Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Objektkultur und DDR-Gesellschaft. Aspekte einer Wahrnehmung des Alltags | APuZ 28/1999 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 28/1999 Objektkultur und DDR-Gesellschaft. Aspekte einer Wahrnehmung des Alltags „Mehr produzieren, gerechter verteilen, besser leben“ Konsumpolitik in der DDR Jugendbrigaden im Fabrikalltag der DDR 1948-1989 Rockmusik in der DDR. Politische Koordinaten und alltägliche Dimensionen

Objektkultur und DDR-Gesellschaft. Aspekte einer Wahrnehmung des Alltags

Andreas Ludwig

/ 24 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Objektkultur der DDR bietet einen spezifischen Zugang zu ihrer Alltags-und Sozialgeschichte. Als bislang weitgehend vernachlässigter Quellenbestand vermag sie Fragestellungen an Lebensweise, alltägliche Praxis und Erfahrungsgeschichte zu vermitteln. Anhand verschiedener Beispiele zeigt der Beitrag Deutungsdimensionen von gesellschaftlicher wie persönlicher Geschichte auf, die sich über Objekte, Anschauung und Kommentierung vermitteln. Gefragt wird nach Sprache und Ästhetik der Alltagskultur, nach biographischen Dimensionen sowie der Spezifik und Vergleichbarkeit der DDR-Objektwelt mit derjenigen der „alten“ Bundesrepublik. Die DDR-Objektkultur wird an einigen Orten der Öffentlichkeit in Form musealer Ausstellungen präsentiert. Sie trägt damit zur Veranschaulichung von alltäglichen Lebensverhältnissen in der DDR bei. Darüber hinaus können Ähnlichkeiten wie Unterschiede zur Konsumwelt und zum Alltagsverhalten in der „alten“ Bundesrepublik dargestellt werden. Voraussetzung für die Aneignung der Alltagskultur unter historischer Perspektive ist deren vorsorgende Sicherung und Bewahrung in Museen und Sammlungen. Der Beitrag argumentiert vor dem Hintergrund und den Erfahrungen mit einer solchen Sammlung: dem „Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR“ in Eisenhüttenstadt.

Glaubt man professionellen Beobachtern, die sich im Osten Deutschlands umtun, so läßt sich die DDR auch noch im Jahr zehn nach der „Wende“ erspüren, läßt sich aus Architektur, Gerüchen und Interieurs ein spezifisches DDR-Gefühl (wieder-) herstellen, das, je nach Lebensort, Fremdheit oder Wiedererkennen provoziert -so jedenfalls der Kommentar eines Kulturjournalisten aus Anlaß eines Berichtes über eine Ausstellung in Eisenhüttenstadt Damit ist ein Spannungsverhältnis benannt, das die Jahre seit dem Ende der DDR gekennzeichnet hat und wohl auch noch künftig latent mitbestimmen wird: das zwischen Geschichte und gelebtem Leben, zwischen Historizität und Erfahrung.

In diesem kulturellen und zugleich eminent politischen Raum vollzieht sich die Erforschung der DDR auf breiter Basis und in außergewöhnlich starkem Maße unter Beobachtung der Öffentlichkeit. Bereits Ende 1993 ergab eine Übersicht mehr als 750 Forschungsprojekte zur DDR-Geschichte ihre Zahl dürfte seitdem noch gestiegen sein, selbst wenn man von den zahlreichen Studien zur Transformation der ostdeutschen Gesellschaft hier einmal absieht. Der Deutsche Bundestag hat über zwei Legislaturperioden Enquete-Kommissionen eingerichtet die sich mit der Geschichte der DDR befaßten und die in der inzwischen erfolgten Gründung der „Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“ mündeten, auch, um eine Kontinuität in der Beschäftigung mit der Vergangenheit zu erreichen. Schließlich sei auf die Medien hingewiesen, die teils kontinuierlich, teils anlaßbezogen das Thema DDR darstellen. Im Fernsehen des Ostdeutschen Rundfunks Brandenburg (ORB) wird täglich die „Aktuelle Kamera“, das Nachrichtenmagazin des DDR-Fernsehens, im Abstand von exakt zehn Jahren wiederholt, im Dritten Fernsehprogramm des Senders Freies Berlin laufen Wiederholungen der DDR-Krimiserie „Polizeiruf 110“, und aus Anlaß des 50. Jahrestages der beiden deutschen Staatsgründungen 1949 nimmt auch in den Printmedien die Zeitgeschichte der DDR eine prominente Stellung ein

Soviel Geschichte war nie, könnte anhand dieser Beobachtungen behauptet werden, wobei es sich lediglich um wenige Beispiele handelt, um die Spannbreite der öffentlichen Aufmerksamkeit zu benennen. Dennoch weist die Beschäftigung mit der jüngsten Vergangenheit Disproportionen auf, von denen zumindest zwei markante hier benannt werden sollen: Die erste betrifft die vorrangige Beschäftigung mit der DDR, deren Ende einen regelrechten Forschungsboom ausgelöst hat, der aber eine gleichrangige Beschäftigung mit der „alten“ Bundesrepublik zur Zeit nicht in gleichem Maße gegenüber zu stehen scheint; ob das diesjährige Jubiläum der Staatsgründung einen zumindest partiellen Ausgleich schaffen wird, bleibt abzuwarten. Die zweite Disproportion betrifft die Verteilung der Themenfelder bei der Beschäftigung mit der DDR. Es überwiegen bei weitem Themen der politischen Geschichte, während Fragen der Sozial-und der Alltagsgeschichte eher am Rande stehen So wird vor allem die Alltagsgeschichte in Übersichtsdarstellungen zur DDR-Geschichte entweder nur als kursorischer Appendix gefaßt oder sie fungiert als lebensweltlich bestimmte Kommentarschiene zu einer breiteren historischen Darstellung oder sie erscheint lediglich als Reaktion auf die Zumutungen politischen Herrschaftsanspruchs Hinter dieser insgesamt kritischen Bilanz steht die Erwartung, daß gerade auch die Beschäftigung mit dem Alltag geeignet ist, die inneren Funktionsmechanismen einer Gesellschaft beschreiben zu können. Darum soll es im folgenden gehen.

Zunächst ist eine begriffliche Klärung angebracht, denn „Alltag“ ist eine äußerst diffuse Kategorie, die sich eher in Gegensätzen -das Alltägliche im Gegensatz zum Besonderen -als mit analytischen Kriterien fassen läßt. Was zunächst wie eine begriffliche „Verlegenheitslösung“ aussieht, erweist sich als Gang in das „Landesinnere der Geschichte“, dessen Ziel die Erforschung der kulturellen Praxis der Subjekte ist Erfahrungen, Mentalitäten, Geschlechterverhältnisse, Widerständigkeit gegen Zumutungen, die dem eigenen Lebensentwurf entgegenstehen, Aushandeln von Machtverhältnissen im kleinen gehören deshalb zu den wichtigsten Themen der Alltagsgeschichte. „Alltagskultur" dagegen bezieht sich auf einen Teilaspekt des historischen Alltags: Gemeint sind hier die Gegenstände des Alltags, die materiellen Sachzeugen einer Kultur und einer Gesellschaft, wie sie alltäglich gebraucht, erkannt und gedeutet, und wie sie nachträglich in den Museen bewahrt werden. Gemeint ist also ein Aspekt von Kultur nämlich ihre materiellen Spuren, die auf ihre Bedeutungen für Kultur und Gesellschaft hin befragt werden können eine Sachkultur der Alltagsdinge, die „unter Einbezug der zugehörigen Handlungsfelder“ Aufschluß über gesellschaftliche Prozesse und alltägliche Praktiken geben können

Die Ästhetik des Alltags

Die Produktkultur der DDR ist aus der Öffentlichkeit beinahe vollständig verschwunden. Nur aufmerksame Beobachter registrieren „Straßenmöbel“ als öffentliche Gestaltung des Wohnumfeldes, finden an Brandmauern und auf Dächern letzte Überreste von Produktwerbung. Ihre Einbindung in ihre ursprüngliche Umgebung zu Zeiten der DDR ist kaum noch erkennbar und kann heute zumeist nur noch anhand von Fotografien rekonstruiert werden.

Mit der in der DDR vor allem seit den siebziger Jahren sehr entwickelten sozialdokumentarischen Fotografie verfügen wir über eine Quelle, die soziale Zustände präzise zu erfassen gesucht hat, teils im Auftrag von Organisationen, teils aus privater Neigung. Es muß an dieser Stelle offen bleiben, warum die beobachtende Fotografie gerade in der DDR, sehr viel weniger aber in der Bundesrepublik bedeutsam wurde Bedacht werden müssen die Entstehungskontexte schon im Sinne der Quellenkritik, denn neben professionellen Fotografen waren auch zahlreiche Amateurgruppen beteiligt, und Fotografie wurde, als Medium der Selbstdarstellung der DDR auch nach innen genutzt Darüber hinaus ist die Fotografie heute eine Quelle ersten Ranges für die Erforschung der DDR-Alltagskultur. Themen des auf diese Weise dokumen-tierten Alltags waren die Städte der DDR Portraits von Menschen die Arbeitswelt, die überbordende Verbreitung der Herrschaftssymbolik von Partei und Staat und anderes mehr

Entstand die sozialdokumentarische Fotografie aus den Alltagskontexten der DDR heraus, die sie mit ästhetischen Mitteln zu beschreiben und durchaus in die damalige politische Diskussion einzubringen suchte, so ist die Aufmerksamkeit für die Objektwelt der DDR über einen engeren fach-wissenschaftlichen Kontext hinaus eher eine Entwicklung der Zeit nach 1989. Sie spiegelt zunächst eine Sensibilität für eine im Westen Deutschlands fremde Ästhetik, die durch erfolgreiche Publikationen und Ausstellungen dem Publikum bekannt wurde

Inwieweit die Ästhetik der Alltagsobjekte in der DDR im allgemeinen selbst wahrgenommen wurde, ist dagegen noch weitgehend ungeklärt. Ganz sicher hatten Fragen der Gestaltung von Alltagsobjekten bereits frühzeitig eine große wirtschaftspraktische wie kulturpolitische Bedeutung. Bereits 1950 nahm sich das Institut für industrielle Formgestaltung des Industriedesigns an später wurden gestalterische Fragen in der Zeitschrift „form + zweck“ intensiv diskutiert, vergab die DDR einen Design-Preis Dabei wurde der westliche Begriff des Designs bis in die achtziger Jahre hinein vermieden und durch den Begriff der „Formgestaltung“ ersetzt. Die intendierte gesellschaftliche und kulturelle Eigenständigkeit äußerte sich in gebrauchswertorientierten Vorstellungen den Gegenständen sollten distinguierende Eigenschaften fehlen.

Kulturpolitische Interventionen wie im Rahmen der Formalismus-Debatte zu Beginn der fünfziger Jahre, die Orientierung an ausländischen Design-entwicklungen, aber auch produktionspraktische Erwägungen und Zwänge sorgten immer wieder für Irritationen. Zugleich wurde der Formgestaltung ein hoher kulturpädagogischer Wert beigemessen, der unter anderem anhand der Zeitschrift „Kultur im Heim“ nachvollzogen werden kann Inwieweit die Vorstellungen adäquater Kultur-adaption im Bereich des Alltäglichen wirksam geworden sind, kann noch kaum beantwortet werden. Angesichts beschränkter finanzieller Mittel muß gerade beim Erwerb von hochwertigen Gebrauchsgütern wie Möbeln eher von einer langfristigen Mischung unterschiedlicher Stile ausgegangen werden -ganz zu schweigen von den Beschränkungen, die den Konsumenten durch die Produktion selbst und die Bedingungen des industriellen Wohnungsbaus auferlegt wurden.

Objekt und Biographie

Erste Anhaltspunkte geben auch hier wieder Fotografien Mehr über die Bedeutung der Objekt-welt für den Alltag erfährt man durch Befragun-gen und Interviews, die einen lebensweltlichen Kontext eröffnen können. Der erste dieser Kontexte liegt in den Gebrauchswerteigenschaften der Objekte: . das ist ein ganz simples Grillgerät ohne Motor, d. h., wenn Sie den Spieß benutzt haben, dann mußten Sie den drehen bis die Gans fertig war. Ging aber bloß mit Hähnchen .. . Vor allen Dingen kann man nicht das Huhn braten und gleichzeitig rühren, sonst brannte das sofort an. Sagen wir mal so, es war eine DDR-Neuerung zur Belastung der Hausfrau.“

Anhand dieser Äußerung über einen ganz banalen Haushaltsgegenstand wird schlaglichtartig deutlich, daß Objekte Informationen in sich tragen. die über die äußere Wahrnehmung weit hinausgehen. Die Dimension solcher auf den ersten Blick lakonischen Hinweise zeigt sich, wenn man die Frage nach den Alternativen stellt: Ein Motorgrill war offensichtlich nicht verfügbar, man war dem unvollkommenen Gerät ausgeliefert, was durch die ironische Haltung in der Erzählweise zum Ausdruck gebracht wird. Bleibt die Frage, warum ein Gerät mit Funktionsmängeln über lange Jahre im Haushalt verwahrt wurde. Dem Objekt haftet offensichtlich eine Bedeutung an, die über die reinen Gebrauchswerteigenschaften hinausgeht. Die Gründe dafür können unterschiedlich sein: der Preis, die Umstände des Erwerbs, die sich in der DDR deutlich komplizierter darstellten als in einer auf Massenkonsum hin orientierten westlichen Gesellschaft und die damit im Gedächtnis haften geblieben sind, möglicherweise die Einstellung zum Besitz überhaupt.

In objektzentrierten Interviews scheinen diese Zusammenhänge in verschiedener Kombination auf. Die hier zitierte Passage stammt aus einem Interview, das anläßlich einer Abholung von Alltagsgegenständen für ein Museum geführt wurde. Dabei war es den Interviewten selbst überlassen, was sie über die einzelnen Gegenstände berichten wollten und wie weit die Erzählung führen sollte. Ganz wesentlich ist der mit dem Objekt verknüpfte biographische Bezug; die Gegenstände sind mit individueller Bedeutung „aufgeladen“, indem sie Anlaß zur Erinnerung bieten. Im gleichen Interview heißt es über ein Radio: „EAK Zwergsuper, der kommt aus Sonneberg, das war also unsere erste Anschaffung vom Stipendium beim Studium, das muß also ‘ 52 oder ’ 53 gewesen sein. Mein Mann und ich, wir hatten beide das gleiche Gerät.“

Das Radio als erste größere Investition bei knappem Geld gibt einen Hinweis auf die Konsum-Prioritäteneiner bestimmten Schicht zu einer bestimmten Zeit. Generationelle und schichten-spezifische Differenzierungen sind bei der Analyse der individuellen Einstellung zu den Objekten der Alltagskultur auf jeden Fall zu berücksichtigen. Die Einstellung zu langlebigen Gebrauchsgütern ist bei der Aufbaugeneration sicherlich mit der der entsprechenden Generation in der Bundesrepublik vergleichbar. Mit der zunehmend auf schnellen Wechsel orientierten Konsumstrategie des Westens seit den siebziger Jahren dürften allerdings zusätzliche Ost-West-Unterschiede eingetreten sein.

Was aus den Interviews heraus analysierbar wird, ist der Aspekt der Erfahrungsgeschichte, der alltagspraktischen Erläuterungen und lebensweltlichen Deutungen, der individuellen Interpretationen, überhaupt der Bedeutungszuweisungen in vielfältigen Schichtungen. Die an den Gegenstand gebundene Erfahrungsgeschichte zeigt, daß die Objektkultur zur Analyse einer Gesellschaft taugt, diese konkret erzählbar macht und nicht nur Abbild der materiellen Warenproduktion ist. Das vermutlich unspektakuläre Objekt der industriellen Massenkultur wird auf diese Weise „Dokument“, Träger biographischer wie geschichtlicher Bedeutungen.

Das Produkt und seine Sprache

Die Objektkultur äußert sich nicht nur in materieller äußerer Form, sondern auch auf einer sprachlichen Ebene. Hierzu gehört als auffälligstes Zeichen die Synonymität von Produktname und Produktgruppe, wie sie etwa für „Tempo“ gleich Zellulosetaschentücher, für „Tesa“ gleich Klebestreifen geläufig ist. Namenssynonyme waren auch in der DDR verbreitet, wobei an dieser Stelle vor allem auf sprachliche Unterschiede hingewiesen werden soll. Bekannt ist der Gebrauch des Sammelbegriffs Plaste für Plastik bzw. Kunststoff, aber auch für konkrete Produkte haben sich solche Unterschiede ausgeprägt und durch langjährigen Gebrauch verfestigt; so entspricht dem westdeutschen Overheadprojektor der „Polylux“. Auch die zunehmend eingeschränkte Produktvielfalt innerhalb einer Produktgruppe führte zu Synonymen: Kinderzahncreme ist „Putzi“. Am westdeutschen Beispiel „Hansaplast" orientiert ist der Name „Gothaplast“ für Pflaster.

Der Produktname soll Besonderheiten offenbaren. Eine eher zeittypische Auffassung spiegelt die Eindeutschung fremdsprachiger Wörter, mit deneneine Internationalität des Produkts angestrebt wurde. So hieß eine Pudercreme „täng", eine Kosmetikserie „Chance“, eine andere schlichtweg „Paris am Abend“ Ähnliches berichtet Annette Kaminsky über die Modellnamen von Damenoberbekleidung Die Gestaltung von Markennahmen changierte zwischen Assoziativem, etwa „Eva“ für Haarentfernungscreme oder „glätt“ für Frisiercreme, bis hin zu technischen Bezeichnungen. Rührgeräte etwa trugen die Produktbezeichnung RG, kombiniert mit verschiedenen Zahlen; eine Waschmaschine hatte die Typenbezeichnung WM 66. Solche produkttypischen Bezeichnungen finden sich auch bei den westdeutschen Konsumgütern.

In Ermangelung eines Marktes mit entsprechender Konkurrenz und großem Angebot, der eine Produktwerbung gerechtfertigt hätte, erscheint Werbung eigentlich als etwas Dysfunktionales. Vieles von der Auffassung der Hersteller über ihre Produkte transportierte sich daher in den beigelegten Produktbeschreibungen, die Gebrauch, Reparaturtips, gelegentlich auch Verzeichnisse der Reparaturbetriebe enthielten. Die Bedienungsanleitung der bereits erwähnten Waschmaschine WM 66 gibt Informationen über Herstellungsdatum, technische Besonderheiten, Bedienungshinweise, aber auch zum Umgang mit Wäsche. Sie vermittelt kulturhistorische Informationen über technischen Fortschritt, technische Probleme und Sauberkeitsvorstellungen. Die folgende Sequenz von Aussagen aus der Bedienungsanleitung von 1977 die Maschine war bereits elf Jahre in der Produktion, soll diese Dimensionen andeuten: „Für den Betrieb müssen Wasserablauf sowie ein elektrischer Anschluß vorhanden sein. Eine dauerhafte Aufstellung der Waschmaschine in der Nähe der Anschlüsse ist jedoch nicht erforderlich . . . Die Wäsche sollte weder durch allzu langen Gebrauch übermäßig verschmutzt sein noch wochenlang liegengelassen werden. Besser ist es, einmal mehr zu waschen . . . Sie können mindestens viermal mit der gleichen Lauge waschen. Stark verschmutzte Wäsche wird zum Schluß eingelegt . . . Bereits die erste Wäsche, auf die Sie sicher schon ungeduldig warten, wird Ihnen die große Leistung dieses kleinen Gerätes beweisen.“ Produktwerbung verbindet sich hier mit Erziehung zur Hygiene und elementaren Gebrauchshinweisen.

Ein weiteres Beispiel ist der Bedienungsanleitung des bereits erwähnten Handrühr-und Mixgerätes RG entnommen, die grundsätzlicher einleitet: „Die ständige Weiterentwicklung und Vervollkommnung elektrischer Küchengeräte hat das Ziel, der Hausfrau immer mehr Erleichterungen bei der täglichen Küchenarbeit zu bringen ... Das formschöne und moderne Gerät sollte in keinem Haushalt fehlen. Es ist an keinen Standort und an kein bestimmtes Gefäß gebunden.“ Allerdings galt es auch, technisch bedingte Einschränkungen zu machen: „Der auf dem Leistungsschild angegebene Vermerk , KB 10 min'bedeutet, daß Sie mit dem Gerät 10 Minuten lang ununterbrochen arbeiten können. Eine längere Betriebszeit könnte dem Motor schaden ... Die Leistung des Geräts ist auf 500 g ohne Zutaten abgestimmt.“

In direktem Zusammenhang mit der Produktwerbung standen die Schaufenstergestaltungen Das Schaufenster war Teil der ökonomischen und gesellschaftlichen Konkurrenz seit der Währungsreform von 1948 und blieb es bis 1961, als die Schließung der Grenzen den alltäglichen Besucherverkehr und damit einen täglichen Vergleich des Lebensniveaus unmöglich machte. Zugleich hatte das Schaufenster eine Funktion bei der Propagierung des sozialistischen Wirtschaftssystems nach innen: „In diesem Schaufensterwettbewerb soll der sozialistische Inhalt und Aufbau unseres Staates in Verbindung mit einer ausgezeichneten Warendarstellung gezeigt werden.“

Zwei Dimensionen scheinen auf: die ästhetische Warendarstellung, um Kaufanreiz wie auch Kauf-regulierung zu beeinflussen, aber auch die politische Propagierung des Warenangebots als Ausdruck der Erfolge staatlicher Politik. Bei letzterem wurden von den Werbeabteilungen der Handelsbetriebe zumeist Bild-Text-Tafeln mit Bezug auf aktuelle politische Kampagnen erstellt, etwa zum Karl-Marx-Jahr, zu Parteitagen der SED, zu Jahrestagen der DDR. Im ästhetischen Bereich der Warenpräsentation war -wie bereits in den späten zwanziger und frühen dreißiger Jahren -das „Stapelfenster“ besonders beliebt Seine rhythmische Darstellung von strukturierten Warenmassen suggerierte Dynamik und Fülle in einem.

Gestaltung im Vergleich

Ein oberflächlicher Vergleich der Produktgestaltung alltagskultureller Gegenstände aus der DDR und der Bundesrepublik ergibt erstaunliche Ähnlichkeiten. Aus westdeutscher Sicht werden DDR-Produkte des Alltags oft als dem Zeitgeschmack entsprechend und damit kaum von denen westdeutscher Herkunft unterscheidbar erlebt; gelegentlich gibt die Herkunft auch dem Kundigen Rätsel auf. Diese Ähnlichkeiten sind keineswegs zufällig sondern lassen sich aus der historischen Entwicklung erklären.

Aus wirtschaftshistorischer Sicht kann auf viele gemeinsame Wurzeln verwiesen werden: Durch die Teilung der Wirtschaftsgebiete nach dem Zweiten Weltkrieg lagen die Betriebsteile großer Wirtschaftsunternehmen in unterschiedlichen Besatzungszonen. Dies hatte zur Folge, daß sowohl Produkte wie Produktnamen zunächst identisch waren und sich erst schrittweise auseinanderentwickelten. Beispiel hierfür sind die Waschmittel des Henkel-Werkes in Genthin, die sich von ihrem westdeutschen Pendant zunächst nur durch den Zusatz im Herstellernamen „VEB“ unterschieden. Gleiches gilt für die Filme des Agfa-Werkes in Wolfen. Erst nach der gerichtlichen Klärung von Markenrechten ging die DDR dazu über, Markennamen zu ersetzen. Persil hieß jetzt Spee, Agfa wurde zu ORWO.

Auch aus ästhetischer Perspektive verliefen ost-und westdeutsche Entwicklungen lange Zeit parallel. Auch hier gab es zunächst einen gemeinsamen Ausgangspunkt, der sich vor allem an der Konsum-güterproduktion der Vorkriegszeit orientierte. Während der fünfziger Jahre war der Einfluß kunstgewerblicher Vorstellungen auf die Produktion von Alltagsgegenständen deutlich, in der DDR vor allem verstärkt durch den sogenannten Formalismus-Streit, der die internationale Moderne als unsozialistisch charakterisierte und für einige Jahre weitgehend aus Architektur, Bildender Kunst und ebenso aus der Produktgestaltung fernhielt. Gegen Ende der fünfziger Jahre, mit nur geringer zeitlicher Verzögerung zur Bundesrepublik, wurde das Dekor wieder zugunsten von

Funktionalität und Sachlichkeit zurückgedrängt. Architektur und Gebrauchsgegenstände entsprachen in den sechziger Jahren dem, was auch im Westen Mode war.

Heinz Hirdina beschreibt das Programm der DDR-Moderne dieser Zeit, indem er wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen in den Vordergrund rückt, in drei Punkten: Erstens seien, ausgehend vom Aspekt der Wirtschaftlichkeit der Produktion, neue Werkstoffe konzentriert eingeführt worden. Besonders das Chemieprogramm der DDR habe eine Fülle von Gebrauchsartikeln aus Kunststoff hervorgebracht. Zweitens habe man anstelle der Suche nach individueller Distinktion nun nach Formen der Übereinstimmung gesucht. Die sozialistische Lebensweise als Ausdruck der Überwindung von Gegensätzen habe neben dem Aspekt der Brauchbarkeit den Gegenständen zugleich eine gesellschaftliche Bedeutung zugesprochen und ihnen damit eine neue Symbol-funktion, die der Gleichheit, zugewiesen. Drittens schließlich wurde die zeitliche Dimension neu bestimmt, indem die Gegenstände auf Beständigkeit und Langlebigkeit hin konzipiert sowie der Wechsel der Moden als kapitalistisch abgelehnt wurden Die Folge war eine bewußte Verbindung von gesellschaftlichen Emanzipationsvorstellungen, wissenschaftlicher Fundierung, wirtschaftlichem Denken und Politikorientierung. Als Beispiel wird die Entwicklung von Modulsystemen -etwa bei Radiogeräten, Kantinengeschirr und Wohnzimmermöbeln -angeführt.

Diese rationale Grundauffassung führte seit den siebziger Jahren nicht nur zu einer Sortimentseinschränkung aus Effektivitätserwägungen, sondern auch zu zunehmender Normierung. Hirdina verweist hier besonders auf die immer stärker eingeschränkten Grundtypen von Schrankwänden, die sich nur noch durch den Wechsel des Dekors voneinander unterschieden Aus heutiger Sicht erscheinen für die Objektkultur der DDR im Bereich der Konsumgüter der siebziger und achtziger Jahre zwei Entwicklungen bedeutsam: die Wieder-gewinnung des Dekors unter Verwendung nunmehr deutlich von westdeutschen unterscheidbaren Materialien sowie eine teilweise Bevorzugung historisierender Formen, die auch im Westen in den siebziger Jahren Konjunktur hatten. Die DDR-Entwicklung zu dieser Zeit zeigt sich als Abkehr von der funktionalen Moderne hin zur erneut individuellen Funktion der Produktwahl.

Gibt es eine DDR-spezifische Objektwelt?

Der landläufige Vergleich der Objektkultur der DDR mit der des Westens läßt die Frage nach einer für die DDR spezifischen Objektwelt aufkommen. In der Tat gab es Produktgruppen, die sich weniger aus einer Konsumkultur in ihrer spezifisch ostdeutschen Ausprägung, sondern aus einem politischem Bedarf heraus entwickelten:

Das Brigadetagebuch ist ein in rote Umschläge eingefaßtes Einlegebuch, einem Fotoalbum ähnlich. Mittels eines Schraubverschlusses können lose Blätter zusammengeheftet werden. Weder seine technische Verarbeitung noch seine Funktion sind im Westen Deutschlands bekannt.

Das Brigadetagebuch diente der begleitenden Bilanzierung der Tätigkeiten der Produktionsbrigaden in den DDR-Betrieben'7. Gemäß ihrem Motto „Sozialistisch arbeiten, lernen und leben“ erfüllten sie u. a. die Funktion einer permanenten gegenseitigen Selbstvergewisserung über Fortgang und Fortschritt in der sozialistischen Produktionsweise, über die im Brigadetagebuch Rechenschaft abgelegt wurde. Seine gewissenhafte Führung war Teil des Systems des „sozialistischen Wettbewerbs“, des Vergleichs der einzelnen Produktionsbrigaden nach einem vorgegebenen Katalog von Kriterien. Demgemäß enthalten die Brigadetagebücher Aufzeichnungen über Produktionserfolge, aber auch über Probleme der materiellen Produktion, über Qualifizierungen, Neuerungen, Plan-erfüllung, „Brigadeleben“, d. h. Ausflüge und gemeinsam besuchte Veranstaltungen, Hinweise auf den Namensgeber der Brigade (Traditionspflege), Aussprachen und vieles mehr.

Sie sind, trotz zumeist floskelhafter Reproduktion des Geforderten -schließlich mußte durch das Brigadebuch nachgewiesen werden, daß die Brigade im sozialistischen Sinne funktionierte, damit der „Titelkampf“ um die Auszeichnung „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ erfolgreich geführt werden konnte -, eine hervorragende Quelle für die Normen und Beziehungsgeflechte in der realsozialistischen Gesellschaft. Ihre Bedeutung wird durch den folgenden Eintrag des Kollektivs „Roter Oktober“ von 1978 über die Führung des Brigade-buchs deutlich „Papier, Kugelschreiber und ein fester Wille sind notwendig, um die Wettbewerbs-

Verpflichtung unseres Kollektivs, 10 Artikel im Quartal für das Brigadebuch, zu erstellen. Die neue Kennziffer im sozialistischen Wettbewerb ist anspruchsvoll und entspricht dem gewachsenen Leistungsvermögen unseres Kollektivs und aller anderen Kollektive unseres Betriebes. Da es dennoch Diskussionen über den Bewertungsmaßstab für die Brigadebucherfüllung gab, wollen wir mit gutem Beispiel demonstrieren, daß 10 Artikel im Quartal möglich sind und ein echtes Wettbewerbs-ziel darstellen. Bei der Erfüllung dieser Kennziffer sind wir nicht nur um qualitative Ergebnisse, sondern auch um hohe Qualität bemüht. Die Planung der zu schreibenden Brigadeartikel wurde in unserem Kollektiv nach Bereichen durchgeführt. 1978 haben so Bereich A 8 Brigadebuchartikel, Bereich B 13 Brigadebuchartikel, Bereich Direktion/Schreibbüro 19 Brigadebuchartikel anzufertigen. Die Aufgaben wurden über die persönlich-schöpferischen Pläne bis auf das einzelne Brigade-mitglied aufgeschlüsselt.“

Aus heutiger Sicht erscheint der Text beinahe grotesk; dennoch transportiert er eine ganze Reihe von Schlüsselbegriffen, die auf Mikrostrukturen der ostdeutschen Arbeitsgesellschaft verweisen. Die Sache könnte sich wie folgt abgespielt haben: Das Brigadebuch wurde schlampig geführt und muß nun verbessert werden, um zu einem guten Abschneiden im Wettbewerb zu kommen. Damit niemand der unangenehmen Pflicht entrinnen kann, wird jeder einzelne für einen Beitrag haftbar gemacht, wobei beinahe die Hälfte der Verpflichtung auf das Büro der Direktion abgewälzt wurde. Das Brigadebuch erweist sich also, trotz vielfach formalisierter Beiträge, als eine aufschlußreiche Quelle über den Betriebsalltag.

Eine ähnliche systemspezifische Qualität der Objektkultur zeigen Orden und Auszeichnungen. Gegenüber westlichen Gesellschaften wurden Auszeichnungen weit über die traditionellen Bereiche von Militär und Vereinskultur hinaus ausgeweitet. Es entstand eine vielfältige, nach Organisationen und Handlungsbereichen differenzierte „Ordenskultur“ die eine eigene Produkt-welt ausmachte. Allgemeine staatliche Orden und Auszeichnungen wurden ergänzt durch die einzelner Ministerien, die der Parteien und Massenorganisationen, auf die erfolgreiche Bewährung in der Produktion bezogene sowie zahlreiche Medaillen einzelner Betriebe und Städte. Geehrt wurden verdiente Aktivisten, ausgezeichnete Kollektive, verdiente Mitarbeiter der Zollverwaltung, langjährige Betriebszugehörigkeiten, besonderer gesellschaftlicher Einsatz, etwa beim Nationalen Aufbauwerk oder bei Wahlen. In einem öffentlichen Akt verliehen wurde eine Medaille, oft eine dazugehörige Spange, und eine Urkunde. Mit vielen Auszeichnungen waren Geldprämien verbunden, ohne daß an dieser Stelle auf das außerordentlich ambivalente Verhältnis von Auszeichnung und materieller Vergütung eingegangen werden kann, wie es sich in Interviews darstellt.

Die Objektkultur der Auszeichnungen und Orden repräsentiert das komplizierte Gefüge von Anreiz und Leistung in der DDR-Gesellschaft jenseits des Arbeitslohns auf hochsymbolischer wie alltags-praktischer Ebene. Öffentliche Auszeichnungen erfolgten in solcher Dichte, daß es durch sie gelingt, berufliche und gesellschaftliche Lebensläufe zu rekonstruieren, ohne daß sonstige biographische Daten zu einer Person bekannt wären. Auch haben sie eine langanhaltende Bedeutung für die ausgezeichnete Person, wie die folgende Passage aus einem Interview zum Ausdruck bringt „ 1949 ist die erste Auszeichnung als , Jungaktivist 4. Seit dieser Zeit habe ich alles, was so einigermaßen war, aufgehoben. Hab’s nicht weggeworfen nach der Wende. Wenn man sich irgendwo beworben hat, dann mußte man das ja immer aufführen.“

Berufliche Notwendigkeit, Differenzierungsvermögen ob des Wertes einer Auszeichnung, aber auch anhaltende Wertschätzung der oftmals belächelten Auszeichnungen als Beleg für ein gelebtes Leben verdichten sich in dieser kurzen Passage und zeigen die Bedeutung einer Objektkultur in ihrer lebensweltlichen, biographischen Aneignung.

Objektkultur und Öffentlichkeit

Trotz vielfacher Bezüge besonders zur westdeutschen Objektkultur, die ebenso wie andere kulturelle Bereiche einen erheblichen Einfluß auf die DDR ausgeübt hat, läßt sich eine spezifische Eigenständigkeit der DDR-Objektkultur feststellen. Daß eine Orientierung der DDR-Bevölkerung vor allem an der westdeutschen und amerikanischen Konsumwelt und Massenkultur stattgefunden hat, ist mehrfach diskutiert worden Offen bleibt dagegen die Frage, ob und inwieweit ein Bewußtsein über eine eigenständige Objektkultur der DDR bestanden hat. Das zitierte Interview über die Funktionsfähigkeit des Grills ohne Motor mag als Hinweis gedeutet werden, daß sehr wohl eine distanziert-ironische Haltung den Gegenständen und ihrer DDR-Spezifik gegenüber geherrscht hat. Der fast vollständige Austausch der Konsumgüter in DDR-Haushalten nach 1989 ist zugleich ein Indiz dafür, daß die Bewertung der DDR-Produkte zum damaligen Zeitpunkt überwiegend negativ gewesen ist -ob aus tatsächlichen Mängeln heraus oder weil sie durch ihre Konnotation mit dem politischen System abgelehnt wurden, bleibt zu untersuchen.

Festgestellt werden kann jedoch eine nachträgliche Bedeutungszuweisung der Alltagsobjekte als Erinnerungsstücke für eine spezifische Lebensweise Diese oft als Ostalgie bezeichnete und möglicherweise fälschlich als unreflektierte, nostalgische Rückwendung interpretierte Wieder-aneignung des eigenen gelebten Lebens hat ihren Ausdruck in zahlreichen Ausstellungen gefunden, die seit 1990 die Objektkultur der DDR ins öffentliche Bewußtsein gerückt haben. Die Themenliste reicht von „Marke Eigenbau -Kreatives findiger Sachsen“ (Chemnitz 1998) bis „Die Zeitschrift Sibylle 1956-1995. Fotografie“ (Fotogalerie Friedrichshain, 1996), von „DDR-Souvenirs“ (Deutsches Historisches Museum Berlin, 1994) bis „Kurzwort: Ewig blühe -Erinnerungen an die Republik der Lobetrotter“ (Museum Berliner Arbeiterleben, 1992), von „Alltagsleben in der DDR -Vom Zusammenbruch des Dritten Reiches bis zur Wende“ (Rheinisches Freilichtmusum Kommern, 1991) bis „Arbeit und Alltag in der DDR. Aus der Sammlung Bornitz“ (Staatsbibliothek zu Berlin SMPK, 1998) Es kann an dieser Stelle nicht darum gehen, einen vollständigen Überlick zu geben, hinzuweisen bleibt jedoch auf die inzwischen erreichte Dichte und Vielfalt der öffentlichen Präsentation der DDR-Objektwelt. Einige dieser Ausstellungen haben eine erhebliche Resonanz erfahren, wie die Auswertung der Besucherbücher zur Ausstellung „Lebensstationen in Deutschland 1900 bis 1993“ im Deutschen Historischen Museum Berlin zeigt

Dabei war und ist die museale Aneignung der DDR keineswegs unumstritten. Während kurznach dem Ende der DDR vor allem der Verlust von vierzig Jahren Geschichte befürchtet wurde, dem mit den Mitteln des Museums zu begegnen sei ist an anderer Stelle einer Musealisierung der DDR noch im Prozeß ihrer Auflösung und der unmittelbaren Zeitzeugenschaft ihrer Bewohner heftig widersprochen worden Dabei hatten die Museen auf das Ereignis der Maueröffnung und des absehbaren Verschwindens der DDR unmittelbar mit Sammlungsaktivitäten reagiert

Chancen und Grenzen

Im Ergebnis finden wir eine intensive, objektbezogene Aneignung der DDR-Geschichte vor, für die in der Bundesrepublik wohl nur auf die Summe ihrer Stadtgeschichts-und Heimatmuseen verwiesen werden kann. Zumindest findet sich zum „Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR“ in Eisenhüttenstadt kein Pendant in der alten Bundesrepublik. Die durch Ausstellungen und Museumsaktivitäten betriebene „Archäologie des Alltagslebens“ im Osten Deutschlands ist eindeutig ein Reflex auf die Ereignisse des Herbstes 1989 und das dadurch hervorgerufene Bewußtsein der Historizität der DDR, das unmittelbar mit dem Mauerfall einsetzt. Ein solches Schockerlebnis bestand für die „alte“ Bundesrepublik nicht und damit auch kein Anlaß zu einer musealen Bestandsaufnahme ihrer Alltagsgeschichte und Objektkultur.

Es bleibt kritisch zu fragen, ob die vielfältigen Bemühungen um die Objekt-und Alltagskultur der DDR, von denen hier nur ein Ausschnitt angesprochen werden konnte, langfristig Auswirkungen auf das Bild einer vergangenen Gesellschaft haben können. Auf der Haben-Seite steht, daß die Sensibilität für die materiellen Sachzeugen des Alltags wohl selten so intensiv zum Ausdruck gekommen ist wie gegenüber den Relikten der DDR-Gesellschaft. Auch dürfte ihre zeitnahe Sicherung durch die Museen einen Fundus geschaffen haben, der eine Beschäftigung mit dem Gesellschaftsinnern der DDR langfristig ermöglicht -dies im übrigen ganz im Gegensatz zu früheren Epochen und Kulturen. Schließlich hat die Aufmerksamkeit für die Objektkultur die Grenzen wissenschaftlicher Fachdisziplinen gelockert und die Chancen interdisziplinärer Zusammenarbeit zumindest angedeutet.

Im Soll steht noch die tatsächliche Umsetzung solcher Vorhaben, was einerseits der Förderpraxis für wissenschaftliche Vorhaben und den Zwängen fachwissenschaftlicher Profilierung geschuldet sein mag, andererseits der insgesamt doch sehr unterschiedlich ausgeprägten analytischen Qualität der musealen Beschäftigung mit der Alltagskultur. Es bleibt zu hoffen, daß ein gleichsam ethnologischer Blick auf die eigene Gesellschaft zu einer intensiveren Wahrnehmung der Objektkultur des Alltags auch über die DDR hinaus führt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Bernd Dreiocker in: Radio Kultur (SSB/ORB) vom 18. 5. 1999.

  2. Vgl. Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“, Forschungsprojekte zur DDR-Geschichte. Ergebnisse einer Umfrage des Arbeitsbereiches DDR-Geschichte im Mannheimer Zentrum für Europäische Sozial-forschung (MZES) der Universität Mannheim, Mannheim 1994.

  3. Vgl. Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“, 18 Bde.. Baden-Baden 1995; ders., Schlußbericht der Enquete-Kommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit“, Drs. 13/11000 vom 10. 6. 1998.

  4. Vgl. Der Spiegel, Nr. 20 vom 17. 5. 1999; Die Zeit, Nr. 21 vom 20. 5. 1999; Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22. 5. 1999.

  5. Vgl. Bernd Faulenbach, Geteilte Vergangenheit -eine Geschichte? Eine Bestandsaufnahme, in: Christoph Kleßmann/Hans Misselwitz/Günter Wichert (Hrsg.), Deutsche Vergangenheiten -eine gemeinsame Herausforderung. Der schwierige Umgang mit der doppelten Nachkriegsgeschichte, Berlin 1999, S. 15-34.

  6. U. a. in der Überblicksdarstellung von Klaus Schroeder, Der SED-Staat. Partei, Staat und Gesellschaft, 1949-1990, München 1998, S. 565-587.

  7. Vgl. Stefan Wolle, Die heile Welt der Diktatur. Alltag und Herrschaft in der DDR 1971-1989. Berlin 1998.

  8. Beispielsweise in der zweiten Enquete-Kommission des Bundestages, vgl. Deutscher Bundestag, Schlußbericht (Anm. 3), S. 194-209, zum Thema Alltagsleben in der DDR und in den neuen Ländern.

  9. Alf Lüdtke, Einleitung: Was ist und wer treibt Alltags-geschichte?, in: ders. (Hrsg.), Alltagsgeschichte. Zur Rekonstruktion historischer Erfahrungen und Lebensweisen, Frankfurt/Main -New York 1989, S. 9-47, hier S. 9.

  10. Vgl. Wolfgang Kaschuba, Volkskultur und Arbeiter-kultur als symbolische Ordnungen. Einige volkskundliche Anmerkungen zur Debatte um Alltags-und Kultur-geschichte, in: A. Lüdtke (Anm. 9), S. 191-223, hier S. 192 f.; zugleich A. Lüdtke, ebd., S. 12: „Ins Zentrum rückt die soziale Praxis der Menschen.“

  11. Der inzwischen gebräuchliche, sehr weit gefaßte Kultur-begriff soll hier nicht näher ausgeführt werden, vgl. aber die Hinweise von Ina-Maria Greverus, Kultur und Alltagswelt. Eine Einführung in Fragen der Kulturanthropologie, München 1978, S. 70f., auf die in der DDR entwickelte Kultur-theorie von Dietrich Mühlberg und Wolfgang Jacobeit, die eine materielle Ebene von Kultur, eine der gesellschaftlichen Beziehungen und eine (selbst-) interpretative unterscheiden. In diesem breiten Verständnis, bezogen auf die DDR, vgl. Dietrich Mühlberg. Überlegungen zu einer Kulturgeschichte der DDR, in: Hartmut Kaelble/Jürgen Kocka/Hartmut Zwahr (Hrsg.), Sozialgeschichte der DDR, Stuttgart 1994 S. 62-94.

  12. Zur zeichentheoretischen Unterscheidung von „Dokument“ als Träger von nachträglich entzifferbaren Bedeutungen und „Monument“ als selbstreferentielle Herstellung einer solchen Bedeutung vgl. Aleida Assmann, Kultur als Lebenswelt und Monument, in: dies. /Dietrich Harth (Hrsg.), Kultur als Lebenswelt und Monument, Frankfurt/Main 1991, S. 11-25. hier S. 13.

  13. Zusammenfassend und unter Bezug auf die industrielle Massenkultur vgl. Wolfgang Ruppert, Zur Kulturgeschichte der Alltagsdinge, in: ders. (Hrsg.), Fahrrad, Auto, Fernsehschrank. Zur Kulturgeschichte der Alltagsdinge, Frankfurt/Main 1993, S. 14-36.

  14. Die führende Fachzeitschrift in der DDR, „fotografie“, trug in den fünfziger Jahren den Untertitel „Monatsschrift für gestaltende und dokumentarische Fotografie“, der später in „Zeitschrift für kulturpolitische, ästhetische und technische Probleme der Fotografie“ geändert wurde; dennoch war die sozialdokumentarische Fotografie hier, wie auch in Ausstellungen, deutlich vertreten. Eine Übersicht in der Bundesrepublik erschien in: Angehaltene Zeit. Fotografien aus der DDR, in: Niemandsland. 2 (1988) 7.

  15. Vgl. u. a. das Spektrum in: DDR konkret. Fotoreport 88. Zentrale Ausstellung der Amateurfotografen und der Betriebsfotografen der DDR, Frankfurt/Oder 1988, veranstaltet vom Bundesvorstand des FDGB in Zusammenarbeit mit dem Kulturbund der DDR.

  16. Als Beispiele Christian Borchert, Zeitreise Dresden 1954-1995, Dresden 1995; Jürgen Homuth u. a., Lebensbilder aus Jena. Versuche einer Dokumentation, Jena 1990; Peter Thieme (Fotografien) /Wolfgang Hilbig, Plagwitz, Leipzig 1992; Harald Hauswald (Fotografienj/Lutz Rathenow, Berlin-Ost. Die andere Seite der Stadt, Berlin 1990; durch den westlichen Fotografen Bernard Larsson, Berlin, Hauptstadt der Republik. Fotografien aus einer geteilten Stadt 19611968, München 1998. Zu den Schwierigkeiten der „Abbildung von Wirklichkeit“ vgl. Helga Paris, Diva in Grau. Häuser und Gesichter in Halle. Halle 1990.

  17. Vgl. z. B. Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (Hrsg.), Abschlußball, Berlin 1993; Katja Worch (Fotografien) /Holde-Barbara Ulrich, Frauenbilder. Leben vor ’ 89, Berlin 1995; Helga Paris, Frauen in der Bekleidungsfabrik Treff-Modelle, Berlin 1994, teilw. abgedr. in: Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR (Hrsg.), Alltagskultur der DDR. Begleitbuch zur Ausstellung „Tempolinsen und P 2“, Berlin 1996, S. 40 ff.

  18. Vgl. Jürgen Nagel, Parole Zukunft. Eine fotografische Spurensuche, Berlin 1992.

  19. Hingewiesen sei auf die Arbeiten Christian Borcherts, der die Beziehungen der Menschen zum Konsum in einer ganzen Serie festgehalten hat, teilweise abgedruckt in: Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR (Hrsg.), Alltag und soziales Gedächtnis. Die DDR-Objektkultur und ihre Musealisierung, Hamburg 1997, S. 115 passim. In Vorwegnahme der diesjährigen Jubiläen zur Staatsgründung erschien Volker Handlock/Harald Hauswald (Hrsg.), Die DDR wird 50. Texte und Fotografien. Berlin 1998.

  20. Vgl. vor allem Georg C. Bertsch/Ernst Hedler/Matthias Dietz, SED. Schönes Einheits Design, Köln 1994; Deutscher Werkbund/Regine Halter (Hrsg.), Vom Bauhaus bis Bitter-feld. 41 Jahre DDR-Design, Frankfurt/Main 1991; Deutsches Werbemuseum e. V. Frankfurt/Main (Hrsg.), Spurensicherung. 40 Jahre Werbung in der DDR. Kabinettstücke aus der Sammlung Ute und Michael Berger, Frankfurt/Main 1990; Werbung und Verpackung in der DDR. Eine Ausstellung des Museums für angewandte Kunst Gera, Gera 1991; Deutsches Hygienemuseum Dresden (Hrsg.), Schmerz laß nach. Drogerie-Werbung der DDR, Dresden 1992.

  21. Seine bereits ab 1950 angelegte Beispielsammlung befindet sich heute in der Sammlung industrielle Gestaltung in Berlin; vgl. hierzu: Kulturstiftung der Länder (Hrsg.), Sammlung industrielle Gestaltung, Berlin 1994; Joachim Fischer, Stiftung Industrie-und Alltagskultur (Hrsg.), Sammlung industrielle Gestaltung. Einblicke, Ausblicke, Berlin 1991.

  22. Vgl. als Übersicht über die Entwicklung der Formgestaltung Heinz Hirdina, Gestalten für die Serie. Design in der DDR 1949-1985, Dresden 1988. Seit 1968 erschien „form + zweck. Zeitschrift für industrielle Formgestaltung“.

  23. Vgl. Anja Baumhoff, Designerware aus Plaste und Elaste? Zur Verwendung des Designbegriffs in der DDR, in: Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR (Anm. 19), S. 201-211.

  24. Die Zeitschrift erschien unter dieser Prämisse seit 1957 in der Nachfolge von „Möbel und Wohnraum“.

  25. So die Fotoserie von Sybille Bergemann für die unterschiedliche, aber dennoch durch äußere Normsetzung des Wohnbautyps P 2 geprägte Wohnzimmergestaltung, teilw. abgedr. in: Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR (Anm. 17), S. 90 f.

  26. Ebd., S. 104 f.

  27. Beispiel aus-Deutsches Hygienemuseum Dresden (Anm. 20), S. 20, S. 22, S. 40.

  28. Vgl. Annette Kaminsky, Kaufrausch. Berlin 1998.

  29. Vgl. Deutsches Werbemuseum und Deutsches Hygiene-museum (beide Anm. 20); die Produktwerbung in DDR-Zeitschriften wurde zu Beginn der siebziger Jahre weitgehend eingestellt. Zum Werbefernsehen („Tausend Tele Tips“) vgl. Simone Tippach-Schneider, Moderner Einkauf, moderner Verbraucher und das Verschwinden der Waren. Das Werbefernsehen in der DDR 1959 bis 1976, in: Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (Hrsg.), Wunderwirtschaft. DDR-Konsumkultur in den sechziger Jahren, Köln u. a. 1996, S. 62-76.

  30. Vgl. Sammlung Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR, Eisenhüttenstadt.

  31. Vgl. Katherine Pence, Schaufenster des sozialistischen Konsums: Texte der ostdeutschen „consumer culture", in: Alf Lüdtke/Peter Becker (Hrsg.), Akten, Eingaben, Schaufenster. Die DDR und ihre Texte. Erkundungen zu Herrschaft und Alltag, Berlin 1997, S. 91 -118.

  32. K. Pence, ebd., S. 99, zitiert eine Wettbewerbsausschreibung von 1959.

  33. Vgl. ebd., S. 105.

  34. Der bekannte Umstand, daß viele in westlichen Warenhauskatalogen angebotene Konsumgüter aus DDR-Produktion stammten, bedarf noch der genaueren Erforschung.

  35. Vgl. Heinz Hirdina, Gegenstand und Utopie, in: Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (Anm. 29), S. 48-61, hier S. 50.

  36. Vgl. ebd., S. 60.

  37. Brigadebuch im Bestand des Dokumentationszentrums Alltagskultur der DDR, Eisenhüttenstadt.

  38. Vgl. Günter Tautz, Orden und Medaillen. Staatliche Auszeichnungen der DDR, Leipzig 1983.

  39. Sammlung Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR, Eisenhüttenstadt.

  40. Vgl. u. a. Gerlinde Irmscher, Der Westen im Ost-Alltag. DDR-Jugendkultur in den sechziger Jahren, in: Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (Anm. 29), S. 185-193; Katrin Böske, Abwesend anwesend. Eine kleine Geschichte des Intershop, in: ebd., S. 214-222.

  41. Vgl. u. a. Wie erst jetzt die DDR entsteht, in: Der Alltag, Nr. 72, Juni 1996.

  42. Vgl. auch die in Anm. 20 aufgeführten Ausstellungen.

  43. Vgl. Rosmarie Beier, Bericht zur (mentalen) Lage der Nation. Was die Besucher einer Berliner Ausstellung über die deutsch-deutsche Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft denken, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 27/95, S. 10-18: vgl. hierzu den Ausstellungskatalog von Rosmarie Beier/Bettina Biedermann (Hrsg.), Lebensstationen in Deutschland 1900-1993, Gießen 1993.

  44. Vgl. Katharina Flügel/Wolfgang Ernst (Hrsg.), Musealisierung der DDR? 40 Jahre als kulturhistorische Herausforderung, Leipzig 1992.

  45. Vgl. Gert Selle, Erinnern -Suchbewegung in der Wirklichkeit. Einwände gegen eine selbstverständliche Musealisierung, in: Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR (Anm. 19), S. 87-103.

  46. So die Arbeit des Deutschen Historischen Museums in Berlin, dargestellt von Monika Flacke, Alltagsobjekte der ehemaligen DDR. Zur Sammeltätigkeit des Deutschen Historischen Museums, in: Bernd Faulenbach/Franz-JosefJelich (Hrsg.), Probleme der Musealisierung der doppelten deutschen Nachkriegsgeschichte, Münster 1993, S. 57-61.

  47. Vgl. zur Intention Andreas Ludwig, Alltagskultur der DDR. Konzeptgedanken für ein Museum in Eisenhüttenstadt, in: Deutsche Geschichte im Museum, (1994) 21, S. 1152-1155.

Weitere Inhalte

Andreas Ludwig, M. A., geb. 1954; Studium der Geschichte und Germanistik; Leiter des Dokumentationszentrums Alltagskultur der DDR in Eisenhüttenstadt. Veröffentlichungen u. a.: Alltagskultur der DDR. Begleitbuch zur Ausstellung im Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR „Tempolinsen und P 2“, Berlin 1996; (zus. mit Gerd Kuhn) Alltag und soziales Gedächtnis. Die DDR-Objektkultur und ihre Musealisierung, Hamburg 1997; Menschenbilder: Der sozialistische Mensch. Zur Konstitution eines Idealtyps am Beispiel der frühen Jahre Eisenhüttenstadts, in: Rosmarie Beier (Hrsg.), aufbau west aufbau ost. Wolfsburg und Eisenhüttenstadt im Vergleich, Ostfildern 1997; Mitherausgeber der Zeitschrift „WerkstattGeschichte“.