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Auswirkungen von Medien auf die Entstehung von Gewalt im Kindes-und Jugendalter | APuZ 19-20/1997 | bpb.de

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APuZ 19-20/1997 Wer trägt die Verantwortung? Zur Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen Jugendliches Medienhandeln: Szenen, Stile, Kompetenzen Auswirkungen von Medien auf die Entstehung von Gewalt im Kindes-und Jugendalter Spiel -Unterhaltung -Sucht. Die Frage nach den Grenzüberschreitungen

Auswirkungen von Medien auf die Entstehung von Gewalt im Kindes-und Jugendalter

Franz Petermann

/ 12 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Medien beeinflussen uns in allen Bereichen des Alltags nachhaltig. Positive und negative Auswirkungen sind in gleicher Weise möglich. Bei Kindern hängen die Auswirkungen entscheidend vom sozialen Kontext -vor allem von der Familie -ab. Hierbei hat die Gewaltbereitschaft von Kindern und Jugendlichen viele Ursachen; Kinder mit Entwicklungsrisiken neigen zu extremen Mediengewohnheiten und gefährden sich damit noch mehr: Ihre Gewaltbereitschaft steigt an, aggressives Verhalten wird verstärkt. Kinder, die keine Entwicklungsrisiken aufweisen, werden durch den Medien-gebrauch nicht negativ beeinflußt. Die Ausführungen belegen die Folgen eines extremen Mediengebrauchs und zeigen spezifische Entwicklungsrisiken auf. Von besonderem Interesse ist dabei die Tatsache, daß Medien sozial vermittelt werden. So übernehmen erwachsene Familienmitglieder eine wichtige Vorbildfunktion, und zugleich sind sie auch Gesprächspartner für ihre Kinder, um ihnen auf diesem Weg zu helfen, bei Medieninhalten zwischen Wirklichkeit und Illusion zu unterscheiden. Langfristig lassen sich negative Einflüsse von Medien nur vermeiden, wenn Kinder in ihrer sozialen und emotionalen Entwicklung gefestigt sind. Kinder mit Entwicklungsrisiken benötigen deshalb eine systematische Förderung und eine verbesserte familiäre Unterstützung.

I. Nicht alle Kinder sind betroffen

Abbildung 1: Negative Medieneinflüsse Quelle: Eigene Darstellung.

In der Psychologie herrscht Übereinstimmung darüber, daß gefilmte Gewalt bei Kindern und Jugendlichen aggressives Verhalten fördern und verstärken kann; dies trifft jedoch nicht für jedes Kind und jedes Lebensalter zu. Am nachhaltigsten sind Jungen der Altersgruppe von acht bis zwölf Jahren betroffen. Kinder ohne Entwicklungsrisiken und mit guter familiärer Einbindung zeigen sogar einen Bumerangeffekt; d. h., Gewaltdarstellungen in Medien können bei dieser Altersgruppe die Friedfertigkeit sogar steigern. Das Phänomen ist einfach: In einer Filmszene wird ein Hund gequält oder ein Kind mißhandelt. Die meisten Menschen werden nach einem solchen Film „einen Hund mehr hätscheln“ oder „einem Kind liebevoller begegnen“ Nach Ekkehard Kleiter ist dieser Effekt besonders bei älteren Mädchen zu beobachten, die „aggressionsfrei“ erzogen wurden und ein hohes Maß an Selbstkontrolle entwickelt haben. Dementsprechend sind Jungen, die aggressiv erzogen sind, besonders leicht durch Mediengewalt negativ zu beeinflussen. Gewaltdarstellungen in Filmen und Videos sind dann besonders wirkungsvoll, wenn sie realitätsnah ausgeführt werden und als legitim erscheinen. Insgesamt hängt die Wirkung der Medien von dem Ausmaß ab, in dem das Kind fernsieht, und von seiner Einschätzung darüber, ob die Filminhalte realistisch sind. Diese Faktoren sind entscheidend dafür, ob sich Kinder mit ihren aggressiven Filmhelden identifizieren oder nicht. Wissenschaftliche Studien belegen sowohl länger-als auch kurzfristige Einflüsse des Fernsehens auf die Entwicklung aggressiven Verhaltens. Es liegen allerdings auch Studien vor, die darauf hinweisen, daß aggressive Medieninhalte nur in Kombination mit anderen Gewalterfahrungen, zum Beispiel mit elterlicher Mißhandlung, Aggression fördern Insgesamt muß von einem komplexen Zusammenhang zwischen aggressiven Medieninhalten und der Gewaltbereitschaft von Kindern ausgegangen werden. So scheinen diejenigen Kinder, die aggressive Neigungen aufweisen, auch Gewaltfilme zu bevorzugen, wodurch das Aggressionsniveau noch gesteigert wird.

II. Formen und Ursachen von Gewalt bei Kindern und Jugendlichen

Abbildung 2: Aggressive Medieninhalte regulieren Emotionen Quelle: Eigene Darstellung.

In den letzten Jahren scheinen sich die Formen aggressiven Verhaltens zu verändern. So ist die Bereitschaft geringer geworden, sich in die Lage des Opfers einer aggressiven Handlung zu versetzen. Vermutlich wird diese Entwicklung durch den generellen Verlust an direkten sozialen Erfahrungen verursacht. Dieser Tatbestand kann wiederum im Zusammenhang mit einem gesteigerten Medienkonsum gesehen werden. Zwar vermitteln Medien Erfahrungen wie Freude, Trauer und Schmerz, jedoch sind solche durch Filme gesammelten Erlebnisse viel weniger authentisch als direkte Alltagserfahrungen. Zudem werden emotionale Qualitäten wie Mitleid mit dem Opfer einer Gewalttat entweder gar nicht oder nur selektiv (z. B. aus der Perspektive des Helden) in Medien dargestellt.

Für die Sozialentwicklung eines Kindes treten durch einen übermäßigen Mediengebrauch vielfältige Risiken auf, die dann besonders einschneidend ausfallen, wenn primäre soziale Erfahrungen im familiären Bereich fehlen. Die Aggressionsneigung wird unter anderem durch folgende Bedingungen bei Kindern begünstigt -aggressive Vorbilder in Medien, die als besonders nachahmenswerte Idole aufgebaut werden;

-aggressionsauslösende Hinweise und Slogans, die in Filmen und Comics vermittelt werden;

-Anwesenheit von Personen, die als Hinweis für die Rechtfertigung von Aggression interpretiert werden (z. B. Außenseiter, abgelehnte Minderheiten);

die Bewertung solcher Personen erfolgt nicht aufgrund unmittelbarer Alltagserfahrungen, sondern auf der Basis von Medieninformationen;

-Vermittlung von Normen, die signalisieren, daß man für das gezeigte Verhalten nicht verantwortlich ist und anonym bleibt.

So vielfältig die Ursachen der Aggression im einzelnen auch sein mögen, so eindeutig sind die Folgen. Aggressives Verhalten schränkt die Entwicklung eines Kindes ein und führt zu einer Verringerung der Fähigkeit, Probleme konfliktfrei zu lösen.

Bei der Aggression handelt es sich um eine Verhaltensstörung, die am schwersten zu ändern ist. Fünf bis zehn Prozent aller Kinder und Jugendlichen sind davon betroffen Aggressives Verhalten und Gewaltbereitschaft tritt in den letzten Jahren bei Kindern immer früher auf und zeigt in solchen Fällen eine besonders ungünstige Prognose Das bedeutet, daß Aggression im Kindesalter Delinquenz bei Jugendlichen und Gewalt im Erwachsenenalter fördert. Die Betrachtung der Sozialentwicklung über längere Lebensabschnitte belegt immer wieder, wie stabil dieses Verhalten ist

III. Negative Medieneinflüsse

Der häufige Mediengebrauch und die Bevorzugung bestimmter Medieninhalte entwickelt sich bei Kindern allmählich. Haben Kinder darüber hinaus nur wenige andere Interessen, sind zudem familiäre Freizeitaktivitäten nicht vorhanden, dann verfestigt sich bereits im Vorschulalter eine Konsumhaltung. Sehr früh kann es in diesem Kontext zu einer „emotionalen Verknüpfung“ in der Form kommen, daß Kinder nur durch bestimmte Medienangebote „zur Ruhe“ kommen und sich entspannen können.

Gewaltbereitschaft geht mit einem übermäßigen Konsum und selektiv ausgewählten Inhalten (Horror-oder Kriegsfilme) einher. Im einzelnen lassen sich eine Vielzahl negativer Auswirkungen von Medien auflisten (vgl. auch Abbildung 1). Die folgenden sind auf jeden Fall belegbar: -Befriedigen Medien lediglich die Sensationslust ihrer Zuschauer, dann tritt immer schneller eine Sättigung ein und das Bedürfnis nach massiven Gewaltdarstellungen wächst. -Die Häufung von Gewaltdarstellungen läßt Kinder gegenüber solchen Angeboten abstumpfen, und es tritt ein Gewohnheitseffekt ein, der zur Folge hat, daß immer brutalere Medieninhalte gewünscht werden. -Gelingt es in Gesprächen nicht, das Kind auf Unterschiede zwischen Film und Realität aufmerksam zu machen, dann wird die Gewalt-bereitschaft erhöht, da ein Realitätsverlust natürliche Hemmschwellen abbaut. Ungünstige familiäre Bedingungen wie mangelnde Alltags-rituale, wenige soziale Regeln und die Bereitschaft zur Grenzsetzung durch die Eltern verfestigen aggressives Verhalten schnell. -Gut belegt sind Schlafprobleme, das heißt Ein-und Durchschlafschwierigkeiten, die sich aus der Vielzahl der auf das Kind einströmenden Reize ergeben. Die Fähigkeit, mit den -teilweise bedrohlichen -Reizen der Medienweltumzugehen, kann vielfach mit der Flut an Eindrücken nicht mitwachsen. -Die Reizvielfalt kann in der Schule zu Konzentrationsproblemen und zu Ängsten führen.

-Vielfach kommt es zur Einschränkung der Entwicklung des Kindes; zum Beispiel kann der Verlust an direkten sozialen Erfahrungen die Realitätswahrnehmung verzerren und das Erproben von Verhaltensalternativen im Umgang mit anderen erschweren. Das Ausmaß dieser Einschränkungen hängt natürlich auch von den bisher entwickelten Fähigkeiten und der Belastbarkeit des Kindes ab. Darin ist ein Grund dafür zu sehen, daß gleiche Medieninhalte sich unterschiedlich auf altersgleiche Kinder auswirken.

Manche Forscher halten es für möglich, daß die Auswirkungen der Mediengewalt sich auf die kindliche Psyche mit der Zunahme des Fernsehkonsums verstärken. In einer Übersicht über 23 Studien konnte belegt werden, daß die Mediengewalt Aggression gegenüber Fremden, Klassenkameraden und Freunden steigert Diese Ergebnisse können am ehesten als kurzfristige Medienwirkungen interpretiert werden, die sofort nach dem Sehen der entsprechenden Filme auftraten. Neben solchen vorübergehenden Zustandsänderungen, zu denen etwa die Zunahme negativer Stimmungen und des Erregungsniveaus gehören, sind aber auch längerfristige Prozesse -etwa im Sinne des Modellernens -denkbar. Im Bereich der emotionalen Verarbeitung von Medieninhalten liegen heute jedoch nur wenige Ergebnisse vor, die geeignet sind, diese unterschiedlichen Mechanismen aufzudecken

IV. Aggressive Medieninhalte regulieren Emotionen

Medien übernehmen verschiedene Funktionen in der Entwicklung eines Kindes. Sie befriedigen auch emotionale Bedürfnisse, doch die Befriedigung erfolgt in der Regel passiv: Der Wunsch nach Entspannung, das Bedürfnis nach Ablenkung und die Flucht aus einer bedrückenden Stimmung können durch einen einfachen Tastendruck befriedigt werden. Langeweile wird zumindest kurzfristig überspielt. Einige Studien belegen, daß negative Gefühle wie Angst oder Niedergeschlagenheit durch Aggression unterbrochen werden können Medien können durch die Vermittlung stellvertretender Erfahrungen diese Mechanismen besonders leicht auslösen. Dominante Gefühle, wie sie durch die Erregungs-und Anspannungsmomente des aggressiven Verhaltens gegeben sind, überlagern Langeweile, Ängste, Zweifel oder Niedergedrücktheit (vgl. Abbildung 2).

Medien werden also auch, sofern keine anderen Fähigkeiten zur Regulierung von Emotionen erworben wurden, zur Steuerung emotionaler Befindlichkeit eingesetzt. Aggressive Medieninhalte übernehmen dabei, da sie dominante Reaktionen herstellen können, eine besonders zentrale Rolle. Die von den Medien angebotene emotionale Stimmung kann Kinder abhängig machen, wobei durch die sich rasch einstellenden Sättigungseffekte eine „Dosissteigerung“ erforderlich ist. Auf jeden Fall können sich auf diesem Wege unmerklich Mediengewohnheiten verfestigen und produktivere Mechanismen der Emotionsregulation auf der Strecke bleiben (vgl. Abbildung 2).

Medieninhalte prägen unsere Träume und Phantasien; so können Gewaltdarstellungen die Phantasieentwicklung von Kindern prägen. Psychologengreifen zur Erklärung solcher Prozesse gerne auf sogenannte sozial-kognitive Informationsverarbeitungsmodelle zurück

Danach kann ein Kind bereits früh in seinem Leben aggressive „Skripte“ (ein „Skript“ ist eine Art Handlungsplan) erlangen, in denen es sein Verhalten in bestimmten Situationen steuert. Solche Skripte können bis ins Erwachsenenalter fortbestehen und durch Beobachtungs-und Lernprozesse aufrechterhalten werden. Wiederholungen erhöhen dabei die Wahrscheinlichkeit, daß das Skript später erinnert und angewandt wird; und eine Art solcher Wiederholungen könnte darin bestehen, über Fernsehdarstellungen zu phantasieren. Jungen zeigen sich um so aggressiver, je mehr sie über das Fernsehen phantasieren. Das widerspricht der sogenannten Katharsis-Theorie, derzufolge solche Phantasien eine „reinigende Wirkung“ haben und so Aggressionen abbauen können

V. Wovon hängt die Medien-wirkung ab?

Medienangebote und Mediennutzung sind zunächst einmal neutral zu bewerten. Medien liefern uns Informationen und helfen uns dabei, den Alltag zu bewältigen. Bestimmte Medienangebote beinhalten aber für bestimmte Benutzergruppen spezifische Risiken. Kinder und Jugendliche stellen im Regelfall immer eine Risikogruppe dar. So spielt bei ihnen -auch bezogen auf den Umgang mit Medienerfahrungen im Alltag-das bereits entwickelte Verhaltensrepertoire und vor allem die Art der sozialen Einbindung in die Familie eine Rolle. Die Medienwirkung hängt entscheidend vom familiären Rückhalt des Kindes oder des Jugendlichen ab; die Bedeutung liegt dabei auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Erwachsene Familienmitglieder -übernehmen für ihre Kinder eine wichtige Vorbildfunktion, was ihre Fähigkeiten zur Emotions-und Konfliktregulation und ihren Medien-konsum angeht;

-sind die wichtigsten Gesprächspartner der Kinder. Eltern helfen, vor allem Kindern im Vorschul-und Grundschulalter, in Gesprächen über Medieninhalte zwischen Wirklichkeit und Illusion zu unterscheiden. Sie bieten im Gespräch -und auch im Zuhören -Kindern die Chance, aggressive Filminhalte zu relativieren und versetzen sie in die Lage, sich davon zu distanzieren; -können auch durch ihre Teilnahme am Alltag ihrer Kinder eine aktive Gewaltprophylaxe betreiben; die mangelnde Informiertheit der Eltern über den Alltag ihrer Kinder fördert in der Regel sowohl generell die Gewaltbereitschaft der Kinder als auch deren unangemessenen Mediengebrauch

Neben diesen spezifischen Faktoren bestimmt auch das Freizeitverhalten und leider auch die soziale Situation der Familie das Ausmaß der Medienwirkung. Häufig ist soziale Perspektivlosigkeit (Arbeitslosigkeit, finanzielle Not) mit einem erhöhten Medienkonsum aller Familienmitglieder verbunden. Darüber hinaus spielt das Erziehungsverhalten der Eltern insgesamt eine Rolle, etwa ob sie sich in der Lage fühlen, Lob oder Verbote gegenüber ihren Kindern auszusprechen, soziale Regeln zu formulieren und sie auch einzufordern. Mangelnde Grenzsetzung im Umgang mit Medien und das Dulden von aggressiven Verhaltensweisen verstärken die Gewaltbereitschaft.

Vielfach wird dem Bedürfnis des Kindes nach sozialer Orientierung (d. h.der Vermittlung von Verhaltensnormen in der Erziehung) von Seiten der Eltern nicht entsprochen. Einige Gründe dafür sind -das Desinteresse der Eltern ihrem Kind gegenüber; -die Überforderung der Eltern durch berufliche Belastungen;

-die Hilflosigkeit und Ohnmacht der Eltern, da sie sich in der Erziehung allein gelassen fühlen und keine Unterstützung aus ihrem sozialen Umfeld vorhanden ist, und -die Angst der Eltern vor der Gewalttätigkeit ihrer jugendlichen Kinder

Eltern sind also in der Medien-und Sozialerziehung in besonderem Maße gefordert; vor allem, wenn es sich um Kinder und Jugendliche handelt, die durch andere psychosoziale Belastungen besonders gefährdet sind. Es handelt sich hierbei um Kinder und Jugendliche, die -bereits aggressiv oder hyperaktiv sind;

-sich nur unzureichend von Gleichaltrigen abgrenzen können, also sozial unsicher und leicht verführbar sind, oder nur schwer mit emotiona-len Spannungen (Wut, Verzweiflung und Niedergeschlagenheit) umgehen können.

An dieser Stelle lassen sich einige Ergebnisse der psychologischen Medienforschung wie folgt zusammenfassen: Grundsätzlich schließen Gewalt-darstellungen in Medien soziale Risiken -vor allem für Kinder und Jugendliche -ein. Medien können für Kinder und Jugendliche die Gewaltbereitschaft erhöhen. Einige Kinder und Jugendliche werden zur Imitation von Gewalt verführt Hierbei wird deutlich, daß diese negative Medienwirkung vor allem Risikokinder, Risikojugendliche und Risikofamilien betrifft. Nachdenkliche und einfühlsame Kinder und Jugendliche werden von Gewaltdarstellungen eher abgeschreckt, und so kann sogar prosoziales Verhalten gefördert werden

Die Risiken von gewaltverherrlichenden Medien-darstellungen faßte kürzlich mein Bamberger Kollege, Herbert Selg, wie folgt zusammen: „Wenn Mediengewalt Kindern ohne einen Kontext vorgesetzt wird, in dem die Gewalt sensibel reflektiert wird, hat dies den Charakter einer psychischen Kindesmißhandlung.“ Dieser Meinung möchte ich mich anschließen.

VI. Gewaltprophylaxe durch Medien-und Sozialerziehung

Medienerziehung fordert von Eltern Zeit; Zeit für eine überlegte altersangemessene Medienauswahl, Zeit für die Begleitung des Medienkonsums und die Gesprächsbereitschaft der Eltern im Rahmen der altersgemäßen Verarbeitung von Medieninhalten. Der langfristige Erfolg von Erziehungsmaßnahmen hängt vor allem davon ab, ob es gelingt, Alternativen zum Medienkonsum zu entwickeln. Dies bedeutet, daß jede Medienerziehung im weiteren Kontext der Sozialerziehung zu sehen ist. So muß man zum Beispiel Normvorstellungen über positive (kooperative) und negative (aggressive) Verhaltensweisen vermitteln. Eine Erziehung, die ein Kind bewegen soll, kritisch ein altersgemäßes und akzeptables Medienangebot auszuwählen, muß im familiären Kontext auch die Fähigkeit vermitteln, mit Verzicht umzugehen. Verzicht durch Selbstkontrolle darf dabei nicht nur als Selbsteinschränkung, sondern muß auch als Offenhalten anderer Optionen im Freizeitbereich betrachtet werden. Solche Optionen im Freizeitbereich hängen in erheblichem Umfang vom Freizeitverhalten der Familie und des Freundeskreises ab.

Bei Kindern und Jugendlichen, die durch einen einseitigen Medienkonsum eine bereits sehr eingeschränkte Wahrnehmung besitzen und deshalb häufig in aggressive Konflikte verwickelt sind, sollte ein präventives Sozialtraining erwogen werden. Eine solche Verhaltensförderung dient der Gewaltprävention. Kinder und Jugendliche lernen durch solche Vorgehensweisen -zum Beispiel in der Schule oder im Rahmen einer Therapie -mit Gewalt bzw. Aggression unverträgliches Verhalten kennen. Solche Verhaltensweisen, auch soziale Fertigkeiten genannt, wären zum Beispiel: -kooperatives und helfendes Verhalten;

-humorvolles Verhalten, mit dem man in Konfliktsituationen Distanz zum Geschehen schaffen kann;

-angemessenes Ablehnen bzw. angemessenes Selbstbehaupten; und -Einfühlungsvermögen, zum Beispiel die Fähigkeit, die Bedürfnisse anderer wahrzunehmen, mit Opfern Mitleid zu empfinden oder die Notwendigkeit einer Wiedergutmachung im Kontext einer Konfliktregelung zu erkennen.

Ein weit verbreitetes Förderprogramm, das solche Ziele verfolgt, wurde von uns unter dem Titel „Training mit aggressiven Kindern“ vorgelegt Dieses Förderprogramm schließt vielfältige Materialien ein, wie Wahrnehmungs-, Lern-und Rollenspiele; weiterhin werden Videofilme zum sozialen Lernen eingesetzt vor allem mit diesen Videomaterialien läßt sich gezielt und schnell Sozialverhalten aufbauen. Mit Sozialtrainings lassen sich jedoch nur langfristig Erfolge erzielen, wenn es gelingt, eine Problemsensibilisierung und aktive Mitarbeit auf Seiten der Eltern aufzubauen.

Für die Gewaltprävention ist die Mitarbeit der Eltern entscheidend, wobei die reine Anwesenheit der Eltern beim Fernsehen noch keine positiven Auswirkungen zeigt Erst entsprechende Bemerkungen und Kommentare der Erwachsenen zu einem Film können -zumindest bei älteren Kindern -einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Auch hier sind die Einflußmöglichkeiten von Eltern begrenzt. Abschließend soll über Ergebnisse einer psychologischen Studie berichtet werden, die aufzeigt, wie man Medieneinflüssen entgegenwirken kann. In dieser Studie wurden zwei Gruppen von Schulkindern über die Auswirkungen von Fernsehgewalt informiert, und es zeigte sich dabei, daß die Aufklärung über die Gefahren von Gewaltfilmen allein nicht ausreicht, um eine Verhaltensänderung zu bewirken. In beiden Gruppen wurde zunächst verdeutlicht, wie unrealistisch Gewaltdarstellungen in den Filmen sind. Anschließend nahmen sie an einer strukturierten Diskussion teil, in der aggressionsfreie Ansätze zur Konfliktlösung besprochen wurden. Während die eine Gruppe danach ein Video über die Gefahren des Fernsehens erarbeitete, drehten die Kinder der zweiten -der Kontrollgruppe -einen Film darüber, was sie im letzten Sommer unternommen hatten. Sechs Monate nach der Maßnahme waren die Aggressionswerte der ersten Gruppe bedeutend niedriger als die der Kontrollgruppe. Also: Nur die aktive Auseinandersetzung mit Gewalt in Medien bis hin zum Gestalten von Drehbüchern ermöglicht es Kindern und Jugendlichen, sich gegen Gewaltbotschaften in Medien zu immunisieren.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Herbert Selg, Gewalt in Medien -Möglichkeiten von Eltern zur Vermeidung negativer Auswirkungen, in: Kindheit und Entwicklung, 6 (1997), S. 77-81.

  2. Vgl. Ekkehard E Kleiter, Aggression und Gewalt in Filmen und aggressiv-gewalttätiges Verhalten von Schülern. Darstellung einer empirischen Pilotstudie, in: Empirische Pädagogik, (1990) 8, S. 3-57.

  3. Vgl. Franz Petermann/Petra Warschburger, Aggression, in: Franz Petermann (Hrsg.), Lehrbuch der Klinischen Kinderpsychologie, Göttingen 19962.

  4. Vgl Franz Petermann/Ulrike Petermann, Training mit aggressiven Kindern, Weinheim 19978.

  5. Vgl. Manfred Döpfner, Verhaltensstörungen im Vorschulalter, in: Kindheit und Entwicklung, 2 (1993), S. 177-190.

  6. Vgl. E Petermann/U. Petermann (Anm. 4).

  7. Vgl. F. Petermann/P. Warschburger (Anm. 3).

  8. Vgl. Walter Wood/Fred Y. Wong/John G. Chachere, Effects of media violence on viewer’s aggression in unconstrained social interaction, in: Psychological Bulletin, 109 (1991), S. 371-383.

  9. Vgl. ebd.

  10. Vgl. F. Petermann/P. Warschburger (Anm. 3); Petra Warschburger/Franz Petermann, Kinderverhaltenstherapie: Neue Trends am Beispiel aggressiver Störungen, in: Franz Petermann (Hrsg.), Kinderverhaltenstherapie, Baltmannsweiler 1997; Leon R. Huesmann/Larry D. Eron (Hrsg.), Television and the aggressive child: A cross-national comparison, Hillsdale 1986.

  11. Vgl. F. Petermann/U. Petermann (Anm. 4); Anmerkung der Redaktion: Siehe hierzu auch den Beitrag von Waldemar Vogelgesang in diesem Heft, insbesondere Kapitel III. 3.

  12. Vgl. P. Warschburger/E Petermann (Anm. 10).

  13. Vgl. ebd.

  14. Vgl. F. Petermann/P. Warschburger (Anm. 3); F. Petermann/U. Petermann (Anm. 4).

  15. Vgl. P. Warschburger/F. Petermann (Anm. 10).

  16. Vgl. H. Selg (Anm. 1).

  17. Vgl. E. E Kleiter (Anm. 2).

  18. H. Selg (Anm. 1), S. 80.

  19. F. Petermann/U. Petermann (Anm. 4).

  20. Vgl. Ulrike Petermann/Franz Petermann, Verhaltens-gestörte Kinder, Essen 19962 (Videofilm, ELVIKOM-Filmverlag).

  21. Vgl. ebd.

  22. Vgl. L. R. Huesmann/L. D. Eron (Hrsg.) (Anm. 10).

  23. Vgl. ebd.

  24. Vgl. H. Selg (Anm. 1).

Weitere Inhalte

Franz Petermann, Dr. phil., geb. 1953; Studium der Psychologie und Mathematik in Heidelberg; Habilitation im Fach Psychologie an der Universität Bonn 1980; seit 1991 Univ. -Prof. für Klinische Psychologie an der Universität Bremen; seit 1996 Direktor des dortigen Zentrums für Rehabilitationsforschung. Veröffentlichungen u. a.: Psychologie des Vertrauens, Göttingen 19963; Training mit Jugendlichen, Wein-heim 19965; Training mit sozial unsicheren Kindern, Weinheim 19966; (Hrsg.) Lehrbuch der Klinischen Kinderpsychologie, Göttingen 19962; Training mit aggressiven Kindern, Weinheim 19978; (Hrsg.) Asthma und Allergie, Göttingen 19972; (Hrsg.) Kinderverhaltenstherapie, Baltmannsweiler 1997.