Zusammen leben: Die Integration der Migranten als zentrale kommunale Zukunftsaufgabe
Christine Wischer
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Zusammenfassung
Die in der aktuellen Debatte immer wieder vorgenommene Verengung der Zuwanderungs-und Integrationsfrage auf die Themen Ausländerkriminalität und Asylmißbrauch führt zu Selbstblokkade und Rückschritt bei einer zentralen kommunalen Zukunftsaufgabe. Die Alternative zur angstvollen Abwehrhaltung muß eine Gesamtkonzeption zur praktischen Integration der Migranten in der Kommune sein. Ausgehend von diesen Thesen werden am Beispiel Bremens Erfolge und Defizite einer aktiven Integrationspolitik beschrieben. Angesichts der Differenzierung und Pluralisierung der Lebenslagen der Migrantenbevölkerung sowie der inzwischen über drei Generationen fortgeschrittenen Integrations-, aber auch Desintegrationsprozesse müssen die Anstrengungen im Bereich der Aus-und Fortbildung in-und ausländischer Fachkräfte sowie die Qualifizierung von in Selbstorganisationen und Selbsthilfeeinrichtungen tätigen Migranten verstärkt werden. Dabei dürfen die Migranten nicht ausschließlich als Objekt von Maßnahmen gesehen, sie müssen vielmehr zu Beteiligten eines dauerhaften Prozesses gemacht werden. Hier ruht die Hoffnung auch auf den zahlreichen Migrantinnen und Migranten der zweiten und dritten Generation, die sich darangemacht haben, die gestellte Aufgabe in die eigenen Hände zu nehmen.
I. Vorbemerkung
Zwischen erstauntem Kennenlernen und repressivem Populismus: Die Geschichte des Umgangs der Deutschen mit Migrantinnen und Migranten läßt sich über die Jahrzehnte auch in dieser Publikation nachlesen. Als Beispiel für ersteres mag die Handreichung gelten, die das baden-württembergische Landesarbeitsamt in Stuttgart für diejenigen Bauern herausgab, die im Jahre 1955 die ersten 300 italienischen Nachkriegsgastarbeiter in Deutschland beschäftigten. Dort heißt es unter anderem: „Der Italiener liebt im allgemeinen keine dünnen und flüssigen Soßen, insbesondere keine Mehlsoßen. Zu Teigwaren, die nicht zu weich gekocht werden sollen, gibt man Tomatensoße. Der Italiener ist nicht gewohnt, Obstsäfte, Most zu trinken. Zum Essen trinkt er mit Vorliebe Wein und Wasser. Während des Tages -und abends -auch Milch.“
Die enormen Veränderungen, aber auch die (Selbst-) Blockaden und Rückschritte werden uns 40 Jahre später schonungslos vor Augen gehalten. Zu diesen Rückschritten gehört an erster Stelle die im laufenden Jahrzehnt von einigen vorgenommene Verengung der Zuwanderungs-und Integrationsfrage auf die Themen Ausländerkriminalität und Asylmißbrauch Wer -wie beispielsweise Ralf H. Borttscheller in dieser Publikation -fortgesetzt, ausschließlich und ohne zu differenzieren die negativen Seiten der Zuwanderung betont, muß zu dem irrigen Schluß kommen, „die nicht zu übersehende hohe Kriminalitätsbelastung bestimmter Gruppen von Ausländern läßt deutlich werden, daß eine Integration großer Teile der ausländischen Bevölkerung bisher nur sehr ungenügend gelungen ist“ Angesichts der tatsächlichen Relation von (zum Beispiel) in der Stadtgemeinde Bremen über 70 000 Migranten zu etwa 7 000 ausländischen Tatverdächtigen scheinen solch negativen Integrationsprognosen immer ein wenig vom Interesse an einer self-fulfilling-prophecy geleitet zu sein
II. Der Wandel der Migrationsgesellschaft
1. Die Alternative zur angstvollen Abwehrhaltung: eine Gesamtkonzeption zur praktischen Integration der Migranten in die Kommune Für Migration und Integration zuständige Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker haben die Gefahr der Vernachlässigung der Interessen der übergroßen Mehrheit der Migranten über die Parteigrenzen hinweg längst erkannt. So hat die Mehrheit im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung des Deutschen Bundestages in dieser Legislaturperiode in einer ausführlichen Beschlußempfehlung zum Jahresbericht der Ausländerbeauftragten der Bundesregierung beschlossen, „ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß sich die Diskussion über eine Zuwanderung in die Bundesrepublik Deutschland zu Unrecht überwiegend auf den Bereich der , Asylpolitik und , illegale Zuwanderung verengt hat. Auch die Änderung des Asylrechts kann eine ganzheitliche Konzeption einer notwendigen Migrations-und Zuwanderungspolitik . . . nicht ersetzen. Zuwanderungspolitik ist eine politische Daueraufgabe, die mit kurzfristigem Pragmatismus, einer Abwehrhaltung gegenüber der Migrationsproblematik und Einzelstrategien nicht zu lösen ist.“ Es gehört allerdings zu den Besonderheiten unseres politischen Systems, daß ein solcher Beschluß der Fachpolitiker im Plenum des Bundestages keine Chancen auf Verabschiedung hat. Obwohl also Asylbewerber, Bürgerkriegsflüchtlinge, ausländische Straftäter und Abschiebungen oberflächlich die Schlagzeilen bestimmen, besteht die zentrale gesellschaftliche Herausforderung für die Kommunen -und dabei besonders für die Großstädte mit hohem Migrantenanteil im Westen der Republik -in der langfristigen Herstellung von lebbaren und akzeptablen Rahmenbedingungen für ein Zusammenleben der einheimischen Mehrheit mit den über sieben Millionen Migranten, deren Zahl trotz aller einwanderungsfeindlichen Einstellungen schon wegen der Möglichkeit des Familiennachzugs und der überdurchschnittlichen Geburtenraten in den nächsten Jahren weiter steigen wird.
Bevor wir uns der gewandelten Lebenswirklichkeit der Migranten zuwenden, erscheint es sinnvoll, einige konzeptionelle und definitorische Fragen aufzugreifen, die sich um den Begriff der Integration drehen. Zu Unrecht ist der Begriff der Integration bisweilen einseitig mit der Vorstellung von Assimilation oder eines von der dominierenden Gesellschaft verteilten Gutes in Verbindung gebracht worden Gelungene Integration von Mehrheit und Minderheit setzt hingegen -dies schält sich zunehmend in der Debatte heraus -veränderte Einstellungen, positive Handlungen und gewandelte Rahmenbedingungen bei allen beteiligten Akteuren voraus. Wobei es sich bei den Akteuren, wie im nächsten Abschnitt gezeigt werden wird, nicht um zwei Seiten eines dichotomen Systems handelt (Deutsche und Ausländer), sondern um Teilnehmer an einem komplex gewordenen, multilateralen und multipolaren Prozeß.
Sinnvoll erscheint mir die Operationalisierung des Integrationsbegriffes in vier Kategorien: 1. Instrumentale Integration (Kenntnis der einheimischen Sprache, von Infrastruktur und Dienstleistungsangeboten); 2. ökonomische Integration (vermittelt über Bildungszugang und Arbeitsmarkt); 3. kulturelle Integration (Verhalten in der Freizeit) und 4. soziale Integration (Kontakt zwischen Gruppen unterschiedlicher Herkunft) Im Kern wird Integration so zu einem Feld von kommunikativen und nachteilausgleichenden Handlungen gerade in der Kommune bzw. im Stadtteil, da dort der geographische Ort sowohl erlebter möglicher Probleme, Spannungen oder Diskriminierungen als auch ihrer Überwindung zu finden ist. Staatliche Migrationskontrolle und -regelung wie auch ausländerrechtliche Setzungen bilden hierfür lediglich einen (wenn auch für den Erfolg oder Mißerfolg kommunaler Handlungen mitentscheidenden) Rahmen. 2. Pluralisierung, Differenzierung und Individualisierung der Lebenslagen und Lebensformen der Migranten Der in Kapitel III am Beispiel Bremens zu schildernden konkreten Integrationspolitik in der Kommune muß zunächst als Grundlage ein kursorischer Überblick über die wichtigsten Veränderungen in den Migranten-Communities vorangehen. Erst das Konstatieren der vielfältigen quantitativen und qualitativen Veränderungen seit der eingangs beschriebenen Ankunft der ersten Gastarbeiter Mitte der fünfziger Jahre ermöglicht es meines Erachtens, zu einer Weiterentwicklung der in den letzten Jahrzehnten begonnenen Konzepte zu gelangen.
Quantitative Veränderungen Die sichtbarste und auffälligste Veränderung ist der Wandel von der als Arbeitskräfte angeworbenen Generation jüngerer Männer (in wenigen Industriezweigen auch Frauen) hin zu drei Generationen, die das gesamte Altersspektrum und beide Geschlechter umfassen. So sind 195 43, 9 Prozent der insgesamt 7 173 900 Migranten weiblich und 23, 06 Prozent sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, 5, 3 Prozent sind über 60 Jahre alt 9. Schreibt man die dieser Entwicklung innewohnende Tendenz fort, so wird die Zusammensetzung der ausländischen Bevölkerung in den nächsten Jahren weiblicher, die Gruppen der Kinder und Jugendlichen sowie der älteren Menschen wachsen weiter an. Die Zahl der Senioren steigt nach Modellrechnungen des Statistischen Bundesamtes von 370 000 (1995) auf über 1, 1 Millionen im Jahre 2010 und auf über 1, 2 Millionen im Jahre 2030 Dominierten zu Beginn der Arbeitsimmigration die heutigen EU-Länder Italien, Spanien (heute mit negativem Wanderungssaldo), Portugal und Griechenland, so nimmt heute die Türkei als Herkunftsland mit 28, 1 Prozent (1995) der Migranten eine klare Ausnahmestellung ein. Bis 1995 ist die Zahl der Türkinnen und Türken (ohne bereits Ein-gebürgerte) auf 2, 01 Millionen angewachsen. Über 10 Prozent Anteil an der ausländischen Bevölkerung erreichen außer den Türken nur noch die Menschen aus dem früheren Jugoslawien (zusammen 18, 5 Prozent). Alle anderen Migranten stammen aus den weiteren über 190 Staaten der Erde, mit jeweiligen Anteilen von unter 5 Prozent an der ausländischen Bevölkerung in der Bundesrepublik
In bezug auf die Aufenthaltsdauer und den Verfestigungsgrad des Aufenthaltsstatus hat sich ebenfalls ein grundlegender Wandel vollzogen. Im Jahre 1995 lebten über 48 Prozent der Migranten bereits länger als zehn Jahre und über 15 Prozent länger als 25 Jahre in Deutschland. 65 Prozent der hier lebenden Türken haben eine befristete oder unbefristete Aufenthaltserlaubnis oder eine Aufenthaltsberechtigung erworben. Gleichzeitig hatten 1995 mehr als 23 Prozent der Migranten einen Flüchtlingsstatus (1, 65 Mio.), und 28, 27 Prozent lebten nicht länger als drei Jahre in Deutschland.
Die demographischen und soziostrukturellen Veränderungen werden am deutlichsten, betrachtet man den dramatischen Rückgang der Quote der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung unter den Migranten. Waren 1973 noch 65, 4 Prozent der Migranten sozialversicherungspflichtig beschäftigt, so fiel diese Quote in 1995 auf unter 30 Prozent. Gleichzeitig stieg die Arbeitslosenquote auf 18, 9 Prozent (1996) an -eine um 87, 1 Prozent höhere Quote als bei der deutschen Bevölkerung.
Die Einkomme Prozent länger als 25 Jahre in Deutschland. 65 Prozent der hier lebenden Türken haben eine befristete oder unbefristete Aufenthaltserlaubnis oder eine Aufenthaltsberechtigung erworben. Gleichzeitig hatten 1995 mehr als 23 Prozent der Migranten einen Flüchtlingsstatus (1, 65 Mio.), und 28, 27 Prozent lebten nicht länger als drei Jahre in Deutschland.
Die demographischen und soziostrukturellen Veränderungen werden am deutlichsten, betrachtet man den dramatischen Rückgang der Quote der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung unter den Migranten. Waren 1973 noch 65, 4 Prozent der Migranten sozialversicherungspflichtig beschäftigt, so fiel diese Quote in 1995 auf unter 30 Prozent. Gleichzeitig stieg die Arbeitslosenquote auf 18, 9 Prozent (1996) an -eine um 87, 1 Prozent höhere Quote als bei der deutschen Bevölkerung.
Die Einkommenssituation ausländischer Haushalte hat sich in den letzten Jahren gleichwohl deutlich verbessert. So stieg zum Beispiel das durchschnittliche Nettoeinkommen der türkischen Haushalte zwischen 1991 und 1994 um 12, 5 Prozent auf 3 650 DM 12. Der relative Abstand zu den deutschen Haushalten (Ausnahme: Un-und angelernte Arbeitskräfte) blieb aber unverändert: „Ausländer der zweiten Generation können sich zwar aus untersten Einkommenspositionen lösen, jedoch kaum aus mittleren in höhere Positionen aufrükken.“ 13 Allerdings ist die Zahl der Facharbeiter, Vorarbeiter und Meister stark angestiegen 14. Die ausländischen Angestellten stellen in Bremen nun 26, 5 Prozent und die Selbständigen 7, 9 Prozent, das heißt zusammen über ein Drittel der ausländischen Erwerbstätigen. Der Anteil der Migranten an den Sozialhilfeempfängern hat andererseits seit 1980 ebenfalls erheblich zugenommen. Waren es 1980 noch 7, 6 Prozent aller Hilfeempfänger, so war ihre Zahl 1993 schon auf 29, 9 Prozent gestiegen 15.
Von den in 1994 aus der Schule entlassenen ausländischen Schülerinnen und Schülern hatten 43, 6 Prozent einen Hauptschulabschluß (Deutsche 25, 4 Prozent), 26, 6 Prozent einen Realschulabschluß (41, 2 Prozent), 9, 5 Prozent die Hochschuloder Fachhochschulreife (25, 7 Prozent), 4, 5 Prozent verließen eine Sonderschule für Lernbehinderte (3, 4 Prozent); 15, 8 Prozent hatten keinen Abschluß (8, 3 Prozent)
Qualitative Veränderungen Aber auch jenseits der quantitativen Daten vermelden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der migrationsrelevanten, aber auch der allgemeinen sozialen Dienste, der Ausländersozialberatung der Wohlfahrtsverbände sowie zahlreiche lokale Erhebungen über die Lebenssituation einzelner Migrantengruppen eine zunehmende Differenzierung der Lebenslagen der Migrantenbevölkerung. Bei einem Teil der Migranten findet in soziostruktureller Hinsicht eine graduelle Anpassung an westeuropäische Verhältnisse statt: Die Anzahl der Scheidungen und der Single-Haushalte steigt, die Zahl der Kinder pro Haushalt fällt, Generationskonflikte und psychosoziale Krankheiten sowie Jugendkriminalität nehmen zu. So errechnete zum Beispiel die Arbeiterwohlfahrt einen Anteil von ca. 60 Prozent Migrantinnen in ihren Frauenhäusern Aber auch politische, religiöse oder ethnische Konflikte in den Herkunftsländern verstärken diesen Differenzierungsprozeß (Beispiel Türken -Kurden, Laizisten -Islamisten etc.). Im Bereich des Besitzes materieller Güter belegen zahlreiche Studien -z. B.des Zentrums für Türkeistudien der Universität Essen -bei einem Teil der Migranten die Zunahme sowohl vom Immobilienbesitz als auch von Konsumgütern des täglichen Bedarfs und einen starken Trend zur Reinvestition von in das Herkunftsland transferiertem Kapital nach Deutschland.
Vereinfacht gesagt, teilt sich die Migrantenbevölkerung zunehmend in eine -Mehrheit mit langer Aufenthaltsdauer, verstetigtem Aufenthaltsstatus und ausgeprägten Bleibe-absichten (Einwanderer) und eine -relevanter werdende Minderheit mit kurzer Verweildauer und ungesichertem Aufenthalts-status (Flüchtlinge und sonstige Migranten); auf der sozioökonomischen Ebene in eine -Mehrheit mit eher schlechter werdenden materiellen Bedingungen und Aussichten (Migrationsverlierer) und eine -relevanter werdende Minderheit mit materiellen Aufsteigerattributen (Migrationsgewinner); auf der soziologischen Ebene in eine -Mehrheit mit eher großen „Integrationsfortschritten“ in sprachlicher, bildungs-und beschäftigungsmäßiger sowie kultureller Hinsicht („Deutsch-Türken“, „Deutsch-Italiener“ usw.
zumeist der zweiten und dritten Generation)
und eine -relevanter werdende Minderheit mit eher starker Betonung des Rückzuges in die eigene ethnische Gruppe und des Rückzuges in die Kultur, Tradition, Religion des Herkunftslandes („Migrationsenttäuschte“). 3. Zwischenfazit Die Migrantenbevölkerung unterliegt in bezug auf ihre sozioökonomische Situation keinem (negativen) Gesamttrend, sondern die Schere zwischen Gewinnern und Verlierern des Integrationsprozesses geht weiter und schneller auseinander. Für die Stadt Köln stellt W. Zaschke fest: „Die wichtigsten Veränderungen, soweit sie sich in der Sozialstatistik darstellen, deuten . . . auf eine Polarisierung von aufsteigenden und absteigenden Gruppen hin.“
Die Aufnahmegesellschaft verstärkt durch selektive Vorgaben diesen Prozeß: EU-Bürger werden gegenüber Nicht-EU-Bürgern bevorzugt, Arbeitsplatzbesitzer gegenüber Neuankömmlingen, höher-qualifizierte Arbeitskräfte gegenüber weniger Qualifizierten, Arbeitsmigranten gegenüber Flüchtlingen, schnell Eingebürgerte gegenüber in Wartepositionen Geschobenen etc. Aktive Ausgrenzung durch die Aufnahmegesellschaft und Selbstabgrenzung eines Teils der Migrantinnen (unter anderem auch als übliches Generationsverhalten im historischen Migrationsverlauf) verstärken sich gegenseitig.
III. Ausländerintegration als zentrale kommunale Zukunftsaufgabe: das Beispiel Bremens
Das Land Bremen, bestehend aus seinen beiden Stadtgemeinden Bremen und Bremerhaven, hat bereits frühzeitig auf den Wandel von vermeintlich vorübergehendem Gastarbeiteraufenthalt zu dauerhafter Einwanderung reagiert. Mit seiner „Konzeption zur Integration der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen im Lande Bremen“ aus dem Jahre 79 19 und ihrer Fortschreibung von 1982 hat der Bremer Senat -unabhängig von den sich wandelnden Rahmenbedingungen der Migrationskontrolle und des Ausländerrechts -die Integration der in Bremen lebenden Migranten zur zentralen landespolitischen und kommunalen Aufgabe erklärt. Es wurden nicht nur in beträchtlichem Umfang Mittel und Kapazitäten für besondere Maßnahmen und Projekte für Migranten bereitgestellt, Integrationsarbeit wurde zum „integralen Bestandteil der Schwerpunktaufgaben der Ressorts“ erklärt. Neben den einzelnen Maßnahmen in den Bereichen Sozial-, Arbeitsmarkt-, Bildungs-und Kultur-politik betonte der Senat die Wichtigkeit der größeren Partizipation der Migranten auf politischem und gesellschaftlichem Gebiet und betonte deswegen schon zu Beginn der achtziger Jahre die aktive Mitarbeit der Migrantenbevölkerung und das notwendige Aufeinanderzugehen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen
In zahlreichen Bereichen konnte diese aktive Integrationspolitik in den letzten Jahren zähl-und sichtbare Erfolge verbuchen. So veränderte sich zum Beispiel der Schulerfolg der ausländischen Schülerinnen und Schüler in der Stadtgemeinde Bremen zwischen 1981 und 1995 wie in der folgenden Tabelle angegeben
Auch kann sicherlich -neben den steigenden Nutzungszahlen der Kindergärten durch ausländische Kinder sowie zahlreichen qualitativen Verbesse-rungen in Kindergärten und anderen für den Migrationserfolg entscheidenden Bereichen -das Ausbleiben größerer ausländerfeindlicher Spannungen in Bremen als Erfolg der in den siebziger Jahren begonnenen kommunalen Konzepte gewertet werden
Trotz der frühen und umfassenden Reaktion des Bremer Senats auf die sich verstetigende Zuwanderung bleiben in der sich wandelnden Migrationsgesellschaft zahlreiche Defizite und Modernisierungsbedarf der kommunalen Integrationspolitik bestehen. Quantitativ hat sich zudem die ausländische Bevölkerung im Land Bremen von 48 328 (1982), das waren 7, 05 Prozent der Gesamtbevölkerung, auf 93 922 (1995), das sind 13, 81 Prozent, fast verdoppelt wobei sich die Migrantenbevölkerung auch in Bremen immer weiter ausdifferenziert hat. Aus diesen Gründen hat der jetzige Bremer Senat in seiner Regierungserklärung beschlossen, das Anfang der achtziger Jahre verabschiedete Konzept weiterzuentwickeln und fortzuschreiben
In der Folge sollen beispielhaft für das breite Feld kommunaler Integrationsanstrengungen, das hier nicht in Gänze geschildert werden kann, einige ausgewählte Problemfelder aus dem für das zukünftige Zusammenleben entscheidenden Bereich der Kinder und Jugendlichen aus Migrantenfamilien ausführlich dargestellt werden. Erfolgte, geplante oder notwendige Modernisierungsschritte können dabei nur exemplarisch aufgezeigt werden. Anschließend können die sich ebenfalls rasch wandelnden Bereiche der Frauen-und Seniorenarbeit aus Platzgründen nur kurz angerissen werden. 1. Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien Wie oben gezeigt, konnten gerade in diesem für den Migrationserfolg so entscheidenden Bereich in Bremen etliche Erfolge erzielt werden. Allerdings verblieben trotz steigendem Kindergarten-und Schulbesuch und der sich verbessernden Bildungsabschlüsse einige offene Felder der Integrationsarbeit. So wurde zum Beispiel als Hemmnis einer schnelleren und umfassenden Integration ausländischer Kinder in den Vorschuleinrichtungen eine fehlende Unterstützung durch die Eltern ausgemacht. Die hohe Zahl von nachgeholten Ehefrauen ohne Sprach-und Ortskenntnisse (vor allem bei den türkischen Migranten) konnte sehr wenig ergänzende erzieherische Leistungen in Richtung auf die Integration ihrer Kinder erbringen. Die gleiche Problemlage traf und trifft auf die Eltern von Aussiedlerkindern zu, die in zunehmendem Maße mit geringen Sprachkenntnissen und kulturellen Bindungen im Aufnahmeland ankommen. Während das 1979/82er Integrationsprogramm des Bremer Senats bei der Bewältigung dieser und ähnlicher Problemlagen noch ganz auf staatliche Hilfen in den kommunalen Einrichtungen setzte, geriet aufgrund tiefer gehender Problemanalysen der Bereich der privaten, familiären Lösungsansätze immer mehr in den Vordergrund. Von der Einbeziehung direkt von den Migrantenfamilien zu erbringender Integrationsleistungen versprach man sich die Vermeidung von unnötigen und oft mit Intensitäts-und Effektivitätsverlusten verbundenen institutionellen Hilfeleistungen.
Im Bereich der Vorschulentwicklung beteiligt sich Bremen deshalb an dem Modellversuch HIPPY („Home Instruction Programme for Preschool Youngsters“), in dem türkische und Aussiedler-mütter zu Hause gemeinsam mit ihren Kindern lernen und üben. Ergänzt wird das häusliche Programm durch anleitende Hausbesuche von ehemaligen Teilnehmerinnen des Programms und regelmäßige Gruppentreffen der Mütter auf Stadtteilebene In der Verbindung der Arbeit mit Kindern und Frauen der Migrantenfamilien werden von den beteiligten Fachleuten große Synergieeffekte im Hinblick auf eine Förderung der Integrationschancen gesehen. Obwohl eine flächendekkende Finanzierung des Programms außer Reichweite ist, so erhoffen wir uns dennoch durch eine zweijährige Rotation der beteiligten Mütter und Kinder und durch Verbreitungseffekte innerhalb der jeweiligen Migranten-Communities eine größere Streubreite der Effekte des Programms.
Auch die Integrationsprogramme der siebziger und achtziger Jahre legten großen Wert auf die Hebung der Integrationschancen durch Verbesserung des Schulerfolges. Investitionen im schulischen Bereich wurden durch Hausaufgabenbetreuung und Nachhilfekurse ergänzt. Ähnlich wie bei den Deutschkursen gab es aber auch hier -nicht nur in Bremen -den Wunsch nach einer Verstärkung der Wirkung der eingeleiteten Maßnahmen. Der beschriebene Wandel der Migrantenbevölkerung macht es heute möglich, auf eine in Bremen nicht kleine Zahl von Studierenden und Hochschulabgängern zurückzugreifen (die sogenannten „Bildungsinländer“). Wird die Schülerbetreuung anstelle von deutschen Pädagogen oder Freiwilligen von -zum Beispiel -türkischen Studierenden durchgeführt, so ergibt sich (ähnlich wie beim HIPPY-Programm) ein gewollter positiver Nebeneffekt: Neben der schulischen Nachhilfe, die bei Bedarf auch zweisprachig erteilt werden kann, wird eines der größten Probleme der Jugendlichen angegangen, nämlich der Mangel an positiven Vorbildern in ihrer persönlichen Umgebung. Auch hier zeigt sich in der (kleinteilig organisierten) kommunalen Integrationsarbeit die Tendenz zur Ergänzung mittelintensiver staatlicher Programme und der traditionell in der Integrationsarbeit verwendeten großen Mengen schriftlicher Aufklärungsmaterialien durch intelligente Beeinflussung des persönlichen Kontaktumfeldes und der individuellen Integrationsanstrengungen.
Wesentlich schlechter als die Entwicklung der formalen Schulabschlüsse entwickelte sich in Bremen -wie auch in anderen deutschen Großstädten -die Integration ausländischer Schulabgänger in die duale Ausbildung. Noch 1989 waren nur 3, 82 Prozent der bremischen Auszubildenden Migranten. Bis 1995 konnte dieser Wert lediglich auf 8, 34 Prozent erhöht werden Dabei waren im Jahr 1995 über 21 Prozent der 15-bis 20jährigen im Land Bremen Migranten Der Bremer Senat hat auch in den siebziger und achtziger Jahren viele (auch schon damals knapper werdende) Mittel in den Bereich der beruflichen Bildung von Migranten investiert. Auffallend ist aus heutiger Sicht aber, daß Migrantenjugendliche offenbar in großer Zahl bereits für den „ersten“ Ausbildungsstellenmarkt bei Betrieben als „unvermittelbar“ angesehen wurden. Die Förderprogramme 1979/82 konzentrierten sich ausschließlich auf den Bereich außerbetrieblicher Berufsausbildung in zahllosen Maßnahmen zur Berufsorientierung und Eingliederung, im Ausbildungsvorbereitungsjahr, im Berufsgrundbildungsjahr usw.
Erfahrungen mit sogenannten „Maßnahmenkarrieren“ und den Schwierigkeiten, hieraus den Übergang in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis zu erreichen, liegen -gerade bei Migranten -vor. In Anlehnung an ein in Köln entwickeltes und in anderen Großstädten aufgegriffenes Modell hat der Bremer Senat deshalb in diesem Jahr die Einrichtung einer sogenannten „Beratungsstelle zur Qualifizierung ausländischer Nachwuchskräfte (BQN)“ angeregt Ziel dieser Beratungsstelle ist es nicht. Jugendliche in Maßnahmen zu vermitteln oder diese selbst durchzuführen. BQN sieht die oberste Priorität im Zugang zu einer Ausbildungsstelle im Betrieb oder in einem Betriebsverbund. Im Vordergrund der Tätigkeit steht nicht der Förder-oder Hilfebedarf der Jugendlichen, sondern die Arbeit mit den Betrieben und ihren Wirtschaftsverbänden bzw. -kammern. Bei deutschen Betrieben wird auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht (Potentiale von bilingualen und bikulturellen Auszubildenden angesichts der Ausweitung des internationalen Handels und der Globalisierung) für die Ausbildung von Migranten geworben. Bei ausländischen Selbständigen wird die zusätzliche Einrichtung von Ausbildungsplätzen angeregt. Die Informationsarbeit mit den Migrantenjugendlichen zielt ebenfalls auf die Motivation zur Aufnahme einer betrieblichen Ausbildung -auch und gerade in Berufsfeldern, die von Migrantinnen und Migranten bisher wenig genutzt wurden.
Obwohl konkrete Ergebnisse dieses Projektes abgewartet werden müssen verdeutlicht sich in ihm jedoch exemplarisch der für die Integrationsarbeit notwendige Paradigmenwechsel vom Betreuungsgedanken und der Unterbringung von Migranten in staatlichen Subsystemen hin zur Organisierung von Aufwärtsmobilität und Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt für den hierfür grundsätzlich befähigten (größeren) Teil der Migranten. Die weiterhin hohe Zahl von Flüchtlingen, Seiteneinsteigern und anderen besonders benachteiligten Migrantengruppen macht es allerdings gleichzeitig dringend notwendig, an kompensatorischen, fördernden oder schützenden Maßnahmen festzuhalten. Neben den bewährten Programmen hat Bremen mit dem Zentrum für Schule und Beruf (ZSB) zusätzlich eine kooperative Einrichtung geschaffen, um bisher schwer erreichbaren oder marginalisierten Jugendlichen eine für sie angemessene Perspektive zu vermitteln. Auf diese Weise vollzieht die bremische Integrationspolitik in den letzten Jahren die oben beschriebene Differenzierung der Migrantenbevölkerung nach. 2. Migrantinnen In Bremen hatte sich bereits im Jahr 1981 durch den Familiennachzug der Anteil der Migrantinnen auf 41, 8 Prozent der Migranten erhöht. Dieser Anteil stieg bis 1995 auf 45, 8 Prozent Da nur ein Teil dieser Frauen als eigens angeworbene Arbeitskräfte und die weitaus meisten im Rahmen des Familiennachzuges nach Bremen gekommen waren, spielten sie in der Integrationspolitik (jenseits der obligatorischen Nähkurse) kaum eine Rolle. Erst das oben beschriebene Ende der Dominanz des Bildes vom Migranten als männlichem Industriearbeiter, das sich auch in den Migrantenvertretungen selbst und bei den offiziellen Ansprechpartnern von Behörden und Verbänden widerspiegelte, ermöglichte es den Frauen der zweiten und dritten Migrantengeneration, als eigenständige Akteurinnen der Integrationspolitik zu erscheinen.
Am Beispiel des seit zwei Jahren in Bremen konstituierten sogenannten Migrantinnenrates lassen sich die qualitativen Veränderungen innerhalb der Migranten-Communities gut nachvollziehen. An die Stelle der Orientierung an (partei-) politischen Konflikten in den ehemaligen Herkunftsländern ist die Auseinandersetzung mit den politischen und praktischen Integrationshindernissen in der Aufnahmegesellschaft getreten. Statt der Trennung nach Nationalitäten, politischen oder religiösen Lagern wird von den ca. 170 Mitgliedern des Migrantinnenrates die Diskussion frauenspezifischer Themen gesucht. Dabei gewinnt an Bedeutung, daß die beteiligten Migrantinnen zumeist Ausführende der unterschiedlichsten Integrationsprogramme (Sprachkurse, Gesprächskreise, Weiterbildungskurse) sind, das heißt einen nicht unerheblichen Teil ihrer Landsfrauen im Alltag erreichen können. Neben Gesundheits-und Familienfragen, Fragen der psychosozialen Versorgung und ausländerrechtlichen Themen hat der Migrantinnenrat einen Schwerpunkt im Bereich von Qualifizierung und (Wieder-) Eingliederung in den Arbeitsmarkt gelegt -letztlich das Standbein, auf dem ein Weg aus einer materiell wie psychologisch unbefriedigenden Isolation gesucht wird. Aus den Beratungen des Migrantinnenrates ging in Bremen jetzt erstmals ein von Migrantinnen selbst entworfenes, entwickeltes und durchgeführtes Modellprojekt zur „Berufsorientierung und Planung von Migrantinnen (MiBop)“ hervor, das aus EU-und Landesmittel gefördert wird. 3. Ältere Migranten Im Jahr 1981 waren 2, 9 Prozent der Bremer Migranten älter als 60 Jahre 1994 ist dieser Anteil auf etwa 4, 9 Prozent angestiegen. Aus migrationsspezifischen Gründen (hohe Zahl von frühzeitiger Berufs-und Erwerbsunfähigkeit durch gesundheitsbeeinträchtigende Lebens-und Arbeitssituation) werden die über 50jährigen Migranten häufig in Konzeptionen zur Weiterentwicklung des Altenhilfewesens mit einbezogen. 14, 22 Prozent der Bremer Migranten gehören zu dieser Altersgruppe Zur erschreckenden Verdeutlichung der Gesundheitspröblematik älterer Migranten sei eine ausführliche aktuelle Studie aus Hamburg angeführt (Juni 1997): Danach befinden sich 60 Prozent der über 55jährigen Migranten in ärztlicher Behandlung (Türken: fast 80 Prozent), und über 25 Prozent der älteren Migranten müssen mindestens einmal in der Woche zum Arzt gehen (Türken:37 Prozent) 36.
Die Nachricht vom stark zurückgehenden Rückkehrwunsch älterer Migranten (nur 13 Prozent der über 55jährigen Türken in der oben genannten Untersuchung ist durch vielfältige Publizierung inzwischen Allgemeingut. Aber angesichts der zunehmenden Überalterung der deutschen Gesellschaft und notorisch leerer kommunaler Kassen existiert dennoch die Versuchung, ältere Migranten im Bereich der Altenhilfe schlichtweg zu ignorieren. Unterstützt wird diese Haltung durch eine zwar häufig wohlwollend gemeinte, aber dennoch in Teilen falsche Vorstellung von noch vollständig existierenden Familiensolidaritäten in Migrantenfamilien. Entsprechende Untersuchungen zeigen deutlich, daß im Pflegefall die Betreuung durch die eigenen Angehörigen von einer relevanten Minderheit der Migranten nicht erwartet wird. Immerhin 26 Prozent der älteren Migranten in der Hamburger Studie würden ambulante oder stationäre Pflegeleistungen in Anspruch nehmen eine andere Untersuchung nennt 29 Prozent (Türken) bis 41 Prozent (ehern. Jugoslawen), die keine Betreuung durch die Kinder erwarten
In Bremen wurden in den letzten Jahren Versuche unternommen, den oben genannten Problemen erste Maßnahmen entgegenzusetzen. Dazu gehört unter anderem der Versuch, Altenbegegnungsstätten auch für ältere Migranten zu öffnen. Am weitesten geht ein Modellversuch der Bremer Arbeiterwohlfahrt (AWO), in einem stark von Migranten bewohnten Stadtteil ein komplexes, miteinander verbundenes System von Anlaufstellen und Einrichtungen zu schaffen, in denen gemeinsam mit den betroffenen Menschen auf die Bedürfnisse in der Migration angepaßte Angebote entwickelt werden sollen. In der letzten Ausbau-phase soll dieses Modell neben einem Informations-und Koordinierungsdienst zur Vermittlung von Altenhilfeangeboten eine auf migrantenspezifische Bedürfnisse erweiterte häusliche Krankenpflege, eine Tagespflegeeinrichtung für Deutsche und Migranten sowie einen multikulturellen Seniorentreffpunkt mit Mittagstisch enthalten. Da in der Vergangenheit weder die Migranten (durch ihre offen gehaltene Rückkehroption) noch die Einrichtungen der Altenhilfe auf einen Zustand des Miteinanders eingestellt waren, werden erst die Erfahrungen der konkreten Arbeit weitere Aufschlüsse über die Anforderungen an diesen Bereich kommunaler Integrationspolitik vermitteln.
IV. Konsequenzen für die kommunale Integrationspolitik und Integrationsarbeit
1. Konsequenzen für die kommunale Integrationspolitik „Ausländer weitgehend integriert -Lebensstandard Deutscher aber oft nicht erreicht.“ Die deutschen Medien konstatieren jahrein, jahraus entweder ein komplettes Scheitern der Integration oder ein endgültiges Gelingen bzw. -wie in dieser Überschrift der Süddeutschen Zeitung impliziert -beides gleichzeitig. Der deutsch-türkische Publizist Zafer Senocak stellt deshalb zu Recht fest: „Die multikulturelle Gesellschaft wird in Deutschland entweder verteufelt oder verklärt. Ein pragmatischer Multikulturalismus hat sich bislang nicht durchsetzen können.“
Im Sinne eines solchen pragmatischen Integrationsbegriffes schlage ich deshalb ein Programm der verstärkten Anstrengungen auf der Ebene der Kommune und der Stadtteile vor. Dabei folge ich Positionen, die trotz aller Kritik an der im Bund herrschenden Migrations-und Ausländerrechtspolitik fordern, daß „die Versäumnisse auf der Bundesebene (Deutschland kein Einwanderungsland, Vorenthalten von Mitbestimmungsmöglichkeiten wie dem kommunalen Wahlrecht usw.) auf der kommunalen Ebene nicht als Alibi für eine passive Ausländerpolitik herhalten dürfen“ Im gleichen Sinne plädieren Krummacher/Waltz in ihren „Reformvorschlägen für eine multikulturelle Kommunalpolitik“ für eine „Stadt als zentralen Ort, wo diese Benachteiligungen gelebt werden, vor allem dort müssen und können die Änderungen eingeleitet werden -ganz unabhängig von der Notwendigkeit anderer Bundesgesetze und anderer gesellschaftlicher Auffassungen zur Einwanderungsgesellschaft“. Sie fordern weiter: „Die Kommunen müssen und können das Thema Einwanderung als komplexe, querschnittsorientierte, integrative und alle Aspekte kommunaler Politik berührende Tagesaufgabe wahrnehmen.“ 2. Paradigmenwechsel in der Integrationsarbeit Die in unseren Kommunen praktizierte Integrationspolitik muß einen Paradigmenwechsel von der in den siebziger Jahren vorherrschenden sozioökonomischen Dimension der Ausländerpolitik hin zu partizipativen, personellen und auch kommunikativen Dimensionen des Einwanderungsprozesses vollziehen. Jakubeit/Schröer schreiben in ihrer erfreulich selbstkritischen Bilanz eines 15jährigen Modellversuchs der Robert-Bosch-Stiftung zum Thema „Deutsche und Ausländer im Stadtteil. Von der , Integration durch den Kindergarten'zur . Integration von Ausländern in die Regelversorgung“ 1: „Der ... Ansatz, der unbewußt dahinterstand, war eher ein beschützender bis hin zu einem bevormundenden -ein Ansatz, der dem emanzipatorischen Ziel eher hinderlich war. Dabei wurde das Machtgefälle zwischen Mehrheit (deutsche Sozialarbeiter) und Minderheit (Ausländer) nicht angetastet, im Gegenteil eher stabilisiert. Wir haben Ansätze und Arbeitsformen der Emanzipationsbewegungen, zum Beispiel der Arbeiterbewegung, einfach auf die Ausländer übertragen. Wir haben mit dem auf Partizipation ausgerichteten Ansatz die Bedeutung von Kommunikationsprozessen kaum gesehen .. . Fortbildung und Beratung gingen somit davon aus, daß der schwierige Umgang mit den Fremden im wesentlichen auf ein Defizit an Wissen über die Fremden und ihre Alltagsbräuche zurückzuführen ist. Es hat sich gezeigt, daß eine eher kognitiv, an Wissensvermittlung orientierte Arbeit den Umgang mit Fremden nur teilweise erleichtern kann, die eigene Fremdheit bleibt. Daher scheint es uns sinnvoll, den Blick auf die jeweils individuellen Muster im Umgang mit Fremden zu richten.“
Als Konsequenz der von Jakubeit/Schröer diagnostizierten Defizite haben sich viele Migranten von der angebotenen Integrationspolitik entfremdet. Nicht nur haben sich viele Migranten nicht in die geschaffenen Organisationsformen und Angebote eingebracht, Art und Beschaffenheit der Angebote haben häufig sogar gegenläufige Tendenzen hervorgerufen und damit Fragmentierung und Segregation bestärkt.
V. Leitlinien für die kommunale Integrationsarbeit
Aus den oben genannten Überlegungen leite ich sechs Leitlinien für die zukünftige kommunale Integrationsarbeit ab: 1. Zielgruppe der Integrationspolitik sind Zuwanderer aller aufenthaltsrechtlicher Statusgruppen, unabhängig vom Grund ihres Aufenthaltes, seiner Länge (wenn sie mehr als nur sehr vorübergehend ist) und unabhängig von ihrer kulturellen, politisehen oder religiösen Weltanschauung. Staatlicher Integrationshilfen und Angebote bedarf allerdings nicht die Gesamtheit der Zuwanderer. Ein Teil der Migranten hat für sich und ihre Familien durch Selbsthilfe und mit Unterstützung von außen gute Integrationsbedingungen geschaffen. Sie dürfen nicht als „Opfer“, „Betreuungsobjekte“ oder „Problemgruppe“ vereinnahmt werden. Eine generelle Diskriminierungsannahme würde gerade jüngeren Migranten die Verantwortung nehmen, im wesentlichen durch eigene Anstrengungen die Lebensbedingungen in der Migration zu verbessern. Der Verweis auf gesellschaftliche Diskriminierung als Ursache jeglicher Fehlentwicklung in der Migrantenbiographie verstellt den Blick auf das wichtigste Integrationspotential: die eigenen Fähigkeiten und Anstrengungen 2. Neben den Chancen und Stärken, die Bi-Kulturalität und Bi-Lingualität bieten können, stellt die Tatsache der Migration bei vielen Migranten weiterhin einen Faktor klarer Benachteiligung gegenüber der einheimischen Bevölkerung dar. Zum Nachteilsausgleich und zur Herstellung von Chancengleichheit muß Integrationspolitik deshalb Mittel bereitstellen, um einerseits Sprach-und andere Defizite auszugleichen und Orientierungshilfen für Migranten zu organisieren sowie andererseits die Sozial-, Bildungs-und Arbeitsmarktsysteme der Regelversorgung besser als in der Vergangenheit in die Lage zu versetzen, adäquat auf die Aufnahme von Menschen unterschiedlicher Kulturen zu reagieren. 3. Zielgruppen, die wegen ihrer offensichtlichen Benachteiligung oder ihrer Bedeutung für das zukünftige Gelingen des Integrationsprozesses besonderer Förderung bedürfen, sind: -ausländische Kinder und Jugendliche, besonders im Vorschulalter und in der Übergangsphase Schule -Beruf, sowie junge Seiteneinsteiger in der Schule; -ausländische Frauen und Mädchen, deren Teilhabe am gesellschaftlichen Leben aus Gründen, die auch in der Verantwortung der Einwanderer-Communities liegen, besonders gering ist; -ausländische Senioren, die trotz großer Lebens-leistungen im Alter an den Rand gedrängt werden; -ausländische Arbeitslose, gering Beschäftigte und durch das soziale Umfeld marginalisierte erwachsene Migranten, deren Selbsthilfepotentiale alleine nicht für eine Reintegration in ein intaktes Umfeld ausreichen; -Flüchtlinge und Migranten, die bedingt durch ihren Aufenthaltsstatus ihre Potentiale zur Selbsthilfe nicht zum eigenen Wohl einsetzen dürfen. 4. Ziel von Integration ist es nicht, Migranten in staatlich gelenkten Subsystemen (als Quasi-Schutzräume) auf Dauer unterzubringen. Die Potentiale dieser Subsysteme werden bei krisenhafter Haushaltslage und bei generellen sozioökonomischen Privatisierungstendenzen weiter abnehmen. Integrationsziel ist es, gleichberechtigte Teilhabe am sozialen, ökonomischen und kulturellen Leben in dem von den Migranten jeweils selbst gewählten Umfang und in der von den Migranten selbst gewählten Art und Weise zu ermöglichen. 5. Unabdingbare Voraussetzung für die erfolgreiche Umgestaltung der Regelversorgung ist die Einbeziehung von Migranten als gleichberechtigte Mitglieder von interkulturellen Teams. Dies trifft für alle Felder wie Kindertageseinrichtungen, Jugendfreizeiteinrichtungen, Schulen, Krankenhäuser und Arztpraxen, Polizei und Justizwesen, Arbeitsverwaltung, Sozialarbeit, Sport etc. zu, in denen sich Migranten als selbstverständlicher Teil unserer Gesellschaft bewegen. Hierfür ist -gerade im öffentlichen Dienst mit seinen Defiziten bei der Beschäftigung von Migranten -eine lange andauernde offensive Einstellungspolitik der jeweiligen Arbeitgeber vonnöten. 6. Neben der Verstärkung des interkulturellen Elements in unseren Institutionen muß Integrationspolitik vordringlich die Qualität von Integrationshilfen verbessern. Die Differenzierung und Pluralisierung der Lebenslagen der Migrantenbevölkerung sowie der inzwischen über drei Generationen fortgeschrittene Integrations-und teilweise Desintegrationsprozeß müssen ihren Niederschlag in allen für Migranten vorgehaltenen Angeboten finden. Hierzu ist die Verstärkung der Anstrengungen im Bereich der Aus-und Fortbildung in-und ausländischer Fachkräfte, die Qualifizierung von in den Selbstorganisationen und Selbsthilfeinitiativen tätigen Migranten sowie die inhaltliche Überarbeitung von Programmen und Projekten der Regel-wie der Zielgruppenversorgung notwendig.
VI. Resümee
Die jetzt seit 15 Jahren im Amt befindliche Bundesregierung hat in wohl keinem anderen innen-und gesellschaftspolitischen Feld so versagt wie in der Migrationspolitik. Die Auswirkungen werden in den deutschen Städten noch für Jahrzehnte von Einheimischen wie Migranten getragen werden müssen. Ich folge dem Migrationsforscher Klaus J. Bade, der in diesem Zusammenhang feststellt: „Grundlage .. .der Einwanderungsgesellschaft ist die bewußt gestaltete und gelebte Partnerschaft von Mehrheit und zugewanderten Minderheiten in einem gewollten, politisch positiv besetzten, aktiv gestalteten und mit flexiblen Integrationskonzepten begleiteten Integrationsprozeß. Blockiert wird eine solche Partnerschaft durch eine Politik, die sich der konzeptionellen Herausforderung .. . mit eskapistischen Dementis verweigert und die Folgen der Versäumnisse durch Drohgebärden und Sicherheitspolitik zu bewältigen sucht. Bekannt ist, daß gesellschaftliche Probleme auf der Zeit-achse nicht schrumpfen, sondern wachsen. Zum Preis der Verdrängung zählen Angst und Aggressivität ... Gesellschaftspolitik ist durch Sicherheitspolitik nicht zu ersetzen.“
Die in Teilen der Öffentlichkeit zunehmend mangelnde Bereitschaft, sich mit den tatsächlichen Problemen und mit der Notwendigkeit einer differenzierten Integrationspolitik auseinanderzusetzen, verschärft die negativen Auswirkungen von Ausgrenzung und Desintegration und verkompliziert die ohnehin schwierige politische Lage, in der das Beharren auf populistischer Sturheit oft mehr zählt, als die Suche nach konzeptionellen Lösungswegen. Meine Hoffnung, daß die von Bade zu Recht hervorgehobene Dauerblockade einer sinnvollen Einwanderungs-und Integrationspolitik dennoch überwunden werden kann, ruht -neben den beschriebenen Ansätzen -auf den zahlreichen Migrantinnen und Migranten der zweiten und dritten Generation, die sich daran gemacht haben, die gestellte Aufgabe in die eigenen Hände zu nehmen.
Christine Wischer, geb. 1944; seit 1995 als Senatorin für Frauen, Gesundheit, Jugend, Soziales und Umweltschutz in Bremen für Ausländerintegration zuständig.
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