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Kambodscha. Drei Jahre nach dem Ende des UNO-Mandats | APuZ 30-31/1996 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 30-31/1996 Vietnam an der Schwelle zum asiatisch-pazifischen Jahrhundert. Gesellschaftlicher Umbruch und kultureller Wandel Entwicklung und Demokratisierung in Südkorea. Kleine Schritte nach dem großen Sprung Kambodscha. Drei Jahre nach dem Ende des UNO-Mandats Indien nach den Parlamentswahlen 1996. Innenpolitische Entwicklung und regionale außenpolitische Interessenlage

Kambodscha. Drei Jahre nach dem Ende des UNO-Mandats

Gerhard Will

/ 23 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Drei Jahre nach dem Ende des UNO-Mandats kann die Regierung Kambodschas eine Reihe von Erfolgen vorweisen: Das Wirtschaftswachstum liegt bei 6, 6 Prozent, die Roten Khmer kontrollieren nur noch sehr kleine Teile des Landes, und der 1993 gebildeten Koalitionsregierung ist es bislang gelungen, alle Regierungskrisen erfolgreich zu bewältigen. Hinter diesen Erfolgsmeldungen verbergen sich jedoch gravierende Mängel. Trotz des relativ hohen Wirtschaftswachstums zählt Kambodscha zu den ärmsten Ländern der Welt, und auf politischer Ebene wurden die Ergebnisse der Wahlen des Jahres 1993 gleichsam auf den Kopf gestellt. Die Kambodschanische Volkspartei (KVP) konnte auch nach ihrer Wahlniederlage ihre Vormachtstellung weiter ausbauen. Mehr als zwanzig Jahre Krieg haben nicht nur die materielle, sondern auch die soziale Basis so sehr zerrüttet, daß die 1993 in der kambodschanischen Verfassung niedergelegten demokratischen Prinzipien nur in einem sehr langwierigen und schwierigen Prozeß verwirklicht werden können. Die wichtigste Voraussetzung hierfür ist jedoch eine radikale Abkehr von der seit 1993 verfolgten Politik der Ressourcenverschwendung, Unterdrückung und Korruption.

I. Vorbemerkungen

Wer Phnom Penh Ende der achtziger Jahre zum letzten Mal gesehen hat, wird es heute kaum wieder erkennen Straßen werden saniert und asphaltiert, schöne Parkanlagen angelegt, alte Villen aufwendig restauriert und riesige neue Häuser-komplexe errichtet. Die Märkte -darunter auch etliche Supermärkte westlichen Stils -quellen über vor Waren und die zahlreichen Luxusrestaurants erfreuen sich eines guten Zuspruchs. Vertreter der kambodschanischen Regierung verweisen mit Stolz darauf, daß das Wirtschaftswachstum im Jahre 1995 6, 6 Prozent betragen habe und daß man die jährliche Inflationsrate, die noch 1993 fast 100 Prozent erreicht habe, auf etwa 5 Prozent senken konnte Die Arbeitslosenrate belaufe sich auf 2, 4 Prozent Ausländische Investoren hätten in zunehmendem Maße die Chancen des im August 1994 erlassenen Investitionsgesetzes genutzt und bereits in den ersten zehn Monaten nach Inkrafttreten dieses Gesetzes Verträge mit einem Gesamtumfang von drei Milliarden US-Dollar unterzeichnet

Auf politischer Ebene scheint sich die Lage ebenfalls weitgehend stabilisiert zu haben. Trotz zum Teil heftiger Auseinandersetzungen ist die nach den Wahlen 1993 gebildete Koalitionsregierung aus „Front Uni National pour un Cambodge Independant, Neutre, Pacifique et Cooperatif“ (FUNCINPEC), Kambodschanischer Volkspartei (KVP) und Buddhistisch Liberaldemokratischer Partei (BLDP) nicht auseinandergebrochen. Nach wie vor wird die kambodschanische Regierung von zwei Ministerpräsidenten geleitet. Als Vertreter der FUNCINPEC fungiert Norodom Ranariddh, der Sohn von König Sihanouk, als erster Ministerpräsident, während Hun Sen als Vertreter der KVP das Amt des zweiten Ministerpräsidenten innehat.

Die entschiedensten und gefährlichsten Gegner der Regierung, die Roten Khmer, sind zwar noch nicht besiegt, aber sie haben durch Massendesertion und mangelnde Unterstützung in der Bevölkerung erheblich an Schlagkraft verloren. Nach Einschätzung der meisten Beobachter ist die Sicherheitslage im allgemeinen ruhig. Lediglich im nordwestlichen Gebiet der Provinz Battambang und in der Region um die Hafenstadt Sihanoukville wurden militärische Auseinandersetzungen zwischen Einheiten der Roten Khmer und den Regierungstruppen gemeldet. Frühere Bemühungen, durch Verhandlungen mit den Roten Khmer zu einer Übereinkunft zu kommen, wurden inzwischen völlig eingestellt, da die Regierung davon ausgeht, daß sie dieses Problem in absehbarer Zeit mit militärischen Mitteln lösen kann.

Die internationale Gemeinschaft weiß diese Erfolge zu würdigen. Konkreter Ausdruck ihres Vertrauens in die gegenwärtige politische Führung Kambodschas sind ihre beachtlichen Hilfeleistungen. Von dem „International Commitee for the Reconstruction of Cambodia“ (ICORC) wurden zwischen 1992 und 1994 insgesamt 1, 6 Milliarden US-Dollar verbindlich zugesagt Im März 1995 sind darüber hinaus auf der in Paris einberufenen ICORC-Konferenz nochmals 900 Millionen US-Dollar in Aussicht gestellt worden UNO-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali, aber auch unabhängige Beobachter werden denn auch nicht müde, Kambodscha zum Paradebeispiel einer erfolgreichen UNO-Mission zu erklären. Seien die Bemühungen der UNO in etlichen anderen Fällen gescheitert, so hätte diese doch in Kambodscha bewiesen, daß sie in der Lage sei, selbst einem völlig zerrütteten Land eine positive Zukunft zu eröffnen. Halten diese optimistischen Einschätzungen einer eingehenderen Analyse stand?

II. Wachstum ohne Entwicklung

Mit einem jährlichen Pro-Kopf-Einkommen, das je nach Berechnungsmethode zwischen 220 und 250 US-Dollar liegt, gehört Kambodscha immer noch zu den ärmsten Ländern der Welt. Nach Angaben des von den Vereinten Nationen erstellten, „Human Development Report“ steht Kambodscha an 147. Stelle von insgesamt 173 Ländern Von dem in Phnom Penh ostentativ zur Schau getragenen neuen Reichtum profitieren allenfalls 10 Prozent der kambodschanischen Bevölkerung, und auch diese in sehr unterschiedlichem Maße. Die restlichen 90 Prozent der Bevölkerung haben dagegen am neu entstandenen Reichtum keinen Anteil. Vor allem auf dem Lande, wo immer noch mehr als 80 Prozent der kambodschanischen Bevölkerung leben, die aber nur etwa 50 Prozent des gesamten Bruttosozialprodukts erwirtschaften, liegt das Pro-Kopf-Einkommen häufig weit unter dem oben angegebenen Durchschnittswert. In vielen bäuerlichen Haushalten ist daher selbst in Jahren mit guter Reisernte eine ausreichende Versorgung mit Grundnahrungsmitteln nicht gewährleistet

Auf welche Bereiche stützt sich das zunächst so beeindruckende Wirtschaftswachstum von 6, 6 Prozent? An erster Stelle ist hier der rigorose Raubbau an den natürlichen Ressourcen des Landes, vor allem an Tropenholz, zu nennen. Folgt man den offiziellen Statistiken, so wurden 1994 nahezu 60 Prozent der kambodschanischen Export-einnahmen mit dem Verkauf von Tropenholz erzielt. Doch es ist davon auszugehen, daß ein Großteil des Holzes illegal exportiert wird und daher gar nicht in den Statistiken auftaucht. In sonst selten gekannter Eintracht beteiligen sich sowohl die Roten Khmer wie auch Regierungsbeamte an diesem Kahlschlag, den König Sihanouk im Februar 1996 als „tödliche Bedrohung für Kambodscha“ bezeichnet hat Das Land verfügt heute nur noch über die Hälfte der 1970 vorhandenen Waldfläche, und Expertenschätzungen gehen davon aus, daß Kambodscha bei einer ungehinderten Fortsetzung dieses Raubbaus bis zum Jahre 2000 restlos entwaldet sein wird Die Regierung hat zwar im April 1995 ein Exportverbot für Schnitt-und Sägeholz erlassen, dann aber wenig später zwei Verträge mit malaysischen und indonesischen Holzunternehmen abgeschlossen, die diesen weitgehende Nutzungsrechte einräumen Ebensowenig ist davon auszugehen, daß der illegale Einschlag und Export von Tropenholz wirklich entschlossen bekämpft werden wird, denn die mit der Kontrolle beauftragten Beamten sind allzusehr mit der „Holzhändlermafia“ verwoben und von deren Bestechungszahlungen abhängig, als daß sie an der Durchsetzung derartiger Bestimmungen irgendein Interesse hätten.

Studiert man Statistiken über die wirtschaftliche Entwicklung Kambodschas in den vergangenen Jahren, so fällt des weiteren der relativ hohe Anteil von Handel und Dienstleistungen am Bruttosozialprodukt auf. 1994 machte dieser Bereich fast 35 Prozent des Bruttosozialproduktes aus. Auch nach dem Ende der UNO-Mission und dem Abzug von mehr als 20 000 UNO-Bediensteten im Jahre 1993 waren in diesem Wirtschaftssektor keine Einbrüche zu verzeichnen. Im Gegenteil, im Jahre 1994 wiesen Handel und Dienstleistungen eine Steigerungsrate von 7, 4 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf Hinter diesen Zahlen verbergen sich indes wenig Ansatzpunkte für eine langfristige und umfassende Entwicklungsstrategie. So gab es Ende 1995 in Kambodscha fast 30 verschiedene Banken, doch die Mehrheit dieser Geldinstitute ist vor allem mit Geldwäsche befaßt Einige dieser Banken sind Briefkastenfirmen, die sich auf den Transfer illegaler Gelder spezialisiert haben. Dem gleichen Ziel dienen die zahlreichen neuen Nachtclubs, Spielcasinos und Geschäfte für Luxusgüter.

Die umfangreichen Möglichkeiten zur Geldwäsche machen Kambodscha darüber hinaus zu einem Magneten für den international organisierten Schmuggel von Waffen. Drogen, Uran etc. Nach Angaben des Interpol-Büros in Bangkok halten sich derzeit in Kambodscha 150 bis 300 der meist-gesuchten Kriminellen der Welt auf Viele Drogenhändler lassen inzwischen das im „Goldenen Dreieck“ zwischen Thailand, Birma und Laos angebaute Opium nicht mehr über Birma und Thailand, sondern über Kambodscha nach Über-see transportieren, da dieser Weg wesentlich ungefährlicher und kostengünstiger ist. Der ehemalige Leiter der Abteilung für Drogenbekämpfung der kambodschanischen Polizei, Nouen Souer, erklärte im August 1995, daß wöchentlich etwa 600 Kilogramm Heroin über Phnom Penh ins Ausland verbracht würden. Die Schmuggler seien reich und würden von hochrangigen Beamten und Regierungsvertretern unterstützt Nach Veröffentlichung des Interviews erhielt Souer mehrere Mord-drohungen, die ihn veranlaßten, keine weiteren öffentlichen Erklärungen abzugeben.

Vor dem oben skizzierten Hintergrund erscheinen denn auch etliche Aktivitäten ausländischer Investoren in einem etwas anderem Licht. So hat zum Beispiel das malaysische Unternehmen „Ariston“ im Frühsommer 1995 mit dem kambodschanischen Tourismus-Ministerium eine Investitionsvereinbarung über 1, 3 Milliarden US-Dollar unterzeichnet. Gegenstand dieser Vereinbarung war die Errichtung eines Hotel-und Kasinokomplexes auf einer Insel vor der Hafenstadt Sihanoukville sowie der Ausbau des dortigen Flughafens und weitere für dieses Projekt notwendige Infrastrukturmaßnahmen Von diesem gigantischen Investitionsvorhaben, das in etwa 40 Prozent aller zugesagten Auslandsinvestitionen bzw.der Hälfe des kambodschanischen Bruttosozialprodukts des Jahres 1994 entspricht, wurden bislang jedoch lediglich 40 Millionen US-Dollar realisiert, die zum Umbau eines Kreuzfahrtschiffes in ein riesiges Spielcasino verwandt wurden. Vieles spricht dafür, daß es bei diesem so groß angekündigten Investitionsvorhaben nur darum ging, illegale Gelder anzulegen und gleichzeitig mit Hilfe des Spielcasinos neue Möglichkeiten zur Geldwäsche im großen Stil zu schaffen.

III. Mängel in der Infrastruktur

In anderen Bereichen, vor allem jenen, die für ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum unabdingbar sind, sind jedoch nur sehr geringe Zuwachsraten oder sogar Wachstumsrückgänge zu verzeichnen. Die staatliche Elektrizitätserzeugung befindet sich heute auf dem gleichen Niveau wie 1989 Nicht einmal in Phnom Penh, das immerhin 85 Prozent der staatlich erzeugten Energie verbraucht, ist eine ausreichende Stromversorgung gewährleistet. Sehr viele Haushalte beziehen ihren Strom über private Anbieter, die diesen mit benzin-und dieselgetriebenen Generatoren erzeugen. Da auch die staatlichen Stromerzeuger nicht in der Lage sind, ihren Strom direkt an die Verbraucher zu liefern, sondern private Zwischenhändler benötigen, ist der Strom -gemessen an den kambodschanischen Einkommen -exorbitant teuer (1 kwh = 700 Riel, das entspricht etwa 0, 45 DM). Dennoch kommt es immer wieder zu Stromausfällen, die für private Haushalte ärgerlich, für Industrie-und Handwerksbetriebe aber ein beträchtlicher Kostenfaktor sind.

Das Verkehrssystem befindet sich immer noch weitgehend in dem Zustand, in dem es Ende der achtziger Jahre gewesen war. Lediglich die Straße zwischen Phnom Penh und der Hafenstadt Sihanoukville wurde erneuert. Allerdings sind diese Arbeiten mit so wenig Sorgfalt ausgeführt worden, daß schon wieder zahlreiche Straßenschäden zu verzeichnen sind.

Am gravierendsten ist die Situation in der Landwirtschaft, deren Erträge nach wie vor deutlich unter dem Vorkriegsniveau liegen. Obgleich die kambodschanische Bevölkerung 1993 um 3, 3 Prozent und 1994 um 2, 5 Prozent wuchs, fiel die landwirtschaftliche Produktion 1993 um 1 Prozent hinter den Vorjahresstand und stagnierte 1994 auf dem niedrigen Niveau des Vorjahres Da die in der Vergangenheit angelegten Bewässerungssysteme vielfach verfallen sind und in den vergangenen Jahren kaum neue angelegt wurden, sind die Ernteerträge vollständig von den jährlichen Niederschlagsmengen abhängig. Nur weil genügend Regen gefallen war, kam es 1995/96 vielerorts zu einer recht guten Reisernte. Auf die bäuerlichen Einkommen wird sich dies jedoch nur in geringem Maße auswirken, da ländliche Kredit-und Handelsgenossenschaften fehlen, so daß die meisten bäuerlichen Haushalte gezwungen sind, den Reis zu niedrigen Preisen an Zwischenhändler zu verkaufen, weil sie auf Bargeld dringend angewiesen sind. Neben Reis wird in zunehmendem Maße auch Fisch von privaten Händlern aufgekauft, da er zu einem der begehrtesten Exportartikel Kambodschas geworden ist. Die Folge ist, daß Fisch, die wichtigste, weil billigste Eiweißquelle für die ärmeren Schichten Kambodschas, auf den lokalen Märkten bereits knapp und entsprechend teuer geworden ist.

Eine dauerhafte Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion, die sowohl die Ernährungs-als • auch die Einkommenssituation der ländlichen Bevölkerung spürbar verbessert, erfordert indes nicht nur national abgestimmte Entwicklungsprogramme, sondern auch erhebliche Investitionen in die Landwirtschaft. Bislang wird hier sehr selektiv vorgegangen. Führende Regierungsvertreter -allen voran Ministerpräsident Hun Sen -haben sich einzelne Dörfer und Gemeinden ausgesucht und zu ihren Musterprojekten erklärt. Vor laufenden Fernsehkameras werden in diesen Gemeinden Hilfsgüter wie z. B. Wasserpumpen, einfachere Ackergeräte, aber auch Kleidung und Nahrungsmittel an die ärmeren Familien verteilt. Derartige Aktionen mögen für die Popularität einzelner Politiker hilfreich sein, sie können aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß es zwar ein „Ministerium für ländliche Entwicklung“, aber kaum staatliche Konzeptionen, geschweige denn konkrete Projekte für die Entwicklung der Landwirtschaft gibt.

Denn bei der Verteilung der Haushaltsmittel gelten andere Prioritäten. Zwar verlautete aus Phnom Penh, daß die Mittel für landwirtschaftliche Entwicklung, vor allem für Bewässerungsmaßnahmen, im Haushaltsplan 1996 erhöht werden sollen, aber es wurden keine Angaben über die Größenordnung gemacht Die höchsten Zuwachsraten hatte dagegen der Bereich „Nationale Sicherheit und Verteidigung“ zu verzeichnen, obgleich die militärischen Auseinandersetzungen mit den Khmer Rouge erheblich zurückgegangen sind. 1993 wurden 84 Millionen US-Dollar (36 Prozent des Gesamthaushalts) für diesen Bereich aufgewandt; für 1995 waren Ausgaben in Höhe von 133 Millionen US-Dollar (33 Prozent des Gesamthaushalts) geplant -ein Betrag, der mit Hilfe eines Nachtragshaushaltes für 1995 auf 165 Millionen US-Dollar (über 40 Prozent des Gesamthaushaltes) erhöht wurde. Im Haushaltsplan 1996 wurden 160 Millionen US-Dollar (27, 5 Prozent des Gesamthaushalts) für „Nationale Sicherheit und Verteidigung“ bereitgestellt, doch es wäre nicht überraschend, wenn dieser Betrag ähnlich wie im Vorjahr erheblich aufgestockt werden würde.

Die Einnahmen des kambodschanischen Staates reichen hingegen bei weitem nicht aus, um ein derartiges Ausgabenvolumen decken zu können. In den vergangenen Jahren mußte nahezu die Hälfte des kambodschanischen Haushalts mittels ausländischer Hilfe finanziert werden. In den Haushalts-planungen für das Jahr 1996 ist diese auf etwa ein Drittel der staatlichen Einnahmen herabgesetzt worden Es ist allerdings äußerst fraglich, ob sich dies realisieren lassen wird, da der Staatshaushalt nach dem offiziellen Verbot für Holzeinschlag eine wichtige Einnahmequelle verloren hat.

IV. Vom Pluralismus zum Autoritarismus

Bei aller Kritik an der Ausübung des UNO-Mandats über Kambodscha muß man den Vereinten Nationen zugute halten, daß es der UN-Verwaltung in Kambodscha gelungen war, innerhalb eines sehr kurzen Zeitraums von etwa 21 Monaten wichtige Voraussetzungen für den Aufbau einer pluralistischen Gesellschaft zu schaffen. Zwischen Anfang 1992 und September 1993 haben sich in Kambodscha über 40 unabhängige Zeitungen etablieren können. Trotz massiver Einschüchterungsversuche und sogar einer Reihe politischer Morde konnten mehr als 20 verschiedene politische Parteien gegründet werden, die sich im Mai 1993 zur Wahl stellten. Obgleich während des Wahlkampfs keine wirkliche Chancengleichheit gewährleistet werden konnte, gelang es der UNO-Verwaltung, den Wahlprozeß selbst von Manipulationen freizuhalten und eine korrekte Auszählung zu gewährleisten. Die kambodschanischen Wählerinnen und Wähler haben die Chance, eine demokratisch verfaßte Gesellschaft aufzubauen, mit großem Engagement genutzt, und die aus den Wahlen hervorgegangene Verfassunggebende Versammlung verabschiedete denn auch einstimmig am 21. September 1993 die neue Verfassung, in der alle fundamentalen Prinzipien eines demokratischen Rechtsstaates verankert sind Betrachtet man die derzeitige politische Situation Kambodschas, so wurden in den vergangenen 30 Monaten die Ergebnisse der Wahlen von 1993 gleichsam auf den Kopf gestellt. Obwohl bei der Koalitionsbildung vereinbart worden war, daß alle hohen Regierungs-und Verwaltungspositionen den Wahlergebnissen entsprechend neu besetzt werden sollten, ist die Vorherrschaft der KVP drei Jahre nach den Wahlen ungebrochen. Von den zwanzig Ministern und Staatssekretären gehören nur acht der FUNCINPEC an, während die KVP die übrigen zwölf, den Präsidenten der Nationalversammlung, den Direktor der Nationalbank und den Leiter des Sekretariats von König Sihanouk stellt. Die Abteilungsleiter in den Ministerien sowie die Verwaltungschefs in den Provinzen stammen fast alle noch aus der Zeit des „Staates Kambodscha“, in dem die KVP die Alleinherrschaft innehatte.

Lediglich auf der Ebene der Ministerpräsidenten wurde mit Prinz Ranariddh als dem ersten Ministerpräsidenten und Hun Sen als dem zweiten Ministerpräsidenten eine Ämterteilung vorgenommen, die der Koalitionsvereinbarung entsprach. Doch Ranariddh verfügt in seiner eigenen Partei nur über eine schwache Basis. In einem Überraschungscoup hatte ihn sein Vater König Sihanouk gegen erheblichen Widerstand einiger führender FUN-CINPEC-Mitglieder zum Parteivorsitzenden gemacht. Da er nach wie vor in seiner Partei keine ausreichende Rückendeckung besitzt, kann Ranariddh den Pressionen Hun Sens wenig entgegensetzen, zumal er umgekehrt immer wieder versucht, sich mit Unterstützung Hun Sens gegen seine Kritiker in der eigenen Partei zu behaupten.

Es hat sich daher eine zwar nicht widerspruchsfreie, aber bislang tragfähige Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Politikern herausgebildet. Hun Sen braucht Ranariddhs internationales Ansehen, und letzterer ist sich nur allzu gut der Tatsache bewußt, daß Hun Sen Machtmittel besitzt, die ihm nicht zur Verfügung stehen. Wer letztlich stärker auf die Unterstützung des anderen angewiesen ist, wird die Zukunft erweisen. Bislang haben sich jedoch beide sehr energisch allen Versuchen entgegengestellt, ein demokratisches Gegengewicht zu der immer autoritärer agierenden Regierung zu schaffen.

1. Einschüchterung kritischer Politiker

Die wenigen Parlamentsmitglieder, die ihre Arbeit als Abgeordnete ernst nehmen und die von der Regierung eingebrachten Gesetzesvorlagen hinterfragen oder gar an der Arbeit der Regierung Kritik üben, sehen sich massiven Beschimpfungen und Gewaltandrohungen ausgesetzt. Warnendes Beispiel für alle Kritiker ist der ehemalige Finanzminister Sam Rainsy, der, nachdem er mehrmals öffentlich die zunehmende Korruption angeprangert hatte, nicht nur im Oktober 1994 von seinem Ministeramt zurücktreten mußte, sondern am 22. Juni 1995 auch seines Sitzes im Parlament enthoben wurde, ohne daß darüber im Parlament abgestimmt oder auch nur debattiert worden wäre. Der einzige Vorwurf, mit dem diese Maßnahme begründet wurde, war der, daß Sam Rainsy durch seine Kritik an der Regierung dem Ansehen Kambodschas schweren Schaden zugefügt habe Auch eine öffentliche Erklärung des Staatsoberhauptes, König Sihanouk, in der er den Entzug des Parlamentssitzes verurteilte und Sam Rainsy als „Patrioten“ bezeichnete, der „ehrenhaft, kompetent, mutig dem Volk und seinem Vaterland gedient habe“, vermochte an dieser Maßnahme nichts zu ändern

Gegenüber dem kleineren Koalitionspartner, der Buddhistisch-Liberaldemokratischen Partei (BLDP), betrieb man mit großem Geschick eine Spaltungstaktik. Ansatzpunkt hierfür bildete eine langjährige Kontroverse in der Parteispitze zwischen dem Parteigründer Son Sann und leng Mouly. Im Gegensatz zu Son Sann und seinen Gefolgsleuten, die in die Opposition gehen wollten, hatte sich leng Mouly erfolgreich für eine Regierungsbeteiligung der BLDP eingesetzt und war hierfür mit dem Amt des Informationsministers belohnt worden. Im Juli 1995 ging leng Mouly in die Offensive, indem er einen Sonderparteitag einberief, auf dem er erwartungsgemäß zum Parteivorsitzenden gewählt wurde und auf dem alle kritischen BLDP-Abgeordneten, die sich geweigert hatten, an dieser Veranstaltung teilzunehmen, aus der Partei ausgeschlossen wurden Mit der Begründung, sie seien nicht mehr Parteimitglieder, verlangte leng Mouly daraufhin vom Parlamentspräsidenten Chea Sim, sechs BLDP-Abgeordneten, einschließlich des Parteigründers Son Sann, den Parlamentssitz zu entziehen. Angesichts vehementer internationaler Proteste wurde dieser Forderung bislang noch nicht entsprochen.

Als jedoch Anfang Oktober Son Sann einen regulären Parteitag in Phnom Penh einberufen hatte, verwehrten Polizeipatrouillen vielen Delegierten den Zugang nach Phnom Penh. Auf diejenigen Parteitagsbesucher, denen es dennoch gelungen war, nach Phnom Penh zu gelangen, und die auf dem Gelände des Wohnhauses von Son Sann und einer nahe gelegenen Tempelanlage übernachteten, verübten Unbekannte einen Bombenanschlag, bei dem mehr als 35 Personen verletzt wurden „Aus Sicherheitsgründen“ wurde es daraufhin nicht gestattet, den Kongreß wie geplant im Olympia-Stadion abzuhalten, so daß die Delegierten gezwungen waren, sich auf dem Gelände des Wohnhauses von Son Sann zu versammeln Nur das demonstrative Eintreten des amerikanischen Botschafters, der dem Parteitag einen Besuch abstattete, konnte die Anhänger Son Sanns vor weiteren Repressionen bewahren. Doch die massiven Einschüchterungen haben ihre Wirkung nicht verfehlt, zumal auf dem Lande, wo man nicht auf den Schutz durch die internationale Öffentlichkeit rekurrieren kann.

Aber selbst internationales wie nationales Ansehen bietet derzeit in Kambodscha keinen ausreichenden Schutz. Jüngstes Beispiel hierfür ist der frühere Außenminister und Generalsekretär der FUNCINPEC, Norodom Sirivudh, ein Halbbruder von König Sihanouk. Sirivudh war im Herbst 1994 aus Sympathie für den entlassenen Finanzminister Sam Rainsy von seinem Amt als Außenminister zurückgetreten und hatte der Regierung öffentlich vorgeworfen, der immer stärker um sich greifenden Korruption tatenlos zuzusehen, ja sich zu ihrem Komplizen zu machen. Auch seine eigene Partei unterzog er einer schonungslosen Kritik. Mit 3 000 aktiven Mitgliedern sei die Partei viel zu schwach, um im politischen Machtkampf bestehen zu können. Sie müsse daher den Basisorganisationen auf dem Lande größeres Augenmerk widmen und ihren demokratischen Aufbau stärker vorantreiben. Derartige Vorstellungen riefen sowohl Hun Sen als auch Ranariddh auf den Plan: ersteren, weil er befürchten mußte, daß aus der Honoratiorenpartei FUNCINPEC eine auch auf dem Lande präsente und der KVP ebenbürtige Organisation werden könnte; letzterem konnte nicht daran gelegen sein, daß die Parteibasis, die seine Ernennung zum Parteivorsitzenden nur widerwillig hingenommen hatte, ein stärkeres Mitspracherecht erhalten sollte.

Der direkte Angriff auf Sirivudh erfolgte im November 1995. Unter der Beschuldigung, er habe ein Mordkomplott gegen Hun Sen vorbereitet, wurde er zunächst unter Hausarrest gestellt. Am 21. November konnten die beiden Ministerpräsidenten in der Nationalversammlung die Aufhebung seiner Immunität durchsetzen, der wenig später seine Inhaftierung folgte. Nur aufgrund einer Intervention König Sihanouks erhielt Sirivudh schließlich die Erlaubnis, nach Frankreich ins Exil zu gehen. Nach einer nur vier Stunden dauernden Gerichtsverhandlung wurde er am 15. Februar 1996 in Abwesenheit zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt

Da spätestens seit dem Weggang Sirivudhs die FUNCINPEC keine realistische Alternative zur KVP darstellt, ruhen die Hoffnungen vieler Kambodschaner auf dem früheren Finanzminister Sam Rainsy, der nach seinem Ausschluß aus der FUN-CINPEC und dem Parlament am 9. November 1995 eine neue Partei, die „Khmer National-Partei“ (KNP) gegründet hat Obgleich die Regierung diese Partei für illegal erklärte, konnte sich Sam Rainsy nicht über mangelnden Zulauf beklagen. Nach seinen eigenen Angaben hätten schon in den ersten Wochen nach der Parteigründung rund 70 000 Kambodschaner im In-und Ausland die Mitgliedschaft beantragt Folgt man einer Umfrage, die der kambodschanische Journalisten-verband in Phnom Penh und den angrenzenden Provinzen Kandal und Kompong Speu veranstaltet hat, so würden derzeit 23 Prozent der Befragten die KNP, aber nur 13 Prozent die KVP und nur 7 Prozent die FUNCINPEC wählen, während die übrigen 50 Prozent keine Meinung äußern wollten Die Regierung reagierte auf diese neue Herausforderung mit der erprobten Einschüchterungstaktik gegenüber den Gefolgsleuten Sam Rainsys. Schon kurz nach der Parteigründung fielen drei seiner Anhänger unaufgeklärten Mordanschlägen zum Opfer Am 29. Januar 1996 -Sam Rainsy befand sich gerade in Frankreich -wurde die Parteizentrale der KNP von schwerbewaffneter Militärpolizei besetzt und durchsucht. 150 Personen, Mitarbeiter der KNP und zufällig anwesende Besucher, wurden für mehrere Stunden festgehalten. Jüngstes Opfer war ein KNP-Funktionär im Nordwesten des Landes, der dort von „Unbekannten“ zu Tode geprügelt wurde Daß Sam Rainsy bislang von solchen Anschlägen auf seine Person verschont geblieben ist, bedeutet nicht, daß er auch in Zukunft davor gefeit sein wird, sondern läßt eher darauf schließen, daß die Regierung dies gegenwärtig nicht für opportun hält.

2. Kampf gegen die unabhängige Presse

Um oppositionellen Gruppierungen bereits im Vorfeld den Boden zu entziehen, wurde auch die in der Verfassung garantierte Pressefreiheit drastisch eingeschränkt. Von den über vierzig unabhängigen Zeitungen, die in der Zeit des UNO-Mandats entstanden waren, sind derzeit gerade noch eine Handvoll übriggeblieben. Eine Reihe von Publikationen mußte ihr Erscheinen aus wirtschaftlichen Gründen einstellen, wobei die meisten Beobachter davon ausgehen, daß die Kündigung von Krediten, der Entzug von Werbe-anzeigen und die plötzliche Weigerung von Drukkereien, eingegangenen Verpflichtungen nachzu-kommen, auf politischen Druck zurückzuführen sind Andere Herausgeber und Chefredakteure wurden unter der Beschuldigung, „die nationale Sicherheit und politische Stabilität“ gefährdet zu haben, zu hohen Geldstrafen und ein-bis zweijährigen Haftstrafen verurteilt. Rechtliche Handhabe hierzu bietet ein Pressegesetz, das im September vergangenen Jahres erlassen worden war. Da sich König Sihanouk geweigert hatte, dieses Gesetz zu unterzeichnen, wurde es während einer Auslandsreise von Sihanouk vom Parlamentspräsidenten Chea Sim unterzeichnet, da dieser bei Abwesenheit des Königs dessen Aufgaben wahrnimmt. Aber Ministerpräsident Hun Sen hat inzwischen auch klar zu verstehen gegeben, daß er nicht nur auf juristischem Wege gegen seine publizistischen Widersacher vorgehen wird. Als eine Zeitung im Oktober 1995 über das von Hun Sen persönlich geförderte Entwicklungsprojekt Krangyou kritisch berichtete, wurden kurzerhand die Redaktionsbüros von Rollkommandos verwüstet und die dort anwesenden Journalisten verprügelt. Anstatt diesen brutalen Gewaltakt scharf zu verurteilen, erklärte Hun Sen öffentlich, Demokratie könne man mit Worten, aber auch mit Stangen praktizieren. Er selbst habe daher der Polizei die Strafverfolgung untersagt. Ein halbes Jahr nach diesem Vorfall wurde der Herausgeber der regierungskritischen Zeitung „Ödamktek Khmer“ und KNP-Mitglied, Thun Bunly, auf offener Straße von „Unbekannten“ erschossen

Umgekehrt werden denjenigen Journalisten, die regierungsfreundliche Artikel verfassen, umfangreiche Vergünstigungen zuteil. Der Haushalt des Informationsministeriums, aus dem solche Zuwendungen beglichen werden, wies in den vergangenen zwei Jahren Steigerungsraten auf, die über 60 Prozent lagen und Hun Sen hat durch seinen engen Vertrauten Khieu Kanharith, Staatssekretär im Informationsministerium, die Kontrolle darüber, daß diese Mittel auch in seinem Sinne verwendet werden.

V. Ursachen der demokratie-hemmenden Entwicklung

Viele Kambodschaner und ausländische Beobachter, die nach dem überraschenden Wahlsieg der FUNCINPEC im Mai 1993 mit großem Optimismus in die Zukunft geblickt hatten, müssen sich heute fragen, worin die tieferen Ursachen dafür liegen, daß Kambodscha erneut zu einem Land geworden ist, in dem sich Unterentwicklung und ein zunehmend diktatorisches Herrschaftssystem gegenseitig bedingen und verstärken. Schließlich ist Kambodscha hinsichtlich seiner geographischen Lage und seiner Ressourcen kein armes Land. Im Unterschied zu seinem Nachbarn Vietnam kennt Kambodscha keinen Mangel an fruchtbarem Ackerland, die klimatischen Bedingungen sind günstig, und geologische Untersuchungen haben ergeben, daß auch für eine moderne industrielle Entwicklung genügend wertvolle Rohstoffe vorhanden sind.

1. Verwüstungen durch Krieg und Bürgerkrieg

Die natürlichen Ressourcen waren jedoch während der letzten 25 Jahre ungeheuren Zerstörungen ausgesetzt. Durch geschicktes diplomatisches Manövrieren war es Prinz Sihanouk lange Zeit gelungen, sein Land aus dem Vietnamkrieg herauszuhalten. Aber nach seinem Sturz im März 1970 wurde auch Kambodscha zum blutigen Schauplatz dieses Konflikts. Der 1975 folgenden Herrschaft der Roten Khmer fielen nach neuesten Berechnungen zwei Millionen Kambodschaner zum Opfer Alle Ansätze zu einer modernen wirtschaftlichen Entwicklung wurden radikal gekappt. Vorbild der Gefolgsleute Pol Pots war nicht die von Marx anvisierte postkapitalistische Industriegesellschaft, sondern eine Agrargesellschaft, die auf Sklavenarbeit beruhte. Der Einmarsch der vietnamesischen Truppen und ihrer kambodschanischen Verbündeten zur Jahreswende 1978/79 beendete zwar in weiten Teilen Kambodschas das Schreckensregime Pol Pots, brachte aber dem Lande keinen wirtschaftlichen Aufschwung. Der Krieg gegen die von der VR China gut ausgerüsteten Roten Khmer forderte weitere Opfer. Als Mitglied der „Sozialistischen Staatengemeinschaft“ war das Land von internationaler Hilfe abgeschnitten, während die UdSSR und ihre Verbündeten immer weniger Unterstützung für Kambodscha bereitstellen konnten.

Das Ausmaß dieses mehr als zwanzig Jahre währenden wirtschaftlichen Niedergangs wurde in seiner ganzen Tragweite erst erkannt, nachdem die Vereinten Nationen 1991 das Mandat über Kambodscha übernommen hatten. Die internationale Gemeinschaft reagierte ungewöhnlich schnell auf diese Herausforderung. Im Juni 1992 stellte sie in Tokio auf einer „Konferenz für den Wiederaufbau Kambodschas“ 880 Millionen US-Dollar bereit. Dieses Geld mußte allerdings in sinnvolle Entwicklungspläne und -projekte investiert werden -eine Aufgabe, der die UNO-Verwaltung in Kambodscha angesichts der immensen politischen und militärischen Probleme allenfalls marginale Aufmerksamkeit schenkte, so daß bis Mai 1993 nicht einmal zehn Prozent der in Tokio zugesagten Summe abgerufen waren

Welch gigantische Aufgaben damit unerledigt blieben, wird anhand des Minenproblems deutlich, obgleich dies nur ein -wenn auch ein besonders erschütternder -Aspekt der allgemeinen Misere Kambodschas ist. Nach Beginn der UNO-Mission kamen Expertenschätzungen zu dem Ergebnis, daß in Kambodscha rund zehn Millionen Landminen in 2 000 Minenfeldern liegen, die insgesamt 3 500 Quadratkilometer umfassen. Bis zum Ende der UNO-Mission konnten lediglich 47 Quadratkilometer als Minenfelder gekennzeichnet und nur 13 Quadratkilometer (d. h. 0, 4 Prozent) von Minen geräumt werden Die Kosten hierfür beliefen sich auf circa 15 Millionen US-Dollar.

2. Konzeptions-und Verantwortungslosigkeit in der Führungsspitze

Schwerwiegender als die materiellen Zerstörungen sind die ungeheueren Opfer an Humankapital. Kambodscha verfügte in den sechziger Jahren über eine relativ große Zahl von Hochschulabsolventen, und auch der Bereich der sekundären Bildung war -gemessen an den Standards eines Entwicklungslandes -gut ausgebaut. Anfang der neunziger Jahre lebten jedoch in Kambodscha nur noch wenige Kambodschaner mit höherer Bildung. Die meisten waren während der Herrschaft der Roten Khmer ermordet worden, wenn ihnen nicht vorher die Flucht ins Ausland geglückt war. Doch auch die „Volksrepublik Kampuchea“ (1979-1991) investierte wenig in den Bereich Bildung und Ausbildung, so daß die riesigen Verluste der Pol-Pot-Zeit nicht auch nur annähernd ausgeglichen werden konnten.

Etliche Kambodschaner, die in den siebziger Jahren ihre Heimat verlassen hatten, sind inzwischen nach Kambodscha zurückgekehrt. Politisch haben sie sich meist für die FUNCINPEC engagiert. Viele von ihnen mußten sehr bald feststellen, daß sie sich den Verhältnissen in ihrer Heimat entfremdet hatten. Hinzu kam die Enttäuschung über einen korrupten Staats-und Verwaltungsapparat, der die Entwicklung des Landes eher behindert als fördert. Bei den einen hat dies zu Resignation, bei den anderen zu Zynismus geführt, so daß sich selbst einige derjenigen, die mit besten Absichten nach Kambodscha gekommen waren, im Laufe der Zeit an mehr oder weniger dubiosen Geschäften beteiligten.

Den meisten Rückkehrern ist jedoch gemein, daß sie einen ausländischen Paß besitzen. Ihre Existenz ist nicht von der Kambodschas abhängig. Die ehemalige Heimat ist so für viele Rückkehrer zu einem Ort geworden, an dem man lukrativen Geschäften nachgehen kann, die kurzfristig Gewinn abwerfen. Wenn dies nicht mehr der Fall sein sollte oder die politischen Verhältnisse sich allzu ungünstig entwickeln, kann man das Land verlassen und wieder auf die im Ausland aufgebaute Existenz zurückgreifen. Als „tourists in power“ hat daher der belgische Kambodschaexperte Roul Jennar viele FUNCINPEC-Mitglieder bezeichnet

Die Führungsschicht der KVP hat sich dagegen unter ganz anderen Bedingungen entwickelt. Ihre Mitglieder hatten kaum Gelegenheit, eine höhere Schule oder gar eine Universität zu besuchen, geschweige denn Erfahrungen im Ausland zu sammeln. Statt dessen waren die meisten von frühester Jugend an Soldaten bzw. Guerillakämpfer. Die politischen Lehren ihres Lebens lassen sich in dem Diktum Mao Ze Dongs zusammenfassen: „Die politische Macht kommt aus den Gewehrläufen.“ Da sie lange Zeit unter Verhältnissen einer kleinräumigen Subsistenzwirtschaft gelebt hatten, waren sie mit Fragen wirtschaftlicher Entwicklung im nationalen Rahmen kaum vertraut, ganz zu schweigen mit den Mechanismen und Möglichkeiten einer Marktwirtschaft.

So unterschiedlich Bildungsniveau und Lebenserfahrungen führender Vertreter von FUNCINPEC und KVP sind, so ist ihnen doch gemeinsam, daß nur die wenigsten von ihnen über eine tragfähige Entwicklungskonzeption verfügen, die an der konkreten Situation Kambodschas ansetzt. Nicht zuletzt deshalb sind sie wohl auch den Versuchungen des gegenwärtigen Wirtschaftsbooms und den damit verbundenen Möglichkeiten, auf schnellem Wege zu Geld zu kommen, so rasch erlegen und sehen es nunmehr als ihre Hauptaufgabe an, „mit allen Mitteln an der Macht zu bleiben, die Machtfülle, die sie bereits innehaben, nach Möglichkeiten noch zu mehren, um sich auf diese Weise auch weiterhin ungestört die eigenen Taschen füllen zu können“

Sicherlich sind weder die FUNCINPEC noch die KVP monolithische Blöcke, und es gibt auch in diesen Parteien eine Reihe von Persönlichkeiten, die versuchen, sich der oben skizzierten Entwicklung entgegenzustellen. Kritiker können sich zudem auf König Sihanouk berufen, der immer wieder die Fehler und Schwächen der „Königlichen Regierung“ schonungslos anprangert. Doch all dies ändert wenig an den konkreten Machtverhältnissen, die durch die vorhandenen Verwaltungs-, Militär-und Polizeiapparate bestimmt werden.

Kann durch Einflußnahme von außen eine Veränderung dieser Verhältnisse erzwungen werden?

Die internationale Gemeinschaft finanziert derzeit zu 40 Prozent den kambodschanischen Staatshaushalt und trägt damit auch Verantwortung dafür, daß in Kambodscha diejenigen Kräfte unterstützt werden, die sich für eine entwicklungsorientierte Wirtschaftspolitik und den Aufbau eines demokratischen Staatswesens einsetzen. Aber es wäre illusorisch zu glauben, daß durch äußeren Druck oder gar durch eine erneute Intervention eine radikale Änderung der politischen und wirtschaftlichen Situation Kambodschas erzielt werden könnte. Die Kambodschaner und vor allem ihre Führung tragen letztlich die Verantwortung dafür, ob ihr Land einen angemessenen Platz unter den sich stürmisch entwickelnden Nationen Südostasiens erhält oder ob künftigen Generationen „Kambodscha“ nur noch ein historischer Begriff sein wird.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Für Hinweise und Anregungen danke ich Kristina und Phalvorun Chhim, Humboldt-Universität zu Berlin und Susanne Feske, Freie Universität Berlin.

  2. Vgl. Phnom Penh Post vom 29. Dezember 1995.

  3. Vgl. Südostasien aktuell, November 1995, S. 479.

  4. Vgl. Arno Wohlgemuth, Das Investitionsgesetz des Königreichs Kambodscha von 1994, in: Zeitschrift für Rechts-vergleich, 36 (1995) 5, S. 201 ff.

  5. Vgl. Susanne Feske, Kambodscha, in: Ostasiatischer Verein (Hrsg.), Wirtschaftshandbuch Asien und Pazifik 1996, Hamburg 1996 (im Druck).

  6. Bei den von der UNO organisierten Wahlen im Mai 1993 erhielt die von Sihanouk gegründete „Front Uni National pour un Cambodge Independant, Neutre, Pacifique et Cooperatif“ (FUNCINPEC) 45, 5 Prozent und damit 58 der 120 Parlamentssitze. Die bis 1991 allein regierende Kambodschanische Volkspartei (KVP) erhielt nur 38, 2 Prozent bzw. 51 Sitze. Die Buddhistisch Liberaldemokratische Partei (BLDP) erhielt 14, 5 Prozent bzw. 10 Sitze und die weniger bekannte Moulinaka-Partei einen Sitz.

  7. Vgl. World Bank, Cambodia. Rehabilitation Programm: Implementation and Outlook, A World Bank Report for the 1995 ICORC Conference, 27. Febr. 1995, S. II f.

  8. Vgl. S. Feske (Anm. 5).

  9. Vgl. z. B. Elizabeth Becker, A Good United Natons Job in Cambodia, in: International Herald Tribune vom 29. /30. April 1995, S. 4; Tommy Koh, Cambodia Looks All Right, in: Far Eastern Economic Review vom 29. Februar 1996, S. 31.

  10. Vg). Asian Development Bank, Economic Review and Bank Operations. Kingdom of Cambodia, August 1995, S. 1.

  11. Vgl. International Bank for Reconstruction and Development, Country Briefs, Vol. II, 12. 4. 1995, S. 687f.

  12. International Herald Tribune vom 20. Februar 1996, S. 4.

  13. Vgl. Neue Zürcher Zeitung vom 21. August 1995, S. 6.

  14. Vgl. ebd.

  15. Vgl, World Bank (Anm. 7), Appendix, S. 2.

  16. Vgl. Matthew Lee. Cash and Carry. Money laundering becomes a major industry, in: Far Eastern Economic Review vom 12. 10. 1995, S. 29 f.

  17. Vgl, Südostasien aktuell, November 1995, S. 481.

  18. Vgl. Frankfurter Rundschau vom 28. November 1995, S. 26.

  19. Vgl. Nate Thayer, Medellin on the Mekong, in: Far Eastern Economic Review vom 23. November 1995, S. 25.

  20. Vgl. Neue Zürcher Zeitung vom 4. Juli 1995, S. 10.

  21. Vgl. World Bank (Anm. 7), Appendix, S. 2.

  22. Vgl. ebd.

  23. Vgl. Phnom Penh Post am 29. Dezember 1995, S. 13.

  24. Über die Größe des Militärhaushalts gibt es sehr unterschiedliche Angaben. Die hier zitierten Daten wurden aus dem Weltbankbericht (Anm. 7), Appendix S. 8, übernommen, die durch Angaben in der Phnom Penh Post vom 29. Dezember 1995, S. 13, bestätigt bzw. ergänzt wurden.

  25. Vgl. Phnom Penh Post vom 29. Dezember 1995, S. 13.

  26. Eine deutsche Übersetzung dieser Verfassung haben Kristina und Phalvorum Chhim in: Südostasien aktuell, Januar 1994, S. 90 ff., vorgelegt.

  27. Vgl. Nate Thayer, Shut Out. Government critic expelled from parliament, in: Far Eastern Economic Review vom 6. Juli 1995, S. 20.

  28. Vgl. ebd.

  29. Vgl. Far Eastern Economic Review vom 27. Juli 1995, S. 31.

  30. Vgl. Phnom Penh Post vom 6. Oktober 1995, S. 1.

  31. Vgl. ebd., S. 2.

  32. Vgl. International Herald Tribune vom 23. Februar 1996, S. 4.

  33. Vgl. Phnom Penh Post vom 17. November 1995, S. 3.

  34. Vgl. Kristina Chhim, Jüngste Entwicklungen in Kambodscha, Vortrag vom 16. 2. 1996 auf einem Workshop der AG „Kambodscha“ des DFG-Forschungsprojekts „Militante Konflikte in Asien“ an der Humboldt-Universität zu Berlin, (unveröffentlichtes Manuskript), S. 10.

  35. Vgl. ebd., S. 7f.

  36. Vgl. Phnom Penh Post vom 17. November 1995, S. 3.

  37. Vgl. Far Eastern Economic Review vom 22. Februar 1996, S. 23; die tageszeitung vom 22. Mai 1996, S. 4.

  38. Vgl. Far Eastern Economic Review vom 23. November 1995, S. 14.

  39. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21. November 1995, S. 14; International Herald Tribune vom 20. Mai 1996, S. 9.

  40. Vgl. World Bank (Anm. 7) Appendix, S. 8.

  41. Zu diesen Zahlenangaben gelangte jüngst ein Forschungsprojekt der Yale-Universität. Vgl. International Herald Tribune vom 20. Februar 1996, S. 4.

  42. Vgl. Raoul M. Jennar, UNTAC: „International Triumph“, in: Security Dialogue, 25 (1994) 2, S. 149.

  43. Vgl. Nayan Chanda, Tough Rows to Hoe, in: Far Eastern Economic Review vom 29. Juni 1996, S. 50 f. und Financial Times vom 6. /7. Januar 1996, S. 3.

  44. Vgl. International Herald Tribune vom 26. März 1996, S. 4.

  45. Neue Zürcher Zeitung vom 9. /10. März 1996, S. 7.

Weitere Inhalte

Gerhard Will, Dr. phil. geb. 1948; Studium der Politikwissenschaft, Sinologie und Südostasienkunde in Erlangen, Berlin, Peking und Hamburg; Wissenschaftlicher Oberrat am Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien (BlOst) in Köln. Veröffentlichungen u. a.: Vietnam 1975-1979: Von Krieg zu Krieg, Hamburg 1987; Ansätze zu einer politischen Lösung des Kambodschakonflikts, Bericht des BlOst, (1990) 41; Die Wahlen in Kambodscha: Bilanz einer UN-Mission, in: Aussenpolitik, 44 (1993) 4.