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Großbritannien und Europa | APuZ 18/1997 | bpb.de

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APuZ 18/1997 Die britischen Parteien vor der Wahl Politische Reformen von Thatcher bis Blair: Langsamer Abschied vom insularen Sonderweg? Großbritannien und Europa Vom „Prime Ministerial Government“ zur „British Presidency“? Zur Stellung des britischen Regierungschefs im internationalen Vergleich

Großbritannien und Europa

Roger Morgan

/ 27 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Das Problem der Beziehungen Großbritanniens zur Europäischen Gemeinschaft bzw. zur Europäischen Union ist im Verlauf der neunziger Jahre, angesichts der Schritte Europas seit dem Maastricht-Vertrag in Richtung einer Europäischen Wirtschafts-und Währungsunion sowie in Verbindung mit John Majors Schwierigkeiten als Chef einer hinsichtlich zentraler europäischer Fragen zutiefst gespaltenen konservativen Regierung, besonders akut geworden. Die Geschichte der Probleme zwischen „Europa“ und Großbritannien ist lang, selbst nachdem das Vereinigte Königreich -mit erheblicher Verspätung -im Jahre 1973 der Gemeinschaft beigetreten war. Die Labour-Regierungen der siebziger Jahre taten sich mit den Politiken und Institutionen der EG schwer, die achtziger Jahre waren gekennzeichnet durch die Auseinandersetzungen der Regierung Thatcher mit Brüssel über Fragen wie den Haushalt der Gemeinschaft und die geplanten Fortschritte in Richtung einer Europäischen Union nach 1989. Die Ende 1991 -nur ein Jahr, nachdem John Major Premierminister wurde -während des Europäischen Rats von Maastricht vereinbarten Vorhaben erwiesen sich in Großbritannien und insbesondere in der Konservativen Partei als äußerst kontrovers. Dies gilt für die Sozialcharta des Maastricht-Vertrags, für die vorgesehene Gemeinsame Außen-und Sicherheitspolitik und in besonderem Maße für die geplante Wirtschafts-und Währungsunion. Die Frage, wie Großbritannien auf diese Vorhaben reagieren sollte, hat zu einer intensiven Kontroverse innerhalb der politischen Parteien, der Medien und der öffentlichen Meinung in Großbritannien geführt. Sollte die Labour Party unter Tony Blair die am 1. Mai 1997 stattfindenden Wahlen gewinnen, so wird es wahrscheinlich zumindest einige Veränderungen in der britischen Politik geben, auch wenn die grundsätzliche Skepsis, ja Ablehnung gegenüber einigen zentralen Vorhaben der EU wohl bleiben wird.

Übersetzung aus dem Englischen von Dagmar Schittly, Bonn.

I. Die europäische Agenda vor den britischen Wahlen

Die Beziehungen Großbritanniens zur Europäischen Union sind in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre durch das zunehmend enge Wechselspiel zweier politischer Prozesse gekennzeichnet, von denen jeder gemäß seines eigenen spezifischen Fahrplans entwickelt wurde: Auf der Ebene des innenpolitischen Systems Großbritanniens bestand der dominierende Gesichtspunkt des Fahrplans darin, daß John Major, Premierminister einer uneinigen konservativen Regierung, wußte, daß er spätestens bis zum Mai 1997, fünf Jahre nach seinem Sieg bei den vorangegangenen Wahlen im Jahr 1992, ein Datum für erneute Parlamentswahlen suchen mußte. Gleichzeitig wurde auf der breiteren Ebene der Europäischen Union der Fahrplan wesentlich von zwei Faktoren bestimmt: erstens von der Vereinbarung von Maastricht, daß das Vorhaben der Europäischen Wirtschafts-und Währungsunion (EWU) auf der Basis wirtschaftlicher Kriterien, die im Laufe des Jahres 1997 erfüllt werden müssen, und nach der Festlegung der Wechselkurse unter den ersten Mitgliedern der EWU im Januar 1999 vorankommen soll; und zweitens von der Übereinkunft, die dem Maastricht-Vertrag von Dezember 1991 (der 1993 in Kraft trat) folgte, nämlich daß eine neue Regierungskonferenz in den Jahren 1996/97 Konzepte für eine institutioneile Reform aushandeln solle, über die man sich im Juni 1997 einigen will.

Die zufällige Überschneidung dieser zwei Prozesse -der britische Wahlzyklus, der eine ausgedehnte parteipolitische Kampagne in den Jahren 1996 und 1997 erforderte, und der europäische Fahrplan, der für eine Reihe schwieriger Entscheidungen in den Jahren 1996 bis 1998 sorgt -hat zu einer langen Periode von Turbulenzen und Spannungen geführt, die wahrscheinlich nicht so einfach durch die britischen Wahlen, die für den 1. Mai 1997 angesetzt sind, beendet sein wird. Die Gründe für diese Probleme sind -auch wenn sie zahlreich und komplex sind -relativ einfach zu verstehen. Auf der Ebene der britischen Innenpolitik hat sich Premierminister Major, der unter dem höchsten Stand der Unpopularität eines britischen Regierungschefs seit der Einführung von Meinungsumfragen leidet, gezwungen gefühlt, eine zunehmend „euroskeptische“ Haltung einzunehmen. Wir müssen uns dabei in Erinnerung rufen, daß dies eine Phase war, als nicht nur der Euroskeptizismus, sondern mehr noch: eine „Europhobie“ -geschürt durch einflußreiche Teile der britischen Presse und von der eigenen Partei des Premierministers -die Tendenz hatte, die öffentliche Meinung Großbritanniens zu dominieren.

Zur gleichen Zeit waren Major und seine Minister auf der europäischen Ebene gezwungen, die Positionen der britischen Regierung zur umfassenden und komplexen europäischen Tagesordnung, die dem Maastricht-Vertrag folgte, zu formulieren und zu verteidigen. Wie allgemein bekannt, schließt diese Agenda folgendes ein: das schrittweise Vorangehen in Richtung Wirtschafts-und Währungsunion; einige wichtige Entscheidungen darüber, inwieweit die EU-Institutionen reformiert werden müssen, um effektiv zu arbeiten, wenn die Union die nächste Gruppe von neuen Mitgliedern zuläßt (die Beitrittsverhandlungen sollen Ende 1997 beginnen); und, wie in Maastricht beschlossen, die Weiterentwicklung der europäischen Integration im Bereich der Gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik sowie im Bereich Justiz und Inneres, also des zweiten und dritten „Pfeilers“ des Vertrags über die Europäische Union.

Es ist klar, daß -selbst ohne das „britische Problem“ -auch die übrigen 14 Mitglieder der Union Schwierigkeiten haben werden, bezüglich dieser ambitionierten Tagesordnung zu einer Übereinkunft zu kommen: Dänemark hat sowohl bei der EWU (wie das Vereinigte Königreich) als auch bei der gemeinsamen Verteidigungspolitik auf dem Recht des „opt-out“ bestanden, während sich die Positionen Deutschlands, Frankreichs und anderer Mitgliedstaaten in einer Anzahl anderer wichtiger Fragen, wie z. B. die Unabhängigkeit der geplanten Europäischen Zentralbank oder die Kompetenzen des Europäischen Parlaments, unterscheiden. Dennoch ist es deutlich, daß die Regierung Großbritanniens zu zahlreichen Fragen eine andere Meinung vertritt als die Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten und daß die Gründe für diese Tatsache in der oben beschriebenen besonderen Situation der Innenpolitik Großbritanniens liegen. Die Major-Regierung, die auf der einen Seite miteiner starken innenpolitischen Opposition gegenüber einer weiteren europäischen Integration konfrontiert ist und auf der anderen Seite gezwungen ist, eine Position zu zahlreichen Aspekten gerade dieses Prozesses einzunehmen, erschien bisher -was nicht überrascht -zumindest aus Sicht einiger ihrer EU-Partner zögerlich und bisweilen sogar negativ eingestellt. In den Verhandlungen, die Ende 1991 zum Maastricht-Vertrag geführt haben (und folglich das erste Jahr von John Majors Zeit als Premierminister überlagerten), bestand die britische Regierung beispielsweise auf dem Recht des „opt-out“ bezüglich der EWU, behielt sich aber die Option vor, zu einem späteren Zeitpunkt teilzunehmen, falls die erste Gruppe der EWU-Mitglieder bei der Umsetzung erfolgreich wäre Diese Haltung, die Großbritannien weder zu einer Teilnahme an der EWU noch zu einem dauerhaften Draußenbleiben verpflichtete, blieb während der gesamten letzten Legislaturperiode das einzige Mittel für John Major, die große Kluft innerhalb seines Kabinetts zwischen den Befürwortern einer britischen EWU-Mitgliedschaft (besonders sein Finanzminister Kenneth Clarke) und den „Euroskeptikern“ wie Verteidigungsminister Michael Portillo und Innenminister Michael Howard zu überbrücken.

Obgleich Major mit dem Näherrücken der Wahlen starkem und anhaltendem Druck aus den euro-skeptischen Reihen ausgesetzt war, die von ihm forderten, seine . „Abwartehaltung“ aufzugeben, und die sich ausdrücklich gegen eine EWU-Teilnahme aussprachen, bestand er darauf, diesen mühsam ausgearbeiteten Kompromiß beizubehalten, der den damaligen Stand des Konsenses im Kabinett widerspiegeln sollte. Ähnliche Uneinigkeit und ähnliches Zögern veranlaßten die Major-Regierung ebenfalls zur Annahme negativer oder minimalistischer Positionen in den anderen diskutierten Hauptfragen -einschließlich der Planung für eine Gemeinsame Verteidigungspolitik, der „Vergemeinschaftung“ der Justiz-und Innenpolitik und des gesamten Vorhabens einer föderalen Entwicklung der EU-Institutionen -, die später noch angesprochen werden sollen.

II. Der historische Hintergrund und aktuelle Kontroversen

Die negative Haltung der Major-Regierung gegenüber bestimmten Aspekten der europäischen Integration in den neunziger Jahren, die sicherlich noch durch die spezifischen Schwierigkeiten des Premierministers innerhalb seiner eigenen Partei akzentuiert wurde, spiegelte auch eine lange Tradition britischen Skeptizismus gegenüber dem Prozeß der politischen und institutioneilen Integration in Europa wider Im Gegensatz zu den sechs Staaten, die in den fünfziger Jahren die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft bildeten, bewarb sich Großbritannien erst zu Beginn der sechziger Jahre um die Mitgliedschaft, nachdem seine Position als eine unabhängige Weltmacht zunehmend in Frage gestellt worden und die Gemeinschaft zu einer erfolgreichen Realität geworden war. Zum Zeitpunkt, als das Vereinigte Königreich endgültig der Gemeinschaft beitrat (1973 unter dem konservativen Premierminister Edward Heath) und als die Mitgliedschaft durch das 1975 abgehaltene Referendum bestätigt worden war (unter Heaths Nachfolger, dem Parteiführer der Labour-Partei, Harold Wilson), wurden in den britischen innenpolitischen Debatten hauptsächlich die wirtschaftlichen Vorteile der Mitgliedschaft in einer großen Handelszone betont. Wenngleich es durchaus der Wahrheit entspricht, daß Heath und andere Befürworter der britischen Mitgliedschaft politische oder institutioneile Vereinbarungen vorschlugen, daß die britische Souveränität mit den EG-Partnern geteilt werden sollte, so wurden diese Aussagen allerdings des öfteren von einer Betonung des britischen Vetorechts im Falle eines unakzeptablen Vorschlags im Ministerrat begleitet, so daß die zukünftigen Implikationen bei einer Entwicklung der EG in Richtung Föderation für die britische Bevölkerung nicht ganz deutlich wurden.

Wie Angelika Volle erläutert hat ist die Haltung der britischen Regierungen zur europäischen Integration von mehreren konstanten Merkmalen gekennzeichnet. Dazu gehören:

-eine Vorliebe für intergouvernementale Zusammenarbeit statt supranationaler Institutionen;

-eine pragmatische Politik statt visionärer Bekenntnisse; -der Vorzug von Dezentralisierung (bei der die Befugnisse im wesentlichen bei den nationalen Regierungen bleiben) gegenüber Föderalismus (was die Briten als Zentralisierung auf der europäischen Ebene deuten);

-eine Priorität von nationaler Souveränität vor einer europäischen Verflechtung;

-eine Auffassung von der europäischen Einigung als eher einer Wirtschaftvereinigung denn einer politischen Integration;

-der Vorzug für eine Europäische „Union“

(verstanden als lose zwischenstaatliche Kooperation)

gegenüber einer Europäischen „Einheit“

(verstanden als eine bindende politische Struktur föderaler Art);

-die Befürchtung, daß die EU-Mitgliedschaft Großbritannien als eine europäische Mittel-macht ohne Weltgeltung definiert.

Im Verlauf von nunmehr fast einem Vierteljahr-hundert, seit Großbritannien der Gemeinschaft beitrat, haben diese Themen in unterschiedlichen Kombinationen die Haltungen und die Politik der britischen Regierung stark beeinflußt. Nach dem Referendum von 1975, als die Wähler mit einer Zweidrittelmehrheit die Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Gemeinschaft bestätigten (wobei sie dem Wunsch der Wilson-Regierung und der oppositionellen konservativen Führung, einschließlich Margaret Thatcher ebenso wie Edward Heath, folgten), schlugen sowohl Wilson als auch sein Nachfolger James Callaghan eine pragmatische und minimalistische Linie ein. Zu der Zeit, als Callaghan Premierminister war (1976-1979), vertrat die britische Regierung -während sie gleichzeitig an der Entwicklung der Gemeinsamen Handelspolitik der EG und dem System der Koordinierung der Außenpolitik, bekannt als „Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ)“, teilnahm -einen unabhängigen Standpunkt zu Fragen wie Energie und Rohstoffe, verzögerte die Abhaltung von Direkt-wahlen zum Europäischen Parlament von 1978 auf 1979 und vertrat eine grundsätzlich negative Ansicht bezüglich des Ausbaus der Institutionen der Gemeinschaft. Callaghan begrüßte daher die Erweiterung der Gemeinschaft mit der Aufnahme Spaniens, Griechenlands und Portugals aus dem Grund, daß diese Ausdehnung den Zusammenhalt der EG abschwächen und der Vertiefung in Richtung Föderalismus gegensteuern würde -ein Argument, das fast zwanzig Jahre später von seinem konservativen Nachfolger John Major im Zusammenhang mit der EU-Erweiterung in Richtung Osteuropa aufgegriffen werden sollte.

Nach der Rückkehr der Konservativen an die Macht und während der langen Amtsperiode von Margaret Thatcher (1979-1990) wurde die Rolle Großbritanniens als Mitglied der EG zunehmend schwierig. Während die britische Regierung auf der einen Seite die Vorzüge der EPZ pries und energisch auf die für 1992 geplante Binnenmarktliberalisierung hinarbeitete (Frau Thatcher akzeptierte durch ihre Zustimmung zur Einheitlichen Europäischen Akte von 1986 sogar das Prinzip der Mehrheitsabstimmungen zum Erreichen dieser Liberalisierung), waren auf der anderen Seite zahlreiche Bereiche der Gemeinschaftspolitik von Auseinandersetzungen zwischen Großbritannien und seinen EG-Partnern gekennzeichnet. Da gab es zunächst einmal den ausgedehnten Streit um den britischen Beitrag zum EG-Haushalt (entstanden’aus der besonderen Struktur von Großbritanniens Außenhandel und seinen verhältnismäßig geringen Einkünften bei der Gemeinsamen Agrarpolitik); schließlich gab es die in die Länge gezogenen Spannungen in bezug auf das Europäische Währungssystem, das 1979 geschaffen wurde (hier hielt Frau Thatcher über Jahre hinweg die Ablehnung eines Beitritts durch die Regierung Callaghan aufrecht, und erst im Oktober 1990, am Ende von Thatchers Amtszeit, trat Großbritannien unter äußerst ungünstigen Umständen bei).

Zusätzlich wehrte sich Frau Thatcher strikt gegen die Pläne, die die Europäische Kommission unter Jacques Delors in Übereinstimmung mit führenden Mitgliedstaaten entwickelte, über den liberalisierten Binnenmarkt hinaus zu einer engeren Europäischen Union, einschließlich einer Wirtschafts-und Währungsunion, zu gelangen. Sie gab diesem Widerstand im September 1988 mit starken Worten in einer Rede vor dem Europa-Kolleg in Brügge Ausdruck (was der antieuropäischen „Brügge-Gruppe“, gegründet von einigen ihrer konservativen Gefolgsleute, den Namen gab). Den Vorschlägen von Jacques Delors für einen Ausbau der Befugnisse der EG-Kommission, des Europäischen Parlaments und des Ministerrats antwortete sie mit einem entschiedenen „No, no, no“ im Unterhaus. Es war dieser Ausbruch, folgend der Selbstisolierung Großbritanniens während des EU-Gipfels im Oktober 1990 in Rom (als die Europäischen Staats-und Regierungschefs elf zu eins für die Einsetzung von zwei Regierungskonferenzen stimmten, die Pläne für eine Europäische Politische Union und für eine Wirtschafts-und Währungsunion entwerfen sollten), der die Revolte gegen Frau Thatcher durch ihren Stellvertreter Sir Geoffrey Howe verursachte und Ende November zu ihrer Ablösung durch John Major führte Wie erwähnt, wurde John Major zu einem Zeitpunkt Premierminister, als die Entscheidungbereits gefallen war, daß zwei Regierungskonferenzen Vorschläge für das Fortschreiten in Richtung „Europäische Union“ ausarbeiten würden, welche Ende 1991 unter der niederländischen EG-Präsidentschaft angenommen werden sollten. Die Aussichten auf Harmonie und Übereinstimmung sahen unter Major zunächst erheblich vielversprechender aus als zuvor unter Thatcher. Der Premierminister erklärte mit Nachdruck (in einer Rede vor der Konrad-Adenauer-Stiftung im März 1991), daß er Großbritanniens Platz „im Herzen Europas“ sähe; seinem Kabinett gehörten überdies führende konservative Politiker an, deren „europäisches“ Engagement viel freimütiger und beständiger war als sein eigenes. Zu ihnen gehörten Außenminister Douglas Hurd und ein weiteres wichtiges Kabinettsmitglied, Michael Heseltine. Andererseits war Major der Chef einer Partei, die tiefgreifend von den antieuropäischen Anschauungen Frau Thatchers beeinflußt worden war: Ein großer Teil der konservativen Politiker, die 1987 ins Parlament gewählt wurden, und sogar noch mehr der 1992 (nach Majors Ernennung zum Premierminister) gewählten Abgeordneten vertraten „Thatchersche" Überzeugungen -eine wichtige Tatsache, die zunehmend offensichtlich wurde, als die geplante Wirtschafts-und Währungsunion immer mehr zu einer nahe bevorstehenden Realität wurde und als die Parlamentswahl von 1997 näherrückte.

Mittlerweile, und sogar schon vor den Wahlen im Jahr 1992, erforderte das Kräftegleichgewicht innerhalb der konservativen Partei, daß das Kabinett Major neben den „Europäern“ Hurd, Heseltine und Kenneth Clarke auch eine Anzahl von „Euroskeptikern“, darunter Norman Lamont (Finanzminister) und Michael Howard (Minister für Beschäftigung und später Innenminister), enthalten mußte. Diese Mixtur von Meinungen in der Regierung und die antieuropäische Stimmung, die die Thatchersche Rhetorik der britischen Öffentlichkeit eingeprägt hatte, erklären, warum die Regierung Major eine solch vorsichtige Haltung zu den Fragen einnahm, die während der Regierungskonferenz von 1991 diskutiert wurden.

In der Frage der Wirtschafts-und Währungsunion vertrat die britische Regierung, wie bereits erwähnt, eine unabhängige Linie: Diese bestand darin, daß sich das Vereinigte Königreich auch dann, falls eine Anzahl wichtiger Mitgliedstaaten erfolgreich eine solche Union schaffen würde -

über die Stationen der Gründung eines Europäischen Währungsinstituts, einer Europäischen Zentralbank, der Einführung einer gemeinsamen Währung und schließlich mit dem Ende getrennter nationaler Währungen das Recht vorbehielt, außerhalb all dieser Verfahren zu bleiben und erst zu einem späteren Zeitpunkt teilzunehmen (wenn es dies wünscht und wenn es die Kriterien für eine Mitgliedschaft erfüllt). Dieses „opt-out“ wurde von Großbritanniens Partnern akzeptiert, als der Vertrag über die Europäische Union in Maastricht beschlossen wurde, ebenso wie ein weiteres „optout“, womit Großbritannien von der Unterzeichnung der „Sozialcharta“ des Vertrags befreit wurde, die für Vereinbarungen über die Rechte von Arbeitnehmern und andere Aspekte des Verhältnisses zwischen den Sozialpartnern im wirtschaftlichen Leben Sorge trägt.

In dieser Frage argumentierte die britische konservative Regierung, daß die staatliche Regulierung des Arbeitsmarkts in der Weise, wie sie durch die „Sozialcharta“ repräsentiert wird, zur wirtschaftlichen Belastung der Arbeitgeber beitragen und damit im Gegensatz zum gesamten von der britischen Regierung durchgeführten Deregulierungsprogramm stehen würde („das Zurückdrängen der Grenzen des Staates“, wie es Frau Thatcher bezeichnet hatte). Eine andere wichtige Dimension des Maastricht-Vertrags, bei der sich die Regierung Major erfolgreich für nur begrenzte Fortschritte in Richtung einer weiteren Integration aussprach, ist der sogenannte „zweite Pfeiler“ des Vertrags, das Projekt einer Gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik (GASP). Hier ging und geht es um die Frage, inwieweit das System der Europäischen Politischen Zusammenarbeit, welches seit 20 Jahren als ein loses Netzwerk von zwischenstaatlicher Konsultation und Koordinierung der Außenpolitik existiert, überarbeitet und reformiert werden muß, um den revolutionären Veränderungen innerhalb des internationalen Systems seit 1989 Rechnung zu tragen.

Einige wichtige EG-Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, neigen dazu, zu behaupten, daß die Zeit gekommen sei für eine engere Verbindung zwischen diesem losen zwischenstaatlichen System und der Gemeinschaft, für eine häufigere Anwendung von Mehrheitsabstimmungen in außenpolitischen Angelegenheiten und für eine zukünftige Europäische Union, die sich selbst mit den Mitteln ausstattet, um nicht nur ihre eigene Außenpolitik, sondern auch ihre eigene Verteidigungspolitik zu betreiben, indem sie zu diesem Zweck die Westeuropäische Union (WEU) nutzt. Im scharfen Gegensatz zu dieser Sicht vertrat die britische Regierung den Standpunkt, daß die Rolle der Kommission und des Europäischen Parlaments im Bereich der Außenpolitik streng begrenzt bleiben sollte, daß Entscheidungen nicht per Mehrheitsabstimmungen getroffen werden sollten und daß die Entwicklung einer „Europäischen Verteidigungsund Sicherheitsidentität“ keinesfalls die Verbindungen zwischen Westeuropa und den USA imRahmen der NATO schwächen dürfe Um diesen letzten Punkt zu unterstreichen, betonten britische Sprecher sowohl in Maastricht als auch später, daß die WEU nicht der Union untergeordnet werden oder zu ihrer militärischen Behörde, unabhängig von der NATO, entwickelt werden dürfe, auch wenn die WEU als eine Gruppierung europäischer NATO-Mitglieder angesehen werden könnte, die bei gewissen Zielen zusammenarbeiten und unter bestimmten Umständen im Auftrag der Europäischen Union handeln könnte.

Nachdem der Europäische Rat in Maastricht große Teile der britischen Position zu diesen Punkten und auch das Prinzip der Subsidiarität, wie es von Großbritannien interpretiert wurde (d. h., daß die EU nur in Angelegenheiten handeln dürfe, die nicht wirksamer von den Mitgliedstaaten selber ausgeführt werden können), akzeptiert hatte, verkündete Premierminister Major gegenüber den britischen Medien triumphierend, das Ergebnis des Gipfels bedeute „Spiel, Satz und Sieg für Britannien“. Es ist erstaunlich und symptomatisch für neuerliche Konflikte in der Zukunft, daß Major (und sogar sein Außenminister Douglas Hurd) darauf achteten, die Ergebnisse von Maastricht als einen Erfolg britischer Blockadepolitik und sogar als das Zurückdrängen der Entwicklung hin zu einer europäischen Föderation, welche sie als eine große Bedrohung für die Unabhängigkeit des Vereinigten Königreichs darstellten, zu präsentieren, während die Mehrheit der Mitgliedstaaten den Vertrag über die Europäische Union als einen bedeutenden Schritt in Richtung einer weiteren wirtschaftlichen und politischen Integration ansah.

Diese „euroskeptische“ Stimmung in Großbritannien, die einige Regierungsmitglieder mit zahlreichen Abgeordneten, mit einflußreichen Kräften im Bereich der Medien (einschließlich der Massen-blätter, die dem Kanadier Conrad Black und dem Australier/Amerikaner Rupert Murdoch gehören) und mit weiten Teilen der öffentlichen Meinung teilten, erhielt durch einige darauffolgende Entwicklungen neuen Auftrieb. Die Schwierigkeiten, die einige Mitgliedstaaten der EU mit der Ratifizierung des Maastricht-Vertrags hatten (einschließlich seiner Ablehnung im ersten dänischen Referendum im Juni 1992 und des Beinahescheiterns im französischen Referendum im September), trugen zu der antieuropäischen Stimmung in der britischen Meinung bei, die sich auch in der zunehmenden Stärke der „Thatcheristen“ in der konservativen Unterhausfraktion nach den Wahlen vom April 1992 widerspiegelte. Dies führte auch zu einer Verzögerung der britischen Ratifikation des Maastricht-Vertrags: Major erreichte die Ratifizierung erst nach langen, schwierigen Debatten im Parlament und dadurch, daß er sie im Juli 1993 mit der Vertrauensfrage verknüpfte.

Zu dieser Zeit, als internationale Spekulationen gegenüber dem überbewerteten Pfund im September 1992 einen kritischen Stand erreicht hatten, war das Vereinigte Königreich gezwungen, das Europäische Währungssystem (gemeinsam mit Italien) zu verlassen. Großbritanniens unschöne Erfahrung mit seiner Mitgliedschaft im EWS, die nicht einmal zwei Jahre gedauert hatte, verstärkte -zumal unter vielen konservativen Abgeordneten -das Gefühl, daß die europäische Währungsintegration nicht im britischen Interesse liege (und daß Großbritanniens Partner auf dem Kontinent, einschließlich der Bundesbank, wenig hilfreich gewesen seien). Diese Erfahrung stärkte die Position derer, die meinten, Großbritannien sollte unter keinen Umständen an der geplanten EWU teilnehmen. Als bezeichnendes Beispiel für diese eurokritische Stimmung begann Norman Lamont, Majors Finanzminister zur Zeit des EWS-Debakels im Jahre 1992 und später aus der Regierung verbannt, sogar den Standpunkt zu vertreten, daß Großbritannien am Ende gezwungen sein könnte, die generelle EU-Mitgliedschaft aufzugeben. 1994 schien sich Majors Hoffnung, sein Land „im Herzen Europas“ plazieren zu können, als vergeblich zu erweisen, da Großbritannien zunehmend isoliert war. Im März dieses Jahres wurde London mit fast allen seinen EU-Partnern in einen tiefgreifenden Streit über die zukünftige Stimmengewichtung im Ministerrat nach einer Erweiterung der EU verwickelt. Dieser Konflikt wurde zwar bald durch einen von der griechischen Präsidentschaft vorgeschlagenen Kompromiß gelöst, aber die Tatsache, daß Major zuvor so stark darauf beharrt hatte, zeigte den Einfuß der Euroskeptiker in seiner eigenen Partei Ungefähr zur gleichen Zeit und mit zunehmender Vehemenz begannen Mitglieder des Parlaments und sogar einige Minister, auf eine Begrenzung der Befugnisse des Europäischen Gerichtshofs zu drängen, dem sie systematischen Einsatz für die Sache der europäischen Integration und Eingriffe in die souveränen Rechte Großbritanniens und anderer Mitgliedstaaten vorwarfen.

III. Die „Reflexionsgruppe“ und die Regierungskonferenz 1995-1997

Als sich die „Reflexionsgruppe“ von Vertretern der Regierungen der Mitgliedstaaten (und der EU-Institutionen) zu Beginn des Jahres 1995 zu informellen Beratungen traf, um die für Frühjahr 1996 geplante Regierungskonferenz vorzubereiten, bestanden keine Zweifel daran, daß die britische Regierung Schwierigkeiten mit der Zustimmung zu irgendeinem entscheidenden Fortschritt bei der europäischen Integration haben würde. In der Folge von Maastricht hatten Premierminister Major und sein Außenminister Douglas Hurd häufig Erklärungen darüber abgegeben, daß die europäische Einigung auf der Zusammenarbeit zwischen souveränen Nationalstaaten basieren müsse, die sie als den wesentlichen Bestandteil des politischen Lebens ansahen. Malcolm Rifkind brachte sowohl als Verteidigungsminister wie auch als Hurds Nachfolger im Foreign Office (seit September 1995) eine Sicht zum Ausdruck, die sowohl hinsichtlich der militärischen Zusammenarbeit wie einer Reform der EU-Institutionen im Verlauf der Revision des Vertrags weit vom europäischen Konsens entfernt war. Als der Bericht der Reflexionsgruppe Ende 1995 im Namen ihres Vorsitzenden (des spanischen Staatsministers Carlos Westendorp) veröffentlicht wurde, enthielt er zahlreiche Verweise darauf, daß „einer von uns“ in diesem oder jenem Punkt mit den Auffassungen des Rests der Gruppe nicht übereingestimmt hatte

Wenngleich dieses abtrünnige Mitglied nicht beim Namen genannt wurde (im Gegensatz zur Verfahrensweise von Westendorps Vorgänger, dem irischen Senator Dooge im Dooge-Bericht), war es kein Geheimnis, daß es sich bei der fraglichen Person um den britischen Vertreter David Davis handelte, einen konservativen Politiker, der das Amt des Staatsministers für Europäische Angelegenheiten innehatte. Es war ebenso allgemein bekannt, daß Davis zum stark „euroskeptischen“ Flügel seiner Partei gehörte und daß John Major ihn auf diesen ministeriellen Posten berufen hatte, um so dieser Gruppe zu versichern, daß dem relativ proeuropäischen Außenminister Douglas Hurd bei der Europapolitik keine „freie Hand“ gelassen würde.

Folglich erfüllte David Davis bei den Hauptfragen, die von der Reflexionsgruppe diskutiert wurden, im Namen der britischen Regierung pflichtschuldigst seine euroskeptische Rolle; diese generell zurückhaltenden Positionen, die er zum Ausdruck brachte, wurden in den Sitzungen der Regierungskonferenz (Inter-Governmental Conference, IGC) selbst, in den Monaten vor dem Europäischen Rat in Dublin im Dezember 1996, wiederholt. Die Reflexionsgruppe bestimmte zwei Hauptaufgaben für die IGC: die Legitimität des „Projekts Europa“ gegenüber der europäischen Öffentlichkeit zu erneuern sowie die Arbeitsweise der Institutionen der Union so zu verändern, daß die EU fähig ist, eine Anzahl neuer Mitglieder aufzunehmen -von denen mit einigen bereits vereinbart worden war, daß formale Beitrittsverhandlungen sechs Monate nach Abschluß der IGC 1997 beginnen würden. Zum ersten dieser Ziele hat die britische Regierung ihre Sichtweise -basierend auf ihrer allgemeinen Einstellung zur europäischen Integration -dargelegt, daß der beste Weg für die EU, mehr Akzeptanz bei ihren Bürgern zu erreichen, die Begrenzung oder sogar Reduzierung des Umfangs ihrer Aktivitäten sei: Im Namen der Subsidiarität sollten die meisten Aufgaben den nationalen Regierungen überlassen bleiben, und einige der Funktionen, die derzeit von der Union ausgeübt werden, sollten wieder auf die nationale Ebene zurückgeführt werden. Die Erweiterung der Union wird von den britischen Konservativen begrüßt, zum Teil aufgrund des Glaubens an die Fähigkeit der Union, in Mittel-und Osteuropa Demokratie, wirtschaftliches Wachstum und internationale Stabilität zu fördern, und zum Teil aus der Überzeugung, daß die „Erweiterung“ der EU ihre „Vertiefung“ verhindern, mit anderen Worten: die Aussicht ihrer Entwicklung zu einem „föderalen Superstaat“ mindern werde.

In der Frage einer Reform der EU-Institutionen neigte die Regierung Major dazu, die Befugnisse des Ministerrats als eines zum Teil zwischenstaatlichen Organs der Union zu erhalten und diejenigen der supranationalen Organe Kommission und Parlament zu begrenzen. In bezug auf den Rat sind die britischen Konservativen einer Ausdehnung der Mehrheitsentscheidungen feindlich gesinnt geblieben (ein nationales Veto ist ein wichtiger Ausdruck des intergouvernementalen Ansatzes);

was die Kommission betrifft, zeigten sie Sympathie für Überlegungen wie etwa die Beseitigung ihres Monopols bei der Einleitung der Gesetzgebung oder die Übertragung einiger ihrer administrativen Aufgaben auf unabhängige Regulierungsbehörden; auf der Ebene des Parlaments betonten sie die Notwendigkeit, daß die nationalen Parlamente -eher als das Europäische Parlament -eine zentrale Rolle bei der Überwachung europäischer Gesetze im Namen der Bürger spielen müßten.In der Frage, welche weiteren Aufgaben zukünftig von der EU übernommen werden sollten, war die Position der konservativen Regierung in der IGC konstant -diese Aufgaben sollten begrenzt bleiben. In bezug auf die Gemeinsame Außen-und Sicherheitspolitik ist die britische Regierung -obwohl sie die Sichtweise teilt, daß gemeinsame europäische Aktivitäten durchaus Vorteile haben -nach wie vor strikt dagegen, daß Entscheidungen auf diesem Gebiet durch Mehrheitsabstimmungen getroffen werden könnten: Jede ernste Aktion im Namen einer wirklich gemeinsamen europäischen Außenpolitik erfordere Einstimmigkeit. Die Aufgaben der militärischen Verteidigung sollten außerdem nach britischer Auffassung der NATO überlassen bleiben und die WEU -indem sie im Namen der EU handelt -eher mit humanitären oder anderen begrenzten Missionen betraut werden.

* Wie in der Bestandsaufnahme sichtbar wurde, die die Staats-und Regierungschefs der EU während des Europäischen Rates von Dublin im Dezember 1996 durchführten, sind die Entscheidungen, die die IGC letztlich zu vielen dieser Fragen treffen wird, immer noch nicht klar. Falls die konservative Regierung am 1. Mai im Amt bestätigt wird, ist es unwahrscheinlich, daß ihre endgültigen Positionen sich in den sechs Wochen vor dem Europäischen Rat in Amsterdam Mitte Juni sehr von den oben skizzierten unterscheiden werden. Diese Schlußfolgerung drängt sich zumindest angesichts des Nachdrucks auf, mit dem Außenminister Malcolm Rifkind zu Beginn des Jahres 1997 in einer Reihe von Vorträgen in europäischen Hauptstädten -darunter Stockholm, Paris und Bonn -die Ansichten seiner Regierung erneut vortrug. In seiner Rede am 19. Februar in Bonn wandte er sich deutlich gegen alle Maßnahmen, die „in die Richtung eines Machttransfers von Mitgliedstaaten auf europäische Institutionen“ gehen würden und betonte: „Wir wollen eine Union ohne Uniformität, eine Rahmenstruktur, die den Menschen und ihren Regierungen mehr Freiheit gibt, anstatt ihnen Beschränkungen aufzuerlegen.“

IV. Die Europäische Währungsunion im Vorfeld der britischen Wahlen

Zur gleichen Zeit, als Malcolm Rifkind und andere britische Minister ihre Erklärungen zu den institutioneilen Fragen, die auf der Tagesordnung der IGC standen, abgaben, spielte die andersartige, aber damit zusammenhängende Frage der Europäischen Währungsunion eine führende Rolle in der öffentlichen Debatte über Großbritanniens Zukunft in Europa. Anfang Dezember 1996, einige Tage bevor John Major am Europäischen Rat in Dublin teilnahm, schien es, als ob der mühsam zustande gekommene Kompromiß über die Beziehungen Großbritanniens zur EWU -nämlich daß das Maastrichter „opt-out“ genutzt werden sollte, um eine Fortsetzung der Diskussion dieser Frage zu erlauben, aber über eine britische Mitgliedschaft erst zu einem späteren Zeitpunkt entschieden werden sollte -ernsthaft bedroht war Es wurde berichtet, daß eine „euroskeptische“ Mehrheit im Kabinett (laut einiger Berichte 18 Minister von 22), angeführt vom ehrgeizigen Innenminister Michael Howard, darauf bestand, daß Major seine abwartende Politik zugunsten eines deutlichen Versprechens aufgebe, daß die Konservativen bei einer Wiederwahl unter keinen Umständen während der Amtszeit des 1997 gewählten Parlaments (oder sogar, wie einige Euroskeptiker es festhalten wollten, für immer) an einer europäischen Währung teilnehmen würden.

Obgleich eine Mehrheit des Kabinetts -und wahrscheinlich auch eine Mehrheit der konservativen Unterhausfraktion -offenbar davon überzeugt war, daß eine derartige Zusicherung viele Wählerstimmen bringen würde, lehnte John Major, der sich im Falle einer Zustimmung zu dieser Forderung wahrscheinlich mit dem Rücktritt der führenden proeuropäischen Minister Kenneth Clarke und Michael Heseltine konfrontiert gesehen hätte, dies ab. Dennoch störte das Thema EWU weiterhin die Harmonie innerhalb der Konservativen Partei Im Januar erklärte Gesundheitsminister Stephen Dorrell, der als entschiedener „Proeuropäer“ bekannt war, daß Großbritannien sein Verhältnis zu Europa völlig neu überdenken müsse (er wurde verdächtigt, damit seine Chancen für eine Nachfolge von John Major als Parteivorsitzender verbessern zu wollen). Zur gleichen Zeit erklärte eine große Zahl konservativer Parlamentsabgeordneter, insbesondere diejenigen, die in ihren Wahlkreisen einen Stimmenverlust an die von Sir James Goldsmith geförderte (und großzügig finanzierte) militant antieuropäische Referendum-Partei befürchteten, daß ihre persönlichen Wahlaussagen eher ihre völlige Ablehnung als die offizielle „Politik des Abwartens“ der Partei bezüglich der EWU enthalten würden.

Mitte Februar, kurz bevor er aus London aufbrach, um seine bereits erwähnte Rede in Bonn zuhalten, machte Malcolm Rifkind wiederum Furore, indem er in einem Radiointerview bemerkte, daß die britischen Minister „alles in allem feindlich gegenüber einer gemeinsamen Währung“ eingestellt seien Diese explosive Äußerung, auch wenn sie offiziell als ein „Versprecher“ bezeichnet wurde, erfreute die konservativen Euroskeptiker: sie wurde überdies als ein bewußter Schritt Rifkinds interpretiert, um seine Chancen für die Übernahme des Parteivorsitzes zu stärken.

V. Die öffentliche Meinung und die Oppositionsparteien

Wie gezeigt, gab es in den neunziger Jahren zahlreiche Fälle, in denen britische Politiker -vor allem konservative Minister -aus Angst, daß ein mehr integrationistischer Standpunkt in der öffentlichen Meinung unpopulär wäre, eine mehr oder weniger euroskeptische Position bezogen haben. Tatsächlich trifft es zu, daß die britische öffentliche Meinung in den letzten Jahren eine zunehmend skeptische Einstellung zur EU einnahm In einer Ende 1996 durchgeführten Meinungsumfrage lag der Anteil der Befragten, die sagten, sie würden in einem Referendum dafür stimmen, daß Großbritannien die Union verläßt, mit 40 Prozent ziemlich hoch (in den frühen neunziger Jahren lag der Wert noch bei etwa 30 Prozent); der Anteil derer, die für einen Verbleib Großbritanniens in der EU waren, fiel auf 44 Prozent (von 62 Prozent im Jahr 1990). Bei der Frage, ob Großbritannien an einer einheitlichen EU-Währung teilnehmen sollte, lag die Zahl der Befürworter nur bei 22 Prozent (im November 1996), während die Zahl der Gegner sich auf 64 Prozent belief (sechs Monate früher lagen die Werte bei 23 Prozent und 60 Prozent). Diese Zahlen bestätigen, daß jede zukünftige Regierung, die beabsichtigt, Großbritannien in eine einheitliche Währung zu führen, sich einer äußerst schwierigen Aufgabe bei der Veränderung der öffentlichen Meinung zu diesem Vorhaben gegenübersehen würde. Es muß hier auch daran erinnert werden, daß sowohl die Konservative Partei wie die Labour Party versprochen haben, über jeden Vorschlag zu einer EWU-Mitgliedschaft in einem Referendum abstimmen zu lassen, welches die Entscheidung zu bestätigen hätte, bevor sie in die Tat umgesetzt werden könnte.

Die jüngsten Meinungsumfragen zeigen andererseits einige Unterstützung für die EU-Politik in Großbritannien -allerdings bei eher zweitrangigen Themen. Trotz dieser Anzeichen für ein langfristiges Anwachsen der „Europeanness“ in Großbritannien bleibt die öffentliche Meinung gegenüber weiteren Schritten in Richtung EU-Integration und EWU generell skeptisch. Diese Stimmung, die durch die jahrelange hartnäckige Denunziation der Europäischen Gemeinschaft durch Margaret Thatcher und durch den kampflustigen Tonfall, den John Major während der BSE-Krise angenommen hatte, gefördert worden war, wurde durch Sir James Goldsmiths Referendum-Partei, die, je näher die Wahlen rücken, starken Druck auf die Konservativen ausübt, weiter belebt Um den Auswirkungen dieser antieuropäischen Propaganda entgegenzuwirken, leitete die Europäische Bewegung in Großbritannien im März 1997 eine breit angelegte Aufklärungskampagne unter dem Titel 97 Gründe für Großbritannien, zu Europa zu gehören in die Wege; und eine beeindruckende Zahl führender Industrieller, einschließlich der Chefs einiger der größten Firmen Englands, richtete einen langen Brief an die „Financial Times“, in dem sie „die Ausbreitung eines extremen Euroskeptizismus“ anprangerten und den Standpunkt vertraten, daß innerhalb der EU (wenngleich nicht notwendigerweise in der EWU) „das Vereinigte Königreich ein vollständiges und engagiertes Mitglied des Clubs bleiben muß“

Was die politischen Parteien betrifft, so hat sich dieser Beitrag hauptsächlich auf die Konservativen konzentriert, weil diese seit 1979 an der Regierung sind. Dennoch ist es notwendig, abschließend die Haltung und Politik der anderen Parteien zu europäischen Fragen zu erörtern. Was die kleineren Parteien anbelangt, so sind diese Einstellungen nicht kompliziert und im allgemeinen stark proeuropäisch. Die Liberaldemokratische Partei, die drittgrößte Partei in Großbritannien (bei den Parlamentswahlen 1992 erhielt sie 18 Prozent der Stimmen, wenngleich nur 3, 1 Prozent der Sitze), ist der europäischen Integration besonders stark verpflichtet. Ihre Vorgängerin, die Liberale Partei, war die einzige britische Partei, die in den fünfziger Jahren die britische Mitgliedschaft in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) unterstützte. Zu ihren derzeitigen Vertretern im Oberhaus gehören der frühere Präsident der EG-Kommission, Lord (Roy) Jenkins, und ein anderer ehemaliger Kommissar, Lord (Ralf) Dahrendorf. Die Haltung der Liberaldemokraten gegenüber Europa wird im jüngsten Buch eines anderen Parteimitglieds im Oberhaus, Lord (William) Wallace, so zusammengefaßt: „Wir glauben, daß Großbritannien durch die Abgabe von Souveränität und mit vereinten Kräften mehr erreichen kann, als wenn es alleine steht. Großbritannien ist ein europäisches Land.“ Ebenso wie die Liberaldemokraten haben auch die anderen kleinen Parteien in Großbritannien -die regionalen Parteien, die Autonomie oder Unabhängigkeit für Schottland und Wales fordern (ebenso wie einige regionale Kräfte in Nord-Irland) -eine stark proeuropäische Ausrichtung, hauptsächlich aufgrund der Unterstützung, die ihnen ein „Europa der Regionen“ bei der Erlangung größerer Unabhängigkeit von London bietet.

Die bedeutsamste Veränderung in der Einstellung der britischen Parteien gegenüber Europa betrifft aber die Entwicklung der Labour Party, und zwar von einer extrem antieuropäischen Position in den frühen achtziger Jahren zu der völlig entgegengesetzten Position heute. Nach dem Sturz der Regierung Callaghan im Jahr 1979 (dem eine Phase der tiefen Uneinigkeit über die europäische Politik in der Labour Party vorangegangen war), wurde zunächst der antieuropäische Flügel unter Führung von Callaghans Nachfolger Michael Foot (Parteichef von 1980 bis 1983) dominierend; er schwor die Partei auf eine Politik des vorbehaltlosen Rückzugs aus der EG im Falle einer zukünftigen Labour-Regierung ein.

Nach ihren Wahlniederlagen in den Jahren 1983 und 1987 wurde die Einstellung der Labour Party zu Europa deutlich positiver. Dieser Prozeß wurde eingeleitet durch Margaret Thatchers Feindseligkeit gegenüber der Sozialcharta wie gegenüber anderen generellen Regulierungen durch die EG, durch Jacques Delors’ beeindruckende Rede vor dem Gewerkschaftskongreß 1988, durch die Ernennung des Labour-Führers Neil Kinnock zum EG-Kommissar im Jahr 1992 und durch die massiven Gewinne von Labour bei den Wahlen zum Europäischen Parlament 1989 und 1994. Somit war Labour zum Zeitpunkt, als Tony Blair 1994 John Smith als Parteichef ablöste, die größte proeuropäische Partei im Land. Sie kritisierte die Major-Regierung systematisch wegen des Betreibens einer negativen Politik, die Großbritannien in Europa in die Isolation geführt habe.

Das Ausmaß, in dem eine Regierung Blair tatsächlich eine andere Politik im Hinblick auf die EU verfolgen würde, sollte allerdings nicht überschätzt werden. Die Position der Labour Party zur EWU ähnelt derjenigen der Konservativen (wenn auch ohne die antieuropäischen Ressentiments, die die Glaubwürdigkeit der Konservativen schwächen); Tony Blair und seine Parteifreunde bestehen ferner weiterhin darauf, daß eine Labour-Regierung das nationale Veto bei allen wichtigen Fragen beibehalten würde 17. Dennoch erweckt die allgemeine positive Haltung der Labour Party gegenüber der EU, einschließlich ihrer betonten Unterstützung für gewisse Bereiche der europäischen Politik (besonders die Sozialcharta), den Eindruck, daß eine Labour-Regierung, falls sie Großbritannien beim Gipfel in Amsterdam im Juni 1997 vertreten sollte, mit den europäischen Partnern leichter eine Übereinstimmung erreichen würde als die Regierung von John Major.

Die „europäische Frage“ hatte -wie gezeigt -über Jahrzehnte hinweg einen zutiefst störenden und trennenden Einfluß auf die britische Politik. Sie war ein zentraler Faktor bei der Zersplitterung der Labour Party im Jahr 1981 (als die Sozialdemokratische Partei, jetzt ein Teil der Liberaldemokraten, sich abspaltete), und in den letzten Jahren hat sie auch in der Konservativen Partei zu tiefer Uneinigkeit geführt. Was auch immer die unmittelbaren Auswirkungen der Wahlen sein mögen -es ist möglich, daß die europäische Dimension der britischen Politik zu Beginn des 21. Jahrhunderts sogar zu einer noch radikaleren Umwälzung führen könnte. Sollte Großbritannien bis dahin das Verhältniswahlrecht eingeführt haben, und führen die Fortschritte bei der EWU zur weiteren Zersplitterung in der Konservativen und der Labour-Partei, so ist es zumindest denkbar, daß Großbritannien nach den nächsten Wahlen im Jahr 2002 von einer Koalition aus proeuropäischen Parteien der Mitte (dem Blair-Flügel von Labour, dem Kenneth-Clarke-Flügel der Konservativen und den Liberaldemokraten) regiert werden könnte, indem die antieuropäischen Parteien links und rechts isoliert werden. Aber selbst wenn die Auswirkungen von „Europa“ auf die britische Politik weniger dramatisch sein sollten, als in diesem extremen Szenario beschrieben, so werden sie immer noch sehr wichtig und interessant zu beobachten sein.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Für einen informativen „insider“ -Bericht zu John Majors Verhandlungen in Maastricht vgl. Sarah Hogg/Jonathan Hill, Too Close To Call, London 1996, S. 138-162.

  2. Vgl. John W. Young, Britain and European Unity, 1945-1992, London 1993; Stephen George, An Awkward Partner. Britain in the European Community, Oxford 1994; Sean Greenwood, Britain and European Integration since the Second World War (Documents in Contemporary History), Manchester 1996.

  3. Vgl. Angelika Volle, Der mühsame Weg Großbritanniens zu Europa, in: Hans Kastendiek/Karl Rohe/Angelika Volle (Hrsg.), Länderbericht Großbritannien, Bonn 1994, S. 383-396. Vgl. auch Lord Beloff, Britain and European Union. Dialogue of the Deaf, London 1996; Philip Lynch, Großbritannien in der Europäischen Union -konstitutionelle Fragen, in: Integration. Vierteljahreszeitschrift des Instituts für Europäische Politik, (1997) 1, S. 13-23.

  4. Die Hauptakteure Thatcher, Howe und Lawson haben alle in ihren Memoiren über diese Ereignisse berichtet.

  5. Vgl. Roger Morgan, How Common will Foreign and Security Policies Be?, in: Renaud Dehousse (Hrsg.), Europe after Maastricht: An Ever Closer Union?, München 1994, S. 189-199, und ders., The Prospects for Europe’s Foreign and Security Policy, in: A. Clesse/R. Cooper/Y. Sakomoto (Hrsg.), The International System After the Collapse of the East-West Order, Dordrecht 1994, S. 413-423.

  6. Vgl. A. Volle (Anm. 3), S. 399.

  7. Vgl. Helen Wallace, L’approche britannique de la CIG de 1996, in: Politique Etrangre, (1996) 1, S. 45-59, und die Veröffentlichung der britischen Regierung: A Partnership of Nations: The British Approach to European Union Intergovernmental Conference 1996, London, März 1996.

  8. Malcolm Rifkind, Europa: Welcher Weg in die Zukunft? Rede in der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sankt Augustin am 19. Februar 1997 (Britische Botschaft, Bonn), S. 8, 13.

  9. Zu Details vgl. The Sunday Telegraph, The Observer, The Sunday Times, alle vom 8. Dezember 1996.

  10. Vgl. die Presseberichte von Januar bis März 1997.

  11. The Guardian vom 20. Februar 1997.

  12. Die hier angesprochenen Umfrageergebnisse sind alle in The European vom 5. bis 11. Dezember 1996 veröffentlicht worden.

  13. Ebenso wie die zahlreichen Anzeigen in der Presse siehe auch die Publikation der Referendum-Partei: Sleepwalking into the European Superstate, London, o. J. (1996).

  14. Europe 97: 97 Reasons for the UK to be in Europe, London, März 1997.

  15. Sir Colin Marshall und andere, UK must demonstrate its commitrnent to Europe, in: Financial Times vom 11. März 1997.

  16. William Wallace, Why Vote Liberal Democrat?, London 1997, S. 100.

Weitere Inhalte

Roger Morgan, Ph. D., geb. 1932; zur Zeit Gastprofessor am Seminar für Politische Wissenschaft der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität, Bonn; früher Professor am Europäischen Hochschulinstitut Florenz. Veröffentlichungen u. a.: The German Social Democrats and the First International, Cambridge 1965; (Hrsg. zus. mit Karl Kaiser) Strukturwandlungen der Außenpolitik in Großbritannien und der Bundesrepublik, München -Wien 1970; Washington und Bonn: Deutsch-amerikanische Beziehungen seit dem Zweiten Weltkrieg, München 1975 (engl. Ausgabe Oxford 1974); (Hrsg. zus. mit C. Bray) Partners and Rivals in Western Europe, London 1986.