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Moralische Kommunikation in Organisationen | APuZ 21/1997 | bpb.de

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APuZ 21/1997 „Globalisierung“ aus wirtschaftsethischer Sicht Individualisierung: Verfall der Moral? Zum ökonomischen Fundament aller Moral Moralische Kommunikation in Organisationen Was ist eigentlich Wirtschaftsethik? Eine systematische Einführung

Moralische Kommunikation in Organisationen

Tobias Gößling/Birger P. Priddat

/ 23 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Manager unterhalten sich auch deshalb mit Philosophen über Wirtschafts-und Unternehmensethik, weil sie in moralphilosophischen Fragen Beratungsbedarf haben. In diesem Zusammenhang spielen dann die Themen, die im allgemeinen von der wissenschaftlichen Gemeinde der Wirtschaftsethiker behandelt werden, und die sich mit Begründungs-und Verortungsproblemen beschäftigen, keine Rolle. Relevante Fragen sind die nach Möglichkeiten zur Umsetzung von Moral in Organisationen und nach einem möglichen moralischem Umbau der Managementstruktur. Diese Fragen werden von Wirtschaftsethikern nicht diskutiert, sondern in der Organisationsentwicklung und der Theorie und Praxis des organisationeilen Lernens. Darin liegt die Möglichkeit zu einem gemeinsamen Ansatz von Organisationssoziologen und Wirtschaftsethikern. Die Wirtschaftsethik bezieht Perspektiven der Zukunft der Arbeit, Formen zukünftiger Organisationen und zukünftiger Kommunikation nicht in ihre Überlegungen mit ein und ist somit bestenfalls inadäquat, schlimmstenfalls jedoch stellt sie damit eine moralische Rechtfertigung für Unternehmen dar, sich mit neuen Dingen nicht befassen zu müssen -man ist ja schon moralisch. In einem „breaking the sets“, dem Infragestellen bisheriger Organisationsformen, bisheriger Ansprüche einzelner Wissenschaftsgruppen -als alleinig kompetente Fachleute für konkrete Probleme -und des bisherigen Verständnisses von Moral liegen Optionen zur Lösung tatsächlicher wirtschaftsethischer Probleme.

Die wirtschaftsethische Literatur im deutschen Sprachraum besteht zum größeren Teil aus Fragen und Analysen der Begründung von Ethik im Unternehmenszusammenhang, anstatt die Leistungsfähigkeit von Wirtschaftsethik hervorzuheben In der amerikanischen Literatur zum Thema „business ethics“ (Wirtschaftsethik) wird ein pragmatischerer Ansatz gepflegt Im Managerdiskurs können moralische Probleme nicht auf die gleiche Weise wie im philosophischen Diskurs behandelt werden; moralische Probleme müssen in die Sprache der Organisationsentwicklung übersetzt werden, um relevant werden zu können.

Im folgenden wird erstens aufgezeigt, daß sich die Disziplin Wirtschaftsethik vielfach mit den falschen Fragen beschäftigt, und daß sie zweitens auf die richtigen Fragen keine Antworten zu geben vermag; diese Antworten finden sich aber oft drittens in anderen wissenschaftlichen Disziplinen wie z. B.der Organisationsentwicklung. Anschließend wird viertens dargestellt, warum und in welcher Form Moral in Unternehmen vorhanden ist. Fünftens schließen wir mit einer Einschätzung, wie Moral in der Wirtschaft und in Unternehmen verwirklicht werden sollte.

I. Gute Antworten auf die falschen Fragen

Wenn Philosophen mit Managern reden, tun sie das aus Erkenntnisinteresse: Sie wollen z. B. wissen, welche Motive, Werte oder Vermutungen über Handlungskonsequenzen handlungsleitend sind. Manager hingegen können mit berechtigter Hoffnung von einer Bereicherung ihrer Wahrnehmung durch eine wissenschaftliche Einschätzung ausgehen Aber eine Diskussion zwischen Philosophen und Managern kann noch weiter gehen, als nur der gegenseitigen Befriedigung von Erkenntnisinteresse zu dienen. Geht man davon aus, daß normative Moralphilosophie als Bestandteil der Praktischen Philosophie Handlungsanweisungen in moralischen Fragen geben kann und sollte, dann können sich Manager vom Gespräch mit Philosophen kompetente Hilfe im Hinblick auf moralische Probleme im Zusammenhang mit unternehmerischem Tätigsein erhoffen. Der Moral-philosoph wird als kompetenter Berater für wichtige Entscheidungen angesehen Wenn Manager mit Ethikern über moralische Probleme sprechen, spielen einige Fragen keine Rolle bzw. sind bereits implizit beantwortet: 1. „Soll ich überhaupt moralisch sein?“ Selbst wenn man annimmt, daß es in einem gewichtigen Sinn keine guten Gründe für moralisches Verhalten gibt, hat der Manager bereits den moralischen Diskurs eröffnet, wenn er Beratung beim Philosophen sucht: Er will moralisch sein. Ohne Gründe fragt ein Manager nicht; fragt er nach, hat er Bedarf. In praktischen Fragen gibt es erst einmal kein Begründungsproblem; das Begründungsproblem haben die Wissenschaftler, die vor anderen rechtfertigen müssen, daß die Behandlung moralischer Fragen wissenschaftlich legitim ist 2. „Lohnt es sich, moralisch zu sein?“ Den monetären Nutzen wird ein Manager nicht außer acht lassen, aber diese Frage stellt sich hier nicht rein monetär. Offenbar hat der Manager neben den ökonomischen Präferenzen auch noch moralische Präferenzen, die den ökono-mischen Präferenzen vorgelagert sind und die er befriedigen möchte. Daß sich deren Berücksichtigung lohnt, ahnt er. 3. „Wo ist Moral innerhalb des ökonomischen Systems zu verorten?“ Die Frage ist relevant, nur hat sie der Manager offenbar schon für sich beantwortet: Er will erfahren, was er für die Moral tun kann, deshalb ist die Moral bei ihm bzw.seinem Unternehmen verortet. Globale Zusammenhänge und systematische Verortungen interessieren dann nur noch sekundär

Es gibt eine Wissenschaftsgemeinde, die sich mit moralischen Problemen in der Wirtschaft beschäftigt: die Forschungsrichtung Wirtschaftsethik. Interessanterweise jedoch werden dort vordringlich die oben aufgeführten Fragen diskutiert. Es wird allerdings erstens nicht gewährleistet, daß die Diskussion von den richtigen Personen, nämlich den Entscheidungsträgern in der Wirtschaft, rezipiert wird, und zweitens wird nicht praktisch gearbeitet; die Fragen der Mitarbeiter von Organisationen bleiben unbeantwortet, denn es werden keine konkreten Maßnahmen angeboten, wie Moral in Unternehmen verwirklicht werden kann.

Die Konjunktur des Themas „Wirtschaftsethik“ in der Wissenschaft hat zwar Auswirkungen auf das Management, weil das Management Trends berücksichtigt und weil Unternehmensberater auf die Trends achten, auf die Manager ebenso achten. So werden Seminare zur Managementausbildung angeboten, die Managern den Eindruck vermitteln, daß sie mit ihrer Einschätzung von Entwicklungen richtig lagen, und schon diskutiert die Gesellschaft der Manager das Thema. Hier findet jedoch ein Paralleldiskurs statt, Wissenschaftler und Manager reden über dasselbe Thema, allerdings nicht in derselben Sprache und vor allem nicht miteinander Praktisch hat das Thema selten Bedeutung. Diese Einschätzung ist zweifach zu verstehen: Es gibt viele Manager und Unternehmer, die moralische Fragen aufwerfen und erörtern, und die „den Werten“ eine große Bedeutung zuschreiben. Aber diese persönliche -und von vielen Managern und Unternehmern geteilte -Auffassung schlägt sich z. B. in der Reorganisation der Entscheidungs-und Kommunikationsstrukturen ihres Unternehmen nicht nieder

Es geht Managern nicht primär um Fälle wie „Brent Spar“, auch wenn gerade dieser Skandal verdeutlicht hat, wie wichtig es sein kann, sich den moralisch motivierten Ansprüchen der Stakeholder (der von den Handlungen Betroffenen) zu stellen. Interessant war dieser Fall für die wissenschaftliche Diskussion, weil man daran die Gültigkeit der eigenen Theorien verdeutlichen konnte Es ist jedoch in Zweifel zu ziehen, ob die Diskussion um Brent Spar und andere spektakuläre Fälle konkreten Nutzen für unternehmens-ethische Fragestellungen -das heißt: ethische Fragestellungen von Managern und Unternehmern -bieten kann. Wenn das so ist, dann findet man die geeignete Diskussion zur Ethik in Unternehmen in der Literatur zur Organisationsentwicklung (OE) und zur „learning Organisation“ (Theorie des organisationellen Lernens), nicht in der der Wirtschaftsethik. Was im „Brent Spar“ -Fall als ethisches Problem aufgeworfen wurde, kann im Management auch als Problem der Öffentlichkeitsarbeit oder einer verbesserten Kommunikation zwischen Unternehmen und Öffentlichkeit behandelt werden -ohne weitere ethische Konnotationen. Diese Doppeldeutigkeit hat eine systematische Bedeutung: Es gibt immer Managementtheorien, die die scheinbar eindeutig ethischen Probleme auf einer anderen Ebene als Kommunikations-oder Verhandlungsprobleme sehr viel konkreter auffassen. Damit sind nicht die Tricks angesprochen, mit denen Public-Relations-Manager manchmal ihre Firma aus negativen Schlagzeilen „herausreden“ wollen, sondern Organisationsänderungen als Antwort auf die negative Öffentlichkeitswirkung: Produktumstellungen, Verbesserungen der Kundenbeziehungen etc.

Wir haben es in diesen Fällen mit einem Manager-handeln zu tun, das seine Handlungskonsequenzen ohne ethische Terminologie erreicht, aber ethisch reinterpretierbar ist. Es gibt durchaus ein Bewußtsein in den Organisationen, das Rechte und Angemessene zu tun, ohne das Pathos des Moralischen zu verwenden. Diese Form der nicht-ethischen Semantik ethisch beschreibbaren Handelns ist so häufig zu beobachten, daß wir folgende These aufstellen:

Es gibt mehr ethisch relevantes Handeln in den Unternehmen als Wirtschaftsethik. Die Überzeugungs-und Aufklärungsarbeit, die wirtschaftsethische Literatur häufig meint leisten zu müssen, erscheint als der Versuch, eigenständige moralische Entscheidungen erzeugen zu wollen, die als organisatorische, personalpolitische u. a. Entscheidungen längst in den Unternehmen getroffen werden. Die wirtschaftsethische Forschung begrenzt sich zu sehr auf die Erzeugung eines eigenen Forschungsbereiches moralischer Terminologie, anstatt eine Sprache moralischer Entscheidungen und Kommunikationssysteme zu entwickeln, die in der Lage ist, neben den als explizit moralisch ausweisbaren Fragestellungen, die tatsächlich stattfindenden Entscheidungen und Kommunikationen auf ihre moralische Qualität zu untersuchen. Die Wirtschaftsethik neigt dazu, innerhalb der Managementtheorien ein eigenes Problemfeld zu etablieren, ohne sich explizit zu vergewissern, welche anderen Konzeptionen in der Managementtheorie implizite ihre Fragestellungen längst behandeln.

Wir haben es in Organisationen häufig mit dem Fall moralischer Entscheidungen ohne ethische Begründungen zu tun. Wirtschaftsethik setzt an diesem Punkt ein: Sie bietet ein Kriterienraster, das die moralische Qualität von Unternehmens-entscheidungen prüfen läßt. Dazu muß geklärt werden, welche moralischen Kriterien für das Unternehmen gelten sollen.

Man kann natürlich allgemeine Werte und ethische Regeln an Unternehmen herantragen: ein solches Verfahren hat heuristisch-kritische Qualität. Da der praktische Wert solcher Verfahren erst dort beginnt, wo innerhalb des Managements die Valenz moralischer Kriterien so diskutiert wird, daß man ihre Geltung für wichtig erachtet, wird die kritische Qualität externer „moralischer Standarts“ nur fruchtbar, wenn das Management dadurch eine neue Orientierung erhält. Die aber bekommt es erst, wenn die moralischen Kriterien für die eigene Unternehmens-und Strategieentwicklung als bedeutsam erachtet werden. Moralische Dilemmata, die gelöst werden müssen, entstehen nur dort, wo es eine moralische Kommunikation gibt. Ohne die Einübung einer solchen Kommunikation werden moralische Dilemmata gar nicht als solche wahrgenommen, sondern als Konflikte in der Sprache beschrieben, die für die Organisationsentwicklung in Gebrauch ist. Wenn es Wirtschaftsethikern gelingt, Managern zu vermitteln, bestimmte Probleme in moralischen Termini zu analysieren, können zwei Effekte eintreten: 1. Der neu eingeführte moralische Diskurs erlaubt es, moralische Probleme zu identifizieren und zu lösen. 2. Der moralische Diskurs wirkt -als zusätzlicher Diskurs zu den anderen, weiterhin geführten Diskursen -komplikativ.

Man eröffnet eine weitere Problematisierungsund Lösungsebene, die in den anderen Diskursen nicht integriert ist. Ein solche Lösung fällt bald der allgemeinen Neigung zur Reduktion von Komplexität anheim (der intellektuellen Form des lean management).

II. Mangel an Antworten auf gute Fragen

Wir haben es also mit dem Faktum eines Diskurses zu Fragen der Wirtschafts-und Unternehmens-ethik zu tun, dem aber kaum eine praktische Umsetzung folgt. Auf Unternehmensseite ist der Grund dafür darin zu sehen, daß Managern (und Unternehmensberatern) das Faktum des Diskurses ausreicht, um für sich und für andere zu klären, daß sie eine moralische Seite haben. Solange es für den Diskurs in der Wirtschaft dazugehört, in moralischen Termini kommunizieren zu können, sind die Manager auf der Höhe der Zeit. Im Zentrum des wirtschaftsethischen Diskurses stehen normative Ansprüche an die Wirtschaft -und sei es nur der schwache und wenig konkrete Anspruch, ein moralisches Unternehmen zu sein. Solche Ansprüche führen erst einmal eine zusätzliche Restriktion ein, die die Kunst der Unternehmensführung der Entscheidungsträger erschwert, statt sie zu erleichtern. Die Transaktionskosten der Einführung und Realisation von Moral in Unternehmen bestehen nicht nur aus der zusätzlichen Komplexität, die durch die Moral in die Unternehmen kommt, sondern vor allem darin, daß die Manager die großen wirtschaftsethischen Ansätze nicht in konkrete Entscheidungen übersetzen können. Manager haben kein Training in diesen Dingen, da Unternehmens-ethik keine aus klar definierten Werkzeugen zusammengesetzte Managementphilosophie ist, sondern von der gesamten Organisation eine moralische Einstellung erfordert, die nicht leichtzu erwerben ist. Es reicht nicht aus, wenn einzelne Manager eine „moralische Einstellung“ z. B. auf einem Managementseminar erwerben. Diese muß auch von Vorstandskollegen geteilt und vor allem mit getragen und im Unternehmen vermittelt werden. Die Gründe für die Schwäche der Anwendung von Unternehmensethik sind systematischer Art. Die Frage der Einführung von Moral in Unternehmen ist keine Frage der Aufklärung über den Sinn und Zweck der Beachtung von Moral -sei es, weil die Kosten ihrer Nichtbeachtung zu berücksichtigen sind, sei es, weil man Moral als Investition in die Mitarbeiterzufriedenheit im Unternehmen bereits betrachtet -sondern immer verbunden mit der Frage nach der geltenden Moral und ihrer Kritik.

Es wäre unzweckmäßig, über die Einführung von Moral in Unternehmen so zu reden, als ob mit diesem Schritt erstmalig Moral in das Unternehmen eingeführt würde und demzufolge vorher moralisch neutrale oder unmoralische Zustände geherrscht hätten. Mit der Erörterung der Einführung von Moral in Unternehmen wird zwar erstmals formell darüber geredet, aber informell ist das Unternehmen bereits moralisch: In den Einstellungen und Haltungen des Managements ebenso wie der Mitarbeiter, der Betriebsräte, der Kunden etc. wird eine bestimmte Moral gepflegt, auch wenn im allgemeinen keine moralische Sprache benutzt wird. Aber es steht genügend Vokabular zur Verfügung, um seiner Empörung, der Einschätzung von „Ungerechtigkeiten“, falscher oder unmenschlicher Einstellungen usw. Ausdruck zu leihen. Die unternehmensinterne Kommunikation ist ein laufender moralischer Diskurs über die Werte, Qualitäten, Entscheidungen, Verfehlungen und Irrungen der Führung und der Mitarbeiter. Die Kritik der vorhandenen Moral durch den Diskurs der Unternehmensethik hat eine Dimension, die in den -zumeist normativen -Ansätzen zur Unternehmensethik nicht beachtet wird: Moralische Erwägungen in Unternehmen stellen oft die bisherige Organisationsform in Frage. Das heißt nicht, daß die OE die Frage der moralischen Entscheidung ersetzt, aber die OE-Prozesse reflektieren die Herstellung der Bedingungen der Veränderung der sowieso laufenden Kommunikationen. Nehmen wir eine gewöhnliche hierarchische Organisation. In solchen Organisationen könnte Moral nur „von oben“ eingeführt werden, und zwar durch Anordnung. Natürlich versuchen moralisch gesonnene Manager, die Mitarbeiter aufzuklären über die „moralische Sichtweise“, die von jetzt an gelten soll. Da aber die hierarchische Struktur gleich bleibt, können die Mitarbeiter die neue Moral nur als Anordnung interpretieren, die die gewohnten Aufgabenlösungen um das zusätzlich eingeführte moralische Kriterium kompliziert. Die „neue Moral“, die auf eine besondere Achtung der Menschen untereinander angelegt sein will, läuft auf eine besondere und zusätzliche Beachtung von Vorschriften hinaus. Die Moral wirkt erstens nicht moralisch (auch nicht im intendierten Sinne), und zweitens stört sie die -unverändert gebliebenen -Arbeits-und Leistungsbeziehungen. Man muß die Arbeit und Beziehungen im Unternehmen zusätzlich moralisch bewerten, ohne daß die Mitarbeiter eine eigenständige Form der Verantwortlichkeit bekämen. Die Moral wird als -zusätzliche -Regel empfunden, zu der man sich nur so verhalten kann, daß man nicht gegen sie verstößt. Damit wird das -in hierarchischen Organisationen sowieso ausgeprägte -Regelwerk erweitert, ohne Impulse zu geben für moralisch verantwortliches Handeln der Mitarbeiter. Eine solche Moral scheitert als Moral (womöglich nicht als Regel). Moral hat, bezüglich der Organisation, subversive Qualität. Sie fordert, um sie auch tatsächlich ausüben zu können, keine neue Regel in der Organisation, sondern Veränderungen der organisatorischen Matrix, die es den Mitarbeitern ermöglicht, als moralische Akteure auch tatsächlich handeln zu können. Die Einführung von Moral -aus welchen Gründen und Bedürfnissen auch immer -ist ohne Eingriff in die organisatorische Infrastruktur von Unternehmen nicht ohne weiteres denkbar. Man kann nicht Moral einführen und den Mitarbeitern zugleich die Entscheidungsspielräume verweigern, die sie für moralisches Handeln brauchen. Verfährt man so -und man tut es häufig -, bleibt die Moral auf diejenigen beschränkt, die sie einfordern. Ein Unternehmen, das eine neue Kundenorientierung einführt, die einen respektvolleren Umgang mit der Klientel bewirken soll, gibt ein Beispiel, das sie ihren eigenen Mitarbeitern nicht verweigern kann.

III. Fragen der Organisationsentwicklung

Die Fragen der OE werden vor allem aus sozialwissenschaftlicher Perspektive beantwortet, das heißt allerdings nicht, daß Moralphilosophen an dieser Debatte nicht teilnehmen könnten. Ebenso-wenig bedeutet es, daß die Debatte der OE der falsche Ort für wirtschaftsethische Fragestellungen sei. Die OE geht zum Teil von einem stark normativen Menschenbild aus, auf das der organisationelle Wandel aufbaut Aus dieser Sicht ist jedem Individuum Autonomie in seinem Leben zu gewährleisten. Arbeit nimmt in der modernen Gesellschaft einen erheblichen Teil des Lebens in Anspruch, so daß man konsequenterweise auch Autonomie in der Arbeit ermöglichen muß Das Argument, eine nichtautonome Arbeit ließe noch Möglichkeiten zu einem autonomen Leben, läßt sich mit der empirischen Beobachtung widerlegen, daß eine geringe Autonomie am Arbeitsplatz mit einer niedrigen Kompetenz zu autonomem Leben einhergeht Dieser normative Ansatz ist auch für Wirtschaftsethiker bedeutsam, denn erstens äußern sich wirtschaftsethische Probleme auch im Umgang der Mitglieder einer Organisation untereinander, zweitens kann kein Manager den Bereich seines moralischen Verhaltens thematisch eingrenzen („Ich verhalte mich zwar moralisch gegenüber externen Stakeholdern, nicht aber gegenüber meinen Mitarbeitern“) und drittens sind die Mitarbeiter in die Entscheidungen des Unternehmens in besonderer Weise involviert: Sie müssen im Zweifelsfall Entscheidungen umsetzen, von deren Auswirkungen sie möglicherweise selbst betroffen sind, die sie selbst jedoch nicht tragen.

Bei Betrachtung des Zeitpunktes, seit dem Wirtschafts-und Unternehmensethik in größerem Stil erörtert werden, zeigt sich, daß das erst dann der Fall war, als man in der Management-und Organisationstheorie bereits darüber nachdachte, weshalb die klassischen Organisationsformen unzureichend sind für die Bewegungen moderner Unternehmen in expansiven Märkten. Erst die Auflösung der hierarchischen Formen der Organisation konnte moralische Fragen neu in die Unternehmen hereintragen, da erst in diesen Prozessen die Kommunikations-und Entscheidungsstrukturen der Organisationen neu gestaltet wurden und damit die Verantwortlichkeiten.

Anstelle einer hierarchischen Verteilung von Anweisungen und Führungsäußerungen entstanden Organisationsformen, die stärker als bisher die Selbstverantwortung der operativen Ebenen ins Spiel brachten. Mit der Erhöhung der Entscheidungsverantwortung in den unteren Ebenen der Organisation entstanden -zusammen mit der erhöhten Transparenz -zum einen erhöhter Kommunikationsbedarf (Kommunikation mit Kollegen-Experten über die Lösungen von Problemen), zum anderen neue Anforderungen an die Führungs-und Kommunikationsstile, die ihre zusammenfassende Beschreibung darin finden, daß man von Mitarbeitern als „Intrapreneurs" (Unternehmer im Unternehmen) redet Damit ist nicht fälschlicherweise behauptet, daß sie unternehmens-interne Unternehmer würden, sondern daß von ihrer Arbeit eine unternehmerische Qualität erwartet wird. Ein solche Qualität wird von Mitarbeitern immer dann erwartet, wenn die Organisationen neu formuliert werden: als überraschungsverarbeitungsfähige Organisationen, die die Irritationen, die die Märkte auf sie ausüben, intern so weitergeben, daß sie Irritation als innovative Aufgaben der Mitarbeiter erwarten müssen

Dieser Zustandsbericht von der Organisationsund OE-Debatte hat die Unternehmensethik noch nicht erreicht. In der unternehmensethischen Variante z. B.der „corporate identity“ (erkennbare, einheitliche Identität von Organisationen)

werden ältere Vorstellungen der Identität von Mitarbeitern und Unternehmen reformuliert, die der Vorgeschichte moderner Organisationen entstammen und den Anspruch haben, die bisher vernachlässigten Bereiche wie „Unternehmenskultur“, „shared values" (gemeinsame Werthaltungen) etc. jetzt in das Organisationskonzept einzubeziehen, und zwar so, daß man auch hier vor Überraschungen sicher ist. In diesen Fällen wird die Unternehmensethik als Organisationsillusion eingeführt, d. h. als die Illusion, alles organisieren zu können (und vor allem: alles organisieren zu sollen). Die Erwartungen, die an diese Konzepte von identitätsstiftender Unternehmensphilosophie herangetragen werden, werden durchaus enttäuscht, da unter der Hand die Flexibilisierung der Organisationen weiterläuft, tatsächlich aber Zustandfestlegungen konstruiert werden, die der eigenen Unternehmenswirklichkeit nicht mehr gerecht werden. Unsere These lautet: Nicht die Unternehmensethik, sondern die moderne Organisationstheorie und -praxis realisieren die moralischen Standards moderner Organisationen. Wir sollten genauer von moralischer Infrastruktur reden: OE eröffnet die Bühne, auf der moralische Kommunikationen und Entscheidungen in einem relevanten Sinne gespielt werden können. „Relevant“ heißt hierbei nichts anderes, als daß Moral nicht als einseitige Haltung von Vorständen und Geschäftsleitungen in Unternehmen eingeführt werden kann, sondern erst dann die der Moral eigentümliche Anerkennung erfährt, wenn die Adressaten der Moral zu moralisch Handelnden werden. Wir finden in der amerikanischen Literatur zur „lernenden Organisation" mehr praktikable Unternehmensmoral, also handfeste Werkzeuge zur Bestimmung und Beeinflussung der Moral einer Organisation, als in den Theorien, die behaupten, sie wären dafür zuständig Da Organisationstheorien expressis verbis keine Theorien der Unternehmensmoral sind, sind ihre moralischen Qualitäten herauszustellen.

Doch auch darum geht es hier nur sekundär. Festzustellen ist vielmehr, daß die unternehmensethischen Theorien nicht dem Niveau der organisatorischen Praxis und Theorie entsprechen, d. h., sie verfehlen die moderne Dynamik einer in Unordnung geratenen Unternehmenswelt, indem sie deren Ordnung -nunmehr mit moralischen Mitteln -wiederherstellen wollen. Das Problem der modernen Theorien zur Unternehmensmoral ist schließlich ihre dem Stand der Unternehmensentwicklung unangepaßte Vorstellung von Regeln, Ordnung und Maximen.

Wirtschafts-und Unternehmensethik wird dann ein konservativer Diskurs derjenigen werden, die immer schon gewußt haben, daß organisatorische Modernisierung nicht notwendig ist. In konkreten Fällen haben wir es zu oft mit legitimatorischen Diskursen zu tun, die das Handeln von Managern moralisch absegnen sollen oder Legitimation schaffen für Entlassungen etc. Anscheinend reicht das Argument, es sei wirtschaftlich notwendig, nicht mehr aus und muß um moralische Argumente erweitert werden.

Wenn die moderne Unternehmensethik in bedeutsamen Teilen aber nicht in den heute vorgetragenen Unternehmensethiken zu lesen ist, sondern in den avancierten Organisationskonzeptionen, dann ist das kritische Potential von Unternehmensethik offenzulegen: Es ist die Kritik der bisherigen Organisationsformen und damit auch der Manager und Unternehmen, die diese Organisationsformen tragen und verkörpern.

Wir vermuten, daß die Erörterung von Moral für Unternehmen für viele Manager ein Ausdruck ihrer Hilflosigkeit ist, Organisationen als Gegenstand von Innovationen zu betrachten. Da sie andererseits aber sehen -sonst wären sie keine Manager -, daß sich die Beziehungen ändern, suchen sie nach einem bindenden Glied, das ihnen die Alternative der Innovation ihrer Organisation und ihrer selbst erspart. Der moralische Diskurs ist einer dieser Rettungswege.

IV. Moralisches Entscheiden

Moralische Entscheidungen werden von Fall zu Fall getroffen. Nur bei extrem moralischen Charakteren gehen wir davon aus, daß sie jede ihrer Entscheidungen aus der moralischen Perspektive betrachten und gegebenenfalls korrigieren. Im Normalfall werden Entscheidungen nur dann unter moralischen Kriterien betrachtet, wenn man annimmt, daß sie moralisch vermittelt werden. Es ergibt für Manager keinen Sinn, moralische Betrachtungen über die Entscheidung anzustellen, den Markt für Lötkolben auszuweiten, wenn Lötkolben kein moralisches Prädikat zugeordnet wird. Wenn wir allerdings die organisatorischen Änderungen zur Basis unserer Überlegungen machen, ändert sich die Anforderung an die Unternehmensmoral: Sie besteht dann darin, die Mitarbeiter zu ermutigen, selbständige Personen zu werden, unter der Bedingung, daß Manager gleichzeitig in die Lage versetzt werden, die Selbständigkeit ihrer Mitarbeiter zu verkraften und zur Voraussetzung ihres neuen Führungsstils zu machen. Die Redeweise von der Unternehmenskultur kann in einer Organisation autonom arbeitender Mitglieder nicht darin bestehen, einen gemeinsamen Kodex zu haben, sondern die Kommunikation der verschiedenen, und als verschieden gewollten Kodizes zu fördern. Unternehmenskultur ist eine geförderte Auseinandersetzung um die verschiedenen Einstellungen, Einschätzungen etc., die den Mitarbeitern ermöglichen, auf die verschiedenen Marktereignisse verschieden, d. h. situationsadäquat, zu reagieren bzw. sie zu antizipieren. Das gelingt aber nur, wenn die organisatorische Infrastruktur diese moralische Kommunikation zuläßt, d. h. als integralen Bestandteil der Organisationsstruktur begreift und nicht als deren Störung. Ähnlich wie Moral in der Gesellschaft vorhanden ist, existiert sie auch in Unternehmen: multipel und plural. Nur dann, wenn Unternehmer in einem gewichtigen Sinne moralische Menschen sind, werden sie auch moralisch sein, wenn sie als Unternehmer handeln und entscheiden; dasselbe gilt für Arbeiter, Angestellte, Betriebsräte etc. Doch wenn Unternehmer als Unternehmer moralisch handeln, ergeben sich häufig Konflikte mit anderen Interessen, wenn es also um Umsätze und Renditen geht (mit all den Implikationen: Kosten-reduktion, Entlassung etc.). Der Kontext bestimmt die jeweilige Moral. Wirtschafts-und Unternehmensethik analysieren diesen konfliktreichen Handlungsbereich in zweierlei Hinsicht, und zwar erstens im Hinblick darauf, wie man den Kontext so gestalten kann, daß moralisches Verhalten ermöglicht wird, und zweitens im Hinblick darauf, wie man mit Rücksicht auf die Eigengesetzlichkeit des Wirtschaftssystems dennoch moralisch handeln kann

Wir hatten oben bereits betont, daß es für Wirtschaftsethiker keinen Sinn ergibt, darüber nachzudenken, ob wir Moral brauchen, da dies eine Grundsatzfrage ist. Für Manager stellt sich die Frage, ob wir Moral in der Wirtschaft und besonders in den jeweiligen Unternehmen brauchen, nicht mehr. Denn überall dort, wo in Unternehmen Moral vorhanden ist, wird das gesamte Verhalten des Unternehmens -gleichgültig ob es moralisch oder nicht moralisch intendiert ist -moralisch bewertet. Wenn z. B. die Arbeiter empfinden, daß ihre Entlohnung ungerecht ist, wird jede Antwort, die diese Ungerechtigkeit nicht aufhebt, eine Bestärkung des moralischen Ungerechtigkeitsempfindens sein.

Weil alle Mitglieder einer Organisation als Mitglieder der Gesellschaft, in der sie leben, moralisch affizierte Personen sind, werden sie auch moralische Haltungen, die sie anderswo ins Spiel bringen, ebenso ins Unternehmen tragen. Unternehmen stellen keine eigene, isolierte Gesellschaft dar, sondern sind ein sich verändernder Teil derselben; sie sind kulturell eingebettet. Wenn man -ökonomisch pur -nur die unmittelbar ökonomischen Handlungen berücksichtigen will, ist die kulturelle Kommunikation natürlich irrelevant. Doch heißt das nicht, daß man sie nicht rechnen muß. Eine ökonomische Theorie des Unternehmens, die normativ nur die Kommunikation und die Entscheidungen analysiert, die als eindeutig ökonomische Kommunikation bzw. Entscheidungen zu identifizieren sind, analysiert faktisch einen Teil der Kommunikation und der Entscheidungen nicht, die in Unternehmen vorkommen. Da dieser Teil aber dennoch existiert, gehört er in die Kosten-und Leistungsrechnung hinein -gleichgültig, ob man ihn als Ökonom wahrnimmt oder nicht. Moralische Kommunikation, die in Unternehmen stattfindet, weil ihre Mitglieder teilmoralische Menschen sind, erzeugt Kosten, die man vielleicht normativ nicht berücksichtigen möchte, die aber gerechnet werden müssen. Man kann die faktisch stattfindende moralische Kommunikation ignorieren, hat aber die Konsequenzen dieser Ignoranz einzurechnen (Demotivation, Leistungsabfall, höhere Fluktuationen etc.).

In diesem Sinne ist die Frage, ob man Moral im Unternehmen überhaupt braucht, durch das Faktum moralischer Diskussionen beantwortet. Unternehmen müssen Moral selbst dann einrechnen, wenn sie sie für unnütz halten, weil ihre ökonomischen Antworten auf die moralischen Diskurse moralisch bewertet werden und dementsprechende innerorganisatorische Konsequenzen nach sich ziehen. Natürlich kann man die faktischen moralischen Diskurse ignorieren. Aber in diesen werden die ignorierenden Entscheidungen der Manager weiterhin moralisch bewertet. Es ist eine strategische Entscheidung, diese vorhandenen Diskurse wahrzunehmen. Die Kosten der Ignoranz lassen sich nicht vermeiden. Moralische Kommunikation ist unvermeidbar: Sowohl die moralische Kommunikation wie ihre -hierarchiedurchgesetzte -Vermeidung erzeugt Transaktionskosten der Moral, die besser zu regulieren sind, wenn die moralische Kommunikation offen geführt wird.

Wird aber die moralische Kommunikation, die durch die moralischen Mitarbeiter (und Manager) ins Unternehmen hineingetragen wird, offen geführt, muß man Konsequenzen in Rechnung stellen, wenn man den Diskurs von Unternehmensseite nur halbherzig und taktisch führt oder wieder abbricht. Denn in dem Moment, in dem ein Unternehmen mit seinen Mitarbeitern, Kunden etc. in den moralischen Diskurs eintritt, wird es an der Moral gemessen, die es einführt. Wir haben es mit einem „commitment“, einer Selbstbindung also, zu tun, einem „point ofno return“, der denjenigen, der das Angebot tätigt, moralisch zu kommunizieren, dann unglaubwürdig werden läßt, wenn er es nicht selber aufrechterhält und befolgt

V. Konsequenzen

Es ist eine eigentümliche Konsequenz, daß die moralische Kommunikation Folgen hat. Man muß Manager davor warnen, Moral in die Unternehmen zu bringen, wenn sie die Folgen, daß sie fortan daran gemessen werden, ob und wie sie Moral realisieren, nicht berücksichtigen. Moralische Kommunikation fordert, Gründe für das Handeln offenzulegen. Gründe für Entscheidungen in Unternehmen zu vermitteln ist ungewöhnlich. Aber erst dann, wenn Gründe dargelegt werden, gibt es eine Chance, aber noch nicht die Notwendigkeit, für eine „corporate identity“. Auch davor ist zu warnen: Wenn „corporate identity“ darin besteht, eine Unternehmensphilosophie gefunden zu haben, die alle neu orientiert, bleibt die Frage der Neuorientierung des Unternehmens in dynamischen Märkten unbeantwortet. Anstelle der „corporate identity“, die immer das Element des Zwangs enthält, ist eine Form von „corporate integrity“ (eine aufrichtige Integrität aller Mitglieder einer Organisation) zu entwickeln, die im Sinne einer lernenden Organisation in der Lage ist, eine Unternehmenskommunikation zu entfalten, die immer wieder (auch die neuen) Gründe für Entscheidungen so vermittelt, daß die Chance besteht, daß die getroffene Entscheidung deshalb von allen Mitgliedern der Organisation getragen und verantwortet wird, weil jeder am Entscheidungsprozeß beteiligt ist. Dabei sollen nicht -im Sinne einer „corporate identity“ -gemeinsame Einstellungen gewonnen werden, denn der Widerspruch innerhalb der Organisation ist ein wichtiges Element bei der Entscheidungsfindung. Dieser Widerspruch muß wahrgenommen und in den Entscheidungsfindungsprozeß mit aufgenommen werden. Es geht schließlich nicht allein darum, Moral in Unternehmen zu bringen, sondern vor allem darum, moralische wie andere Fragen im Unternehmen angemessen erörtern zu können. Nur mit der Kompetenz der Mitarbeiter läßt sich eine „corporate integrity“ ausbilden, die den Mitarbeitern (und Mit-Managern) die Anerkennung zukommen läßt, die in den wirtschaftsethischen Ansätzen ohne organisationstheoretische Reflexion angestrebt wird. Wir halten das für eine der großen Schwächen der wirtschafts-und unternehmensethischen Debatten, in denen versucht wird, Moral in Unternehmen zu bringen, ohne sich der organisatorischen Infrastruktur bewußt zu sein, die moralische Kommunikation effektiv macht.

Ethik fragt nach Gründen: „Warum handelst Du so?“ Die Frage ist hierarchiekritisch. Die Antwort kann nicht darin bestehen, eine moralische Entscheidung zu treffen, sondern sie muß organisatorisch wirksam werden, in der Form, daß Mitarbeiter sich selbst als Teil der moralischen Gesellschaft innerhalb des Unternehmens verstehen können. Wenn wir also Moral in Unternehmen einführen, gilt es, Entscheidungs-und Kommunikationsstrukturen zu entwerfen und zu etablieren, innerhalb derer Mitarbeiter auch tatsächlich verantwortlich handeln können

Wenn wir Fragen der Gerechtigkeit, Fairneß, Anerkennung etc. in Unternehmen lösen wollen -all die qualitativen Faktoren, die in modernen Unternehmen so bedeutsam werden -, dann müssen wir fragen, welche Form ein Unternehmen haben muß, um diese Fragen intern zur Klärung zu bringen. Die Frage der Moral in Unternehmen ist von der Frage der Form der Unternehmen, ihrer Entscheidungs-und Kommunikationsstrukturen nicht mehr zu trennen.

Es gibt noch weitere Konsequenzen. Wirtschaftsethik kann das Problem der „moralischen Entscheidung“ nicht mehr als individuelles Problem der Entscheidung plus Moral betrachten. So bleibt es ein reines Managerproblem. Damit ist nichts dagegen gesagt, daß es viele moralische Probleme in Unternehmen gibt, die durch moralische Entscheidung gelöst werden sollten. Doch bleiben die Mitarbeiter hierbei Adressaten einer von „oben exekutierten Moral“. Die moralische Qualität der Entscheidung soll bei den Mitarbeitern als moralische Qualität der Entscheidung ankommen und somit „moral commitment“, ein Bekenntnis zu moralischem Handeln, schaffen. Man denkt dabei so: Es reicht aus, wenn Manager Entscheidungen moralisch bewerten und durchführen. Damit sind Mitarbeiter wie externe Betroffene ausreichend moralisch bedient, weil ihren moralischen Empfindungen Rechnung getragen wird.

Solche Verfahren sind legitim, aber nicht ausreichend. Wenn man moralische Entscheidungen trifft und sie als solche bezeichnet, muß man im Management gewahr sein, daß man fortan danach beurteilt wird, wie man sie einhält und fort-schreibt. Moral wird moralisch vermittelt. Man kann sie nur einführen, wenn man sich auch an sie bindet.

Unser Hinweis besteht darin, das commitment auf den moralischen Diskurs im Unternehmen zu erweitern, weil nur dadurch die moralischen Lösungen in der Form einer „corporate integrity“ in das Unternehmen tatsächlich Eingang finden können. Dann wird die Moral nicht nur „vorgeführt“, sondern lebendiger Bestandteil der Unternehmung. Es geht nicht -um Mißverständnissen vorzubeugen -um eine Moralisierung der Organisationskultur, sondern um eine Ebene der unternehmensinternen und -externen Kommunikation, die die moralischen Fragen erstens allgemein erörtern und klären läßt und die zweitens durch dieseMöglichkeit die Anerkennung und Respektierung des Wissens, der Kompetenz und der Urteilsfähigkeit der Mitarbeiter etabliert. Dieses organisatorische Faktum ist die wichtigste moralische Entscheidung: Sie eröffnet einen Anerkennungsraum im Unternehmen, in dem sich viele moralische Entscheidungen von selbst erledigen, weil die Mitarbeiter untereinander und mit den Kunden auf eine neue Weise umzugehen lernen, die das Management nicht vor die Notwendigkeit stellt, Fehler seiner Organisationsstruktur durch gesonderte moralische Entscheidungen zu kompensieren.

Moralische Probleme weisen auf ausgebliebene organisatorische Entwicklungen hin. Finden diese statt, haben wir es oft mit strukturellen Lösungen von Problemen zu tun, die sonst von Managern als einsame moralische Entscheidung getätigt werden müssen. Moderne Organisationsentwicklung und Moral in Unternehmen sind positiv korreliert.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Karl Homann/Franz Blome-Drees, Wirtschafts-und Unternehmensethik, Göttingen 1992; Horst Steinmann/Albert Löhr, Unternehmensethik, Stuttgart 1989; Forum für Philosophie Bad Homburg (Hrsg.), Markt und Moral, Bern u. a. 1994.

  2. Vgl. Mark Pastin, Lessons from High-Profit, High-Ethics Companies, in: W. Michael Hoffmann/Jennifer Mills Moore (Hrsg.), Business Ethics, New York u. a. 1990, S. 64 ff.

  3. Vgl. Karl R. Lohmann, Vom Versuch angewandter Philosophie: Warum sich Philosophen mit Managern unterhalten, in: ders. /Thomas Schmidt (Hrsg.), Werte und Entscheidungen im Management, Marburg 1996, S. 19-27, hier S. 26 f., sowie die Studie von Peter Ulrich/Ulrich Thielemann, Wie denken Manager über Markt und Moral?, St. Gallen 1992.

  4. Wir folgen der Argumentation von Andreas Fllesdal, Philosophers and Consultants, in: Heidi van Weltzien Hivik/Andreas Fpllesdal (Hrsg.), Ethics and Consultancy: European perspectives, Dordrechet u. a. 1995, S. 253-260, hier S. 254.

  5. Hier stimmen wir überein mit Josef Wieland, Institutionalisierung von Moral in der Unternehmung, in: Hans G. Nutzinger (Hrsg.), Wirtschaftsethische Perspektiven II, Berlin 1994, S. 11-35, hier S. 29. Dies ist jedoch kein charakteristisches Merkmal der Wirtschaftsethik. Auch ein Medizin-Ethiker stellt sich nicht die Frage, ob Ethik in der Medizin sinnvoll sei, er beschäftigt sich schlicht mit der Umsetzbarkeit ethischer Ansprüche in medizinischer Forschung und Praxis.

  6. Karl Homann und seine Mitarbeiter verorten die Moral systematisch in die institutionellen Rahmenbedingungen der Wirtschaft, vgl. z. B. K. Homann/F. Blome-Drees (Anm. 1), S. 35.

  7. Den Begriff des Paralleldiskurses hat Karl Homann geprägt: Ethik und Ökonomik sollen in einen Paralleldiskurs treten. Problematisch an Parallelen in diesem Zusammenhang ist, daß sie sich im Hier und Jetzt nicht berühren. Vgl. Karl Homann, Ethik und Ökonomik, in: ders. (Hrsg.), Wirtschaftsethische Perspektiven I, Berlin 1994, S. 9-30, hier S. 15.

  8. Vgl. Birger P. Priddat, Statt einer Einleitung, in: K. R. Lohmann/T. Schmidt (Hrsg.) (Anm. 3), S. 17 f„ sowie Karl R. Lohmann, Zur Integration von Werten in Entscheidungen -Entscheidungsorientierung und eine liberale Theorie der Werte, in: ebd., S. 137-194, hier S. 186-190.

  9. Bezeichnenderweise sind die interessantesten Fälle in der deutschen wirtschafts-und unternehmensethischen Diskussion gerade die Problemfälle mit der Einsicht: Das hätte man eigentlich so machen sollen. Es fehlt an positiven Beispielen. Zum Vergleich der unterschiedlichen Konzepte der Wirtschaftsethik vgl. z. B. das „Brent Spar“ -Beispiel von Margit Osterloh/Regine Tiemann, Konzepte der Wirtschaftsund Unternehmensethik, in: Die Unternehmung, (1995) 5, S. 321-337; Birger P. Priddat, Moralischer Konsum. Über das Verhältnis von Rationalität, Präferenzen und Personen, in: Karl R. Lohmann/Birger P. Priddat (Hrsg.), Ökonomie und Moral. Beiträge zur Theorie ökonomischer Rationalität, München 1997, S. 175-193.

  10. Vgl. Mark Richter, Organisationsentwicklung, Bern u. a. 1994, S. 21. Die systemtheoretische Organisationsentwicklung ist jedoch nicht normativ, vgl. Hans Wehrmann, System-und evolutionstheoretische Betrachtung der Organisationsentwicklung, Frankfurt am Main 1995.

  11. Vgl. Birger P. Priddat, Uns geht nicht die Arbeit aus, aber der Arbeiter, in: Arbeits-Welten, (1996) 1, S. 11-25.

  12. Zu dieser Argumentation und den angeführten Daten vgl. Adina Schwartz, Sinnvolle Arbeit, in: Axel Honneth, Pathologien des Sozialen, Frankfurt am Main 1994. S. 140-159.

  13. Vgl. Gifford Pinchot/Elisabeth Pinchot, The Intelligent Organization. Engaging the Talent and Initiative of Everyone in the Workplace, San Francisco 1996.

  14. Vgl. Dirk Baecker, Postheroisches Management. Ein Vademecum, Berlin 1994.

  15. Vgl. Peter M. Senge, Die fünfte Disziplin. Kunst und Praxis der lernenden Organisation, Stuttgart 1996; ders. u. a., Das Fieldbook zur Fünften Disziplin, Stuttgart 1996; Sarita Chawla/John Renesch (Hrsg.), Learning Organizations. Developing Cultures for Tomorrow’s Workplace, Portland 1995; Marvin T. Brown, Der ethische Prozeß, München-Mering 1996.

  16. Wir sehen hierin eine sinnvolle Differenzierung zwischen Wirtschaftsethik auf der einen Seite und Unternehmensethik auf der anderen Seite, wohl wissend, daß der Gebrauch dieser Unterscheidung divergiert.

  17. So wie Odysseus sich an den Mast binden ließ, um sich zu einem bestimmten Verhalten zu verpflichten, und seinen Mitreisenden befohlen hat, ihn nicht zu lösen, binden sich Manager an ihr Wort, moralisch zu kommunizieren mit ihren Mitarbeitern. Vgl. zum „commitment“ Jon Elster, Ulysses and tbe Sirenes, Cambridge 1979, S. 65.

  18. Vgl. Tobias Gößling, Arbeitsgesundheit als moralisches und ökonomisches Ziel, in: Arbeits-Welten, 1 (1996), S. 173188, hier S. 186 ff.

Weitere Inhalte

Tobias Gößling, Dipl. -Wirtsch. -Ing., geb. 1970; Studium des Wirtschaftsingenieurwesens (Maschinenbau) und der Philosophie in Darmstadt, Industriewirtschaft und Philosophie in Grenoble; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Volkswirtschaft und Philosophie der Universität Witten/Herdecke. Veröffentlichungen u. a.: Entscheidung in Modellen, Egelsbach 1996; Kulturelle Evolution von Regeln, Wuppertal 1996. Birger P. Priddat, Dr. rer. pol., geb. 1950; Studium der Volkswirtschaft in Hamburg; Lehrstuhlinhaber für Volkswirtschaft und Philosophie der Universität Witten/Herdecke. Veröffentlichungen u. a.: Hegel als Ökonom, Berlin 1990; Ökonomische Knappheit und moralischer Überschuß. Zum Verhältnis von Ökonomie und Ethik, Hamburg 1994; Die andere Ökonomie. Über G. v. Schmöllers Versuch einer „ethisch-historischen“ Ökonomie im 19. Jahrhundert, Marburg 1995; (Hrsg., zus. mit K. R. Lohmann) Individuelle Moral und Rationalität, München 1997.