Der Einfluß von Eltern auf das Berufswahlverhalten von Mädchen. Ergebnisse einer empirischen Untersuchung
Daniela Hoose/Dagmar Vorholt
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Zusammenfassung
Die empirische Untersuchung „Der Einfluß von Eltern auf das Berufswahlverhalten von Mädchen“ widmete sich erstmalig vorrangig der Frage, ob und welchen Einfluß Eltern auf den Berufswahlprozeß ihrer Töchter nehmen. In schriftlichen Befragungen von Eltern und Töchtern und qualitativen Interviews mit Eltern wurde dieser Frage nachgegangen. Wie gezeigt werden konnte, sind die Eltern im Berufswahlprozeß der Tochter ausgesprochen bedeutsam. Dabei entspricht die Einflußnahme der Eltern auf die Berufswahl der Tochter nur in den seltensten Fällen einer bewußten Entscheidung der Eltern. Der überwiegende Teil der befragten Eltern legt großen Wert darauf, die Entscheidungsautonomie der Tochter zu achten. Ihr Einfluß liegt im alltäglichen Umgang verborgen: Die Arbeitsteilung im Familienhaushalt, die traditionellen Annahmen über die Aufgaben und Fähigkeiten von Frauen und Männern, die Impulse, die sie den Töchtern über ihre Kompetenzen geben -das sind wesentliche Wirkungsfaktoren im Berufswahlprozeß der Mädchen. Vor allem das ungelöste und undiskutierte Problem der Vereinbarung von Familie und Beruf -von Eltern wie Mädchen weiterhin einseitig der Frau angelastet -sorgt dafür, daß entgegen der Absicht der Eltern immer noch überwiegend traditionelle Lebensentwürfe von Eltern wie Mädchen entwickelt werden. Die anderen am Berufswahlprozeß der Mädchen beteiligten Institutionen wie Schule, Berufsberatung, Betriebe etc. haben nach Auskunft der Eltern bisher wenig getan, um Eltern über diese unbewußten Einflüsse in Kenntnis zu setzen.
I. Vorbemerkungen
Im Zeitraum 1995 bis 1996 führten wir im Auftrag des Hamburger Senatsamtes für die Gleichstellung eine Untersuchung durch, die sich erstmalig vorrangig der Frage widmete, welchen Einfluß Eltern auf den Berufswahlprozeß ihrer Töchter nehmen. Ausgangspunkt der Untersuchung war zum einen die immer noch festzustellende Konzentration der Mädchen auf nur wenige, meist „frauentypische“ Berufe, -die häufig gekennzeichnet sind durch geringe Aufstiegschancen, hohes Arbeitsplatz-risiko und geringe Verdienstmöglichkeiten -, und zum anderen die Tatsache, daß weder in Theorie noch in Praxis hinreichende Informationen und Erfahrungen hinsichtlich der elterlichen Einflüsse auf die Berufswahl und der Möglichkeiten einer konstruktiven Elternarbeit vorliegen.
Wir befragten 295 Eltern und 439 Mädchen der Klassenstufen acht bis zehn an Hamburger Haupt-, Real-und Gesamtschulen mit teilstandardisierten Fragebögen. 62 Prozent der Fragebögen wurden von Müttern, 38 Prozent von Vätern beantwortet. Über 14 Prozent der befragten Mütter und Väter sind ausländischer Herkunft. Die meisten der von uns befragten Eltern sind erwerbstätig. Gut 89 Prozent der Väter und 71 Prozent der Mütter standen zum Befragungszeitpunkt in irgendeinem Beschäftigungsverhältnis oder arbeiteten als Selbständige. Während 98 Prozent der erwerbstätigen Männer in Vollzeit erwerbstätig waren, arbeiteten über 60 Prozent der Frauen in Teilzeit. Zusätzlich zu den Fragebögen wurden 14 qualitative Interviews mit Eltern (sieben Mütter/sieben Väter) durchgeführt.
Die Untersuchung sollte Aufschluß darüber geben, welche Rolle Eltern im Berufswahlprozeß der Töchter spielen. Wie wichtig sind sie aus eigener Sicht und der Sicht der Töchter neben Schule und Berufsberatung, was wissen sie selber über den Berufswahlprozeß, wo sehen Eltern ihre Hauptaufgaben und was erwarten ihre Töchter von ihnen?
II. Eltern sind wichtig bei der Berufswahl!
Abbildung 12
Graphik 2: Berufswahlkriterien der Eltern für ihre Töchter, Rangfolge (in Prozent) Quelle: wie bei Graphik 1.
Graphik 2: Berufswahlkriterien der Eltern für ihre Töchter, Rangfolge (in Prozent) Quelle: wie bei Graphik 1.
Es herrscht Einigkeit zwischen Eltern und Töchtern darüber, daß die Eltern bei der Berufswahl gebraucht werden. Jeweils rund 80 Prozent der Mütter und Väter gehen davon aus, daß sie im Berufswahlprozeß der Töchter wichtig bzw.sehr wichtig sind. Die Mädchen machen Unterschiede zwischen ihren Eltern, ihnen sind die Mütter wichtiger als die Väter. 75 Prozent der Mädchen bezeichnen ihre Mütter als sehr wichtig oder wichtig, 57 Prozent messen diese Bedeutung ihrem Vater zu (siehe Graphik 1).
So klar wie Eltern und Mädchen die Wichtigkeit der Eltern erkennen, so unklar sind ihre Vorstellungen darüber, wofür die Eltern bei der Berufswahl wichtig sind. Eltern wie Mädchen gaben hier eher allgemein gehaltene, vage Antworten: Man könne miteinander reden, die Eltern würden helfen etc.
Daß die deutlich erkannte Bedeutung der Eltern sich kaum und nur vage mit Inhalten füllen läßt, liegt vor allem daran, daß Eltern wie Mädchen ein verkürztes Verständnis vom Berufswahlprozeß der Töchter haben. Zum einen erkennen sie weder den Zusammenhang zwischen der Berufs-und der Lebensplanung, zum anderen glauben sie, daß die Berufswahl erst kurz vor der endgültigen Entscheidung für einen bestimmten Beruf beginnt.
III. Das Verständnis der Eltern und Töchter vom Prozeß der Berufswahl
Abbildung 13
Graphik 3: Einstellung der Töchter, wenn die Eltern gegenüber untypischen Berufen befürwortend, skeptisch oder ablehnend eingestellt sind (in Prozent) Quelle: wie bei Graphik 1.
Graphik 3: Einstellung der Töchter, wenn die Eltern gegenüber untypischen Berufen befürwortend, skeptisch oder ablehnend eingestellt sind (in Prozent) Quelle: wie bei Graphik 1.
Beide Seiten -Eltern wie Mädchen -begreifen den Berufswahlprozeß als einen rationalen Vorgang, der erst unmittelbar vor der eigentlichen Entscheidung beginnt und in dessen Verlauf es vor allem darauf ankommt, möglichst genaue berufskundliche Kenntnisse zu erlangen und berufsrelevante Fähigkeiten und Interessen zu ermitteln. Der Beruf soll in erster Linie Spaß machen, aber er soll auch krisensicher sein, Aufstiegschancen bieten, ein ausreichendes Einkommen garantieren, und die Tochter muß für diesen Beruf geeignet sein. Die Entscheidung, die Eltern und Mädchen am Ende des Berufswahlprozesses treffen, folgt aber keineswegs diesen rationalen Kriterien. 1. Für welche Berufe sich die Mädchen eignen Wenn Mädchen darüber nachdenken, welche Fähigkeiten und Neigungen sie haben und welche Berufe dazu passen könnten, wenden sie sich in der Mehrzahl in erster Linie hilfesuchend an ihre Eltern -verstärkt an die Mutter. Rund zwei Drittel von ihnen gehen davon aus, daß ihre Eltern (Mutter oder Vater) sie am besten beraten können. Daneben spielen für die Mädchen die Schulnoten und sonstige Rückmeldungen der Schule eine große Rolle.
Eltern nehmen an ihren Töchtern vor allem soziale und kommunikative Fähigkeiten wahr, und diese Eigenschaften halten sie auch in besonderem Maße für beruflich verwertbar. . Sachbezogene Kompetenzen wie Fremdsprachenkenntnisse und handwerkliches Geschick werden sehr viel seltener gesehen und technisch-naturwissenschaftlich-mathematische Fähigkeiten kaum noch zuerkannt. Und selbst wenn sie solche Fähigkeiten an ihren Töchtern wahrnehmen, halten sie sie nur in sehr geringem Umfang für beruflich verwertbar.
Nach ihren eigenen Aussagen beziehen sich die Eltern bei diesen Einschätzungen vor allem auf die schulischen Erfolge ihrer Töchter und daneben auf die Hobbys, die die Töchter pflegen. Und tatsächlich konnten wir feststellen, daß die von den Mädchen in der Schule erzielten Leistungen die Kompetenzzuschreibungen der Eltern stark beeinflussen. Aber dieser Einfluß ist keineswegs einheitlich. So führt ein „Befriedigend“ oder „Ausreichend“ im Fach Deutsch zu 70 Prozent dazu, daß eine entsprechende Eignung für einen Beruf, der gute Deutschkenntnisse verlangt, zuerkannt wird, während das gleiche Ergebnis im Fach Mathematik nur zu 41 Prozent eine entsprechende Kompetenzzuschreibung nach sich zieht. Bei den Fächern Werken und Technik bzw. Arbeitslehre/Technik sinkt der Prozentsatz noch stärker -auf rd. 38 bzw. rd. 32 Prozent -ab. Selbst gute oder sehr gute Noten im Fach Technik führen nur in knapp über 50 Prozent der Fälle zur Zuschreibung einer Eignung für Berufe, die technisches Verständnis verlangen. Wir schließen aus diesen Ergebnissen: Je weniger eine Kompetenz dem Geschlechterrollenstereotyp entspricht, desto mehr gute Leistungen sind erforderlich, damit einem Mädchen diese Kompetenz auch zugestanden wird.
Der Zusammenhang zwischen den Einschätzungen der Eltern und denen der Mädchen ist eng. Das ist vor allem dann der Fall, wenn der Eignung für Berufe zugestimmt wird, die geschlechtstypische Fähigkeiten verlangen, und wenn die Eignung für Berufe aberkannt wird, die geschlechtsuntypische Fähigkeiten verlangen. So stimmen 98 Prozent der Töchter mit den Eltern überein, die sagen, daß diese sich für Berufe eignen, die Hilfsbereitschaft verlangen, und es stimmen über 90 Prozent der Töchter zu, wenn Eltern sagen, daß sie sich nicht für Berufe eignen, die technisches Verständnis voraussetzen. Für den Berufswahlprozeß der Mädchen bedeutet das, daß sie sich mit großer Wahrscheinlichkeit in Übereinstimmung mit ihren Eltern befinden werden, wenn sie sich die Eignung für einen Beruf zuerkennen, der geschlechtstypische Fähigkeiten wie z. B. Hilfsbereitschaft verlangt. Umgekehrt werden sie sehr viel seltener Zustimmung bei ihren Eltern finden, wenn sie davon ausgehen, für einen Beruf geeignet zu sein, der technisches Verständnis voraussetzt. 2. Wie die festgestellten Eignungen bei der Berufswahl umgesetzt werden Wir befragten Eltern wie Mädchen nach den Wunschberufen, wobei bis zu drei Berufe genannt werden konnten. Außerdem baten wir in einer weiteren Frage darum, verschiedene von uns vorgestellte Berufe bezüglich der Eignung für die Mädchen zu bewerten. Bei den von den Eltern genannten Wunschberufen stellte sich heraus, daß lediglich zwei der genannten Fähigkeiten der Töchter überhaupt einen Einfluß auf die Auswahl der Wunschberufe nahmen. Hatten die Eltern ihren Töchtern zuvor Geschick im Umgang mit Menschen attestiert, wurden von ihnen signifikant häufiger „frauentypische“ Berufe für die Töchter gewünscht. Konnten die Eltern technisches Verständnis bei ihren Töchtern feststellen, dann nannten sie signifikant häufiger „männertypische“ Berufe als Wunschberufe für die Tochter. Aber auch die Eltern, die ihren Töchtern technisches Verständnis attestierten, nannten in der Mehrzahl „frauentypische“ Wunschberufe. Alle anderen genannten und zuerkannten Kompetenzen zeigten keinen Zusammenhang mit den gewählten Berufen. Bei den von uns vorgestellten Berufen stellte sich heraus, daß überhaupt nur dann auf die festgestellten Eignungen der Töchter zurückgegriffen wurde, wenn es darum ging, „frauenuntypische" Berufe zu beurteilen. In diesem Fall wurden die Kompetenzen „Geschick im Umgang mit Menschen“, „technisches Verständnis“ und „handwerkliches Geschick“ überprüft. Dabei führte die Eignung für Berufe, die Geschick im Umgang mit Menschen verlangen, dazu, daß solche untypischen Berufe eher abgelehnt wurden, während die beiden anderen Kompetenzen untypische Berufe vorstellbarer machten. Die Mädchen zeigten ein annähernd gleiches Verhalten wie die Eltern, auch sie überprüfen vor allem die untypischen Berufe auf der Folie ihrer Kompetenzen.
Die Tatsache, daß bei der Beurteilung „frauentypischer“ Berufe kein Rückgriff auf die Kompetenzen der Tochter erfolgt, läßt darauf schließen, daß die Eignung der Tochter für „frauentypische“ Berufe per se vorausgesetzt wird.
IV. Berufswahlkriterien und ihre Anwendung bei der Berufswahl
Die von den Eltern als wichtig bei der Entscheidungsfindung genannten Kriterien weisen darauf hin, daß sie für ihre Töchter Berufe wünschen, die unabhängige, risikolose und befriedigende Möglichkeiten der Existenzsicherung bieten.
Von den insgesamt 19 zur Bewertung vorgestellten Kriterien nehmen die in Graphik 2 dargestellten die ersten 6 Rangplätze ein.
In der Auswahl der Kriterien wird deutlich, daß Erwerbsarbeit von Mädchen für die Eltern zum selbstverständlichen Teil des Lebens gehört und keineswegs mehr als Zuverdienst oder Überbrükkung etc. empfunden wird. Dennoch -die von Eltern und Mädchen genannten Wunschberufe sind statistisch völlig unabhängig von den genannten Kriterien. Vielfach werden Berufe genannt, die den als wichtig erachteten Kriterien nicht genügen, und auch die Akzeptanz der von uns zur Bewertung vorgestellten Berufe bleibt weitgehend von als wichtig erachteten Kriterien unberührt.
Dementsprechend fallen auch -bezogen auf die genannten Ausbildungsberufe -72 Prozent der von den Eltern und 71 Prozent der von den Mädchen genannten Wunschberufe in den Bereich weiblich dominierter bzw. überwiegend weiblichbesetzter Berufe. Nur 8, 5 Prozent aller genannten Wunschberufe der Eltern fallen in den männlich dominierten bzw. überwiegend männlich besetzten Bereich, bei den Mädchen sind es 16 Prozent
Wir können also festhalten: Eltern und Mädchen gehen davon aus, daß für eine geglückte Berufswahlentscheidung die Berücksichtigung der Fähigkeiten und Neigungen und die Beachtung der Chancenstruktur von Berufen notwendig ist. Tatsächlich aber werden weder festgestellte Fähigkeiten noch andere Berufswahlkriterien bei der Auswahl eines Berufes in nennenswertem Maße entscheidungsrelevant. Wenn überhaupt nach Eignung geschaut wird, dann nur, wenn untypische Berufe zur Wahl stehen. In diesem Fall ist es wichtig, daß die Mädchen den Nachweis ihrer Eignung durch gute Noten in den „einschlägigen“ Fächern erbracht haben und „technisches Verständnis“ als beruflich verwertbare Fähigkeit zuerkannt wird. Und hier wirkt sich dann die geschlechtsspezifische Wahrnehmung aus, die untypische Eigenschaften der Mädchen weitgehend ausblendet.
So wird letztlich die Berufsauswahl nicht von rationalen Kriterien wie Eignung, Neigung und Chancenstrukturen bestimmt, sondern mehr davon, was als passend für Mädchen angenommen wird.
V. Geschlechtsrollenvorstellungen und die Arbeitsteilung im Familienhaushalt
Die Berufsauswahl folgt also keineswegs -wie von Eltern und Mädchen vermutet -rationalen Überlegungen. Was ist es dann, was immer wieder dazu führt, daß am Ende eines langen Berufswahlprozesses die meisten Mädchen in frauentypische Berufen einmünden läßt? Um unserer Hypothese nachzugehen, daß es vor allem die Geschlechtsrollenvorstellungen der Eltern und die im elterlichen Haushalt erlebte Arbeitsteilung sind, die Mädchen auf die Planung einer typisch weiblichen Berufswahl und -biographie festlegen, haben wir Eltern und Mädchen nach den Einstellungen zu den Aufgaben von Mann und Frau in Familie und Beruf befragt und nach der Arbeitsteilung in der eigenen Familie. 1. Geschlechtsrollenvorstellungen Tatsächlich konnten wir feststellen, daß die Geschlechtsrollenvorstellungen der Eltern und die häusliche Arbeitsteilung erheblichen Einfluß auf die Bandbreite der Möglichkeiten nehmen, die Mädchen für ihre eigene Berufs-und Lebensplanung zur Verfügung stehen. Sowohl die Bereitschaft, auch untypische Berufe in Betracht zu ziehen als auch eine Lebensplanung zu entwerfen, die eine gleichberechtigte Teilung der Lasten von Erwerbsarbeit, Haushalt und Familie zwischen denGeschlechtern vorsieht, zeigt sich hiervon beeinflußt. Die Bedeutung der weiblichen Erwerbstätigkeit und finanziellen Unabhängigkeit ist bei der großen Mehrheit der Eltern unumstritten, ebenso gehen die meisten davon aus, daß Männer grundsätzlich ebenso wie Frauen für Kindererziehung und Haushalt geeignet sind. Dennoch rütteln sie nicht an der Hauptverantwortlichkeit der Frauen für Haushalt und Kindererziehung. Die Ansprüche an unabhängige berufliche Arbeit von Frauen werden von den meisten Eltern zurückgestellt, sobald es darum geht, daß Kinder zu betreuen sind. Sie erwarten nicht grundsätzlich, daß Mütter jegliche Erwerbsorientierung aufgeben, aber in dem Interessenkonflikt zwischen eigenständiger Erwerbs-arbeit und notwendiger Kinderbetreuung entscheiden sich die meisten Eltern dafür, die Vereinbarkeitsproblematik einerseitig der Frau anzulasten. So stimmen auf der einen Seite 85 Prozent der Eltern der Aussage zu, daß der Beruf für eine Frau genauso wichtig ist wie für einen Mann, auf der anderen Seite finden aber auch rund 58 Prozent, daß eine Frau mit kleinen Kindern wirklich nur dann arbeiten gehen sollte, wenn das Einkommen des Mannes nicht reicht. 65 Prozent der Eltern glauben, daß ein Kind in den ersten Jahren am besten von der Mutter versorgt werden sollte, und über 73 Prozent meinen, daß die Kinder darunter leiden, wenn eine Mutter ganztags arbeitet, die Vollerwerbstätigkeit des Vaters wird dagegen nur von 25 Prozent der Befragten als problematisch für die Kinder beurteilt.
Mit rund 54 Prozent vertreten die meisten der von uns befragten Eltern insgesamt eher offene Geschlechterrollen. Doch auch unter ihnen sind noch 40 Prozent der Ansicht, daß die Verantwortung für die Kinderbetreuung bei den Frauen liegt und sie es sind, die zugunsten der Kinder Abstriche von ihrer Erwerbstätigkeit machen müssen.
Die Einstellungen der Eltern spiegeln sich in den Einstellungen der Mädchen deutlich wider, wobei bei den Mädchen die Ambivalenzen noch ausgeprägter sind. Sie vertreten noch stärker die Bedeutung eigener Erwerbstätigkeit und finanzieller Unabhängigkeit: Rund 88 Prozent der Mädchen gehen davon aus, daß der Beruf für die Frau genauso wichtig sei wie für den Mann, und rund 85 Prozent meinen, daß eine Frau stets darauf achten sollte, ihre finanzielle Unabhängigkeit vom Partner durch eigenständige Erwerbsarbeit sicherzustellen. Andererseits sind sie aber auch noch stärker von der Zuständigkeit der Frau für die Kindererziehung überzeugt. Rund 67 Prozent glauben, daß ein Kind in den ersten Jahren am besten von der Mutter versorgt werden sollte; und daß Mütter mit kleinen Kindern nur arbeiten gehen sollten, wenn das Einkommen des Mannes nicht ausreicht, befürworten rund 62 Prozent der Mädchen.
Der Einfluß der Eltern auf die Einstellungen der Töchter ist besonders stark bei den 13-bis 15jährigen, das heißt in dem Zeitabschnitt, in dem sich viele Mädchen mit Fragen der Berufs-und Lebensplanung auseinandersetzen müssen. Die Geschlechtsrollenorientierungen werden aber nicht nur von den verbal vermittelten Einstellungen der Eltern beeinflußt, sondern auch von der erlebten Arbeitsteilung in der eigenen Familie. 2. Tatsächliche Arbeitsteilung im Familienhaushalt Im Unterschied zu den von den Eltern formulierten, eher progressiven Geschlechtsrollenvorstellungen ist die tatsächliche Aufgabenteilung in der großen Mehrheit der Familien traditionell. Lediglich acht Prozent der von uns befragten Eltern teilen sich mit ihrer Partnerin oder ihrem Partner Hausarbeit und Kinderbetreuung partnerschaftlich, in allen anderen Familien tragen die Frauen die Hauptlast -und zwar unabhängig davon, ob sie selbst erwerbstätig sind oder nicht. Der überwältigende Teil der Mädchen erlebt also in der Familie eine Arbeitsteilung, die ihren Müttern und oftmals auch ihnen selbst sehr viel mehr Verantwortlichkeit für die Hausarbeit zuweist als ihren Vätern, und -soweit vorhanden -ihren Brüdern.
Während die Eltern sich in ihren Geschlechtsrollenvorstellungen noch in relativ großem Umfang von der eigenen Realität lösen können, gelingt dies den Mädchen nur in sehr geringem Maße. Je traditioneller die familiäre Arbeitsteilung ist, desto weniger greifen Mädchen in ihrer Vorstellung von der eigenen, späteren Arbeitsteilung mit ihrem Parnter auf die progressiven Elemente ihres Geschlechtsrollenverständnisses zurück. Der Glaube an die Umsetzbarkeit dieser Vorstellungen scheitert nach unseren Ergebnissen vor allem an der Tatsache, daß Väter und Brüder sich der gleichberechtigten Teilung der Alltagsarbeit verweigern. Die Einstellungen der Mädchen zur Notwendigkeit weiblicher Erwerbstätigkeit bleiben von der zu Hause erlebten Arbeitsteilung unberührt. Erwerbsarbeit erleben sie für eine Frau als unverzichtbar. Aber das erlebte Arbeitsteilungsmodell prägt ihre Erwartungen an ihren Partner. Mädchen aus Familien mit traditioneller Arbeitsteilung setzen nicht auf die Bereitschaft ihres künftigenPartners zu einer gleichberechtigten Arbeitsteilung und sind stärker als andere bereit, für die Zukunft Doppel-und Dreifachbelastungen zu akzeptieren.
Selbst wenn nach der Arbeitsteilung ohne Kinder gefragt wird, entwickelt ein großer Teil der Mädchen aus Elternhäusern mit traditioneller Arbeitsteilung kein egalitäres Rollenbild. Sind Kinder in den Zukunftsentwürfen vorgesehen, können sich gerade noch 19 Prozent aller Mädchen eine gleichberechtigte Teilung von Erwerbsarbeit, Haushalt und Kinderbetreuung mit ihrem Partner vorstellen. Auch die Eltern entwerfen für die eigene Tochter mehrheitlich keine egalitären Arbeitsteilungsmodelle, sobald die Existenz eines Kindes vorausgesetzt wird. Doch können sich immerhin 34 Prozent aller Eltern eine partnerschaftliche Arbeitsteilung vorstellen. 3. Mütterliches Vorbild bei der Vereinbarung von Beruf und Familie Die Zerrissenheit der Mädchen zwischen dem Wunsch nach eigenständiger selbstverständlicher Erwerbstätigkeit und dem Wunsch, ihren Kindern einmal die besten Bedingungen bieten zu können, zeigt sich auch in ihren Äußerungen zum Vorbild der eigenen Mutter. Die Mehrheit der Töchter hat den Eindruck, daß ihre Mutter zu sehr für die Familie da ist und zu wenig Raum für sich selber hat. Aber obwohl sich die Mädchen überwiegend dafür aussprechen, sich weniger von der Familie vereinnahmen lassen zu wollen, und sich vornehmen, mehr an sich selbst zu denken (rund 57 Prozent) und sich auch noch für andere Sachen als Haushalt und Familie zu interessieren (gut 79 Prozent), geben sie auch mehrheitlich an, daß sie Familie und Beruf einmal genauso gut unter einen Hut bringen wollen wie ihre Mutter (gut 61 Prozent). Diese Widersprüchlichkeit, die sich in den Antworten der Mädchen zeigt, ist letztlich nichts anderes als die Widersprüchlichkeit der an Frauen gerichteten Anforderung, Familie und Beruf unter Bedingungen zu vereinbaren, die diese Vereinbarung nur bruchstückhaft zulassen. Da Mädchen beides wollen, Beruf und Familie, und gleichzeitig in ihrem Alltag erleben, wie schwierig die Vereinbarung dieser beiden Lebensbereiche ist, ist aus ihrer Sicht der Kompromiß, den die Mutter gefunden hat, zwar vielleicht nicht die beste, aber eine erkennbare Lösung des Problems. Daß sich die Mädchen in ihren konkreten Vorstellungen von der späteren Vereinbarung von Familie und Beruf nur wenig von den Modellen ihrer Eltern distanzieren, spricht für diese These.
Das Gesamtergebnis zeigt, daß Mädchen sich nur wenig vom Vorbild der Eltern distanzieren. Nur wenig mehr als die Hälfte der Mädchen will einen Partner, der sich mehr an der Hausarbeit beteiligt, weniger als ein Drittel erwartet mehr von ihm im Hinblick auf die Kindererziehung. Und auch diese Mädchen trennen sich nur teilweise von der Vorstellung, daß sie es sind, die für die Kinder zuständig sind. Sie finden zwar mehrheitlich, daß ihre Mütter von der Familie zu sehr vereinnahmt werden, möchten es aber dennoch überwiegend nicht anders machen als ihre Mütter: Sie wollen Beruf und Familie einmal in der gleichen Weise wie sie vereinbaren.
Wir können also festhalten: Die Berufs-und Lebensplanung der Mädchen wird nachhaltig durch die Einstellungen der Eltern und das von ihnen praktizierte Arbeitsteilungsmodell beeinflußt. Hier zeigt sich also ein deutlicher Einfluß, und dieses Einflusses sind sich Eltern nicht bewußt.
Wir fanden vielfältige Hinweise dafür, daß Eltern den Zusammenhang von Berufswahl und Lebens-planung nicht herstellen. Das dürfte die Ursache dafür sein, daß Eltern diesen Einfluß nicht wahrnehmen.
VI. Zusammenhang von Berufswahl und Lebensplanung
Fragen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind in den Familien kein Thema, obwohl die Mädchen mehrheitlich hier in erster Linie Unterstützung von ihren Eltern erwarten. Rund 60 Prozent der befragten Mädchen gehen davon aus, daß ihre Mutter sie hier am besten beraten könnte, rund 10 Prozent würden sich in erster Linie an den Vater wenden und rund 30 Prozent würden andere Personen zu dieser Thematik befragen.
Spontan erkennen Eltern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch nicht als Berufswahlkriterium. Bei der offen gestellten Frage danach, was sie bei der Berufswahl der Töchter für bedenkenswert halten, nennen nur rund 10 Prozent der Eltern die Vereinbarkeit von Familie und. Beruf. Erst auf direkte Nachfrage vermuten sie, daß Gespräche über diese Thematik in ihren Verantwortungsbereich fallen. Daß Eltern Fragen der Lebensplanung überwiegend nicht für bedenkenswert halten, ist dabei nicht darauf zurückzuführen, daß sie nicht wollen, daß ihre Töchter in Antizipation ihrer späteren Mutterrolle Abstriche von der Berufsplanung machen. Vielmehr ist es eher so, daß, wie bereits dargestellt, ein Großteil der Eltern (und Mädchen) selbstverständlich davon ausgeht, daß die Tochter die eigene Erwerbstätigkeit irgendwann für die Erziehung und Betreuung der Kinder zurückstellen wird. Und diese scheinbare Selbstverständlichkeit ist es wohl auch, die Fragen der Vereinbarung von Familie und Beruf bei der Planung der beruflichen Karriere nicht diskussionswürdig erscheinen lassen.
VII. Mädchen in Männerberufen
1. Der Einfluß der Einstellung der Eltern zu frauenuntypischen Berufen auf das Berufswahlverhalten der Töchter Die Einstellungen der Eltern zu den Rollen von Frau und Mann in Familie und Beruf, die -wie bereits erwähnt -die Orientierungen der Mädchen stark beeinflussen, prägen auch die Akzeptanz frauenuntypischer Berufe wesentlich. Ein erweitertes Rollenverständnis ist bei Eltern wie bei Mädchen eine wichtige Voraussetzung für eine grundsätzlich positive Einstellung zum Thema „Mädchen in Männerberufen“. Nur wenn Eltern Frauen in untypischen Berufen persönlich kennen, ist ihre Meinung weitgehend unabhängig von den Geschlechtsrollenbildern.
Welche Risiken und Chancen Mädchen im Zusammenhang mit frauenuntypischen Berufswahlen sehen, ist stark von der jeweiligen Haltung der Eltern abhängig (vgl. zu Abschnitt VII die Graphik 3).
Die so vermittelte Grundhaltung spielt eine wesentliche Rolle bei der Frage, ob Mädchen überhaupt schon einmal einen frauenuntypischen Beruf in Betracht gezogen haben. Mädchen, die eine befürwortende Haltung einnehmen, haben zu 51 Prozent schon einmal einen untypischen Beruf in die engere Wahl gezogen, Mädchen mit einer ablehnenden Haltung lediglich zu 15 Prozent.
Ob aus solchen Überlegungen ein tatsächlicher Berufswunsch wird, ist auch von den Reaktionen der Eltern abhängig. Nach unseren Ergebnissen werden solche Überlegungen von einem großen Teil der Eltern ignoriert oder nicht ernst genommen. Bei dem direkten Vergleich von Töchtern und Eltern, die beide an der Befragung teilnahmen, stellten wir fest, daß die Mädchen zu rund 47 Prozent angaben, über eine untypische Berufsvorstellung mit den Eltern geredet zu haben. Die Eltern können sich allerdings nur zu rund 18 Prozent daran erinnern. Und: 42 Prozent der Mädchen können sich an eine abratende Haltung der Eltern erinnern, während die Eltern nur von positiven bis gewährenlassenden Reaktionen berichten. Die von uns befragten Mädchen glauben zum großen Teil, daß es sich bei ihren Geschlechtsgenossinnen, die einen Männerberuf wählen, um „ganz normale“ Mädchen handelt, sind aber zu über einem Drittel davon überzeugt, daß diese über besonders viel Durchsetzungsvermögen,Selbstvertrauen oder Mut verfügen. Und dieser Mut wird ihnen von ihren Eltern nur selten gemacht.
So überrascht es nicht, daß die gegenwärtigen Berufswünsche der Mädchen in sehr viel geringerem Umfang im frauenuntypischen Bereich liegen und sie trotz vielfach positiver Grundeinstellung zu frauenuntypischer Berufswahl lieber auf „Nummer Sicher“ gehen und frauentypischen Berufen den Vorzug geben.
Wir konnten in unserer Untersuchung zwar feststellen, daß die grundsätzlichen Geschlechtsrollenvorstellungen der Eltern starke Bedeutung für die Einstellung der Töchter zu „Mädchen in Männer-berufen“ haben und auf diesem Wege auch Einfluß auf das Berufswahlverhalten ausüben, gleichzeitig zeigte sich aber auch, daß einige der Vorbehalte gegen eine Beschäftigung in frauenuntypischen Berufsbereichen bei fast allen Beteiligten zu finden sind. Um die 80 Prozent der Eltern und der Mädchen befürchten, daß ein Mädchen, das einen Männerberuf wählt, sich auf einiges gefaßt machen muß, und rund 60 Prozent der Eltern und 70 Prozent der Mädchen vermuten, daß in Männerberufen Mädchen mehr sexuell belästigt werden. Bei keinem anderen der von uns zur Bewertung vorgestellten Statements waren sich die Befragten so einig wie bei diesen beiden, und zwar ganz unabhängig von ihren grundsätzlichen Einstellungen zu den Geschlechterrollen oder zur Beschäftigung von Mädchen in untypischen Berufen. Die Antizipation dieser Form des „Geschlechtermobbings“ ist ein ernstzunehmendes Hindernis für die Bereitschaft, untypische Berufswahlen in Betracht zu ziehen.
Damit sind die wesentlichen Faktoren des Einflusses von Eltern auf die Berufwahl benannt. Die Einflußnahme der Eltern trägt wesentlich dazu bei, daß Mädchen sich in ihrer Berufs-und Lebensplanung nach wie vor sehr stark an traditionellen Vorgaben orientieren. Doch geschieht dies -zumindest in den meisten Fällen -nicht bewußt. Eltern wünschen sich für ihre Tochter einen Beruf, der ihren persönlichen Neigungen und Eignungen entspricht, doch orientieren sie sich bei der Wahrnehmung und Rückmeldung der Fähigkeiten und Stärken der Tochter unbewußt an geschlechtsspezifischen Vorgaben. Eltern legen Wert darauf, daß der Beruf finanzielle Unabhängigkeit und Aufstiegschancen bietet, unterstützen dennoch sehr häufig die Entwicklung von Berufswünschen, die diese Bedingungen nicht erfüllen. Eltern zweifeln nicht an der Bedeutung des Berufs und der finanziellen Unabhängigkeit für die Frau und ebenso-wenigan der Eignung von Männern für Haushalt und Kinderbetreuung. Die familiäre Arbeitsteilung vermittelt den Mädchen aber ein ganz anderes Bild von den Rollen von Frau und Mann. 2. Der Einfluß des Verhaltens der Eltern auf die Berufswahl der Töchter Daß Mädchen sich in ihrer Berufs-und Lebensplanung schließlich weniger an den progressiven Elementen ihres Rollenverständnisses orientieren, sondern mehr an der erlebten Realität geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung, ist Folge der Tatsache, daß ihre Eltern sie ungewollt mit zahlreichen Widersprüchlichkeiten konfrontieren, diese aber nicht Gesprächsthema zwischen Eltern und Töchtern sind. Die Mädchen erhalten damit keine Gelegenheit, sich mit den Widersprüchen auseinanderzusetzen, und keine Hilfestellung dabei, Lösungsmodelle zu entwickeln.
Daß Mädchen hinter den teilweise offeneren Rollenbildern und den progressiveren Vorstellungen der Eltern von der späteren Arbeitsteilung der Tochter Zurückbleiben, resultiert allerdings auch aus der eher passiven Einstellung der Eltern, die ihre Tochter zwar auf Nachfrage unterstützen, aber nicht beeinflussen wollen. Eltern versuchen nach unseren Ergebnissen einen Balanceakt zwischen dem Bestreben, der Tochter bei der Berufswahl zur Seite zu stehen, und dem Bemühen, die Tochter nicht zu beeinflussen. In ihrem Bemühen, die Entscheidungsautonomie der Tochter zu wahren, verzichten sie auf die Möglichkeit, sie bei dem Entwurf selbstbestimmter und tatsächlich individueller Berufs-und Lebensplanungen zu unterstützen. Zum Teil führt diese Zurückhaltung der Eltern dazu, daß die Töchter mehr Unterstützung reklamieren. Jeweils zwischen 25 und 30 Prozent der befragten Mädchen wünschen sich, daß ihre Mutter und/oder ihr Vater mehr mit ihnen über die Berufswahl reden, sich mehr für ihre Berufswahl interessieren und mehr mit ihnen über ihre/seine eigenen Erfahrungen in Sachen Beruf, Partnerschaft und Familie sprechen würde.
Einerseits nutzen Eltern also ihre Einflußmöglichkeiten im positiven Sinne nicht, andererseits ist ihnen nicht bewußt, daß und wie sie Einfluß nehmen. Die Ursache dafür ist fehlendes Wissen: Es mangelt ihnen an Wissen über die Prozeßhaftigkeit und die Komplexität der Berufswahl, und sie sind sich auch nicht darüber klar, welche Orientierungen ihre Töchter in erster Linie von ihnen erwarten und faktisch auch mitnehmen. Sie wissen auch nicht, daß ihre Botschaften widersprüchlich sind und wie stark ihre Wahrnehmung von derKategorie „Geschlecht“ beeinflußt wird. Sollen Mädchen bessere Chancen auf eine von traditionellen Vorgaben losgelöste Berufs-und Lebens-planung eröffnet werden, ist es dringend notwendig, Eltern über den Berufswahlprozeß, die darin zum Tragen kommenden Einflußfaktoren und ihre Rolle in diesem Prozeß in Kenntnis zu setzen.
VIII. Kontakt der Eltern zu Institutionen der Berufswahl
Nach den Ergebnissen unserer Befragung hatten bisher weniger als die Hälfte der befragten Eltern persönlichen Kontakt zu einer oder mehreren der „professionell“ für die Berufsorientierung zuständigen Institutionen und kaum Möglichkeiten, sich entsprechende Kenntnisse anzueignen. Angesichts unserer begründeten Vermutung, daß an unserer Befragung vor allem engagierte Eltern teilgenommen haben -die Bearbeitung des langen Fragebogens setzte einiges an Interesse und Engagement voraus -und auch angesichts der Tatsache, daß der beruflichen Erstplazierung noch immer eine zentrale chancenzuweisende Bedeutung zukommt, ist diese Zahl erschreckend niedrig.
Bei diesen Kontakten waren die Eltern sehr stark auf ihre eigene Initiative verwiesen. Knapp die Hälfte aller Kontakte entstand allein auf Initiative der Eltern, das heißt, ohne daß ihnen von Seiten der jeweiligen Institution ein konkretes Angebot gemacht wurde.
Nur rund ein Drittel der Befragten hatte nach eigenen Angaben eine Einladung zu einem Eltern-abend oder einem Beratungsgespräch von der Schule und/oder der Berufsberatung bzw. einer anderen Institution erhalten. Die gegenwärtig bestehenden Kontaktmöglichkeiten werden von den Eltern in mehrfacher Hinsicht als unbefriedigend erlebt. Rund 63 Prozent der Mütter und Väter, die ihre Erfahrung bewerteten, haben mit mindestens einer Institution nur teils zufriedenstellende oder unbefriedigende Erfahrungen gemacht.
Die Kritik der Eltern bezieht sich dabei weniger auf die Auswahl der angebotenen Informationen, sondern mehr auf die Art und Weise ihrer Darbietung. Die vermittelten Informationen wurden als zu wenig auf die persönlichen Interessen abgestimmt erlebt und die zur Verfügung gestellte Zeit als zu gering empfunden. Auch eine zu große Zahl von Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurde kritisiert. Angebote für Eltern müssen demnach so gestaltet werden, daß sie den Müttern und Vätern Raum und Zeit bieten, ihre persönlichen Interessen vorzubringen und mit anderen in einen Meinungsaustausch zu treten, und sie sollten auf kleinere Gruppen zugeschnitten sein. 1. Eltern wünschen eine stärkere Einbeziehung in den Berufswahlprozeß Die von uns befragten Eltern zeigten sich in überraschend großer Zahl an einer stärkeren Ansprache und Einbeziehung interessiert. Auf die Frage danach, ob sie sich durch die anderen am Berufswahlprozeß Beteiligten genügend angesprochen und einbezogen fühlen, antworteten fast 46 Prozent mit „nein“ und etwa 43 Prozent mit „teils/teils“. Genug einbezogen fühlen sich nur knapp 12 Prozent der Befragten. Auch die Eltern, die bereits Kontakt zu Institutionen hatten, sind mehrheitlich der Ansicht, nur zum Teil genug oder nicht genug einbezogen zu werden (60 bzw. 23 Prozent). Dementsprechend wünschen sich auch fast 70 Prozent der Eltern mehr Kontakt zu den am Berufswahlprozeß der Tochter beteiligten Institutionen. Dabei steht die Berufsberatung an der Spitze der Hitliste, gefolgt von Kontaktwünschen zur Schule und Betrieben bzw. betrieblichen Vertretern. 2. Von Eltern gewünschte Angebotsformen Auf die Frage nach dem Angebot, das sich Eltern wünschen, nannten sie am häufigsten Eltern-abende, öffentliche Informationsveranstaltungen, Einzelgespräche und in Einzelfällen auch Hausbesuche. Die Ergebnisse unserer Frage, in der wir auch einige Angebotsformen vorstellten, die bislang noch nicht existieren, ließen aber erkennen, daß ein nicht unbeträchtlicher Prozentsatz von Eltern gerne auch andere Informationsmöglichkeiten nutzen würde. 70 Prozent der Eltern würden zum Beispiel mit Sicherheit/wahrscheinlich an einer Betriebserkundung teilnehmen. Da Eltern nur wenig über Berufe wissen, ist die Betriebserkundung für sie eine attraktive Möglichkeit, sich ein Bild von anderen Berufen zu verschaffen. Veranstaltungen zu einzelnen Berufen/Themen würden ebenfalls zirka 70 Prozent der Befragten mit Sicherheit/wahrscheinlich besuchen, und gut 60 Prozent interessieren sich für öffentliche Informationsbörsen wie zum Beispiel „Straße des Handwerks“ in Hamburg.
Was uns zunächst überrascht hat, war das relativ große Interesse an einigen intensiveren Arbeitsformen. Zwar sind sich hier nicht so viele Eltern über ihre Teilnahmebereitschaft sicher, doch wollen immerhin 45 Prozent mit Sicherheit/wahrscheinlieh an einem Projektwochenende teilnehmen und noch rund 39 Prozent an einem Bildungsurlaub zum Thema Berufswahl. Von den auf regelmäßige Treffen ausgerichteten Angebotsformen stößt der Elternstammtisch auf das größte Interesse, er würde noch von 36 Prozent der Befragten mit Sicherheit bzw. wahrscheinlich besucht.
Es sollte deshalb eine breite Angebotspalette entwickelt werden, bestehend aus Vortrags-und Diskussionsveranstaltungen, Einzelberatungsangeboten, Wochenend-oder Bildungsurlaubsveranstaltungen sowie kontinuierlich laufenden Austauschmöglichkeiten, die den Eltern Gelegenheit gibt, eine ihren Zeitstrukturen und Interessen entsprechende Auswahl zu treffen oder mehrere dieser Angebote zu nutzen. Denn die meisten Eltern wollen mehr tun, als „nur“ einen Elternabend zu besuchen. Über die Hälfte würden mit Sicherheit gerne an zwei oder mehr Veranstaltungen teilnehmen. Als ein Problem erwies sich, daß die Eltern an wesentlichen Themen, die -nach unseren Ergebnissen -speziell den Einfluß der Eltern betreffen, nur eingeschränktes Interesse haben: Weniger als die Hälfte der Eltern (44 Prozent) wünschen sich Informationen zur Thematik der Berufs-und Lebensplanung, und nur 26 Prozent von ihnen möchten über die Bedeutung der Eltern im Berufswahlprozeß informiert werden. Gerade bei diesen Themen scheint aber Elternarbeit besonders notwendig. Eltern sind sich dessen nicht bewußt, daß sie durch die geschlechtsspezifische Wahrnehmung und Rückmeldung der Fähigkeiten und Neigungen, durch ihre Geschlechtsrollenorientierungen und ihre faktische Alltagsgestaltung einen starken Einfluß auf die Berufs-und Lebensplanung ihrer Töchter nehmen. Sie müssen erfahren, daß ihr Einfluß weitreichender und nachhaltiger ist, als sie glauben, und sie ungewollt dazu beitragen, daß sich ihre Töchter an traditionellen Leitbildern orientieren. Ebenso führt die Tatsache, daß Eltern die Berufs-und die Lebensplanung nicht als einen gemeinsamen Prozeß begreifen, dazu, daß sie ihren Töchtern widersprüchliche Orientierungen vermitteln. Zum anderen lenken sie die Mädchen auf selbstverständliche und erfolgreiche Erwerbsarbeit, zum anderen vermitteln sie ihnen gleichzeitig, daß die Erwerbsorientierung der Frau hinter den Interessen der Kinder zurückzustehen habe.
Würden Eltern mehr über den Zusammenhang von Berufswahl und Lebensplanung wissen, könnten sie durch Thematisierung und Diskussion der vorhandenen Widersprüche einen wichtigen Beitrag dazu leisten, daß ihre Töchter ein erweitertes Verständnis von den Berufs-und Lebensplanungsmöglichkeiten für Frauen und Männer nicht nur entwickeln, sondern auch in die Realität umsetzen.
Um die Bereitschaft von Eltern zu wecken, sich auch mit diesen zentralen Themen auseinanderzusetzen, muß die Elternarbeit zum Thema Berufswahl im Rahmen von anderen Veranstaltungen vorbereitet werden, in denen den Eltern ein erster Überblick über den zeitlichen Umfang und die Dimensionen der Berufswahl gegeben wird sowie über ihre eigene Rolle in diesem Prozeß. Ein möglichst frühzeitiger Beginn der Elternarbeit ist wichtig, weil Eltern sich nicht klar darüber sind, daß Berufswahl ein ausgesprochen vielschichtiger und langfristiger Prozeß ist. Je früher die Eltern darüber informiert werden, desto eher sind sie in der Lage, ihren Einfluß reflektierter wahrzunehmen.
Daniela Hoose, Dipl. -Soz. -Wiss., geb. 1960; seit 1995 Gesellschafterin von Denkbar, Team für angewandte soziale Wissenschaften GbR. Veröffentlichungen u. a.: (zus. mit Dagmar Vorholt) Schule dreht da ganz schön mit. Berufs-und Lebensplanung von Mädchen, im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft, Borken 1994; (zus. mit Dagmar Vorholt) Sicher sind wir wichtig -irgendwie!? Der Einfluß von Eltern auf das Berufswahlverhalten von Mädchen, Untersuchung im Auftrag des Senatsamtes für die Gleichstellung Freie und Hansestadt Hamburg, Hamburg 1996. Dagmar Vorholt, Dipl. -Päd., geb. 1957; seit 1995 Gesellschafterin von Denkbar, Team für angewandte soziale Wissenschaften GbR. Veröffentlichungen u. a.: (zus. mit Daniela Hoose) s. o.
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