Die Reform der EU-Beihilfenkontrolle und ihre Auswirkungen auf die regionale Wirtschaftsförderung
Thomas M. Dietz
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Zusammenfassung
Regionale Wirtschaftsförderung ist längst nicht mehr ausschließlich Sache der Nationalstaaten bzw. ihrer Regionen. Einerseits legt die EU im Rahmen der Wettbewerbspolitik über die sogenannte Beihilfenkontrolle der nationalen Wirtschaftsförderung durch regulative Maßnahmen zum Teil erhebliche Beschränkungen auf, andererseits versucht die EU selbst, durch distributive Maßnahmen, sprich die Verteilung eigener Gelder im Rahmen ihrer Strukturförderung, Entwicklungsunterschiede zwischen einzelnen Regionen zu verringern. Darüber hinaus liegt die Verantwortung dafür, welche Gebiete konkret künftig aus der nationalen und EU-Förderung herausfallen werden, zum überwiegenden Teil nicht bei der Kommission, sondern -ganz im Sinne des Subsidiaritätsprinzips -bei den Mitgliedstaaten bzw. in der Bundesrepublik bei den Bundesländern. Das Beispiel Beihilfenkontrolle zeigt daher in anschaulicher Weise, wie es im europäischen Mehrebenensystem durch die Instrumentalisierung komplizierter und intransparenter Verfahrensregelungen zu einer ungerechtfertigten Verschiebung von Verantwortlichkeiten von der nationalen bzw. regionalen auf die europäische Ebene kommen kann.
Die Reformen der Agenda 2000 in der europäischen Finanz-, Agrar-und Strukturpolitik haben in der Öffentlichkeit in den letzten Monaten heftige Kontroversen ausgelöst. Im Gegensatz dazu hat ein weiteres wichtiges Reformvorhaben der EU, die Neustrukturierung der staatlichen Beihilfen-kontrolle, bislang praktisch überhaupt kein Medienecho gefunden. Zu Unrecht, wie die Bayerische Staatsregierung meint, die schon seit geraumer Zeit darauf hinweist, daß geplante Reformen bei der Beihilfenkontrolle zu einer Einschränkung nicht nur der nationalen, sondern auch der EU-Strukturförderung in Bayern führen werden. Aber ist dies tatsächlich der Fall?
Der Beitrag zielt darauf ab, durch eine Darstellung der wichtigsten Reformen im Bereich der Beihilfenkontrolle sowie durch eine Übersicht über den Zusammenhang zwischen Beilhilfenkontrolle und EU-Strukturförderung diese komplexe Materie transparenter zu machen. Als Beispiel für die Auswirkungen der neuen Bestimmungen wird die Regionalpolitik im EU-Mitgliedstaat Deutschland, genauer im Bundesland Bayern herangezogen. Das Beispiel Bayern ist dabei nicht willkürlich gewählt. Es zeigt in anschaulicher Weise, wie es im europäischen Mehrebenensystem durch die Instrumentalisierung komplizierter und intransparenter Verfahrensregelungen zur Verschiebung von Verantwortlichkeiten von der nationalen bzw. regionalen auf die europäische Ebene kommen kann.
I. Die Beihilfenkontrolle der EU
Subventionen sind politisch heftig umstritten. Fast immer als Übergangsregelungen für notwendige Marktanpassungen gedacht, geraten sie nicht selten zu Daueralimentierungen. Um Verfälschungen des innergemeinschaftlichen Handels und einen
Subventionswettlauf unter den Mitgliedstaaten zu verhindern, ist in der EU im Rahmen der Wettbewerbspolitik bereits seit 1957 die Europäische Kommission für die Kontrolle nationaler staatlicher Beihilfen zuständig.
Die Kommission muß nach den Artikeln 92 und 93 des Maastrichter Vertrags grundsätzlich alle Beihilfen untersagen, die mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar sind, soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen.
Beihilfen dürfen deshalb vor einem positiven Bescheid der Kommission nicht gewährt werden. Dieser Genehmigung geht eine vorherige Anmeldung der Beihilfen durch die jeweiligen Mitgliedstaaten voraus (die sogenannte Notifizierung), welche zwar in der Regel, jedoch nicht immer positiv beschieden wird. Beihilfen, die eine bestimmte Höhe innerhalb eines bestimmten Zeitraumes nicht überschreiten (momentan 100 000 ECU innerhalb von drei Jahren) und damit grundsätzlich nicht geeignet sind, den innergemeinschaftlichen Handel zu verfälschen, dürfen allerdings auch ohne Notifizierung und Genehmigung der EU gewährt werden.
Werden Beihilfen ohne vorherige Genehmigung der Kommission gewährt, kann die Kommission die gezahlte Subvention unter bestimmten Umständen wieder zurückfordern. Gegen eine solche Entscheidung ziehen die Mitgliedstaaten dann nicht selten vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH). In der Bundesrepublik haben solche Fälle teilweise ein breites Medienecho gefunden, man denke etwa an die Beihilfen für die Volkswagen AG in Sachsen, an die Schiffswerft Bremer Vulkan oder zuletzt an die Neue Maxhütte in Bayern. Welche finanzielle Bedeutung staatliche Beihilfen in der EU haben, wird aus Tabelle 1 ersichtlich. Sie zeigt darüber hinaus einen interessanten Trend. Entgegen der landläufigen Meinung sind Subventionszahlungen in der EU seit Anfang der neunziger Jahre nicht etwa gestiegen, sondern leicht rückläufig. Betrugen die Beihilfen in der EU im Zeitraum 1988-1990 noch über 100 Milliarden ECU, so fiel dieser Betrag für den Zeitraum 199417 1996 auf etwa 85 Milliarden ECU (allerdings für diesen Zeitraum ohne die nationalen Subventionen für die Landwirtschaft) 1. Regionalbeihilfen in der EU Beihilfen mit regionalen Zweckbestimmungen (Regionalbeihilfen) unterscheiden sich von sektoralen oder horizontalen Beihilfen dadurch, daß sie bestimmten Gebieten vorbehalten sind und gezielt zur Entwicklung dieser Gebiete beitragen sollen.
In der Bundesrepublik machen Regionalbeihilfen drei Viertel aller gezahlten Beihilfen aus. Absolut gesehen werden fast drei Viertel aller, also auch über das verarbeitende Gewerbe hinausgehenden, Regionalbeihilfen in nur zwei Mitgliedstaaten, Deutschland (mit knapp der Hälfte der Beihilfen) und Italien (knapp ein Viertel), vergeben, hauptsächlich aufgrund der Tatsache, daß sie die größten Problemgebiete aufweisen (Ostdeutschland und Mezzogiorno) und über die nötigen nationalen Mittel für die Ausgaben verfügen Regionalpolitisch bedeutsam ist im Maastricher Vertrag vor allem der Absatz 3 des Artikels 92, wonach Beihilfen zulässig sind „zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung von Gebieten, in denen der Lebensstandard außergewöhnlich niedrig ist oder eine erhebliche Unterbeschäftigung herrscht“. Diesen Tatbestand erfüllen in der EU momentan die Länder Irland, Portugal und Griechenland als Ganzes, die fünf neuen Bundesländer, Nordirland, die französischen Überseedepartements sowie einzelne Regionen in Spanien, Italien und Österreich (Gebiete nach Art. 92 Abs. 3, Buchstabe a).
-„zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete, soweit sie die Handelsbedingungen nicht in einer Weise verändern, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft“ (Gebiete nach Art. 92, Abs. 3, Buchstabe c).
In Ergänzung zu diesen Bestimmungen des Primärrechts hat die EU einige zusätzliche Rechtsakte erlassen, darunter Koordinierungsgrundsätze für Regionalbeihilfen. Koordinierungsgrundsätze für die Beihilfenprogramme sowie die Festlegung von Kriterien zur Auswahl der förderfähigen Programme und Gebiete 2. Reformen der Beihilfenkontrolle Die Kommission unternimmt seit etwa drei Jahren erhebliche Anstrengungen, die bisherige Handhabung der Beihilfenkontrolle zu reformieren, und zwar aus folgenden Gründen:
Erstens war das bisherige System durch eine erhebliche Intransparenz gekennzeichnet. Die regionalbeihilferechtlichen Regelungen waren in der Vergangenheit eine Mixtur aus einer Vielzahl von Einzeldokumenten, der Rechtsprechung des EuGH und ständigen, nie kodifizierten Praktiken der Kommission, deren Gesamtkenntnis de facto auf eine sehr kleine Anzahl von Insidern in Kommission, EuGH und Beihilfeabteilungen der Mitgliedstaaten beschränkt war. Mit zunehmender Bedeutung des Binnenmarktes und der Währungsunion wird die Beihilfenkontrolle aber immer wichtiger und erfordert eine dieser Bedeutung angemessene Transparenz. Die Kommission hat diesbezüglich schon ab 1996 verschiedene Initiativen gestartet.
Der „Vorschlag einer Verordnung des Rates über Vorschriften für die Anwendung von Artikel 93 des EG-Vertrags“ ist eine dieser Initiativen. Diese mittlerweile vom Rat verabschiedete Verordnung faßt die bisherigen Verfahrensvorschriften in einem kohärenten Text zusammen, präzisiert bestimmte Regelungen und führt neue Kontrollmöglichkeiten ein. Dabei bleiben die Notifizierungspflicht und das Durchführungsverbot des Art. 93, Abs. 3 als Grundpfeiler erhalten. Neu ist jedoch vor allem die Regelung, daß EU-Beamte jetzt persönlich Nachprüfungen am Standort der begünstigten Unternehmen vornehmen dürfen, und zwar nicht nur im Schiffbau-oder KfZ-Bereich, wo diese Kontrollen schon immer möglich waren, sondern in allen Bereichen. Allerdings ist dies nur zulässig, wenn bestimmte (strenge) Kriterien für die Inspektion erfüllt sind.
Ebenfalls zur Erhöhung von Transparenz und Rechtssicherheit hat der Rat auf Initiative der Kommission im Mai 1998 eine Verordnung erlassen, mit deren Hilfe u. a. bestimmte Gruppen horizontaler Beihilfen (KMU, Forschung und Entwicklung, Umwelt, Beschäftigung und Ausbildung) von der Anmeldepflicht für Beihilfen freigestellt werden können Schließlich sind am 1. September 1998 für einen Versuchszeitraum von drei Jahren neue Vorschriften für Regionalbeihilfen zugunsten großer Investitionsvorhaben in Kraft getreten Diesen neuen, sektorübergreifenden Beihilferahmen hatte die Kommission erlassen, um die übermäßig hohen Subventionen der Mitgliedstaaten für Großprojekte und den dadurch teilweise ausgelösten Subventionswettlauf einiger Mitgliedstaaten untereinander einzuschränken. Bisher hatte die Kommission bei solchen Großprojekten nur in einigen wenigen Sektoren, wie z. B. Stahl oder Kraftfahrzeuge, Kompetenzen, für die zudem jeweils spezifische Regeln galten.
Zweites Motiv für die Reformbemühungen der Kommission war der Wunsch, die Effizienz des Einsatzes nationaler Beihilfen zu erhöhen. Die osteuropäischen Beitrittskandidaten erfüllen allesamt das 92, 3a-Kriterium. Ohne eine Konzentration der Mittel auf weniger Fördergebiete würden nach einer Osterweiterung über 50 Prozent der Unionsbevölkerung in beihilferechtlich anerkannten Regionalfördergebieten leben. Mit einer solchen Ausweitung der Fördergebiete muß die Effizienz der Regionalförderung zwangsläufig abnehmen. Hinzu kommen Unterschiede in der Wahrnehmung der angebotenen Regionalbeihilfen in den Mitgliedstaaten. Die in den einzelnen Regionalfördergebieten genehmigten Förderhöchstsätze (maximal zulässige Beihilfe im Verhältnis zu den Investitionskosten) variieren von Region zu Region erheblich, z. B. bei Großunternehmen zwischen 75 Prozent (in 92, 3a-Gebieten) und 30 Prozent (in 92, 3c-Gebieten). In den ärmsten Regionen der EU liegen die bewilligten Höchstgrenzen für Investitionsförderungen aber über den in den nationalen Haushalten verfügbaren Mitteln oder werden nur für einzelne Prestige-vorhaben voll ausgeschöpft. Reichere Regionen haben zwar niedrigere Sätze, dafür werden die erlaubten Beihilfen in größerem Ausmaß genutzt, weil die Budgetmittel vorhanden sind Die mit der Differenzierungsbreite beabsichtigte Verringerung ökonomischer Abstände zwischen den Regionen war daher nur bedingt erfolgreich. Zudem begünstigte diese ein Subventionsshopping der Unternehmen.
All dies machte eine bessere Modulierung und Feinabstimmung, inklusive einer Absenkung einzelner Förder(höchst) sätze, notwendig. Im Dezember 1997 hat die Kommission daher beschlossen, den Umfang der Regionalfördergebiete für den Zeitraum 2000 bis 2006 von derzeit 46, 7 auf zunächst 42, 7 Prozent der Gemeinschaftsbevölkerung (EU-15) zu senken und die Verteilung des 92, 3a-Förderstatus auf der Grundlage von Daten von Ende 1998 neu vorzunehmen. Auf diese für die regionale Wirtschaftsförderung in Deutschland bedeutsamste Neuerung wird später noch zurückzukommen sein. Darüber hinaus werden die Regionalförderhöchstsätze von bisher 75 Prozent in den 92, 3a-Gebieten auf Sätze zwischen 40 und 65 Prozent gesenkt (je nach BIP pro Einwohner) und die Höchstsätze von 30 Prozent in 92, Sc-Gebieten auf zehn bis 30 Prozent, je nach geographischer Lage, BIP pro Einwohner und Arbeitslosenquote
Ein dritter Grund für die vorgenommenen Änderungen war der Wunsch nach einer Stärkung der Subsidiarität in der Wettbewerbskontrolle. Die bisherige Kommissionsmethode zur Bestimmung der 92, 3c-Gebiete hatte einige Schwächen. Sie erforderte u. a. Detailbewertungen der regionalen Situation und institutionalisierte damit insbesondere in Staaten mit föderalistischer Struktur einen ständigen Konflikt im Spannungsfeld von Subsidiarität, föderalem Gleichgewicht und Gleichbehandlung. Sie führte schließlich dazu, daß zunehmend versucht wurde, die Kommission im innerstaatlichen Verteilungsstreit um Regionalfördergebiete zu instrumentalisieren. In ihren im Dezember 1997 verabschiedeten und im März 1998 in Kraft getretenen „Leitlinien für staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung" hat die Kommission eine Reform dieses Verfahrens festgelegt, welche gleichzeitig mehr Transparenz und mehr Flexibilität für die Mitgliedstaaten verspricht. Danach teilt die Kommission dem Mitgliedstaat mit, welchen Bevölkerungsplafonds sie für diesen Staat für mit dem gemeinsamen Markt vereinbar hält. Gleichzeitig legt der Mitgliedstaat (und nicht mehr die Kommission) die Methode und die quantitativen Indikatoren fest, mit deren Hilfe er seine 92, Sc-Fördergebiete auswählen möchte, und meldet die dadurch ermittelten Regionen nach Brüssel. Die Kommission beschränkt sich nur noch darauf, zu prüfen, ob die Methode zur Gebietsauswahl geeignet ist und ob das Gebietsverzeichnis tatsächlich auf ihrer Grundlage zustande gekommen ist. Eine Einzelprüfung der einzelnen Regionen durch die Kommission entfällt Da die Kommission aus Praktikabilitätsgründen bereits seit Mitte der neunziger Jahre auf die Anwendung ihres eigenen Verfahrens aus dem Jahre 1988 verzichtet hatte und sich statt dessen auf das jetzt festgeschriebene Verfahren verlegt hat, handelt es sich bei diesen Leitlinien allerdings teilweise nur um eine Kodifizierung bereits praktizierter Vorgehensweisen. 3. Regionalbeihilfen in der Bundesrepublik Träger der regionalen Wirtschaftspolitik sind in der Bundesrepublik gemäß Artikel 30 bzw. Artikel 28 Grundgesetz primär die Länder und die kommunalen Gebietskörperschaften. Neben den Kommunen, die über verschiedene Anreize Regionalpolitik vor Ort betreiben können, und eigenen Landesprogrammen gibt es aber auch reine Bundesprogramme (z. B. ehemalige Zonenrandförderungs-oder ERP-Programme), die ergänzt werden durch ein gemeinschaftliches Förderinstrument von Bund und Ländern. Diese „Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW) ist in den Mittelpunkt des wettbewerbspolitischen Interesses der Kommission gerückt.
Die GRW wurde zusammen mit zwei anderen Gemeinschaftsaufgaben (GA) im Zuge der Finanzverfassungsreform von 1969 in das Grundgesetz aufgenommen (Artikel 91a) und löste damit die bis dahin bilateral organisierte Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei der regionalen Wirtschaftsförderung ab. In der GRW setzt eine multilaterale Planungsorganisation -der soge-nannte Planungsausschuß, in dem weder der Bund noch die Ländermehrheit überstimmt werden kann -in jährlichen Rahmenplänen die Förderregeln, die Fördersätze und die Förderkulisse fest. Eine Förderung erfolgt entweder durch Investitionsbeihilfen für die gewerbliche Wirtschaft oder über Beihilfen für Infrastrukturprojekte der Gemeinden. Die Beihilfen werden dabei je zurHälfte vom Bund und vom betroffenen Bundesland finanziert.
Die Fördergebiete werden nach einem speziellen Abgrenzungsmodell berechnet. Dieses enthielt bislang für die alten Bundesländer fünf, für die neuen Bundesländer drei unterschiedlich gewichtete Regionalindikatoren, darunter die durchschnittliche Arbeitslosenquote (40 Prozent Gewichtung) und das Pro-Kopf-Einkommen der jeweiligen Region (ebenfalls 40 Prozent Gewichtung). Ab der nächsten Programmperiode (20002003) fließen für alle Bundesländer jeweils vier Regionalindikatoren in die Berechnung ein. Das erwähnte Abgrenzungsmodell bringt die west-und ostdeutschen Arbeitsmarktregionen zunächst in eine eindeutige Reihenfolge. Die strukturschwächsten Regionen werden dann nacheinander in das GRW-Fördergebiet aufgenommen, bis der von der EU-Kommission festgelegte Bevölkerungsplafond erreicht ist. Dieser beträgt momentan in Westdeutschland noch 20, 8 Prozent, in Ostdeutschland 100 Prozent, wobei sich der westdeutsche Plafond sehr unterschiedlich auf die einzelnen Bundesländer verteilt.
Insgesamt gesehen ist der Fördergebietsplafond für die GRW zwischen 1978 und 1999 in Westdeutschland fast kontinunierlich von 36 auf 20, 8 Prozent zurückgegangen. Einen Überblick über die Aufteilung dieses Plafonds auf die einzelnen Bundesländer im Jahr 1997 gibt Schaubild 1. In den neuen Bundesländern beträgt der Bevölkerungsplafonds jeweils 100 Prozent.
I. Kohärenz zwischen Beihilfen-kontrolle und EU-Strukturförderung
Abbildung 2
Schaubild 1: Geförderte Bevölkerung pro Bundesland 1997 Quelle: Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission an die Mitgliedstaaten über die Regionalpolitik und die Wettbewerbspolitik -Die Konzentration und Kohärenz dieser Politikbereiche verstärken, Brüssel 1998 (KOM [98] 673 endg.), S. 5.
Schaubild 1: Geförderte Bevölkerung pro Bundesland 1997 Quelle: Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission an die Mitgliedstaaten über die Regionalpolitik und die Wettbewerbspolitik -Die Konzentration und Kohärenz dieser Politikbereiche verstärken, Brüssel 1998 (KOM [98] 673 endg.), S. 5.
Die Europäische Union hat sich zum Ziel gesetzt, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt ihrer Mitgliedstaaten (auch Kohäsion genannt) über die Gewährung von Finanzmitteln aus dem EU-Haushalt zu stärken. Dabei handelt es sich nicht um ein einfaches Finanzausgleichssystem (etwa nach deutschem Muster), da die Zahlungen aus dem EU-Haushalt an ganz bestimmte inhaltliche Bedingungen, sprich die Erfüllung bestimmter Förderrichtlinien, gebunden sind. Die wesentlichen Instrumente zur Verringerung der sozialen und ökonomischen Unterschiede zwischen den EU-Staaten sind laut Artikel 130a EG-Vertrag die Strukturfonds, der Kohäsionsfonds und die Europäische Investitionsbank.
Die Förderung aus den Strukturfonds erfolgt bislang anhand bestimmter vorrangiger Ziele (Ziele 1 bis 6), von denen einige gruppenspezifischen, andere regionalspezifischen Charakter haben. Mittel für die Ziele 3, 4 und 5a können von allen Regionen gleichermaßen, allerdings nur für bestimmte Gruppen beantragt werden. Umgekehrtwerden Mittel aus den Zielen 1, 2, 5b und 6 gruppenunabhänig, aber nur für ganz bestimmte Regionen gewährt. Einzelne Ziele können dabei aus verschiedenen Fonds gefördert werden.
Mittel für die Ziele 3 (Bekämpfung der Langzeit-arbeitslosigkeit und Erleichterung der Eingliederung von Jugendlichen in das Erwerbsleben), 4 (Erleichterung der Anpassung der Arbeitskräfte an die industriellen Wandlungsprozesse und an Veränderungen der Produktionssysteme) und 5a (Anpassung der Agrarstrukturen sowie Hilfe zur Modernisierung und Umstrukturierung der Fischerei) können von allen Regionen gleichermaßen, allerdings nur für bestimmte Gruppen (z. B. Arbeitslose, Jugendliche usw.), beantragt werden. Umgekehrt werden Mittel aus den Zielen1 (Entwicklung und Strukturanpassung von Regionen mit Entwicklungsrückstand), 2 (Umstellung von Gebieten, die von einer rückläufigen industriellen Entwicklung schwer betroffen sind), 5b (Entwicklung und Strukturanpassung des ländlichen Raums) und 6 (Förderung der Entwicklung von extrem dünnbesiedelten Regionen) gruppenunabhängig, aber nur für ganz bestimmte Regionen gewährt.
Im Rahmen der Agenda 2000 sind hier verschiedene Reformen verabschiedet worden, unter anderem eine Reduzierung der Förderziele von bisher sieben auf künftig drei. Das neue Ziel 1 faßt dabei die bisherigen Ziele 1 und 6 unter einem Dach zusammen, das neue Ziel 2 die bisherigen Ziele 2 und 5b. Innerhalb des neuen Ziels 2 können künftig nur noch 18 Prozent der EU-Bevölkerung gefördert werden (davon zehn Prozent in industriellen Problemgebieten, fünf Prozent in ländlichen Regionen, zwei Prozent in städtischen Problemzonen und ein Prozent in Fischereiregionen). Da nach den Berechnungen der EU-Kommission in Zukunft im Rahmen von Ziel 1 (neu) nur noch 23, 5 Prozent der EU-Bevölkerung in den Genuß von Fördermitteln kommen werden, wurde die EU-weit unter regionalspezifischen Zielen maximal förderfähige Bevölkerung damit von bislang 51, 6 auf künftig 41, 5 Prozent reduziert. Neben der EU-weiten Bevölkerungshöchstgrenze wird beim neuen Ziel 2 auch für jeden Mitgliedstaat eine Bevölkerungsförderhöchstgrenze eingeführt. Diese wird anhand der Arbeitslosigkeit insgesamt und der Langzeitarbeitslosigkeit außerhalb der unter Ziel 1 fallenden Regionen ermittelt. Wie bisher stellt die Kommission dann im Rahmen dieser Höchstgrenzen zusammen mit den Mitgliedstaaten ein Verzeichnis der unter Ziel 2 fallenden Gebiete auf. Dabei müssen grundsätzlich mindestens 50 Prozent der in einem Mitgliedstaat unter Ziel 2 fallenden Bevölkerung nach sogenannten „harten Kriterien“ ausgewählt werden. Diese harten Kriterien stellen überwiegend auf eine im Gemeinschaftsvergleich überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit in den betreffenden Regionen ab, egal ob es sich dabei um städtische, ländliche oder industrielle Gebiete handelt
Ein direkter Zusammenhang zwischen EU-Strukturförderung und staatlichen Regionalbeihilfen bestand bislang nur darin, daß Strukturfondsmittel von einzelnen Mitgliedstaaten bzw. Regionen herangezogen wurden, um staatliche Regionalbeihilfen kofinanzieren zu können. Dies geschah zudem nur in einem relativ geringen Ausmaß. Seit 1996 hat die Kommission jedoch verschiedene Anstrengungen unternommen, um zu einer besseren Kohärenz zwischen Regionalbeihilfe-und EU-Strukturfondsgebieten zu kommen.
Hintergrund für die gewünschte Kohärenz waren politische und wirtschaftliche Gründe. Zum einen ließen sich EU-Strukturförderung und staatliche Beihilfen durch die Beteiligung mehrerer Akteure mit unterschiedlichen Befugnissen, Zielen und Zeitplänen nur schwer koordinieren. Dies war von regionalen und lokalen Behörden sowie vom Europäischen Parlament beanstandet worden. Zum anderen sah die Kommission ein Problem darin, daß die Strukturfonds in Nichtbeihilfegebieten keine Investitionen von Großunternehmen anziehen konnten. Diese könnten jedoch, so zumindest die Vermutung, einigen Großunternehmen den Zugang zum Weltmarkt und damit eine bessere Regionalentwicklung eröffnen
Die Fördergebiete der regionalen Beihilfen und die Fördergebiete der EU-Strukturförderung divergieren in der EU, insgesamt gesehen, auf den ersten Blick bereits jetzt nicht sonderlich (Tabelle 2). Über die Hälfte der EU-Bevölkerung (50, 6 Prozent) lebt in Regionen, die im Rahmen der regionalen Ziele der Strukturfonds förderberechtigt sind, und 46, 7 Prozent der Bevölkerung sind durch nationale Regionalbeihilfen abgedeckt.
In Westdeutschland umfaßte das EU-Fördergebiet 1997 etwa 25 Millionen Einwohner, was einem Anteil der förderfähigen Bevölkerung von 39, 3 Prozent entspricht. Im GRW-Gebiet lebten zum Vergleich nur gut Millionen Einwohner (20, 8 Prozent). In Ostdeutschland entsprechen beide Größen hundert Prozent. In Bayern sind alle GA-Gebiete gleichzeitig auch EU-Regionalfördergebiete, während nur 50 Prozent der EU-Regionalfördergebiete auch GA-Fördergebiete sind.
In ihrer Mitteilung über die Regional-und die Wettbewerbspolitik hatte die Kommission eine Kohärenz zwischen den neuen Ziel-2-und den Artikel-92, 3c-Gebieten angestrebt, d. h. die Aufnahme nur solcher Regionen, für die sich der Mitgliedstaat verpflichtet hat, sie auch in die Liste der Fördergebiete einzubeziehen, die er im Rahmen von Art. 92, 3c der Kommission notifiziert. In gut begründeten Ausnahmefällen sollten auch andere Regionen im neuen Ziel 2 aufgenommen werden können, allerdings wären Ausnahmen auf maximal zwei Prozent der Bevölkerung (außerhalb von Ziel-l-Gebieten) begrenzt gewesen. Für die gesamte Bundesrepublik wären dies etwa 1, 3 Millionen Menschen gewesen. Die Kommission hätte diese Regelung auch gerne in der neuen Strukturfondsverordnung verankert gesehen, um ihr damit Rechtswirksamkeit zuteil werden zu lassen. Dies ist ihr jedoch nicht gelungen. Stattdessen ist jetzt nur noch ganz allgemein von einer wünschenswerten größeren Kohärenz die Rede.
Abseits vom konkreten Tagesgeschehen stellt sich grundsätzlich die Frage, ob eine stärkere Kohärenz dieser Fördergebiete wünschenswert wäre. Auf den ersten Blick tragen regionalpolitisch motivierte Beihilfen grundsätzlich wettbewerbsverfälschenden Charakter. Regionale Strukturpolitik -egal, ob von der EU oder von nationaler Seite -kann die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs jedoch auch verbessern. Für Unternehmen, die z. B. in aufgrund natürlicher Bedingungen benachteiligten Gebieten angesiedelt sind, können die Startchancen im Wettbewerb dadurch so verbessert werden, daß sie günstiger angesiedelten Unternehmen wirkungsvoll Konkurrenz machen können. Unter dem Aspekt eines effizienten Mitteleinsatzes werden für die EU nationale Beihilfen aber dann problematisch, wenn die gemeinschaftsweite Strukturpolitik Gefahr läuft, durch diese Beihilfen unterlaufen oder gar neutralisiert zu werden 13.
Die EU hat deshalb folgerichtig die Förderhöchstsätze für nationale Beihilfen gesenkt. Ein Ausgleich wirtschaftlicher Unterschiede zwischen Regionen eines reichen Mitgliedstaates mit dessen eigenen Mitteln kann unter dem Gemeinschaftsaspekt ebenfalls als Verschärfung der Unterschiede in der Gemeinschaft und damit als Konterkarierung der EU-Förderpolitik gesehen werden. Es ist also zunächst grundsätzlich verständlich, daß die Kommission mit der angestrebten größeren Kohärenz zwischen Regional-und EU-Strukurbeihilfen versucht hat, die Beihilfenkontrollpolitik stärker in den Dienst ihrer gemeinschaftsweiten Kohäsionspolitik zu stellen. Ein solches Vorhaben ist jedoch nicht unproblematisch, und zwar aus zwei Gründen. Erstens ist zu befürchten, daß eine Einschränkung des Abbaus regionaler Unterschiede innerhalb einzelner Mitgliedstaaten durch eigene Mittel langfristig zu einer Nivellierung der wirtschaftlichen Leistungskraft aller Gemeinschaftsregionen mit einer Senkung des Gesamt-durchschnitts nach unten führt (was nicht im Sinne des Erfinders sein kann) Zweitens darf der Subsidiaritätsaspekt nicht vergessen werden. Eine Konterkarierung von Fördermaßnahmen findet nicht nur durch eine nationale Förderung außerhalb von EU-Förderregionen statt, sondern natürlich auch umgekehrt. Die strikte Anwendung des Subsidiaritätsprinzips würde deshalb eigentlich nur eine stärkere Anpassung der EU-Fördergebiete an die nationalen Gebiete erlauben, aber nicht umgekehrt.
Einige Kritiker sind deshalb der Ansicht, daß die Kommission mit einer stärkeren Kohärenz nur den innerstaatlichen Ausgleich behindert, ohne dem suprastaatlichen Ausgleich näher zu kommen, und daß sie aus den wettbewerbspolitischen Kontrollen zunehmend ein regionalpolitisches Koordinierungsinstrument macht, das als selbständiges Feinsteuerungsinstrument nurmehr geringen Bezug zum Wettbewerbsrecht hat. In der Tat erscheint die Festsetzung einer Abweichungsmarge zwischen nationalen und EU-Fördergebieten von zwei Prozent als erstens willkürlich gewählt und zweitens als die nationalen Förderspielräume übermäßig einengend.
III. Die Auswirkungen der Reformen am Beispiel Bayerns
Abbildung 3
Tabelle 2: Kohärenz zwischen Gebieten nationaler Beihilfen und EU-Fördergebieten (Prozentsatz der Gemeinschaftsbevölkerung) Quelle: Vgl. Schaubild 1.
Tabelle 2: Kohärenz zwischen Gebieten nationaler Beihilfen und EU-Fördergebieten (Prozentsatz der Gemeinschaftsbevölkerung) Quelle: Vgl. Schaubild 1.
Das Bundesland Bayern befindet sich förderpolitisch aus seiner Sicht in einer doppelt schweren Situation. Die Regierungsbezirke Ober-und Unterfranken grenzen an die neuen Bundesländer, die sowohl GRW-als auch Strukturfonds-Höchstfördergebiet sind; die Bezirke Oberpfalz und Niederbayern grenzen an Tschechien, das nach einem EU-Beitritt ebenfalls sowohl nationale als auch EU-Höchstfördersätze aufweisen wird. Hinzu kommen schon jetzt die niedrigen Lohnkosten Tschechiens. Erste Erfahrungen zeigen, daß diese Situation durchaus nicht logisch zwingend dazu führt, daß (in der Nettobetrachtung) Billigarbeitskräfte importiert oder Betriebsstätten exportiert werden und dadurch die Arbeitslosigkeit in den bayerischen Grenzregionen steigt. Unabhängig davon ist die Bayerische Staatsregierung von den Negativauswirkungen dieses Fördergefälles fest überzeugt. In ihren Augen wird Bayern auch einer der Hauptverlierer der Reform der Strukturfonds und der Beihilfenkontrolle sein. Einzelne Vertreter der Bayerischen Staatsregierung haben in diesem Zusammenhang sogar behauptet, Bayern würde durch die Reformen fast alle seine Förderregionen, inklusive der bayerischen Grenzregionen, verlieren, weil -bei den Auswahlbedingungen für die nationalen Fördergebiete und für die EU-Fördergebiete die EU-Kommission allein auf die Arbeitslosigkeit abstelle -zuerst das EU-Fördergebiet festgelegt und dann aufgrund eines „Kongruenzgebots“ das GA-Fördergebiet den EU-Zielgebieten angepaßt würde und nicht umgekehrt
Im ungünstigsten Fall könnte in Bayern nur noch Schweinfurt mit EU-Mitteln gefördert werden und die Schuld dafür, so zumindest der Grundtenor, liege bei der Kommission. In der Folge haben einige Bayerische Bezirks-und Kreistage Resolutionen verabschiedet, in denen sie die Kommission für ihre Reformvorhaben scharf verurteilten und die Staatsregierung dazu aufforderten, entsprechend bei der Kommission zu intervenieren. Dreizehn Regionen, die an die mittel-und osteuropäischen Beitrittsländer angrenzen, haben sich in einem „Hofer 20-Punkte-Katalog zur EU-Erweiterung“ im Juli 1998 ähnlich geäußert
Die Behauptungen der Staatsregierung über eingeschränkte Fördermöglichkeiten treffen in dieser Form aber nur eingeschränkt zu. Darüber hinaus sind diese auch nur zu einem geringen Teil von der Kommission zu verantworten.
Durch die Senkung des EU-weiten Bevölkerungsplafonds für Regionalbeihilfen von 46, 7 auf 42, 7 Prozent werden künftig zwangsläufig einige Regionen aus der Förderung herausfallen. Um dabei übermäßige Härten für die Mitgliedstaaten zu vermeiden, hat die Kommission in ihren Leitlinien für Regionalbeihilfen Übergangsbestimmungen und „Sicherheitsnetze“ vorgesehen. „Danach wird u. a. für Gebiete, die vom Status eines 92, 3a-Gebiets in den Status eines 92, 3c-Gebietes wechseln, eine Übergangsregelung gewährt (schrittweise statt sofortige Absenkung der Förderhöchstsätze) und die Gesamthöchstgrenze der förderfähigen Bevölkerung um nicht mehr als 25 Prozent der vorhergehenden Gesamthöchstgrenze gesenkt.“
Für die Bundesrepublik als Ganzes bedeutet dies also, daß sie, wie jedes andere EU-Land auch, mindestens drei Viertel der bisherigen Förderbevölkerung auch künftig fördern kann.
Nach einer Mitteilung der Kommission wird die GRW-Förderbevölkerung Gesamtdeutschlands jedoch nur von bislang 38, 1 auf künftig 34, 9 Prozent verkleinert, also weit weniger als ein Viertel. Da Ostdeutschland (mit Ausnahme von Gesamt-Berlin) hiervon nicht berührt ist, fällt diese Kürzung vollständig zu Lasten des westdeutschen Fördergebiets, wo die förderfähige Bevölkerung von 8 auf 17, 6 Prozent (inklusive Gesamt-Berlin) gekürzt wird.
Ursprünglich hätte Westdeutschland nach den Kommissionskriterien zur Berechnung des Bevölkerungsplafond sogar Anspruch auf einen Plafond von 23, 4 Prozent gehabt. Um bestimmten Ländern nicht mehr als 25 Prozent der förderfähigen Bevölkerung kürzen zu müssen, wurde von der Kommission aber ein Korrekturverfahren angewandt, nach dem Westdeutschland nur noch auf die besagten 17, 6 Prozent gekommen ist. Die Bundesregierung und der Planungsausschuß sehen diese Korrektur in Einzelfällen als ungerechtfertigt an und fordern deshalb wieder die (vorübergehende) Erhöhung des Bevölkerungsplafonds für die gesamte EU. Vorsorglich hat der Planungsausschuß Ende März beschlossen, bei der Kommission die ursprünglich errechnete Gebietskulisse von 23, 4 Prozent einzureichen 20. Streitigkeiten (bis hin zu einem formellen Vertragsverletzungsverfahren) sind damit vorprogrammiert, Erhöhungen des westdeutschen Bevölkerungsplafonds über 17, 6 Prozent hinaus aber auch nicht grundsätzlich ausgeschlossen.
Selbst wenn die 23, 4 Prozent Bevölkerungshöchstgrenze von der Kommission akzeptiert würde, hätte Bayern nach dem Gebietsauswahlverfahren der GRW allerdings einen Verlust von knapp einem Drittel seiner Förderbevölkerung zu beklagen, vor allem in der Oberpfalz. Daß es trotz einer Ausweitung der förderfähigen Bevölkerung auf 23, 4 Prozent dazu gekommen ist, hängt daran, daß diese Arbeitsmarktregionen in den letzten Jahren im Vergleich zum Rest der Bundesrepublik wirtschaftlich erheblich aufgeholt haben. Diese Gebiete wären also vollkommen unabhängig von einer Reform der EU-Beihilfenkontrolle aus der nationalen Förderung herausgefallen. Würde die Kommission den Bevölkerungsplafond von 17, 6 Prozent durchsetzen, würden in Bayern noch einmal etwa 250 000 Menschen aus der GRW-Förderung herausfallen, so daß von der förderfähigen Bevölkerung'der letzten Planungsperiode (1, 6 Millionen) nur noch die Hälfte übrigbleiben würde.
An dieser Stelle ist es wichtig zu betonen, daß daran nicht die Kommission schuld wäre. Denn die Kriterien für die Auswahl der Fördergebiete sind -ganz im Sinne der Subsidiarität -vom Planungsausschuß, also einem innerdeutschen Bund-Länder-Gremium, festgelegt worden und nicht von der Kommission. Diese hat lediglich Bestimmungen erlassen, die für alle Mitgliedstaaten gleichermaßen gelten, und somit nicht einseitig in das Subsidiaritätsprinzip eingegriffen. Ähnlich stellt sich die Situation bei der EU-Förderung dar. Um die Härte des Übergangs bei den künftig aus der EU-Förderung herausfallenden Gebieten zu mindern, sieht die neue Strukturfondsverordnung ebenfalls Übergangsbestimmungen und „Sicherheitsnetze“ vor. Danach -werden Ziel-l-Gebiete, die künftig nicht mehr als solche behandelt werden, bis Ende 2005 eine Übergangsunterstützung erhalten. Das gleiche gilt für ehemalige Ziel-2-oder Ziel-5bGebiete (sogenanntes „phasing-out“).
-können auch mehr als 50 Prozent der in einem Mitgliedstaat unter Ziel 2 fallenden Bevölkerung nach „weichen“ Kriterien, also Kriterien, bei denen die überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit nicht das vorrangige Abgrenzungskriterium darstellt, gefördert werden, wenn diese „Ausnahmen durch objektive Umstände begründet sind“.
-soll die höchstmögliche Veringerung der vom neuen Ziel 2 betroffenen Bevölkerung in einem Mitgliedstaat nicht mehr als ein Drittel der von den alten Zielen 2 und 5b im Jahre 1999 betroffenen Bevölkerung betragen (sogenanntes „safety net“)
Dadurch steht zunächst einmal nur fest, daß die Bundesrepublik als Ganzes nicht mehr als ein Drittel seiner förderfähigen Bevölkerung verlieren wird. Da die ostdeutschen Bundesländer ihren Ziel-l-Status (mit Ausnahme Ostberlins) auch künftig behalten, werden von der Kürzung in Deutschland Ziel-2-und Ziel-5b-Gebiete in Westdeutschland betroffen sein. Die Kommission hat in einer ersten bilateralen Mitteilung den Bevölkerungsplafond für das neue Ziel 2 in Westdeutschland (inklusive Gesamtberlin) auf 10, 2 Millionen Einwohner festgelegt. Bislang waren dies im Rahmen von Ziel 2 und Ziel 5b 14 Millionen gewesen Welche Auswirkungen genau diese Konzentration der Fördermittel auf Bayern als Ganzes und auf seine Regionen im einzelnen haben wird, ist zunächst noch nicht abzusehen. Die Entscheidung darüber fällt, wie bei den GRW-Gebieten auch, nicht bei der Kommission, sondern -wiederum nach dem Subsidiaritätsprinzip -in Verhandlungen der Länder untereinander, und zwar voraussichtlich Ende Mai im Rahmen der Wirtschaftsministerkonferenz. Von einer proportionalen Kürzung ausgehend, würde Bayern auf keinen Fall mehr als ein Drittel der Förderbevölkerung verlieren. Die proportionale Kürzung müßte von Bayern in der Wirtschaftsministerkonferenz allerdings erst noch durchgesetzt werden. Sie hätte hierzu weit mehr Verhandlungsspielraum als bei den GRW-Gebieten.
Die Staatsregierung hat allerdings der Tatsache, daß es im wesentlichen in ihrem Verhandlungsgeschick liegt, welche Region weiter gefördert wird und welche nicht, in den letzten Monaten stets mit dem Hinweis auf eine von der Kommission angestrebte Kongruenz, also eine vollkommene Übereinstimmung, zwischen den Gebieten, die mit EU-Mitteln, und den Gebieten, die aus GRW-Mitteln gefördert werden, widersprochen. Dies ginge auch deshalb besonders auf Kosten von Bayern, weil die Gebietsförderung der EU sich künftig nur noch an der Arbeitslosenquote orientieren würde. Dem ist jedoch nicht so. Die Arbeitslosigkeit ist nicht das einzige Kriterium für die Auswahl der deutschen (und damit auch der bayerischen) Fördergebiete durch die EU, und durch das bereits erwähnte Sicherheitsnetz kann Bayern grundsätzlich weit mehr als 50 Prozent seiner geförderten Bevölkerung nach „weichen“ Kriterien fördern, bei denen die Arbeitslosigkeit keine oder nur noch eine untergeordnete Rolle spielt.
Schließlich werden gemäß den Kommissionsvorschlägen zuerst die nationalen Fördergebiete von den Mitgliedstaaten festgelegt und erst danach wird, wenn überhaupt, von der Wirtschaftsministerkonferenz die Kohärenz mit den EU-Fördergebieten hergestellt, nicht umgekehrt. Genau danach sieht es im Moment auch aus. Um dem Wunsch aller Länder nach einer größeren Kohärenz zwischen nationalen und EU-Fördergebieten (um die Konterkarierung der nationalen Förderung zu verhindern) nachzukommen, werden die EU-Fördergebiete nach Angaben aus dem Bundeswirtschaftsministerium voraussichtlich nach einem abgestuften Verfahren ausgesucht. Zunächst sollen diejenigen Gebiete in die Anmeldung einbezogen werden, die auch GRW-Gebiete sind, dann diejenigen Gebiete, die zwar keine GRW-Gebiete sind, aber die sogenannten „harten“ Kriterien der EU erfüllen (in Bayern wäre das Schweinfurt), und dann erst diejenigen Gebiete, die weder GRW-Gebiete sind noch den harten Kriterien entsprechen. Ohne Zweifel kommt der Bayerischen Staatsregierung das Verdienst zu, auf einen nicht unbedeutenden Zusammenhang zwischen den Reformen bei der EU-Strukturförderung und der nationalen Regionalförderung hingewiesen zu haben. Die Darstellung dieses Zusammenhangs sowie der negativen Folgen der Reformen in der Struktur-und Beihilfenpolitik erweist sich bei näherer Betrachtung jedoch als nicht haltbar, besonders was die Zuweisung von Verantwortlichkeiten betrifft. Es stellt sich die Frage, wie die Bayerische Staatsregierung -in Europafragen in der Regel hervorragend informiert -zu den oben angeführten Aussagen kommen konnte. Die Erklärung hierfür findet sich in politökonomischen Gründen und in der Komplexität der Materie. Das Themengebiet Regionalförderung bot (und bietet) sich für die Staatsregierung als gute Möglichkeit an, für vermeintlich negative Auswirkungen der Agenda 2000 und der Beihilfenkontrolle ausschließlich „Brüssel“ (bzw. mittlerweile auch die rot-grüne Bundesregierung) verantwortlich zu machen und sich als Fürsprecher der in Bayern traditionell starken regionalen Eigenständigkeit zu profilieren. EU-Beihilfenkontrolle und EU-Strukturförderung sind damit ein sehr gutes Beispiel dafür, wie es im europäischen Mehrebenensystem durch komplizierte und intransparente Verfahrensregelungen aus polit-ökonomischen Gründen zur Verschiebung von Verantwortlichkeiten von der nationalen bzw. regionalen auf die europäische Ebene kommen kann.
IV. Schlußbemerkung
Zu einschneidenden Veränderungen bei der EU-Strukturförderung, die Ende März auf dem EU-Gipfel in Köln beschlossen wurden, sind im letzten Jahr mindestens ebenso bedeutende Veränderungen im Bereich der staatlichen Beihilfenkontrolle getreten. Die Reformen in diesen beiden Bereichen werden die Möglichkeiten regionaler Wirtschaftsförderung in Westdeutschland zum Teil erheblich einschränken, u. a. in Bayern. Bestrebungen der Kommission, eine größere Kohärenz zwischen beiden Politikfeldern herzustellen, waren nicht von großem Erfolg gekrönt. Dies ist -aus grundsätzlichen Erwägungen heraus -nicht unbedingt von Nachteil. Problematisch ist jedoch die durch die Komplexität beider Materien verursachte Intransparenz von Verfahren und Verantwortlichkeiten im europäischen Mehrebenensystem. Diese erlaubt es einzelnen Akteuren, politisch unliebsame Entscheidungen und Maßnahmen, die eigentlich in den eigenen Verantwortungsbereich fallen, auf die europäische Ebeneabzuschieben und diese als „Sündenbock“ zu mißbrauchen. Eine Lösung dieser (Transparenz-) Problematik erscheint nur schwer möglich. Sie ginge entweder zu Lasten des Subsidiaritätsgedankens (im Extremfall verteilt nur noch die europäische Ebene Regionalbeihilfen) oder zu Lasten eines effizienten Einsatzes knapper Ressourcen (nur noch die nationale bzw. regionale Ebene wäre für Regionalbeihilfen und Wettbewerbskontrolle zuständig). Beides erscheint nicht sehr attraktiv, so daß regionale Beihilfen auch künftig in einem Spannungsfeld zwischen Intransparenz, (In-) Effizienz und Subsidiaritätsgedanken angesiedelt sein werden.
Thomas Dietz, Dr. rer. pol., geb. 1965; Fachreferent für Wirtschafts-und Europapolitik im Bayerischen Landtag. Veröffentlichungen u. a.: Die grenzüberschreitende Interaktion grüner Parteien in Europa, Opladen 1997; Die politische Instrumentalisierung der Wirtschafts-und Währungsunion und ihre übersehenen Chancen, in: Regina Stötzel (Hrsg.), Ungleichheit als Projekt. Globalisierung -Standort -Neoliberalismus, Marburg 1998; (zus. mit Thomas Sauer) Der „Club“ der Internationalen -Die Grünen ante portas, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, (1999) 2.
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