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Frauen und Macht -die andere Stimme in der Wissenschaft | APuZ 22-23/1998 | bpb.de

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APuZ 22-23/1998 Politikerin als Beruf Ergebnisse einer Untersuchung zur politischen Bildung und Professionalisierung von Frauen für die Politik Frauen und Macht -die andere Stimme in der Wissenschaft Was hat sie, was er nicht hat? Forschungsergebnisse zu den Erfolgen von Frauen in Führungspositionen Möglichkeiten und Schwierigkeiten hochqualifizierter Frauen auf dem Arbeitsmarkt Informatikerinnen in der Bundesrepublik Artikel 1

Frauen und Macht -die andere Stimme in der Wissenschaft

Hildegard Macha

/ 26 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Frauen zeigen andere Führungsstile als Männer. Anhand von Daten aus der empirischen Augsburger Studie mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wird belegt, daß Frauen in Führungspositionen sich mehrheitlich an einer Definition von Macht als Verantwortung im Sinne von Hannah Arendt orientieren. Daraus folgt ein Verhalten, das unter anderem folgende Verhaltensweisen und Fähigkeiten bündelt: Verantwortung für Mitarbeiter und Studenten, Engagement in den Sozialbeziehungen, hohes Konfliktlösungspotential und weniger Angst in sozialen Beziehungen, hohes Innovationspotential, fürsorgliches Gesundheitsverhalten und Entspannung nach Streßsituationen sowie der Wunsch nach Vereinbarkeit von Beruf, Privatleben und Familie. Frauen üben Führungsfunktionen in einer Netzwerkstruktur aus statt hierarchisch-patriarchal.

I. Einleitung

Frauen haben in unserer Gesellschaft traditionell kaum Macht. Auch heute hat sich der prozentuale Anteil der Frauen in Führungspositionen noch nicht entscheidend verändert, aber das Bewußtsein beginnt sich zu wandeln: Frauen erheben eher den Anspruch auf Führungspositionen in der Gesellschaft als früher, und sie zeigen eher Ehrgeiz. In diesem Zusammenhang ist auch die ausgedehnte wissenschaftliche Diskussion um weibliche Führungsqualitäten zu sehen, in der im wesentlichen zwei unterschiedliche Positionen vertreten werden: Die Vertreterinnen und Vertreter der einen bezweifeln die Existenz von unterscheidbar weiblichen Führungsqualitäten bzw. von Unterschieden im Führungsverhalten zwischen Frauen und Männern Die anderen sprechen Frauen die Fähigkeit zu, anders zu führen. Frauen zeigten innovative Führungsqualitäten, die nicht nur die traditionelle patriarchale Machtausübung reproduzierten, sondern auf die Zukunft bezogene Eigenschaften realisierten Die betreffenden Autorinnen stimmen darin überein, daß Frauen heute nicht selten andere, sanftere und damit der Gesellschaft, insbesondere der Wissenschaft und der modernen Unternehmensführung bzw.der Politik, besser angepaßte Führungsqualitäten aufweisen. Jeder Führungsstil ist durch zwei Aspekte gekennzeichnet, die es zu vereinbaren gilt: den Inhalts-bzw. Sachaspekt der Leistung und den Beziehungsaspekt. Frauen können aufgrund der weiblichen Sozialisation eher vernetzt denken und eine Balance beider Aspekte herstellen. Mit Sally Helgesen können die Unterschiede zugespitzt folgendermaßen beschrieben werden: 1. Der weibliche Führungsstil kann am besten als eine kreisförmige teambezogene Netzwerkstruktur mit der Frau im Zentrum des Teams charakterisiert werden. Die Führungsfrau bildet das „Herz“ und bemüht sich um intensive Beziehungen zu ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Informationen können direkt weitergegeben werden, ohne den Umweg über die Hierarchie. Kreativität und Eigeninitiative werden eher gefördert. Um „Mensch“ zu bleiben, legen weibliche Führungskräfte öfter Pausen ein, in denen sie ihre Arbeit reflektieren und strukturieren 2. Der männliche Führungsstil wird als „pyramidal-hierarchisch“ beschrieben, mit dem Führer als „Kopf“. Informationen laufen über die Hierarchie, Beziehungen stehen unter dem Aspekt des Erfolgs und der Effektivität, respektieren weniger die kreativen Potentiale und die lebensweltlichen Bezüge der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Distanz in den Sozialbeziehungen ist ebenfalls kennzeichnend für männliche Führer.

Diese Führungsstile werden im Augsburger Projekt für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bestätigt. Insgesamt sind deutliche Unterschiede gefunden worden, die im folgenden beschrieben werden.

Die Kritik von Sonja Nerge der zufolge diese Unterschiede bislang auf wenigen Studien mit zum Teil nicht vergleichbarer empirischer Grundlage basieren und keinesfalls Rückschlüsse auf konstitutionelle biologische Ursachen zulassen, ist allerdings sehr ernst zu nehmen. Die bislang gefundenen Unterschiede im Führungsstil seien vielmehr auf die Art und Weise der Sozialisation zurückzuführen.

II. Entstehungsbedingungen von Führungsstilen

In der „doppelten Sozialisation“ lernen Frauen eher als Männer, sich zwischen den Anforderungen zweier Lebenswelten zu bewegen: In der Familie lernen sie, emotionale Verpflichtungen gegenüber anderen wahrzunehmen (Familien-orientierung), in der Schule werden sie auf eine zukünftige Berufstätigkeit vorbereitet (Berufs-orientierung). Frauen sehen sich in der Produktion und Reproduktion jeweils anderen Anforderungen ausgesetzt und versuchen, beidem gerecht zu werden. Daraus können Widersprüche und Brüche resultieren.

Dies muß jedoch nicht unbedingt als Defizit, sondern kann auch als eine Stärke der Frauen bewertet werden, die sich in Flexibilität und rascher Anpassung an divergierende Anforderungen mit scheinbar unvereinbaren Ansprüchen ausdrückt. Im Beruf können sich die Frauen so besser den sich wandelnden Bedingungen anpassen. In ihrer Sozialisation lernen sie, auf rasch wechselnde Anforderungen aus der privaten und der Berufs-sphäre zu antworten. Mädchen bevorzugen auch im Spiel kleine vertraute Gruppen mit engen emotionalen Beziehungen so daß sie eher die Nähe zu Menschen erfahren und besser lernen, im Team zu entscheiden, und -eine ganz herausragende Fähigkeit -als spätere Führungskräfte eher den Fähigkeiten der Menschen vertrauen und weniger Angst vor Beziehungskonflikten haben.

Defizite treten bei Frauen eher in der langfristigen Planung der Karriere auf. Das gilt jedoch nur für eine lineare Karriereplanung, die ihnen durch die biographischen Gegebenheiten wie Partnerschaft und Kinder oft nicht möglich ist.

Der Zusammenhang von Frauen und Macht erhält damit erstmalig eine neue Perspektive: Frauen sind nicht länger das schwache Geschlecht, das von der „Natur“ aus nicht zum Führen und zur Machtausübung geschaffen ist, sondern die scheinbare Schwäche der Frauen erweist sich als eine Stärke, von der die Gesellschaft heute profitieren kann und -mehr noch -auf die sie sogar angewiesen ist.

In ökologischen Untersuchungen wird diskutiert, daß die androzentrische -männerzentrierte -Wissenschaft, Politik und Wirtschaft mit dem Ziel der Beherrschung und Kontrolle der Natur und der Ausbeutung der Bodenschätze und anderer Ressourcen an ein Ende gekommen ist. Die globalen negativen Folgen sind schon jetzt weltweit zu beklagen. So ist es geboten, über neue Machtdefinitionen und Führungsmodelle in Wissenschaft, Politik und Wirtschaft zu reflektieren, die auch ökologisch und gesellschaftlich humaneren und umweltverträglicheren Zielen folgen. Auch die Organisationsstruktur im Betrieb wandelt sich, mehr Verantwortung muß delegiert und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen ermutigt werden, kreative Potentiale verstärkt einzubringen.

Die Geschlechter gewinnen durch ihre (geschlechtsspezifische) Sozialisation tendenziell unterschiedliche Potentiale und Selbstbilder. Bei Frauen wird eher die Bindungsfähigkeit unterstützt und damit eine positive Bewertung von Sozialbeziehungen und Emotionalität erreicht; sie weisen eine größere Flexibilität in bezug auf die sozialen Ansprüche der beiden Lebenswelten Familie und Beruf auf und besitzen eine höhere Konfliktlösungskompetenz. Bei Männern wird eher eine neutrale soziale Orientierung gefördert, die mit Impulskontrolle und sozialer Unabhängigkeit bzw.der Distanz in sozialen Beziehungen verbunden ist, und damit einhergehend eine instrumentelle Orientierung, „die sowohl sachliche Kompetenz wie die zum Berufserfolg notwendigen psychischen Kompetenzen umfaßt“ (z. B. technisch-mathematische Fähigkeiten, analytische Intelligenz, Durchsetzungsfähigkeit). Diese Stereotype der Eigenschaften der Geschlechter werden zwar heute schon zum Teil durch andere Sozialisationskonzepte aufgebrochen, aber sie sind immer noch die gängigen Muster in unserer Gesellschaft Ein Ziel der Forschung über FührungsStile könnte es sein, die Potentiale beider Geschlechter zu vereinen, um innovative, der gesellschaftlichen Entwicklung besser angepaßte Führungsstile zu kreieren.

Auch in unserer Untersuchung finden sich vielfältige Bestätigungen der Geschlechterstereotype, obwohl Wissenschaftlerinnen in einem androzentrischen System arbeiten, das ihnen zum Teil auch eine Anpassung an die männlich geprägten Strukturen im Wissenschaftsbetrieb abverlangt.

Andererseits darf man die Behinderungen durch die strukturelle gesellschaftliche Diskriminierung von Wissenschaftlerinnen im Beruf nicht unterschätzen, mit der Folge, daß Frauen -wenn sie Karriere machen wollen -höhere Leistungen als ihre männlichen Kollegen erbringen müssen Die Bedingungen für Frauen, Karriere zu machen, sind immer noch deutlich schlechter. Diese strukturelle Diskriminierung beginnt in der Kindheit, in der Mädchen weit weniger ermuntert werden, sich hohe berufliche Ziele zu stecken als Jungen Sie setzt sich in der Phase der Berufsausbildung und der Berufsfindung fort -„zwei Schwellen, die für Frauen höher als für Männer sind. Es sind sensible Phasen, da ein , erfolgreicher Berufseinstieg der wichtigste soziale Platzanweiser für die spätere Stellung auf dem Arbeitsmarkt ist und auch für die Einordnung in das System sozialer Ungleichheit“ In der feministischen Forschung spricht man in diesem Zusammenhang von dem „geschlechtsspezifisch segmentierten Arbeitsmarkt“, der Frauen und Männern unterschiedliche Chancen eröffnet

In Spitzenpositionen der Gesellschaft werden noch schärfere Selektionsmechanismen wirksam, wie die Zahlen eindrucksvoll belegen. Derzeit sind nur 6, 9 Prozent der Professoren weiblich (eingeschlossen Fachhochschulen und 6, 1 Prozent der Top-manager Frauen

In der Wissenschaft werden Frauen auf drei Qualifikationsstufen benachteiligt: 1. Vor der Promotion geben viele Wissenschaftlerinnen ihr Karriereziel auf, weil sie nach dem Examen oft weniger gut dotierte Stellen erhalten als ihre männlichen Kollegen und statt dessen mit eher kurzfristigen Stipendien oder mit befristeten Stellen, zum Beispiel in Projekten, vorlieb nehmen müssen Hier zeigen sich Effekte der männlichen Netzwerke; Frauen werden generell weniger gefördert. 2. Auf der zweiten Qualifikationsstufe, der Habilitation, ist ebenfalls ein Einbruch der Frauen zu verzeichnen, nur noch 9, 1 Prozent von den immerhin 22, 4 Prozent weiblichen wissenschaftlichen Angestellten absolvieren erfolgreich die Habilitation. 3. Der dritte Einbruch erfolgt bei der Bewerbung auf eine Lebenszeitprofessur. Hier erreichen nur noch 2, 6 Prozent der Frauen die höchste Stufe der Karriere, die C 4-Professur

Die hier beschriebenen Unterschiede zwischen Frauen und Männern sind nicht biologisch begründet, sondern werden in der Sozialisation hervorgebracht, indem sie durch die unterschiedlichen Rollen und Normen „konstruiert“ werden Im Forschungsfeld „Führungsqualitäten“ muß man darauf hinweisen, daß die bisher einseitig autoritäre hierarchische Führung ebenfalls gesellschaftlich konstruiert ist und ständig reproduziert wird. Die Forschung sollte diese Unterschiede nicht verstärken, indem sie sie als gegeben hinnimmt, sondern auch zeigen, welche Alternativen es gibt.

Männliche Führung impliziert zugleich die Unter-repräsentation von Frauen in Positionen mit hohem gesellschaftlichen Status durch gesellschaftliche Diskriminierungsstrategien und widerspricht damit dem Grundsatz der Gleichstellung der Frauen in unserer Gesellschaft und ihrem hohen Ausbildungsstand.

Es soll noch einmal betont werden, daß für die heute (noch) vorfindlichen Unterschiede des Verhaltens von Männern und Frauen keine biologischen Konstitutionsmerkmale verantwortlich gemacht werden können -die Erklärung liegt in der unterschiedlichen geschlechtsspezifischen Sozialisation Weiblich und männlich werden hier als zwei Pole auf einer Skala verstanden, die potentiell von beiden Geschlechtern gelebt werden können. Frauen und Männer besitzen weibliche und männliche Anteile. Mit der hier vereinfachten Diskussion um „weibliche“ und „männliche“ Machtdefinitionen und Führungsstile ist gemeint, daß sie traditionell eher dem weiblichen bzw.dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, daß sich das aber in Zukunft verändern kann und es zum Teil auch schon Überschneidungen gibt.

III. Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt

Das Projekt der „Forschungsgruppe Macha für Frauen-und Geschlechtsforschung“ in Augsburg -„Biographische Perspektiven von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Ost-und Westdeutschland“ (1993-1997) -untersucht die Entwicklung von Wissenschaftlerinnen/Wissenschaftlern in Ost-und Westdeutschland an fünf Universitäten. Von den insgesamt 64 Probanden -den an der Befragung Beteiligten -sind 20 Wissenschaftlerinnen in einer Vorstudie und 34 Wissenschaftlerinnen in einer Hauptstudie sowie 10 männliche Wissenschaftler in einer Kontrollgruppe befragt worden. Das Auswahlkriterium war zum einen die abgeschlossene Promotion und der erkennbare Karrierewunsch, zum anderen eine annähernd gleiche Verteilung von Natur-und Geisteswissenschaftlerinnen sowie Wissenschaftlerinnen aus den ostdeutschen und westdeutschen Universitäten

Die biographische Perspektive des Projekts gestattet, die Lebensentwürfe und ihre Realisierung von der Kindheit an, eingeschlossen die Förderung durch Eltern und Geschwister, zu verfolgen. Entwicklungsschritte, Brüche und Widersprüche des Lebenslaufs werden erkennbar, und die Wirkung der Sozialisationseffekte wird sehr deutlich. Wir betrachten den Lebenslauf als einen Bildungsprozeß, der hauptsächlich auf drei Ebenen beeinflußt wird, und zwar durch die 1. genetischen Anlagen, das „Erbe“, das zum Beispiel die Begabung als Disposition bereitstellt; 2. Umwelteinflüsse, das heißt das „Milieu“, das über die Förderung der Anlagen mit entscheidet; 3. aktiv gestaltende Kraft des Ichs

Bildung wird im Sinne der systemischen Pädagogik als ein Prozeß des Wachstums der Individuen in Wechselwirkung mit den sie umgebenden Systemen aufgefaßt Selbstorganisierende Prozesse wirken dabei mit, daß die Umwelteinflüsse selektiert werden, und führen zu einer Gestaltung des eigenen Lebenslaufs nach einem unbewußten „inneren Bauplan“. Das bedeutet, daß Menschen schon relativ früh, bei unseren Probanden war dies in der mittleren Kindheit, ein erstes unbewußtes Bild von sich entwerfen, dem sie zu entsprechen versuchen. In den Interviews kann man diese aktive Gestaltung des Lebens nachvollziehen, aber ebenso die Einflüsse, die von den Erziehungspersonen ausgehen.

Als Beispiel sei erwähnt, daß 31 von den 64 Pro-banden, also rund die Hälfte, sehr schwierige Sozialisationsbedingungen hatten, die nicht unbedingt einen Karriereerfolg prognostizieren ließen. Dennoch wurden diese Traumata und Entbehrungen, wie zum Beispiel der Verlust eines oder beider Elternteile durch Tod, schwere Krankheit, suizidale Krise, zerbrochene Familien, sexueller Mißbrauch, Scheidung der Eltern, Flucht aus der DDR, Unfähigkeit der Eltern, erzieherische Verantwortung zu übernehmen usw., nicht zu einem gravierenden beruflichen Hindernis. Die Probanden erkletterten trotz der emotionalen Belastungen die Karriereleiter und schöpfen Sicherheit aus dem beruflichen Erfolg. Sie sind also keineswegs von ihren Kindheitsbedingungen besonders begünstigt, eher das Gegenteil ist der Fall. Es zeigt sich also, daß ungünstige Bedingungen in der Sozialisation bei großer Begabung nicht unbedingt einen späteren Berufserfolg unmöglich machen, sondern daß das innere Bild, das Kinder von sich entwerfen, gekoppelt mit einer besonderen Begabung, den Weg zum Wissenschaftler oder zur Wissenschaftlerin ebnen. „Ich war 11 Jahre (alt) und da sind meine Eltern drei Wochen weggefahren und ich habe auf meine (zwei) Schwestern alleine aufgepaßt... Ich war die Vernünftigste und die Zuverlässigste und ich war die Größte, und dann lag die ganze Verantwortung auf mir, auch die Hilfe im Haushalt. Aber ich wollte auch mal die Schönste sein und die Kränkste sein, weil die immer bemuttert werden.“ (Interview 05, Satz 1150-1214)

Hier wird auch von Überforderung und einem Mangel an Zuwendung und Schutz gesprochen, der oft ausgedrückt wird. Dieses Ergebnis ist aber nicht reversibel: Entbehrung in der Kindheit führt nicht unbedingt zum Erfolg. Man kann jedoch daraus schließen, daß die besonderen Belastungen bei den Kindern zu einer frühen Reifung und der Übernahme von Verantwortung für sich führen können, wenn die Belastung ein gewisses Maß nicht überschreitet. Offenbar bereitet diese Erfahrung auf die Übernahme späterer hoher Status-positionen vor. „Glückliche Kinder“ mit günstigen Sozialbeziehungen in der Kindheit finden sich unter den Pro-banden unserer Studien relativ selten. Die meisten fühlen sich eher sehr früh unabhängig und können von den Eltern weder verstanden noch gefördert werden.

Sieben Punkte markieren die Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Führungsstilen an der Universität. Mit dem biographischen Ansatz erhalten wir Aufschluß über die Voraussetzungen von Karriere und von Ehrgeiz, Macht-definitionen und Führungsqualitäten bei den weiblichen und männlichen Probanden. 1. Die biographische Perspektive: Andersartigkeit Die biographische Perspektive der Interviews gestattet Einblicke in die Bildungsprozesse der Pro-banden, wie sie sich im Rückblick auf das bisherige Leben darstellen. Deutlich wird die selbstorganisierende Gestaltung des Lebens bis hin zur Wissenschaftlerin/zum Wissenschaftler. Manchmal ist schon in der mittleren Kindheit oder der Jugend der Wunsch vorhanden, sich der Wissenschaft zuzuwenden.

Mädchen, die später Wissenschaftlerin werden, empfinden sich nach Aussagen unserer Probandinnen zu 59, 2 Prozent schon in der mittleren Kindheit zwischen sechs und zwölf Jahren als „andersartig“, Jungen zu 50 Prozent. Sie haben deutlich andere Interessen als ihre Altersgenossen, sie neigen weniger zum Spielen, sondern wollen Wissen erwerben und ihren Drang, Problemen und Fragen auf den Grund zu gehen, befriedigen. Sie haben ein unbewußtes Wissen von ihrer intellektuellen Begabung. Dennoch sind sie keine Außenseiter, denen die anderen Kinder aus dem Wege gehen, vielmehr sondern sie sich durch ihre ausgeprägten Interessen selber ab. Diese Kategorie der Anders-artigkeit kann unter verschiedenen Gesichtspunkten vertieft werden.

Unabhängigkeit: Sich selbst „erfinden“

Die Probanden berichten zum Teil, daß ihr wissenschaftliches Interesse weder von Elternhaus noch von der Umgebung gefördert wurde, sondern daß sie sich selbst entwickelt haben. Sie hatten sehr früh ein großes Bewußtsein ihrer Andersartigkeit und der daraus erwachsenden Bedürfnisse nach Wissen und Freiheit: „Das war für mich immer klar, also Universität, Studenten, Forschung... Das ist nicht erst entstanden, das ist immer da gewesen .. Ich habe da keine Lebensplanung bewußt gehabt, das war für mich eine absolute Selbstverständlichkeit: , Du willst das! ‘ So aus dem Inneren heraus. Ich war auch immer ziemlich ehrgeizig.. . Das ist nicht entstanden. Das war so. . . Das ist in mir drin gewesen. Es gab auch keine Familie, die mich hätte darauf bringen können. Ich war in dieser Familie eine absolute Ausnahme. Ich war sogar angefeindet. Ich hatte es schwer in meiner Sippe, die waren alle kleine Angestellte und Bauern. Nein, nein, das war in mir drin!“ (Interview 34, Satz 0800-0811)

Neugier Die Probanden stellen heraus, daß sie von einer schier unerschöpflichen und unstillbaren Neugier angetrieben wurden und werden: „Also mich hat als Kind schon immer alles interessiert . . . Neben der sprachlichen Begabung, die ich zweifellos habe, habe ich auch immer ein naturwissenschaftliches Interesse gehabt. Und ich denke, ein bißchen ist es auch schon angeboren. “ (Interview 31, Satz 0742-0755) „Einfach durch das erzwungene Stillhalten (durch die lange schwere Krankheit), daß ich nicht rausgehen und spielen und Sport treiben und raufen konnte und was weiß ich . . . Man flüchtet sich da in so kleine Fluchten halt. Ich habe ziemlich früh, mit vier oder fünf, lesen können. . . Weil mich Bücher von früh her fasziniert haben, so diese ganzen imaginären Welten ..." (Interview 17, Satz 0758-0761)

Bildung als Instrument des Ausstiegs aus dem Milieu Die Probanden empfinden früh (zwischen sechs und zwölf Jahren) eine Fremdheit in bezug auf ihre soziale Umgebung, die Familie, die Freunde, die Gleichaltrigengruppe. Sie fühlen sich nicht zugehörig, wissen aber nicht genau, welches Umfeld sie sich wünschen, bis sie mit dem Studium an der Universität beginnen. Dann erkennen sie, daß sie in der richtigen Umgebung sind. „In der Familie habe ich mich schon als Kind... als Außenseiter gefühlt, als anders. Und dieses Anderssein habe ich vielleicht auch damit kompensiert, daß ich beruflich was total anderes gemacht habe, daß ich da dann auch das Gefühl entwickelt habe, da willst du hin (an die Universität), und dafür arbeitest du auch, da entwickelst du Ehrgeiz-Eigentlich war das fast ein Kraftimpuls, obwohl die Ausgangsbedingungen . .. eher hätten ein hemmender Faktor sein müssen. “ (Interview 15, Satz 05660569)

Bildung wird so zu dem Instrument des Ausstiegs aus dem Milieu, das ihnen erlaubt, das häusliche Umfeld zu transzendieren und auch räumlich zu verlassen.

Durch die besondere intellektuelle Begabung sind die Probanden in der Kindheit eher unangepaßt, bisweilen auch renitent, insgesamt auffallend eigenständig. In ihren Interessen -Lesen, Wissen erwerben und vor allem Zusammenhängen nachspüren in einem Ausmaß, das „normalen“ Kindern vollkommen unverständlich ist -heben sie sich auffällig von ihrer Umgebung ab. Die Welt des Wissens fasziniert sie nachhaltig, und sie wissen sehr früh, daß sie aus dem familiären Umfeld heraus wollen. Bildung und Aufstieg gestatten ihnen, diesen Wunsch zu realisieren.

Leider werden diese begabten Kinder in der Schule oft diskriminiert. Man mißtraut ihrer raschen Auffassungsgabe und ihrem vertieften Wissen; die Lehrer fühlen sich bisweilen dadurch sogar bedroht. „Ich war dann Schülerin . . . und sehr schnell Klassenbeste, und diese Rolle war für mich etwas zwiespältig. Ich hatte einerseits Freude an der Leistung, also Freude, Dinge gut zu machen, .. . daß sie meinen Qualitätskriterien entsprachen. Aber das galt als leicht suspekt. Ich habe dann mit Schülerinnen, die Schwierigkeiten hatten, Nachmittage lang auf Mathe und Latein gelernt. Aufdiese Weise hatte ich als Klassenbeste keine Außenseiterrolle.“ (Interview 07, Satz 318-325)

Auch Eltern können nur selten, so wird in den Interviews berichtet, angemessen auf den Wissensdrang der Kinder fördernd eingehen, ohne sie zu überfordern. Oft werden die besonderen Führungseigenschaften der Kinder im Sinne der Eltern ausgenutzt, in dem diese ihnen Verantwortung für jüngere Geschwister oder in der Haushaltsführung eine leitende Rolle übertragen.

Die Bedürfnisse nach Schutz und Unterstützung der doch sehr anspruchsvollen und als mühsam empfundenen Entwicklung der begabten Kinder werden oft nicht berücksichtigt, so daß diese einerseits unter Überforderung leiden, sich andererseits unverstanden fühlen. Hinzu kommt, daß die Pro-banden nicht selten außerordentlich schwierige oder sogar traumatische Bildungsverläufe erlebt haben, wie oben geschildert. Diese schweren Entwicklungsbedingungen werden kompensiert durch Bildung und die besondere Begabung. Es bleiben jedoch zum Teil schwere Beeinträchtigungen der Entwicklung, die auch zu dauerhaften emotionalen Belastungen führen können.

Das Phänomen der Andersartigkeit wird von den Angehörigen der männlichen Kontrollgruppe ähnlich verarbeitet und genutzt, allerdings scheint die Andersartigkeit bei Jungen von Eltern und Lehrern eher akzeptiert zu werden. 2. Macht als Verantwortung Nach den Ergebnissen der Augsburger Studie definieren Frauen an der Universität Macht eher als „Verantwortung“ denn als „Herrschaft“ -wie die männlichen Kollegen. Das bedeutet, daß sie für Studierende und Mitarbeiter eine Fürsorgepflicht empfinden. Die begriffliche und inhaltliche Differenzierung kann man mit den Soziologen bzw. Philosophen Max Weber, Michel Foucault und Hannah Arendt verdeutlichen: Max Weber hat den Begriff der Macht als Herrschaft definiert. Damit meint er, daß Macht, wenn sie einmal durch Wahl oder andere Auswahlmechanismen auf eine Führerpersönlichkeit delegiert wurde, vollständig in seinem Sinne ausgeübt werden kann. Diese hat dann .. jede Chance innerhalb einer sozialen Beziehung, den eigenen Willen auch gegen Widerstände durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht“

In der jüngeren Zeit sind durch Michel Foucault und Hannah Arendt zwei andere Machtdefinitionen entwickelt worden. Foucault unterstreicht den Delegationscharakter von Macht. Diejenigen, die die Führerpersönlichkeit gewählt oder bestimmt haben oder die ihr zugeordnet sind, müssen mit ihren Interessen bei der Machtausübung berücksichtigt werden. „Macht kommt von unten, das heißt, sie beruht nicht auf der allgemeinen Matrix einer globalen Zweiteilung, die Beherrscher und Beherrschte einander entgegensetzt und von oben nach unten immer beschränktere Gruppen bis indie letzten Tiefen des Gesellschaftskörpers ausstrahlt.“ Statt dessen werden „in den Produktionsapparaten, in den Familien, in einzelnen Gruppen und Institutionen“ Kräfteverhältnisse ausgebildet, die Macht erschaffen und dem Mächtigen erlauben, bestimmte Verbote, Gebote und Regeln durchzusetzen. „Die Machtbeziehungen sind gleichzeitig intentional und nicht-subjektiv“ das heißt, viele müssen Macht stützen, damit sie realisiert werden kann.

Hannah Arendt formuliert einen integrativen Machtbegriff: Macht als Verantwortung. Macht entspricht „ ...der menschlichen Fähigkeit, nicht nur zu handeln oder etwas zu tun, sondern sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln“ Zur Macht werden Personen ermächtigt und gehen damit eine Verpflichtung gegenüber der Gruppe ein, in deren Namen sie handeln müssen. „Macht ist ein relationaler Begriff, der Menschen in ein bindendes Verhältnis zueinander setzt.“ Leider herrscht in der Frauenforschung derzeit der Trend vor, Macht und Führung für Frauen als problematisch zu beschreiben

In der Augsburger Untersuchung haben wir entgegen früheren Studien einen Trend zu einer positiven Akzeptanz von Macht bei Wissenschaftlerinnen gefunden: Acht von 34 Probandinnen der Hauptstudie geben mit Zögern zu, Macht zu wünschen bzw. Macht innezuhaben, das sind 24 Prozent; 18 Probandinnen geben offen zu, Macht zu besitzen oder sich Macht zu wünschen, das sind 52 Prozent; insgesamt sind 26 von 34 = 76 Prozent der Probandinnen Macht gegenüber positiv eingestellt. „Ich habe Macht, ja. Das ist auch ein Reiz in diesem Amt. “ (Interview 06, Satz 0817-0818) „ Und da haben wir dann selbst gemerkt, nun sind wir mal dran, nun werden wir mal ein bißchen Macht ausüben, auch auf andere." (Interview 34, Satz 496)

Unsere Ergebnisse sind ein Indiz dafür, daß sich die negative bis ablehnende Haltung in bezug auf Macht bei Wissenschaftlerinnen zu wandeln beginnt. Diese Frauen nutzen die Macht aus der Erfahrung der Diskriminierung heraus sehr verantwortlich im Sinne der Studierenden bzw.der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Sie „machen es sich schwer“ mit der Machtausübung und beziehen das Team bei Entscheidungen mit ein.

Nur sechs Probandinnen lehnen Macht für sich ab oder leugnen, Macht zu haben, das sind 18 Prozent der Probandinnen der Hauptstudie. (Bei zwei Probandinnen sind die Aussagen nicht eindeutig zuzuordnen.)

Insgesamt 17 der 34 Wissenschaftlerinnen aus der Hauptstudie betonen in ihrem Machtbegriff bzw. in ihrer Machtausübung die damit verbundene Verantwortung. 50 Prozent der Wissenschaftlerinnen zeichnen sich also durch ein Machtverständnis aus, das wir „Macht als Verantwortung“ nennen. Hierzu finden sich in den Interviews der Augsburger Studie folgende Aussagegruppen, denen insgesamt 17 Wissenschaftlerinnen zugeordnet werden können (manche Wissenschaftlerin entspricht in ihrer Machtauffassung beiden Gruppen): 1. Verantwortung, die eigene Macht nicht zu Lasten anderer zu mißbrauchen (elf Probandinnen): „Also wenn ich den Machtbegriff von Hannah Arendt hernehme, ist Macht erstmal was durchaus Positives. . . . Na ja, ich denke, daß so etwas von mir nicht ausgeht, also eine Art Macht, die anderen den Willen aufzwingt, das glaube ich eigentlich weniger“ (Interview 03, Satz 1225-1229) 2. Verantwortung zu nutzen, um für andere etwas zu erreichen (elf Probandinnen): „Ich sehe es nicht als Macht, also, es ist eine Verpflichtung, sich um andere Leute zu kümmern. Ich sehe es eher so wie eine Pflicht -oder Macht, wie sie es nennen wollen -in einer Familie, wo man sich eben auch um andere zu kümmern hat, also es ist eher ein Verantwortungsbewußtsein. “ (Interview 30, Satz 597-600)

Bei den Wissenschaftlern der männlichen Kontrollgruppe finden sich lediglich bei zwei von zehn Probanden Aussagen, die der Sichtweise „Macht als Verantwortung“ entsprechen (20 Prozent). Sieben von zehn (also 70 Prozent) der Wissenschaftler haben dagegen einen eher hierarchischen Machtbegriff und teilweise auch Machtumgang, was wir „Macht als Herrschaft“ nennen. „Jeder hat so seinen Bereich, wo er das Kommando hat und möchte den Bereich ausdehnen, manche tun mehr dafür, manche tun weniger dafür, manche machen es direkt, manche machen es indirekt. Das ist -glaube ich -einfach die menschliche Natur. “ (Interview 39, Satz 0432-0433)

Drei der Probanden sehen diesen traditionellen Machtbegriff völlig unkritisch. Zwei Wissenschaftler lehnen Macht für sich ab. Ein Wissenschaftler hat keine identifizierbare Position zum Machtbegriff. 3. Soziale Beziehungen und Führungsstil In der Augsburger Studie ist der Führungsstil der Frauen neben dem Sachaspekt der Leistung durch eine intensive Sorge um die Sozialbeziehungen gekennzeichnet. Frauen suchen eher die Nähe zu Studierenden in der Lehre und zu Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen und entscheiden gern im Team. Sie fördern die kreativen Eigenschaften der Kollegen und Kolleginnen sowie der Studierenden und suchen Kontakte um der Sache willen. Sie bemühen sich, den Lernstoff mit einem lebens-weltlichen Bezug an die Studierenden zu vermitteln. Frauen üben den Beruf der Wissenschaftlerin ganzheitlicher aus, und diesen Stil behalten sie auch in Führungspositionen bei. Ihre Lehrveranstaltungen zeichnen sich durch intensive didaktische Planung und Berücksichtigung der Erfahrungen der Studierenden aus, so daß diese einen guten Anknüpfungspunkt zum behandelten Thema bekommen. Frauen haben zudem großes Interesse an einem menschlichen Austausch über wissenschaftliche Themen, und sie begeistern sich für die Lehre -wodurch sie nicht selten eine positive Rückkoppelung von dem Studierenden erhalten. „Also ich versuche . . . die Leute nicht nur sachlich in den Seminaren anzusprechen, sondern auch . . . sie etwas betroffen zu machen und sie zu engagieren. Das würde ich als meine positive Seite sehen“. (Interview 21, Satz 0135-0136)

„Aber meine Stärke ist z. B. auch, . .. daß ich Studenten gut motivieren kann. Power machen im Unterricht, daß die ganz viele schöne Sachen machen!“ (Interview 23, Satz 0794) „Meine Unterrichtstechniken sind nicht nur durch mein Geschlecht geprägt, sondern auch durch meine Ausländserfahrungen. ... Es geht bei mir manchmal etwas chaotisch zu, aber dafür -durch aus was Positives -wilder und aufregender oder so, das gefiel wohl vielen, und ich merke auch, wie jungen Frauen das gefällt.“ (Interview 17, Satz 05100512) Die intensive Förderung von Jüngeren ist Frauen sehr wichtig, und es geht ihnen dabei beinahe mehr um die Menschen als um die Vermittlung der Forschungsergebnisse.

Männer zeigen zwar auch großes Engagement in der Lehre, äußern jedoch Angst vor engeren Sozialbeziehungen zu Studierenden, weil sie die Konflikte fürchten, die sich daraus ergeben können. Sie wählen deshalb eher distanzierte Vermittlungsformen in der Lehre und halten auch eine größere Distanz zu ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Es geht ihnen in erster Linie darum, die Forschungsergebnisse mit Studierenden zu diskutieren, weniger darum, diese gezielt zu fördern. 4. Konfliktlösungspotential Frauen -Wissenschaftlerinnen -fühlen sich stärker dem Beziehungsaspekt von Führung verpflichtet. Männer hingegen suchen eher Distanz zu den sie umgebenden Menschen zu halten. Das ist nach den Ergebnissen der Studie ein sehr bemerkenswerter Unterschied, der auch zu unterschiedlichen Handlungsstrategien führt. Frauen verfügen über gute Konfliktlösungsstrategien. Männer fürchten Konflikte ebenso wie Gefühle und heftige Gefühlsäußerungen und überdecken nicht selten ihre Angst in aufkommenden Auseinandersetzungen mit Aggressionen. Dies ist eine Strategie, die bei Widersprüchen und unterschiedlichen Positionen meist zur Eskalation statt -wie beabsichtigt -zur Deeskalation führt.

Frauen haben in ihrer Sozialisation unterschiedliche Konfliktlösungspotentiale erworben und handhaben diese oft virtuos. Sie leisten Deeskalation oder reagieren in aggressiven Auseinandersetzung ohne Angst mit kreativen Konfliktlösungsstrategien. Ihre tendenziell bessere Körperwahrnehmung versetzt sie in die Lage, die Körpersprache der an einer Auseinandersetzung Beteiligten zu entschlüsseln und diese Signale neben der Sprache offensiv zu nutzen. Die scheinbare Benachteiligung der Frauen in der Sozialisation wird hier zu einer Stärke, die noch zu wenig bekannt ist und in der Gesellschaft noch zu wenig genutzt wird. 5. Innovationspotential Ein weitverbreitetes Vorurteil lautet, daß Frauen zwar heute Führungspositionen erreichen können, daß aber der Erfolg dann doch eher auf Fleiß statt auf innovative Fähigkeiten zurückzuführen sei, mit anderen Worten: Frauen in Führungspositionen können nicht innovativ sein. Ein vergleichbares Vorurteil ist auch an den Schulen verbreitet, es beruht auf einer externen Attribuierung von Leistung durch Fleiß bei Mädchen und Frauen. Es läßt sich jedoch entkräften: Die Ergebnisse des Augsburger Projektes weisen darauf hin, daß tendenziell durch gesellschaftliche Selektion nur solche Frauen in hohe Statuspositionen gelangen, die in der Kindheit zu den begabten „Andersartigen“ in den selbstgewählten Außenseiterpositionen gehören. Sie haben schon als Kind ein innovatives Potential gezeigt, das sie auch nicht -wie Frauen in anderen Berufen -durch Anpassung verloren haben. Im Gegenteil -die untersuchten Frauen sind sehr selbstbewußt und haben keine große Angst vor Leistung und Führung. Sie mußten sich als weibliche, marginale Gruppe sehr stark durchsetzen, konnten nicht wie die männlichen Kollegen auf männliche Vorbilder vertrauen und sind auch nicht von ihren Lehrern gefördert worden. Insofern haben sie aus eigener Initiative und in eigener innovativer Definition ihrer beruflichen Identität als Frau im androzentrischen System Wissenschaft Innovationspotentiale entwickelt und optimiert, die sie im Alltag sehr erfolgreich einsetzen.

Die Probandinnen geben im Interview an, in der Forschung oft innovative Bereiche zu bearbeiten, die zudem humanen Zielen dienen sollen. Sie äußern, daß sie leicht und gern, begünstigt durch ihre Flexibilität, innovative und interdisziplinäre Fragestellungen entwickeln. Teamfähigkeit und weibliche Diskursfähigkeiten, die wissenschaftlich schon gut belegt sind und in denen sie den männlichen Führungskräften überlegen sind, kommen ihnen dabei ebenso zugute wie Konfliktfähigkeit. Die innovativen Potentiale der Frauen zeigen sich auch in der Frauenforschung, in der der enge Blickwinkel der Forscher, der Jahrhunderte lang nur auf das männliche Geschlecht gerichtet war, sich geöffnet hat. 6. Gesundheit und Streßbelastung Die weiblichen Probanden können tendenziell besser für ihren Körper und ihre Gesundheit sorgen als die männlichen Probanden. Auch dies betrachten wir zum Teil als eine Folge der weiblichen Sozialisation: als eine indirekte Wirkung der (zweifellos nicht nur positiven) Normen von Schönheit, Fitneß und Jugendlichkeit, die heute für Frauen in der Gesellschaft gelten. Der (negative) Anpassungsdruck soll nicht geleugnet werden, aber durch das stärkere Körperbewußtsein, das Mädchen in Familie und im Kreis ihrer Freundinnen erwerben, gehen sie tendenziell fürsorglicher mit sich und ihrem Körper um. Sie achten eher auf dessen Signale und gehen bei Beschwerden eher zum Arzt Zwar belasten alle Führungskräfte sich bisweilen bis an die Grenze der Gesundheitsgefährdung, weil es Phasen von extremer Beanspruchung gibt, aber Frauen wissen, daß sie sich zum Ausgleich auch Entspannungsphasen verschaffen müssen. Aufgrund ihres Körperbewußtseins gelingt ihnen das tendenziell besser. Die um sechs bis sieben Jahre höhere Lebenserwartung von Frauen im Durchschnitt der Bevölkerung spricht dafür. Männer erscheinen weniger sensibel für Merkmale und Hinweise, die auf eine Streßbelastung der eigenen Person deuten können. Zwar treiben auch Männer Sport zur Entspannung, aber sie tun dies eher aus einem instrumentelleren Verständnis heraus als Frauen, weshalb sie der Gefahr einer zusätzlichen Belastung unterliegen.

Angst vor Leistung und Leistungsdruck äußern in den Interviews verstärkt die männlichen Probanden. Obwohl die Wissenschaftlerinnen -wie oben ausgeführt -besonderem Leistungsdruck und auch Diskriminierungen ausgesetzt sind, wird von ihnen Angst vor Leistung -Leistungsdruck -im Interview nicht angesprochen. Offenbar können also die Frauen nach dem Selektionsprozeß, den sie durchlaufen müssen, besonders gut mit Leistungsdruck umgehen, oder sie haben bessere Strategien, diesen zu kompensieren. Zum Beispiel holen sie sich Bestätigung in der Lehre, suchen sich Netzwerke zur emotionalen Unterstützung und entlasten sich durch „Alltagsflips“: Einkaufsbummel, Friseurbesuche, Besuch von Kulturereignissen oder allgemein intensive Begegnungen mit der Familie und mit Freunden. Den Jüngeren unter den Probandinnen ist das Ziel eines „ganzheitlichen Lebensstils“, das sowohl Spaß am Beruf mit hoher Leistungsmotivation als auch enge Freundschaftsbeziehungen und Hobbys umfaßt, von größerer Bedeutung als für die älteren. Auch ihre Weiblichkeit -wie immer sie sie im Einzelfall definieren -wollen sie nicht aufgeben. Dies war der ältesten von uns befragten Generation, „den Pionierinnen“, noch weniger möglich. Sie verzichteten oft zugunsten der Karriere auf Familie und Kinder. 7. Vereinbarkeit von Beruf und Familie Frauen wünschen sich eine weniger strikte Trennung zwischen Beruf und Familie bzw.dem Privatleben allgemein. Sie verbinden gern das Familienleben fließend mit dem Beruf, indem sie zumBeispiel zu Hause in der Nähe der Kinder arbeiten. Auch die alleinerziehenden Mütter unter den Probandinnen würden, wenn sie die Wahl hätten, auf Kinder nicht verzichten wollen.

Männer äußern demgegenüber zum Teil ganz betont den Wunsch nach strikter Trennung der Lebensbereiche Beruf und Familie; zwei Probanden der älteren Generation betonen, daß sie, wenn sie noch einmal die Wahl hätten, eher auf die Familie als auf den Beruf verzichten würden. Allerdings bestehen bei Männern wie auch bei Frauen generationenspezifische Unterschiede: Für die jeweils ältere Generation der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist Vereinbarkeit von Beruf und Familie weniger wichtig als für die jüngere Generation. Die Trennung der Lebensbereiche wird jedoch auch von jüngeren männlichen Wissenschaftlern bevorzugt. Frauen „switchen“ also leichter zwischen den beiden Lebenswelten -sie lieben die Entspannung und Abwechslung, die ihnen dies bietet.

IV. Fazit

Eingangs wurde die These aufgestellt, daß Frauen an Universitäten neue Führungsstile praktizieren, die sich von denen der männlichen Kollegen tendenziell unterscheiden. Diese lassen sich nicht „biologisch“ begründen, sondern sind Ergebnis einer besonderen Begabung, weiblicher Sozialisationseffekte und eines individuellen Bildungsprozesses, den die einzelne Wissenschaftlerin durchläuft, wobei sie einer scharfen Selektion unterliegt. Die eingangs diskutierten Modelle eher „weiblicher“ und eher „männlicher“ Führungsstile konnten anhand einiger Ergebnisse der Augsburger Studie näher beschrieben und erläutert werden.

Führung als kreisförmiges teambezogenes Netzwerk mit der Frau im Zentrum enthält innovative Potentiale in bezug auf Stärkung der Verantwortung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen oder Studierenden, Verbesserung der Sozialbeziehungen in der jeweiligen Gruppe, Verbesserung der Konfliktlösungsstrategie, Aufbrechen der Dichotomie zwischen Beruf und Familie bzw. Privatleben und anderes mehr.

Das Ziel der Diskussion um innovative Führungsstile sollte darin bestehen, die Stärken des soge-nannten männlich-pyramidalen Führungsstils mit den Potentialen des weiblich-netzförmigen Führungsstils zu verbinden. Frauen, die im 19. Jahrhundert noch als das von Natur aus schwache Geschlecht bezeichnet wurden, besitzen offenbar Potentiale, die dem gesellschaftlich gewünschten innovativen Führungsstil eher entsprechen als der traditionelle, hierarchische -männliche -Führungsstil.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Sonja Nerge, Weiblicher Führungsstil und die doppelte Vergesellschaftung von Frauen, in: Frauenforschung, 10 (1992) 3, S. 79; dies., Neuere europäische Forschungen über Frauen im Management, in: ebd., S. 119; Sonja Bischoff, Frauen zwischen Macht und Mann -Männer in der Defensive -Vergleiche über Führungsverhalten, Hamburg 1990.

  2. Vgl. Sally Helgesen, Frauen führen anders. Vorteile eines neuen Führungsstils, Frankfurt am Main 1991; Ursula Rabe-Kleberg, Verantwortlichkeit und Macht. Ein Beitrag zum Verhältnis von Geschlecht und Beruf angesichts der Krise traditioneller Frauenberufe, Bielefeld 1993; Barbara Schaeffer-Hegel, Frauen mit Macht. Zum Wandel der politischen Kultur durch die Präsenz von Frauen in Führungspositionen, Pfaffenweiler 1995; Hildegard Macha, Theoretisches Konzept des Projekts „Berufliche und personale Sozialisation von Wissenschaftlerinnen (und Wissenschaftlern) in Ost-und Westdeutschland“, in: dies. /Monika Klinkhammer/Siegmund Gehlert, Berufliche und personale Sozialisation von Wissenschaftlerinnen (und Wissenschaftlern) in Ost-und Westdeutschland, Augsburg 1997 (unveröff. Zwischenbericht zum Projekt).

  3. Vgl. S. Helgesen, ebd., S. 66.

  4. Vgl. B. Schaeffer-Hegel (Anm. 2), S. 4.

  5. Zum Augsburger Projekt vgl. Hildegard Macha, Biographische Perspektiven von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern -berufliche und personale Sozialisation, in: dies. /Monika Klinkhammer (Hrsg.), Die andere Wissenschaft: Stimmen von Frauen an Hochschulen, Bielefeld 1997.

  6. Vgl. S. Nerge, Weiblicher Führungsstil (Anm. 1), S. 81 ff.

  7. Vgl. Regina Becker-Schmidt, Die doppelte Vergesellschaftung -die doppelte Unterdrückung. Besonderheiten der Frauenforschung in den Sozialwissenschaften, in: Lilo Unterkirchner/Ina Wagner (Hrsg.), Die andere Hälfte der Gesellschaft, Wien 1987.

  8. Vgl. Hildegard Macha, Mädchen-und Jungenerziehung in der Familie, in: Frauenforschung, 3 (1991), S. 15-26.

  9. Sigrid Metz-Göckel/Elke Nyssen, Frauen leben Widersprüche, Weinheim 1990, S. 146 f.

  10. Vgl. Hannelore Faulstich-Wieland, Geschlecht und Erziehung. Grundlagen des pädagogischen Umgangs mit Mädchen und Jungen, Darmstadt 1995.

  11. Vgl. Augsburger Projekt (Anm. 5).

  12. Vgl. Hildegard Macha, Wissenschaftlerinnen in der Bundesrepublik, in: Barbara Geiling-Maul/Hildegard Macha u. a. (Hrsg.), Frauenalltag. Weibliche Lebenskultur in beiden Teilen Deutschlands, Köln 1992, S. 195.

  13. Vgl. Hartmut Kasten, Weiblich -männlich. Geschlechtsrollen und ihre Entwicklung, Berlin u. a. 1996, S. 79.

  14. S. Metz-Göckel/E. Nyssen (Anm. 9), S. 97.

  15. Vgl. Christel Faber, Struktur und Wandel des Arbeitsmarktes, in: B. Geiling-Maul/H. Macha u. a. (Anm. 12), S. 107.

  16. Vgl. Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 1995 für die Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1995.

  17. Vgl. Sonja Bischoff, Führung wie Verführung -immer „typisch Frau“? Fakten und Hypothesen zur Frage, ob Frauen anders führen, Vortrag, 7. 11. 1997 in Nürnberg, Ms., S. 2.

  18. Vgl. H. Macha (Anm. 12), S. 193.

  19. Vgl. Statistisches Bundesamt (Anm. 16), S. 86.

  20. Vgl. Barbara Friebertshäuser/Gisela Jakob/Renate Klees-Möller (Hrsg.), Sozialpädagogik im Blick der Frauenforschung, Weinheim 1997, S. 19.

  21. Vgl. S. Nerge, Weiblicher Führungsstil (Anm. 1), S. 84.

  22. Vgl. Augsburger Projekt (Anm. 5).

  23. Vgl. ebd.; Hildegard Macha, Familienerziehung -Wandel und Perspektiven, in: dies. /Lutz Mauermann (Hrsg.), Brennpunkte der Familienerziehung, Weinheim 1997; dies., Die Fortschreibung des personalen Menschenbildes durch die systemische Erziehungstheorie. Die Welt der Kinder in den ersten Lebensjahren, in: dies. /Claudia Solzbacher (Hrsg.), Zur Aktualität des personalen Menschenbildes. Beiträge zur Pädagogischen Anthropologie, Frankfurt am Main u. a. 1997.

  24. Vgl. Rolf Huschke-Rhein, Systemisch-Ökologische Pädagogik, Bd. III: Systemtheorien für die Pädagogik. Umrisse einer neuen Pädagogik, Köln 1992.

  25. Max Weber, Soziologische Grundbegriffe, Tübingen 1996, S. 42.

  26. Michel Foucault, Sexualität und Wahrheit, Bd. 1: Der Wille zum Wissen, Frankfurt am Main 1997, S. 115.

  27. Ebd., S. 116 f.

  28. Hannah Arendt, Macht und Gewalt, München 1970, S. 45.

  29. Sigrid Metz-Göckel, Die Lust an der Macht und Konkurrenz unter Frauen. Selbstverständnis und Differenz zwischen den Generationen von Frauen in Machtpositionen, in: Hildegard Macha/Monika Klinkhammer (Hrsg.), Die andere Wissenschaft: Stimmen der Frauen an Hochschulen, Bielefeld 1997, S. 55.

  30. Vgl. ebd., S. 59.

  31. Vgl. Dagmar Schultz, Das Geschlecht läuft immer mit. Die Arbeitswelt von Professorinnen und Professoren, Pfaffenweiler 1990.

  32. Vgl. dazu Ingeborg Stahr u. a. (Hrsg.), Frauengesundheitsbildung, Weinheim 1991.

Weitere Inhalte

Hildegard Macha, Dr. phil., geb. 1946; Studium der Pädagogik, Germanistik und Philosophie in Bonn, Würzburg und Kiel; Lehrstuhl für Pädagogik und Erwachsenenbildung an der Universität Augsburg; Leiterin der „Forschungsgruppe für Frauen-und Geschlechterforschung“. Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg. zus. mit Helmut Altenberger und Gudrun Schönknecht) Frauen im Aufbruch, Augsburg 1997; (Hrsg. zus. mit Lutz Mauermann) Familienerziehung, Weinheim 1997; (Hrsg, mit Monika Klinkhammer) Die andere Wissenschaft. Stimmen von Frauen an Hochschulen, Bielefeld 1997; (Hrsg. zus. mit Claudia Solzbacher) Zur Aktualität des personalen Menschenbildes, Frankfurt am Main 1997.