Das Beschäftigungsproblem der Industriegesellschaften
Ronald Schettkat
/ 23 Minuten zu lesen
Link kopieren
Zusammenfassung
Jenseits der gängigen Hypothesen zur Erklärung der Einkommens-und Arbeitsmarktprobleme in den Industrieländern wird in diesem Beitrag vor allem der Strukturwandel von der Industrie-zur Dienstleistungsökonomie analysiert. In allen Industrieländern geht Beschäftigung im hochproduktiven Industrie-sektor verloren, während Beschäftigung im Dienstleistungssektor -allerdings mit sehr unterschiedlichen Raten -wächst. Diese Trends werden aus dem Entwicklungsprozeß der Industrieländer heraus erklärt. Die Interaktion von universellen Produktmarktveränderungen mit nationalen Rahmenbedingungen kann die sehr unterschiedlichen Beschäftigungsentwicklungen in den Industrieländern insbesondere bei konsumorientierten Dienstleistungen erklären. Dabei können drei Muster identifiziert werden: (1) Dienstleistungsexpansion im privaten Sektor bei hoher Einkommens-und Lohndifferenzierung (USA, Japan), (2) Dienstleistungsexpansion im öffentlichen Sektor bei egalitären Lohnstrukturen (aktive Wohlfahrtsstaatspolitik in skandinavischen Ländern), (3) relativ geringe Dientleistungszuwächse bei intermediären institutioneilen Arrangements, in denen die Lohnstruktur eine Ausweitung privater Dienstleistungen bremst und in denen der Staat zu passiven Maßnahmen (Finanzierung von Arbeitslosigkeit, Frühverrentungen) statt aktiver Beschäftigungsschaffung tendiert (Bundesrepublik und andere kontinentaleuropäische Wohlfahrtsstaaten). Aus der international vergleichenden Analyse folgt, daß die Industriebeschäftigung vor allem durch verstärkte Innovationsanstrengungen zu stabilisieren ist, daß aber zur Verbesserung der Arbeitsmarktlage die Aktivierung der Beschäftigungspotentiale des Dienstleistungssektors unverzichtbar ist. In der Bundesrepublik kann durch die Umwandlung von Kosten passiver Maßnahmen in Kosten der Dienstleistungsproduktion nicht nur die Beschäftigung, sondern auch das Wohlstandsniveau der Volkswirtschaft erhöht werden, ohne die negativen sozialen Auswirkungen einer Dienstleistungsexpansion durch Einkommens-differenzierung wie in den USA in Kauf nehmen zu müssen.
I. Erklärungsmuster hoher und anhaltender Arbeitslosigkeit
In allen hochindustrialisierten Ländern ist die Arbeitslosigkeit gestiegen (vgl. Graphik 1), und die Arbeitslosenraten der sechziger Jahre -des „Goldenden Zeitalters“ der Industrieländer -erscheinen aus heutiger Sicht geradezu utopisch. In einigen Ländern war es damals tatsächlich möglich, Arbeitslosenquoten von weniger als einem Prozent (im Durchschnitt eines Jahrzehnts!) zu erreichen. Mit Verweisen auf den nächsten konjunkturellen Aufschwung werden seither immer wieder Hoffnungen auf einen substantiellen Abbau der Arbeitslosigkeit genährt, obwohl seit beinahe zweieinhalb Jahrzehnten die Arbeitslosigkeit mit jeder Rezession sprunghaft gestiegen und folgende Boomphasen weitgehend am Arbeitsmarkt vorbeigegangen sind. Selbstverständlich verbessert höheres Wirtschaftswachstum die Beschäftigungslage. Aber Arbeitslosigkeit ist kein kurzfristiges, rein konjunkturelles, sondern ein langfristiges, strukturelles Phänomen, das auch entsprechend grundlegende theoretische Erklärungen erfordert.
Wie lassen sich die Gemeinsamkeiten, aber auch die Unterschiede in der Wirtschafts-und Arbeitsmarkt-entwicklung der hochindustrialisierten Volkswirtschaften erklären? Warum geht in allen Industrie-ländern die Industriebeschäftigung zurück? Warum ist überall -allerdings mit sehr unterschiedlichen Raten -der Dienstleistungssektor der Träger des Beschäftigungswachstums? Gibt es heute einen Trade-off -eine Wechselbeziehung -zwischen hohen Produktivitäts-und Einkommenssteigerungen und Beschäftigungsgewinnen 1? Welche Konsequenzen kann dieses für die Beschäftigungspolitik haben?
Die Ausführungen basieren wesentlich auf gemeinsamen Forschungsarbeiten vor allem mit Eileen Appelbaum. Für Anmerkungen und Kommentare bedanke ich mich insbesondere bei meiner Kollegin Birgit Meding.
Vor allem die unterschiedlich hohen Raten im Beschäftigungswachstum müssen zur Erklärung divergierender Arbeitsmarktentwicklungen herangezogen werden. Denn relative Beschäftigungsquoten sind aussagekräftiger als die Arbeitslosenstatistiken, weil etwa Beschäftigungsabbau durch Frühverrentungen nicht in der Arbeitslosenstatistik erfaßt wird. Internationale Unterschiede in den Wirtschaftswachstumsraten können jedenfalls die differierenden Arbeitslosigkeits-und Beschäftigungsentwicklungen nicht plausibel erklären.
Die theoretischen Ansätze, den dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit in den Industrieländern zu erklären, lassen sich grob in fünf Gruppen zusammenfassen: Externe Schocks wie die Ölpreiserhöhungen der siebziger Jahre werden als Ursache für die Wachstumschwäche identifiziert. Die Volkswirtschaften sind durch externe Schocks vom gleichgewichtigen Wachstumspfad verdrängt worden und müssen nun Anpassungen vornehmen, um zu diesem zurückzukehren. Diese Prozesse sind um so langwieriger, je geringer die Anpassungsfähigkeit der Märkte ist. Den Arbeitsmärkten wird dabei häufig eine besonders hohe Rigidität unterstellt, wie es im Begriff der „Eurosklerose“ zum Ausdruck kommt. 2. Ein weiterer Erklärungsansatz geht von einer erhöhten inflationsstabilen Arbeitslosenrate (NA 1RU, non-accelerating-inflation rate of unemployment oder auch natürliche Arbeitslosenrate) aus. In einer dynamischen Wirtschaft ergibt sich, aufgrund von Friktionen im Arbeitsmarkt, immer eine gewisse Arbeitslosenquote, die prinzipiell durch einen verstärkten Strukturwandel oder durch eine verminderte Anpassungsfähigkeit des Arbeitsmarktes ansteigen kann. Der Strukturwandel ist heute aber eher schwächer als in den sechziger Jahren, weshalb in der wissenschaftlichen und politischen Diskussion vor allem eine verminderte Anpassungsfähigkeit der Arbeitsmärkte thematisiert wird. Soziale Sicherung, Kündigungsschutzgesetze und Gewerkschaftsmacht werden als Hauptursachen für die unterstellte verschlechterte Anpassungsfähigkeit der Arbeitsmärkte genannt. Deregulierung ist die politische Botschaft, die sich aus dieser Analyse ergibt. Empirische Belege für eine verminderte Anpassungsfähigkeit der Arbeitsmärkte konnten in den meisten Ländern allerdings nicht gefunden werden, und selbst die „sklerotischen“ europäischen Arbeitsmärkte zeigen eine erhebliche Dynamik Die Macht der Gewerkschaften hat in den achtziger Jahren eher ab-als zugenommen, soziale Sicherung (z. B. Arbeitslosengeld) ist zurückgenommen worden. Die „NAIRUTheorien" stehen deshalb vor dem Problem, daß die ihnen zugrundeliegenden Wirkungszusammenhänge zwar plausibel scheinen, die Arbeitsmarktprobleme aber in einer Zeit größer geworden sind, in der die wesentlichen Variablen eher zu einer Verminderung der NAIRU hätten führen müssen 3. Die demographische Entwicklung und die Zunahme der Frauenerwerbstätigkeit sind weitere häufig genannte Erklärungen für die gestiegene Arbeitslosigkeit. Die Arbeitslosigkeit hat aber in Ländern mit höherer und zunehmender Erwerbs-beteiligung deutlich weniger zugenommen als in Ländern mit stagnierender oder geringer Erwerbs-beteiligung. Die Beschäftigungsquote (der Anteil der Beschäftigten an der Bevölkerung im Alter von 15 bis unter 65 Jahren) nahm in Schweden und den USA -beides Länder mit hoher Erwerbsbeteiligung -deutlich zu, während sie in anderen Ländern wie Frankreich, Deutschland, Großbritannien eher zurückging (vgl. Graphik 2). Die hohe Arbeitslosigkeit in den kontinentaleuropäischen Ländern kann also nicht plausibel mit einem übermäßigen Arbeitsangebotsdruck erklärt werden. Im Gegenteil, in Ländern mit hohen Beschäftigungsgewinnen hat die Erwerbsbeteiligung deutlich zugenommen, während sie in Ländern mit stagnierender oder sinkender Beschäftigung tendenziell zurückging 4. „Mismatch" im Arbeitsmarkt, also die qualitative Differenz von Arbeitsnachfrage-und Arbeitsangebotsprofil, ist eine weitere Erklärung hoher und anhaltender (persistenter) Arbeitslosigkeit. Der „Mismatch-Ansatz“ vermag zwar den hohen Anteil gering qualifizierter Arbeitsloser zu erklären, aber dieser kann auch durch ein dauerhaftes Überangebot an Arbeit und dadurch ausgelöste Verdrängungsprozesse durch die jeweils höhere Qualifikationsstufe entstehen. Wenn Ausbildung als Selektionskriterium bei Einstellungen herangezogen wird und die Lohnabstände zwischen den Qualifikationsgruppen nicht übermäßig hoch sind, dann werden die höher Qualifizierten den minder Qualifizierten bei Einstellung vorgezogen. Im Laufe der Zeit bildet sich so eine Struktur der Arbeitslosigkeit mit einem überproportional hohen Anteil gering Qualifizierter Dieser Situation kann der einzelne durch Weiterqualifikation entrinnen. Aber die Weiterqualifikation aller Arbeitnehmer kann nicht zum Erfolg führen, solange die Arbeitslosigkeit durch eine quantitative Arbeitsnachfragelücke begründet ist. Maßnahmen der sogenannten aktiven Arbeitsmarktpolitik sind deshalb unter Umständen geeignet, einzelne Arbeitnehmer für neue Jobs zu qualifizieren, aber sie müssen gesamtwirtschaftlich versagen, wenn die Arbeitslosigkeit nicht durch Mismatch, sondern durch eine Nachfragelücke begründet ist. Die Strukturierung der Arbeitslosigkeit ist dann Symptom, aber nicht Ursache. 5. Ein fünfter Erklärungsansatz hebt ab auf die Interaktion von Angebots-und Nachfragestrukturen auf den Produktmärkten und der daraus resultierenden Veränderung der Wirtschaftsstruktur. Es wird versucht, den Strukturwandel von der Industrie-zur Dienstleistungsgesellschaft endogen aus dem Entwicklungsprozeß der entwickelten Ökonomien heraus zu erklären. Eine Kombination aus angebotsorientierten, schumpeterschen Variablen sowie nachfrageorientierten, keynesianischen Elementen wird hier zur Erklärung der Produkt-marktveränderungen und daraus abgeleiteter Arbeitsmarktstrukturen entwickelt Nicht so sehr die Funktionsfähigkeit der Arbeitsmärkte als vielmehr die Dynamik in den Produktmärkten ist entscheidend, wenngleich die Interaktion zwischen Wirtschaftsentwicklung und institutionellen Arrangements der Volkswirtschaften von hoher Bedeutung ist. Es geht hier aber nicht darum, lediglich eine Produktnachfragelücke im Sinne der traditionellen keynesianischen Theorie zu konstatieren, sondern es geht vor allem um die Struktur der Nachfrage. Es müssen die Gründe für die rückläufige Beschäftigung im Industriesektor und für die Ausweitung der Dienstleistung analysiert werden, um ein theoretisches Verständnis von den Veränderungsprozessen in den Industrieländern zu gewinnen. Nur so können zukünftige Wachstumspotentiale identifiziert werden.
Welcher dieser fünf Theorieansätze Arbeitslosigkeit in den Industrieländern ausreichend erklärt, ist von außerordentlicher Bedeutung für wirtschaftspolitische Optionen. Während die ersten vier Erklärungsansätze mit unterschiedlicher Medienkonjunktur ausgiebig diskutiert werden, ist dem komplexeren fünften Erklärungsansatz bisher nicht genügend Aufmerksamkeit zuteil geworden. Dieses wohl nicht zuletzt deshalb, weil er eine fundamentale Änderung im Entwicklungsprozeß der Industrieländer diagnostiziert, während alle anderen Erklärungsansätze nur eine vorübergehende Störung unterstellen. Ist diese Störung überwunden, so die Hoffnung, dann werden die hochindustrialisierten Volkswirtschaften wieder auf den Entwicklungspfad der sechziger Jahre zurückkehren, als hohe Einkommenszuwächse bei Vollbeschäftigung erreicht wurden.
Im folgenden wird zunächst auf die relativen Beschäftigungsentwicklungen im Industrie-und im Dienstleistungssektor eingegangen, um an Hand dessen die prinzipiellen Beschäftigungswirkungen des Produktivitätsfortschritts bei unterschiedlichen Marktkonstellationen herauszuarbeiten. Vor diesem theoretischen Hintergrund werden drei prinzipielle Entwicklungsmuster hochindustrialisierter Volkswirtschaften aufgezeigt. Abschließend werden beschäftigungspolitische Perspektiven, die kurzfristig vor allem im konsumorientierten Dienstleistungssektor zu suchen sind, entwickelt. Langfristig bedarf es einer Innovationsoffensive, um hohe Einkommenszuwächse bei Vollbeschäftigung zu erreichen.
II. Endogene Beschäftigungslücke
Abbildung 10
Graphik 2: Beschäftigungsquoten in ausgewählten Industrieländern in den fünfziger bis neunziger Jahren (in Prozent) Quelle: OECD-Statistiken, Statistisches Bundesamt, 90er Jahre geschätzt.
Graphik 2: Beschäftigungsquoten in ausgewählten Industrieländern in den fünfziger bis neunziger Jahren (in Prozent) Quelle: OECD-Statistiken, Statistisches Bundesamt, 90er Jahre geschätzt.
In der Entwicklung der Beschäftigungsquoten des Dienstleistungssektors zeigen sich international die deutlichsten Unterschiede: Japan, die USA und Schweden haben hier deutliche Wachstumsraten erzielt, während in den kontinentaleuropäischen Ländern zwar auch positive, aber doch deutlich geringere Wachstumsraten in der relativen Dienstleistungsbeschäftigung erreicht wurden (vgl. Graphik 2). Es muß also erklärt werden, warum die Industriebeschäftigung überall schrumpft (stagniert) und warum die Dienstleistungsbeschäftigung überall -aber mit sehr unterschiedlichen Raten -zunimmt. Zudem ist erklärungsbedürftig, warum Länder mit so unterschiedlichen institutioneilen Strukturen wie die USA, Schweden und Japan so gleichartige Entwicklungen der relativen Dienstleistungsbeschäftigung zeigen, während sie sich in diesem Punkt deutlich von den kontinentaleuropäischen Ländern abheben. 1. Industriebeschäftigung In den meisten Ländern war die Industriebeschäftigung in den sechziger Jahren stabil oder nahm sogar zu (Graphik 2), wobei die Produktivitätsgewinne deutlich höher waren als in den Perioden, in denen die Industriebeschäftigung zurückging Die typischen Merkmale technologischer Arbeitslosigkeit (Produktivitätssprünge) sind also nicht gegeben. Hängt der Beschäftigungsrückgang im Industriesektor dennoch mit den Produktivitätssteigerungen zusammen, sollte gar technischer Fortschritt gebremst werden, um den Beschäftigungsabbau zu verlangsamen? Generell haben Produktivitätssteigerungen zwei Wirkungen: Erstens sparen sie Arbeit, weil eine gegebene Produktionsmenge mit geringerem Arbeitseinsatz produziert werden kann, und zweitens haben sie einen arbeitsschaffenden Effekt, weil die Stückkosten der Produktion sinken, was zu einer Absatzerweiterung führen kann, wenn die Preise entsprechend dem Produktivitätsgewinn fallen (eine andere Verwendungsmöglichkeit sind Lohnerhöhungen oder Gewinnsteigerungen). Welcher der beiden Effekte dominiert, hängt von der Preiselastizität der Nachfrage -der relativen Änderung der nachgefragten Menge zur relativen Änderung des Preises -ab. Reagiert diese stark auf Preissenkungen (absolute Preiselastizität größter als 1: preis-elastische Nachfrage), dann dominiert der arbeitsschaffende Effekt der Produktivitätssteigerung, reagiert die Nachfrage jedoch nur schwach auf Preissenkungen, dann dominiert der arbeitssparende Effekt (absolute Preiselastizität kleiner als 1: preisunelastische Nachfrage).
Die Preiselastizität der Nachfrage wiederum ist abhängig vom Reifegrad der Produktion und der Marktdurchdringung. Produkte, die bereits eine weite Verbreitung erreicht haben (alte Produkte) können auch bei sinkenden Preisen nur noch mäßig ihren Absatz ausdehnen, ihre Nachfrage ist preisunelastisch. Neue, innovative Produkte stoßen dagegen definitionsgemäß auf einen ungesättigten Markt, der sich bei entsprechender Preisentwicklung schnell ausweiten kann. Die Nachfrage nach diesen Produkten ist preiselastisch. Abnehmende Preiselastizität der Nachfrage als Folge sinkender Innovationsraten führt zu schrumpfender Industriebeschäftigung
Industriegüter stoßen in den entwickelten Ländern zunehmend auf gesättigte Märkte mit preisunelastischer Nachfrage, weshalb der arbeitssparende den arbeitsschaffenden Effekt der Produktivitätssteigerung dominiert, was sich in sinkender Industriebeschäftigung niederschlägt. Vielfältige Beispiele für abnehmende Preiselastizitäten können für die relative Marktsättigung im Industriegüterbereich der OECD-Länder angeführt werden: Verstärkte Marketingaktivitäten etwa zur Produktdifferenzierung und Markenbildung, das „Ende der Massenproduktion“, die Stagnation des Autoabsatzes bei gleichzeitiger Zunahme des Wettbewerbs oder der nahezu hundertprozentige Ausstattungsgrad der Haushalte mit dauerhaften Konsumgütern zeigen die hohe Marktdurchdringung im Bereich der „weißen Industrie“ an.
Abnehmende Preiselastizitäten der Industriegüternachfrage erklären auch die zu beobachtende Verschärfung des Wettbewerbs. In Märkten, die nur noch unterproportional expandieren und in denen die Produkte einen hohen Reifegrad erreicht haben, nimmt der Preiswettbewerb zu. Anbieter mit zu hohen Preisen werden starke Umsatzeinbußen erleben. Offensichtlich ist die preisliche Wettbewerbsfähigkeit insbesondere in offenen Volkswirtschaften bedeutend. 2. Dienstleistungsbeschäftigung Dienstleistungen werden häufig als Produkte zur Befriedigung höherer Bedürfnisse im Sinne der Maslowschen Bedürfnispyramide klassifiziert. Nach Befriedigung der materiellen Grundbedürfnisse verlagert sich die Nachfrage hin zu weniger notwendigen Produkten. In Querschnittsanalysen fand man, daß mit höherem Einkommen der Ausgabenanteil für Dienstleistungen zunimmt. Aus der Querschnittsbeobachtung wurde geschlossen, daß mit zunehmenden Volkseinkommen die Dienstleistungsausgaben insgesamt überproportional zunehmen müßten, weil eine Verlagerung von materiellen Elementarbedürfnissen hin zu den immateriellen Bedürfnissen stattfindet. Mit anderen Worten: Der Dienstleistungsnachfrage wird eine hohe Einkommenselastizität unterstellt. Mit dem Dienstleistungsbegriff werden sehr unterschiedliche Leistungen beschrieben, von denen einige (etwa Besuche in Spezialitätenrestaurants, Theatern etc.) geeignet sind, höhere immaterielle Bedürfnisse zu befriedigen. Daneben spielt bei der Dienstleistungsnachfrage aber auch die Zeitersparnis eine Rolle (wie etwa bei Besuchen in Schnellrestaurants). Solche Dienstleistungen können im Prinzip auch selbst produziert werden, was aber häufig zu zeitraubend ist (in der Ökonomensprache sind die Opportunitätskosten zu hoch).
Die Entscheidung über Do-it-yourself und Fremd-erstellung wird von den Preisen, der Bewertung der eigenen Zeit und der Flexibilität des Zeitbudgets abhängen. Fremdbezug kann attraktiv sein, wenn hohe Fertigkeiten verlangt werden oder wenn die professionelle Erstellung effizienter (produktiver) erfolgen kann, etwa weil sich der Einsatz von Maschinen lohnt oder Spezialkenntnisse notwendig sind. Da viele der von den privaten Haushalten nachgefragten Dienstleistungen dem Produktivitätsfortschritt nur sehr begrenzt zugänglich sind bzw.der Produktivitätsfortschritt zwischen Fremd-und Eigenerstellung nicht sehr differiert, hängt die Entscheidung zwischen Fremdbezug und Eigenerstellung wesentlich von der Differenz des (zur Erstellung erforderlichen) eigenen Nettolohnes zum Preis der Dienstleistung ab. Dieser wird wiederum wesentlich vom Lohn bestimmt.
Ist die Lohndifferenz gering und wird diese durch Steuern und Abgaben noch weiter verringert oder gar verkehrt, dann besteht für die Nachfrage nach privaten Dienstleistungen wenig Raum. Besteht Flexibilität in der Ausdehnung der eigenen Erwerbsarbeitszeit, dann hängt die Entscheidung über Eigenerstellung oder den Bezug von Dienstleistungen davon ab, ob der eigene Nettolohn den Preis der Dienstleistungen, der sich im wesentlichen aus den Bruttolöhnen (inklusive der Abgaben) ergibt, übersteigt. Je höher die Abgaben, desto geringer der Anreiz zu einem solchen Verhalten
Die Herstellung von Industriegütern wurde durch Massenproduktion effizienter und billiger. Aber selbst dort, wo die Beschäftigung im Dienstleistungsbereich expandiert, setzt dies doch keinen positiven Rückkopplungsprozeß in Richtung Produktivitätsentwicklung in Gang Dies ist eine Folge davon, daß, anders als in den meisten Bereichen der verarbeitenden Industrie, bei den Dienstleistungen mit niedrigem Produktivitätswachstum keine Skalenerträge, d. h. sinkende Stückkosten bei Produktionsmengenerhöhung, auftreten. Dementsprechend hat ein expandierender Markt für diese Dienstleistungen -anders als bei Industriegütern -nicht automatisch steigende Produktivitäten zur Folge.
Der positive Rückkopplungseffekt von Produktivitätswachstum, Marktausweitung und Beschäftigungsexpansion, der für die wirtschaftliche Entwicklung der Industrieländer charakteristisch war wirkt also nicht mehr. Eine deflationäre Politik kann die Probleme von Beschäftigung und mangelhaftem Einkommenswachstum nur verschärfen. Eine expansive Fiskal-und Geldpolitik ist aber nicht mehr ausreichend, um die Volkswirtschaft durchstarten zu lassen und ein akzeptables Einkommen und eine hohe Beschäftigung zu realisieren. Dafür sind neue Ansätze erforderlich. In dieser Entwicklung zeichnet sich ein Trendbruch in den hochindustrialisierten Ländern ab, der häufig -wenn auch ungenau -mit dem Übergang von der Industriegesellschaft zur Dienstleistungs-oder postindustriellen Gesellschaft beschrieben wird. Es expandiert nun auch die Beschäftigung in Wirtschaftszweigen mitgeringer Produktivität, deren Expansionsfähigkeit aber von den institutionellen Bedingungen der Volkswirtschaft abhängt.
Länder mit so verschiedenen politischen und institutioneilen Gegebenheiten wie die USA, Japan und Schweden haben eine hohe Beschäftigungsquote des Dienstleistungssektors gemein. Dieses ist jedoch das Ergebnis unterschiedlicher Entwicklungen des privaten und öffentlichen Dienstleistungssektors in den drei Ländern.
In den USA war die rasche Beschäftigungsexpansion vor allem eine Folge der Ausweitung privater Dienstleistungen (mit überwiegend niedriger Produktivität), die durch große Lohnunterschiede (vgl. Graphik 3) ermöglicht wurde. Ähnlich ist es in Japan, wo zwar die Lohnunterschiede innerhalb der Großunternehmen gering sind, dafür aber krasse Differenzen zwischen den Einkommen in den einzelnen Wirtschaftszweigen und in Groß-und Kleinbetrieben bestehen. In Schweden setzte sich auf der anderen Seite eine stark zentralisierte und gut organisierte Arbeitnehmerschaft erfolgreich für eine solidarische Lohnpolitik mit geringen Lohnunterschieden (vgl. Graphik 3) ein, was eine starke Expansion privater Dienstleistungen behinderte.
Da den Arbeitnehmern in Schweden in der Industrie und in den Dienstleistungsbranchen vergleichbare Löhne gezahlt wurden, ergaben sich für die privaten Dienstleistungen bei unterdurchschnittlicher Produktivitätssteigerung hohe relative Preise, was den Markt für diese Leistungen begrenzte. Schwedens Ausweg aus diesem Dilemma bestand bis in die achtziger Jahre hinein darin, die zunehmende Erwerbspersonenzahl in den rasch wachsenden öffentlichen Sektor zu integrieren. Als Folge stieg aber die Steuerlast erheblich an, was in der jüngsten Vergangenheit mit zum Niedergang des schwedischen Modells beitrug.
Sowohl in den USA als auch in Schweden wurde ein zunehmender Anteil der Bevölkerung erfolgreich in den Arbeitsmarkt integriert. Diese Länder repräsentieren jeweils Beispiele für eine Politik der Beschäftigungsausweitung durch Lohndifferenzierung bzw. durch einen aktiven Wohlfahrtsstaat. Ein abweichender wirtschaftspolitischer Ansatz wurde in den kontinentaleuropäischen Wohlfahrtsstaaten verfolgt. Hier begrenzten Institutionen wie die soziale Sicherung und relativ geringe Lohnunterschiede (vgl. Graphik 3) die Ausweitung der offiziellen Beschäftigung in Sektoren mit niedrigen Löhnen. Um dennoch die Arbeitslosigkeit zu verringern oder wenigstens zu. begrenzen, ergriffen diese Länder Maßnahmen zur Senkung der Erwerbspersonenzahl (zum Beispiel durch Einführung eines Vorruhestandes). In diesen Ländern hat zwar die Erwerbsbeteiiigung von Frauen zugenommen, aber im internationalen Vergleich ist sie dennoch gering. Passive sozialstaatliche Maßnahmen sicherten zwar die Einkommen der inaktiven Bevölkerung, wirkten aber gleichzeitig mindernd auf die Erwerbsbeteiligung. In der Folge stieg auch in den kontinentaleuropäischen Ländern die Steuerlast an Auf der Basis dieser Ergebnisse ergeben sich drei prinzipielle Entwicklungs-bzw. Reaktionsmuster hochindustrialisierter Volkswirtschaften.
Idealtypische Reaktionsmuster auf die Beschäftigungskrise in den Industrieländern I. Lohn-und Einkommensdifferenzierung a. Beschäftigungsexpansion im privaten Dienstleistungsbereich durch Lohn-und Einkommens-differenzierung sowie bei geringer Staatsquote, aber stagnierendem Pro-Kopf-Einkommen und relativ hoher Arbeitslosigkeit (USA). b. Beschäftigungsexpansion im privaten Dienstleistungsbereich durch Lohn-und Einkommens-differenzierung, bei geringer Staatsquote, aber hohem Industrieanteil, insbesondere durch außenwirtschaftliche Erfolge, und geringer Arbeitslosigkeit (Japan).
II. Aktiver Wohlfahrtsstaat Beschäftigungsexpansion im öffentlichen Bereich bei geringen Lohnunterschieden mit zunehmendem Staatsanteil, aber mit geringem Zuwachs des Pro-Kopf-Einkommens; bei geringer Arbeitslosigkeit (Schweden), die aber nach Aufgabe des „schwedischen Modells“ explosionsartig anstieg (vgl. Graphik 1).
III. Passiver Wohlfahrtsstaat Beschäftigungsstagnation bei konstanten Lohn-unterschieden, bei zunehmendem Staatsanteil und Begrenzung der Erwerbspersonenzahl, steigendem Pro-Kopf-Einkommen, aber hoher Arbeitslosigkeit (Bundesrepublik und andere kontinentaleuropäische Staaten).
III. Die Zukunft der Beschäftigung in den Industrieländern
Abbildung 11
Graphik 3: Lohnunterschiede in ausgewählten Industrieländern in den achtziger und neunziger Jahren
Quelle: OECD-Statistiken.
Graphik 3: Lohnunterschiede in ausgewählten Industrieländern in den achtziger und neunziger Jahren
Quelle: OECD-Statistiken.
1. Industriebeschäftigung Ein Ausweg aus der Situation gesättigter Märkte in der der arbeitssparende den arbeitsschaffenden Produktivitätseffekt dominiert, könnte kurzfristig in einer Nachfragesteigerung bisher unterausgestatteter Haushalte (in den Industrieländern selbst oder in bisher nur schwach industrialisierten Ländern [Osteuropa, Dritte Welt]) liegen. Ein sölcher Nachfrageboom wurde zum Beispiel durch die Ausstattung der (damals noch existierenden) DDR mit kaufkräftiger Nachfrage im Rahmen der deutschen Währungsunion ausgelöst.
Handel mit sich entwickelnden Ländern kann zwar in den Industrieländern Arbeitsplätze in einigen Marktsegmenten kosten, aber er führt gleichzeitig auch zu verstärkter Nachfrage dieser Länder in anderen Marktsegmenten, weshalb insgesamt durch Handel eher positive Beschäftigungseffekte zu erwarten sind. Die Bedeutung des internationalen Handels mit Ländern außerhalb der OECD ist zudem insgesamt bescheiden. Selbst wenn dieser negative Beschäftigungseffekte zeitigen würde, wären diese doch sehr gering
Empfehlungen, den technischen Fortschritt zu bremsen und „zu hohen“ Produktivitätssteigerungen -etwa durch eine entsprechende Lohnpolitik -entgegenzuwirken, mögen kurzfristig mehr Beschäftigung versprechen, aber aufgrund der hohen Komplementarität von Prozeß-und Produktinnovationen sind langfristig eher negative Effekte einer solchen Strategie zu erwarten. Sie führen wahrscheinlich zu verminderter Produktinnovation und verschlechtern so die qualitative Wettbewerbsfähigkeit ohne die preisliche Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.
Mittel-bis langfristig kann das Veralten vorhandener Produkte (etwa durch höhere Umweltstandards, höhere Energiekosten) zu neuer Nachfrage für prinzipiell bekannte Güter führen. Die zwingende Vorschrift von Abgaswerten bei Automobilen, die nur durch moderne Technik oder Zusatz-aggregate (wie der Katalysator) zu erreichen sind, wäre ein Beispiel. Aber nur wenn neue Produkte gegenüber alten Produkten dominieren, kann die Beschäftigung in der Industrie mittel-bis langfristig wieder steigen. Dieses setzt eine neue „lange Welle“ oder einen sogenannten neuen Kondratieff-Zyklus -einen von neuer Technologie getragenen langfristigen Wirtschaftsaufschwung -voraus, dessen Basis manche in der Informations-und Telekommunikationstechnologie sehen. Bisher deutet jedoch vieles darauf hin, daß die Substitutionskomponente dieser Technologie überwiegt, und selbst „Technikoptimisten“ halten das Beschäftigungspotential für nicht ausreichend, um die Arbeitslosigkeit substantiell zu verringern Kurz-bis mittelfristig ist aufgrund des industriellen Entwicklungsprozesses eher mit einem weiteren Abbau der Industriebeschäftigung zu rechnen, der in offenen Volkswirtschaften noch durch internationale Konkurrenz verstärkt werden kann.
Um langfristig auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu sein und um die Industriebeschäftigung zu stabilisieren, bedarf es kontinuierlicher Innovationen, die es der europäischen Industrie erlauben, immer wieder mit neuen Produkten in das preis-elastische Segment der Nachfrage vorzudringen. Nur hier sind hohe Löhne am Markt durchsetzbar, und nur hier ist eine hohe Marktdynamik zu erwarten, die auch zu Beschäftigungsausweitungen führen kann Eine Erhöhung der Innovationsanstrengungen und eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung müssen deshalb eine vorrangige Aufgabe der Wirtschaftspolitik sein. Von ihrer Lösung ist jedoch nur eine Milderung, aber keine Bewältigung der beschäftigungspolitischen Probleme zu erwarten. 2. Optionen zur Ausweitung von Dienstleistungsbeschäftigung Die Beschäftigungsgewinne in industrialisierten Ländern sind vor allem in den Dienstleistungen erzielt worden, die aber teilweise nur geringe Produktivitätssteigerungen aufweisen. Wenn es gelänge, die Produktivitätssteigerungen im preis-und einkommenselastischen Dienstleistungsbereich zu erhöhen, dann könnte es zu einem neuen Aufschwung, ähnlich der vom Industriegütersektor getragenen Expansionsphase, kommen. Die „beschäftigungspolitische Hoffnung“ der Dienstleistungsbeschäftigung liegt deshalb im Gegensatz zur Fourastieschen Analyse -wonach die Beschäftigung gerade bei geringen Produktionssteigerungen zunimmt -nicht in geringen, sondern in hohen Produktivitätssteigerungen. Die Produktionssteigerungen ermöglichen Preissenkungen, die zu einer die arbeitssparenden Effekte überkompensierenden Ausweitung der Nachfrage führen können. Eine positive Rückkopplung von Produktivitätssteigerung, Einkommenswachstum und Beschäftigungsstabilität, wie sie die industrielle Entwicklungsphase prägte, kann im Prinzip also auch auf Dienstleistungen basieren, wenn es zu produktivitätssteigernden Innovationen kommt. Zu einer solchen Entwicklung ist es bereits in Teilen des Dienstleistungssektors (etwa bei Banken oder der Telekommunikation) gekommen; aber die Mehrzahl der personenbezogenen Dienstleistungen unterliegt nur geringen Produktivitätssteigerungen.
Solange personenbezogene Dienstleistungen dem technischen Fortschritt nur begrenzt zugänglich sind, gibt es im Prinzip nur zwei Wege, die abzusetzende Menge der Dienstleistungen zu erhöhen: Entweder wird (A) die Nachfrage bei gegebenen Preisen und Kosten erhöht oder (B) die relativen Preise der Dienstleistungen werden reduziert. Während (B) prinzipiell einen Austausch der Dienstleistungen auf privaten Märkten zuläßt, erfordert (A) praktisch ein Engagement der öffentlichen Hand.
Wenn personenbezogene Dienstleistungen öffentlich angeboten werden, können im Prinzip Löhne gezahlt werden, die vom Niveau und der Entwicklung den Löhnen in den Branchen mit hohem technischen Fortschritt vergleichbar sind, ohne daß die Nachfrage darunter leidet. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Schulausbildung. Wenn von Lehrern erwartet wird, daß sie eine angemessene Ausbildung haben, und sie dementsprechend entlohnt werden müssen, können sich nur wenige Haushalte eine Ausbildung in privaten Schulen leisten. Öffentliche Schulen sind deshalb die Regel. Sie zahlen Löhne, die denen anderer Arbeitskräfte mit ähnlicher Ausbildung vergleichbar sind. Finanziert werden öffentliche Dienstleistungen über Steuereinnahmen. Steigende Löhne für Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst werden die Steuern erhöhen, wenn -wie im Falle der Schulausbildung -bei Erstellung dieser Dienstleistungen keine Produktivitätsfortschritte realisiert werden
Die Lohnsumme des öffentlichen Sektors läßt sich leichter erhöhen, wenn die Reallöhne in der gesamten Volkswirtschaft steigen, aber sie ist äußerst begrenzt, wenn die Reallöhne stagnieren oder sogar sinken. Da zudem die Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst sicherer sind als im privaten Sektor, gibt es im Privatsektor stärkere Anreize für eine Lohnzurückhaltung. Ein Problem kann entstehen, wenn der vor Weltmarkteinflüssen geschützte öffentliche Sektor die Lohnführerschaft übernimmt, wie es in Schweden zeitweise der Fall ist. Letztlich kann die öffentliche Bereitstellung von Dienstleistungen oder deren Subventionie-rung zu Ineffizienzen führen. Diese müssen nicht größer als bei Unternehmen des Privatsektors sein, doch gibt es im Gegensatz dazu keinen Marktmechanismus als Disziplinierungsinstrument. Momentan ist die Ausweitung von Beschäftigung im öffentlichen Sektor in Verbindung mit Steuererhöhungen auszuschließen, weshalb diese Option hier nicht weiter verfolgt wird.
Die Nachfrage insbesondere nach personenbezogenen Dienstleistungen ist sehr preiselastisch, weshalb diese auf privaten Märkten nur dann nachgefragt werden, wenn die Preise nicht zu hoch sind. Die Marktpreise können auf verschiedenen Wegen beeinflußt werden: 1. durch nach unten flexible Löhne und 2. durch öffentlich-private Kofinanzierung. f>Jach unten flexible Löhne können eine relativ starke Nachfrageausweitung bei Dienstleistungen hervorrufen Große Lohnunterschiede divergieren aber mit verteilungspolitischen Zielen und bringen Anreizprobleme mit sich. Die Anreizwirkung ist relativ unproblematisch, wenn es sich um Tätigkeiten mit geringen Qualifikationsanforderungen handelt. Aber bei qualifizierteren Tätigkeiten werden fehlende Anreizwirkungen zum Problem, denn niemand wird in eine Ausbildung investieren, die ihm nur einen geringen Lohn verspricht, wenn andere Tätigkeiten bei vergleichbaren Bildungsinvestitionen einen deutlich höheren Lohn versprechen. Die Aktivierung der privaten Dienstleistungsnachfrage durch Lohndifferenzierung kann also nur bei gering qualifizierten Tätigkeiten aufgehen, und sie kann kontraproduktiv sein, wenn die Tätigkeiten ein hohes Qualifikationsniveau erfordern, wie zum Beispiel im Bildungs-oder Pflegebereich.
Das abschreckende Beispiel der „working poor“ in den USA vor Augen werden zunehmend Möglichkeiten öffentlich-privater Kofinanzierung diskutiert. Generell können Subventionen Dienstleistungen marktfähig machen, ohne daß die Beschäftigten in diesen Sektoren niedrige Löhne erhalten. Die Subvention kann beim Konsum ansetzen, d. h., es werden zunächst kostendekkende Preise verlangt, die aber durch die Subvention für den Konsumenten vermindert werden. Dies kann zum Beispiel durch eine steuerliche Absetzbarkeit des Konsums oder durch die Ausgabe von Gutscheinen geschehen. In beiden Fällen ist die Spezifität der Subvention leicht herzustellen, denn es sollten nur solche Dienstleistungen subventioniert werden, deren gesellschaftlicher Nutzen höher als die individuelle Zahlungsbereitschaft (Nutzen) ist oder deren Konsum gesellschaftlich erwünscht ist.
Für die Subvention der Produktion gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, die aus einer negativen Einkommenssteuer für die Beschäftigten oder einer Reduktion von Steuern und Abgaben bestehen können. Bei einer Lohnsubvention durch die Negativsteuer können die Unterschiede in den relativen Preisen aufrechterhalten und gleichzeitig die Konsequenzen der Lohnunterschiede auf die Einkommen gemildert werden. Hohe Bruttolohndifferenzen schaffen aber ein Anreiz-und ein Selektionsproblem, weil Arbeitnehmer nicht bereit sein werden, in die Ausbildung nur niedrig entlohnter Tätigkeiten zu investieren. Um eine negative Auswahl dort zu vermeiden, wo spezielle Fähigkeiten notwendig sind, wie in der Krankenpflege oder der Erziehung, sollten sich die Löhne nicht zu stark von denjenigen unterscheiden, bei denen technischer Fortschritt realisiert wird und bei denen vergleichbare Anforderungen an die Ausbildung gestellt werden. Angesichts dieses Dilemmas bei Dienstleistungen mit hohen Qualifikationsanforderungen ist die Niedriglohnstrategie -auch mit negativer Einkommenssteuer -auf solche Dienstleistungen begrenzt, bei denen nur geringe Anforderungen an die Ausbildung gestellt werden. Eine Negativsteuer kann zwar das Preis-/Lohnproblem einiger Dienstleistungen lösen, nicht jedoch das Anreizproblem bei Investitionen in Humankapital. Große Lohndifferenzen verringern die Bereitschaft der Arbeitnehmer, in die Ausbil-düng niedrig entlohnter, aber qualifizierter Tätigkeiten zu investieren, und können deshalb zu einem gesellschaftlich suboptimalen Niveau bei diesen Investitionen führen.
Die Negativsteuer würde zudem alle niedrig bezahlten Tätigkeiten subventionieren, unabhängig davon, ob diese gesellschaftlichen Nutzen stiften, der über die Zahlungsbereitschaft der Konsumenten hinausgeht oder nicht. Anstelle ungezielter Subventionen wie bei einer negativen Einkommenssteuer erscheint es sinnvoller, zunächst die Bereiche zu definieren, in denen gesellschaftliche Zusatznutzen entstehen oder die als gesellschaftlich förderungswürdig angesehen werden. Subventionsformen, die eine Eingrenzung der zu fördernden Bereiche erlauben, sind deshalb vorzuziehen. Prinzipiell gleiche Effekte wie mit einer negativen Einkommensteuer können beispielsweise auch durch den Erlaß von Mehrwertsteuer oder den Erlaß bzw. die Reduktion von Lohnnebenkosten erreicht werden. In allen Fällen wird der Preis der Leistungen reduziert, ohne die Löhne der Beschäftigten zu belasten. Allerdings sollte eine Reduktion der Lohnnebenkosten nicht derart erfolgen, daß die beschäftigten Arbeitnehmer aus der sozialen Sicherung herausgenommen werden (wie etwa bei sogenannten geringfügigen versicherungsfreien Tätigkeiten); sie sollen in die Versicherung einbezogen werden, d. h., ihre Beiträge (zu 100 Prozent oder nur der Arbeitgeberanteil) müssen aus dem allgemeinen Steueraufkommen bestritten werden
IV. Zusammenfassende Schlußfolgerungen für eine beschäftigungsexpansive Wirtschaftspolitik
Eine auf wirtschaftliches Wachstum ausgerichtete Beschäftigungspolitik muß der Verschiebung der Beschäftigungspotentiale zwischen dem Industrie-und dem Dienstleistungssektor Rechnung tragen, aber sie darf den Industriesektor nicht vernachlässigen. Im hochproduktiven Industriesektor muß vor allem die Innovationsfähigkeit gestärkt werden, die es erlaubt, in preiselastische Markt-segmente vorzustoßen. Nur hier können hohe Löhne am Markt durchgesetzt und Beschäftigungspotentiale erschlossen werden. Auf die Innovationsfähigkeit ist vor allem auch im Bereich personenbezogene Dienstleistungen zu setzen, weil Produktivitätssteigerungen in diesem stark preiselastischen Nachfragebereich zu einem sich selbst tragenden Aufschwung führen können, der zu höheren Einkommen und mehr Beschäftigung führt. Kurz-und mittelfristig können Beschäftigungspotentiale in den personenbezogenen Dienstleistungen erschlossen werden, wenn die Kosten der Arbeitslosigkeit in Kosten der Produktion transformiert werden. Darin liegt ein hoher Effizienz-, Wohlstands-und Wohlfahrtsgewinn für die europäischen Volkswirtschaften, dessen Aktivierung aber gesamtfiskalisches Handeln erfordert.
Ronald Schettkat, Priv. Doz., Dr., geb. 1954; Studium der Ingenieur-und Wirtschaftswissenschaften in Hamburg und Berlin; wissenschaftlicher Projektleiter am Wissenschaftszentrum Berlin; Gastprofessuren in den USA, den Niederlanden und Italien. Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg. zus. mit Friedrich Buttler, Wolfgang Franz und David Soskice) Institutional Frameworks and Eabor Market Performance, London -New York 1995; Flow Analysis of Labor Markets. International Perspectives, London -New York 1996; (Hrsg. zus. mit Knut Gerlach) Beiträge zur Neukeynesianischen Makroökonomie, Berlin 1996.
Helfen Sie mit, unser Angebot zu verbessern!
Ihre Meinung zählt: Wie nutzen und beurteilen Sie die Angebote der bpb? Das Marktforschungsinstitut Info GmbH führt im Auftrag der bpb eine Umfrage zur Qualität unserer Produkte durch – natürlich vollkommen anonym (Befragungsdauer ca. 20-25 Minuten).