Welche Bildung braucht die Informationsgesellschaft?
Johann Welsch
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Zusammenfassung
Wir erleben derzeit eine neue öffentliche Debatte über unser Bildungs-und Ausbildungswesen. Vor allem der fortschreitende Übergang zur Informationsgesellschaft verlangt nicht nur eine quantitative Ausweitung von Investitionen in die Bildung, die Informationsgesellschaft konfrontiert die Bildungspolitik darüber hinaus mit völlig neuen qualitativen Anforderungen: Sie verlangt nach einer grundlegenden Neubestimmung und Neugestaltung von Bildung und Lernen. In der Informationsära werden Informationen und Wissen, ihre Schaffung und kreative Nutzung, zu Schlüsselfaktoren des gesellschaftlichen Wohlstands. Die Konsequenzen dieser Entwicklung sind vielfältig: Der Umfang an anzueignendem Wissen wird individuell und gesellschaftlich erheblich zunehmen. Das bislang vorherrschende „Lernen auf Vorrat“ wird durch ein „lebensbegleitendes Lernen“ verdrängt. Die Art der geforderten Qualifikationen wird sich verschieben: Neben fachlichen Qualifikationen werden soziale Kompetenzen, vor allem die sogenannte Medienkompetenz“, in den Vordergrund treten. Das Verhältnis von Lernen und Arbeiten wird sich tiefgreifend verändern: Arbeiten und Lernen müssen stärker miteinander verzahnt werden. Lernen wandert verstärkt aus den herkömmlichen Bildungseinrichtungen als Lernorten in andere Institutionen aus. Die Wirtschaft wird zu einem wichtigen Träger von Lernprozessen. Aufgrund der grundlegenden Umwälzung der Arbeitswelt muß sich außerschulische Bildung vermehrt auf unterschiedliche Lernbedürfnisse und Lerngruppen einstellen. Die neuen multimedialen Informationsund Kommunikationstechniken werden für die Bildung neue Probleme aufwerfen, aber auch neue Möglichkeiten des Lernens bieten. Die Rollenverteilung zwischen den Beteiligten an Bildungs-und Lernprozessen wird sich grundlegend verändern: Lernprozesse können individueller auf Lernende zugeschnitten werden. Lehrende übernehmen die Rolle von „Navigatoren“ und „Moderatoren“ in Lernprozessen.
I. Neue Bildungsdebatte
Wir erleben seit einiger Zeit eine heftige Debatte um die Verfassung und Leistungsfähigkeit unseres Bildungs-und Ausbildungswesens. Im letzten Wahlkampf um die Sitze im neuen deutschen Bundestag waren Bildung und Ausbildung zentrale Themen der politischen Auseinandersetzung. Die neue rot-grüne Bundesregierung sieht in der Bildung einen der Schwerpunkte ihrer Politik für die nächsten Jahre. Der scheidende Bundespräsident Roman Herzog hatte sich bereits im vorletzten Jahr veranlaßt gesehen, auf Probleme im Bildungsund Ausbildungssystem eindringlich aufmerksam zu machen. Und daß die Unzufriedenheit mit dem Zustand von Bildung und Ausbildung in Deutschland gewachsen ist, zeigen die zunehmenden Klagen über die ,, Krise der dualen Berufsausbildung“, die „Verrottung der Hochschulen“ (Peter Glotz) oder die Misere der Weiterbildung.
Fragen der Bildung wurden in den vergangenen Jahrzehnten kaum breit in der Öffentlichkeit diskutiert. Dennoch handelt es sich bei der gegenwärtigen Auseinandersetzung keineswegs um die erste grundlegende Bildungsdebatte in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Bereits in den sechziger Jahren hatten Warnungen vor einer drohenden „Bildungskatastrophe“ (Georg Picht) die Öffentlichkeit wachgerüttelt und das Thema Bildung in den Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzung gerückt. Zum einen ging es damals um die Frage, ob und wie mehr Bildung dazu beitragen könnte, die wirtschaftlichen Wachstumsprobleme nach Auslaufen des Wiederaufbaubooms zu überwinden. Zum anderen sah die politische Linke in einer Reform des Bildungswesens einen wichtigen Weg, mehr Chancengleichheit in der Gesellschaft zu verwirklichen.
Wirtschaftliche Dynamik und gesellschaftliche Chancengleichheit -um diese beiden zentralen Zielsetzungen geht es im Kern auch in der gegenwärtigen Bildungsdebatte. Allerdings findet die heutige Auseinandersetzung unter gänzlich anderen Vorzeichen als damals statt: Mit dem Verschwinden der globalen Systemkonkurrenz und der überraschenden Verwirklichung der deutschen Einheit, mit der fortschreitenden Internationalisierung der Wirtschaft und dem mit der Europäischen Währungsunion anvisierten qualitativen „Sprung“ im Prozeß der europäischen Integration sowie mit der bedrohlich fortgeschrittenen ökologischen Krise und der ungeheuer rasanten Verbreitung der neuen Informations-und Kommunikationstechnologien in Wirtschaft und Gesellschaft stellen sich sowohl die Bedingungen als auch die Handlungsperspektiven einer Um-und Neugestaltung der nationalen Bildungs-und Ausbildungssysteme radikal anders dar als noch vor 30 Jahren. Vor allem der fortschreitende Übergang zur Informationsgesellschaft verlangt nicht nur eine quantitative Ausweitung von Investitionen in die Bildung, die Informationsgesellschaft stellt darüber hinaus völlig neue qualitative Anforderungen an die Bildungspolitik: Sie verlangt nach einer grundlegenden Neubestimmung und Neugestaltung von Bildung und Lernen. Das liegt an der engen Verflechtung von Bildung und gesellschaftlicher Entwicklung.
II. Bildung und gesellschaftliche Entwicklung
Abbildung 15
Abbildung 2: Forschungs-und Bildungsausgaben in Deutschland (1992 -1996) (Anteile am Bruttoinlandsprodukt Quelle: Eigene Darstellung auf Basis von Daten des BMBF, Bonn 1999.
Abbildung 2: Forschungs-und Bildungsausgaben in Deutschland (1992 -1996) (Anteile am Bruttoinlandsprodukt Quelle: Eigene Darstellung auf Basis von Daten des BMBF, Bonn 1999.
Es gab schon immer eine äußerst enge Wechselwirkung zwischen der Entwicklung des Bildungsund Ausbildungssystems einerseits und den Veränderungen wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Strukturen andererseits. Bildung und Lernen sind sowohl Ergebnis und Folge als auch unverzichtbare Voraussetzungen von gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen. Einerseits zeitigen gesellschaftliche Modernisierungsprozesse Lern-und Bildungseffekte bei den Menschen: Diese lernen aus Veränderungen und aus der Lösung neuer Probleme, sie sammeln Erfahrungen und erweitern dadurch ihren Fundus an neuem Wissen. Andererseits stellt Bildung eine entscheidende Voraussetzung für die Bewältigung sozio-und wirtschaftsstruktureller Wandlungen dar. Mängel im Bildungs-und Ausbildungssystem können schnell zu einem Engpaß der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung werden. Dabei darf man Bildung keinesfalls einseitig verkürzt auf ihre wirtschaftliche Bedeutung reduzieren, wie das in der Debatte um den „Wirtschaftsstandort Deutschland“ oft geschieht, sondern muß sich stets der umfassenden gesellschaftlichen und kulturellen Bedeutung von Bildung bewußt sein.
Bildung bedeutet die geistige und seelische Ausbildung der Anlagen und Wertvorstellungen des Einzelnen. Damit vergrößern sich seine Chancen, an gesellschaftlichen Prozessen teilzuhaben, d. h., politische und soziale Zusammenhänge aktiv zu beeinflussen und bei der Gestaltung der Arbeitsund Lebenswelt souverän mitzuwirken. Aus der gesellschaftlichen Perspektive verbreitert Bildung den vorhandenen sozialen Fundus an Interpretations-und Handlungsspielräumen, sie verändert die Einstellungen und Verhaltensweisen der Menschen zu ihren Lebensbedingungen. Damit fördert sie die Offenheit gegenüber Veränderungen, die Sensibilität für neue Probleme sowie die Bereitschaft und Fähigkeit zum Handeln und zur Bewältigung sozioökonomischer Wandlungen. Bildung vermehrt das Know-how und die Geschicklichkeit der Menschen, steigert die Produktivität ihrer Arbeit und verbreitert so die produktive Basis für die Steigerung des gesellschaftlichen Wohlstands. Bildungs-und Lernprozesse sind damit nicht nur Auswirkungen und Resultat von gesellschaftlichen Veränderungen, sondern gleichzeitig auch Voraussetzungen und Katalysatoren für sozioökonomische Wandlungen. Nicht zuletzt erweist sich Bildung deshalb als entscheidender Motor und zentrales Vehikel für die Gestaltung einer besseren gesellschaftlichen Zukunft.
III. Bildung im Übergang zur Informationsgesellschaft
Abbildung 16
Abbildung 3: Forschungs-und Entwicklungspersonal (Deutschland, Personen in Vollzeitäquivalenten) Quelle: Vgl. Abb. 2.
Abbildung 3: Forschungs-und Entwicklungspersonal (Deutschland, Personen in Vollzeitäquivalenten) Quelle: Vgl. Abb. 2.
Vor dem Hintergrund dieser umfassenden gesellschaftlichen Bedeutung von Bildung ist es kaum überraschend, daß sozioökonomische Umbrüche wie die Ablösung der Agrar-durch die Industriegesellschaft und der Übergang von der Industrie-in die Informationsgesellschaft stets mit Erschütterungen des historisch gewachsenen Bildungswesens verbunden sind. Wir erleben heute eine weitreichende Verunsicherung hinsichtlich der Leistungsfähigkeit des in den letzen beiden Jahrhunderten gewachsenen Bildungssystems. Die Liste der Klagen ist lang und wird immer länger: Der Kenntnisstand der Bevölkerung in den Natur-und Ingenieurwissenschaften sei lückenhaft, der Wissensstand der Auszubildenden habe sich gegenüber früher nachhaltig verschlechtert, eine wachsende Nachfrage nach Qualifikationen vor allem im Informatik-und Multimediabereich könne nicht befriedigt werden, die Hochschulausbildung sei zu wenig praxisorientiert und weise gravierende Effizienzdefizite auf, die Weiterbildungsanstrengungen der Gesellschaft blieben immer stärker hinter den technologischen und wirtschaftlichen Erfordernissen zurück usw. Viele dieser Klagen mögen ihre Berechtigung haben, ihre Ursachen mögen tatsächlich in Mängeln und Funktionsschwächen der vorhandenen Bildungssysteme wurzeln, die schnell repariert werden können.
Genauso dezidiert ist jedoch auf den anderen Problemkern hinzuweisen, der in Zukunft einen wachsenden Stellenwert erlangen wird: Die Anforderungen an Bildung und die Bedeutung von Bildung sind dabei, sich mit dem Übergang in die Informationsgesellschaft grundlegend zu verändern. Das hat zur Folge -so lautet meine zentrale These in diesem Artikel daß das vorhandene industriegesellschaftlich geprägte Bildungssystem in Schwierigkeiten gerät und allmählich leerläuft, sprich: diesen neuen Erfordernissen von Wirtschaft und Gesellschaft immer weniger gerecht wird und umgebaut bzw. reformiert werden muß. Wie aber wird ein neues Bildungssystem aussehen? Trotz der umfassenden gesellschaftlichen und individuellen Bedeutung von Bildung will ich mich im folgenden auf wirtschaftliche Aspekte dieser Fragestellung konzentrieren.
IV. Schlüsselrolle von Bildung in der Informationsgesellschaft
Die Bedeutung der Bildung und Ausbildung von Arbeitskräften ist im Laufe der Menschheitsgeschichte nicht gleich geblieben, im Gegenteil: Sie hat zugenommen. Das gilt für die Industriegesellschaft im Verhältnis zur Agrargesellschaft und das gilt auch für den Vergleich von Informations-und Industrieepoche. Aber für die Informationsgesellschaft gilt noch mehr: Es gibt keine Epoche der sozioökonomischen Entwicklung, in der Bildung und Qualifikation einen so hohen Stellenwert einnehmen wie in der heraufziehenden Informationsbzw. Wissensgesellschaft. Das liegt daran, daß Wis sen -im Unterschied zu früheren wirtschaftlichen Epochen -in der Informationsära selbst zum entscheidenden Produktions- bzw. Wertschöpfungsfaktor wird. Wissen wird zur Grundlage der Produktion von gesellschaftlichem Reichtum Die Schaffung neuen Wissens und seine kreative Nutzung in Form neuer Problemlösungen, neuer Güter und neuer Dienstleistungen -das ist der Boden, auf dem allein sich in Zukunft der Wohlstand wirtschaftlich hochentwickelter Wirtschaften noch weiter steigern lassen wird. Die Schaffung und Anwendung von Wissen jedoch geschieht nicht von selbst. Sie ist unmittelbar an die Fähigkeiten von Menschen geknüpft: an Geschicklichkeit, an spezifische Kenntnisse, an erworbenes Know-how, an Kreativität, Initiative, Engagement usw. Und der Erwerb solcher menschlichen Fähigkeiten geschieht durch Bildung und Lernen. Deshalb ist die Informationsgesellschaft essentiell darauf angewiesen, Lernprozesse zu verbreitern und zu beschleunigen. Hierzu bedarf es massiver Investitionen in die Bildung und Ausbildung von Menschen. Eine leistungsfähige Infrastruktur, welche erarbeitete Wissensbestände enthält und Menschen Lernen ermöglicht und erleichtert, muß geschaffen werden.
V. Wachsende Bedeutung von Humankapital
Die in den Köpfen und Fähigkeiten der Menschen enthaltenen Wissensbestände werden in der Ökonomie als „Humankapital“ bezeichnet. Wachsende Investitionen in Humankapital sind erforderlich, da weder der vorhandene Produktionsapparat betrieben noch neue wissensintensive Güter und Dienstleistungen geschaffen werden können, wenn es an qualifizierten Arbeitskräften fehlt. Deshalb werden in der Informationsgesellschaft Human-kapitalinvestitionen gegenüber den Investitionen in Sachkapital immer wichtiger. Die steigende Bedeutung des Humankapitals kann man für Deutschland empirisch belegen (vgl. Abbildung 1). Die Relation zwischen Sachkapital-und Humankapitalstock hat sich seit 1920 nach Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung von 4, 5 zu 1 auf 2, 2 zu 1 im Jahr 1989 verringert. Ende der achtziger Jahre stand in Westdeutschland dem Wert des gesamten Sachvermögens in Form von Bauten, Ausrüstungen, Verkehrswegen usw. in Höhe von knapp 10 Billionen DM ein wirtschaftlicher „Wert“ des Humanvermögens aller Erwerbspersonen von knapp 4, 5 Billionen DM gegenüber. Es ist davon auszugehen, daß das Gewicht des Humankapitalbestandes gegenüber dem des Sachkapitalstock in der zukünftigen Informationsgesellschaft weiter deutlich zunehmen wird. Allerdings handelt es sich bei dieser Tendenz keineswegs um ein „Naturgesetz“. Dahinter stehen Entscheidungen, die von Seiten des Staates und der Wirtschaft stets neu getroffen werden müssen. Es gibt Anzeichen dafür, daß in Deutschland seit vielen Jahren dem wachsenden Investitionserfordernis in Humankapital nicht ausreichend Rechnung getragen worden ist.Hinweise auf Rückstände in der Humankapitalentwicklung ergeben sich aus folgenden empirischen Befunden: -In der Politik der privaten Unternehmen zeigt sich seit Anfang der neunziger Jahre, daß Forschung und Entwicklung, Bildung und Ausbildung sowie Weiterbildungsanstrengungen nicht ausgeweitet und verstärkt, sondern in ihrem Gewicht eher zurückgefahren werden (vgl.
Abbildung 2). Der Rationalisierungswelle der letzten Jahre fielen nicht nur einfache Arbeitsplätze zum Opfer, diese Welle erfaßte zunehmend auch hochqualifizierte Arbeitsplätze in den Bereichen Forschung und Entwicklung (vgl. Abbildung 3). -In der Politik des Staates ist bei Forschungsund Entwicklungsausgaben eine Stagnation und bei Bildungs-und Ausbildungsinvestitionen ein Rückgang in den neunziger Jahren zu beobachten (vgl. Abbildung 2), das Forschungs-und Entwicklungspersonal im Staats-sektor wird -wie im Unternehmenssektor -
abgebaut (vgl. Abbildung 3). -Im internationalen Vergleich liegt der Anteil der öffentlichen und privaten Ausgaben für Bildung und Ausbildung am Bruttoinlandsprodukt (BIP) mit 5, 8 Prozent unterhalb des OECD-Durchschnitts (1994), und zwar mit rückläufiger Tendenz. Demgegenüber geben die USA 6, 6 und Frankreich 6, 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Bildungs-und Ausbildungszwecke aus -Auch der Anteil der Forschungs-und Entwicklungsausgaben am BIP ist in Deutschland inzwischen mit 2, 3 Prozent sichtbar unter die entsprechenden Quoten in Japan (2, 8 Prozent) und den USA (2, 5 Prozent) abgesunken
Diese Bildungs-und Forschungspolitik erschwert und verzögert den Weg des Landes in die Informations-und Wissensgesellschaft. Bildungspolitik für die Informationsgesellschaft muß überdacht und neu gestaltet werden
VI. Der Wandel von Bildung und Ausbildung in der Informationsgesellschaft
Wenn unsere Vermutung richtig ist, daß Bildung in der heraufziehenden Informationsgesellschaft einen zentralen Stellenwert einnehmen wird, dann sind damit weitreichende Konsequenzen verbunden. Diese beziehen sich zum einen auf das Quantum des durch die Gesellschaft jährlich anzueignenden Wissens, zum anderen auf die Art und Weise der Wissensaneignung und damit auf die Ziele, Inhalte und Methoden von Bildung. Letzteres bedeutet Veränderungen vor allem für -die Art der hauptsächlich zu vermittelnden Qualifikationen, -das Verhältnis von Lernen und Arbeiten, -die Orte und Institutionen des Lernens, -die Zeiten des Lernens im Rahmen individueller Lebensbiographien sowie für -die Rolle der Beteiligten in Bildungs-und Lernprozessen.
Diese Konsequenzen will ich im folgenden anhand einiger Thesen näher beleuchten.
These 1: In der Informationsgesellschaft wird das Quantum an anzueignendem Wissen individuell und gesellschaftlich erheblich zunehmen. Das in der Industriegesellschaft vorherrschende „Lernen auf Vorrat“ wird verdrängt durch ein „lebensbegleitendes Lernen“. Der Zwang zu höherer beruflicher und regionaler Mobilität wird wachsen.
Hauptgründe für die Zunahme des von der Bevölkerung anzueignenden Wissensquantums sind einerseits der stark steigende Umfang des jährlich neu erzeugten Wissens, anderseits die sinkende „Halbwertzeit“ des vorhandenen bzw. erworbenen Wissens. Zum ersten Argument: Es dürfte kein Zweifel darin bestehen, daß eine Gesellschaft, deren Wohlstand sich auf Innovationen und Wissen gründet, schon aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen ist, die Rate der Wissenserweiterung dauerhaft zu steigern Zum zweiten Argument: Neues Wissen und neue Techniken führen dazu, daß vorhandenes Wissen unbrauchbar wird. Aufgrund der beschleunigten Innovationszyklen wird die Zeit, die erforderlich ist, bis erworbenes Wissen auf die Hälfte seiner Verwertbarkeit geschrumpft ist, immer kürzer. Sie beträgt nach Schätzungen gegenwärtig z. B. bei Schulwissen 20 Jahre, bei Hochschulwissen zehn Jahre und bei EDV-und Technologiewissen nur noch eins bis drei Jahre
Die wachsenden Wissensanforderungen zwingen die Berufstätigen zu einer stetigen Weiterentwicklung ihres Wissens und ihrer Fähigkeiten. Lernen wird völlig neu bestimmt und definiert werden, ein Prozeß, der derzeit in der gesellschaftlichen Praxis bereits in der Verlagerung des Schwerpunktes vom „Lernen auf Vorrat“ hin zum „lebensbegleitenden Lernen“ spürbar wird. Der für die herkömmlich Industriewirtschaft typische Berufsweg begann mit einer Phase der Ausbildung, setzte sich fort in ver-schiedenen Stufen des beruflichen Werdegangs, die in vielen Fällen mit beruflichem Aufstieg verbunden waren, und endete mit dem Eintritt in den Ruhestand. In der ersten Phase, der Ausbildungsphase, wurde das beruflich benötigte Wissen erworben, von dem dann -zusammen mit dem sukzessive erworbenen Erfahrungswissen -in den folgenden Phasen bis hin zum Eintritt ins Rentenalter gezehrt werden konnte. Diese berufliche Karriere wird für die Informationsgesellschaft nicht mehr typisch sein. Viele der heute noch bestehenden Arbeitsaufgaben und Arbeitplätze fallen im Laufe der Zeit weg, womit das für sie erworbene Wissen entwertet wird Aber es entstehen auch neue Beschäftigungsfelder mit neuen Erwerbschancen. Das derzeit am meisten beachtete ist mit dem schillernden Begriff „Multimedia“ verbunden Ein wesentliches Problem dabei ist, daß die neuen Arbeitsplätze oft nicht dort entstehen -weder in den Regionen, noch in den Branchen -, wo die alten Jobs wegfallen. Das erzeugt für die Arbeitskräfte den Zwang zu größerer geographischer und beruflicher Mobilität. Höhere Mobilität setzt Beweglichkeit im Qualifikationserwerb voraus. Lernen erfolgt nicht mehr konzentriert auf eine bestimmte -die anfängliche -Phase des Arbeitslebens, sondern muß mehrmals in Form von Bildungs-bzw. Weiterbildungsphasen erfolgen, und zwar über den gesamten aktiven Lebensweg der Erwerbsperson. Gefordert ist das oft zitierte „lebenslange Lernen“ Nur auf diese Weise erhält der Einzelne seine „Beschäftigungsfähigkeit“ („employability“) im Hinblick auf eine sich schnell verändernde Arbeitswelt. Wiederholte Qualifikationsphasen sind in der Regel die Voraussetzung für die Rückkehr in das Erwerbsleben nach längeren Phasen der Familienarbeit, der Erholung oder des Studiums. Oft sind sie erforderlich für die Bewältigung neuer, unterschiedlich strukturierter Arbeitsaufgaben, und meist ist ohne eine entsprechende Ausbildungs-oder Weiterbildungsphase der Umstieg auf ein anderes Berufs-und Tätigkeitsfeld nicht zu leisten.
These 2: Die Informationsgesellschaft „produziert“ nicht nur steigende Anforderungen an die Qualifikation der Menschen, auch die Art der geforderten Qualifikationen wird sich verschieben. Neben fachlichen, inhaltlichen Qualifikationen werden soziale Kompetenzen der unterschiedlichsten Art an Bedeutung gewinnen.
Zum Kreis der zukunftsbedeutsamen sozialen Kompetenzen zählen zum Beispiel -die Fähigkeit, neue Probleme zu erkennen und zu lösen, -das Wissen um die Gesamtzusammenhänge der betrieblichen Leistungserstellung, -die Fähigkeit zur Eigenmotivation, zur Selbst-entwicklung und zu eigenständigem Lernen in einem Umfeld mit geringen Hierarchien, -eigenständige, ergebnisorientierte Organisation von Arbeitsprozessen, -die Fähigkeit zur Kooperation in Arbeitsgruppen,
-die Fähigkeit zur zielgerichteten und ergebnis-orientierten Zusammenarbeit in „virtuellen Unternehmen“ sowie -die Beherrschung der neuen informationstechnischen Geräte und (auch betriebsübergreifenden)
Systeme, die sogenannte „Medienkompetenz“.
Einige dieser „Schlüsselqualifikationen“ lassen sich in Gänze erst in der Arbeitswelt durch praktisches Tun erwerben und voll ausbilden. Allerdings muß die schulische Bildung die erforderlichen Voraussetzungen für diesen Erwerb schaffen. Dabei kommt es vor allem darauf an, als „Basisqualifikation“ die Fähigkeit zu Lernen zu vermitteln. Menschen in der Informationsgesellschaft müssen stärker als bisher in der Lage sein, ihre Fähigkeiten und ihr Wissen eigeninitiativ und eigenständig weiterzuentwickeln.
Eine der wichtigsten Aufgaben der Schule in der Informationsgesellschaft ist die Vermittlung von .. Medienkompetenz“ Nur mit Hilfe dieser Fähigkeit lassen sich die Lernpotentiale neuer technik-gestützter Lehrangebote durch den einzelnen ausschöpfen. Gegenwärtig besteht in Deutschland zweifellos noch ein erheblicher Rückstand in der Förderung dieses zentralen Kompetenzbereiches Medienkompetenz bedeutet jedoch mehr als nur die Fähigkeit, neue Medien lernförderlich zu handhaben, sie umfaßt auch die Fähigkeit des Einzelnen, gezielt und bewußt Medienangebote auszuwählen und zu beurteilen sowie aktiv in den Medienprozeß eingreifen zu können. Ingesamt geht es darum, daß sich der Einzelne in der neuen Medienwelt selbstbewußt, autonom und verantwortungsvoll zurechtfinden und bewegen kann.
These 3: Das Verhältnis von Lernen und Arbeiten wird sich in der Informationsgesellschaft grundlegend verändern. Arbeiten muß lernförderlich gestaltet werden. Arbeiten und Lernen müssen stärker miteinander verzahnt werden.
In der Industriewirtschaft waren die Aufgaben und Tätigkeiten von Beschäftigten weitgehend festgelegt. Arbeitsplätze waren auf Dauer strukturiert und umfaßten ein festes Bündel von Arbeitsaufgaben. Die Lernkomponente der Arbeit war gering. In der Informationsgesellschaft wird es feste Arbeitsplätze im alten Sinne in vielen Fällen nicht mehr geben. Projektorientiertes Arbeiten mit wechselnden markt-und situationsabhängigen Problem-und Aufgabenstellungen tritt in den Vordergrund. Feste und dauerhafte Strukturen der Arbeitsprozesse werden aufgeweicht Deshalb gilt es, Arbeitsprozesse als lernförderliche Prozesse zu gestalten. Die Lernkomponente in der Arbeit ist verhältnismäßig groß. Arbeit muß so gestaltet werden, daß Lernen in möglichst großem Umfang ermöglicht wird. Das bezieht sich auf die Zusammensetzung von Projektteams ebenso wie auf die Gestaltung der wechselnden Einsatzfelder einzelner Arbeitskräfte. Auch der Zeitkomponente, deren es für Lernen bedarf, ist Rechnung zu tragen. Das ist um so wichtiger, als die in Zukunft benötigten Qualifikationen aufgrund der Unstruk-turiertheit vieler Arbeitsaufgaben schwer auf lange Sicht zu prognostizieren sind, sondern im Problemlösungsprozeß immer wieder neu entwikkelt werden müssen.
These 4: Bildung und Lernen wird in pluralisierten institutionellen Strukturen stattfinden. Lernen wandert aus den herkömmlichen Bildungseinrichtungen aus in andere Institutionen. Vor allem die Wirtschaft wird zu einem wichtigen Träger von Lernprozessen.
Lernen findet zukünftig „überall“ statt: in der Arbeit, in der Freizeit, zu Hause, unterwegs usw.
Eine der wichtigsten Veränderungen besteht darin, daß die Wirtschaft neben den herkömmlichen Bildungsinstitutionen Schule und Hochschule zu einem wesentlichen Träger und Anbieter von Lernprozessen wird. Das ergibt sich daraus, daß lebensbegleitende, berufliche Weiterbildung sich eng an den schnellen Veränderungen wirtschaftlicher Aufgaben orientieren muß. Die Unternehmen sind einerseits Gestaltungsinstanzen von arbeitsbezogenem Lernen, da sie über die Ausgestaltung der betrieblichen Arbeitsorganisation entscheiden. Sie fungieren andererseits als Anbieter neuer Lernkonzepte im Zuge der Kommerzialisierung des Bildungs-und Ausbildungssektors (Lernsoftware, Telelearning). Die Unternehmen müssen sich selbst verändern, sie müssen zu lernenden Organisationen umgestaltet werden, um im globalen Innovationswettbewerb wirtschaftlich bestehen und erfolgreich sein zu können. Die Weiterbildung von Beschäftigten wird zur wichtigsten Zukunftsinvestition und damit zur permanenten Aufgabe des Managements. Die Gewährleistung von intensiver Kommunikation unter den Beschäftigten wird eine der wichtigsten organisatorischen Herausforderungen. Öffentliche Bildungseinrichtungen müssen sich verändern und öffnen. Zwei der wichtigsten Aspekte in diesem Zusammenhang sind die stärkere Internationalisierung der Hochschulen und ihre Öffnung für neue Zielgruppen. Der Zwang zur stärkeren Internationalisierung ergibt sich aus der Internationalisierung des Bildungsmarktes, z. B. durch neue Lehrangebote im Internet, sowie durch die Notwendigkeit, für ausländische Studenten und Studentinnen attraktiver zu werden. Das erfordert ein Angebot neuer, international kompatibler Abschlüsse sowie die Entwicklung von Lehrangeboten mit weltweiten Zugangsmöglichkeiten, sprich im Internet und in englischer Sprache. Das bedeutet nicht, daß sich die Hochschulen gänzlich zu „virtuellen Institutionen“ entwickeln sollen. Es geht vielmehr um die Ergänzung der vorhandenen „On-Campus-Lehrangebote“ durch attraktive „Off-Campus-Angebote“, welche auf dem internationalen Bildungsmarkt durch hohe Qualität bestehen können. Und es geht um die bessere Vermarktung der Kernkompetenzen, über die Hochschulen verfügen, nämlich die Fähigkeit, Bildungsinhalte zu entwickeln
Die Öffnung für neue Zielgruppen bedeutet zweierlei: Zum einen geht es um Erwerbstätige und Arbeitslose. Erwerbstätigen kann der Zugang zu einer akademischen Ausbildung durch die Einrichtung berufsintegrierter Studiengänge ermöglicht werden. Darüber hinaus sollten für Phasen der Arbeitslosigkeit dem Einzelnen verstärkt Umschulungsmöglichkeiten auch an Hochschulen eröffnet werden. Die andere große Zielgruppe sind Menschen im Ruhestand, die sich in der „dritten Lebensphase“ befinden. Deren demographisches Gewicht wird in unserer alternden Gesellschaft in Zukunft erheblich wachsen. Freie Kapazitäten der Hochschulinfrastruktur sollten verstärkt für die Weiterbildung der älteren bildungswilligen Bürger und Bürgerinnen genutzt werden.
These 5: Die Informationsgesellschaft bewirkt eine grundlegende Umwälzung der Arbeitswelt. Außerschulische Bildung muß sich verstärkt auf unterschiedliche Lernbedürfnisse und Lerngruppen einstellen, welche sich durch neue Arbeitsformen und Erwerbstätigengruppen ergeben: Kernbelegschaften, Randbelegschaften, Selbständige, Arbeitslose.
Die soziale Schichtung der Erwerbstätigen wird durch neue Arbeitsformen und veränderte Arbeitsverhältnisse umgestaltet. Wir erleben seit Jahren eine rückläufige Bedeutung des „Normalarbeitsverhältnisses“, d. h.der dauerhaften, abhängigen Beschäftigung eines Arbeitnehmers bei einem Arbeitgeber zu tariflich vereinbarten Konditionen. Die Informationsgesellschaft wird das Vordringen heute noch „atypischer“ Arbeitsformen wie z. B. Telearbeit, Selbstangestelltenarbeit, Zeitarbeit o. ä. befördern und den Rückgang von Normarbeitsverhältnissen beschleunigen. So hat die Zukunftskommission für Bayern und Sachsen ihren empirischen Befund zu diesem Thema folgendermaßen resümiert: „Noch Anfang der siebziger Jahre standen einem Nicht-Normbeschäftigten fünf Normbeschäftigte gegenüber. Anfang der achtziger Jahre lag das Verhältnis bei eins zu vier, Mitte der achtziger Jahre bereits bei eins zu drei. Mitte der neunziger Jahre liegt es bei eins zu zwei. Bei Fortschreibung dieses Trends wird das Verhältnis von Norm-zu Nicht-Normarbeitsverhältnissen in fünfzehn Jahren bei eins zu eins lie-* gen.“ Auch wenn man diese Zahlen als übertrieben kritisieren und ihnen den vorgespiegelten Exaktheitsgrad bestreiten kann, so ist doch der sich in ihnen ausdrückende Trend zur Abnahme von Normarbeitsverhältnissen kaum wegzudiskutieren. Im Ergebnis wird diese Entwicklung dazu führen, daß ein erheblich größerer Teil der Erwerbsbevölkerung als heute als Freiberufler und Selbständige arbeiten wird. Daneben gibt es dann kleinere Stammbelegschaften von großen Netzwerkunternehmen. Erheblich mehr Erwerbstätige als heute werden mit Teilzeitjobs, mit befristeten Arbeitsverhältnissen oder auf Leiharbeitsbasis als Randbelegschaften arbeiten. Und Geringqualifizierte werden mehr noch als heute Gefahr laufen, in Langfristarbeitslosigkeit abgedrängt zu werden.
Gerade die letztgenannten Erwerbspersonengruppen stellen für die Beschäftigungspolitik eine enorme Herausforderung dar. Bildungs-und Weiterbildungspolitik müssen für die Lösung der Beschäftigungsprobleme und die Verwirklichung von Chancengleichheit einen wichtigen Part spielen. Vor allem müssen sie neue und andere Zugänge zu Bildung eröffnen, da die verschiedenen Gruppen unterschiedliche Zugangsvoraussetzungen zu Bildung und Weiterbildung haben: -Kernbelegschaften haben als einzige Gruppe problemlosen Zugang zu den wachsenden Lernangeboten der Wirtschaft, der anderen Erwerbstätigengruppen nicht oder kaum offen-steht.
Randbelegschaften werden allenfalls fallweise und bedarfsbezogen in Qualifizierungsmaßnahmen der Unternehmen berücksichtigt.
Freiberufler sind auf einen eigenständigen Zugang zu Bildungsangeboten z. B. von kommerziellen Bildungsträgern angewiesen. Sie müssen in vielen Fällen ihre Weiterbildungskosten selbst tragen.
-Arbeitslose laufen noch stärker Gefahr, von Lernprozessen der Wirtschaft gänzlich abgeschnitten zu werden. Hier haben die Arbeitsämter in Zukunft noch größere Herausforderungen zu bewältigen, allerdings mit dem Problem, selbst nicht originär in die Lernprozesse der Unternehmen und deren Tempo eingebunden zu sein. Neue Kooperationen zwischen Wirtschaft, Arbeitsämtern und sonstigen Bildungseinrichtungen werden für die Umschulung und Fortbildung von Arbeitslosen größere Bedeutung erlangen.
These 6: Die neuen multimedialen Informationsund Kommunikationstechniken werden zu vorherrschenden „Kulturtechniken“ in der Informationsgesellschaft werden Das wird für die Bildung nicht nur neue Probleme aufwerfen, sondern auch neue Möglichkeiten des Lernens bieten.
Neue Probleme entstehen durch die unterschiedliche Fähigkeit und Bereitschaft von Individuen, diese neuen Techniken als Lerninstrumente zu nutzen. Ältere Menschen haben größere Zugangs-barrieren als jüngere. Die Bezieher niedriger Einkommen können sich die erforderlichen Hardund Softwarekosten weniger leisten als die Normal-und Gutverdiener. Deshalb liegt in der Gewährleistung möglichst gleicher Zugangsvoraussetzungen zu den neuen Medien eine der Hauptaufgaben staatlicher Politik. Nur so kann die Spaltung der Gesellschaft in „Informationsarme“ und „Informationsreiche“ bzw. in Ausgeschlossene und Teilhabende der Informationsgesellschaft vermieden werden.
Ob die neuen multimedialen Lernangebote tatsächlich auch neue Lernchancen eröffnen, das hängt von der Art ihrer Anwendung ab. Bildungspolitik muß vor allem verhindern, daß die neuen Techniken zum Ersatz von Lehrkräften werden. Denn keine Technik kann die Lernprozesse, die zwischenmenschliche Kommunikation erfordern, ersetzen. Das gilt vor allem in den jüngeren Lebensphasen der Menschen (Grundschule), das gilt aber auch generell im Hinblick auf die Einübung sozialer Fähigkeiten, die der Einzelne auch im Arbeitsleben zunehmend benötigt (Teamarbeit!). Der sinnvolle Umgang mit den neuen Formen des Lernens sollte allerdings recht früh gelernt und eingeübt werden.
Neue Techniken können der Unterstützung des Lernens in der Schule und Hochschule dienen. Sie müssen dazu als Lernwerkzeug gestaltet und gehandhabt werden. Dazu bedarf es dreierlei Voraussetzungen: Erstens braucht man geeignete Konzepte für den Umgang und die Anwendung der neuen Medien. Dabei ist zu klären, in welcher Rolle, für welche Ziele und in welcher Form die neuen Techniken den größten Lernnutzen stiften. Zweitens muß das Lehrpersonal für den sinnvollen Einsatz der technikgestützten Konzepte qualifiziert werden. Und drittens ist die Einübung der neuen Lernmethoden in gemeinsamen Anstren-gungen von Lehrenden und Lernenden erforderlich. These 7: Mit dem Übergang in die Informationsgesellschaft und den neuen Formen der Bildung verändert sich auch die Rolle der Beteiligten in Lernund Bildungsprozessen.
In der industriegesellschaftlich geprägten Bildung ist die Rolle der Lehrenden dominierend. Sie fungieren als aktive Wissensvermittler und Informationsgeber. Die Lernenden sind in eine weitgehend passive Rolle gedrängt. Diese Rollenverteilung wird sich in der Informationsgesellschaft ändern. Die Bedürfnisse und die Initiative der Lernenden treten in den Vordergrund. Lernprozesse können aufgrund der Vielzahl der Lehrangebote und ihrer großen Anpassungsfähigkeit individueller gestaltet werden. Der Lernende bestimmt über das Tempo der Lernprozesse. Das bedeutet allerdings nicht, daß Lehrende damit überflüssig werden, aber ihre Aufgaben verändern sich: Es geht nicht mehr vorrangig darum, Lehrstoff vorzutragen und Informationen zu vermitteln, sondern vor allem darum, die Lernenden zu unterstützen, sich mit den neuen Lerninstrumenten zurechtzufinden. Lehrende übernehmen die Rolle von „Navigatoren“, Betreuern und „Moderatoren“ in Lernprozessen. Dieser Wechsel in den Rollen ist jedoch keineswegs problemlos.
Vor allem auf Seiten der Lehrenden werden im Rahmen der neuen „Lernkultur“ nicht nur neue Einstellungen, sondern auch gänzlich neue Qualifikationen erforderlich. Diese können nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden und fallen auch nicht „wie Manna vom Himmel“. Damit wird die Ausbildung der Lehrenden zu einem neuen Engpaß bzw. zu einer neuen Herausforderung für die Bildungspolitik In diesem Zusammenhang sind bislang mindestens zwei Probleme ungelöst, an deren Überwindung gearbeitet werden muß: Zum einen gibt es bislang keine Qualifikationskonzepte, um die Lehrenden auf diese neuen Aufgaben vorzubereiten. Solche Konzepte müßten schnellstens entwickelt werden. Zum anderen hat die neue Rolle der Lehrenden weiter reichende Konsequenzen, die sich bislang noch nicht im allgemeinen Bewußtsein niedergeschlagen haben: Einerseits sind auch die Lehrenden in der Informationsgesellschaft mehr als bisher dem Zwang zum lebenslangen und lebensbegleitenden Lernen ausgesetzt. Das ist keine überraschende Erkenntnis, ihr muß jedoch auch in der praktischen Bildungs- und Weiterbildungspolitik Rechnung getragen werden. Andererseits müssen sich die Lehrenden nicht nur in die neuen Rollen von Moderatoren, Navigatoren usw. einarbeiten, sie werden auch zu wesentlichen Instanzen der Bewertung multimedialer Lernangebote und brauchen dafür die erforderlichen Qualifikationen.
Johann Welsch, Dr. rer. pol., geb. 1947; Professor für Wirtschaftswissenschaften am Fachbereich Sozial-und Kulturwissenschaften der Fachhochschule Wiesbaden. Veröffentlichungen u. a.: Telearbeit: Arbeitsform der Wissensgesellschaft, in: Conny H. Antoni/Eckhard Eyer/Jan Kutscher (Hrsg.), Das flexible Unternehmen. Arbeitszeit, Gruppenarbeit, Entgeltsysteme, Wiesbaden 1999; (zus. mit Hartmut Seifert) Neue Technik und Arbeitszeiten in veränderten Arbeitswelten?, in: Andreas Büssing/Hartmut Seifert (Hrsg.), Die „Stechuhr“ hat ausgedient. Flexiblere Arbeitszeiten durch technische Entwicklungen. Berlin 1999.
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