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Die neue Bedeutung des nationalen Interesses für die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland | APuZ 1-2/1997 | bpb.de

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APuZ 1-2/1997 Die neue Bedeutung des nationalen Interesses für die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland Deutsche Außenpolitik: Vom Teilstaat mit begrenzter Souveränität zum postmodernen Nationalstaat Die Erwartungen der neuen Clinton-Administration an Deutschland Jenseits von „Normalisierung“ und „Militarisierung“: Zur Standortdebatte über die neue deutsche Außenpolitik Die Neuordnung Europas. Was leisten NATO und OSZE für die Kooperation mit Osteuropa und Rußland? Rußlands Erwartungen an Deutschland

Die neue Bedeutung des nationalen Interesses für die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland

Christian Hacke

/ 30 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Heute ist Deutschland nicht nur wieder eine Nation geworden, weil andere dies auch sind, sondern weil Deutschland die nationale Idee in den vergangenen vier Jahrzehnten mit einem übernationalen Ideal verbinden konnte. Die Rollen der Zivilmacht, des Welthandelsstaates, der Entspannungsvormacht wurden in den Dienst einer freiheitlich demokratischen Zivilisation im atlantischen Maßstab gestellt. Zum ersten Mal in seiner Geschichte ist Deutschland Teil des Westens, Teil einer großen Zivilisation, in die auch das Erbe des 19. Jahrhunderts -das des weltbürgerlichen Humanismus -mit eingewoben werden kann. Diese Werte zu erhalten und auszubauen bleibt unverzichtbarer Maßstab für die Formulierung der nationalen Interessen der Deutschen.

I. Einleitung

1. Hintergrund und Fragestellung Die Wiederherstellung der nationalen Einheit und Souveränität Deutschlands, das Ende des Ost-West-Konflikts, der Zusammenbruch des Sowjetimperiums sowie die Neuentstehung von Nationalstaaten in Mittel-und Osteuropa haben die Rahmenbedingungen für die deutsche Außenpolitik nachhaltig verändert. Die Westbindung, die Schlüsselmaxime der Außenpolitik der alten Bundesrepublik, sowie die neue geopolitische Mittel-lage des vereinten Deutschlands könnten dabei neue Spannungen verursachen. Auf diesem Hintergrund wird die Frage nach den deutschen Interessen dringlicher gestellt. Das ist legitim, aber der Ruf nach den nationalen Interessen gilt in Deutschland immer noch als fragwürdig, weil er für manche einen Rückfall in nationale Überheblichkeit und in egoistische Machtpolitik beinhaltet. Das ist historisch verständlich. Während noch Bismarck das nationale Interesse Deutschlands mit einer Staatsräson der klugen Einhegung der Macht umhüllte, geriet die Interessenpolitik seiner Nachfolger auf eine abschüssige Bahn und mündete 1933 in eine rassistische und menschenvernichtende Politik ein, die im Namen des nationalen Interesses die Bedeutung dieses Begriffes völlig pervertierte und verspielte.

Auf diesem Hintergrund erschien nach 1945 in Deutschland der Begriff des nationalen Interesses unzeitgemäß. Umgekehrt führte die erfolgreiche Westbindung der Bundesrepublik im Zuge der vergangenen vier Jahrzehnte zu einer Multilateralisierung der deutschen Außenpolitik, die eine völlig neue und wertvolle Tradition für die Außenpolitik der Bundesrepublik begründet hat Die Nation wurde dämonisiert, die europäische Integration idealisiert. Gleichzeitig wurde der Begriff der Macht aufgehoben und durch Verantwortung und Friedenspolitik ersetzt. So erklärte Hans-Dietrich Genscher am 3. Mai 1992: „Wir stellen Verantwortungspolitik gegen Machtpolitik“, und Helmut Kohl beschwört die Unumkehrbarkeit der europäischen Integration mit den Worten: „Es gibt kein Zurück zur nationalen Machtpolitik und zu überkommenem Gleichgewichtsdenken.“ Dämonisierung der nationalen Interessenpolitik und Idealisierung der gemeinschaftsorientierten Außenpolitik der Bundesrepublik bilden zwei Pole, die politisch und wissenschaftlich unverrückbar erscheinen. Aber kann das vereinte Deutschland angesichts dramatischer Renationalisierungstendenzen in Europa und in der Welt und gleichzeitig angesichts offenkundiger Mängel und Krisen einer gemeinschaftlich orientierten Außenpolitik im Angesicht des Krieges auf dem Balkan die Dämonisierung einer Politik des nationalen Interesses und die Idealisierung der Gemeinschaftsinteressen aufrechterhalten, oder ist eine neue Balance zwischen Nation und Integration in Europa und für die deutsche Außenpolitik in Erwägung zu ziehen? 2. Definition und analytische Reichweite des nationalen Interesses Im Gegensatz zum konfliktgeladenen Freund-Feind-Schema von Carl Schmitt und im Unterschied zu idealtypischen, szientistischen Vernunft-modellen der Außen-und internationalen Politik verweisen Begriff und Konzept des nationalen Interesses auf Sachlichkeit und Kompromißfähigkeit -Voraussetzungen für jede Diplomatie über ideologische, religiöse oder moralische Gegensätze hinweg. „Nationales Interesse ist die umfassendste Beschreibung des gesamten Wertkomplexes der Außenpolitik.“ Zur Klärung der Außenpolitik eines Landes ist der Begriff nützlich, weil er auf umfassende Weise eine Wunschperspektive umschreibt und gleichzeitig eine Vergleichsmöglichkeit für diese Wünsche mit der tatsächlichen Politik ermöglicht: So wird der Begriff zu einem allgemein gebräuchlichen Kriterium für die Bewertung der Außenpolitik, weil er vor allem langfristig die Interessen eines Landes darlegt und damit den Vergleich zu anderen Staaten oder die Analyse zwischenstaatlicher Beziehungen Punkt für Punkt ermöglicht -gleichgültig, ob diese Beziehungen neutraler, freundschaftlicher oder feindlicher Natur sind. Die Analyse der Interessen anderer Staaten ergibt im Vergleich zur eigenen Interessenlage den Umriß einer spezifischen Interessenkonstellation. Das Erkennen der Interessen-perspektiven anderer Staaten verdeutlicht wiederum die Grenzen der eigenen Interessen und bestimmt damit die Formulierung des eigenen Interesses wesentlich mit

Im Sinne des außenpolitischen Realismus von Hans Morgenthau wird der Begriff subjektiv und objektiv verstanden: Subjektiv ist folgende Definition von Arnold Bergsträsser gültig: „Unter Interesse wird verstanden die der Bildung des politischen Willens zugrunde liegende Sorge um Gegenwart und Zukunft der Daseinsstruktur des außenpolitisch vertretenen Volks-und Gesellschaftskörpers. Was also im Einzelfall als Interesse gilt, ist das Ergebnis konkreter Daseinslagen einerseits und geistig bestimmter Auffassungen von Sinn und Ziel der Außenpolitik andererseits.“ Objektiv kann unter dem Begriff ein Verhalten verstanden werden, „dessen Realisierung in einer konkreten historischen Situation insbesondere den existentiellen Belangen eines Staates (Sicherheit, Macht, Wohlfahrt) in maximaler Weise entspricht“

Der Begriff ergibt ferner Sinn, weil die internationale Welt -bestehend aus knapp 200 Nationalstaaten -ohne diesen Begriff nur unzureichend analysiert werden kann. Allerdings zeigt die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte, daß das nationale Interesse durch neue transnationale Entwicklungen eingeschränkt wird. Der Nationalstaat wird dadurch zu stärkerer Interdependenz und Kooperation verpflichtet. Damit wird das nationale Interesse von der alten Verbindung mit Souveränität gelockert, gleichzeitig aber mit der Interdependenz stärker verknüpft.

Zur Wechselwirkung zwischen Interesse und Ideologie gilt nach wie vor Max Webers Diktum: „Interessen (materielle und ideelle), nicht Ideen, beherrschen unmittelbar das Handeln der Menschen. Aber die Weltbilder, welche durch Ideen geschaffen wurden, haben sehr oft als Weichensteller die Bahnen bestimmt, in denen die Dynamik der Interessen das Handeln fortbewegte.“ Das nationale Interesse ist das Produkt von Spannung und Konflikt zwischen öffentlicher Meinung, Parlament und Regierung. Die Durchsetzung dieser Interessen liegt primär bei der Bundesregierung, aber Parlament und öffentliche Meinung sind an der Formulierung inhaltlich beteiligt. Eine Außenpolitik im Namen des nationalen Interesses verlangt Disziplin. Nur dann ist er für die Handelnden ein Schlüssel für ausgleichende Außenpolitik und bewahrt vor übertriebenen Hoffnungen sowie vor ideologischer Verblendung Der Begriff erfährt seinen Wert auch dadurch, daß er zur Resultante eines innenpolitischen Kräftespiels wird, das zugleich den Unterschied zwischen Partikularinteressen einzelner gesellschaftlicher und politischer Gruppen und den Interessen der Nation als Ganzes verdeutlicht, und dieses sich wiederum von globalen Interessen absetzt.

II. Das nationale Interesse in der deutschen Außenpolitik

1. Der historische Hintergrund Während im 20. Jahrhundert fast alle Staaten eine bemerkenswerte Kontinuität und Konsequenz bei der Verfolgung ihrer Interessen aufweisen, zeigen die nationalen Interessen Deutschlands Diskontinuitäten und Brüche. In Deutschland gab es vor allem keine entsprechende Wechselwirkung zwischen außenpolitischen Interessen und Ideen, wie z. B. bei den westlichen Großmächten Frankreich, England oder den USA, die auf den Ideen der Französischen Revolution, des Machtgleichgewichts, der Freiheit der Meere oder auf dem Sockel der Menschenrechte und Demokratie eine realitätsnahe außenpolitische Interessenstruktur aufbauen konnten

Nach der Kapitulation 1945 und nach der Teilung Deutschlands richtete die Bundesrepublik Deutschland ihr Interesse zunächst widersprüchlich aus: nach Westen auf Integration, Gleichberechtigung und Sicherheit, nach Osten antikommunistisch, dann zunehmend auf Entspannung, Ausgleich und Selbstbestimmung. Für die Außenpolitik der Bundesrepublik war entscheidend, daß das Begriffspaar „Staatsräson“ und „Nationalinteresse“ im geteilten Deutschland nach 1945 auseinanderklaffte, ja realpolitische Gegensätze verdeutlichte. Der Primat der Westbindung in der Außenpolitik der Bundesrepublik verkörperte die Staatsräson der Bundesrepublik. Sie diente der Sicherheit und dem Wohlergehen der westdeutschen Bevölkerung. Gleichzeitig war diese Politik in den Augen vieler dem nationalen Interesse Deutschlands, der Wiedererlangung der Einheit, abträglich, weil offensichtlich die Westbindung die Teilung Deutschlands zunächst nicht lindern konnte. Allerdings band die Westpolitik die Bundesrepublik umfassend ein und söhnte sie mit den westeuropäischen und atlantischen Demokratien aus, vertiefte aber den Graben zum anderen Deutschland jenseits der Elbe. Das nationalpolitische Dilemma der Westbindung bestand darin, daß der harte und zum Teil dogmatische Antikommunismus -genährt durch den marxistischen Atheismus, durch das sowjetische Verhalten nach 1945 in Europa und durch die mitteldeutschen Nachkriegserfahrungen -zwar verständlich und wohl unvermeidlich war, aber politisch statt notwendiger Annäherung zwischen den Westdeutschen und dem Osten ein gewisses Gegeneinander zwangsläufig machte 2. Deutsche Interessen seit der Vereinigung Seit der Wiedervereinigung ist dieser Widerspruch aufgelöst. Staatsräson und nationales Interesse gehören übereinstimmend zusammen. Diese neue Harmonie, Stärke und Souveränität ist aber auch Verpflichtung, d. h., der Erwartungsdruck an Deutschland ist gestiegen Jetzt geht es nicht mehr um eine Balance zwischen nationalem Interesse und Staatsräson, sondern um das Verhältnis von Nation und Integration. Dieses muß in der deutschen Außenpolitik neu geordnet werden. Das gilt vor allem beim Blick nach Mittel-und Osteuropa. Dort müssen wir beim Verhältnis von Nation und Integration von gegensätzlichen Punkten ausgehen: Während „Integration“ im Westen für gemeinschaftliche Außenpolitik, Kooperation und Integration, für Sicherheit, Demokratie, Fortschritt und Pluralität steht, gilt der Begriff „Interesse“ im Osten Europas in der Erinnerung an Warschauer Pakt und COMECON als Synonym für Totalitarismus, Gewalt und staatliche Unterdrückung. Die revitalisierte nationale Orientierung in Mittel-und Osteuropa ist also nicht historisches Relikt, sondern Teil der Ablösung von kommunistischer Unterdrückung -individueller wie staatlicher.. Einem solchen „Selbstbehauptungsnationalismus“ ist moralische Würde nicht abzusprechen, solange Toleranz und Selbstbeschränkung dominieren und nationaler Chauvinismus vermieden werden kann. Er könnte in Osteuropa zur Voraussetzung für gute Nachbarschaft, Kooperation und Integration werden: Wer den Osteuropäern in ihrer kritischen Phase der Identitätsfindung und Nationalstaatswerdung supranationale Konzepte andienen will, handelt ahistorisch und verantwortungslos. Die anderen Nationen wollen von uns nicht immer hören oder belehrt werden, daß wir angeblich die Nation, das Nationale und den Nationalstaat schon hinter uns haben und auf dem Weg in supraeuropäische Gefilde seien

Diese Überlegungen zeigen, daß das nationale Interesse Deutschlands nach Osten andere nationale Empfindlichkeiten in Rechnung stellen muß als mit Blick auf Westeuropa. Die außenpolitische Interessenfindung Deutschlands muß sich also auf unterschiedliche außenpolitische Aggregatzustände in West und Ost einstellen. Für die deutsche Entspannungspolitik gibt es keine lange Tradition; sie begann erst in den sechziger Jahren, ist also nur eine kurze Periode in der Geschichte Deutschlands. Gleichzeitig haben nur wenige Länder so substantiell zur Entspannung zwischen West und Ost und zur Wiederannäherung der Völker Ost-und Westeuropas beigetragen wie die Bundesrepublik Deutschland. Der Aufstieg zur europäischen Entspannungsvormacht wurde zugleich zur zentralen Voraussetzung dafür, daß nach den revolutionären Veränderungen von 1989 die Mehrheit der vom Kommunismus befreiten Völker und die neuen Regierungen in Mittel-und Osteuropa sich nicht gegen die Wiedervereinigung Deutschlands stellten, sondern viele diese sogar nachdrücklich begrüßten. So nannte Vaclav Havel die Wiedervereinigung Deutschlands einen Beitrag für Frieden, Freiheit und Fortschritt in Europa. Dagegen zeigten sich paradoxerweise bei den Freunden im Westen hier und da Vorbehalte gegen Deutschlands Vereinigung.

Diese und andere Gesichtspunkte sind für die Analyse der nationalen Interessen von der Bundesregierung bisher nicht genügend ins Auge gefaßt worden. Politiker von Regierung und Opposition vermeiden in der Regel nach wie vor den Begriff des nationalen Interesses und sprechen lieber von einer undifferenzierten und globalen Bereitschaft zur Übernahme verstärkter außenpolitischer Verantwortung Diese Verantwortungsrhetorik, die den Begriff des Interesses vermeidet, ist auf dem Hintergrund der Aversion der Deutschen gegen nationale und interessenorientierte Rhetorik verständlich, aber problematisch, denn sie vernachlässigt die notwendige Neubestimmung der nationalen Interessen Deutschlands, die dringlich geworden ist.

Auch geopolitisch hat sich seit der Vereinigung Deutschlands vieles verändert: Die deutsche Bevölkerung hat sich von 63 auf 80 Millionen Menschen vergrößert, d. h. um rund ein Viertel. Das Territorium des wiedervereinigten Deutschland ist von 248 000 auf 375 000 Quadratkilometer angewachsen. Geopolitisch erfuhr Deutschland eine Schwerpunktverlagerung nach Nordosten. Das Land wird durch die Verlängerung der Ostsee-küste wieder maritimer in seinem Grundcharakter. Die territoriale und bevölkerungspolitische Ver-größerung wird langfristig mehr Stärke und Einfluß mit sich bringen.

Diese Veränderungen wirken sich für die außenpolitische Interessenlage günstig aus. Deutschland ist umgeben von Freunden und Partnern. Die jahrhundertealten Erbfeindschaften sind begraben. Deutschland ist in die Gemeinschaft westlicher Demokratien integriert, und nach Osten eröffnen sich seit dem Zusammenbruch des Kommunismus und des ideologischen Gegensatzes neue Handlungsspielräume. Zum ersten Mal in der Geschichte hat Deutschland, militärisch gesehen, den Status absoluter Sicherheit erreicht!

Das vereinte Deutschland ist heute souverän, also kein postnationaler Staat mehr wie die alte Bundesrepublik, ist aber wegen seiner integrationspolitischen Leistung nicht mehr ein klassischer Nationalstaat, sondern ein „post-klassischer Nationalstaat“ im Sinne von Heinrich August Winkler Deshalb stand auch 1989/90 die Forderung nach nationaler Einheit und Frieden nicht mehr im Gegensatz zur freiheitlichen Demokratie. Im Gegenteil, die Verwirklichung von Freiheit, Demokratie und Frieden wurde zur Triebkraft der Einheitsbewegung in Deutschland.

Seit der Vereinigung müssen vor allem folgende Interessen Deutschlands bewahrt und ausgebaut werden: Das bewährte Regierungssystem, die Institutionen und Werte, also Staat und Gesellschaft, bilden die innenpolitische Grundlage und den Kern außenpolitischer Interessen. Oberstes Interesse ist die Sicherung und Wohlfahrt von Deutschlands Interessen, d. h.seine Bevölkerung, seine politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensgrundlagen. So gesehen ist Außenpolitik die Fortsetzung der Innenpolitik mit anderen Mitteln und unter anderen Bedingungen Umgekehrt hängt außenpolitische Interessendefinition von der Haltung der Bürger zu Grundfragen der Außenpolitik ab, wobei die zentralen Interessen von einer möglichst breiten Mehrheit getragen werden sollten. Dabei wird die außenpolitische Interessenstruktur Deutschlands vor allem durch sechs Faktoren geprägt:

1. durch die Wertvorstellungen des Grundgesetzes,

2. durch seine geographische und seine geopolitische Lage in der Mitte Europas, 3. durch seine Vergangenheit, 4. durch die Einstellung seiner außenpolitischen Nachbarn und Partner, 5. durch die weltpolitischen Entwicklungen sowie 6. durch die konzeptionellen Überlegungen und den außenpolitischen Willen der Bundesregierung.

Die parlamentarische Opposition kann entscheidend zur Mitbestimmung des nationalen Interesses beitragen. Das Regierungsprogramm der SPD von 1994 fordert jedoch vor allem die Verwirklichung universeller Werte und verzichtet auf eine außen-politische Interessendefiniton Deutschlands. Das ist symptomatisch, denn seit dem Rücktritt von Bundeskanzler Schmidt 1982 kann die SPD kein alternatives und zugleich bündnisfähiges außen-und sicherheitspolitisches Konzept vorlegen. Das ist unter innen-und außenpolitischen Gesichtspunkten dem nationalen Interesse abträglich. Die parlamentarische Opposition der drei sogenannten Linksparteien im Deutschen Bundestag übt sich mehr oder weniger in einer Sozial-Weltpolitik, anstatt Bündnisinteressen, Diplomatie und Strategie neu zu durchdenken und sinnvoll miteinander zu verknüpfen. Aber es muß auch nüchtern festgehalten werden, daß es keine umfassende Stellungnahme oder Dokumentation der Bundesregierung gibt, in der die nationalen Interessen explizit und präzise definiert werden. Ein Satz wie dieser des britischen Außenministers Hurd: „Die britische Außenpolitik hat die Aufgabe, britische Interessen zu schützen und zu fördern. Trotz des Wandels in der Welt hat sich an dieser grundlegenden Wahrheit nichts geändert. Die Frage, was das britische Interesse ist, muß in jeder Generation neu beantwortet werden“, ist aus dem Munde eines deutschen Außenpolitikers vorerst schwer vorstellbar.

Werden führende Politiker nach der Rolle Deutschlands in der Welt gefragt, so antworten sie zuerst, daß sie den Wünschen der Nachbarn und Partner entsprechen möchten. Absagen an Nationalismus und Machtpolitik alten Stils sind zu gängigen Formeln deutscher Außenpolitik geworden.

Das ist edel gedacht, aber sachpolitisch unangemessen.

Diese altruistischen Formeln vermitteln außerdem den Verdacht, daß sie zur Tarnung von Interessen benutzt werden, über die man offen nicht sprechen möchte. Deshalb wäre es unseren außenpolitischen Partnern lieber, deutsche Politiker sagten klipp und klar, wo sie die Interessen ihres Landes sehen. Aber noch immer schimmert bei uns die Unfähigkeit durch, „eigene Interessen zu erkennen, verbunden mit Servilität und idealistischer Verblasenheit, in der Figur des dummen deutschen Michel“

Vor dem Hintergrund der weitverbreiteten Scheu deutscher Außenpolitiker, deutlich über nationale Interessen zu sprechen, kommt der außenpolitischen Grundsatzrede von Bundespräsident Herzog vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik am 13. März 1995 eine besondere Bedeutung zu, denn er beantwortet die Frage nach den Interessen auf realitätsnahe Weise: „Deutsche Interessen, das sind zunächst unsere unmittelbaren nationalen Interessen wie Sicherheit und Bewahrung von Wohlstand. Es hat keinen Sinn, das verschweigen zu wollen. Unsere Partner würden uns ohnehin nicht glauben, daß wir nur internationalen Altruismus im Schilde führen. Ganz besonders verlangt es die Wahrhaftigkeit, zuzugeben, daß wir auch deshalb für weltweite Freiheit des Handels eintreten, weil das in unserem eigenen Interesse liegt.“ Gerade weil seit 1990 die Renationalisierungstendenzen in Europa und in der Welt sich verstärkt haben, muß der gestaltende Wille Deutschlands für die Vertretung der eigenen nationalen Interessen deutlicher werden.

Zwar hat die Bundesregierung bisher kein klares Interessenkonzept vorgelegt, aber das Weißbuch zur Sicherheits-und Verteidigungspolitik gibt gewissen Aufschluß über die Interessenstruktur. Dort heißt es: „Die Außen-und Sicherheitspolitik Deutschlands wird von fünf zentralen Interessen geleitet: 1. Die Bewahrung von Freiheit, Sicherheit und Wohlfahrt der Bürger Deutschlands und der Unversehrtheit seines Staatsgebietes, 2. die Integration mit den europäischen Demokratien in der Europäischen Union, 3. das dauerhafte, auf eine Wertegemeinschaft und gleichgerichtete Interessen gegründete transatlantische Bündnis mit den Vereinigten Staaten als Weltmacht,4. eine auf Ausgleich und Partnerschaft bedachte Heranführung unserer östlichen Nachbarstaaten an westliche Strukturen und die Gestaltung einer neuen umfassenden kooperativen Sicherheitsordnung,

5. die weltweite Achtung des Völkerrechts und der Menschenrechte und eine auf marktwirtschaftlichen Regeln basierende gerechte Welt-wirtschaftsordnung.“

Dialog, Kooperation, Verteidigungsbereitschaft und Multilateralismus sind dabei die tragenden Elemente dieser Politik, die eine Balance zwischen Werten und Interessen verfolgen muß, um folgende Handlungsmaxime deutscher Außenpolitik zu verwirklichen: 1. Schutz Deutschlands und seiner Staatsbürger vor äußerer Gefahr und politischer Erpressung. 2. Vorbeugung, Eindämmung und Beendigung von Krisen und Konflikten, die die Unversehrtheit und Stabilität Deutschlands oder seiner Verbündeten beeinträchtigen könnten. 3. Ausbau des auf gemeinsamen Werten und gleichgerichteten Interessen beruhenden nordatlantischen Sicherheitsverbundes mit den USA. 4. Stärkung der NATO als Wertegemeinschaft und Verteidigungsbündnis der europäisch-atlantischen Demokratien und weitere Anpassung des Bündnisses an die aktuellen sicherheitspolitischen Herausforderungen, einschließlich seiner Öffnung nach Osten. 5. Gleichberechtigte Partnerschaft zwischen einem geeinten Europa und Nordamerika. 6. Vertiefung der europäischen Integration durch den Ausbau der Europäischen Union mit einer gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik und einer europäischen Sicherheits-und Verteidigungsidentität; Ausbau und Entwicklung der Westeuropäischen Union (WEU) als Verteidigungskomponente der Europäischen Union und als europäischer Pfeiler des atlantischen Bündnisses. 7. Erweiterung der Europäischen Union und der WEU. 8. Stärkung der Vereinten Nationen als globale Konfliktregelungsinstanz und der OSZE als regionaler Abmachung. 9. Gestaltung einer neuen kooperativen Sicherheitsordnung zwischen allen OSZE-Teilnehmern. 10. Festigung und Ausbau einer regional und global wirksamen Sicherheitsordnung einander ergänzender und stärkender Organisationen. 11. Fortsetzung eines an dem Ziel vorausschauender Konfliktverhütung orientierten Rüstungskontrollprozesses in der Perspektive der Gestaltung einer kooperativen Sicherheitsordnung als eine Grundlage für dauerhaften Frieden und Stabilität in und für Europa. 12. Forderung der Demokratisierung und des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts in Europa und weltweit

Bundespräsident Herzogs Überlegungen zielen auf Harmonisierung deutscher Interessen und Mit-verantwortung für die Weltgemeinschaft ab, wenn er schlußfolgert: „Diese Interessen anzuerkennen, heißt auch, die Folgen daraus ehrlich zuzugeben, also z. B., daß dafür materielle Lasten übernommen werden müssen; daß aber das Scheckbuch nicht immer ausreicht, sondern daß möglicherweise auch einmal der Einsatz von Leib und Leben gefordert ist. Dazu gehört aber auch, daß es in Fragen von nationaler Bedeutung kein parteipolitisches Klein-Klein geben darf und daß darüber nicht nach Kassenlage, nach dem politischen Meinungsbarometer, auf Parteitagen oder durch Gerichte entschieden werden kann.“

Die Forderung nach stärkerer Berücksichtigung nationaler Interessen bedeutet nicht, „daß jetzt wieder am deutschen Wesen die Welt genesen soll.“ Aber die Globalisierung deutscher Außenpolitik verlangt zwingend eine differenzierte Analyse und Wertung deutscher Interessen nach globalen, regionalen und sachpolitischen Gesichtspunkten. Ziele und Mittel der Politik müssen für sich, aber auch in Relation zueinander deutlicher ausformuliert werden. Nur dann wächst das Interesse und das Verständnis der eigenen Bevölkerung für die außenpolitischen Interessen, so daß schließlich eine außenpolitische Kultur in Deutschland entstehen könnte, die den gewachsenen Interessen entspricht und eine angemessene innenpolitische Diskussion mit sich bringt. Aber weil die Bundesregierung die Dis-kussion über die Außenpolitik meidet, herrscht Sprachlosigkeit über außenpolitische Fragen vor. Mangelndes Wissen über Außenpolitik hat eine Verständnislücke entstehen lassen, die der politischen Kultur der Bundesrepublik und der komplexen Wechselwirkungen zwischen Staat und Gesellschaft, zwischen Außen-und Innenpolitik abträglich ist Es fehlt der gestaltende Wille der Bundesregierung, die eigene Bevölkerung nüchtern über die Risiken und Gefahren wachsender Globalisierung für die eigene Interessenpolitik aufzuklären. Der gesamte außenpolitische Handlungsrahmen Deutschlands wird wie mit einem Weichzeichner dargestellt. Nicht wie das Leben ist -mit all seinen Härten und Gefahren -, sondern wie man es sich harmonisierend wünscht, ist die außenpolitische Darstellungsmaxime. Vor allem fehlt eine befriedigende Antwort auf die Frage: Wo enden die nationalen Interessen und wo beginnt der Gemeinschaftscharakter der deutschen Außenpolitik? Eine Antwort ist unabdingbar, weil der Bürger die Außenpolitik der Bundesrepublik nur dann verstehen kann, wenn die Interessen klar dargestellt werden. Nur dann kann Außenpolitik öffentlich und demokratisch verstanden werden. Sie wird von der Exekutive ausgeführt, aber sie muß stärker als bisher im Parlament und in der Öffentlichkeit diskutiert werden. 3. Der Primat der verflochtenen Interessen Der Grundcharakter der verflochtenen Interessen bedeutet, daß unsere Außenpolitik das Schicksal anderer Länder berührt, wie auch deren Außenpolitik auf Deutschland rückwirkt. Der interdependente Grundcharakter der internationalen Politik, vor allem in der Weltwirtschaft, fordert besonders von Ländern wie der Bundesrepublik hohe internationale Verflechtung und Kooperation. Das Wesenselement der Integration hat einiges von seiner Strahlkraft verloren, weil es nur noch dazu dient, den eigenen Wohlstand in Westeuropa untereinander zu maximieren. Integrierte Hilfe -sei sie wirtschaftlich oder militärisch -blieb für die Menschen, die auch in Europa auf diese Hilfe hofften, eine Illusion. In der historischen Distanz wird vielleicht eines Tages Westeuropas Versagen in Jugoslawien als der Anfang vom Ende des schwindenden Ansehens unserer Zivilisation angesehen werden. Die wachsende Aversion gegenüber Europa und der Rückgriff auf nationale Interessen ist nicht zuletzt auch auf diese Unfähigkeit zurückzuführen. Die Flucht in nationalen und individuellen Egoismus sowie der Zerfall der politischen Verantwortung und Kultur sind Anzeichen von Niedergang und Schwäche unserer Zivilisation, die noch zu Beginn der neunziger Jahre so selbstbewußt den Niedergang der kommunistischen Welt beobachtete.

Vor diesem Hintergrund wird die angemessene Definition der nationalen Interessen immer schv/ieriger. Manche Interessen müssen als gemeinschaftliche, andere aber als primär nationale definiert werden. Vor allem darf dabei Integrationspolitik nicht vordergründig idealisiert werden, als sei sie ein Prozeß, bei dem nationale Macht und nationale Interessen keine Rolle spielen würden Das Gegenteil ist der Fall. Die einzelnen Nationalstaaten versuchen sehr wohl, nationalen Einfluß auf die Politik und auf die Gemeinschaftsinstitutionen selbst auszuüben. Die Ziele der Europäischen Union mögen zunehmend trans-und supranational formuliert sein, aber Motive und Orientierungspunkte entwickeln sich aus nationalen Perspektiven. Gleichwohl bleibt die Notwendigkeit, das integrationspolitische Handeln der Staaten nach Maßgabe nationaler und übernationaler Interessen zu beurteilen. Aber stärker als bisher müßten die einzelnen Außenpolitiken vergleichend analysiert werden, um die unterschiedlichen Interessen der einzelnen Mitgliedsländer im europäischen Einigungsprozeß zu verdeutlichen. Supranationale Übereinkünfte -ob wirtschaftlich, finanzpolitisch, militärisch oder politisch gesehen -stellen sich nur ein, wenn alle Nationalstaaten am gleichen Strang ziehen, d. h., wenn sie diese Schritte auch in ihrem eigenen nationalen Interesse begrüßen. Das Prinzip der verflochtenen nationalen Interessen bleibt für die Analyse der Außenpolitik der Bundesrepublik wegweisend Aber diese Verflechtungen müssen von Zeit zu Zeit analytisch und politisch entflochten und vor allem entmythologisiert werden, um Grad und Umfang, um die Stärken und Schwächen der Verflochtenheit unter verschiedenen nationalstaatlichen Interessenperspektiven zu untersuchen. Nicht selten werden dann hinter dem stromlinien-förmigen Begriff der verflochtenen Interessen die einzelnen Stränge nationaler Interessen deutlich, Vor allem die Sicherheitspolitik, historisch und politisch die Domäne des Nationalstaats, bleibt auch im integrierten Europa im Kern bisher national orientiert. Die Schlüsselfrage des nationalen Interesses ist deshalb heute nicht, ob es sich auflöst, sondern welche außenpolitischen nationalen Interessen vergemeinschaftet, also einem übergeordneten, integrationspolitisch gefaßten Interesse zugeordnet werden können, ohne daß Sicherheit, Wohlfahrt und Demokratie der eigenen Nation in Gefahr geraten, sondern vielmehr zusätzlich an Wert und Stabilität gewinnen. Auch hier kann die Bundesrepublik nicht nur abstrakte Werte wie Frieden, Menschenrechte, politische Einigung Europas in Grundsatzreden anbieten, sondern sie muß ihre eigenen Interessen deutlicher und konkreter darlegen. Hans-Peter Schwarz verweist auf den entscheidenden Punkt: „Nicht ob der Nationalstaat sich auflöst ist die Frage, sondern welche seiner Zuständigkeiten er vergemeinschaften kann, ohne die Demokratie und die Wohlfahrt der eigenen Bürger aufs Spiel zu setzen. Es kann sich dabei immer nur um eine Optimierung beim Ausgleich von Interessen sowie bei der Durchführung von Gemeinschaftsaufgaben handeln.“

Wieviel Autonomie will Deutschland den multilateralen Organisationen übertragen? Wieviel Außenpolitik soll national interessenorientiert bleiben? Das sind die Schlüsselfragen der kommenden Jahre, vor allem weil seit 1990 die Unzulänglichkeiten der multilateralen Instrumente der Außenpolitik des Westens deutlich geworden sind Die gegenwärtige Krise der europäischen und deutschen Außenpolitik liegt in einer Krise des Multilateralismus begründet. Die Probleme europäischer Sicherheit haben sprunghaft zugenommen, ohne daß sie bislang durch multilaterale, d. h. gemeinschaftliche Außenpolitik hätten gelöst werden können. Gerade die Bundesrepublik, deren außenpolitische Interessenstruktur im Kern auf dem Multilateralismus aufbaut ist vom offensichtlichen Verfall multilateraler Entscheidungsstrukturen in der Außenpolitik besonders berührt.

Im Zentrum Europas gelegen, ist Deutschland auf funktionierende multilaterale Strukturen angewiesen. Es hat dank seiner Schrittmacherfunktion für multilaterale Außenpolitik vermutlich manchen Nachbarstaat vor blinden Renationalisierungstendenzen und überzogener nationaler Interessen-wahrnehmung bewahren können. Aber die vergangenen fünf Jahre zeigen, daß multilaterale Außenpolitik kein „Selbstläufer“ ist -auch in

Westeuropa nicht. Krisen und Kriege haben seitdem Renationalisierungstendenzen in West und Ost gefördert. Nicht nur zur nationalen, auch zur multilateralen Ausgestaltung außenpolitischen Handelns gehört Macht: „Der im Sinne von Macht verstandene Begriff des Interesses ist das Bindeglied zwischen der Vernunft, die sich bemüht, internationale Politik zu verstehen, und den zu bewältigenden Tatsachen. Er macht die Politik zu einem selbständigen Bereich von Handlungen und Einsichten, der von anderen Bereichen, wie etwa der Wirtschaft, abgegrenzt ist.“

Die deutsche Außenpolitik der vergangenen Jahrzehnte hat sich nicht der traditionellen Machtattribute bedient, sondern vielmehr die Macht der Diplomatie, die Wirtschaftsmacht, die Macht des guten Vorbilds und des vernünftigen Arguments genutzt Dabei ist der komplexe Wirkungszusammenhang zwischen politischem Willen und Macht zentral geblieben. Er gilt besonders für gemeinschaftsorientierte Außenpolitik. Außenpolitische Integration darf nicht zur Aufgabe des außenpolitischen Willens führen: „Wille ist wirkungslos ohne Macht, aber Macht ist ohne Willen nur eine Wirkung ohne Ziel.“ Deutschland darf sich nicht hinter integrationspolitischer Gemeinsamkeit verstecken, wenn diese Formel lediglich gemeinsame Fehler und Versäumnisse vertuschen soll, wie beim Versagen des Westens auf dem Balkan. Die Gemeinschaftsinstitutionen und die integrationspolitischen Ansätze aus der Zeit vor 1989 haben ihre Bewährungsprobe im Lichte der neuen Krisen und Kriege noch nicht bestanden. Das Prinzip der „ineinandergreifenden Institutionen“ -UNO, OSZE, NATO, WEU und EU -hat auf dem Balkan kläglich versagt, und die Strahlkraft des Westens und der freien Welt ist dramatisch geschwunden. Die Gemeinschaftsinstitutionen und das Prinzip des Multilateralismus in der Außenpolitik befinden sich deshalb in einer tiefen Krise. Flucht in nationalen Egoismus sowie der Zerfall der politischen Verantwortung und Kultur sind Anzeichen von Niedergang und Schwäche, aber keine Alternative zum außenpolitischen Multilateralismus. 4. Außenpolitische Schlüsselrollen Deutschlands Die Frage bleibt, wie diese eher allgemeinen Erwägungen sich in konkrete Politik umsetzen lassen Angesichts des begrenzten Raumes kanndiese Frage nur unter Hinweis auf Schwerpunkte bzw. außenpolitische Schlüsselrollen beantwortet werden. Die Interessenstruktur Deutschlands ist und wird auch in Zukunft durch folgende außen-politische Schlüsselrollen geprägt:

Deutschland als Zivilmacht Kooperation, Integration und Multilateralisierung bilden die Eckpunkte der Diplomatie und des Stils für eine Interessendefinition entsprechend der zivilisatorischen Vorbildrolle Deutschlands Die besondere Rolle der bundesdeutschen Außenpolitik liegt demgemäß darin, „als Initiator und Kooperationsmotor mit dem Ziel der Zivilisierung auf die internationalen Beziehungen einzuwirken“ Damit werden Kernelemente des „Genscherismus“ aufgegriffen, denn dieser stellte die Außenpolitik der Bundesrepublik auf Institutionalisierung, Verrechtlichung und Kooperation ab.

Deutschland als Handelsstaat Schon 1969 umschrieb Helmut Schmidt die Rolle der Bundesrepublik im Weltwirtschaftssystem als Weltmacht Deutschlands Rolle in der Triade zwischen den USA, Japan und Europa bleibt gekennzeichnet durch seine herausragende Bedeutung als Exportland; gleichzeitig ist Deutschland nicht nur mit Blick auf die Rohstoffe importabhängig vom Weltwirtschaftssystem. Aber anders als Japan ist Deutschland stark regional in Europa eingebunden: Über die Hälfte des Exportvolumens geht in die Länder der Europäischen Union. Deutschland wird im kommenden Jahrzehnt in der Triade weiter als Weltwirtschaftsmacht wachsen. Es hat wirtschaftlich nach der Vereinigung keine nationalistische Großmacht-oder gar Weltmachtattitüde eingenommen. Im Gegenteil: Deutschland besitzt als Handels-und Wohlfahrtsstaat Beispiel-charakter, aber mit Blick auf die internationale Interessenwahrnehmung reichen eine ökonomische und zivilisatorische Vorbildrolle allein nicht mehr aus. Die sicherheitspolitische Rolle wird wichtiger.

Die sicherheitspolitische Rolle Deutschlands Über drei Jahrzehnte hat die Bundeswehr eine Völkergemeinschaft geschützt, die sich im Wettbewerb mit dem Kommunismus als die stärkere Kraft erwiesen hat. Krieg in Europa war im Zeitalter des Ost-West-Konflikts zwar denkbar, aber wenig wahrscheinlich. Militärische Macht wurde bis 1989 als nachgeordnet verstanden, quasi als abstrakte Versicherungspolice. Jetzt hat sie eine reale Bedeutung erhalten, seitdem nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums neue Krisen und Kriege eingedämmt bzw. beendet werden müssen. Die Bundesrepublik muß ein erweitertes sicherheitspolitisches Interessenverständnis entwickeln und darf sich nicht von ihren Bündnispartnern isolieren, wenn militärische Solidarität und verteidigungspolitischer Beistand gefordert werden. Das integrative Moment deutscher Sicherheitspolitik zwingt auch militärisch zur Übernahme größerer Pflichten. Die Sicherheitslage Deutschlands ist objektiv nach dem Ende des Kalten Krieges besser als je zuvor. Aber diese Lage kann sich schnei) ändern. Der Krieg auf dem Balkan hat gezeigt, daß die Bundesrepublik ein erweitertes sicherheitspolitisches Interessenverständnis entwickeln muß, das über kollektive Selbstverteidigung hinausgeht.

Die zentrale Aufgabe der Bundeswehr bleibt jedoch die Landesverteidigung. Sie darf nicht zu einer nebulösen Restgröße schrumpfen. Deutschland darf sich strategisch, psychologisch und materiell nicht übernehmen. Gerade Krisen und Kriege in Deutschlands unmittelbarer Nähe müssen eingedämmt werden, wenn aggressiver Nationalismus, ethnischer und religiöser Fanatismus nicht weiter um sich greifen sollen. Deshalb sollten die Streitkräfte der mittel-und osteuropäischen Staaten so schnell wie möglich nach westlichem verteidigungspolitischem Vorbild ausgerichtet werden.

Das Konzept der „Inneren Führung“, die Leitidee des „Staatsbürgers in Uniform“ sowie der verteidigungs-und bündnispolitische Primat der Bundeswehr wirken anziehend auf die Streitkräfte der noch instabilen Demokratien in Mittel-und Osteuropa. Diese Zusammenarbeit muß Deutschland ausdehnen. Langfristig ist dies vielleicht der wichtigste Beitrag, den die Bundeswehr für die europäische Sicherheitsstruktur leisten kann. Deutschlands Rolle als Entspannungsvormacht Deutschlands gewachsenes Ansehen in Mittel-und Osteuropa beruht vor allem auf seiner Rolle als Entspannungsvormacht in Europa. Dazu haben insbesondere die Ostverträge der siebziger und achtziger Jahre beigetragen Das vereinte Deutschland kann bei der Wahrnehmung seiner ostpolitischen Interessen auf dieser Tradition aufbauen. Aber die völlig veränderte Landschaft verlangt ein neues politisches Konzept für Mittel-und Osteuropa. Hier liegt vielleicht die größte Herausforderung für die konzeptionelle Gestaltung deutscher Interessenpolitik

Deutschland als Integrationslokomotive Westeuropas Die EU bietet den deutschen Interessen weiterhin einen optimalen Rahmen Wirtschaftliche Prosperität und liberaldemokratische Entwicklung von Staat und Gesellschaft bilden zugleich Schutz vor dem Rückfall in nationalistisches Handeln. Aber Deutschland ist das einzige Land, das gleichzeitig westliche Strukturen in Politik, Staat und Gesellschaft reformieren und die Folgen von sowjetischer Unterdrückung, Diktatur und Staats-sozialismus überwinden muß. Deshalb ist eine angemessene Interessendefinition für Deutschland besonders schwierig. Kein anderes Land muß seine außenpolitischen Rollen und Interessen so dicht am Schnittpunkt östlicher und westlicher Krisenentwicklung definieren. Nur Deutschland ist Teil des Westens und zugleich Experimentierfeld für die Folgen des Zusammenbruchs von Kommunismus und Planwirtschaft. Deshalb müssen die Bindungen nach Westen gefestigt, nach Osten verstärkt und global ausgebaut werden.

Deutschland als Mittler zwischen West und Ost Im Interesse Deutschlands ist nicht nur die Integration im Westen, sondern das Land muß auch in der Mitte Europas Zeichen setzen für West-und für Osteuropa. Deutschland wird weniger eine globale Rolle, sondern vielmehr seine europäische Rolle finden müssen. „Deutschland hat sich seiner neuen Rolle als europäische Großmacht zu stellen, ohne dabei die Ungeschicklichkeiten, Fehler und Verbrechen der ersten Jahrhunderthälfte mit ihren bis heute spürbaren Folgen zu verdrängen, zu vergessen oder gar zu wiederholen. Darin besteht die wohl größte, dringend zu meisternde Herausforderung für die Deutschen an der Schwelle zum 21. Jahrhundert.“

III. Bilanz

Seit 1990 ist ein neuer Nationalstaat entstanden, nicht nur eine neue Bundesrepublik. Neue Erfahrungen und Neubewertungen von Traditionslinien werden zwingend. Vor allem gehört auch die Aufarbeitung der Vergangenheit der DDR zur neuen Interessendefinition der Bundesrepublik. Die politische Kultur und das politische Spektrum des wiedervereinigten Deutschlands werden vielfältiger und spannungsreicher sein als die Kultur der alten Bundesrepublik

Nation, nationale Einheit, nationale Identität sind den Deutschen aber noch ungewohnt, und doch ist die Anerkennung ihrer Existenz Voraussetzung für die Definition nationaler Interessen Das fällt noch schwer, denn eine deutsch-nationale Politik wurde zum Inbegriff von Rassismus, Antisemitismus und machtpolitischer Arroganz. Das ist heute völlig anders. Die Skepsis der Deutschen gegenüber dem traditionellen Nationalstaatsgedanken bedeutet Risiko und Chance zugleich: Das Risiko besteht darin, daß Deutschland und die Deutschen im Vergleich zu ihren Nachbarn ein unzureichendes nationales Selbstbewußtsein entwickeln Die Chance besteht darin, daß Deutschland und die Deutschen seit der Vereinigung vorleben, daß nationale Interessen erst in Verbindung mit universellen Werten Sinn ergeben und kooperativ verfolgt werden müssen. Die Formel vom europäischen Deutschland von Thomas Mann, wiederholt von Außenminister Genscher gebraucht, verweist auf den Wunsch Deutschlands, zwischen nationalen und europäischen Interessen auszugleichen

Nach 1990 verlangt das nationale Interesse Fortsetzung und Ausbau multilateraler Handlungsmaxime. Alle großen außenpolitischen Leistungen der Bundesrepublik beruhten vor 1989 auf dieser kooperativen Vorgehensweise. Außenpolitischer Multilateralismus bildet die beste Garantie für Europa, daß Deutschland eingebunden bleibt und keine Vormachtrolle anstrebt. Die übrigen europäischen Staaten müssen aber auch selbst auf Autonomie verzichten. Es geht nicht an, nur von den Deutschen volle Integration und den Verzicht auf nationale Außenpolitik zu fordern, selbst aber diesem Beispiel nicht zu folgen. Multilateralisierung der Außenpolitik in Europa darf keine Einbahnstraße bleiben. Auf diesem Hintergrund sind folgende weitere Handlungsmaxime von Wichtigkeit: -Nationalstaatliche Arroganz schwächt eigene Interessen. -Moralisierende Attitüde nach dem Motto „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“ hat Deutschland, sei es gesinnungsethisch oder machtpolitisch, auf abschüssige Sonderwege getrieben. -Scheckbuchdiplomatie ist kein Ersatz für außenpolitischen Willen. -Verfassungsrechtliche Urteile gefährden, parlamentarische Debatten stärken die außenpolitische Handlungsfähigkeit. -Voreilige nationalpolitische Entscheidungen ohne angemessene Konsultation sind den Eigeninteressen und denen der Mitbetroffenen abträglich. -Eine Außenpolitik ohne Konzeption und ohne klare Eckpunkte reduziert sich auf Einzelentscheidungen und ist dem nationalen Interesse abträglich. -Die parlamentarische Opposition muß einsichtige Alternativen in der Außenpolitik entwikkeln, anderenfalls wird Anpassung an die Regierungsposition und deren Unterstützung zwingend.

Es war das Schicksal Deutschlands bis 1945, daß Interessenpolitik -ohne liberaldemokratische und humane Vision -zu einer Politik von Gewalt und Unterdrückung degenerierte. Deutschland fehlte im Vergleich zu den westeuropäischen und nordamerikanischen Demokratien bis 1945 eine vitale und attraktive außenpolitische Vision mit universalem Standard. Das hat sich seit 1949 verändert. Deutschlands Außenpolitik des „Guten Beispiels“ in der Tradition von Hans-Dietrich Genscher hat in der Welt einen guten Ruf. Doch vorbildliches friedenspolitisches Verhalten und Moralisieren allein reicht heute nicht mehr aus. Die außenpolitischen Interessen, Handlungsspielräume sowie die Rollen der Bundesrepublik lassen sich allein in der Tradition von Handelsstaat, Entspannungsvormacht und zivilisatorischer Vorbildrolle nicht mehr zufriedenstellend definieren: „Gewicht und Größe, Geschichte und Geographie des Landes gestatten den Deutschen nicht mehr die alte Verbindung von moralischer Empörung und politischer Enthaltsamkeit.“ Auch reicht der außenpolitische Primat von Kooperation und Integration -wie bisher entwickelt -nicht mehr aus, um die neuen Herausforderungen zu meistern.

Was fehlt, ist ein neues außenpolitisches Selbstverständnis, in dem eine neue Balance zwischen Macht und Ethik, zwischen Verantwortung und Interesse, zwischen nationalem Handlungsspielraum und globalen Verpflichtungen gefunden wird. Eine kraftvolle Diplomatie, gestützt auf den Willen, militärische Macht dann einzusetzen, wenn Diktatur und Aggression erneut um sich greifen, ist unabdingbar. „Nicht der Gebrauch der Macht verdirbt die Menschen, vielmehr geschieht dies durch Anwendung einer Gewalt, die unrechtmäßig erscheint, und durch den Gehorsam gegenüber einer Macht, die sie für angemaßt und tyrannisch halten.“ Nur eine entsprechend macht-und kraftvolle Einstellung führt zu einer verantwortlichen Interessenpolitik aller Staaten, um folgende globale Herausforderungen zu meistern die globale Bevölkerungsexplosion, die globale Gefährdung der natürlichen Umwelt, Entwicklung weniger gefährlicher Energieversorgung, Gefährdung durch sekundenschnelle Kommunikation und entsprechende Folgen für die internationalen Finanzmärkte, Ausbreitung nuklearer und chemischer Massenvernichtungswaffen und entsprechender internationaler Waffenhandel, Zunahme von Krieg sowie schwindende Achtung und Toleranz gegenüber Religionen und ethnischen Gruppen und Völkern.

Deutschland wird sich nur behaupten können, wenn es das nationale Interesse mit diesen globalen Schlußfolgerungen als sinnstiftende Kategorie begreift, in Verbindung mit Macht, Verantwortung und Sicherheit: „Die Weltgemeinschaft erwartet nur von Deutschland, daß es sich wie ein normaler Staat verhält, der mit der Macht verantwortungsbewußt umgeht und seinen eingegangenen Verpflichtungen beim Beitritt zu den Vereinten Nationen nachkommt.“ Fassen wir zusammen: Analytisch ergibt die Kategorie des nationalen Interesses für die deutsche Außenpolitik Sinn, weil -die historische Belastung des Begriffes in Deutschland durch die vierzigjährige außen-politische Tradition der alten Bundesrepublik überwunden wurde, -in einer Welt von knapp 200 Nationalstaaten ohne diese Kategorie internationale Politik schwer erklärbar bleibt, -nationales Interesse im Unterschied zu den meisten anderen methodischen Ansätzen der internationalen Politik sich durch hohen Praxisbezug auszeichnet, -das Phänomen der Renationalisierung nach dem Maßstab eines aufgeklärten nationalen Interesses kritisch beurteilt werden kann und -nationales Interesse als Gegengewicht zur Idealisierung der Kategorie der Integration Sinn ergibt.

Erst eine neue Balance zwischen Integration und Nation bietet die Chance, ein modernes außenpolitisches Konzept zu entwickeln und jene Identifikation des Bürgers mit seinem Staat und seiner Außenpolitik zuwege zu bringen, die für die Sicherung der Existenz einer lebenswürdigen Zivilisation notwendig ist. Helmuth Plessner hat das von Bismarck geeinte Deutsche Reich als Großmacht ohne Staatsidee charakterisiert. Es diente keinem werbenden Gedanken. Die Deutschen wollten lediglich eine Nation werden, weil die anderen es auch waren

Heute ist Deutschland nicht nur wieder eine Nation geworden, weil andere dies auch sind, sondern weil Deutschland die nationale Idee in den vergangenen vier Jahrzehnten mit einem übernationalen Ideal verbinden konnte. Die Rollen der Zivilmacht, des Welthandelsstaates, der Entspannungsvormacht wurden in den Dienst einer freiheitlich demokratischen Zivilisation im atlantischen Maßstab gestellt. Zum ersten Mal in seiner Geschichte ist Deutschland Teil des Westens, Teil einer großen Zivilisation, in die auch das Erbe des 19. Jahrhundert -das des weltbürgerlichen Humanismus -mit eingewoben werden kann. Diese Werte zu erhalten und auszubauen bleibt unverzichtbarer Maßstab für die Formulierung der nationalen Interessen der Deutschen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Reichskanzler von Bethmann Hollweg erklärte zum Beispiel, daß er sich das Ziel setze, Deutschland bei der Verfolgung seiner Weltpolitik gegen „jede Eventualität zu schützen“; vgl. hierzu die Schriften des Beraters von Reichskanzler von Bethmann Hollweg, Kurt Riezler, Die Erforderlichkeit des Unmöglichen, Prolegomena zu einer Theorie der Politik und zu anderen Theorien, München 1912.

  2. Vgl.den Beitrag von Helga Haftendorn in: Karl Kaiser/Hanns W. Maull, (Hrsg.), Deutschlands neue Außenpolitik, Band I: Grundlagen, München 1994, S. 139 ff.

  3. Hans-Dietrich Genscher, zit. nach: Welt am Sonntag vom 3. 5. 1992; Helmut Kohl, zit. nach: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 8. 12. 1995.

  4. Vgl. Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, Hamburg 1933; paradigmatisch für szientistische Modelle: David Easton, A Framework for Political Analysis, Prentice-Hall 1965; Ernst-Otto Czempiel, Weltpolitik im Umbruch: Das internationale System nach dem Ende des Ost-West-Konflikts, München 1991.

  5. Joseph Frankel, Nationales Interesse, München 1971.

  6. So Gottfried-Karl Kindermann in seiner Einführung zu Hans J. Morgenthau, Macht und Frieden: Grundlegung einer Theorie der internationalen Politik, Gütersloh 1963, S. 28.

  7. Arnold Bergsträsser, Auswärtige Politik, Herder Staats-lexikon, Band 1, Freiburg/Breisgau, o. J., S. 761.

  8. Diese von Morgenthau gebilligte Definition des Begriffes des außenpolitischen Interesses geht auf Gottfried-Karl Kindermann zurück; vgl.ders., Vorwort, in: H. J. Morgenthau (Anm. 6), S. 27.

  9. Zit. nach: Marianne Weber, Max Weber -Ein Lebensbild, Tübingen 1926, S. 347 f.

  10. Vgl. H. J. Morgenthau (Anm. 6), S. 50.

  11. Vgl. Christian Hacke, Germany and the New Europe, in: David Calleo (Hrsg.), From the Atlantic to the Urals. National Perspectives on the New Europe, Arlington, Virginia 1992, S. 85 ff.

  12. Vgl.ders., Die Rolle der Bundesrepublik Deutschland zwischen Ost und West: Von der Tyrannei der Wahl zur glücklichen Krise, in: Karl-Dietrich Bracher/Manfred Funke/Hans-Peter Schwarz (Hrsg.), Deutschland zwischen Krieg und Frieden: Beiträge zur Politik und Kultur im 20. Jahrhundert, Festschrift für Hans-Adolf Jacobsen, Düsseldorf 1991, S. 222.

  13. Vgl. Gregor Schöllgen, Angst vor der Macht: Die Deutschen und ihre Außenpolitik, Berlin 1993; Ludger Kühnhardt, Revolutionszeiten: Das Umbruchjahr 1989 im geschichtlichen Zusammenhang, München 1994.

  14. Hermann Lübbe, Abschied vom Superstaat, Berlin 1994, S. 44.

  15. Vgl. Ludwig Watzal, Nationalstaat und Nationalismus. Die Rolle Deutschlands in einem vereinigten Europa, in: Europäische Rundschau, 22 (1994) 2, S. 109; vgl.ders., Kein Ende des Nationalstaats. Deutschlands außenpolitische Rolle, in: Schweizer Monatshefte, 76 (1996) 11, S. 26-29.

  16. Vgl. Christian-Hacke, Weltmacht wider Willen: Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 19932, S. 465 ff.

  17. Zit. nach: Hans-Peter Schwarz, Die Zentralmacht Europas: Deutschlands Rückkehr auf die Weltbühne, Berlin 1994, S. 287.

  18. Die äußere Stellung Deutschlands entscheidet sich an seiner inneren Kraft. Wenn Rechtsstaat und Demokratie fest verankert sind, gibt es keine Frage des deutschen Störenfrieds in Europa oder gar des „Reiches als europäische Odnungsmacht“ mehr. „Die alte Bundesrepublik ist bei der Transformation der inneren Verhältnisse in Richtung auf eine liberale Bürgergesellschaft in einer rechtsstaatlichen Demokratie weit gekommen.“ Ralf Dahrendorf, Die Zukunft des Nationalstaates, in: Merkur, 48 (1994) 9/10, S. 758.

  19. H. -P. Schwarz (Anm. 17), S. 80.

  20. Bundespräsident Roman Herzog, Die Globalisierung der deutschen Außenpolitik ist unvermeidlich, in: Bulletin, Nr. 20 vom 15. 3. 1995, S. 164.

  21. Weißbuch zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, 1994, herausgegeben vom Bundesministerium der Verteidigung, Bonn 1994, S. 42.

  22. Vgl. ebd., S. 44.

  23. R. Herzog (Anm. 20), S. 164.

  24. „Worauf wir verzichten können, ist Besserwisserei und moralisierendes Backenaufblasen. Wir brauchen eine Außenpolitik ohne Zähnefletschen und Tschingderassabum, aber auch ohne Verkrampfungen.“ Ebd.

  25. Vgl. Chr. Hacke (Anm. 16), S. 9f.

  26. Vgl. Hans-Dieter Heumann, Nationale Interessen und Sicherheit in Europa, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 8/89, S. 14.

  27. Vgl. John Gerard Ruggie (Hrsg.), Multilateralism Matters, New York 1993.

  28. H. -P. Schwarz (Anm. 17), S. 85.

  29. „Vereinigte Staaten von Europa, die man sich nach dem Muster der Vereinigten Staaten von Amerika zu denken hätte, wird es nicht geben." H. Lübbe (Anm. 14), S. 141.

  30. Zum Multilateralismus vgl. J. G. Ruggie (Anm. 27).

  31. H. J. Morgenthau (Anm. 6), S. 50.

  32. Vgl. Chr. Hacke (Anm. 16), S. 167.

  33. Karl W. Deutsch, Politische Kybernetik. Modelle und Perspektiven, Freiburg 1969, S. 170.

  34. Vgl. Chr. Hacke (Anm. 16), S. 468.

  35. Hanns W. Maull, Großmacht Deutschland? Anmerkungen und Thesen, in: Karl Kaiser/Hanns W. Maull (Hrsg.), Die Zukunft der deutschen Außenpolitik (Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Arbeitspapiere zur internationalen Politik, Nr. 72), Bonn 1993, S. 53-72, hier S. 64.

  36. Vgl. Helmut Schmidt, Strategie des Gleichgewichts. Deutsche Friedenspolitik und die Weltmächte, Stuttgart 1989, S. 236.

  37. Vgl. Klaus Naumann, Die Bundeswehr in einer Welt im Umbruch, Berlin 1994; Ulrich Weisser, NATO ohne Feindbild. Konturen einer europäischen Sicherheitspolitik, Bonn 1992.

  38. Vgl. Timothy Garton Ash, Im Namen Europas. Deutschland und der geteilte Kontinent, München 1993, S. 48-75.

  39. Ich stimme Hans-Peter Schwarz und Arnulf Baring zu: Die vornehmliche Aufgabe Deutschlands ist regional, in und für Europa ordnend und sichernd zu wirken. Vgl. H. -P. Schwarz (Anm. 17) und Arnulf Baring, Wie nur ist unsere Lage? Deutschland als Regionalmacht, in: Internationale Politik, (1995) 4, S. 12-21.

  40. Vgl. Eckart Gaddum, Die deutsche Europapolitik in den achtziger Jahren. Interessen, Konflikte und Entscheidungen der Regierung Kohl, Paderborn 1994.

  41. Gregor Schöllgen, Angst vor der Macht: Die Deutschen und ihre Außenpolitik, Berlin 1993, S. 9.

  42. Vgl. Margarita Mathiopoulos, Das Ende der Bonner Republik, Stuttgart 1993; Gerd Langguth, Suche nach Sicherheiten: Ein Psychogramm der Deutschen, Stuttgart 1995.

  43. Vgl. Matthias Zimmer, Nationales Interesse und Staatsräson: Zur Deutschlandpolitik der Regierung Kohl 19821989, Paderborn 1992.

  44. So bemängelt Ralf Dahrendorf: „Man kann die Bedingungen aufzählen, die erfüllt werden müssen, wenn die Kraft der alten Bundesrepublik und die Erfahrungen und Hoffnungen des ganzen Deutschlands zu einem respektierten und respektablen Gemeinwesen vereinigt werden sollen. Eine davon ist die Anerkennung des Nationalstaates in seiner Rolle selbst. Wer immerfort dem Nationalstaat das Totenglöcklein läutet, zerstört damit ungewollt auch die Fundamente von Rechtsstaat und Demokratie, die einstweilen nur im Nationalstaat sicher sind. Deutschland ist ein Nationalstaat und wird es auch in fünfzig und hundert Jahren sein. Das anzuerkennen, ist der erste Schritt der Wahrnehmung der Wirklichkeit und damit die Voraussetzung aller weiteren Schritte." R. Dahrendorf (Anm. 18), S. 758.

  45. Genscher verwies deshalb bewußt auf die gemeinschaftsbildende und friedensstiftende Bedeutung der Vereinigung Deutschlands: „Gerade in dieser dynamischen Phase der europäischen Politik ist es bedeutsam, sich Gewißheit über das Verhältnis unserer nationalen und unserer europäischen Interessen zu verschaffen. Diese Interessen sind identisch.“ Außenminister Genscher am 8. 11. 1989, in: Auswärtiges Amt (Hrsg.), Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, München 1990, S. 768.

  46. Michael Stürmer, Wohin die Bundeswehr? Über Diplomatie, Strategie und Bündnistreue, in: Internationale Politik, (1995) 4, S. 30 ff.

  47. Alexis de Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika, München 1976, S. 294 ff.

  48. Vgl. Helmut Schmidt, Handeln für Deutschland, Berlin 1993, S. 233.

  49. L. Watzal (Anm. 15), S. 115 f.

  50. Vgl. Helmuth Plessner, Die Verspätete Nation. Über die politische Verführbarkeit des bürgerlichen Geistes, Stuttgart 19594.

Weitere Inhalte

Christian Hacke, Dr. phil., geb. 1943; seit 1980 Professor für Politikwissenschaft/Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in Hamburg. Zahlreiche Veröffentlichungen zur amerikanischen und deutschen Außenpolitik sowie zur Theorie der Internationalen Beziehungen.