Weltrisikogesellschaft und öffentliche Wahrnehmung globaler Gefährdungen
Michael Zürn/Ingo Take
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Zusammenfassung
Globale ökologische Gefährdungen wie der Treibhauseffekt, das Ozonloch, aber auch die Bodendegradation und die Vernichtung der Artenvielfalt sind parallel zum Bevölkerungswachstum integrale Bestandteile einer sich herausausbildenden Weltrisikogesellschaft geworden. Gleichzeitig wird die Bedeutung dieser Problemfelder für die internationale Politik immer gravierender. Auch die öffentliche Aufmerksamkeit, die ihnen in den westlichen Industrieländern entgegengebracht wird, scheint zuzunehmen. Ein genauerer Blick zeigt aber zugleich, daß die öffentliche Wahrnehmung der globalen Gefährdungen von Widersprüchen geprägt ist und keinesfalls nur als Reflex immer größer werdender Risiken verstanden werden kann. Der Beitrag versucht, die Widersprüche in der öffentlichen Wahrnehmung globaler Gefährdungen aufzudecken und sie mit risikosoziologischen Kategorien zu erklären.
Der fortschreitende Globalisierungsprozeß läßt sich neben der wirtschaftlichen Integration im OECD-Raum insbesondere an der wachsenden ökologischen Interdependenz zwischen Nord-und Südhalbkugel festmachen. Während im ökonomischen Bereich die Abhängigkeit und die Verwundbarkeit der Industrieländer seitens der Länder der sogenannten Dritten Welt relativ schwach ist, steigt sie im ökologischen und demographischen Bereich. Erhard Eppler bringt die Ambivalenz dieser Entwicklung zum Ausdruck: „Unglücklicherweise -oder glücklicherweise -holt uns die Interdependenz doch noch ein, nicht in der Ökonomie, wohl aber auf zwei anderen Gebieten: der Ökologie und der Migration.“ Das Kernstück der neuen Interdependenz sind globale Gefährdungen.
Als globale Gefährdungen sollen diejenigen sozialen Prozesse definiert werden, die eine Bedrohung für das Leben der Mehrzahl der derzeit lebenden Menschen sowie nachfolgender Generationen in mindestens zwei großen Regionen der Erde gleichzeitig beinhalten. Diese Gefährdungen machen den Kern einer Weltrisikogesellschaft aus. Sie zeichnen sich dadurch aus, daß die durch sie hervorgerufenen Schädigungen weder örtlich noch zeitlich eingrenzbar sind, sich kaum mehr bestimmten Verursachern zuordnen lassen, oft irreparable Schädigungen verursachen und damit die etablierte Risikologik unterlaufen oder sogar gänzlich außer Kraft setzen. Die negativen Folgen im Schadensfall lassen sich nicht mehr sinnvoll mit Kategorien des Risikohandelns beschreiben, da sich die Kosten nicht kompensieren lassen, sondern auf Handelnde wie Betroffene gleichermaßen zurückschlagen. Bedroht ist demnach heute die Menschheit als Ganzes, nicht mehr nur eine „Nation“ oder eine „Zivilisation“. Charakteristisch für globale Gefährdungen ist also, daß sie das Unversehrtheits-und Selbstbestimmungsrecht der Menschen aus ihrem traditionellen Kontext herauslösen und dem nationalstaatlichen Schutz entziehen
Bei einer realistischen Betrachtungsweise der nahen Zukunft müßten diese Herausforderungen zu vehementen politischen Reaktionen führen. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß die „Weltrisiken“ tatsächlich als solche wahrgenommen werden. Neben den objektiven Gefährdungen gehört also eine öffentliche Realisierung des Ausmaßes der Gefährdungen ebenso dazu wie eine ausreichende Zahl politischer Akteure, die die globalen Gefährdungen mit gemeinsamen politischen Institutionen bekämpfen wollen.
In unserem Beitrag soll vor diesem Hintergrund gefragt werden, was die öffentliche Wahrnehmung der Gefährdungen bestimmt. Reagieren wir mit „Panik“ oder mit „handlungsbereiter Gelassenheit“ auf die Herausforderungen? Oder reagieren wir gar nicht und schlittern ahnungslos in die Katastrophe? Um zur Klärung dieser Fragen beizutragen, wollen wir zunächst einen kurzen Überblick der wichtigsten globalen Gefährdungen sowie ihrer politischen Bearbeitung auf der Ebene der internationalen Politik geben. Im zweiten Schritt werden einige Eckpunkte der öffentlichen Wahrnehmung dieser Gefährdungen beschrieben. Deren Widersprüchlichkeit legt nahe, daß neben der „objektiven“ Dringlichkeit andere Faktoren eine Rolle spielen. Im dritten Abschnitt wollen wir schließlich einige risikosoziologische Überlegungen anstellen, die manche der Widersprüche in der öffentlichen Wahrnehmung von globalen Gefährdungen erklären können.
I. Globale Gefährdungen
1. Zerstörung der Umwelt Bei der Betrachtung globaler Gefährdungen muß zwischen reichtumsbedingten und armutsbedingten Zerstörungen der Umwelt unterschieden werden. Während viele der reichtumsbedingten ökologischen Gefährdungen aus der Externalisierung von Produktionskosten resultieren, handelt es sich bei der armutsbedingten ökologischen Zerstörung primär um eine Selbstzerstörung der Armen mit Nebenwirkungen auch für die Reichen. Reichtumsbedingte Umweltzerstörungen verteilen sich gleichmäßig auf dem Globus, während armutsbedingte Umweltzerstörungen vorrangig an Ort und Stelle anfallen und sich erst in Form von mittelfristig auftretenden Nebeneffekten internationali a) Reichtumsbedingte ökologische Zerstörungen Unter reichtumsbedingten ökologischen Zerstörungen sollen vor allem die globalen Gefährdungen gefaßt werden, die weitgehend durch die Produktionsweisen und den Lebensstil in den Industrieländern auf der nördlichen Halbkugel der Erde verursacht werden. Ein Beispiel für eine reichtumsbedingte ökologische Zerstörung ist die Ausdünnung der Ozonschicht. Die chemische Industrie produziert seit den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts Stoffe, die vor allem in der Kühl-technik Anwendung finden (FCKW, Halone) und die stratosphärische Ozonschicht, die als Filter für die von der Sonne ausgehende ultraviolette Strahlung fungiert, massiv schädigen. Wissenschaftliche Prognosen gehen davon aus, daß eine Schädigung der Ozonschicht der Stratosphäre um ein Prozent eine Zunahme der ultravioletten Strahlung auf der Erdoberfläche um zwei Prozent und eine ähnlich hohe Zunahme von Hautkrebserkrankungen weltweit zur Folge hat. Die Spitzenwerte liegen in den südlichen Gegenden wie Australien und Neuseeland, wo die Ozonschicht am dünnsten ist. Als weitere Folgen für die menschliche Gesundheit, die ebenfalls weltweit auftreten werden, sind Haut-und Augenerkrankungen sowie die Schwächung des Immunsystems zu erwarten. Die negativen Auswirkungen auf die Tier-und Pflanzenwelt sind noch wenig bekannt, aber wohl kaum weniger weitreichend.
Internationale Bemühungen zum Schutz der Ozonschicht wurden bereits im Jahre 1985 in Wien unternommen (Wiener Konvention). Zu einer konkreten Einigung über die schrittweise Reduzierung einiger wichtiger FCKW kam es erstmals 1987 mit der Verabschiedung des Montrealer Protokolles. Auf den folgenden Konferenzen einigten sich die Vertragsstaaten schließlich darauf, den vollständigen Ausstieg aus der Produktion und dem Gebrauch der meisten ozonzerstörenden Substanzen zeitlich auf 1996 vorzuziehen. Infolge dieser internationalen Maßnahmen ist seit Ende der achtziger Jahre die weltweite FCKW-Produktion drastisch zurückgegegangen. Die internationale Regelung der Ozonproblematik kann damit trotz einiger fortbestehender Probleme als vergleichsweise erfolgreich bezeichnet werden. Die hohe gesellschaftliche Aufmerksamkeit, die dieses Thema seit Mitte der achtziger Jahre besitzt, hat damit politischen Widerhall erfahren. Nach einer internationalen GALLUP-Umfrage vom Mai 1992 wird das Ozonloch in Westeuropa und Nordamerika nach wie vor zusammen mit der Regenwald-vernichtung als das drängendste internationale Umweltproblem angesehen
Ein weiterer Ausdruck reichtumsbedingter ökologischer Zerstörungen ist der sogenannte Treib-hauseffekt. Verursacht wird er durch die seit der industriellen Revolution steigende Konzentration von Kohlendioxid und anderer Spurengase in der Atmosphäre. Für diesen Anstieg sind in erster Linie die Industrieländer verantwortlich, deren Pro-Kopf-Ausstoß an CO 2 ungefähr zehnmal höher ist als in den sogenannten Entwicklungsländern. Der Treibhauseffekt wird in den nächsten Jahrzehnten zu einer signifikanten Erhöhung der durchschnittlichen Erdtemperatur (Schätzungen liegen zwischen 1,5 -4,5 Grad Celsius) mit weitreichenden ökologischen, ökonomischen, sozialen und politischen Konsequenzen führen.
Hinsichtlich des genauen Ausmaßes und der Auswirkungen globaler Erwärmung bestehen allerdings erhebliche Unsicherheiten. Zu erwarten ist, daß schon bestehende, regional gravierende Probleme wie Trockenheit, Wüstenausdehnung oder Bodenerosion durch die Klimaveränderung verschärft werden. Eine weitere bedrohliche Konsequenz ergibt sich aus dem Abschmelzen der Polar-kappen und der thermischen Ausdehnung des Meereswassers. Die aktuellen Berechnungen prognostizieren ein Ansteigen des Meeresspiegels um 38 bis 55 Zentimeter in den nächsten 100 Jahren. Betroffen sind deshalb zunächst alle Menschen, die in der Nähe der Küsten leben. Es handelt sich dabei um ca. ein Drittel der Weltbevölkerung. Länder wie zum Beispiel Bangladesh oder die Inselstaaten im Pazifik sind durch den ansteigenden Meeresspiegel in ihrer Existenz bedroht. Die Wissenschaft ist sich auch einig, daß die fortschreitende Erwärmung außerdem zur Ausbreitung von Parasiten und Krankheitserregern führt und damit die Gesundheit aller Lebewesen bedroht. Doch besteht weiterhin Unsicherheit darüber, wann wo welche Krankheiten vermehrt auftreten werden. Über die Auswirkungen auf die Ernährung und eventuelle Flüchtlingsbewegungen können ebenfalls nur Vermutungen angestellt werden. Internationale Bemühungen zum Schutz des Klimas lassen sich verstärkt seit Ende der achtziger Jahre beobachten. Mit der globalen Klimakonvention, die auf der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung (UNCED) in Rio de Janeiro im Juni 1992 verabschiedet und seitdem von ca. 80 Staaten unterzeichnet wurde, hat auch dieses Problem erste Ansätze einer politischen Bearbeitung auf der internationalen Ebene erfahren. Die Umsetzung der Prinzipien und Normen der Konvention in konkrete politische Verhaltensvorschriften in Form von Protokollen mit klaren Emissionsreduktionen steht allerdings trotz entsprechender Bemühungen auf der Berliner Folgekonferenz von 1995 noch aus. Der globale CO 2-Ausstoß wächst folglich nach wie vor. Trotz dieser bedrohlichen Situation ist in der öffentlichen Wahrnehmung in Westeuropa und Nordamerika die Klimaerwärmung ein weniger drängendes Problem als das Ozonloch. Tagesaktuelle Bedeutung gewinnt die Veränderung des Klimas zusätzlich immer dann, wenn bestimmte Weltregionen von Unwetterkatastrophen oder Überschwemmungen heimgesucht werden. b) Armutsbedingte ökologische Zerstörungen Es war die Brundtland-Kommission, die erstmals mit Nachdruck darauf hingewiesen hat, daß Umweltzerstörung nicht nur ein Beiprodukt des Wachstums ist, sondern -ganz im Gegenteil -auch ein enger Zusammenhang zwischen Armut und Umweltzerstörung besteht Folglich verursachen sowohl Unterentwicklung als auch das ressourcenintensive Wachstumsmodell der heute führenden Industrienationen globale Gefährdungen. Bei armutsbedingten ökologischen Zerstörungen handelt es sich primär um eine Selbstzerstörung der Lebensgrundlagen der Armen dieser Erde mit Nebenwirkungen auch für die Bewohner in reichen Ländern, die diese Zerstörungen also erst sekundär zur globalen Gefährdung werden lassen. Das bekannteste Beispiel für die ökologische Selbstzerstörung mit globalen Auswirkungen ist der Raubbau an den Regenwäldern. Die tropischen Regenwälder zeichnen sich durch eine Artenvielfalt aus, über die es bisher nur grobe Schätzungen gibt. Man vermutet, daß etwa 40 Prozent aller auf der Erde vorhandenen Tier-und Pflanzenarten dort leben. Der Raubbau an dieser Ressource verursacht deshalb unschätzbare Verluste an genetischer Vielfalt. Die Ursachen für den Raubbau, der bereits zu einer Vernichtung der weltweiten Regenwaldbestände um 50 Prozent geführt hat, sind bekannt: die Brandrodung zur Anlage von landwirtschaftlichen Nutzflächen, die Rohstofferschließung, die Errichtung von Industrie-
und Energiegewinnungsanlagen sowie Siedlungen und die Abholzung zu Exportzwecken.
Weder der „Tropenwaldaktionsplan“ der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) von 1985 noch sein Nachfolgevertrag, der 1995 in Kraft trat, stellen angesichts dieser vielfältigen Ursachen einen angemessenen Beitrag zum Schutz der Tropenwälder dar. Diese Verträge haben aufgrund des Fehlens von klaren Verpflichtungen für die Unterzeichnerstaaten eine nur geringe Wirksamkeit. Zweifelhaft ist auch, ob die im Rahmen der globalen Klimakonferenz errichtete „Global Environmental Facility“ mehr erreichen kann. Festzuhalten ist gleichwohl, daß der Raubbau am Regenwald nach wie vor eine sehr hohe öffentliche Aufmerksamkeit erfährt, wenn sie auch -verglichen mit derjenigen Mitte der achtziger Jahre -zurückgegangen sein dürfte.
Parallel zur Zerstörung tropischer Regenwälder ist der Rückgang der Biodiversität zu betrachten. Jeden Tag verschwinden je nach Schätzung zwischen 5 und 100 Tier-und Pflanzenarten von unserer Erde. Eine genauere Zahl ist nicht zu ermitteln, da die meisten Arten aussterben, bevor die Wissenschaft überhaupt Kenntnis von ihnen erhalten hat. Nach Angaben der UNO sind drei Viertel der genetischen Varianten von Getreide in den letzten hundert Jahren verschwunden und 22 Prozent aller bekannten Tier-und Pflanzenarten gefährdet oder stark bedroht. Mit jeder Art, die ausstirbt, verliert die Erde -und damit auch der Mensch -genetische Substanz, die im Laufe der künftigen Evolution einmal wichtig sein könnte.
Trotz dieser dramatischen Entwicklungen hat das Problem der Biodiversität bisher kaum öffentliche Aufmerksamkeit gewonnen. Es liegt hinsichtlich der öffentlichen Risikowahrnehmung in Westeuropa und Nordamerika deutlich hinter der Ozonloch-, Regenwald-und Treibhausproblematik zurück Auch die politische Bearbeitung auf der internationalen Ebene muß als defizitär eingestuft werden: Zwar existieren zahlreiche internationale Vereinbarungen zum Schutz von spezifischen Arten (z. B. Wale) und von besonders artenreichen Regionen (z. B. Wattenmeer), und auch der Handel mit bedrohten Arten ist durch das Artenschutzübereinkommen CITES reguliert. Weiterhin haben die Vereinten Nationen bei der Umwelt-Konferenz von 1992 die Erhaltung der Artenvielfalt -gleichwertig mit dem Schutz von Atmosphäre und Klima -ins Zentrum der Weltpolitik gerückt und die Teilnehmerstaaten dazu aufgefordert, die Biodiversität zu sichern. Diesem Ziel diente auch die Artenschutzkonferenz in Jakarta (1995). Die Installierung eines Sekretariats, die Einrichtung einer Arbeitsgruppe sowie die Erarbeitung eines Zusatzprotokolles (bis 1998), das den Umgang und vor allem den grenzüberschreitenden Transfer mit bio-und gentechnisch veränderten Organismen regelt, sind die nennenswerten Ergebnisse dieser Konferenz, an der 140 Staaten teilnahmen. Alles in allem haben sich diese inter-nationalen Vereinbarungen jedoch bisher als wenig effektiv erwiesen.
Als weitere herausragende armutsbedingte ökologische Zerstörung mit globalem Ausmaß ist die fortschreitende, zivilisationsbedingte Vernichtung fruchtbarer Böden zu nennen. Die Zerstörung hat bereits bedrohliche Ausmaße angenommen: 15 Prozent der gesamten eisfreien Landoberfläche sind derzeit geschädigt, und allein in den letzten vierzig Jahren ist rund ein Drittel des weltweit nutzbaren Ackerbodens durch Erosion verloren-gegangen. Die weltweite Verbreitung dieser Zerstörung und die Geschwindigkeit, mit der sie fortschreitet, erhebt sie in den Rang einer globalen Gefährdung. Noch weniger als die bereits genannten globalen Gefährdungen hat die zivilisationsbedingte Zerstörung fruchtbarer Böden das öffentliche Problembewußtsein hierzulande erreicht.
Erosion durch Wind und Wasser, Kontaminierung, Versalzung und Versiegelung werden fast ausschließlich als lokale oder regionale Gefährdungen in den betroffenen Gebieten und kaum als weltgesellschaftliche Probleme wahrgenommen. Dementsprechend wird dieses Risiko in der westlichen Welt als vergleichsweise unbedeutend, in weiten Teilen der Entwicklungs-und Schwellenländer aber als drängendes Umweltproblem angesehen. Auch auf politischer Ebene ist die Bilanz defizitär. Auf der Umwelt-Konferenz 1992 haben sich die Vertragsstaaten im Kapitel 12 der AGENDA 21 zwar im wesentlichen darauf geeinigt, wie der Ausbreitung der Wüsten entgegenzuwirken sei, doch die 1994 von mehr als hundert Staaten unterzeichnete „Wüsten-Konvention“ allein stellt sicherlich kein ausreichendes Instrumentarium zur Bekämpfung dieser Gefährdung dar. Ob es gelingen wird, die Konvention in effektive Protokolle mit konkreten Verpflichtungen zu übersetzen, bleibt abzuwarten. 2. Bevölkerungswachstum Häufig wird auch das Bevölkerungswachstum als eine weitere armutsbedingte globale Gefährdung angesehen. Die Weltbevölkerung hat gerade die 5-Milliarden-Grenze überschritten, während sie zu Beginn des Jahrhunderts noch bei unter zwei Milliarden lag. Bis zum Jahr 2000 werden über sechs und bis 2025 weit über acht Milliarden Menschen auf der Erde leben. Die Weltbevölkerung wächst somit gegenwärtig alle vier bis fünf Tage um eine Million netto (d. h. Geburten minus Sterbefälle); alle drei Tage entsteht ein neues Frankfurt auf der Welt, besser gesagt in der sogenannten Dritten Welt, denn das Bevölkerungswachstum findet vorallem dort statt So wird beispielsweise Mexico-City in acht Jahren ca. 25 Millionen Einwohner haben.
Es handelt sich dabei jedoch um einen besonderen Problemtyp. Zum einen ist es weniger unmittelbare Armut, vielmehr sind es die Auswirkungen des Scheiterns der nachholenden Entwicklung, die die besorgniserregenden Formen des Bevölkerungswachstums hervorrufen. Hiermit ist ein Prozeß gemeint, in dem dynamische Wachstumsprozesse eingeleitet werden, die aber aufgrund von ökonomischen und politischen Fehlentwicklungen nicht zu einem demokratischen Wohlfahrtsstaat führen. Als Resultat entstehen Volkswirtschaften, die die technologischen und medizinischen Möglichkeiten zur Umweltzerstörung haben, ohne daß sie die institutionellen und politischen Mittel besitzen, um unkontrolliertes Wachstum und Zerstörung zu verhindern. Zum anderen ist das Bevölkerungswachstum eine sozial vermittelte und keine unmittelbare Gefährdung. Es ist jedoch der entscheidende Verursachungsfaktor vieler der genannten armutsbedingten globalen Gefährdungen.
Eine der Hauptfolgen des Bevölkerungszuwachses ist die Migration. 23 Millionen Menschen sind nach Schätzungen des UN-Flüchtlingskommissariats derzeit über die Grenzen ihres Heimatlandes geflüchtet. Hinzu kommen noch einmal 26 Millionen Vertriebene, die im eigenen Land umherirren. Weltweit ist jeder 115. Mensch auf der Flucht. Die Zahl der „inoffiziellen Umweltflüchtlinge“ wird schon heute auf 500 Millionen geschätzt. Die meisten dieser Flüchtlinge schaffen es allerdings nur bis in ihre Nachbarländer. Die reichen Staaten sind im Verhältnis zu Staaten der Dritten Welt, die nahe an den Krisengebieten liegen, nur sehr schwach von Flüchtlingsbewegungen betroffen. Was die Massenmigration heute zur globalen Gefährdung macht, sind -neben dem schieren Ausmaß -vor allem Auswirkungen, die sie auf den ohnehin schon prekären ökologischen und politischen Zustand der Welt haben können. Damit stellt auch die Massenmigration eine sozial vermittelte globale Gefährdung dar.
Weder die Kairoer Bevölkerungskonferenz von 1994 noch der Weltsozialgipfel im März 1995 in Kopenhagen können als adäquate politische Bearbeitung der globalen Gefährdungen, die aus dem Bevölkerungswachstum und der Massenmigration resultieren, betrachtet werden. Beide Konferenzen endeten in allgemeinen Formelkompromissen, die keine konkreten Verpflichtungen für die Unterzeichnerstaaten beinhalten. Relativ hoch ist allerdings der öffentliche Aufmerksamkeitsgrad, den das Bevölkerungswachstum und die Migration erfahren. Dabei überwiegt die Wahrnehmung, daß alle in unserem Teil der Welt erzielten Fortschritte zur Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen von der Bevölkerungszunahme in der sogenannten Dritten Welt und dem damit oft einhergehenden wirtschaftlichen Wachstum zunichte gemacht werden. Daß das Fünftel der Erdbevölkerung, dem wir angehören, immer noch achtzig Prozent der weltweiten Ressourcen verbraucht und mit Abstand die größten Schäden anrichtet, scheint darüber allerdings vergessen zu werden. Nicht unsere Art zu wirtschaften, nicht unseren Lebensstil sehen wir primär als globale Gefährdung, sondern die Zunahme der Bevölkerung in den Regionen, die nur einen Bruchteil von dem verbrauchen und zerstören, was wir uns leisten.
II. Beobachtungen zur öffentlichen Wahrnehmung globaler Gefährdungen
Bereits diese Skizze der globalen Gefährdungen weist darauf hin, daß der heute wissenschaftlich abschätzbare „Risikowert“ verschiedener globaler Gefährdungen kaum mit dem jeweiligen Aufmerksamkeitsgrad in den westlichen Industrieländern übereinstimmt. Unterstützt wird diese Beobachtung durch zahlreiche sozialpsychologische Studien, die nachweisen, daß die Beurteilung einer Gefahr nicht ausschließlich von der Wahrscheinlichkeit und dem Ausmaß des durch sie drohenden Schadens bestimmt wird.
Im vorliegenden Fall der globalen Gefährdungen lassen sich besonders hohe Risikowerte der Bodenzerstörung, der Vernichtung der Artenvielfalt und der Klimaveränderung zuordnen, zumal die bisherigen internationalen Bemühungen zur effektiven Regelung in diesen Bereichen als unzureichend bezeichnet werden müssen. Mit Ausnahme der Klimaerwärmung sind es aber genau diese meist armutsbedingten Gefährdungen, die ein nur geringes Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit erfahren. Andere globale Gefährdungen -die Schädigung der Ozonschicht, das Abholzen des Regenwaldes und das Bevölkerungswachstum samt Migration -erfahren bereits eine deutlich höhere öffentliche Aufmerksamkeit. Interessanterweise scheinen aber diejenigen ökologischen Probleme die größte öffentliche Aufmerksamkeit zu erlangen, die sich nicht einmal so recht als globale Gefährdungen qualifizieren lassen. Dazu gehören spektakuläre Tankerunfälle wie zuletzt der vor Wales, das Versenken von Bohrinseln wie im Falle der Brent Spar von Shell vorgesehen und z. T. auch das Massensterben von Tieren wie Robben und Walen. Kurz und nicht gut: Bei den globalen Gefährdungen klaffen objektive Risikowerte und öffentliche Aufmerksamkeit weit auseinander. Wie ist das zu erklären in einer Gesellschaft, in der alle notwendigen Informationen zugänglich sind?
Bei der Betrachtung der Wahrnehmung globaler Gefährdungen als Ganzes fällt weiterhin auf, daß das „Worst-case“ -Denken, welches die westliche Reaktion auf die sowjetische Bedrohung während des Kalten Krieges dauerhaft geprägt hat, hier kaum zur Anwendung kommt. Die gesamte westliche Verteidigungspolitik beruhte bis weit in die achtziger Jahre hinein explizit auf der Annahme, daß die Sicherheit der westlichen Welt am besten gewährleistet sei, wenn Verteidigungspolitik für den schlimmsten Fall geplant wird. Dieser wurde durch die Annahme der aggressiven Intention der Sowjetführung und durch die höchste Schätzung militärischer Fähigkeit der Warschauer-Pakt-Staaten festgelegt. Diese beiden Prämissen westlicher Containment-Politik waren innerhalb der politischen Elite kaum in Frage gestellt. Demgegenüber arbeitet die Politik mit Blick auf die globalen Gefährdungen weitgehend mit „Best-case“ -Szenarien. Im Falle der durch den hohen CO 2-Ausstoß verursachten Klimaveränderungen zum Beispiel gehen die optimistischen Schätzungen als wissenschaftliche Grundlage in die Verhandlungen ein. Woher rührt diese grundlegende Differenz bei der Wahrnehmung bedrohlicher Risiken?
Eine dritte Beobachtung zur öffentlichen Wahrnehmung von globalen Gefährdungen ist, daß die wahrgenommene Dringlichkeit der Bekämpfung des Risikos „Umwelt“ in den meisten westlichen Industrieländern immer noch weit hinter der anderer Probleme liegt, deren tatsächlicher Risikowert uns geringer erscheint. So wurde zwischen 1992 und 1995 nicht nur die Arbeitslosigkeit als das dringlichere Problem wahrgenommen, sondern auch die Asyl-und Ausländerproblematik Und die Angst vor Umweltzerstörungen ist heute auch deutlich geringer als die Angst vor einem Atomkrieg während des Ost-West-Konflikts, obwohl die Menschen teilweise bereits unter Schädigungen der Umwelt zu leiden haben, was sich etwa in der Zunahme von Allergien zeigt. Daß derartige Dringlichkeitsranglisten nicht einfach Ausdruck rationaler Risikobewertung sind, zeigt sich auch daran, daß gemäß international vergleichenden Umfragedaten in manchen Entwicklungsländern bei den Befragten ein höheres Umweltproblembewußtsein zu herrschen scheint als in der Bundesrepublik. So würden weniger als die Hälfte der Deutschen auf einen Teil ihres Einkommens zugunsten des Umweltschutzes verzichten. In Schwellenländern wie etwa der Türkei, Südkorea und Chile würde nach eigener Aussage hingegen ein größerer Teil der Bevölkerung einen solchen Verzicht befürworten. Und selbst in Nigeria und Indien liegt die entsprechende Zahl höher 11Wie kommt es zu dieser Absurdität?
Schließlich eine letzte Beobachtung: Die Menschen in den Industrieländern setzen sich permanent mit Risiken und Gefahren aller Art auseinander. Die „lebensverkürzende“ Tasse Kaffee am Tag beschäftigt ebenso die Medien wie die „lebensrettende“ Wirkung des täglichen Weißweingenusses. Unter Miteinbeziehung der globalen Gefährdungen herrscht dabei die allgemeine Wahrnehmung vor, daß man heutzutage unzählig mehr Risiken und Gefahren ausgesetzt ist als in der Vergangenheit. Dieses Element der öffentlichen Wahrnehmung von Risiken macht unmittelbar deutlich, daß im Gesamtbild der Einschätzung von ökologischen Gefährdungen auch Elemente von unbegründeter Panik zu beobachten sind. Aaron Wildavsky bemerkte schon vor geraumer Zeit provokativ: „Wie außergewöhnlich! Die wohlhabendste, bestbehütetste, mit der längsten Lebenserwartung und dem größten Einfallsreichtum ausgestattete Zivilisation, die das größte Maß an Einblick in die von ihr angewandte Technik besitzt, ist auf dem Weg, die am meisten verängstigte zu werden.“
Die öffentliche Aufregung, die z. B. manches Tankerunglück oder der Transport atomarer Materialien erzeugt, scheint kaum angemessen. Im Bewußtsein, daß die öffentliche Wahrnehmung von Risiken auch Elemente von Panik beinhaltet,sind auch die höchst spektakulär inszenierten Aktionen von Greenpeace kritisch zu betrachten, die sich gegen die Tötung von Robben oder die Versenkung der Ölplattform Brent Spar richteten, während gleichzeitig undichte sibirische Pipelines ein höchst empfindliches Ökosystem wie die Taiga mit vielen tausend Litern Öl belasten Man muß sich auch fragen, ob die panische Reaktion auf die kürzlich erstmals öffentlich geäußerte Vermutung über eine mögliche Übertragung der Rinderseuche BSE auf Menschen die milliardenteure Schlachtung von Tieren rechtfertigt, während in Osteuropa das Geld für notwendige Sicherheitsvorkehrungen an maroden Atommeilern fehlt.
Insgesamt gibt die öffentliche Risikowahrnehmung also ein äußerst widersprüchliches Bild ab, das sich stark von den auf rationalen Berechnungen beruhenden Bewertungen der Experten abhebt. Erstellt man eine Rangliste von Gefahren danach, wie viele Menschen jährlich jeweils dabei ums Leben kommen -zum Beispiel bei Verkehrsunfällen oder Unfällen im Haus -, und stellt man ihr eine zweite Rangliste von Gefahren gegenüber, die sich daran orientiert, bis zu welchem Grad die Öffentlichkeit durch sie beunruhigt wird, so läßt sich abschließend konstatieren, daß die beiden Ranglisten erhebliche und z. T. absurde Differenzen aufweisen
III. Weshalb diese Widersprüche?
Woher rühren diese Elemente der Irrationalität in der öffentlichen Wahrnehmung globaler Gefährdungen? Wie können die „subjektiven Wahrnehmungsmuster“ mit den „objektiven Gefährdungen“ in Bezug gebracht werden? Bei der Beantwortung dieser Fragen muß man nicht notwendigerweise postmodern die Ebene der Realität von der Ebene des sozialen Diskurses vollständig abkoppeln. Es können durchaus Merkmale, die in den Gefährdungen selbst verankert sind, bei der Erklärung der Wahrnehmung globaler Gefährdungen herangezogen werden. Dabei sind vier Faktorenbündel besonders wichtig: 1. Neben dem „Risikowert“ sind es vor allem die Auffälligkeit eines Ereignisses und der Kontext bei der Schadensbeurteilung, die die öffentliche Wahrnehmung globaler Gefährdungen bestimmen So wird das Eintreten eines Ereignisses für um so wahrscheinlicher gehalten, je leichter ähnliche Ereignisse erinnert oder vorgestellt werden können. Aber die Anwendung dieser durchaus vernünftigen Heuristik kann zu Fehlern führen, wenn sich die Erinnerung vor allem durch die Berichterstattung in den Medien formt, die wiederum vornehmlich durch den Nachrichtenwert bestimmt wird. Obwohl die Autofahrt in den Urlaub statistisch bei weitem gefährlicher ist und die meisten Menschen auch mehr Bekannte mit Autounfällen als mit Flugzeugunfällen kennen, bewerten Laien die Gefahr des wöchentlich einmal in den Nachrichten gesehenen Flugzeugabsturzes im allgemeinen höher. Das Risiko wird außerdem höher eingeschätzt, wenn eine Technik ein Potential zur Verursachung von Unfällen mit vielen Todesfällen hat, statt nur zu vereinzelten Todesfälle zu führen. Schäden, die erst später oder verzögert eintreten bzw. auf die verzögert reagiert wird, werden im allgemeinen als weniger bedeutsam eingeschätzt als solche, die gerade eingetreten oder die in naher Zukunft zu erwarten sind. Es besteht eine Tendenz in der Öffentlichkeit, plötzlich auftretende und gewaltige -also auffällige -Gefahren zu überschätzen und chronische und schleichende -also unauffällige -zu unterschätzen. 2. Betroffenheit bezeichnet einen weiteren Faktor, der die öffentliche Wahrnehmung entscheidend beeinflußt. Eine Technik, deren Versagen uns direkt betreffen könnte, erscheint ganz allgemein riskanter als eine Technik, deren negative Folgen andere treffen. Der Schaden, der einem selbst zugefügt wird, ist offenbar gravierender als der Schaden, der andere trifft („Sankt-Florians-Prinzip“). 3. Mit der „Betroffenheit“ sind die Faktoren Verantwortlichkeit und Kontrollierbarkeit eng verbunden. Grundsätzlich gilt zunächst, daß freiwillig übernommene Risiken (Autofahren, Rauchen, Hochleistungssport) weniger kritisch gesehen werden und eher akzeptiert werden als Risiken, denen wir unfreiwillig ausgesetzt sind. Hinzu kommt, daß die Überzeugung, das Risiko durch eigenes Handeln kontrollieren zu können, gleichfalls die Risikoeinschätzung reduziert. Auch ein Unfall, der viele Opfer kostet, löst dann relativ wenig gesell-schaftliche Betroffenheit aus, wenn er als Element einer bekannten und grundsätzlich beherrschten Technik auftritt (Zugunglück).
Demgegenüber kann ein kleiner Unfall in einem System, das unvertraut ist und als nicht völlig beherrschbar gilt (Kernenergie, Gentechnik), erhebliche gesellschaftliche Resonanz hervorrufen, wenn er als Vorbote eines weiteren und dann möglicherweise katastrophalen Schadens wahrgenommen wird. Schließlich ist festzustellen, daß dasjenige Übel normalerweise verstärkt als Gefahr wahrgenommen wird, für das sich in der politischen Auseinandersetzung Schuldige finden lassen. 4. Schließlich ist auf den Faktor der Folgenungewißheit hinzuweisen. Gerade für diejenigen reichtumsbedingten globalen Gefährdungen, die in den letzten Jahren kontrovers diskutiert werden, gilt in besonderem Maße, daß wir über die mit ihnen verbundenen Folgeerscheinungen wenig wissen -oder wenig zu wissen meinen -und deshalb auch den Grad unserer Betroffenheit nicht einschätzen können. Bestätigt wird dies durch die Uneinigkeit der Experten in diesen Fragen. Unsere Haltung gegenüber solchen Ungewißheiten ist durch Undeutlichkeit und Ambiguität gekennzeichnet und führt im allgemeinen entweder zu vollständiger Leugnung oder zu maßloser Überschätzung einer diffusen Bedrohung.
Mittels dieser unterschiedlichen Bedingungen der Risikowahrnehmung lassen sich nun einige Elemente der öffentlichen Wahrnehmung von globalen Gefährdungen verständlich machen. Ein Vergleich entlang dieser Kriterien der Risikowahrnehmung macht zunächst deutlich, weshalb globale Gefährdungen nicht in derselben Weise den öffentlichen politischen Diskurs prägen, wie das seinerzeit der Ost-West-Konflikt getan hat. Im Vergleich zur „sowjetischen Bedrohung“ sind die meisten globalen Gefährdungen unauffällig. Insbesondere die zunehmende Vernichtung fruchtbarer Böden sowie der Raubbau an der Biodiversität sind chronische Verschlechterungsprozesse, die in der Wahrnehmung, verglichen mit „schlagartigen“ Ost-West-Krisen, zurücktreten. Ein weiterer Grund für die mangelnde Kenntnisnahme vor allem der armutsbedingten globalen Gefährdungen liegt darin, daß wir von ihren Auswirkungen nicht vorrangig betroffen sind. Überdies ist die Verantwortlichkeit dafür -verglichen mit der extrem konzentrierten Quelle der Bedrohung im Kalten Krieg -äußerst diffus. Diese spezifischen Merkmale der globalen Gefährdungen verhindern ein entsprechendes und u. U. hilfreiches „Worstcase-Denken“, das den Ost-West-Gegensatz so selbstverständlich begleitet hat.
Auch im Vergleich mit anderen dringlichen Problemen unserer Zeit haben sich die globalen Gefährdungen nicht in den Vordergrund der öffentlichen Wahrnehmung drängen können. Die Arbeitslosigkeit wird als bedrohlicher wahrgenommen als die Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen. Ein wesentlicher Grund hierfür liegt darin, daß die Menschen viel direkter von einer steigenden Arbeitslosigkeit in ihrem Land betroffen sind als von den armutsbedingten globalen Gefährdungen, die vorrangig Menschen betreffen, die in großer Entfernung leben. Hinzu kommt, daß das Phänomen der Arbeitslosigkeit um vieles erfahrbarer und auffälliger ist als etwa die ökologische Degradation. Schließlich mag auch noch eine Rolle spielen, daß für die steigenden Arbeitslosenzahlen trotz aller Globalisierung nach wie vor nationale Politiker, Unternehmensführungen und Tarifparteien als Verantwortliche vergleichsweise leicht zu identifizieren sind.
Neben den allgemeinen Schwierigkeiten, welche verhindern, daß die globalen Gefährdungen in der westlichen Welt eine problemangemessene öffentliche Wahrnehmung erfahren, sind insbesondere die festgestellten Binnendifferenzierungen von Interesse. Weshalb erlangen Gesundheits-und Umweltprobleme mit relativ niedrigem Risikowert eine so hohe Aufmerksamkeit? Ereignisse, die akute und überraschende Schädigungen hervorrufen, die dazu noch sinnlich wahrnehmbar bzw. optisch gut darstellbar sind und von deren Folgen die westliche Welt direkt betroffen ist, werden hierzulande als besonders bedrohlich empfunden. Hierzu zählen z. B. Tankerunfälle, die Rinderseuche oder auch die geplante Versenkung der Brent Spar. Wenn diese Ereignisse mit vorangegangenen ähnlichen Ereignissen in Zusammenhang gebracht werden, erhöht sich die öffentliche Aufmerksamkeit weiter. Gelingt es dann auch noch, relativ klar die Verantwortlichen als identifizierbare Verursacher auszumachen -sei es ein betrunkener Kapitän, ein böser Ölmulti oder der britische Großagrarier -und eine diffuse Angst aufgrund ungewisser Folgebelastungen auszulösen, dann rücken solche vergleichsweise nachrangigen Umweltereignisse in den Mittelpunkt der öffentlichen Wahrnehmung und rufen z. T. panikartige Reaktionen hervor.
Eine derartige Analyse erklärt zugleich, weshalb die armutsbedingten globalen Umweltgefährdungen im allgemeinen an einer völlig unzureichenden öffentlichen Aufmerksamkeit in der westlichen Welt leiden. Der Rückgang der Biodiversität und die Boderzerstörung sind ein gradueller und hierzulande äußerst unauffälliger Prozeß, dem eine komplexe Verursachung zugrunde liegt. Da die Bewohner der nördlichen Halbkugel kaum direkt von den armutsbedingten ökologischen Zerstörungen betroffen sind und nur wenig darüber erfahren, fehlt ein angemessenes Risikobewußtsein. Die partiellen Ausnahmen hiervon sind der Raubbau am Regenwald, der sich mittels erschreckender Bilder eindrucksvoll erfahrbar machen läßt, und das Bevölkerungswachstum, das infolge der Migration als eine indirekte Bedrohung für den Norden erfahren wird. Trotz dieser Ausnahmen kann festgehalten werden, daß die Determinanten der öffentlichen Aufmerksamkeit in der westlichen Welt bedauerlicherweise dazu führen, daß die armutsbedingten globalen Gefährdungen -also die mit den höchsten „objektiven“ Risikowerten -systematisch unterschätzt werden. Aufgrund der direkteren Erfahrbarkeit derartiger Schäden und der unmittelbaren Betroffenheit erklärt sich auch das diesbezüglich höhere Umweltbewußtsein in den Entwicklungsländern.
Die reichtumsbedingten Gefährdungen schließlich -allen voran die Ausdünnung der Ozonschicht und der Treibhauseffekt -zeichnen sich zunächst dadurch aus, daß über ihre Auswirkungen und das Ausmaß der von ihnen verursachten Schädigungen ein hohes Maß an Ungewißheit besteht. Es ist jedoch ein gewisses Bewußtsein dafür vorhanden, daß die Folgen dieser Gefährdungen auch für die westliche Welt frappierend sein werden. Überschwemmungen, Stürme oder die Zunahme des bodennahen Ozons sind erste erfahrbare Erscheinungen mit Nachrichtenwert. Sie machen es leichter, auf die reichtumsbedingten ökologischen Gefährdungen öffentlich aufmerksam zu machen. Auf der anderen Seite sind die Folgen dieser Schädigungen jedoch nach wie vor sinnlich nicht unmittelbar wahrnehmbar und auch mit technischen Verfahren nur unzulänglich meßbar. Die Schädigungen sind zudem räumlich nur schwer eingrenzbar und treten mit z. T. erheblicher zeitlicher Verzögerung ein. Durch sie verursachte Todesfälle oder Schädigungen der Gesundheit von Menschen sind mithin kaum direkt zurechenbar. Die Summe dieser Charakteristika hat zur Folge, daß reichtumsbedingte globale Gefährdungen eine mittelgroße öffentliche Wahrnehmung erfahren -relativ unabhängig davon, ob sie einen besonders hohen Risikowert, wie der Treibhauseffekt, oder einen niedrigeren Risikowert, wie das Ozonloch, aufweisen.
IV. Verantwortungsvolle Berichterstattung und Wissenschaft
Folgt aus alledem, daß die Öffentlichkeit sich hauptsächlich nur für personalisierbare Bedrohungen und sensationelle Katastrophen interessiert und mithin die Menschheit zum Untergang aufgrund von diffusen Risiken und schleichenden Schädigungen verdammt ist? Diese fatale Folgerung wäre nur dann richtig, wenn die Determinanten der Risikowahrnehmung'zum einen als sozial unabänderbar und zum anderen als unabdingbare Voraussetzung einer erfolgreichen politischen Bearbeitung angesehen würden. Beides ist nicht richtig.
Verantwortungsbewußte Journalisten sind durchaus in der Lage, die öffentliche Risikowahrnehmung zu beeinflussen. Daß die fast ausschließlich in den Entwicklungsländern auftretenden armutsbedingten schleichenden ökologischen Zerstörungen trotz mangelndem Nachrichtenwert überhaupt Eingang in die öffentliche Wahrnehmung der Gesellschaften des Nordens gefunden haben, ist auch den Medien zu verdanken. Gerade die lange Zeit besonders engagierte Berichterstattung über den Raubbau am Regenwald hat zu einem hohen Problembewußtsein in der westlichen Welt geführt. Unterstützt wird eine derartig verantwortungsvolle Berichterstattung oft von nichtstaatlichen, transnationalen Organisationen, die mit ihren Protestaktionen die für die Medien so wichtigen Bilder schaffen, mit denen dann beim Publikum Betroffenheit erzeugt wird. Obwohl also armutsbedingten globalen Gefährdungen nicht automatisch die Aufmerksamkeit zukommt, die notwendig wäre, um ihnen wirksam entgegensteuern zu können, sind gesellschaftliche Akteure zunehmend in der Lage, das Bewußtsein zu erzeugen, welches notwendige Veränderungen ermöglicht.
Hinzu kommt, daß eine erfolgreiche politische Bearbeitung von internationalen Umweltproblemen auch in Abwesenheit einer hohen öffentlichen Aufmerksamkeit möglich ist. So sorgen beispielsweise sogenannte transnationale Expertengemeinschaften (epistemic communities) -also transnationale Koalitionen aus Umweltbürokraten, Nichtregierungsorganisationen und engagierten Wissenschaftlern -dafür, daß Gefährdungen, auch wenn sie von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werden, auf die Tagesordnung internationaler Politik gelangen. Die Mitwirkung von solchen transnationalen Expertengemeinschaften spielte bei der Errichtung und Umsetzung von erfolgreichen internationalen Umweltregimen wie beispielsweise dem Ozonregime, dem Regime gegen grenzüberschreitende Luftverschmutzung in Europa oder den Regimen zur Reinhaltung der europäischen Binnenmeere eine bedeutsame Rolle Sie trugen durch ihre Arbeit entscheidend zur Problemdefinition, zur Formulierung von Problemlösungen und zur effektiven Umsetzung gemeinsamer Regeln bei.
Verantwortungsvolle Journalisten und transnationale Expertengemeinschaften wären also gut beraten -so die wichtigste Folgerung aus unseren Überlegungen -, wenn sie ihre Anstrengungen insbesondere auf die wirklichen globalen Gefährdungen richten würden, deren Risikowert in der öffentlichen Wahrnehmung systematisch unterschätzt wird.
Ingo Take, Diplompolitologe, geb. 1967; Diplomstudium der Politikwissenschaft an der Universität Bremen; seit Mai 1996 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der TH Darmstadt.
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