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Der islamische „Fundamentalismus“. Wahrnehmung und Realität einer neuen Entwicklung im Islam | APuZ 28/1997 | bpb.de

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APuZ 28/1997 Der islamische „Fundamentalismus“. Wahrnehmung und Realität einer neuen Entwicklung im Islam Die Deutschen und die islamische Welt Islam und Menschenrechte. Das Bild im Westen und die arabisch-sunnitische Diskussion Hindunationalismus und islamischer Fundamentalismus in Südasien. Zur Lage in Indien, Pakistan und Bangladesch

Der islamische „Fundamentalismus“. Wahrnehmung und Realität einer neuen Entwicklung im Islam

Angelika Hartmann

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Zusammenfassung

In den vergangenen Jahren hat sich der Begriff „Fundamentalismus“ für Phänomene innerhalb der muslimischen Gesellschaften sowie in der islamischen Diaspora in zunehmender Weise als ein ungeschützter, keinesfalls analytischer und somit mehrerern Bedeutungswechseln unterliegender Terminus zu erkennen gegeben. Von seiner Herkunft her eine Fremdbezeichnung, ist er nur als Vergleichsbegriff geeignet, diskurstheoretisch verwendet zu werden. In der Form der Selbstbezeichnung, als „Islamismus“, haben bisher alle mit ihm verbundenen unterschiedlichen religiösen und gesellschaftlichen Erscheinungen bewiesen, daß es ihnen darum geht, Macht zu konstruieren und insbesondere die Staatsmacht in Ländern mit muslimischen Mehrheiten zu erobern. Islamist oder Islamistin zu sein bedeutet vorwiegend, sozialen Protest-und Oppositionsbewegungen anzugehören gegen den Status quo, den Islam des Establishments und den „verwestlichten“ Staat. Islamisten beanspruchen, das gesellschaftlich Relevante zu fordern, ohne sich den Modemisierungstheorien der westlichen Welt zu unterwerfen. Das Ziel der Gemäßigten ist es, eine eigene „Moderne“ zu erfinden, wobei sie einen Technologietransfer großen Stils betreiben unter gleichzeitiger Ablehnung der damit verbundenen westlichen Wertvorstellungen. Da der Bedeutungswechsel -friedlich, mit gedämpfter Gewalt oder bis hin zu brutalstem Terrorismus -bisher keinen effektiven sozialen Wandel schaffen konnte, ist nach dem Wesen der islamistischen Legitimation zu fragen und ihrer Wahrnehmung durch westliche Gesellschaften.

I. Einleitung

Zwei Prophezeiungen unterschiedlicher Herkunft stehen am Anfang dieses Beitrages: Die erste Prophezeiung stammt aus dem Spätwerk des französischen Schriftstellers und Politikers Andre Malraux. Er sagte in den siebziger Jahren voraus, daß das 21. Jahrhundert ein religiöses Jahrhundert sein werde. In der Tat läßt sich in Europa, Nord-und Südamerika, Ost-und Südostasien sowie in anderen Teilen der Dritten Welt eine Rückkehr zum Religiösen erkennen. Innerhalb des Wiedererwachens von Religiosität beobachten wir das Erstarken fundamentalistischer Glaubenshaltungen. Wir finden Fundamentalismus heute in den großen Weltreligionen ebenso wie in zahlreichen Sekten. Überall kennzeichnet Fundamentalisten dieselbe Grundhaltung: ein moralischer Rigorismus als Ressentiment gegenüber „den anderen“. Dieser Rigorismus -d. h. Buchstabengläubigkeit und Ausschließlichkeitsdenken -verschafft fundamentalistischen Gruppen jeweils einen besonderen inneren Zusammenhalt Wird das 21. Jahrhundert ein fundamentalistisches Jahrhundert? Ein islamisch-fundamentalistisches möglicherweise?

Die zweite Prophezeiung beruht auf den statistischen Daten des Weltentwicklungsberichts der Weltbank. Diese sagen für das kommende Jahrhundert einen gewaltigen Bevölkerungsdruck vom

Süden auf den Norden und vom Osten auf den Westen voraus. Weitaus intensiver, als es jetzt schon der Fall ist, wird die verzweifelte Ballung von Not, Hunger, ethnischen Kriegen, Arbeitslosigkeit und politischer Frustration das 21. Jahrhundert beherrschen. In den vor-und schwachindustriellen Regionen der Welt werden die rasante Zunahme der dortigen Bevölkerung sowie ihre Migrationen vorherrschende Faktoren sein.

Dazu ein Blick auf die demographische Explosion in der islamischen Welt: 1983 lebten im Vorderen Orient und in Nordafrika 270 Mio. Menschen. Bis 1991 stieg die Bevölkerung auf 350 Mio. an. Bis zum Jahr 2000 wird sie mindestens auf 430 Mio. angewachsen sein. Von 1983 bis zur Jahrtausendwende sind also 160 Mio. Menschen zusätzlich zu ernähren. Um dies bewerkstelligen zu können, wären fast 100 Mio. Hektar Neuland nötig. Diese Zielvorgabe entspricht fast einer Verdoppelung der zu Anfang der achtziger Jahre kultivierten Gesamtfläche der Region. Angesichts der Tatsache, daß die großen Bewässerungs-und Landgewinnungsprojekte der sechziger und siebziger Jahre sich weitgehend als Fehlschlag erwiesen haben und entsprechende Unternehmen der achtziger und neunziger Jahre eher bescheidene Erfolge brachten, entbehrt diese Option jeder echten Realisierungschance.

Ich gehe noch weiter in der Statistik: In den Turkrepubliken der GUS werden bis zum Jahr 2000 etwa 75 Mio., vielleicht sogar 80 Mio. Muslime leben. Sie dürften fast ein Drittel der zukünftigen Gesamtbevölkerung der GUS ausmachen. Wie stellt sich die Situation in Südostasien dar? In Indonesien leben gegenwärtig etwa 140 Mio. Muslime, das sind rund 80 Prozent der Gesamtbevölkerung. Sehen wir zum indischen Subkontinent: In Bangladesh, dem früheren Ostpakistan, leben derzeit 92, 3 Mio. Muslime, etwa 83 Prozent der Gesamtbevölkerung. Beide Staaten, Indonesien und Bangladesh, liegen zusammen mit Nigeria und Pakistan an der Spitze der Bevölkerungspyramide des Islam. Immer noch viel zu wenig beachtet wird die drastische demographische Situation in anderen islamischen Ländern wie z. B. in Algerien. Die algerische Bevölkerung hat sich seit 1940 verdreifacht. Sie nimmt rascher zu als die indische. In Algerien lebten 1991 fast 26 Mio. Muslime. Im Jahr 2000 werden es etwa 35 Mio.sein.

Betrachten wir die Weltsituation: Etwa ein Viertel der Weltbevölkerung bekennt sich heute zum Islam. Mindestens 45 Staaten bestehen aus muslimischen Gesellschaften. Sie stellen etwa ein Drittel der Stimmen in der Generalversammlung der UNO. Keineswegs verfügen dabei die arabischen Länder, was die Stimmenzahl angeht, über die Mehrheit. Denn mehr als zwei Drittel aller Muslime leben in nichtarabischen Staaten. Die Welt des Islam erstreckt sich vom westlichsten Punkt Afrikas bis nach Sinkiang in der Volksrepublik China, von den Turkrepubliken Mittelasiens bis nach Mocambique (besonders am Küstenstreifen) und zur südostasiatischen Inselwelt. Hinzu kommt der Diaspora-Islam Westeuropas und des Balkans mit knapp 15 Mio. Muslimen sowie Amerikas mit rund sechs Mio. in den USA und Kanada

Einige der reichsten wie auch einige der ärmsten Länder der Erde sind muslimisch. In den ölexportierenden Ländern, an der Spitze die Vereinigten Arabischen Emirate, finden sich die höchsten Einkommen (Bruttosozialprodukt pro Kopf fast 20 000 $). In Staaten wie Bangladesh und Mali liegt das BSP pro Kopf unter 200 $. Auch daraus wird deutlich, daß es an Konfliktpotential, besonders in den sozialökonomischen Bereichen der Welt des Islam, nicht mangelt.

Wir fragen deshalb: In welchem Verhältnis stehen die neue Form von Religiosität in der islamischen Welt, im westlichen Sprachgebrauch „Fundamentalismus“ genannt, und die demographische Explosion in eben dieser Welt zueinander? Wer sind und was wollen die islamischen „Fundamentalisten“? Bietet der Säkularismus eine Alternative? Kann sich eine Zivilgesellschaft enwickeln? Wo liegen die Chancen und Grenzen innovativer Bewegungen, d. h., wie zeigen sich Reformen im Islam?

II. Der Begriff „Fundamentalismus“

Der Begriff „Fundamentalismus“ ist nicht aus der Welt des Islam entnommen. Er ist vielmehr ein Begriff der nordamerikanischen Kirchenge-schichte. „Fundamentalists“ wurden jene Protestanten in den Vereinigten Staaten genannt, die sich auf Bibelkonferenzen gegen Ende des 19. Jahrhunderts von liberalen Tendenzen ihrer eigenen Kirche abgrenzten. Mit der Heiligen Schrift als Waffe in der Hand kämpften die „fundamentalists“ gegen Darwins Evolutionstheorie an. Von 1910 bis 1915 erschien ihre zwölfbändige Streitschrift für die Unfehlbarkeit des biblischen Buchstabens und gegen die Anerkennung der Naturwissenschaften, „ The Fundamentals -A Testimony to the Truth“. Der Begriff „Fundamentalismus“ wurde in den siebziger Jahren unseres Jahrhunderts auf die islamische Welt übertragen, weil westliche Intellektuelle glaubten, Gemeinsamkeiten zwischen beiden Gruppen festgestellt zu haben.

Bei dem Terminus „Fundamentalismus“ handelt es sich also um die Fremdbezeichnung einer bzw. mehrerer voneinander divergierender Strömungen des gegenwärtigen Islam. Die Bezeichnung wurde durch westliche Intellektuelle getroffen und hat abwertenden Charakter. Eine Entsprechung des westlichen Begriffs gibt es im Arabischen nicht. Vielmehr nennen sich ihre Anhänger vorwiegend „islämlyün“, was etwa mit „Islamisten“ zu übersetzen ist. Andere Bezeichnungen wie „usüllyün“, „Fundamentalisten“, oder „Islam mutatarrif“, „extremistischer Islam“, oder „irhäbTyün“, „Terroristen“, werden hauptsächlich von Regierungsseite neben „islämlyün“ gebraucht Im folgenden werden die Begriffe „Islamismus“ und „Islamisten“ benutzt.

Bestehen Gemeinsamkeiten im Denken und Handeln zwischen dem nordamerikanischen Fundamentalismus der Protestanten und dem Islamismus? Nur zwei Dinge sind hervorzuheben: Wie die amerikanisch-protestantischen „fundamentalists“ zu Beginn dieses Jahrhunderts und heute, wie die nordeuropäisch-protestantischen Evangelikalen, wie die verschiedenen Gruppierungen der römisch-katholischen Fundamentalisten, wie griechisch-orthodoxe, russisch-orthodoxe, armenische, koptische und nicht zuletzt -um bei den Monotheisten zu bleiben -auch wie jüdische Fundamentalisten lehnen die Islamisten jede Form von historisch-kritischer Exegese des Offenbarungstextes, ihrer Heiligen Schrift, ab. Es ist für sie völlig undenkbar, daß der Koran textkritisch untersucht werden könnte.

Wie gefährlich es für einen Muslim ist, die Heilige Schrift öffentlich nach philologischen Kriterien oder im gesellschaftlichen Kontext zu interpretieren, zeigt das Beispiel des ägyptischen Arabisten, Sprach-und Koranwissenschaftlers Nasr Hämid Abu Zaid von der Universität Kairo. In seiner Arbeit deckte Abu Zaid verschiedene Textschichten des Koran auf und versuchte damit, die Auslegungsvielfalt der Heiligen Schrift des Islam, wie sie bis zum 10. Jahrhundert möglich war, wiederherzustellen. Im Sommer 1992 wurde Abu Zaid von den islamistisch beeinflußten Medien in Ägypten zum Abtrünnigen, zum Apostaten, erklärt und ihm die Todesstrafe angedroht, woraufhin er Ägypten verließ

Ebenso wie die historisch-kritische Forschung an Offenbarungstexten mißbilligen die Islamisten den Gedanken der Existenz einer freien menschlichen Vernunft sowie jede auf die europäische Aufklärung zurückgehende Ethik. Die Vorstellung vom Menschen als einem autonomen Individuum wird abgelehnt. Statt dessen bejahen die Islamisten die Existenz eines Kollektivbewußtseins. Sie vertreten die Vorstellung vom Vorrang des Gemeinwohls, des öffentlichen Interesses (maslaha). Auf dieser Basis sind sie in einem Höchstmaß am Aufbau sozialer Netzwerke und Selbsthilfe-Organisationen interessiert.

Ganz unterschiedlich sind die Haltungen der islamitischen Gruppen und der weltweiten Fundamentalisten den Naturwissenschaften und der modernen Technologie gegenüber. Der Islamismus lehnt naturwissenschaftliches Denken nicht ab. Im Gegenteil, die Islamisten gehen mit einer Unbekümmertheit, ja mit einer Mischung aus Naivität und wissenschaftlicher Neugier an Technik und moderne Naturwissenschaft heran, daß jedem Vertreter eines „echten“ Fundamentalismus der Atem stockt. Der islamischen Orthodoxie und besonders den Traditionalisten, die auf den Buchstabensinn des Koran pochen, ist der Islamismus seit langem ein Dorn im Auge. Denn die Islamisten legen den Koran und die Prophetenaussprüche auf ihre Weise aus. Sie halten sich nicht an die herkömmliche Exegese, sondern verwenden in großzügiger Weise das „eigene Bemühen“ die „persönliche Meinungsfindung“, den igtihäd

Zum Beispiel wird nicht, wie es der offizielle Islam tut, die Androhung einer Strafe oder die Inaussichtstellung einer Belohnung im Jenseits zum Maßstab von Entscheidungen gewählt, sondern deren Verwertbarkeit im Alltag -gewissermaßen eine Belohnung im Diesseits.

Ein gängiges Beispiel für einen igtihäd ägyptischer Islamisten finden wir bei dem Begründer der Muslimbruderschaft Hasan al-Bannä „inna ’eläha yuhibbu ’l-mu’min el-muhtarif“, „Gott liebt den berufstätigen Gläubigen.“ Diese Schlußfolgerung wird gezogen aus dem angeblichen Prophetenzitat: „Man amsä källan min ‘amali yadihi, amsä magfUran lahü“, „Wer abends müde ist von seiner Hände Arbeit, dem wird vergeben.“ Für die islamische Orthodoxie ist dieses Zitat ein Hinweis auf eine Belohnung im Jenseits. Für die Islamisten enthält das Zitat eine sehr diesseitige Aufforderung zu radikaler Abkehr von jeglicher von der Orthodoxie gebilligten Form des Fatalismus. Ebenso richtet sich der igtihäd der Islamisten gegen die vom Islam des politischen Establishments geduldete und oft legitimierte Arbeitslosigkeit in Ägypten.

Nicht wenige Islamisten entwickeln aus diesem Zitat geradezu eine Theorie des Kapitalismus im Islam. Untätige -nicht Arbeitsunfähige -werden verachtet, was auch immer die Gründe für ihre Untätigkeit sein mögen. Untätigkeit, so sagen die Islamisten, sei dem Islam fremd. Der beste Erwerb ist eigener Hände Arbeit, lautet ihre Schlußfolgerung Ein weiterer zugeschriebener Propheten-ausspruch als Beleg: „Keiner hat vorzüglicher gespeist aufgrund seiner Hände Arbeit als Däwüd (-David), der Gesandte Gottes, Friede sei mit ihm.“ Und der rechtgeleitete Kalif cUmar soll gesagt haben: „Keiner von euch möge aufhören, nach dem täglichen Brot zu streben und (statt dessen) zu rufen: , Gott, gib mir zu essen! , denn es ist bekannt, daß weder Gold noch Silber vom Himmel fallen.“

Die praktische Konsequenz dieses igtihäd: Unter dem Aufruf „ Masrü‘ an-Nür li-muhärahat ar-ribä“, „Projekt von an-Nür zur Bekämpfung des Zinses“, ist es islamistischen Gruppen in Ägypten gelungen, zahlreiche zinslose Netzwerke und Projekte der Klein-und Kleinstproduktion innerhalb des Privatsektors ins Leben zu rufen, vor allem kleine Bäckereien, winzige Buchläden, Kondito­ reien und Gärtnereien. Die Projekte begannen 1991 und erfreuen sich großen Zuspruchs.

Mit Hilfe des igtihäd läßt sich freilich auch das Gegenteil rechtfertigen, nämlich die Zulassung des Zinses (ribä) Im schiitisch-islamistischen Iran beispielsweise wurde seit dem Ende des ersten Golfkrieges das im Koran verbotene Zinsnehmen (ribä) in den Fällen legitimiert, in denen durch die Gewährung von ausländischen zinsgebundenen Darlehen -vorwiegend aus Nordamerika und Westeuropa -die Wiederherstellung der Infrastruktur im Iran gewährleistet werden kann.

Mit dem äußerst dehnbaren Begriff des igtihäd gelingt es islamistischen Organisationen, Vertrauen in den unteren Schichten der muslimischen Bevölkerung zu gewinnen und zugleich Haß gegen die „passive“ Haltung des etablierten Islam und der Regierung zu schüren. Wirtschaftlich gesehen, handelt es sich nur um schrittweise Programme, ökonomisch aktiv zu werden. Selbstverständlich können die Islamisten keine Reformen im großen Rahmen durchführen, denn zu Sachfragen, welche über allgemeingültige Aussagen hinausgehen, haben sie sich bis heute kaum geäußert Mit ihrer lückenhaften Wirtschaftsvorstellung dürfte es den Islamisten über den kommunalen Bereich hinaus schwerfallen, ihr wichtigstes Versprechen einzulösen, nämlich Arbeitsplätze zu schaffen. Doch mit Hilfe des igtihäd versuchen sie, einen Wandel im Denken und Tun des Gläubigen herbeizuführen.

Fazit: Nicht auf den starren Buchstaben kommt es den Islamisten an, sondern auf die nach ihrem Verständnis pragmatische Textauslegung. Sie ist diesseitsbezogen und -notwendigerweise -selektiv. Mit anderen Worten: Was im öffentlichen Interesse steht, das technisch Moderne und Nützliche, zählt für die Islamisten. Für sie besteht der Zweck der Moderne in der Islamisierung der Gegenwart. Kein ausschließliches Zurück also ins Mittelalter, kein Zurück ins 7. Jahrhundert -in die Zeit des Propheten Muhammad -, sondern die

Anbindung der Gegenwart mit ihren naturwissenschaftlichen Entwicklungen an den Urislam wird von den Islamisten gefordert.

Es stellt sich die Frage: Sind dem Islamismus auch reformerische Impulse zu eigen? Vorläufige Antwort: Reform kann nicht durch völlige Neuerung erreicht werden; denn jede Neuerung hat den Beigeschmack, schädlich zu sein (bidca), lehren die Islamisten und unterscheiden sich damit von den Säkularisten. Diese verstehen unter „Reform“ die Trennung von Politik und Religion, von Religion und Rechtsprechung. Für die Säkularisten des Islam wird Religion zur Privatangelegenheit. Die Religiosität verliert ihren öffentlichen Charakter.

Reform, so sagen die Islamisten, sei freilich notwendig. Sie werde aber nicht durch die Trennung von Politik und Religion erreicht, sondern allein durch die Reinigung der Religion von „ungutem“ Traditionalismus. Das heißt, die Islamisten reinigen den Islam von Autoritätsgläubigkeit, Unterwürfigkeit, Fatalismus, Heiligenverehrung und zahlreichen volkstümlichen Ausprägungen des Islam, die im Laufe seiner Geschichte entstanden sind. In ihrer Definition des Begriffes „Reform“ unterscheiden sich die Islamisten nicht nur von den Säkularisten, sondern ebenso vehement von den Bewahrern der Tradition, den Traditionalisten.

Die Islamisten lehnen also das historisch-kritische Denken der Säkularisten ab; ja, sie verachten es und bedrohen seine muslimischen Anhänger mit dem Tod, wie das Beispiel Abü Zaids zeigt. Ebenso lehnen die Islamisten radikal das bedingungslose Festhalten an der Tradition ab, d. h., sie verachten das erstarrte Denken und unreflektierte Handeln der Traditionalisten.

Was bedeuten aber dann Reform, Innovation und Modernisierung für die Islamisten? Sie bedeuten den Rückgriff auf das Urideal der muslimischen Gesellschaft, jedoch unter Einbezug selektiver Elemente der Gegenwart. Diese sind legitimiert durch die Anwendung des igtihäd, des „eigenen Bemühens“. Denn das Urideal besteht nicht an sich. Es besteht immer nur in der Konzeption des Reformers. Dies ist übrigens in keiner Religion, in keiner Kultur anders.

So heißt „gesellschaftliche Modernisierung“ für die Islamisten: keine vorbehaltlose Akzeptanz der historischen Entwicklung des Islam, insbesondere seines Offenbarungstextes, sondern Reform des Verwaltungssektors, der sozialen Einrichtungen und vor allem Technologietransfer in jeder nur denkbaren Weise. In der islamischen Welt ist also zu unterscheiden zwischen „islamisch“ und „islamistisch“. Der Begriff „Islam“ steht für das komplexe Erschei-nungsbild der Religion. Diese Religion ist zugleich rechtliche, gesellschaftliche und politische Ordnung mit Weltanspruch. Der Begriff „Islamismus“ steht für die Ideologie dieser Religion, und zwar für eine Ideologie modernen Zuschnitts, handelt es sich doch um Gruppierungen, Vereine und Parteien mit Programmen und Statuten, wie sie -ihrer Form, keineswegs ihrem Inhalt nach -auch in westlich-pluralistischen Staaten zu finden sind.

III. Der „politisierte Islam“

Um den Unterschied zwischen dem Islam als Religion, Politik, Gesellschaftsordnung, Rechts-und Wirtschaftssystem auf der einen und dem Islamismus als der Ideologie dieser Religion und Politik auf der anderen Seite zu verstehen, werfen wir einen Blick auf die jüngere Geschichte des Islam. Seit dem 19. Jahrhundert ist in der islamischen Welt ein im europäisch-westlichen Wortsinn „politisierter Islam“ entstanden. Politisch war der Islam immer gewesen und ist es auch gegenwärtig, doch als „politisierte“ religiöse Bewegung entwikkelte er sich erst im vorigen Jahrhundert, und zwar in der Auseinandersetzung mit Europa, genauer gesagt: mit den Errungenschaften der Französischen Revolution.

Mit dem Begriff des „politisierten Islam“ wird jene Form des Islam bezeichnet, die sich von der Religion zur letztlich totalitären Ideologie im westlich-modernen Sinne herausbildete. Der „politisierte Islam“ entstand als eine von mehreren inneren islamischen Oppositionsbewegungen. Er forderte die Wiederzulassung der individuellen Schlußfolgerung, d. h.der persönlichen, selbständigen Bemühung des Gelehrten auf dem Wege der Wahrheitsfindung, eben des igtihäd. Um die Tragweite dieser Forderung zu verstehen, ist ein kurzer Blick auf die Bedeutung des Begriffs igtihäd, „Bemühung“, im Bereich der Theologie und der Jurisprudenz notwendig.

Igtihäd ist ein Mittel der Gotteserkenntnis und der spekulativen Rechtsfortbildung. Warum handelt es sich nicht um freie Schlußfolgerungen? Das islamische Recht wird nicht frei entwickelt. Es wird nicht gesetzt. Das islamische Recht wird mit Hilfe des igtihäd auf der Grundlage der Rechtsquellen Koran, Sunna, Konsens und Analogieschluß gefunden Ausgehend von dem Prophetenspruch, „Meine Gemeinde wird nie in einem Irrtum übereinstimmen“, gilt das Ergebnis des igtihäd im Islam -mit Ausnahme der Schia -als allgemein verbindlich und für alle Zeit unwiderruflich Dies hatte wesentliche Konsequenzen für den Charakter der Gemeinschaft der Muslime.

Denn: Erstens kennt der Islam keine Institution „Kirche“, keine Synode, kein Konzil und der sunnitische Islam -85 Prozent aller Muslime -auch keinen Klerus. Jeder Gläubige steht unmittelbar zu Gott Zweitens kennt der Islam insgesamt keine Mehrheitsbeschlüsse -und deshalb auch keine parlamentarische Demokratie. Es zählt der Konsens aller, d. h. ursprünglich „aller Gefährten des Propheten Muhammad“ bzw.der schweigende Konsens (igmä‘ as-suküt). De facto handelte es sich immer um den Konsens der Rechtsgelehrten. Wenn dieser nicht erzielt werden konnte, galt der igtihäd des einzelnen Gelehrten -und zwar des Gelehrten als Privatperson -als verbindlich

Dies führte zu einem breitgefächerten Pluralismus in der frühislamischen Gesellschaft. Dem einzelnen Gläubigen bot sich ein verhältnismäßig großer Spielraum an individueller Handlungsfreiheit. Im Pluralismus der muslimischen Gesellschaften jener Zeit lagen freilich auch Gefahren, z. B. die Gefahr der Zersplitterung der Gemeinde. Konservative Rechtsgelehrte erkannten sie und fürchteten um den Fortbestand der Gemeinde. Deshalb wurde der Gebrauch des igtihäd als legitimes Mittel der Wahrheitsfindung schon um 900 n. Chr. aufgegeben. „Die Tür des persönlichen Bemühens“ (bäb aligtihäd) wurde offiziell geschlossen und statt dessen Schulzwang, „Autoritätsgläubigkeit“ (taqlld) gefordert und ausgeübt. Damit setzte die lange Periode der Erstarrung im Islam ein.

Vor diesem Hintergrund ist die Tragweite einer Entscheidung aus dem Jahr 1985 zu verstehen. Unter dem Druck ihrer islamistischen Mitglieder erklärte die Rechtsakademie der Islamischen Liga das „Tor des igtihäd“ für wieder geöffnet Seit 1985 werden die Gelehrten des Islam aufgefordert, auf der Basis des igtihäd die anstehenden Probleme des modernen Lebens zu lösen. Gefordert wird eine dem euro-amerikanischen Westen entgegengesetzte, alternative Modernisierung des Orients -mit anderen Worten: eine Modernisierung ohne säkularistische Tendenz.

Die Islamisten wollen die Anpassung der Gegenwart -zu betonen ist der Begriff „Gegenwart“ -an das Ideal der Urgemeinschaft. Darin liegt der Unterschied zu den rein restaurativen Kräften, denen es allein um die Retrospektive zwecks Erlangung des Heils geht. Darin liegt ebenso der Unterschied zum offiziellen Islam, der sich mit dem jeweiligen gegenwärtigen Zustand abfand, ja ihn oft genug legitimierte und so ein recht enges Verhältnis zur Staatsmacht -ohne Rücksicht auf die Staatsform -eingegangen ist.

Aufgrund des Korans weiß sich die islamische Gemeinde als „die beste aller Gemeinschaften“. So heißt es in Sure 3, Vers 110: kuntum haira ummatin uhrigat li ’n-näs, „Ihr seid die beste Gemeinschaft, die unter den Menschen entstanden ist“, -die „beste“, weil diese Gemeinschaft zum Guten auffordert und das Tadelnswerte verbietet (amr bi ’l-marüf wa-nahy can al-munkar). Der Offenbarungstext -Gott selbst -hat mit Sure 3, Vers 110 nach muslimischem Verständnis die existentielle Überlegenheit der Muslime vor allen anderen Völkern und Religionen der Welt dokumentiert. Dieses Überlegenheitsgefühl des Islam erfuhr seine erste schwere Erschütterung um die Wende vom 18. ins 19. Jahrhundert.

In den Jahren 1798 bis 1801 betraten erstmals nach den Kreuzzügen wieder europäische Truppen den Vorderen Orient, dazu Wissenschaftler und Tech-niker in großer Zahl. Es handelte sich um Napoleons Expedition nach Ägypten Tief beunruhigt erkannten die Muslime die technische, wirtschaftliche und kulturelle Überlegenheit der Europäer. Wie konnte es möglich sein, so fragten die islamischen Rechtslehrer, daß der einst so siegreiche Islam die Demütigung der Rückständigkeit hinzunehmen hatte, wo doch Gott selbst den Muslimen als Offenbarungstext zugesichert hat, sie seien die beste aller Gemeinschaften auf Erden.

Die Antwort fanden die Gelehrten zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einer „modernen“ Auslegung des Koran. Sie gehört bis heute zum festen Bestand der Glaubenslehre aller Islamisten: „Weicht ein Volk von der ursprünglichen Reinheit der wahren Religion ab, so gibt Gott dieses Volk dem Niedergang und der Knechtschaft preis.“

Zum erstenmal in seiner Geschichte, so sagen die Islamisten, sei der Islam von Gott gestraft worden. Die „Strafe“ sehen sie in der Erfahrung des Kolonialismus bzw.der Mandatszeit sowie in der sich anschließenden Periode der nationalen Befreiung, die der arabisch-islamischen Welt zwar die formale politische Unabhängigkeit brachte, ihr aber eine wirkliche Selbstbestimmung vorenthielt. Gestraft sehen sie sich auch durch verschiedene Formen des Sozialismus, Nasserismus, Kommunismus, ebenso des Liberalismus, Nationalismus und Kapitalismus. Demokratie ist für sie ein Slogan wie jeder andere. Den Grund für die „Strafe“ erkennen sie vorwiegend in drei -wie sie sagen -schädlichen Entwicklungen des Islam: 1. im Überhandnehmen des Traditionalismus, denn dieser habe bereits den „Urislam“ verfälschend erweitert, 2. im Status-quo-Denken des Islam des Establishments sowie 3. im Eindringen säkularistischer Tendenzen.

IV. Die Islamisten

Wer sind die Islamisten? Bei den islämlyün zwischen Marokko und der indonesischen Inselwelt handelt es sich nicht um ausgebildete Theologen. Der Typus des Islamisten ist folgendermaßen zu beschreiben: Meistens verfügt er über ein staatliches Diplom einer wirtschaftswissenschaftlichen, technischen, medizinischen oder naturwissenschaftlichen Studienrichtung. Häufig ist er Betriebswirt, Arzt, Technokrat oder Ingenieur. Oft hat er zusätzlich oder auch im Hauptfach Philosophie studiert -nicht die islamische, sondern zumeist die europäische Philosophie von Hegel bis Heidegger.

Der Typ des Islamisten läßt drei Hauptgruppierungen zu. Zur ersten Gruppierung gehören im westlichen Sinne hochgebildete Intellektuelle, die sich kraft einer plötzlichen. Konversion, oft verbunden mit persönlichen Krisen, unbefriedigt von „westlichen“ Ideologien und Systemtheorien abwenden. Die größte Anzahl dieser Konvertiten stammt aus marxistisch-sozialistischem Umfeld oder aus der Schule Heideggers. Auch Frauen sind häufig in dieser Gruppe anzutreffen

Die zweite Gruppe innerhalb des Islamismus rekrutiert sich seit Mitte der siebziger Jahre aus jungen und sehr jungen Leuten. Ihr Durchschnittsalter beträgt rund 20 Jahre. Sie kommen aus ländlichen Gegenden oder Kleinstädten, meistens aus traditionellem Milieu. Ihre Familien gehören der Mittelklasse oder der unteren Mittelklasse an. Sie selbst sind Aufsteiger mit einer hohen Leistungsmotivation aufgrund einer naturwissenschaftlichen oder technischen Ausbildung. Ihre elterliche Familie haben sie meistens in der ländlichen Umgebung zurückgelassen. In der Stadt leben sie allein oder mit Zimmergefährten. Häufig stammen sie auch aus Familien, die erst in der zweiten Generation in den großen Städten der islamischen Welt leben.

Diese jungen Leute tragen die Last der Veränderung und der Anpassung von ländlichen Gesellschaftsformen an eine urbane Lebenswelt. Ihre Eltern haben ihnen meist unter eigenem Verzicht auf Karriere und Lebensqualität eine gehobene, oft akademische Ausbildung an einer der staatlichen Hochschulen ermöglicht und sind somit erfüllt von einer ungeheuren Erwartungshaltung gegenüber ihren Sprößlingen.

Da die jungen Leute kaum mit einem Arbeitsplatz im übervölkerten urbanen Gebiet rechnen können, und da ihre Abneigung gegen ihre eigene ländliche Herkunft bzw. die ihrer Eltern in dem Maße steigt, in dem auch die anfänglich übergroße Anziehungskraft der Städte sich in ihr Gegenteil verwandelt, weil die Stadt ihnen weder Arbeit bieten noch ein Gemeinschaftsgefühl innerhalb der Vorgefundenen verwestlichten, aber sozial höchst löchrigen Zivilisation vermitteln kann, werden diese jungen Leute zu akademischen Proletariern.

Die dritte Gruppierung besteht erst seit einigen Jahren. Nach dem Ende des Afghanistankrieges, 1989, sind viele Freiwillige, die auf Seiten islamitischer Gruppen gegen die sowjetischen Besatzer und die afghanischen Kommunisten gekämpft hatten und bei Kriegsende in Pakistan, in ihrem Hauptquartier Peschawar, verblieben waren, von der pakistanischen Führung -d. h. vom Militär -rücksichtslos nach Nordafrika und in den Nahen Osten abgeschoben worden. Denn die pakistanische Elite lehnt den Islamismus ab; sie ist -wie auch in anderen islamischen Ländern -halbsäkularisiert oder mehr oder weniger religionsfern. Die Abgeschobenen aber, einst von Saudi-Arabien und den USA für den Partisanenkrieg finanziert, wurden in ihrer neuen Umgebung zum Rückgrat islamistischer Terroraktionen. Sie sind hauptsächlich in Palästina, in Jordanien, Ägypten, im Jemen, in Algerien, Tunesien und Marokko aktiv. Den „Afghanen“ geht es bei ihren Aktionen vornehmlich um die Erschließung eigener Geldquellen, z. B. im Drogen-und Waffenhandel. In den betroffenen Ländern stellen sie eine erhebliche Gefahr dar

Islamisten sind in der Regel geprägt von Denkmustern eines verwestlichten Bildungssystems, das ihnen weder einen Beruf sichern kann, noch ihnen in einer sich ungeheuer rasch verändernden Wirklichkeit einen Daseinssinn zu vermitteln in der Lage ist. Die Islamisten kommen deshalb zu der Überzeugung, daß die Schuld an ihrer Misere im starken Druck westlicher Zivilisationsimporte auf ihre Umgebung zu verstehen ist -„westlich“ meint hierbei keinen geographischen Raum.

Nicht in der Naturwissenschaft, in der Industrialisierung, der Technik oder der Technologie als solcher sehen die Islamisten eine Gefahr, sondern in den damit verbundenen islamfremden Werten. Diese bestehen nach ihrer Ansicht im Pluralismus und im Säkularismus der westlichen Gesellschaft

Die Bedrohung durch den Westen, wie sie im Islamismus empfunden wird, geht nicht vom Weltlichen als dem Gegenpol des Geistlichen aus. Der Dualismus von Profanem und Geistlichem, so sagen die Islamisten, charakterisiere ausschließlich die euro-amerikanische Welt, er bestehe nicht im Islam. Deshalb werden die tatsächlichen Errungenschaften der europäischen Aufklärung und der Säkularisation, nämlich die Trennung von Staat und Kirche, für den Islam als irrelevant betrachtet. Im Islam gebe es nichts zu säkularisieren, antworten die Islamisten In der Tat, eine islamische „Kirche“ -im Sinne einer Institution -existiert nicht, wohl aber das offenbarte Gesetz. Niemand wagt, es zu entmythologisieren.

Pluralistisches und säkularistisches Denken, beides gleichgesetzt mit einem haltlosen Relativismus, wird von den Islamisten als der „Sündenfall“ der westlichen Kultur gebrandmarkt. Deshalb besteht das geistige Hauptproblem der muslimischen Länder in der Identitätssuche und in dem Wunsch nach kultureller Selbstbehauptung. Menschen begeben sich auf diese Suche und verspüren diesen Wunsch, wenn sie die tragenden Werte ihrer angestammten Kultur durch eine fremde bedroht sehen.

In dem oft verworrenen Gemisch aus kultureller Verzögerung („cultural lag“) und sehr konkretem Hunger nach politischer Macht ist ein blinder Aktionismus häufig das einzige Ventil. Ein großer Teil der Islamisten ist, ähnlich den Mullahs im Zuge der Islamischen Revolution im Iran, derzeit dabei, allein um des Erfolges und des Einflusses auf die Massen willen, Reformpläne aus den eigenen Reihen abzublocken

So ist auch im Islamismus das für den Islam ohnehin tragische Dilemma zwischen traditionalistischer Restriktion und der Durchsetzung reformerischer Konzepte oft nur eine Frage der Versuchung durch die Macht. Islamistischer Aktionismus kann um so gefährlicher für die traditionelle wie für die halb oder vollständig säkularisierte Gesellschaft des Orients werden, als er von keiner Zentrale gesteuert wird. Vielmehr entflammt er spontan unter Führung verschiedenster charismatischer Führergestalten, auch unter dem Befehl abgemusterter Krieger, meist lokal begrenzt, doch bei fortschreitender Migration bereits auch weit über nationale Grenzen hinweg.

Beurteilt ein westlicher Betrachter den Islamisten als Typus, so wird er stets die soziale Krise, die wirtschaftliche Ausweglosigkeit und die politische Enttäuschung des Islamisten zum Hauptkriterium seiner Beurteilung erheben. Ganz anders hingegen versteht der Islamist sich selbst und seine Situation. Für ihn ist der Grund der Krise ein religiöser. Denn der Islamist vergleicht die Vergangenheit außerhalb jedes historischen Kontextes mit der Gegenwart. Dadurch wird die aus ihrer Geschichtlichkeit vollständig herausgelöste islamische Gemeinde (umma) zu einem unanfechtbaren Nonplusultra. Der Islamist wird bei der Einschätzung und Bewertung einer konkreten sozialen, wirtschaftlichen, rechtlichen, militärischen oder anderen Situation niemals direkt oder ausschließlich vom konkreten Fall ausgehen. Er wird sich stets auf die göttlichen Verheißungen berufen, die er in Analogie zum bewertungsfähigen Fall stellt. Damit denkt er immer „religiös“ und „indirekt“. Die Wahl des Tertium comparaüonis beim Herstellen der Analogie ist freilich ihm selbst überlassen. Diese freie Wahl bedeutet „das Öffnen des Tores des eigenen Bemühens“, des igtihäd, also des eigentlichen reformerischen Impulses des Islamismus -wie des Islam überhaupt

Ganz anders als im Denken der orientalischen Säkularisten und des euro-amerikanischen Westens drückt der Islamist die Belange seiner Welt in religiös-rechtlichen Kategorien aus, nicht in weltlich-sozialen. Hierin liegt, wie mir scheint, einer der grundlegenden Unterschiede der säkularisierten westlichen Welt zur islamischen. Da die islamische Religion Gesellschaftsordnung, Politik und Rechtssystem in einem ist, können westlichsäkularistische Begriffe die Phänomene des Islam nicht vollständig erfassen Dies trifft auch auf die Begriffe „Entwicklung“ und „Moderne“ zu. Der Westen, zumal wenn er des Arabischen und anderer orientalischer Sprachen nicht mächtig ist, bemerkt nur den äußeren Aktionismus eines großen Teils der islamistischen Bewegung. Das innere Ringen wie auch die Erfolge des Bemühens um eine eigenständige Reflexion und die damit notwendigerweise sich ergebenden Ansätze eines neuen Pluralismus auf der Basis des igtihäd bleiben ihm verborgen. Die islamische Welt hingegen sperrt sich, wie sie meint, gegen jede Art von Säkularisation, da sie in diesem Begriff den Prototyp der Fremdbestimmung durch den Westen (tagrlb) und damit das Ende ihrer eigenen Ordnungsprinzipien fürchtet.

Dieses auf beiden Seiten bestehende erkenntnis-theoretische'Problem läßt sich nur durch ständige vergleichende Befundsbeschreibungen und -analysen lösen. Zu den Aufgaben der westlichen Islamwissenschaft gehört es deshalb auch, neue Kategorien zu entwickeln, um den Islamismus angemessener systematisieren und verstehen zu können. Große Hoffnungen werden mittlerweile in die Methode der Entwicklungssoziologie und der Netzwerkanalyse gesetzt, wie sie beispielsweise an den Universitäten Bielefeld und Bochum seit einigen Jahren betrieben werden

Schicht-und gruppentheoretische Erklärungen sind notwendig, um die hinter dem Begriff des Islamismus stehende Form der Angstbewältigung, nämlich einer „lebensweltlichen Bewältigung des Modernisierungsdrucks“ auf der islamischen Seite und einer ebenso existentiellen Bewältigung der Angst vor dem Nichtvertrauten auf der westlich-modernisierten Seite, zu isolieren und am Ende gänzlich aufzulösen.

Die meisten Publikationen, die den westlichen Buchmarkt und die Medien zum Thema „Islamismus“ derzeit überschwemmen, erkennen die Problematik der Übertragbarkeit europäischer politischer und sozialer Begriffe sowie deren Inhalte auf die islamischen und islamistischen Zivilisationen nur in unzureichendem Maße -falls überhaupt

Deshalb werden dringender denn je Untersuchungen zu den religiösen und ideologischen Referenz-systemen der islamischen Zivilisationen benötigt Noch immer fehlen Analysen originalsprachlicher Flugblätter, Broschüren, Grauer Literatur, Predigten und Prozeßakten, islamistischer Monographien und Zeitschriften

V. Ausblick

Ist ein vorsichtiger Optimismus angebracht? Stellt der Säkularismus eine praktikable Alternative dar? Säkularistische Tendenzen hat die islamische Geschichte stets gekannt, ohne daß der Terminus „Säkularisierung“ je gebraucht wurde. Dies zeigt sich in der Tatsache, daß es in der gesamten Geschichte des Islam keinen einzigen Staat gegeben hat, der ausschließlich vom Koran geleitet worden wäre. Vielmehr wurde das religiöse Gesetz, die Scharia, als mehr oder weniger abstrakte Grundlage des islamischen Staates betrachtet. Die Folge ist die bis heute bestehende und immer größer werdende Lücke zwischen einer pragmatischen Herrschaft einerseits und dem vom Religionsgesetz vorgegebenen idealen Zweck derselben andererseits Gemeint ist der Widerspruch zwischen Pragmatismus und Norm, zwischen Wirklichkeit und Theorie/Religion.

Ansätze von Säkularisierung lassen sich überall da in der islamischen Geschichte beobachten, wo politische Herrschaft von ihren religiösen Verflechtungen getrennt wurde *o*bwohl diese doch als die Vorbedingung jeder herrscherlichen Rechtmäßigkeit betrachtet wurden. Dies war der Fall bei jeder Usurpation, und deren hat es unendlich viele gegeben. In der Praxis des Islam ging politischer Pragmatismus zumeist vor religiösem Dogmatismus. Säkularismus, wiedergegeben mit dem arabischen Wort calmämyq, wurde erst dann in muslimischen Augen zu einem Negativum, als er von außen als „imitative Verwestlichung“ aufgezwungen oder von Nichtmuslimen in islamischen Ländern für eigene Zwecke ausgenutzt wurde, u. a. -wie Muslime es sehen -für Atatürks „Kulturrevolution“ in der Türkei oder für Hegemoniekonzepte christlicher Araber im Libanon.

Fragen des Säkularismus wurden unter Muslimen heftig diskutiert -sogar öffentlich besonders in den achtziger Jahren in Ägypten Diese Öffentlichkeit der Diskussion fehlt heute. Seit der Ermordung eines der bekanntesten Säkularisten in Ägypten -Farag Foda wurde in Kairo im Sommer 1992 von Islamisten auf offener Straße „hingerichtet“ -sind Intellektuelle vorsichtig geworden, öffentlich zum Thema des Säkularismus Stellung zu nehmen.

Im politischen Diskurs der muslimischen Gesellschaften, besonders in den arabischen Ländern, hat deshalb seit einigen Jahren der Begriff der Zivilgesellschaft (civil society) eine wachsende Bedeutung erlangt. Dabei geht es den Vertretern dieses Diskurses wie auch den ihn beobachtenden westlichen Wissenschaftlern um sämtliche Versuche, zivile Elemente in den verschiedenen, häufig von einer Militärbourgeoisie beherrschten Ländern auszumachen. Obwohl die Diskussion um eine Zivilgesellschaft im islamischen Raum noch vor Problemen steht, zum einen, weil häufig von muslimischer Seite dem Begriff der Demokratisierung nur relativ bescheidene Kraft zugemessen wird und zum anderen, weil die Unterdrückung ziviler Gesellschaft in mehreren Staaten der Region „von oben“ eher zu-als abnimmt, lassen sich dennoch auf säkularer wie islamistischer Seite zivile Ansätze erkennen. Dazu zählen Gruppen im informellen Sektor wie Menschenrechtsorganisationen, Nichtregierungsorganisationen, Berufsverbände und Frauengruppen sowie soziale Netzwerke aller Art

Nach dem allgemeinen Versagen der arabischen Linken sind so gut wie alle selbständig organisierten Formen säkularistischer Opposition in den islamischen Ländern gescheitert. Dies gilt neben Ägypten in geradezu erschreckendem Maße für Algerien Die Anziehungskraft des Islam als Ideologie auf eine enttäuschte und radikalisierte Jugend ist in kaum vorstellbarer Weise unterschätzt worden.

Muslimische Säkularisten und die gesamte nichtislamische Linke gestehen heute ein, das Erwachen des Islamismus als eine soziale Protestbewegung und eine identitätsuchende Reaktion „in der Moderne gegen die Moderne“ glattweg „verschlafen“ zu haben. Vor allem die christliche arabische Linke versäumte es wahrzunehmen, daß bereits kurz nach 1973 im Islamismus eine neue geistige, aber vorwiegend anti-intellektuelle Bewegung entstanden war, welche ihre Ziele in religiöse Begriffe kleidete -das hatte schon der Prophet Muhammad getan. Wie konnte ein so schwerwiegendes Versäumnis geschehen? In den sechziger Jahren fühlte sich die Linke in den muslimischen Ländern ihrer selbst so sicher, daß sie an ein Wiedererwachen religiöser Strömungen -seien es islamische oder christliche -nicht zu denken vermochte. Den säkularisierten, linken Parteien und Intellektuellen war es noch bis in die Zeit nach dem Oktoberkrieg, 1973, unvorstellbar, daß Glaubensbewegungen charismatischer Anführer als Indikator für soziale Verwerfungen hätten gewertet werden müssen. Die Linke hat übersehen, daß heute nicht mehr sie und die Arbeiterbewegungen, sondern die islamistischen Gruppen die Funktionsmängel der Gesellschaft sichtbar machen

Will Europa nicht in dieselbe Ignoranz abgleiten, in der sich derzeit die arabische Linke befindet, muß es sich zum Dialog mit den Islamisten bereit finden. Ebenso müßte Europa akzeptieren, daß die ihm benachbarte islamische Welt mindestens so vielfältig ist wie Europa selbst. Die Islamisten sind keine Anachronisten. Sie artikulieren das sozialpolitische Bewußtsein der städtischen Massen, deren Leben sich nach der Unabhängigkeit durch die nach europäischen Mustern konzipierten Pläne ihrer Regierungen kaum oder gar nicht verbesserte, vielleicht sogar manchmal verschlechterte. Wie relevant sind nun die beiden eingangs erwähnten Prophezeiungen: das 21. Jahrhundert -ein islamitisches Jahrhundert? Das Bevölkerungswachstum in der islamischen Welt eines der größten Probleme dieser Region -und darüber hinaus? Bei dem Versuch, die Probleme der Gegenwart zu bewältigen, berufen sich Islamisten, Säkularisten und Anhänger der Vorstellung von einer zivilen Gesellschaft auf den Koran, indem sie Sure 13, Vers 12 zitieren: „Irma’ lläha lä yugaiyirü mä biqaumin hattä yugaiyirü mä bi-anfusihim“, „Siehe, Gott ändert nicht sein Verhalten zu einem Volk, ehe es nicht sein Denken ändert.“

Fussnoten

Fußnoten

  1. Der vorliegende Beitrag wurde 1994 als Antrittsvorlesung im Fach „Islamwissenschaft“ an der Justus-Liebig-Universität Gießen gehalten. Komparative Aspekte und gesellschaftstheoretische Elemente der verschiedenen Fundamentalismen untersuchen z. B. J. L. Esposito (Hrsg.), Voices of Resurgent Islam, New York 1983; B. Lawrence, Defender of God. The Fundamentalist revolt against Modern Age, San Francisco 1989; M. Riesebrodt, Fundamentalismus als patriarchalische Protest-bewegung, Tübingen 1990; G. Kepel, Die Rache Gottes, Radikale Moslems, Christen und Juden auf dem Vormarsch, München 1991; M. Harbi, L’islamisme dans tous ses etats, Paris 1991; M. E. Marty/R. S. Appleby (Hrsg.), Bd. 1: Fundamentalem Observed, Chicago 1991, Bd. II: Fundamentalism and Society, Chicago 1993; L. Kaplan (Hrsg.), Fundamentalism in Comparative Perspective, Amherst/Mass. 1992; F. Burgat, L’islamisme en face, Paris 1995; Umfassende kommentierte Bibliographie: Y. Y. Haddad/J. L. Esposito, The Contemporary Islamic Revival. A Critical Survey and Bibliography, Westport/Conn. -London 1991.

  2. Zum Islam in Westeuropa vgl. G. Kepel, Les banlieues de rislam. Naissance d’une religion en France, Paris 1991; ders., A l’ouest d’Allah, Paris 1994; L. Poston, Islamic Dacwah in the West, Oxford 1992; G. Nonneman/T. Niblock/B. Szajkowski (Hrsg.), Muslim Cummunities in the New Europe, Berkshire 1996; M. Gür, Türkisch-islamische Vereinigungen in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt/M. 1993; W. Heitmeyer, u. a.. Verlockender Fundamentalismus: Türkische Jugendliche in Deutschland, Frankfurt/M. 1997.

  3. Eine Zusammenfassung der Auseinandersetzung mit dem Begriff in der westlichen Forschung bringt H. Lücke, „Islamischer Fundamentalismus" -Rückfall ins Mittelalter oder Wegbereiter der Moderne?, Berlin 1993, S. 193-214.

  4. Vgl. N. Kermani, Offenbarung als Kommunikation. Das Konzept wahy in Nasr Hämid Abu Zaids Mafhüm an-nass, Bern u. a. 1996. Das erste ins Deutsche übersetzte Buch von Nasr Hamid Abu Zaid ist unter dem Titel „Islam und Politik, Kritik des religiösen Diskurses“, Frankfurt/M. 1996 erschienen.

  5. Unter diesem Begriff ist die „selbständige Entscheidung auf der Grundlage der eigenen Interpretation der religiösen Quellen“ zu verstehen. Siehe unten S. 7.

  6. Vgl. dazu R. Mitchell, The Society of the Muslim Brothers, London 1969.

  7. Geb. 1906, durch Mitglieder der politischen Polizei Ägyptens 1949 ermordet.

  8. Hasan al-Bannä, Magmü^at ar-rasäJ il, Kairo 1990, S. 265.

  9. Vgl. ebd., S. 260.

  10. Ebd.

  11. Es handelt sich um die in Kairo erscheinende muslimbruderschaftlich/islamistische Wochenzeitschrift „an-Nür“ („Das Licht“), Ausgabe vom 14. 8. 1991, S. 7.

  12. Ein Rechtsgutachten (fatwä) entsprechenden Inhalts erließ kürzlich der frühere Mufti von Ägypten und jetzige Scheich der Universität Al-Azhar in Kairo, Muhammad Sayyid Tantäwi (Kurzbiographie in: Orient, 37(1996), S. 385391). Im Koran ist das Nehmen von (Wucher-) Zins (ribä) verboten. Allgemein zur gegenwärtigen Situation vgl. V. Nienhaus, Islamische Ökonomik in der Praxis, in: E. Ende/U. Steinbach (Hrsg.), Der Islam in der Gegenwart, München 1996", S. 164-185.

  13. Für Ägypten vgl. K. El-Gawhary, Islamische Banken in Ägypten, Berlin 1994; F. Ibrahim, Rente und Zivilgesellschaft in Ägypten, in: Staat und Zivilgesellschaft in Ägypten, Münster-Hamburg 1995, S. 94-115; J. Müller, Islamischer Weg und islamistische Sackgasse, Münster-Hamburg 1996; Für Iran vgl. A. Rieck, Unsere Wirtschaft. Eine gekürzte kommentierte Übersetzung des Buches Iqtisädunä von Muhammad Bäqir as-Sadr, Berlin 1984.

  14. Vgl. A. Noth, Die Scharia, das religiöse Gesetz des Islam -Wandlungsmöglichkeiten, Anwendung und Wirkung, in: W. Finkentscher/H. Franke/O. Köhler (Hrsg.), Entstehung und Wandel rechtlicher Traditionen, Freiburg/München 1980, S. 415-437, bes. S. 419f.

  15. Im schiitischen Islam -ca. 15 % gegenüber ca. 85 % sunnitischer Muslime -hat der Begriff igtihäd eine andere Bedeutung und Funktion. Vgl. dazu H. Halm, Die Schia, Darmstadt 1988, bes. S. 84-90; ders., Der schiitische Islam, München 1994, bes. S. 115-120, 126-129.

  16. Einzelheiten behandelt der Artikel „iditihäd“ in: The Encyclopaedia of Islam. New Edition, III, Leiden 1971, S. 1026-1027; Bd. 3, Nr. 2 der Zeitschrift „Islamic Law and Society“, Leiden 1996.

  17. Vgl. J. Bouman, Gott und Mensch im Koran, Darmstadt 1977.

  18. Vgl. A. Noth (Anm. 14), S. 419f.

  19. Die historische Wirklichkeit ließ inoffiziell die Beibehaltung des igtihäd weitgehend zu. Vgl. W M. Watt/A. T. Welch, Der Islam I, Stuttgart u. a. 1980, S. 256f.

  20. Während der gesamten Geschichte des Islam scheint das „Tor des igtihäd“ nicht vollständig geschlossen gewesen zu sein. Doch seine wiederholte Öffnung hatte in der Regel stillschweigend zu geschehen, da sie sich im Gegensatz zu den dogmatischen Grundsätzen befand. Die daraus resultierenden Probleme wurden schon im 19. Jahrhundert von muslimischen Intellektuellen und Politikern wahrgenommen, offen diskutiert und die Wiederöffnung des „Tors“ gefordert. Vgl. W. M. Watt, Islamic Fundamentalem and Modernity, London-New York 1988, S. 106-108. In diesem Sinne wurde das „Tor“ auch 1964 von Al-Azhar-Gelehrten in Kairo ebenso wie von dortigen Muslimbrüdern geöffnet. Die islamische Ideogie der Muslimbruderschaft ist ohne die Zulassung des igtihäd schlechterdings nicht denkbar. Dazu R. Schulze, Islamischer Internationalismus im 20. Jahrhundert. Untersuchungen zur Geschichte der Islamischen Weltliga, Leiden 1990, S. 351 f.

  21. Damit entspricht der Islamismus keineswegs einer antimodernistischen Reaktion. Vgl. die Auseinandersetzung mit dem politischen Diskurs bei A. S. Sidahmed/A. Ehtesami (Hrsg.), Islamic Fundamentalism, Oxford 1996, bes. S. 19-92; G. Krämer, The Integration of the Integrists. A comparative Study of Egypt, Jordan and Tunesia, in: G. Salame (Hrsg.), Democracy without Democrats?, London -New York 1994, S. 200-226; N. Göle, Secularism and Islamism in Turkey: the Making of Elites and Counter-Elites, in: Middle Eastern Journal (MEJ), 51 (1997), S. 46-58.

  22. Vgl. Bonaparte in Ägypten, Aus der Chronik des cAbdarrahmän al Gabarit (1754-1829), übers, v. A. Hottinger, Zürich-München 1983; H. Motzki, Dimma und Egalite, Bonn 1979.

  23. Rasld Ridä, TafsTr, VI, S. 459f.

  24. Ein differenzierter Kategorisierungsversuch muslimischer intellektueller Strömungen in Ägypten wurde bereits 1983 analysiert: E. Steppat, Die politische Rolle des Islam, in: ders. (Hrsg.), Vorträge zum XXI. Deutschen Orientalistentag, Wiesbaden 1983 (= Zeitschrift der deutschen morgenländischen Gesellschaft [ZDMG], Suppl. V), S. 22-36.

  25. Vgl. D. Kandiyoti (Hrsg.), Women, Islam and the State, Philadelphia 1991; J. S. Hawley (Hrsg.), Fundamentalism and Gender, Oxford 1994; E. Terpin/J. Gerlach/M. Siegmund, in: E Ibrahim (Anm. 13) S. 197-288; C. Harders, Frauen und Politik in Ägypten, Münster-Hamburg 1995; M. Yamani (Hrsg.), Feminism and Islam, Berkshire 1996. Für Iran: F. Adelkhah, La rävolution sous la voile, Paris 1991. Für die Türkei: A. Neusel/S. Tekeli/M Akkent (Hrsg.), Aufstand im Haus der Frauen, Berlin 1991, S. 73-106. Für Malaysia: M. Abaza, Die Schwestern wollen einen modernen Islam, in: der überblick, (1996) 4, S. 40-42. Für Jordanien: A. Metzger, „Süchtig nach öffentlicher Arbeit“ -Porträt einer Islamistin, in: der überblick, ebd., S. 37-39.

  26. Vgl. S. Faath/H. Mattes, Demokratie und Menschenrechte in Nordafrika, Hamburg 1992; S. Labat, Les islamistes algdriens. Entre les urnes et le naquis, Paris 1995; P. Pawelka, Der Vordere Orient und die internationale Politik, Stuttgart 1993.

  27. So grundsätzlich in allen programmatischen Schriften von Sayyid Qutb (hingerichtet 1966) bis hin zu Hasan Hanafi Hasanayn, al-Haraka al-islämlya fl Misr, Beirut 1986.

  28. Vgl. Sayyid Qutb, al-cAdäla al igtimäTya fl ’l-Isläm, Kairo 19544, S. 5-21. Von säkularer Warte aus formuliert: F. Zakariya, Laiche ou islamisme. Les arabes ä l’heure du choix, Paris 1989.

  29. Z. B. gegen den kritischen Intellektuellen und Philosophen Abdul-Karim Sorush (geb. 1945) in Iran, der zugleich gläubiger Muslim und Rezipient Karl Poppers ist. Auf Deutsch liegt nur ein kürzerer Beitrag von Sorush vor. „Eine religiöse demokratische Regierung?“, in: Spektrum Iran, (1994) 5, S. 79-85. Dazu K. Amirpur, Ein iranischer Luther? -cAbdolkarim Sorüshs Kritik an der schiitischen Geistlichkeit, in: Orient, 37(1996), S. 465-481.

  30. Bereits vorgegeben bei dem muslimischen Rechtsgelehrten aus Andalusien, as-Sätibl (gest. 1388 in Granada), auf den sich zahlreiche Islamisten berufen. as-Sätibl wandte allerdings auch Analogien an, die sich nicht auf eine Textbasis stützten, sondern im modernen Sinne „Erfahrungswerten“ gleichkamen.

  31. Dies ist m. E. auch der Fall bei der Kontroverse um die Existenz bzw. Nichtexistenz des Phänomens „Aufklärung“ im Islam. Letzten Endes kommt auch dabei nur ein verdeckter Eurozentrismus zum Tragen. Vgl. die Fachzeitschrift „Die Welt des Islams“, 30(1990), S. 140-159, 160ff; 36(1996), S. 276-325, 326-364.

  32. Vgl. H. -D. Evers, Religiöser Revivalismus und Modernität, Bielefeld, working paper No. 144; R. Loimeier/S. Reichmuth, Zur Dynamik religiös-politischer Netzwerke in muslimischen Gesellschaften, in: Die Welt des Islams, 36(1996), S. 145-163.

  33. H. -D. Evers, ebd., S. 6.

  34. Vgl. K. Hafez, Das Islambild im Rechts-Links-Spektrum von Presse und Gesellschaft in Deutschland, in: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, 43(1996) 5, S. 426-432; Medienprojekt Tübinger Religionswissenschaft (Hrsg.), Der Islam in den Medien, Gütersloh 1994.

  35. Die anglo-amerikanische und französischsprachige Forschung ist, wie oben aus Anm. 1 ersichtlich, in dieser Hinsicht ein erhebliches Stück weiter als die deutsch-sprachige.

  36. Siehe die Kurzberichte zum Stichwort „Neue Forschungsprojekte“ in DAVO-Nachrichten ab Bd. 2, Hamburg 1995.

  37. Vgl. T. Nagel, Staat und Glaubensgemeinschaft im Islam. Geschichte der politischen Ordnungsvorstellungen der Muslime, Bd. I — II, Zürich -München 1981.

  38. Vgl. T. Nagel, Gab es in der islamischen Geschichte Ansätze einer Säkularisierung?, in: H. R. Roemer/A. Noth (Hrsg.), Studien zur Geschichte und Kultur des Vorderen Orients. Festschrift für B. Spuler zum 70. Geburtstag, Leiden 1981, S. 275-288.

  39. Vgl. A. Flores, Secularism, Integralism and Political Islam. The Egyptian Debate, in: MERIP Report, 183 (1993), S. 32-38: N. cAmmära, al-Hiwär bain al-islämlym wa’lcalmäniym („Der Dialog zwischen Islamisten und Säkularisten“), in: al-Hiläl, 98 (1990), S 94-105.

  40. Vgl. A. R. Norton (Hrsg.), Civil Society in the Middle East, Bd. I, Leiden u. a. 1995; F. Ibrahim/H. Wedel, Probleme der Zivilgesellschaft im Vorderen Orient, Opladen 1995; M. Auga, Der Begriff der Zivilgesellschaft und seine Diskussion in Ägypten, in: Orient, 37 (1996), S. 453-464; L. Müller, Islam und Menschenrechte, Hamburg 1996.

  41. M. Wille, Spielräume politischer Opposition in Ägypten unter Mubarak: Zum Verhältnis von Staat und Opposition in einem arabischen Land, Münster-Hamburg 1993; W. Ruf, Die algerische Tragödie. Vom Zerbrechen des Staates einer zerrissenen Gesellschaft, Münster 1997.

  42. Vgl. dazu U. Becks Begriff der „Gegenmoderne“, welche als ein „integrales Konstruktionsprinzip der Moderne“ gedacht wird, als „Prozeß der bewußten Herstellung von Fraglosigkeit gegen die von der Moderne produzierten Infrage-stellungen“. U. Beck, Risikogesellschaft, Frankfurt/M. 1986.

  43. Vgl. dazu G. Kepel (Anm. 1).

  44. Koran, Sure 13, 12. R. Paret, Der Koran, Stuttgart 1979, übersetzt: „Gott verändert nichts an einem Volk, solange sie nicht (ihrerseits) verändern, was sie an (?) sich haben.“

Weitere Inhalte

Angelika Hartmann, Dr. phil., geb. 1944; Studium der Islamwissenschaft, Germanistik und Philosophie in Göttingen, Hamburg und Istanbul; Promotion (1971) und Habilitation (1982) in Hamburg; Professur für Islamwissenschaft und Arabistik in Würzburg von 1989 bis 1993; seit 1993 Lehrstuhl für Islamwissenschaft/Arabistik an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Veröffentlichungen u. a.: Islamisches Predigtwesen im Mittelalter, in: Saeculum, 38 (1987); Ismailitische Theologie, in: Festschrift für Adel Th. Khoury, Würzburg 1990; Orientalistik und Islambegriff heute, in: (Hrsg. zus. mit Konrad Schliephake) Angewandte interdisziplinäre Orientforschung, Hamburg 1991; Zyklisches Denken im Islam. Zum Geschichtsbild des Ibn Haldun, in: Ernstpeter Ruhe (Hrsg), Europas islamische Nachbarn, Würzburg 1993; Islam und Islamismus contra Demokratie? Einführung und Fragen zum politischen Denken im Islam, in: Brun-Otto Bryde/Helmut Dubiel/Claus Leggewie (Hrsg.), Triumph und Krise der Demokratie, Gießen 1995; zahlreiche Artikel zu Fragen der islamischen Kulturgeschichte und Theologie im Fachzeitschriften.