und internationalen Erfahrungen. Das ist die einzige Position, bei der knapp 41 Prozent der Unternehmen die Voraussetzungen der ostdeutschen Jugendlichen als unzureichend bezeichnen und nur rund 3 Prozent gute und sehr gute Einschätzungen abgeben. Hier sind die Folgen der Abschottungspolitik gegenüber der westlichen Welt nachhaltig zu spüren. Defizite betreffen Englisch-, auch Französisch-und Spanischkenntnisse, vor allem ihr unzureichendes Niveau für Geschäftsverhandlungen und Korrespondenzen. Ein anderer Gesichtspunkt ist die russische Sprachausbildung. Bislang noch ein Qualifizierungsvorteil von ostdeutschen Jugendlichen, verliert sie rapide an Bedeutung. Nachwuchs wird es wenig geben.

Konfliktfähigkeit und Durchsetzungsvermögen, zwei Schlüsselqualifikationen, die vielen Ostdeut;.sehen fehlten, halten inzwischen knapp 72 bzw. 77 Prozent der Unternehmen für befriedigend und ausreichend. Aber gegenüber den fachlichen Qualifikationen, bei denen das Schwergewicht bei gut und sehr gut liegt, bleibt das eine Abstufung nach unten. Dagegen werden ihre hohe Anpassungsund Teamfähigkeit sowie die Belastbarkeit in besonderer Weise hervorgehoben. 76 bzw. 72 Prozent bezeichnen sie als sehr gut und gut. Genauso überzeugend fällt die Einschätzung über die Hilfsbereitschaft, Verläßlichkeit und Pünktlichkeit der Jugendlichen im Arbeitsprozeß aus. Solche Handlungsmuster, im Westen gern als inzwischen unter der Jugend verlorengegangen oder mitunter als unangebracht apostrophiert, stehen vor einer Aufwertung in der Wirtschaft. Das moderne Management mit flachen Hierarchien, Gruppenarbeit, Fachkarrieren und mehr Eigenverantwortlichkeit könnte ohne sie nicht bestehen. Auch in dieser Beziehung haben die ostdeutschen Jugendlichen gute Chancen (vgl. Tabelle 4).

Insgesamt wird den Jugendlichen ein hohes Maß an Sozialkompetenz zugeschrieben. 82 Prozent der befragten Unternehmen tun dies. Was aber am beeindruckendsten an dieser Aussage ist, gewissermaßen als Prüfstein sozialer Kompetenz gewertet werden kann, ist der Umstand, daß Ausländer-feindlichkeit unter den Jugendlichen im Unternehmensgeschehen so gut wie keine Rolle spielt. 97 Prozent der Unternehmen bejahen das. Sowohl für die Hochschulabsolventen (99 Prozent) als auch die Arbeiter (97 Prozent) fällt die Antwort gleichermaßen positiv aus.

Im Zuge der Unternehmensrestrukturierung nach der Wende und des damit verbundenen, vielfach unvermeidlichen Beschäftigungsabbaus war eine auch für junge Arbeitnehmer nicht leichte Situation entstanden. Inzwischen haben sich die fachlichen Voraussetzungen der ostdeutschen Jugendlichen, ohne Ausnahme in allen Unternehmensbereichen tätig zu werden, grundlegend verbessert, wohingegen in der ersten Anpassungsphase ein Einsatz im Marketing, Finanzwesen oder Einkauf mit vielen Schwierigkeiten verbunden war. Sechs Jahre nach der Wiedervereinigung sind durch die in dieser Zeit liegende Nachqualifizierung, Erstausbildung oder den Hochschulabschluß ganz andere Qualifikationen entstanden, so daß von einer Gefahr der ostdeutschen Jugend, wegen der Bildungsvoraussetzungen ins Hintertreffen zu geraten, nicht mehr gesprochen werden kann. 79 Prozent der befragten Unternehmen konnten nach der Privatisierung wieder Jugendliche einstellen, 55 Prozent davon Hochschulabsolventen. Aus der Sicht der Unternehmen zeichnen sich Beschäftigungsmöglichkeiten für die Jugendlichen vor allem dort ab, wo durch technologische Innovationen, neue Produkte, moderne, Vertriebs-und Fertigungskonzepte die Unternehmensprofilierung in den neuen Bundesländern schnell vorangeht. In solchen exponierten Bereichen bestehen auch für die weiblichen Jugendlichen keine schlechten Chancen. 62 Prozent sehen im computergesteuerten Finanzwesen und Controlling besondere Entwicklungsmöglichkeiten, in Vertrieb und Marketing 45 Prozent sowie im Einkauf 35 Prozent.

Was die Erstausbildung in ostdeutschen Unternehmen betrifft, so bleibt vor allem der Druck, zusätzliche Lehrstellen zu schaffen, vorerst bestehen. 16 Prozent der befragten Unternehmen sprechen derzeit noch von einer möglicherweise sinkenden Ausbildungszahl, 59 Prozent wollen die Ausbildung zumindest in gleichem Umfang, auch über den eigenen Bedarf hinaus, fortsetzen, und 26 Prozent erwägen, die Erstausbildung auszuweiten. 55 Prozent der Unternehmen fordern, die Berufsbilder zu modernisieren und darüber hinaus die Ausbildungsaufgaben zwischen Berufsschulen und Unternehmen effizienter zu verteilen. Der Katalog der Ansprüche reicht von Ergänzungsqualifikationen über mehr Auswahlmöglichkeiten der Fach-wissensvermittlung innerhalb einer Berufsrichtung, die Aufnahme neuester technologischer Verfahren und Normen bis zu berufsübergreifenden Ausbildungselementen.

IX. Flexibel und innovationsbereit

Nimmt man die typischen Begleitumstände betrieblicher Innovationen, die in Arbeitszeitregime und Unternehmensorganisation eingreifen, sind die meisten Jugendlichen dafür offen, ihr Leben darauf einzustellen. 74 Prozent der Unternehmen gehen davon aus, daß sie die Flexibilisierung der Arbeitszeit mittragen, lediglich 1, 3 Prozent sprechen von ablehnenden Reaktionen und 25 Prozent noch von eher passivem Verhalten. Externe und umfangreiche Weiterbildungsmaßnahmen, die meist erhebliche Mobilität erfordern, waren in 87 Prozent der Unternehmen für die Jugendlichen kein Problem. Geht es dabei um Weiterbildung außerhalb der Arbeitszeit, verhielten sich nur . 8 Prozent ablehnend.

Diese Aufgeschlossenheit gegenüber Innovationen ist für Jugendliche in den neuen Bundesländern sehr typisch und ein Vorteil, den die Unternehmen immer wieder herausstreichen. Es ist so, wie auch in der IBM-Studie am Beispiel von Computerarbeitsplätzen zum Ausdruck kommt: Die ostdeutschen Jugendlichen stehen diesen Neuerungen aufgeschlossener gegenüber als ihre westdeutschen Altersgefährten Zu DDR-Zeiten mit technischen Neuerungen nicht verwöhnt und immer im Nach-trab zu den wissenschaftlich-technischen Umwälzungen der letzten Jahrzehnte, reizen die Jugendlichen nunmehr die Möglichkeiten, selbst daran teilzuhaben. Deshalb ist die Antwort auf die Frage, inwieweit eine an Forschung und Entwicklung, Produktinnovation und Technologie interessierte Ingenieur-und Wissenschaftlergeneration heranwächst, für die Unternehmen wie für die Chancen der Jugendlichen selbst ein wichtiger Faktor. Nach dem Urteil von 80 Prozent der Unternehmen verfügt der neue ostdeutsche Hochschulnachwuchs über die entsprechenden Voraussetzungen. Ob damit auch der Anschluß an internationale wissenschaftliche Maßstäbe gelungen ist, bejahen 49 Prozent, und 48 Prozent schätzen diesen Prozeß als deutlich vorangekommen ein. 88 Prozent der Unternehmen heben den ausgeprägten Leistungswillen hervor.

Inzwischen sind, anders als kurz nach der Wende, besondere Einstiegs-und Karrierewege für ostdeutsche Absolventen eher die Ausnahme. Gemessen wird an gleichen Kriterien. 46 Prozent der Unternehmen haben Jugendlichen Hauptabteilungsleiter-und Abteilungsleiterpositionen übertragen, und 13 Prozent der Unternehmen nahmen inzwischen jugendliche Nachwuchskräfte in die Geschäftsführung auf. Allerdings ändern sich die Karrieremuster. Viele ostdeutsche Unternehmen sind bereits jetzt auf flache Hierarchien fixiert. Das bedeutet, es reduzieren sich die vertikalen Aufstiegsmöglichkeiten und sogenannte Fachkarrieren und die Verantwortung in Projekt-gruppen gewinnen erheblich an Gewicht. Mit der Bereitschaft und der Befähigung der ostdeutschen Jugendlichen zur Teamarbeit unter diesen neuen Bedingungen haben die Unternehmen gute Erfahrungen gemacht.

Und wie steht es bei dieser Aufgeschlossenheit um das Verhältnis zur Umwelt? Nachdem in der Mangelwirtschaft der DDR Umweltansprüche immer eine unerwünschte Belastung, in der öffentlichen Meinungsbildung und in der Politik ein Stiefkind waren, bescheinigen 91 Prozent der Unternehmen den ostdeutschen Jugendlichen ein verantwortungsvolles Umweltverhalten. 49 Prozent sprechen von sehr gutem und gutem, 42 Prozent von einem befriedigenden Umweltbewußtsein. Als ökologisch in besonderer Weise motiviert werden etwa 50 Prozent der Jugendlichen bezeichnet. Das ist eine insbesondere aus den „Umweltsünden“ der DDR erklärbare und sehr verständliche Entwicklung unter der ostdeutschen Jugend. Viele von ihnen haben tagtäglich erlebt, wie um der Produktion willen und aus Gründen der Kostenersparnis gegen Vernunft und Umweltnormen verstoßen wurde, obwohl die Folgen für Natur und Mensch nicht mehr zu übersehen waren.

Diese beachtenswerten positiven Trends schließen nicht aus, daß erziehungsbedingte Denkmuster aus DDR-Zeiten teilweise nachwirken und neue Denk-und Verhaltensweisen sich allmählich entwickeln. Aber rückwärtsgewandt verhalten sich die ostdeutschen Jugendlichen nicht. Die Wende haben sie besser verkraftet, als gemeinhin eingeräumt wird. Es präsentiert sich eine junge Generation, die zukunftsorientiert denkt, der Marktwirtschaft offen gegenübersteht und Leistungswillen zeigt. Einen „unreflektierten Optimismus“ bedeutet das aber nicht, sondern das Selbstvertrauen der Jugendlichen, daß auftretende Probleme bewältigt werden können, ist die viel überzeugendere Haltung.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Angeregt und finanziert wurde dieses Projekt von der informedia-Stiftung Gemeinnützige Stiftung für Gesellschaftswissenschaften und Publizistik Köln.

  2. Vgl. Elisabeth Noelle-Neumann, Wie nah? Wie fern?, in: wir. (Wirtschafts-Initiativen für Deutschland e. V.), Jahresbericht 1995, S. 16.

  3. Vgl. Jugendliche und junge Erwachsene in Deutschland, Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage in den alten und neuen Bundesländern, Institut für praxisorientierte Sozialforschung (IPOS), Juni 1995, hrsg. vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Mannheim 1995, S. 110.

  4. Vgl. Renate Köcher, Ist die Marktwirtschaft nicht menschlich genug?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16. August 1995, S. 5.

  5. Vgl. Wir sind o. k. l Stimmungen, Einstellungen, Orientierungen der Jugend in den 90er Jahren, Die IBM Jugendstudie des Instituts für empirische Psychologie, Köln 1995, S. 37.

Weitere Inhalte

Hans-Joachim Beyer, Prof. Dr. rer. oec., Dr. sc. oec., geb. 1938; Studium der Wirtschaftswissenschaften in Leipzig, Betriebswirtschaft (Fachrichtung Industrieökonomik); Leiter des Berliner Büros des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln. Veröffentlichungen zum Existenzgründungsprozeß in den neuen Bundesländern, u. a. zu Mittelstandsförderung, Lehrlingen, Weiterbildung und Umschulung im Handwerk, Junge Unternehmer.