Zwischen Wunsch und Wirklichkeit: Frauen im Sozialstaat. Ein Ländervergleich zwischen Frankreich, Schweden und Deutschand
Mechthild Veil
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Zusammenfassung
Ein Ländervergleich zwischen den drei Ländern Frankreich, Schweden und Deutschland zeigt die unterschiedlichen Auswirkungen der Sozial-und Familienpolitik auf Frauen, die auf kulturelle Muster im Geschlechterarrangement und auf verschiedene Traditionslinien des jeweiligen welfaremix zurückgehen. In Frankreich ist die Entstehungsgeschichte des Sozialstaats (Etat Providence) eng mit Familien-und Bevölkerungspolitik und einer betrieblichen „patronage“ verknüpft. Diese Genese hat zu der im europäischen Vergleich herausragenden Rolle der Kinderversorgung und der Familienleistungen geführt, was einen positiven Einfluß auf die Erwerbsmöglichkeiten von Frauen hat. In Schweden ist der Sozialstaat durch universelle, für alle gleiche Leistungen geprägt; er soll dem Ziel sozialer Gleichheit und auch der Gleichberechtigung verpflichtet sein. In Deutschland hingegen ist der Sozialstaat als ein Sozialversicherungsstaat eng mit der Entstehung der Arbeiter-und Gewerkschaftsbewegung verbunden. Charakteristisch sind die scharfe Trennung zwischen einer sozialen Sicherung für Erwerbstätige (über die Sozialversicherungen) und für Bedürftige (über Sozialhilfeleistungen) sowie niedrige familienpolitische Leistungen. Eine historische und aktuelle Analyse der Genese der Frauenrechte in den drei Ländern läßt erkennen, daß auch bei vergleichbaren empirischen Befunden -eine hohe Frauenerwerbsquote in Frankreich und Schweden mit einer flächendeckenden Kinderversorgung über den öffentlichen Sektor -die dahinter liegenden kulturellen Muster völlig verschieden sein können. Der Inhalt der sozialen Rechte ist jeweils ein anderer und damit auch die Impulse für einen Ausbau sozialer Frauenrechte in der Europäischen Union. Aus Frankreich könnte die günstige Möglichkeit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie übernommen und zu einem verbindlichen Kriterium gemacht werden, um die Mobilität auch der weiblichen Arbeitnehmer in der Europäischen Union zu realisieren. Schweden zeigt, welche Bedeutung der öffentliche Sektor für die Beschäftigung von Frauen haben kann. Dieser sollte von Frauen auch aus politischen Gründen als eine wichtige Arena für Frauenforderungen verteidigt werden. Deutschland schließlich macht deutlich, wie notwendig eine autonome Frauenbewegung und -politik ist, sollen Fraueninteressen nicht als nachrangig gegenüber den zum mainstream der Geschichte erklärten männlichen Interessen werden.
In den allgemeinen Debatten über die Krise der nationalen Sozialstaaten wird häufig übersehen, daß der Sozialstaat für Frauen und Männer unterschiedliche Bedeutung hat und diese Diskussionen eigentlich nicht geschlechtsneutral geführt werden können. Denn zu verschieden ist die Abhängigkeit der Frauen von Leistungen des Sozialstaats gegenüber der der Männer, zu unterschiedlich ist? auch ihre Verankerung auf dem Arbeitsmarkt und in der Familie sowie ihre Position in Politik und Gesellschaft. Die Ausgestaltung des Wohlfahrtsstaates, im angelsächsischen Sprachraum auch welfare-mix genannt, die Einfluß auf das Familien-und Berufsleben von Frauen und auf das jeweilige Geschlechterverhältnis hat, ist in den genannten Ländern sehr unterschiedlich. Hier wirken kulturelle Muster, die sich in einer längeren Entwicklung historisch herausgebildet haben und die nicht kurzfristig zu verändern sind.
Selbst hinter gleichen empirischen Befunden -eine steigende Erwerbsbeteiligung von Frauen gegenüber einer stagnierenden oder rückläufigen Erwerbstätigkeit von Männern in den europäischen Ländern -können unterschiedliche Traditionslinien stehen, die die Entwicklungsmöglichkeiten einzelner Sozialstaaten prägen. Es ist deshalb wichtig, sich über die kulturellen Hintergründe zu verständigen, um zukünftige Entwicklungen und Reformvorschläge angemessen beurteilen zu können. Ich möchte in einem Ländervergleich zwischen Frankreich, Schweden und Deutschland aufzeigen, welchen Einfluß Sozial-und Familienpolitik sowie ihr kultureller Hintergrund auf die soziale Sicherung und auf Erwerbsarbeitsmuster von Frauen haben. In Frankreich zum Beispiel ist die Entstehungsgeschichte des Sozialstaats (Etat Providence) eng mit Familien-und Bevölkerungspolitik und einer betrieblichen „patronage“ verknüpft. Diese Genese hat zu der im europäischen Vergleich herausragenden Rolle der Kinderversorgung und der Familienleistungen geführt, die wiederum einen wesentlichen Einfluß auf die Erwerbsmöglichkeiten von Frauen haben. Der flächendeckende Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen und Ganztagsschulen ermöglicht es Frauen, Beruf und Familie zu vereinbaren. In Schweden ist der Sozialstaat durch universelle, für alle gleiche Leistungen geprägt; er soll dem Ziel sozialer Gleichheit und auch der Gleichberechtigung verpflichtet sein. Diese Politik hat in Schweden zu einer starken geschlechtsspezifischen Spaltung des Arbeitsmarktes geführt: Frauen arbeiten überwiegend in Teilzeit im Öffentlichen Dienst und Männer in Vollzeit vor allem in der Privatwirtschaft. In Deutschland hingegen ist der Sozialstaat als ein Sozia\versicherungsstaat eng mit der Entstehung der Arbeiter-und Gewerkschaftsbewegung verbunden. Charakteristisch sind die scharfe Trennung zwischen einer sozialen Sicherung für Erwerbstätige (über die Sozialversicherungen) und für Bedürftige (über Sozialhilfeleistungen) sowie niedrige familienpolitische Leistungen. Das führt dazu, daß Frauen in ihrer sozialen Sicherung stark vom Arbeitsmarkt oder von ehelichen Unterhaltsleistungen abhängig sind.
Wie sieht die Zukunftsfähigkeit des jeweiligen welfare-mix aus der Sicht von Frauen aus, objektiv und auch subjektiv in ihren Wünschen und Hoffnungen? Sollten Frauen den Abbau sozialer Sicherheiten auf jeden Fall zu verhindern suchen (entsprechend der Politik der Gewerkschaften in Deutschland), oder eröffnen sich mit der Restrukturierung der Sozialstaaten neue Sicherheiten und Freiheiten, die Frauen nutzen und über die sie sich verständigen könnten?
I. Frankreich
1. Entstehung des französischen Wohlfahrtsstaates: Im Zentrum steht die Familie
Hinter dem französischen Sozialstaat steht keine kohärente Doktrin, kein Name (Beveridge oder Bismarck) und auch keine soziale Bewegung. In Frankreich gibt es politische Widerstände gegen ein Wohlfahrtsstaat-Modell. Sozialpolitik wird viel mehr von politischen Strömungen als von einem einheitlichen politischen Willen geprägt Aus der Sicht des Fremden ist die Stellung der Frauen im französichen Sozialstaat schwer durchschaubar. Einerseits fällt auf, wie großzügig die Familienpolitik und wie frauenfreundlich der öffentliche Sektor mit seinen flächendeckenden Einrichtungen zur Kinderbetreuung und mit seinen Ganztagsschulen organisiert ist, der es Frauen ermöglicht, auch ganztägig erwerbstätig zu sein Andererseits irritiert, daß diese Errungenschaften nicht mit einer Frauenbewegung in Verbindung gebracht werden können.
Diese Irritationen lassen sich aus der historischen Entwicklung erklären. Zu Recht hat Franz Schultheis die Entstehung des französischen Wohlfahrtsstaates als eine frühe familienpolitische Entwicklung und eine späte Sozialversicherungspolitik charakterisiert. Familienpolitik hat in Frankreich eine lange Tradition und geht auf den Populationismus des Ancien Regime zurück, eine Lehre, die einen Zusammenhang zwischen der Produktivität eines Landes und der Vermehrung der Bevölkerung herstellte. Es galt als das legitime Recht des Staates, über die Produktion des „menschlichen Kapitals“ zu wachen, auch über die weibliche Fruchtbarkeit und Pflegetätigkeit. Jedes Kind vermehrte den gesellschaftlichen Reichtum, auch unehelich geborene Findelkinder, die „enfants de la patrie“. Bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts gehörten Häuser für Findelkinder noch zu den wichtigsten Einrichtungen des französischen Wohlfahrtssystems.
Im katholischen Frankreich war es also möglich, daß Fragen der Moral und der Religion gegenüber bevölkerungspolitischen Aspekten der Familienpolitik zeitweise zurücktraten. Der Familienbegriff war weit gefaßt, er bezog sich nicht nur auf Familie im engeren Sinne (famille), sondern auf den weniger normativen Begriff des Haushalts (feu). Im 19. Jahrhundert wechselten kirchliche Moraltheorien und bevölkerungspolitische Argumente in der Familienpolitik ab Es blieb dem Code Napoleon (1804) vorbehalten, die ordnungspolitische Bedeutung der Familie herauszustellen und ins Zentrum der sozialen Frage zu rücken, was dann mit einer Diskriminierung unehelicher Mütter einherging.
Neben bevölkerungspolitischen Zielen sind die Ansätze einer staatlichen Familienpolitik im Frankreich des 19. Jahrhunderts auch darauf zurückzuführen, daß die wirtschaftliche Not der Arbeiterfamilien als ein neues soziales Problem erkannt und zunächst von dem sozialkatholisch orientierten Unternehmertum aufgegriffen wurde Die Unternehmer praktizierten eine freiwillige patronale Sozialpolitik für Arbeiterfamilien, sie richteten betriebseigene Kinderkrippen und Schulen sowie firmeneigene Familienkassen ein. Diese durch den Sozialkatholizismus getragene patronale politique familiale war zunächst gegen staatliche Interventionen gerichtet und kennzeichnend für das noch stark agrarisch geprägte Frankreich des 19. Jahrhunderts. Erst die voranschreitende Organisierung der Interessenvertretung der Arbeiter in der Zwischenkriegszeit rief den Staat auf den Plan. Mit dem Code de la Famille (30. 09. 1939) wurden bisher freiwillige Leistungen obligatorisch und für alle in gleicher Höhe von überbetrieblichen Kompensationskassen ausgezahlt. Der Staat integrierte Familienpolitik erstmals in die Sozialpolitik. An der Finanzierung beteiligte sich der Gesetzgeber jedoch nur, wenn die Unternehmer nicht zahlen konnten. Somit blieben die eigentlichen Träger der politique familiale die Arbeitgeber Erst im Jahre 1949, als die Familien-kassen in die Caisses d’allocations familiales überführt und als Bestandteil der Sozialversicherungen (securite sociale) gegründet wurden, änderte sich dies. Die Gründung der Sozialversicherungen im Jahre 1945 löste die auf dem Engagement der Arbeitgeber und der Eigeninitiative der Arbeitnehmer beruhenden Arbeiterhilfsgesellschaften ab. Die sich widerstreitenden Interessengruppen des 19. Jahrhunderts, die Kirche, das katholische Unternehmertum und der republikanische Staat, prägen noch heute den Etat Providence. Das zeigt sich in einem starken Ausbau einer Familienpolitik -Frankreich leistet sich im europäischen Vergleich die aufwendigste und es zeigt sich in der Struktur: die Familienkassen, die Caisses nationales des allocations familiales stellen einen eigenständigen Zweig der Sozialversicherungen dar. Die für Deutschland charakteristische Trennung zwischen einem steuerfinanzierten Familienlastenausgleich für Eltern und beitragsfinanzierten Leistungen der Sozialversicherungen nur für Erwerbstätige gibt es in Frankreich nicht. Die Familienkassen sind mischfinanziert, sie werden überwiegend aus Beiträgen der Arbeitgeber und zu einem geringen Teil aus Beiträgen der Arbeitnehmer und über Steuern finanziert. Ihre Leistungen, wie zum Beispiel die Familienbeihilfen (allocations familiales), gelten für alle Eltern (oder Alleinerziehende) mit mindestens zwei Kindern, unabhängig von einer Berufstätigkeit und von der Einkommenshöhe. Die einzige Ausnahme ist das französische Erziehungsgeld (allocation parentale d’education), das anders als in Deutschland eine vorherige Erwerbstätigkeit voraussetzt. Die Familienbeihilfen, die entsprechend der bevölkerungspolitisch motivierten französischen Sozialpolitik erst ab dem zweiten Kind (bis zum 19. Lebensjahr) gezahlt werden, betragen 670 F monatlich (ca. 200 DM) und bei drei und mehr Kindern 1 530 F (ca. 460 DM). Die Familienkassen finanzieren seit 1986 auch Zuschüsse für die häusliche Kinderbetreuung berufstätiger Eltern, indem sie die Arbeitgeberbeiträge übernehmen.
Interessant ist nun, daß die Finanzierungskrise der Caisse nationale des allocations familiales grundsätzliche Kontroversen über die zukünftige Funktion des Sozialstaats ausgelöst hat. Ein Gesetzesentwurf der Regierung, der im Oktober dieses Jahres dem Parlament unterbreitet wurde, sieht vor, die Familienbeihilfen nur noch an Haushalte zu zahlen, deren monatliches Einkommen 25 000 F netto (ca. 7 500 DM) nicht überschreitet. Dieser Vorschlag rührt an das republikanische Grundverständnis eines Staates, der seit der Französischen Revolution auf der Idee der Gleichheit (galit) der Bürger sowie der gleichen Rechte und Leistungen beruht. Der Etat Providence steht nicht in erster Linie für eine Politik des sozialen Ausgleichs für Bedürftige, sondern für universalistische, das heißt für alle gleiche Leistungen. Angesichts der zunehmenden Arbeitslosigkeit und der sozialen Spaltungen (fractures sociales) in der französischen Gesellschaft fragt sich jedoch, wie realistisch die republikanische Doktrin der „galite“ noch ist und ob die Beschwörung der Ursprünge der bürgerlichen Republik von 1880 und ihrer Ideale ausreicht, um die Probleme der Gegenwart zu meistern Kritiker fordern, den Sozialstaat auf die Bedürfnisse der sozial Schwachen zu reduzieren. Die Kontroverse über die zukünftige Richtung des Sozialstaats, ob dieser weiterhin nach der Doktrin der „egalite“ ausgebaut oder nach Vorstellungen der „equite“ (im Sinne von Billigkeit, was jedem von Natur aus zugebilligt werden muß) umgebaut werden soll, wurde durch die geplante Reform der allocations familiales ausgelöst
2. Der öffentliche Sektor in Frankreich: Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie
Der großzügige Ausbau von Betreuungseinrichtungen für Kinder von der Krippe (creche), über den Kindergarten (ecole maternelle) bis zur Ganztagsschule ist nicht Ergebnis einer Gleichstellungspolitik wie in Schweden, sondern zeigt das Interesse eines laizistischen republikanischen Staates, die Erziehung der Kinder weder dem Einfluß der katholischen Kirche noch dem der Frauen allein zu überlassen, da diese zu stark religiös beeinflußt seien. Als ein Relikt der Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche ist ein schulfreier Tag in der Woche (Mittwoch oder Donnerstag) für religiöse Erziehung erhalten geblieben Frauen können die Infrastruktur nutzen, um Beruf und Familie zu vereinbaren. Gegenüber ihren Geschlechtsgenossinnen in Deutschland haben es französische Frauen leichter, Beruf und Familie zu vereinbaren. Schultheis spricht deshalb von einer Politik der Gleichstellung. Diese Einschätzung kann ich nicht teilen. Es sind nicht die Frauen und Männer selbst, die mit Hilfe staatlicher Unterstützung Fragen der Kindererziehung gemeinsam regeln und dadurch eine andere geschlechtsspezifische Arbeitsteilung herbeiführen, sondern es ist eine Arbeitsteilung zwischen dem Staat und den Frauen, die die Männer aus der Pflicht entläßt. So gesehen ist der öffentliche Sektor in Frankreich zwar frauenfreundlich, da er bessere Möglichkeiten der Vereinbarkeit von Beruf und Familie bietet als zum Beispiel in Deutschland, die aber einseitig durch eine Doppelbelastung von Frauen realisiert wird.
3. Impulse für Europa?
Im französischen Etat Providence haben Frauen prinzipiell die Möglichkeit, berufstätig zu sein und eine Familie gründen zu können, während in Deutschland eine systematische Unvereinbarkeit von Beruf und Familie besteht Das Kriterium der Vereinbarkeit zeigt, daß die sozialen Rechte von Frauen noch lange nicht durchgesetzt worden sind, weder in den einzelnen Ländern, noch in der Politik der Europäischen Union. So verliert beispielsweise eine Französin, die mit ihrer Familie nach Deutschland zieht, um Arbeit zu suchen, ihre sozialen Rechte auf freie berufliche Mobilität. Ihre beruflichen Möglichkeiten werden eingeschränkt, wenn es ihr nicht möglich ist. ihre Kinder ganztägig unterzubringen. Aus der Sicht von Frauen ist eine der vier Grundfreiheiten der Europäischen Union, die die Römischen Verträge 1957 festschrieben -die räumliche und berufliche Mobilität -, bis heute nicht realisiert worden. Voraussetzung für die berufliche Mobilität weiblicher Arbeitnehmer ist eine staatliche Verantwortung für die Versorgung und Betreuung der Kinder. Die Frage der Kindererziehung müßte Bestandteil der Politik der Europäischen Union werden, die verbindlich festlegt, daß die Betreuung der Kinder im Vorschul-und im Schulalter nicht Aufgabe der Familien bleiben muß. Für dieses Ziel kann auf Frankreich als Beispiel verwiesen werden.
Fraglich ist, ob die über einhundertjährige Tradition staatlicher Kinderbetreuung auch in der Krise des französischen Sozialstaates erhalten bleibt oder ob die zunehmende Arbeitslosigkeit, die in Frankreich vor allem eine Jugendarbeitslosigkeit ist, Druck auf Frauen ausüben wird, an den häuslichen Herd zurückzukehren, um Jugendlichen den beruflichen Einstieg zu ermöglichen und Kosten im öffentlichen Sektor sparen zu können.
Wie fest verankert ist die Tradition der Berufstätigkeit von Frauen? Und wer verteidigt diese Tradition? Erfahrungsgemäß haben es Interessengruppen und soziale Bewegungen in Frankreich schwer. Denn nach traditionellem Staatsverständnis verkörpert der Staat den allgemeinen Willen (volonte generale}. Sozialer Wandel wird weniger durch Bürgerinitiativen als durch staatlichen Dirigismus herbeigeführt. Die hervorstechende Rolle des zentralistischen Staatsapparates ist erst in letzter Zeit durch die Partei der Grünen und durch Bürgerinitiativen in Frage gestellt worden. Aber noch immer drückt sich die allgemeine Schwäche organisierter Interessengruppen in Frankreich im Fehlen einer eigenständigen Frauenbewegung aus.
II. Schweden
Abbildung 14
Teilzeit-Jobs Quelle: OECD.
Teilzeit-Jobs Quelle: OECD.
1. Das „Volksheim“ (Folkhem) des schwedischen Wohlfahrtsstaates Der schwedische Wohlfahrtsstaat gilt als Modell für eine gelungene sozialdemokratische Sozialpolitik, die eine egalitäre Gesellschaft und eine weitgehende Gleichstellung zwischen Frauen und Männern herstellen konnte. Der auch als das skandinavische Modell bekannte Wohlfahrtsstaat geht auf eine relativ kurze Traditionslinie zurück: auf einen historischen Kompromiß zwischen Kapital und Arbeit in den dreißiger Jahren, mit dem die Sozialdemokratie die Lehre des Marxismus mit der Wirtschaftsdoktrin von Keynes verknüpfte, um die aufkommenden Klassengegensätze während des Übergangs von einer Agrar-zu einer Industriegesellschaft abschwächen zu können Die klassenübergreifende Fürsorge des Wohlfahrtsstaates wurde mit dem Begriff des „Volksheims“ (Folkhem) zum Ausdruck gebracht, das allen Staats-bürgern Schutz und Beistand bieten sollte: „Alle profitieren, alle sind abhängig, alle fühlen sich zur Zahlung verpflichtet.“ Mit Hilfe einer universalistisch orientierten Sozialpolitik sollte eine Gesellschaft ohne Privilegierte oder Benachteiligte geschaffen werden. Instrumente hierfür sind auch heute noch eine Lohnpolitik, die nur geringe Lohnunterschiede zuläßt, und eine Steuerpolitik, die durch eine starke Progression der Einkommenssteuer die Löhne nivelliert. Im europäischen Vergleich hat Schweden die höchste Einkommenssteuer Steuereinnahmen bilden die wesentliche Finanzierungsbasis für den stark umverteilenden Wohlfahrtsstaat. Das egalisierende Gesellschaftsbild läßt keine großen sozialen Unterschiede zu, auch nicht zwischen Frauen und Männern.
2. Die Rolle der Frauen bei der Konstituierung des Wohlfahrtsstaates
Der schwedische Wohlfahrtsstaat kann nicht ohne die Beteiligung der Frauen und ihrer sozialen Rechte diskutiert werden. Barbara Hobson hat den entscheidenden Einfluß der Frauenbewegungen auf die Gestaltung des Wohlfahrtsstaates in den dreißiger Jahren aufgezeigt Damals wurde in Schweden diskutiert, wie durch eine pronatalistische Sozialpolitik Auswanderungen und eine sinkende Geburtenrate aufgefangen werden könnten. Theoretische Grundlage bildete das Buch von Alva und Gunnar Myrdal zur Krise der Bevölkerungsfrage, das zu einem neuen, frauenfreundlichen Wohlfahrtsprogramm führte. Für Alva und Gunnar Myrdal konnte ein Bevölkerungswachstum nur über Sozialreformen erreicht werden, indem zum Beispiel der Staat durch Ausbau öffentlicher Betreuungseinrichtungen die Situation von Kindern verbessern hilft (child welfare) Von einer staatlichen Kinderbetreuung könnten auch Frauen profitieren, um Beruf und Familie zu vereinbaren. Die argumentative Verbindung von Geburtenförderung mit Sozialpolitik machte den Ausbau des Sozialstaats für konservative Politiker erst akzeptabel Feministinnen benutzten das Bevölkerungsargument als eine neue Waffe für Gleichberechtigung. Sie knüpften an die Metapher des „Volksheims“ an, um ihre Alltagserfahrungen in den öffentlichen Diskurs einfließen zu lassen, sowie an die Prinzipien der Sozialdemokratie, die allen Bürgern ein Recht auf Arbeit und Erwerb gewährt, das ihrer Meinung nach auch für verheiratete Frauen gelten sollte. Gegenüber allen Parteien, die in der Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre die Erwerbstätigkeit von Müttern einschränken wollten, konnten Frauenorganisationen geschlossen dieses Recht verteidigen und noch ausweiten Die Stärke der Frauen lag darin, daß sie in einem einheitlichen „kognitiven Rahmen“, dem der Bürgerrechte, agierten. So konnte erreicht werden, daß Frauenthemen zu einem festen Bestandteil des allgemeinen politischen Diskurses in Schweden wurden
Was in den dreißiger Jahren ideengeschichtlich vorbereitet wurde, setzte sich erst in den sechziger und siebziger Jahren durch: ein starker Anstieg der Erwerbstätigkeit von Frauen, der mit dem Ausbau öffentlicher Dienstleistungen für Kinder-und Altenbetreuung verbunden war.
3. Erwerbsarbeitsmuster und soziale Gleichstellung
Der massive Ausbau des öffentlichen Sektors -Kindertagesstätten und kommunale ambulante Pflegeplätze -ging in den sechziger und siebziger Jahren auch auf Impulse der sozialdemokratischen Frauenbewegung zurück, die mit dem Parteiprogramm für Gleichstellung (1969) eine höhere Beteiligung von Frauen im Berufsleben forderte wurden Diese Frauenarbeitsplätze vor allem im öffentlichen Sektor für haushaltsnahe Dienstleistungen geschaffen. Heute hat Schweden die höchste Frauenerwerbsquote der OECD-Staaten, die mit 76 Prozent nur wesentlich unter knapp der der Männer von knapp 80 Prozent (1993) liegt Der hohe Anteil von Frauen im öffentlichen Sektor hat zu einer Segregation des Arbeitsmarktes geführt, wie sie in keinem anderen europäischen Land so ausgeprägt anzutreffen ist: Frauen arbeiten im Dienstleistungssektor überwiegend in Teil-zeit, während Männer vollzeitbeschäftigt in der besser entlohnten Privatwirtschaft anzutreffen sind. Im Gegensatz zu Deutschland sind schwedische Teilzeitarbeitsplätze überwiegend „lange Teilzeitarbeit“ (Dreiviertelstellen). Da die Löhne im öffentlichen Sektor niedriger sind als in der Privatwirtschaft und Frauen kürzer arbeiten, gibt es auch im gleichberechtigten Schweden unterschiedliche Grade der sozialen Sicherung zwischen Frauen und Männern Anders als in Deutschland sind Frauen in Schweden jedoch eigenständig gesichert, über ihre Erwerbsarbeit und über Sozialleistungen, die als eigenständige soziale Rechte unabhängig von Ehe und Familie gewährt werden. So gibt es in Schweden keine Hinterbliebenenrenten und keine Rentenansprüche durch Scheidungen. Doch benachteiligt diese rein formale Gleich-behandlung die Frauen und ist insofern ungerecht, da Frauen ihr berufliches Engagement häufig wegen der Kindererziehung zurückstecken und überwiegend in Teilzeit arbeiten und verdienen.
4. Krise des schwedischen Modells -Krise der Gleichsteliungspolitik?
Diskussionen zur Weiterentwicklung des schwedischen Modells sind ideologisch besetzt und werden meist prinzipiell geführt. Das liegt meiner Meinung nach daran, daß der schwedische Wohlfahrtsstaat auf einer kohärenten, jedoch wenig pragmatischen Doktrin beruht, wonach eine bestimmte politisch-ökonomische Organisation von Wohlfahrtsstaaten, die auf universalistischen Leistungen beruht, die Solidarität fördere und immun gegen krisenhafte Entwicklungen sei.
Die gegenwärtige Krise zeigt, daß auch der schwedische Wohlfahrtsstaat nicht krisenresistent ist. Ein rapider Anstieg der Arbeitslosigkeit von nur 1, 5 auf über 8 Prozent zwischen 1989 und 1993 hat zu einer Finanzierungskrise geführt, auf die die Regierung mit Kürzungen der Sozialleistungen reagiert. Auffallend ist, daß trotz der Kürzungen die Struktur der Leistungen und die Grundlagen des Wohlfahrtsstaates nicht in Frage gestellt werden. Die schwedische Gesellschaft, die zu zwei Dritteln direkt von staatlichen Leistungen abhängig ist, bleibt fest in der traditionellen wohlfahrtsstaatlichen Denkweise verwurzelt. So wird an der Eltern-versicherung festgehalten, an der hohen und immer noch steigenden Erwerbsbeteiligung von Frauen und an einem öffentlichen Dienstleistungssektor mit den Kindertageseinrichtungen. Erwerbsarbeit von Frauen ist zu einem Bestandteil sozialer Bürgerrechte geworden und läßt sich nicht einfach zurückschrauben, auch unter ökonomischen Gesichtspunkten nicht. Denn das Lohn-und Steuersystem bauen auf der Doppel-Verdiener-Familie auf. Allerdings werden zunehmend kritische Stimmen laut, die den übermächtigen Einfluß des Staates im öffentlichen Sektor zugunsten privater Dienstleistungen zurückdrängen möchten
Wenn auch die Krise des schwedischen Modells von vielen dramatisiert wird und es mehr um Modifizierung als um einen radikalen Umbau geht, so stellt sich doch die Frage, wie zukünftig eine Gleichstellungspolitik aussehen wird. Können Frauen ihre starke Position in der Gesellschaft ohne eine autonome Frauenbewegung und eigentlich auch ohne Feminismus halten? Bisher konnten Wünsche von Frauen nach vermehrter Erwerbsbeteiligung über eine Ausdehnung des öffentlichen Sektors in Zeiten der Vollbeschäftigung realisiert werden. Sie kollidierten nicht mit Wünschen der Männer, ihre „angestammten“ Arbeitsplätze zu behalten. Das entschärfte den Geschlechterkampf in der Verteilungsfrage. Wie solidarisch werden zukünftige Generationen sein, wenn Arbeitsplätze und soziale Ressourcen knapp werden? Führt diese Entwicklung zu einem neuen Geschlechterarrangement, das auf einer radikalen Umverteilung des knappen Guts der Erwerbsarbeit beruht, oder führt sie zu mehr sozialer Ungleichheit zwischen Frauen und Männern? Wird es weiterhin möglich sein, Arbeitslosigkeit durch Ausbau des öffentlichen Sektors abzufedern? Das sind gegenwärtig noch offene Fragen. Sicher ist nur, daß die Ausgangsbasis, um diese Konflikte auszutragen, in Schweden günstiger ist als in Deutschland, da sich in der schwedischen Gesellschaft andere Gewohnheiten und Selbstverständlichkeiten herausgebildet haben, die die beruflichen Interessen von Frauen nicht als Sonderinteressen, sondern als Teil kultureller Errungenschaften begreifen.
III. Deutschland
1. Der Sozialstaat als Versicherungsstaat: ein männerbündisches Konzept
Identitätsstiftender Kern des bundesdeutschen Sozialstaates sind die Sozialversicherungen. Sie werden über Beiträge der Versicherten finanziert und landläufig mit selbsterwirtschafteten Leistungen verwechselt Ganz anders sieht das untere soziale Netz aus, die über Steuern finanzierte Sozialhilfe für Bedürftige, die nur subsidiär, das heißt hilfsweise nach familialer Unterstützung, gewährt wird. Diese scharfe Trennung zwischen einer arbeitsmarktorientierten Sozialpolitik und einer für Bedürftige sowie einem im europäischen Vergleich unzureichenden Familienlastenausgleich gibt es in Frankreich und in Schweden nicht. Sie wirkt sich sehr nachteilig für Frauen aus, denn ihre Doppelrolle in Beruf und Familie führt zu einer „institutionellen Ungleichbehandlung“
Durch die Trennung zwischen Erwerbsarbeit und anderen Arbeitsformen und der Nichtberücksichtigung von Familienarbeit wird Armut von Frauen durch Sozialpolitik selber produziert. Barbara Riedmüller hat hierfür den aus den USA stammenden Begriff der Feminisierung der Armut in die deutsche Diskussion eingeführt. Aus den Analysen von Anita Pfaff geht hervor, daß Frauen durch Familienarbeit häufig erst aus dem oberen sozialen Netz der Sozialversicherungen herausgekickt und auf die Sozialhilfe als dem unteren sozialen Netz oder als verheiratete Frauen auf private Unterhaltsleistungen verwiesen werden.
Wenn von einer Systematik der Frauendiskriminierung im Sozialstaat gesprochen wird, die in den Zweigen der Sozialversicherungen sowie im Ar-beitsförderungsgesetz und im Steuerrecht detailliert nachgewiesen wurde die auch in Reformen des Rentenrechts fortgeschrieben wird so bezieht sich diese auf die Privilegierung des Erwerbsarbeiterstatus. Anknüpfungspunkt für Leistungen der Sozialversicherung ist das sogenannte männliche Normalarbeitsverhältnis und eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, die Frauen überwiegend die Familienarbeit und Männern die Rolle des Familienernährers zuschreibt und auf einem Geschlechterarrangement beruht, das in vergleichender Forschung als das deutsche Familienernährermodell gekennzeichnet wurde
Diese Zweiteilung des Sozialstaats, die es in anderen europäischen Ländern in dieser Schärfe nicht gibt, ist inzwischen zu einem Haupthindernis für Frauen geworden, eigenständige soziale Rechte zu erlangen; sie stellt sich zunehmend auch als Bremse gegenüber Reformen heraus. Denn obgleich die Voraussetzungen, auf denen der Sozialstaat beruht -wirtschaftlicher Aufschwung mit Vollbeschäftigung, steigende Lohnentwicklung und stabile Ehen -, ins Wanken geraten sind und auch in der Bevölkerung das Vertrauen in die Stabilität zum Beispiel der Renten sinkt, gibt es einen auffälligen Reformstau. Dies hängt zum einen damit zusammen, daß durch die Entwicklung zweier deutscher Staaten, die auch im Sozialen eine Politik des Kalten Krieges verfolgten, sich die Bundesrepublik gegenüber einer angeblich kommunistischen Sozialpolitik abgrenzte. Darunter wurde ein Versorgungsstaat verstanden mit „egalisierend-einschläfernden Maßnahmen des sozialen Ausgleichs“ und einer Einheitsversicherung, wie sie in der DDR galt, die allen Bewohnern unabhängig von der eigenen Beitragszahlung eine einheitliche Grundsicherung gewährte Die bis heute teilweise heftige Ablehnung gegenüber Vorstellungen einer allgemeinen Grundsicherung leitet sich aus antikommunistischen Abgrenzungsbewegungen ab. Aber das Festhalten am Bismarckschen Modell führt dazu, daß sich für Frauen nichts Grundlegendes ändert, obwohl dieses Modell nicht nur für Frauen, sondern für die zukünftige gesellschaftliche Entwicklung insgesamt wenig zu bieten hat. 2. Erosion des Normalarbeitsverhältnisses -
eine Chance für Frauenforderungen?
Mit der Umstrukturierung der Marktkräfte und der Erosion des Arbeitsmarktes wird das Risiko diskontinuierlicher und nicht existenzsichernder Erwerbsarbeit nicht mehr ausschließlich zu einem Problem von Frauen, sondern gilt zunehmend auch für Männer. Löhne unterhalb des Existenzminimums verallgemeinern das Problem der „Armut trotz Arbeit“. Feministinnen fragen sich, ob die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses nicht auch zur Krise einer auf dem männlichen Normalarbeitsverhältnis basierenden Sozialversicherung werde.
Bisher haben Forscherinnen die Veränderungsprozesse meist so analysiert, daß Frauen die Verliere-rinnen sind, die mit traditionell schlechteren Ausgangsbedingungen auf dem Arbeitsmarkt und im Sozialsystem nun einmal mehr an den Rand der „good jobs“ gedrängt werden und besonders stark von Sparmaßnahmen und der Aufweichung des Kündigungsschutzes in Kleinbetrieben betroffen sind Denkbar wäre ein anderes Szenarium: Erstmalig bestünde die Chance, das knappe Gut Erwerbsarbeit sowie die Arbeitszeiten gesamtgesellschaftlich anders zu verteilen, zwischen Erwerbstätigen und Arbeitslosen, zwischen Frauen und Männern, zwischen denen, die unbezahlte und denen, die entlohnte Arbeit verrichten. Dann wären das keine separaten Forderungen von Frauen mehr, sondern solche, die einen gesamtgesellschaftlichen Veränderungsprozeß einleiten.
Es zeigt sich, daß feministische Forschung auf die postmoderne Fragmentierung des Normal-arbeitsverhältnisses besser vorbereitet ist als die mainstream-Forschung, denn ihre Haltung zum keynesianischen Wohlfahrtsstaat, der auf konsum-orientierter Nachfrage und Vollbeschäftigung für den zumindest männlichen Teil der Bevölkerung beruhte, war immer eine kritische. Deshalb ist es kurzsichtig, wenn Frauen in dem gegenwärtigen Abbau von Sozialleistungen versuchen, den sich im Umbruch befindenden keynesianischen Wohlfahrtsstaat verteidigen zu wollen, nur um sich von neoliberalen Auffassungen: „Jeder ist seines Glückes Schmied“ abzugrenzen. Frauen verteidigen damit einen Sozialstaat, der auf einer geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung aufbaut und den sie bisher als geschlechtsblind kritisiert haben. Es kommt vielmehr darauf an, von realistisehen Lebensläufen auszugehen, die auch die Zukunftsperspektive der jüngeren Generationen einbezieht, und das sind die fragmentierten und nicht standardisierten Erwerbsverläufe von Frauen. Diese müssen dann allerdings ausreichend über Elemente einer Grund-oder Mindestsicherung armutssicher gemacht werden, wenn Frauen nicht weiterhin als Puffer dienen sollen, um die Folgen der Krise durch Mobilisierung privater Ressourcen abzufedern.
IV. Resümee
Alle drei Länder weisen große Unterschiede in ihrem welfare-mix auf, in der Ausgestaltung der sozialen Rechte für Frauen und damit auch in der Art und Weise ihrer Existenzsicherung. Welche Handlungsspielräume Frauen in den jeweiligen Ländern offenstehen, hängt zum großen Teil von den vorgegebenen Rahmenbedingungen und den Denktraditionen ab. Die Ergebnisse der Analyse geben unterschiedliche Impulse, darüber nachzudenken, wie Frauenrechte im europäischen Rahmen ausgebaut werden könnten.
Frankreich, das sich selber nicht als Sozialstaat versteht, leistet sich die großzügigste Familienunterstützung innerhalb der OECD Staaten und ein ausgebautes Netz von Betreuungseinrichtungen für Kinder und Jugendliche, das es Frauen ermöglicht, Beruf und Familie zu vereinbaren. Die hohe Erwerbsbeteiligung von Frauen hat jedoch nicht zu einer anderen Aufteilung der Arbeit zwischen den Geschlechtern geführt. Die Versorgung der Kinder beruht auf einer Arbeitsteilung zwischen dem Staat und den Frauen. Die Französin ist stark doppelbelastet.
Die Zwei-Verdiener-Ehe in Frankreich bleibt im familialen Rahmen, ganz anders als in Schweden. Das schwedische Modell des Volksheims ist an die Stelle der Familie getreten und hat durch stark individualisierte Sozialleistungen zu einer Angleichung der Lebens-und Arbeitsbedingungen von Frauen und Männern geführt, mit geringeren sozialen Unterschieden als in den anderen Ländern der EU. Die hohe Erwerbsbeteiligung von Frauen wurde durch Ausbau des öffentlichen Sektors ermöglicht, was zu einer in Europa einmaligen geschlechtsspezifischen Segregation des Arbeitsmarktes geführt hat. Der Nachteil -der Staat ist allgegenwärtig und allmächtig. Der deutsche Sozialstaat wiederum, der in vergleichenden Untersuchungen als Familienernährermodell diskutiert wird, bietet Frauen die geringsten Möglichkeiten einer eigenständigen Existenzsicherung innerhalb der Familie. Charakteristisch ist eher eine systematische Unvereinbarkeit von Beruf und Familie, was zu einer niedrigeren Frauenerwerbsquote als in Frankreich und Schweden führt. Familie steht in Konkurrenz zur weiblichen Erwerbstätigkeit.
Demgegenüber fällt auf, daß trotz der stärkeren materiellen Abhängigkeit (west) deutscher Frauen von ehelichen Unterhaltsleistungen es lediglich in Deutschland eine autonome Frauenbewegung und -politik gibt, die stark dazu beigetragen hat, das Geschlechterverhältnis auch in der privaten Arbeitsteilung zu verändern. In Frankreich ist Frauenpolitik traditionell mit der Politik der Parteien verbunden. In Schweden wird von einem sozialen Feminismus gesprochen das heißt, Gleichberechtigung wurde hauptsächlich durch Sozialpolitik erreicht. Trotz ihrer starken Position in den Institutionen und Parteien fragen sich schwedische Feministinnen heute, ob ihr Programm zu einer Angleichung an ein männlich geprägtes System geführt habe, statt das System selbst zu ändern.
Impulse für einen Ausbau der sozialen Rechte von Frauen in der Europäischen Union könnte ich mir folgendermaßen vorstellen: Aus Frankreich wird die Möglichkeit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie übernommen und zu einem verbindlichen Kriterium, um die Mobilität auch der weiblichen Arbeitnehmer in der Europäischen Union zu realisieren. Schweden zeigt, welche Bedeutung der öffentliche Sektor für die Beschäftigung von Frauen haben kann. Dieser sollte von Frauen auch aus politischen Gründen verteidigt werden, denn durch die Privatisierung von Dienstleistungen wird die Arbeit von Frauen wieder unsichtbar, und Frauen verlieren an Einfluß und Macht. Deutschland schließlich zeigt, wie notwendig eine autonome Frauenbewegung und -politik ist, sollen Fraueninteressen nicht als nachrangig gegenüber den zum mainstream der Geschichte erklärten männlichen Interessen werden.
Mechthild Veil, Dr. phiL, geb. 1944; Sozialwissenschaftlerin, Schwerpunkt Sozialpolitik, soziale Sicherung von Frauen, Frauen und Arbeit; freie wissenschaftliche Mitarbeiterin; Lehraufträge an der Fachhochschule Frankfurt am Main, Fachbereich Sozialarbeit; Mitherausgeberin der Feministischen Studien. Veröffentlichungen zur sozialen Sicherung von Frauen und zu vergleichender Sozialpolitik, u. a.: (Hrsg, zus. mit Karin Prinz und Ute Gerhard) Am modernen Frauenleben vorbei. Verliererinnen und Gewinnerinnen der Rentenreform ’ 92, Berlin 1992.
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