Ökonomische und politische Kooperation im Kaspischen Raum
Friedemann Müller
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Zusammenfassung
Verbindet man mit dem Begriff „Kaspischer Raum“ eine politische oder wirtschaftspolitische Einheit, so hat es diese vor fünf Jahren noch nicht gegeben. Selbst wenn die Kaspische Region mehr Öl produzierte, als sie verbrauchte, so bildete sich daraus keine zusammenhängende Energieregion. Bis zur Auflösung der Sowjetunion Ende 1991 gab es zwei Anrainer-Staaten am Kaspischen Meer, Iran und die Sowjetunion, die wenig wirtschaftliche Aktivitäten im Kaspischen Raum entwickelten. Langsam entfalteten die neuentstandenen Staaten dieser Region eigene Wirtschaftsinteressen, die sich von denen Rußlands unterscheiden. In diesem Beitrag sollen die Fragen nach den Ressourcen, den Pipeline-Optionen, den politischen Interessen und der Rolle Europas beim Aufbau kooperativer Strukturen behandelt werden. Vor allzu großen Erwartungen eines bevorstehenden Ölreichtums der Anrainerstaaten sei gewarnt. Zirka sechs Prozent der Weltölreserven werden im Kaspischen Raum vermutet. Ein besonderes Problem stellt die Frage des Transportes dar. Die Kaspische Region ist die einzige Energieregion der Welt, die über keinen Zugang zum offenen Meer verfügt. Der Bau von Pipelines verschlingt Milliarden an Investitionen. Hinzu kommen die unterschiedlichen Interessen Rußlands, der USA, des Iran und Chinas sowie derjenigen Staaten, über deren Territorium die Pipeline-Routen verlegt werden sollen. Das Interesse Europas an der Region liegt vor allem im Aufbau einer Infrastruktur, welche die Region mit Europa so verbindet, daß Kooperation in effizienter Weise möglich ist. Zu diesem Zweck hat die EU Partnerschafts-und Kooperationsabkommen mit diesen Ländern ausgehandelt. Sie sind Partner der TACIS-Programme (Technische Unterstützungsprogramme) und haben den Energiechartavertrag unterzeichnet und ratifiziert. Mit diesen Instumenten kann die EU Einfluß auf den staatlichen Aufbau der Region nehmen. Darüber hinaus sind die Staaten der Kaspischen Region Vertragsstaaten der OSZE.
I. Einleitung
Verbindet man mit dem Begriff „Kaspischer Raum“ eine politische oder wirtschaftspolitische Einheit, so hat es diese vor fünf Jahren noch nicht gegeben. Der Begriff ist in die Zukunft gerichtet. Im zu Ende gehenden zweiten Jahrtausend sind kaum Spuren davon zu finden, nur in dessen letztem Jahrzehnt hat sich eine atemberaubende Dynamik entwickelt, die darauf schließen läßt, daß sich der Begriff nach der Jahrtausendwende wohl etablieren könnte. Doch setzt dies die Lösung von gewaltigen Problemen voraus. Gemeinsam war dieser Region zu Beginn der neunziger Jahre die Lage an der Peripherie der Sowjetunion, verbunden mit entsprechenden Armutssymptomen Bekannt war zu dieser Zeit auch, daß es sich um eine energieträchtige Region handelt, deren Ölproduktion weit ins 19. Jahrhundert zurückreicht und Baku um die Jahrhundertwende zu einer „boom town“ machte. Doch die Ölproduktion wurde in den letzten sowjetischen Jahrzehnten zu Gunsten sibirischer Entwicklungsprojekte vernachlässigt.
Selbst wenn die Kaspische Region mehr Öl produzierte, als sie verbrauchte, und in Turkmenistan am Ende der Sowjetzeit bis zu 90 Milliarden Kubikmeter Erdgas gewonnen wurden, so bildete sich daraus keine zusammengehörende Energieregion, denn die Transportwege waren schon seit kolonialer Zeit sternförmig zum Zentrum des Reiches hin ausgerichtet. Das kasachische Öl am Kaspischen Meer hat nicht einmal die kasachischen Zentren im Osten des Landes versorgt. Kooperation und Handel zwischen den peripheren Stätten von Energieressourcen hatte das zentralistische System nicht vorgesehen.
Turkmenistan, nach sowjetischer Statistik die viert-ärmste Republik der Sowjetunion, hätte Anfang der neunziger Jahre alleine mit seiner Erdgasproduktion, zum Weltmarktpreis gemessen, das höchste Pro-Kopf-Einkommen aller 15 Sowjetrepubliken haben müssen. Doch die Deviseneinnahmen aus den sowjetischen Erdgasexporten wurden anders verrechnet. Heute läßt Gazprom (russischer Erdgasmonopolist) als Herr über dieses sternförmige postsowjetische Pipeline-Netz einen Export turkmenischen Gases nur noch in Länder mit geringer Zahlungsbereitschaft zu. Turkmenistans Produktion ist deshalb auf weniger als ein Drittel zurückgegangen, und das Land bemüht sich um nichts mehr als um Transportrouten, welche die Unabhängigkeit von Rußland gewährleisten. Die Möglichkeit, unabhängig von Moskauer Entscheidungen westliche Investitionen anzuziehen und eigene Transportrouten zum Weltmarkt aufzubauen, schafft die Dynamik und die Gemeinsamkeit dieser entstehenden politisch-ökonomischen Region.
II. Die Dynamik der Unabhängigkeit
Abbildung 2
Tabelle 2: Schätzungen der erschließbaren Erdgas-Ressourcen des Kaspischen Bekkens (Milliarden m 3) Quelle: U. S. Department of State (vgl. Tab. 1), S. 4.
Tabelle 2: Schätzungen der erschließbaren Erdgas-Ressourcen des Kaspischen Bekkens (Milliarden m 3) Quelle: U. S. Department of State (vgl. Tab. 1), S. 4.
Bis zur Auflösung der Sowjetunion Ende 1991 gab es zwei Anrainer-Staaten am Kaspischen Meer, Iran und die Sowjetunion, die wenig wirtschaftliche Aktivitäten im Kaspischen Raum entwickelten. Verträge zwischen den beiden Staaten von 1921 und 1940 regelten die Fischereirechte und die Handelsschiffahrt Die Eigentumsrechte waren nicht geregelt, doch definierte die Sowjetunion unilateral die Linie zwischen den Grenzstädten Stara an der Westküste und Gasan Kuly an der Ostküste des Kaspischen Meeres als Grenze und verteidigte diese Linie mit Küstenwachen Innerhalb der Sowjetunion wurde das Kaspische Meer als Unionseigentum, also nicht als sektoral den Anrainer-Republiken zugehörig betrachtet.Die neuen unabhängigen Staaten (NUS) Aserbaidschan, Kasachstan und Turkmenistan waren nach der Auflösung der Sowjetunion zunächst keineswegs besonders an einer Loslösung von Rußland im wirtschaftlichen Sinne interessiert, vielmehr gingen sie vom Fortbestehen einer Währungsunion mit Rußland und dem Aufbau einer starken Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) aus. Die rasch voranschreitende Entfremdung hatte jedoch viele Ursachen. In Aserbaidschan war die einseitige Parteinahme Rußlands für Armenien im Konflikt um Nagorno-Karabach entscheidend für die Loslösung aus der russischen Umklammerung. Kasachstan und Turkmenistan wurden durch die russische Bevormundung insbesondere beim Management der Energieerschließung und des -transports zunehmend bewegt, ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit zu suchen, die sie bei der Energieerschließung ohnehin entschlossen waren wahrzunehmen. Auch verlor die wirtschaftliche Verbindung mit Rußland nach Auflösung der Preissubventionen bei Importgütern ihre attraktive Klammer.
Kasachstan verhandelte bereits seit Ende der achtziger Jahre mit Chevron um die Erschließung des Tengiz-Feldes. Der Vertrag wurde zur Verärgerung Rußlands ohne dessen Beteiligung schließlich im April 1993 unterzeichnet. Mit 20 Milliarden US-Dollar Investitionsvolumen handelt es sich bis heute um das umfangreichste Abkommen über ausländische Investitionen im post-sowjetischen Raum. Doch der Vertrag wies Konstruktionsfehler auf, die sich rächten. Zum einen verließen sich die Vertragspartner darauf, daß das 1992 gegründete Caspian Pipeline Consortium (CPC) das produzierte Öl transportieren würde, und zwar von Tengiz zu dem russischen Schwarzmeerhafen Novorossisk. Doch Rußland als einer von drei Eignern des Konsortiums, dessen andere die Staaten Kasachstan sowie Oman, als finanzkräftiges Land, waren, verzögerte den Bau der Pipeline und verweigerte den Transport nennenswerter Mengen Öls durch das bestehende Pipeline-Netz. Ein zweiter Konstruktionsfehler bestand darin, daß Chevron allein und nicht ein internationales Konsortium für die Erschließung des Ölfeldes verantwortlich war. Dies brachte die beteiligten Staaten in eine relativ starke und die private Firma Chevron in eine relativ schwache Position, zumal die amerikanische Regierung die Position Chevrons nicht nur nicht stärkte, sondern dadurch beträchtlich schwächte, daß sie die Verlegung einer Pipeline von Tengiz zum iranischen Netz verhinderte und damit Ruß-land zum Transit-Monopolisten machte.
Taktisch viel erfolgreicher agierten dagegen die Vertragspartner eines Geschäftes, das am 20. September 1994 in Baku unterzeichnet wurde und trotz seines kleineren Volumens (7, 8 Milliarden US-Dollar-Investitionen) den Titel Jahrhundert-Geschäft verliehen bekam. Aserbaidschan einigte sich mit einem Konsortium aus elf internationalen Ölunternehmen (Azerbaijan International Operating Company, AIOC) unter Führung von British Petroleum über die Erschließung von drei Offshore-Ölfeldern mit Vorräten von ca. 500 Millionen Tonnen.
Das Abkommen hatte im Vergleich zu dem über das Tengiz-Feld insofern einen brisanteren Inhalt, als das Erschließungsgebiet im Kaspischen Meer liegt, also in einem Raum mit ungesicherten Eigentumsverhältnissen. Aserbaidschan ging von einer sektoralen Aufteilung des Meeres nach dem Äquidistanzprinzip aus -eine einseitige Interpretation, gegen die Rußland Sturm lief. Nach russischer Auffassung sollte das Kaspische Meer gemeinsam verwaltet werden. Für diese Position wurden vor allem ökologische Gründe angeführt, die nicht völlig von der Hand zu weisen sind. Offensichtlich stand dahinter aber auch der Wunsch Rußlands, an den Öl-und Gasressourcen des Kaspischen Meeres zu partizipieren, die, soweit damals bekannt, alle außerhalb des potentiellen russischen Sektors liegen. Schließlich war die russische Politik noch überwiegend geprägt von dem alten Denken, das in der Terminologie des „Nahen Auslands“ zum Ausdruck kam, womit diese Region der russischen Einflußzone zugerechnet wurde Unmittelbar nach Abschluß des „Jahrhundertgeschäfts“ leitete die russische Regierung am 5. Oktober 1994 ein Memorandum an die Vereinten Nationen, in dem sie mit der unverhohlenen Drohung, „die gesetzliche Ordnung wiederherzustellen und die Folgen des einseitigen Handelns zu beseitigen“ um die Annullierung des Geschäftes nachsuchte.
Ohne Zweifel gab es für Rußland eine gewisse Berechtigung zu diesem Vorgehen, denn nach internationalem Recht ist der Rechtsstatus des Kaspischen Meeres ungeklärt und müßte zwischen den Anrainern einvernehmlich geklärt werden, bevor rechtsverbindliche Fakten geschaffen werden. Doch die Spielregeln haben sich geändert.Zum einen gehörte die Sympathie der Weltöffentlichkeit dem kleinen Aserbaidschan und zum anderen sind Akteure auf die internationale Bühne getreten, welche die staatliche Macht beträchtlich relativieren, nämlich die privaten Investoren. Mit großem Geschick ist es den Verhandlungspartnern gelungen, die privatisierte russische Ölfirma Lukoil mit einem Zehn-Prozent-Anteil ins Konsortium aufzunehmen, und zwar zu Bedingungen, die Lukoil zu einem ganz normalen Unternehmen mit Gewinninteressen machte. Ob die russische Regierung die Beteiligung von Lukoil an dem von ihr als illegal betrachteten Geschäft hätte verhindern können, sei dahingestellt. Sie hätte es nur zu dem Preis tun können, daß Rußland keinen Anteil an dem Kuchen bekommt. Die Teilnahme Lukoils an dem Geschäft schwächte jedoch die Position des russischen Präsidenten und des Außenministeriums, zumal sich Ministerpräsident Tschernomyrdin und das Energieministerium auf die Seite Lukoils schlugen.
Seit dieser Niederlage des alten Denkens hat Ruß-land Stück für Stück Zugeständnisse gemacht, um im Geschäft zu bleiben. Das russische Bemühen um einen Kompromiß mündete am 11. November 1996 (Konferenz von Aschgabad) in einen Vertragsentwurf, dem vier der fünf Anrainer zustimmten Dieser schlug eine 45-Meilen-Küstenzone vor, die nationalem Eigentum zugeordnet würde, und sah eine Kondominiumslösung für den mittleren Teil des Meeres vor. Allein Aserbaidschan verweigerte sich wieder dieser Lösung, so daß der Vertrag nicht abgeschlossen wurde. Inzwischen hat Rußland einen weitergehenden Schritt in Richtung einer aserbaidschanischen Lösung, d. h. zur Aufteilung des gesamten Kaspischen Meeres in Sektoren vollzogen, indem es mit Kasachstan am 6. Juli 1998 in Moskau einen bilateralen Vertrag zur Aufteilung des Meeresbodens im Kaspischen Schelf unterschrieben hat. Erleichtert wurde Ruß-land dieser Schritt dadurch, daß inzwischen auch in dem russischen Off-shore-Sektor beträchtliche Mengen Öl gefunden wurden. Doch ist nicht zu übersehen, daß Rußland in den Jahren seit 1994 sein Verhältnis zu dieser Region wesentlich von der Dominanz machtpolitischen Denkens in Einflußzonen hin zu einem wettbewerbsorientierten Interesse an gleichberechtigten Wirtschaftspartnern verändert hat.
Ein anderer Prüfstein hierfür ist die Entwicklung des CPC. Hatte Rußland zunächst gegenüber der Erschließung des Tengiz-Feldes dadurch eine abwehrende Politik demonstriert, daß es den Bau der Pipeline nach Novorossisk blockierte, so kam 1996 Bewegung in dieses Spiel, nachdem Rußland einsah, daß es den Prozeß zwar bremsen, sich selbst jedoch nicht mehr in eine Dominanzrolle bringen konnte. Einerseits wurde in Neuverhandlungen erreicht, daß sich die drei Eigentümer des CPC auf 50 Prozent der Anteile zurückzogen (Anteil Rußlands 24 Prozent) und die andere Hälfte verschiedenen Ölfirmen, darunter Chevron (15 Prozent) und Lukoil (12, 5 Prozent), zugeschlagen wurde. Andererseits gab Chevron zehn Prozent seiner Anteile an dem Tengiz-Geschäft an Lukarco, einem joint venture von Lukoil und der amerikanischen Firma ARCO, ab Auf diese Weise wurde sowohl aus dem Tengiz-Erschließungsprojekt wie aus dem CPC zum Transport des Tengiz-Öls ein Konsortium mit sowohl westlicher wie russischer Beteiligung. Dieses Modell hat sich bei den meisten Konsortien als das gegen einseitige politische Interessen stabilste und die wirtschaftliche Effizienz betonende Modell erwiesen. Dies bedeutet jedoch nicht, daß die Ökonomisierung der Region politische Interessen neutralisiert. Im Gegenteil, das politische Interesse beruht ja auf den ökonomischen Ressourcen. Die Dynamik, die nach der sowjetischen Peripherisierung und Verkrustung aufgebrochen ist, dient nicht nur der ökonomischen Effizienz, sondern auch dem weltweiten politischen Interesse an der Region.
III. Die Ressourcen der Region
Abbildung 3
Tabelle 3: Erdöl-und Erdgasproduktion und -export der neuen unabhängigen Staaten am Kaspischen Meer 1990-1997 Quelle: Datenbank des DIW, zit. in: Hella Engerer/Christian von Hirschhausen, Die Energiewirtschaft am Kaspischen Meer: Enttäuschte Erwartungen -unsichere Perspektiven, in: DIW Wochenbericht, Nr. 24/98 vom 11. 6. 1998, Ölproduktion Ölexport Erdgasproduktion Erdgasexport S. 428.
Tabelle 3: Erdöl-und Erdgasproduktion und -export der neuen unabhängigen Staaten am Kaspischen Meer 1990-1997 Quelle: Datenbank des DIW, zit. in: Hella Engerer/Christian von Hirschhausen, Die Energiewirtschaft am Kaspischen Meer: Enttäuschte Erwartungen -unsichere Perspektiven, in: DIW Wochenbericht, Nr. 24/98 vom 11. 6. 1998, Ölproduktion Ölexport Erdgasproduktion Erdgasexport S. 428.
Wenn John Browne, Vorstandsvorsitzender von British Petroleum, sagt, die Kaspische Region sei „the greatest unexplored and undeveloped oil province in the world" so bedeutet dies viel, aber nicht notwendigerweise sehr viel. Seiner Meinung nach ist die Region noch reichlich unergründet, und deshalb werden Angaben über die Ressourcen von höchst unterschiedlichem Maße veröffentlicht. Manche Medienberichterstattung reflektiert jedoch auch ein Interesse an hoch angesetzten Ressourcenangaben. Insbesondere amerikanische „elder statesmen" haben zu dieser Inflation bei den Ressourcenschätzungen beigetragen. Sie verdienen als Consultant (Zbigniew Brzezinski bei Amoco, Brent Scowcroft bei Pennzoil Co.) durch medienwirksame Angaben. Die von ihnen verbrei-tete Zahl von 200 Milliarden Faß Ölreserven ist nach aller Wahrscheinlichkeit viel zu hoch gegriffen. Als seriöseste Schätzung, eben weil sie die große Spanne zwischen gesicherten und möglichen Ressourcen aufzeigt, gilt die in Tabelle 1 wiedergegebene des amerikanischen Außenministeriums in Washington.
Die gesicherten Reserven (15, 6 Milliarden Faß) liegen demnach niedriger als die der Nordsee (20 Milliarden Faß). Die in der Tabelle ausgewiesenen, viel höheren möglichen Ressourcen geben die optimistischste Version einer Extrapolation aus geologisch ähnlichen und in ihren Reserven bekannten Lagerstätten wider. Die wahrscheinlichen Reserven liegen wesentlich niedriger. Die meisten Expertenschätzungen gehen, wie auch die Studie des State Department, von einer Größenordnung in Höhe von 70 bis 90 Milliarden Faß an Ölreserven in der Kaspischen Region aus. Im Vergleich hierzu verfügt der Iran über gesicherte Reserven von 93 Milliarden Faß, Kuwait über 94 Milliarden Faß, Irak über 112 Milliarden Faß. Die gesicherten Weltreserven liegen bei 1 040 Milliarden Faß. Geht man davon aus, daß die wahrscheinlichen Weltreserven um 50 Prozent über den gesicherten liegen, so kann man als grobe Orientierung annehmen, daß im Kaspischen Becken ca. fünf Prozent der wahrscheinlichen Weltölressourcen liegen.
Die Erdgasressourcen der Region sind dank höherem sowjetischen Interesse besser erkundet. Deshalb liegen die gesicherten und die möglichen Ressourcen nicht so weit auseinander. Auch hierfür gibt die genannte amerikanische Studie eine Übersicht, wie aus Tabelle 2 ersichtlich wird.
Die gesicherten Reserven der Kaspischen Region nehmen einen Anteil von rd.sechs Prozent an den gesicherten Weltreserven in Höhe von 141 Milliarden Kubikmeter ein. Die möglichen Ressourcen einschließlich der gesicherten betragen 12, 5 Prozent der gesicherten Weltreserven.
Die Öl-und Erdgasproduktion der drei NUS-Anrainer am Kaspischen Meer ging in den neunziger Jahren stetig zurück, wie Tabelle 3 zeigt. Allein Kasachstan hat mit seiner Erdölproduktion den Tiefpunkt mit 20, 3 Millionen Tonnen bereits 1994 erreicht, jedoch immer noch nicht wieder die Produktion von 1990 erreicht. Die anderen Staaten konnten den Abwärtstrend noch nicht stoppen. Für die nächsten Jahre wird jedoch, neue Transportwege vorausgesetzt, ein hohes Produktionswachstum erwartet.
Die Öl-Produktion der ganzen Region wird im Jahr 2010 auf 2, 1 bis vier Millionen Faß pro Tag geschätzt. Dies entspricht einem Anteil von 2. 5 bis 4, 5 Prozent der erwarteten Weltproduktion zu diesem Zeitpunkt. 1997 betrug dieser Anteil an der Weltproduktion 1, 1 Prozent.
Die Erdgasproduktion im Jahr 2010 ist schwer einzuschätzen -dies nicht so sehr, weil die Produktionskapazitäten unbekannt wären, sondern vielmehr, weil unklar ist, welche Optionen für den Transport zu den potentiellen Abnehmern verfügbar sein werden. Erdgas ist gegenüber dem Öl beim Transport noch stärker leitungsgebunden. Deshalb kommen nur Abnehmer in Frage, die über eine entsprechende Infrastruktur verfügen bzw. zu denen eine solche Infrastuktur führt und die nahe genug gelegen sind, daß die Leitungskosten etwa gegenüber dem Tanker-Transport von Öl wettbewerbsfähig sind. Im Prinzip kommen für kaspisches, insbesondere turkmenisches Erdgas als Nachfrageregionen die Türkei und Europa, Chinaund der indische Subkontinent in Frage, wobei mit der Ausnahme der Türkei die Entfernungen beträchtlich sind und in allen Fällen die Verlegung von Pipelines ungeklärt ist
Zu den Ressourcen zählt auch die Wirtschaftskraft als Ganzes. Es ist bekannt, daß das Bruttosozialprodukt (BSP) von Ländern ohne frei konvertible Währung und mit einer beträchtlichen Schatten-wirtschaft schwierig und ungenau zu berechnen ist. Dazu kommt, daß es zwei Formen der Berechnung gibt, die zu recht unterschiedlichen Ergebnissen führen, nämlich die Berechnung nach Marktpreisen zu freien Wechselkursen und die Berechnung nach Kaufkraftvergleich. Letztere wird sinnvollerweise benutzt, wenn Aussagen über den Wohlstand des Landes gefragt sind, erstere, wenn es um das internationale Gewicht und die Kooperationsfähigkeit geht. Die Tabelle 4 weist Daten entsprechend der ersten Methode aus, sie ist also nur im Sinne des internationalen Gewichts dieser Staaten aussagefähig.
Demnach verfügen Aserbaidschan, Kasachstan und Turkmenistan zusammen mit ca. 23 Milliarden US-Dollar über ein BSP wie das kleinste der 16 Bundesländer, nämlich Bremen, und die fünf zentralasiatischen Staaten zusammen mit Aserbaidschan über ein BSP in Höhe von ca. 50 Milliarden US-Dollar, etwa entsprechend dem BSP Hamburgs. Auch wenn das Wachstum dieser Staaten in den nächsten zwei Jahrzehnten vermutlich wesentlich höher ausfallen wird als in den genannten Bundesländern, so wird in diesem Zeitrahmen aus dieser Region sich doch kein gewaltig großer Markt entwickeln. Eine Verdoppelung des BSP in zehn Jahren wäre ein riesiger Erfolg, bedeutet jedoch, gemessen an den Märkten der Industrie-und Schwellenländer, keine bedeutende Gewichtsverlagerung.
IV. Die Pipeline-Optionen und politische Interessen
Abbildung 4
Tabelle 4: Bruttosozialprodukt der zentralasiatischen Staaten und Aserbaidschans (Mrd. US-Dollar, Wachstum in vH) Quelle: IMF. World Economic Outlook, Wahington. D. C. May 1997, S. 32; World Bank, Global Development Finance 1997, Washington, D. C. 1998.
Tabelle 4: Bruttosozialprodukt der zentralasiatischen Staaten und Aserbaidschans (Mrd. US-Dollar, Wachstum in vH) Quelle: IMF. World Economic Outlook, Wahington. D. C. May 1997, S. 32; World Bank, Global Development Finance 1997, Washington, D. C. 1998.
Die Kaspische Region ist die einzige relevante Energieregion der Welt, die über keinen Zugang zum offenen Meer verfügt. Deshalb ist der Transport von Erdöl und Erdgas zum Weltmarkt ein besonderes Problem und von essentieller Bedeutung für die Entwicklung der Region. Das Transportproblem erhält dadurch besonderes Gewicht, daß sämtliche Nachbarn für eine langfristig verläßliche Kooperation politische Defizite aufweisen. Die kaspische und zentralasiatische Region als Ganzes, d. h. die Staaten Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan, grenzt an fünf Nachbarn:Georgien, ein Land mit mindestens zwei Bürgerkriegen (Abchasien, Ossetien) und geographischer Nähe zu Nagorno-Karabach. Eine Pipeline könnte zum georgischen Schwarzmeerhafen Supsa bzw. Poti oder über die Türkei zum Mittelmeerhafen Ceyhan geführt werden;
Rußland, die vormals dominante Macht, von der sich die NUS unabhängig machen wollen. Die Pipeline müßte durch die Bürgerkriegs-region Daghestan und in direkter Linie auch durch Tschetschenien zum russischen Schwarzmeerhafen Novorossisk geführt werden; China, ein weit entfernter Markt, insbesondere, wenn die Pazifikküste erreicht werden sollte. Die Leitung müßte über Singkiang geführt werden, eine Region mit Sezessionsinteressen; Afghanistan, ein Land im Bürgerkrieg seit 27 Jahren, mit chaotischen Herrschaftsverhältnissen. Die Leitung könnte Pakistan mit Öl und/oder Erdgas versorgen und käme auch für die Versorgung Indiens in Frage, sofern dies die politischen Umstände zuließen;
Iran, ein Land, das unter amerikanischen Sanktionen steht und deshalb bisher von der Infrastrukturanbindung an die Kaspische Region weitgehend ausgeschlossen ist. Die erforderliche Pipeline müßte eine relativ kurze Strecke überbrücken, da Iran selbst über ein recht dichtes Pipeline-Netz verfügt.
Die Verlegung von Pipelines bedeutet eine Investition, die sich in der Regel nicht früher als nach 20 Jahren amortisiert, d. h. Investitionsentscheidungen setzen stabile Kooperationsbedingungen über mindestens zwei Jahrzehnte voraus. Insofern wirkt sich die Instabilität der umgebenden Nachbarn besonders belastend auf die anstehenden Entscheidungen zur Festlegung von Transportrouten aus. Der Mittlere Osten, aber auch Europa (Adria-Pipeline) bietet eine Fülle von Beispielen, bei denen Pipelines wegen kriegerischer Handlungen oder Sanktionsmaßnahmen außer Betrieb genommen wurden. Diese Beispiele schrecken Investoren ab und raten ihnen, auf langfristige Stabilität zu achten. Die Gewährleistung dieser Stabilität ist dadurch gefährdet, daß in dieser postsowjetischen Umbruch-Konstellation sehr unterschiedliche Interessen aufeinanderprallen.
Die wichtigsten Mächte mit politischen Interessen an der Region sind Rußland, die USA, die Türkei, Iran, aber auch China. Rußland hat unmittelbar mit Auflösung der Sowjetunion seinen Anspruch auf Erhaltung des wirtschafts-und sicherheitspolitischen Raumes der GUS betont. Außenminister Primakov hat dies bei seinem Amtsantritt 1995 noch einmal bekräftigt. Kern der wirtschaftlichen Kooperation sollte der Energiesektor sein, wobei die potentiellen Nettoexportländer Aserbaidschan, Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan besonderes russisches Interesse genossen. Rußland hatte sich zunächst wie ein Monopolist geriert, der sich sicher ist, daß die Kooperationspartner über keine Alternativen verfügen. Turkmenistans Gas wurde nur noch zu einem kleinen Teil und nur für den Handel mit zahlungsschwachen Abnehmern im postsowjetischen Netz durchgeleitet. Das kasachische Öl wurde ebenfalls nur noch in geringen Mengen transportiert. Dies galt und gilt aber nur für eine Zeit sinkender Produktionsmengen. Anfang 1999 wird die erste Pipeline, die die Region mit dem offenen Meer verbindet und nicht über russisches Territorium führt, fertiggestellt: die Pipeline von Baku nach Supsa an der georgischen Schwarzmeerküste. Ihre Kapazität ist relativ gering (ca. 100 000 Faß pro Tag). Doch die Planung für weitere Pipelines ist fortgeschritten, und Rußland ist sich bewußt geworden, daß das Bemühen um die Behauptung der eigenen Monopolposition das Land selbst ins Abseits führt, denn die Produzentenländer und Investoren sind natürlich an Wettbewerbsverhältnissen interessiert. Die Zeiten, da sich kleine Länder allein durch die Militärmacht großer Nachbarn von einer Politik der Unterwerfung haben leiten lassen, sind vorbei, denn diese Länder wissen, daß der Preis einer militärischen Intervention unverhältnismäßig hoch ist. Dies weiß seit dem Afghanistan-Debakel auch Rußland. Insofern konnten die kleinen Länder unbeirrt von russischen Ratschlägen sich andere Kooperationspartner suchen.
Auch die USA sind in der Region mit Zielsetzungen aktiv, mit denen sie sich in gewisse Widersprüche verwickelt haben. Vertreter der US-Administration nennen zwar als erstes Ziel des amerikanischen Engagements in der Region die Unterstützung der Unabhängigkeit der NUS und die Schaffung eines multiplen, also wettbewerbsorientierten Pipeline-Systems und Strobe Talbott, der Stellvertretende Außenminister, wird nicht müde, die neuen Spielregeln in einer kompetitiven Weltwirtschaft auch für diese Region zu beschwören doch bewegte sich die reale amerikanische Politik eher entlang der Maxime vonZbigniew Brzezinski, dem einflußreichen Berater der amerikanischen Außenministerin, der es folgendermaßen ausdrückte: „American Foreign Policy must remain concerned with the geopolitical dimension and must employ its influence in Eurasia in a männer that creates a stable Continental equilibrium, with the United States as the political arbiter.“
In Wirklichkeit gilt als das vorrangige amerikanische Ziel die Eindämmung und Isolierung Irans. Hierauf haben sich die wesentlichen Kräfte konzentriert, etwa als Präsident Clinton den aserbaidschanischen Präsidenten Aliew 1994 überzeugte, Iran nicht in das Kosortium des Jahrhundertgeschäfts aufzunehmen, oder als Clinton sowohl Aliew wie den kasachischen Präsidenten Nazarbaiew erfolgreich drängte, entgegen älterer Absichtserklärungen keine Pipeline nach oder durch Iran zu bauen. Als zweites Ziel möchte die U. S. -
Regierung verhindern, daß Rußland seinen ehemaligen Einfluß in der Region zurückgewinnt. Deshalb unterstützt die USA die Türkei auch dann, wenn dies nicht unbedingt mit ökonomischer Effizienz vereinbar ist.
Wegen dieses Doppelziels der Isolierung Irans und der Beschränkung des Einflusses Rußlands führt die amerikanische Politik gegen ihr erklärtes Ziel zur Begünstigung von Monopolstrukturen. Zum einen hängt die Erschließung des Tengiz-Feldes davon ab, daß Rußland als Monopolist das Öl transportiert, weil eine Pipeline nach Süden in den Iran von den USA verhindert wurde. Zum anderen versuchen die USA durch die Begünstigung der Baku-Ceyhan-Pipeline, selbst ein Quasi-Monopol zu schaffen, denn diese Pipeline würde allenfalls dann rentabel sein, wenn eine Zusage seitens der AIOC vorläge, jährlich mindestens 50 Millionen Tonnen durch diese Pipeline zu führen. Eine solche Verpflichtung würde den Neubau einer weiteren Pipeline (neben den beiden Pipelines mit niedriger Kapazität für das „early oil“) mangels gesicherter Öltransporte unrentabel machen. Schließlich, drittens, bemühen sich die USA immer noch, den Transport großer Mengen turkmenischen Gases durch Iran zu verhindern, wodurch die totale Abhängigkeit Turkmenistans vom Gazprom-Netz gefestigt wird. Die von den USA betriebene Alternative des Baus einer Ölund Gas-Pipeline durch das Kaspische Meer ist ein wirtschaftlich und technisch gewagtes Unternehmen. Der tektonisch äußerst instabile Meeresboden zwingt schon bei der Verlegung von Pipelines von Off-shore-Feldern zum Festland dazu, komplizierte Wegführungen in Kauf zu nehmen. Eine Pipeline mit großem Durchmesser, die das gesamte Kaspische Meer durchquert, ist in diesem Sinne ein riskantes und teures Projekt. Insgesamt wächst in der Region das Unbehagen, daß amerikanischen Interventionen Interessen zugrunde liegen, die mit ökonomischer Effizienz und Ordnungsprinzipien im Sinne globaler Wettbewerbsfähigkeit wenig gemein haben. Die Isolation Irans wird vielfach unterlaufen, sei es durch kasachische Öltransporte per Tanker in den Iran, sei es durch die seit Ende 1997 existierende und von den USA auf Grund einer widersprüchlich formulierten Äußerung tolerierte Erdgaspipeline von Turkmenistan nach Iran, die zwar 1998 nur zwei Mrd. Kubikmeter liefert, deren Transportvolumen aber beträchtlich ausgebaut werden soll.
Die Türkei sah ihre Chance gekommen, als sich die Sowjetunion auflöste und damit die Turkvölker Zentralasiens und Aserbaidschans für eine neue Orientierung offen waren. Doch hat die Türkei ihre eigenen wirtschaftlichen Ressourcen über-und den Drang der NUS, sich gegen jegliche Dominanzansprüche zu wehren, unterschätzt. Sie spielt als Investor und dank ihres kulturellen, Medien-und Bildungsangebots (Stipendien) durchaus eine hervorgehobene Rolle in der Region, aber keinesfalls eine dominante. In Kasachstan zum Beispiel, dem Land der Region mit den meisten Auslandsinvestitionen, steht die Türkei mit Investitionen in Höhe von 354 Millionen US-Dollar (1993-1997) weit hinter den USA (1 904 Mio. US-Dollar), Südkorea (1 433 Mio. US-Dollar) und Großbritannien (974 Mio. US-Dollar) Mit dem Drängen, die Türkei zum Haupttransitland für Erdöl aus Baku zu machen und ihrer Weigerung, mehr Öl durch den Bosporus passieren zu lassen, hat sich die Türkei nicht nur Freunde geschaffen, auch wenn sich Aserbaidschans Präsident Aliew öffentlich zur Pipeline Baku-Ceyhan bekennt; in Wirklichkeit untersucht er jedoch insbesondere mit Georgien und anderen Anrainern des Schwarzen Meeres alternative Optionen. Auch die Türkei steht unter dem Druck der Kräfte globalen Wettbewerbs. Dies bedeutet konkret, daß die Produktionskosten des kaspischen Öls einschließlich der Transportkosten bis Ceyhan so niedrig sein müssen, daß sie unter dem Weltmarkt-preis liegen und den Produzenten Gewinne erlauben. Die Investoren für den Bau der Pipeline nach Ceyhan sind sich dieses Risikos bewußt. Was letzt-lieh bei den Infrastrukturentscheidungen zählt, sind die Kostenrechungen derer, die das wirtschaftliche Risiko tragen. In eine solche Kosten-kalkulation fließen auch politische Risiken einer Unterbrechung der Pipeline ein. Bei dieser Rechnung muß die Türkei große Anstrengungen unternehmen, wenn sie eine wettbewerbsfähige Trasse für das kaspische Öl anbieten will. Sie befindet sich keineswegs in einer Position, in der sie Bedingungen stellen kann.
Iran hat in dem Bemühen um Einfluß in der Region wenig öffentliches Profil gezeigt. Doch hat das Land sowohl auf Unternehmensebene wie in Regierungsgesprächen mit den Nachbarn ständig Optionen aufgezeigt, welche Möglichkeiten der Kooperation gegeben wären, wenn die amerikanischen Sanktionen außer Acht gelassen würden. Ungeachtet der Tatsache, daß die wichtigsten Infrastrukturmaßnahmen, soweit sie derzeit in der Diskussion sind, Iran auslassen, wurden doch eine Reihe von Verbindungen aufgebaut. Hierzu gehören die im Mai 1996 in Betrieb genommene Eisen-bahnlinie von Mashhad (Iran) nach Tedschen (Turkmenistan), die das persische Eisenbahnnetz mit dem postsowjetischen verbindet, und die seit Dezember 1997 arbeitende Erdgas-Pipeline von Turkmenistan nach Iran. Auch unterläuft der Abschluß zweier großer Geschäfte mit westlichen Firmen -eines zum Bau einer Erdgaspipeline als Verbindung von Turkmenistan in die Türkei (Vertragspartner Royal Dutch/Shell) und die Erschließung eines iranischen Off-shore-Feldes durch Total und Gazprom -erfolgreich die amerikanischen Sanktionen und fördert damit die Erosion der Isolation Irans. Insgesamt sind jedoch keine Ambitionen Irans zu erkennen, die Kaspische Region als Einflußzone zu gewinnen. So hat Iran auch bei der Diskussion um den Rechtsstatus des Meeres kein Profil im Sinne der Übernahme einer Führungsposition gezeigt.
Von China wird häufig vermutet, daß es sich als dominante Macht in der Region aufbauen möchte, um seine Energieversorgung langfristig sicherzustellen. Doch gibt es hierfür keine Belege. China wäre auch schlecht beraten, sich einen so teuren politischen Luxus zu leisten. Die Transportwege über die weite Entfernung zu Land sind ausgesprochen kostspielig. Bisher ist nur eine Pipeline geplant und mit der größten Auslandsinvestition, die China jemals getätigt hat, verbunden. Am 24. September 1997 unterzeichneten der chinesische Ministerpräsident Li Peng und Kasachstans Präsident Nazarbaew ein Abkommen über insgesamt 9, 5 Milliarden US-Dollar Investitionskosten, das die Erschließung des Usen-Ölfeldes östlich des
Kaspischen Meeres und weiterer kleiner Felder in der nahe gelegenen Aktobe-Region sowie eine Pipeline von diesen Feldern nach West-China zum Inhalt hat. Die geplante Produktionsmenge ist eher bescheiden angesetzt (160 000 Faß pro Tag). Angesichts der Tatsache, daß Öl per Tanker vom Persischen Golf nach Shanghai transportiert wesentlich geringere Transportkosten verursacht, sowie der begrenzten Mittel Chinas für Investitionen im Ausland ist zu vermuten, daß für lange Zeit lediglich an eine Versorgung des vom Pazifik weit entfernten West-Chinas durch kaspisches Öl und Gas gedacht ist.
Das Schaubild zeigt die wichtigsten Pipeline-Routen, wie sie zwischen dem Jahr 2005 und 2010 verwirklicht sein könnten, wenn nicht politische Risiken die Investoren von deren Bau abschrecken.
V. Die Rolle Europas beim Aufbau kooperativer Strukturen
Abbildung 5
Abbildung 5
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Anders als die meisten Entwicklungsländer verfügen die NUS am Kaspischen Meer und auch Usbekistan über einen Rohstoff, mit dem sich Entwicklungspolitik finanzieren ließe, wenn optimale Voraussetzungen hierfür geschaffen würden. Geht man von Ölreserven in Höhe von 80 Milliarden Faß aus und von einem Preis in Höhe von 15 US-Dollar pro Faß, ergibt sich ein Wert dieser Reserven von 1 200 Milliarden US-Dollar. Rechnet man die Erdgasreserven hinzu, die sich in einer ähnlichen Größenordnung bewegen, so kommt man auf wenigstens 2 000 Milliarden US-Dollar. In Relation zum BSP der drei NUS bedeutet dies fast 100 BSPe, im Vergleich zu allen zentralasiatischen Staaten und Aserbaidschan immerhin noch 40 BSPe. Eine solche Relation von Ressourcen im Boden zum gegenwärtigen BSP ist für größere Regionen weltweit einmalig. Auch die Ausbildung derer, die für die Produktion und den Transport von Erdöl und Erdgas gebraucht werden, wird von westlichen Firmen sehr gelobt. Human-und Naturressourcen sind also vorhanden. Es geht darum, diese so zu nutzen, daß ein unter Kostengesichtspunkten wettbewerbsfähiges Produkt auf dem Weltmarkt angeboten werden kann, die wirtschaftlichen Vorteile daraus den Ländern insgesamt und dem Aufbau einer stabilen und gesunden Sozialstruktur zugute kommen und die Kooperation mit den Nachbarn eine Integration in globale Zusammenhänge ermöglicht.Die Europäische Union ist besser als die unmittelbar involvierten Mächte prädestiniert, dieser Region bei ihrem Aufbau behilflich zu sein und selbst davon zu profitieren. Zum einen erhebt sie keinen Dominanzanspruch -und ein solcher wird ihr auch nicht unterstellt zum andern ist sie der mit Abstand größte Geber von Aufbauhilfe. Darüber hinaus ist die EU über verschiedene Vertragswerke sehr viel stärker vernetzt als zum Beispiel mit den Ländern der Nachbarregion des Nahen Ostens. Die NUS sind Vertragsstaaten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), sie haben Partnerschafts-und Kooperationsabkommen mit der EU ausgehandelt, sie sind Partnerländer der TACIS-Programme (Technische Unterstützungsprogramme für die GUS), sie haben den Energiechartavertrag, der am 16. April 1998 nach insgesamt achtjähriger Verhandlungs-und Ratifizierungsphase in Kraft getreten ist, unterschrieben und ratifiziert. Diese Verbindungen zusammengenommen geben der EU ein Instrument in die Hand, um auf den staatlichen Aufbau der Region Einfluß zu nehmen. Ziel dieser Einflußnahme muß sein, diese Länder in einem globalen Wettbewerb wettbewerbsfähig zu machen. Hierzu gehören faire Wettbewerbsbedingungen (verläßliche Rechtssicherheit, Abbau von Korruption, nichtdiskriminierende Außenwirtschaftsbedingungen, Transitrouten, die nicht aus politischen Motiven unterbrochen werden) und eine stabile Sozialstruktur.
Europas Eigeninteresse liegt vor allem im Aufbau einer Infrastruktur, welche die Region mit Europa so verbindet, daß Kooperation in effizienter Weise möglich ist. Die Kaspische Region ist nicht nur wegen ihrer Energieressourcen interessant. Sie liegt auch geographisch zentral auf dem alten Verbindungsweg zwischen Europa und Asien. Ein Wiederbeleben der Seidenstraße, die im Altertum schon China mit Rom verband, liegt im Interesse aller beteiligten Länder. Dieses ist mit der Auflösung der Sowjetunion möglich geworden. Damit sind nicht exklusive Routen bzw. die Festlegung der Streckenführung einer Pipeline gemeint. Vielmehr geht es darum, Räume wie Zentralasien, die Kaspische Region, Transkaukasus und das Schwarze Meer miteinander zu verbinden. Die TACIS-Programme INOGATE (Öl-und Gas-Transport) und TRACECA (andere Verkehrsinfrastruktur) sind hierfür geschaffen worden.
Auf diese Weise würde auch der Sicherheit und vor allem der Versorgungssicherheit im Energiebereich gedient. Damit ist vor allem dies gemeint: Es hat sich zwischen den beiden energiereichsten Regionen der Welt, dem Nahen und Mittleren Osten einerseits und Rußland andererseits, mit dem Kaspischen Raum eine ebenfalls energie-trächtige Region herausgebildet. Während die beiden energiereichsten Regionen -Rußland und der Nahe Osten -über eine jeweils prekäre Stabilität verfügen, ist von großer Bedeutung, daß die Region dazwischen sich nicht von Instabilitäten im Norden oder Süden anstecken läßt und auch diese beiden Regionen etwa beim Waffenhandel auseinanderhält. Die Versorgungssicherheit als strategisches Ziel hat sich seit der Ölkrise 1973/74 grundlegend gewandelt. Verstand man damals hierunter vor allem langfristige bilaterale Verträge (möglichst militärisch abgesichert) und auf nationaler Ebene Vorratshaltung und Umverteilungsmaßnahmen, so wird heute unter Versorgungssicherheit ein weltweit funktionierender Markt verstanden, der erlaubt, in Rotterdam oder Tokio zu einem globalen Marktpreis Öl einzukaufen. Dennoch ist eine Voraussetzung insbesondere in Krisenzeiten, wenn gegebenenfalls eine Lieferquelle ausfällt, daß Öl vom Produzenten A zum Käufer B überhaupt transportiert werden kann, damit sich ein Markt bilden kann. Insofern sind die Infrastrukturmaßnahmen zwischen der Kaspischen Region und Europa von großer Bedeutung. Dies gilt noch mehr für Erdgas wie für Öl, da Gas viel stärker als Öl leitungsgebunden ist. Aus diesem Grunde gibt es keinen Weltgasmarkt, sondern nur viele Teil-märkte. Europa ist an einer Erdgasleitung vom östlichen Kaspischen Raum durch die Türkei nach Europa interessiert, um überhaupt eine Option für Erdgasbezüge zu schaffen. Dadurch würde sich in Europa, dem größten Erdgasmarkt der Welt, ein interessanter Wettbewerbsmarkt der Gasanbieter Rußland, Norwegen, Algerien und Turkmenistan neben den EU-Anbietern Holland und England entwickeln.
Der Kaspische Raum ist nicht deshalb für uns besonders interessant, weil dort besonders viele Arbeitsplätze für Deutschland oder Europa gesichert werden könnten, dafür ist das wirtschaftliche Gesamtaufkommen der Region auf absehbare Zeit noch zu klein. Er ist auch nicht deshalb wichtig, weil dort das in der Nordsee zu Ende gehende Öl zu substituieren wäre. Der Weltölmarkt hat sich anders organisiert. Er kennt keine langfristigen bilateralen Lieferabkommen und keine dauerhaften Treuebindungen zwischen Anbietern und Nachfragern mehr. Selbst bei Erdgas nehmen die Elemente eines flexiblen Marktes deutlich zu. Die Region löst unser Interesse aus, weil es eine der dynamischsten ist, sich neue Partner sucht, weil sie sich in einem Transformationsprozeß befindet, dergestaltet werden kann; weil sie über Rohstoffe verfügt, die es ihr erlauben, die Transformation weitgehend selbst zu finanzieren, wenn nur die richtigen Schritte eingeleitet werden. Darüber hinaus kann diese Region positiv wie negativ auf ihre konfliktträchtigen Nachbarn ausstrahlen. Wenn es gelänge, den Kaspischen Raum als Zentrum einer Ost-West-Infrastruktur zu entwickeln, die neben Produkten auch Prosperität und Effizienz hervorbringen kann, dann bedeutete der Gewinn dieser Kooperation viel mehr, als aus Handels-und Investitionsvolumen abzuleiten ist.
Friedemann Müller, Dr. rer. pol., geb. 1943; Leiter der Forschungsgruppe Nicht-militärische Risiken, Internationale Regime und Wirtschaftsbeziehungen der Stiftung Wissenschaft und Politik in Ebenhausen. Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg.) Rußlands Energiepolitik: Herausforderung für Europa, Baden-Baden 1992; (zus. mit Susanne Ott) Briding Divides: Transformation in Eastern Europe -Connecting Energy and Environment, Baden-Baden 1997; zahlreiche Beiträge zu energie-und umweltpolitischen Fragen.
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