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"Problemkind" Deutsche Bahn? Strukturen und Reformbedarf des deutschen Schienenverkehrs | bpb.de

"Problemkind" Deutsche Bahn? Strukturen und Reformbedarf des deutschen Schienenverkehrs

Christian Böttger

/ 17 Minuten zu lesen

Die mit der Bahnreform 1994 geschaffene Marktordnung für die Eisenbahn in Deutschland hat bis heute Bestand. Mittlerweile besteht in vielen Bereichen Reformbedarf, insbesondere wenn die Bahn dazu beitragen soll, die Treibhausgasemissionen des Verkehrssektors zu reduzieren.

Die heutige Marktstruktur der Eisenbahn in Deutschland entstand im Wesentlichen durch die Bahnreform 1994. Durch diese Reform wurden die Deutsche Bundesbahn und die Reichsbahn der DDR fusioniert, in eine privatwirtschaftliche Rechtsform umgewandelt und zugleich entschuldet, während die Marktordnung des Schienenverkehrs entlang einer Reihe neuer EU-Richtlinien fundamental reformiert wurde.

Kern der EU-Reform war die Öffnung des Schienennetzes. Während zuvor die staatlichen Eisenbahnen Eigentümer der Infrastruktur gewesen waren und als Monopolisten den Zugverkehr betrieben hatten, erhielten nun auch andere Betreiber die Möglichkeit, das Netz mit eigenen Zügen zu nutzen. Für die Nutzung der Infrastruktur durfte der Eigentümer Benutzungsentgelte erheben, insbesondere Trassenpreise. Der Zugang zur Infrastruktur und die Preisbildung waren diskriminierungsfrei zu gestalten, eine Bevorzugung der Staatsbahnen wurde untersagt. Des Weiteren verlangt die EU seither eine getrennte Rechnungsführung für die Infrastrukturgesellschaften, um zu verhindern, dass die Gewinne der Infrastruktur in andere Geschäfte der Staatsbahnen fließen.

In Deutschland wurde der Eisenbahnbetrieb in eine Holding mit fünf großen Aktiengesellschaften als Tochterfirmen überführt. Neben den beiden Infrastrukturgesellschaften DB Netz AG und DB Station AG (Personenbahnhöfe) entstand je eine Gesellschaft für den Fernverkehr, den Nahverkehr und den Güterverkehr. Als dritte Stufe der Reform war angedacht, in späteren Jahren die Holding aufzulösen und die Transportgesellschaften zu privatisieren. Für die Infrastrukturgesellschaften wurde im Grundgesetz verankert, dass diese mehrheitlich im Eigentum des Staates bleiben sollen.

Die Infrastruktursparten sollten sich durch die Nutzungsentgelte finanzieren. Für neue Bahnstrecken, die sich wirtschaftlich nicht rechneten, wollte der Bund Zuschüsse zahlen. Bei der Reform wurde angenommen, dass der Fernverkehr und der Güterverkehr unter diesen Marktbedingungen ohne weitere Zuschüsse im Markt agieren könnten. Für den Regionalverkehr wurde ein komplett neues Marktmodell geschaffen, da diese Verkehre – nirgendwo auf der Welt – eigenwirtschaftlich erbracht werden können. Mit der Reform wurde die Verantwortung für den Regionalverkehr vom Bund auf die Bundesländer übertragen. Der Bund stellt den Ländern seither Geld zur Verfügung, mit dem die Länder Verkehrsleistungen bestellen können. Die Mittel sind grundgesetzlich garantiert und inflationsindiziert. Anfangs bestellten die Länder die gesamte Verkehrsleistung bei der DB AG. Über die Jahre bauten sie als "Aufgabenträger" bezeichnete Bestellorganisationen auf und schrieben Verkehrsleistungen im Wettbewerb aus. Inzwischen erbringen Wettbewerber etwa ein Drittel der Verkehre im Regionalverkehr.

Mit der Berufung von Hartmut Mehdorn zum Vorstandsvorsitzenden 1999 änderte sich die strategische Ausrichtung der DB AG. Mehdorn strebte den Aufbau eines "integrierten Logistikkonzerns" an und wollte das Unternehmen an die Börse bringen, die Pläne für die dritte Stufe der Bahnreform gerieten in Vergessenheit. Der Bund als Eigentümer beschloss die geänderte Strategie nie formal, vielmehr regte sich in allen Fraktionen des Bundestages erheblicher Widerstand. Trotzdem konnte der Bahnvorstand die Umbaupläne mit Unterstützung eines Teils der Bundesregierung vorantreiben.

Dafür benötigte der Konzern vor allem zusätzliche Geldmittel. Die DB AG überzeugte den Bund, Neubauvorhaben vollständig zu finanzieren. Außerdem übernahm der Bund die Finanzierung eines Teils der Ersatzinvestitionen, also der Kosten für regelmäßig anfallende Erneuerungsmaßnahmen etwa an Schienen oder Oberleitungen. Hierfür wurde ab 2006 ein Betrag von 2,5 Milliarden Euro jährlich bereitgestellt, der aus dem Budget für Neu- und Ausbau umgewidmet wurde. Das Neubaubudget hatte in den Jahren zuvor rund 4 Milliarden Euro jährlich betragen, ab 2005 sank dieser Betrag auf 1,5 Milliarden Euro jährlich ab und wurde bis 2020 nicht mehr erhöht. Dadurch kam der Neubau von Strecken fast zum Erliegen, und zentrale Projekte zum Ausbau des Schienennetzes wurden verschoben. Das Unternehmen DB AG hingegen wurde durch die Umstellung finanziell entlastet und erhielt zusätzlichen Spielraum für die internationale Expansion. Weitere Mittel wurden durch den Verkauf von "Tafelsilber" wie Telefon- und Datennetz, Fährlinien, Eisenbahnreklame und Immobilien sowie durch neue Schulden beschafft. Mit diesen zusätzlichen Mitteln wurde insbesondere der Aufbau eines internationalen Logistikgeschäfts und einer Sparte für internationalen Personenverkehr mit Bus und Bahn finanziert. In den vergangenen Jahren investierte die DB AG darüber hinaus massiv in Start-ups, vor allem im Mobilitätssektor. Inzwischen machen die Geschäfte, die nichts mit Eisenbahn in Mitteleuropa zu tun haben, fast die Hälfte des Konzernumsatzes aus.

Der Börsengang scheiterte 2007, zuerst verzögert durch die großen politischen Widerstände und dann durch die aufziehende Finanzkrise. Die strategische Ausrichtung änderte sich aber nicht und wurde auch unter den Nachfolgern von Hartmut Mehdorn fortgeführt.

Mehr Verkehr auf die Schiene

Die Strategie der vergangenen 20 Jahre hat sich insgesamt als nicht erfolgreich erwiesen. Die Investitionen in die neuen Geschäftsfelder waren weitgehend Fehlschläge. Der Konzern wurde mit der Bahnreform entschuldet, inzwischen betragen die Schulden wieder rund 30 Milliarden Euro. Seit etwa zehn Jahren sinken die Gewinne der DB AG stetig. Außerdem mussten in den Jahren 2015 und 2020 mehrere Auslandsbeteiligungen wertberichtigt werden, allein dadurch entstanden Verluste von rund 3 Milliarden Euro. Im Kerngeschäft, der Eisenbahn in Deutschland, macht sich die Vernachlässigung der Eisenbahninfrastruktur bemerkbar. Die Infrastruktur wird immer älter, die Züge werden sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr immer unpünktlicher.

Die sinkende Pünktlichkeit ist auch eine Folge der Strukturänderung bei der Nutzung des Schienennetzes. Die Trassennachfrage ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten nur sehr moderat gewachsen, durchschnittlich um 0,3 Prozent pro Jahr. Allerdings erfolgt dieses Wachstum sehr ungleichmäßig. So nimmt der Pendlerverkehr in den Metropolen aufgrund der anhaltenden Land-Stadt-Wanderung stark zu, auch der Fernverkehr wächst vor allem auf den Hauptachsen. Im Schienengüterverkehr gehen Montan- und Kohleverkehre zurück, viele Produkte werden miniaturisiert oder durch digitale Lösungen ersetzt. Entsprechend sinkt die Trassennachfrage in der Fläche. Umgekehrt sind Importe aus Asien dramatisch gewachsen, und die Eisenbahn partizipiert daran durch den boomenden Containerverkehr aus den großen Häfen. Allerdings erfolgen diese Leistungen weitgehend auf den bereits überlasteten Hauptachsen. Obwohl diese Strukturverschiebung in der Trassennachfrage allen Branchenakteuren seit vielen Jahren bekannt ist, findet sie in den Netz- und Investitionsplanungen bislang kaum Berücksichtigung. Entsprechend sind heute die Hauptachsen und Knoten so überlastet, dass die Betriebsqualität leidet und Wachstum kaum noch möglich ist.

Dabei bekennt sich jede Bundesregierung seit rund 20 Jahren zur Verkehrsverlagerung auf die Schiene, zugleich ist der Klimaschutz zu einem immer wichtigeren politischen Ziel geworden. Die Bundesregierung hat sich international verpflichtet, die Treibhausgasemissionen deutlich zu senken, national wurden entsprechende Ziele für alle Wirtschaftssektoren festgelegt. Während in den meisten Sektoren die Emissionen deutlich sinken, stagnieren sie im Verkehrssektor. Deshalb besteht in diesem Feld besonderer Handlungsbedarf. Bei der Bundesregierung steht vor allem die Umstellung von Pkw und Lkw auf umweltfreundlichere Antriebe im Mittelpunkt der Planungen. Fahrzeuge mit Batterieantrieb werden mit milliardenschweren Subventionen gefördert. Weitere Milliardensubventionen stehen für die Entwicklung alternativer Antriebe, basierend auf Wasserstoff und Biokraftstoffen, zur Verfügung. Mit erkennbar niedrigerer Priorität hat die Politik auch Verlagerungsziele auf die Schiene formuliert. Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung von 2018 enthielt das Ziel einer Verdopplung des Personenverkehrs bis 2030. Im Koalitionsvertrag von 2021 formulierten die Ampel-Parteien zusätzlich für den Schienengüterverkehr das konkrete, sehr ambitionierte Ziel, bis 2030 einen Marktanteil von 25 Prozent zu erreichen. Allerdings ist nicht klar, wie dieses Ziel umgesetzt werden soll: Die im Koalitionsvertrag 2021 vereinbarten Maßnahmen sind weitgehend die gleichen wie im Koalitionsvertrag von 2018, dabei stagniert der Marktanteil der Schiene im Güterverkehr seit Jahren bei etwa 19 Prozent.

Kapazitätssteigerung durch Infrastrukturausbau?

Eine Verlagerung von Verkehr auf die Schiene erfordert die Bereitstellung entsprechender Kapazitäten. Allerdings ist das Hauptnetz bereits nahe an seiner Kapazitätsgrenze, das Volumen der Neubaumaßnahmen verharrt seit etwa 20 Jahren auf niedrigem Niveau. Im Bundesverkehrswegeplan sind Neubauprojekte mit einem Volumen von rund 50 Milliarden Euro als "Vordringlicher Bedarf" aufgeführt. Die meisten dieser Projekte stehen seit drei Jahrzehnten auf dieser Liste. 2018 hat das Bundesverkehrsministerium begonnen, ein neues Netzkonzept zu entwickeln, das als "Deutschlandtakt" bezeichnet wird und die gewünschte Verkehrsausweitung ermöglichen soll. Zur Umsetzung dieses Konzepts werden weitere 50 Milliarden Euro an Investitionen benötigt. Allerdings ist diese Planung auf den Personenverkehr konzentriert.

Um die Kapazität so auszuweiten, dass die politischen Ziele der Bundesregierung erreicht werden können, werden also Investitionen von deutlich mehr als 100 Milliarden Euro erforderlich sein. Die Große Koalition von 2018 hat die Mittel für Neu- und Ausbau auf 2 Milliarden Euro jährlich erhöht, eine weitere Anhebung der Mittel auf 3 Milliarden Euro jährlich wird politisch diskutiert. Doch selbst mit dieser Mittelerhöhung wäre die Umsetzung der Maßnahmen ein Generationenprojekt.

Große Erwartungen knüpft das Bundesverkehrsministerium an die Digitalisierung der Infrastruktur, mit der die Leistungsfähigkeit des vorhandenen Netzes erhöht werden soll. Im Kern soll die bestehende Leit- und Sicherungstechnik abgelöst werden. Künftig soll jeder Zug mit der Infrastruktur und den anderen Zügen auf der Strecke kommunizieren, dadurch soll die Kapazität um 20 bis 30 Prozent ansteigen. Allerdings sind hierfür Investitionen von 30 bis 40 Milliarden Euro erforderlich. Der Nutzen des Systems wird erst dann vollständig eintreten, wenn die Strecken und alle Züge entsprechend ausgerüstet sind. Vor allem kleine und ausländische Bahngesellschaften befürchten, dass sie zusätzliche Kosten tragen müssen, der Nutzen jedoch erst in ferner Zukunft eintritt.

Der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP enthält eine vage Festlegung, die Investitionen in die Schiene zu erhöhen. Kurzfristig wäre allerdings die Bereitstellung zusätzlicher Mittel kaum zweckmäßig. In den vergangenen Jahren konnte die DB AG die vorhandenen Mittel für Neu- und Ausbau nicht vollständig abrufen, zudem gibt es derzeit praktisch keine durchgeplanten, baureifen Projekte. Diese beiden Punkte sind Ausdruck von Problembereichen, deren Dramatik bislang nicht in die öffentlichen Debatten vorgedrungen ist.

Zum einen besteht ein massiver Mangel an Ressourcen für Planung, Genehmigung und Umsetzung von Bauprojekten. Hier hat sich das Angebot den geringen Mitteln der vergangenen Jahre angepasst. Um den Ausbau der Schiene zu ermöglichen, ist dringend ein umfangreiches Programm zur Gewinnung von Fachkräften erforderlich. Besonders kritisch ist die Situation bei Ingenieuren, da die Ausbildung einen großen zeitlichen Vorlauf erfordert und andere Maßnahmen wie Anwerbung im Ausland oder Umschulung wenig Potenzial bieten.

Zum anderen nehmen Anwohnerproteste zu, die Bauprojekte mitunter jahrelang blockieren. Die Bereitschaft zur Duldung neuer Infrastrukturprojekte sinkt dramatisch, inzwischen gehen Anwohner selbst gegen bestehende Infrastruktur vor. Dies wird ermöglicht durch das extrem komplizierte und langwierige Planungsrecht, das auf jeder Stufe extensive Klagemöglichkeiten bietet. Die Hoffnung, durch eine breite Bürgerbeteiligung zu Lösungen zu gelangen, hat sich nicht bewahrheitet. Die jeweils betroffenen Anwohner blockieren Trassen vor ihrer Haustür, der Lösungsvorschlag besteht in einer Trasse an einem anderen Ort, an dem die dann jeweils Betroffenen ebenfalls protestieren. Auch Mitglieder des Bundestages, die in Berlin neue Projekte fordern, beteiligen sich in ihren Wahlkreisen an deren Blockade. So wurden für die dringend benötigte Neubaustrecke Hamburg–Hannover in sechs Jahren Bürgerbeteiligung alle sinnvollen Trassenverläufe von Anwohnern und Lokalpolitikern abgelehnt und verworfen. Als einzig gangbare Lösung ergibt sich oft der Bau von Tunnelstrecken. Aktuelles Beispiel ist der Nordzulauf zum Brennerbasistunnel von München Richtung Innsbruck. Alle Trassenvarianten wurden von den jeweiligen Anrainern abgelehnt, als Lösung wurde eine Trassierung vorgeschlagen, die in flachem Gelände zu zwei Dritteln im Tunnel verlaufen soll. Der Bau von Tunnelstrecken erfordert allerdings umfangreiche Planungen, die Investitionen sind um ein Vielfaches höher als Strecken an der Oberfläche. Zudem verursachen Bau und Betrieb von Tunnelstrecken deutlich höhere Emissionen. Tunnel als neue Standardlösung des Streckenbaus würden sämtliche Baubudgets sprengen und die ökologischen Vorteile des Verkehrsträgers Bahn deutlich mindern. Derzeit ist nicht erkennbar, wie diese Konflikte gelöst werden könnten. 2020 verabschiedete der Bundestag ein Planungsbeschleunigungsgesetz, dessen Wirksamkeit in den kommenden Jahren getestet werden soll.

Die begrenzten Mittel, die komplizierten Genehmigungsprozesse, die Ressourcenengpässe bei Planung und Bau sowie der immer heftigere Anwohnerwiderstand gegen neue Projekte werden verhindern, dass kurz- und mittelfristig neue Infrastruktur geschaffen wird, die eine Kapazitätssteigerung des Schienennetzes in Deutschland ermöglicht. Deshalb werden aktuell weitere Wege zur Kapazitätsausweitung diskutiert: Zum einen wäre eine Verlängerung von Zügen im Personen- und Güterverkehr eine rasch wirkende Maßnahme. Allerdings sind auch dafür oft Baumaßnahmen erforderlich, die nach bestehenden Regeln sehr langwierig sind. Zum anderen könnte das Netz durch kleinere Maßnahmen wie zusätzliche Überholgleise, Gleiswechsel oder Verbindungskurven stabiler werden und vielleicht auch zusätzliche Kapazität geschaffen werden. Im Rahmen des "Klimaschutzpakets" will die Bundesregierung insgesamt eine Milliarde Euro zusätzlich für solche Kleinmaßnahmen bereitstellen. Derzeit entsteht aber nicht der Eindruck, dass die DB AG diese besonders schnell umsetzen kann. Ferner könnte eine Vereinfachung der technischen und betrieblichen Regelwerke, die im Vergleich zur Luftfahrt, zum Straßenverkehr und zur Eisenbahn in anderen Ländern sehr rigide und streng ausfallen, deutlich mehr Kapazität schaffen und Kosten senken. Das Thema wird bislang jedoch nicht breit diskutiert. Mit der Umsetzung all dieser Maßnahmen ließe sich die Netzkapazität zwar noch begrenzt steigern, allerdings ist unwahrscheinlich, dass damit die Verlagerungsziele der Bundesregierung umsetzbar sind.

Reformbedarf der Marktsegmente

Die mit der Bahnreform 1994 geschaffene Marktordnung für die Eisenbahn hat bis heute Bestand. Allerdings ist über die Zeit in allen Marktsegmenten Reformbedarf entstanden.

Im Regionalverkehr ist die Verkehrsleistung seit der Bahnreform um 40 Prozent angestiegen, auch der Marktanteil ist deutlich gewachsen. Die Angebotsqualität ist – abgesehen von den Infrastrukturengpässen – gestiegen, eine Reihe privater Wettbewerber erbringt inzwischen knapp ein Drittel der Verkehre. Das Marktdesign hat sich grundsätzlich bewährt, allerdings gibt es aktuell einige Probleme. Zum einen sind die Personalkosten in den vergangenen Jahren deutlich überproportional angestiegen. Zum anderen haften die Betreiber gegenüber dem Aufgabenträger für die sinkende Betriebsqualität der Infrastruktur. Sie zahlen Vertragsstrafen für verspätete Züge, erhalten aber auch bei Verschulden keinen Schadensersatz von der Infrastruktur. In der Folge sind etliche Betreiber in die roten Zahlen gerutscht. Abellio, eine Tochter der niederländischen Staatsbahn NS, ist Anfang 2022 über eine Insolvenz aus dem Markt ausgestiegen. Keolis, eine Tochtergesellschaft der französischen Staatsbahn SNCF, wurde Ende 2021 an eine Treuhandgesellschaft verkauft und beteiligt sich nicht mehr an Neuausschreibungen. Ein weiteres Problem in diesem Marktsegment ist, dass die Ausschreibungen inzwischen so detaillierte Vorgaben enthalten, dass die Vergaben fast nur noch durch Kostenwettbewerb entschieden werden. Hier sind Nachsteuerungen erforderlich.

Auch im Schienengüterverkehr hat der Wettbewerb eine deutlich positive Wirkung entfaltet. Trotz schwieriger intermodaler Wettbewerbsbedingungen und Verschiebungen in der Güterstruktur hat sich die Verkehrsleistung seit der Bahnreform von 70 Milliarden auf 130 Milliarden Tonnenkilometer fast verdoppelt, der Marktanteil ist von rund 16 auf 19 Prozent angestiegen. Das Wachstum wird weitgehend von Wettbewerbern getragen, sie erbringen inzwischen mehr als die Hälfte der Verkehrsleistung.

Der Güterverkehr umfasst unterschiedliche Segmente. Der "Kombinierte Verkehr", der die Transporte von Containern oder Lkw umfasst, wächst stark. Der "Ganzzugverkehr" umfasst Leistungen, in dem ganze Züge zwischen Produktions- oder Logistikstandorten verkehren. In diesem Segment brechen einzelne Gütergruppen wie Kohle und Montanprodukte weg, andere wie Chemie, Holz, Fahrzeuge und Mineralöl entwickeln sich recht stabil. Sie bieten aber auch wenig Wachstumspotenzial. Im "Einzelwagenverkehr" werden in der Fläche Wagen oder Wagengruppen abgeholt, zu ganzen Zügen für lange Strecken zusammenrangiert und dann wieder vereinzelt und in der Fläche zugestellt. Durch den Rangierbetrieb und die Zustellung einzelner Wagen in die Fläche ist diese Betriebsform sehr aufwendig, zudem handelt es sich um ein natürliches Monopol der DB Cargo AG. Aufgrund der hohen Systemkosten und der Güterstrukturentwicklung schrumpft die Nachfrage seit Jahren, trotzdem werden täglich immer noch rund 15000 Wagen befördert. Die DB Cargo AG erzielt nach eigenen Angaben in diesem Segment hohe Verluste und drohte jahrelang mit der Stilllegung. Als Reaktion stellt der Bund bis 2025 eine Unterstützung von 0,6 Milliarden Euro bereit.

Der Kombinierte Verkehr ist preissensibel, deshalb hängt das Verlagerungspotenzial maßgeblich von den intermodalen Wettbewerbsbedingungen ab. Heute trägt der Lkw die Kosten für Bau und Betrieb der Straßen nicht vollständig, externe Kosten werden ihm kaum angelastet, die Einhaltung von Regeln wie Lenk- und Ruhezeiten wird kaum kontrolliert. Die Schiene bräuchte für weiteres Wachstum vor allem zusätzliche Infrastruktur auf den Hauptachsen sowie zusätzliche Umschlagkapazitäten. Für bestimmte Segmente des Ganzzug- und Einzelwagenverkehrs wie Baustoffe und Holz könnte es sinnvoll sein, Zugangspunkte wie Ladegleise zu reaktivieren, die in den vergangenen Jahrzehnten zurückgebaut wurden. Beim Einzelwagenverkehr fordern Kunden und andere Betreiber eine Öffnung des Systems für Dritte. Hierfür sind unterschiedliche Marktmodelle vorstellbar, etwa eine Öffnung der Rangierbahnhöfe für alle Betreiber oder eine wettbewerbliche Vergabe – und Bezuschussung – der Verteilsysteme in der Fläche. Allerdings gibt es bislang keine systematische Abschätzung, welche Verlagerungspotenziale mit diesen Maßnahmen gehoben werden könnten.

Der Bund ist gemäß Grundgesetz für den Eisenbahnfernverkehr verantwortlich. Bislang überlässt er Planung und Durchführung der Verkehre dem Markt, es gibt keine Vertragsbeziehung zur DB Fernverkehr AG, die autonom über ihr Angebot entscheidet. Der Fernverkehr auf der Schiene hat sich in den ersten zwei Jahrzehnten seit der Bahnreform stabil entwickelt. Von 2015 bis zum Einbruch aufgrund der Corona-Pandemie ist die Verkehrsleistung von 36,9 Milliarden auf 44,7 Milliarden Personenkilometer angestiegen. Der Marktanteil ist deutlich gewachsen, die DB AG erzielt in diesem Segment inzwischen solide Gewinne. Allerdings ist bisher auf dem Markt kaum Wettbewerb entstanden. Hierfür werden mehrere Gründe angeführt: Zum einen sind für einen Markteinstieg im Hochgeschwindigkeitsverkehr Investitionen im dreistelligen Millionenbereich erforderlich. Die Züge müssten bestellt werden, bevor Trassen für den Betrieb zugesagt werden. Niemand wird ein solches Risiko eingehen. Zum anderen beherrscht die DB AG heute die Fahrgastinformation und Ticketbuchung über ihre leistungsfähige IT-Plattform. Der Zugang zu dieser Plattform und zu Tarifkooperationen ist für Dritte sehr schwierig. Entsprechend ist ohne Impulse von außen eine Änderung der Marktstruktur nicht zu erwarten. Mit der angekündigten Einführung des Deutschlandtakts mit definierten, dichteren Takten und Bedienungszusagen für Großstädte wird die Frage immer drängender, ob der Fernverkehr weiterhin ohne staatliche Vorgaben betrieben werden kann. In der Diskussion ist derzeit ein Konzessionsmodell, in dem der Staat eine Mindestbedienung und Qualitätsanforderungen vorgibt und Linienbündel wettbewerblich vergibt.

Die Eisenbahninfrastruktur hat sich in den vergangenen Jahren zur wichtigsten Gewinnquelle des DB Konzerns entwickelt. Der Gesetzgeber hat im Eisenbahnregulierungsgesetz von 2016 den Anspruch der DB AG auf eine "kapitalmarktadäquate" Verzinsung des Kapitals festgeschrieben. Dies führt dazu, dass die Trassenpreise rund 20 Prozent höher sind, als wenn die DB AG lediglich den tatsächlichen Zinsaufwand ansetzen und den Trassennutzern anlasten dürfte. Zugleich ist zwischen Bund und DB AG vertraglich vereinbart, dass die Gewinne der Infrastruktur über den Konzern an den Bund ausgeschüttet und von diesem als Investitionszuschuss an die Bahninfrastruktur zurückfließen. Allerdings wurde diese Vereinbarung schon vor der Corona-Pandemie nicht eingehalten, tatsächlich dienen die Gewinne der Infrastruktur zur Finanzierung anderer Konzernaktivitäten.

Reformbedarf im Unternehmen

In der öffentlichen Debatte steht die Frage nach der Trennung von Netz und Betrieb im Mittelpunkt. Die Ampel-Koalition hat sich für diese Legislaturperiode auf den Erhalt des "integrierten Konzerns" DB AG geeinigt. Allerdings sind kleinere Reformen angedacht: Die Infrastruktursparten, allerdings ohne die 1997 aus der DB Netz ausgegründete DB Energie, sollen zu einer neuen gemeinwohlorientierten Sparte zusammengelegt werden, die keine Gewinne mehr ausschüttet. Hierfür müsste der bestehende Finanzierungskreislauf neu geregelt und die entsprechenden Gesetze und Verträge angepasst werden. Die Regelung lässt noch Spielraum zur Ausgestaltung, und es bleibt offen, ob und wie die neue Regierung diese Vereinbarung umsetzt und ob damit die Schiene tatsächlich gefördert wird.

Von zentraler Bedeutung ist die Frage nach der Steuerung des Konzerns. Die DB ist trotz der Erfolge von Wettbewerbern in einigen Märkten weiterhin das dominierende Unternehmen der Branche. Sie verfügt über ein einmaliges technologisches und betriebliches Know-how, das dem der öffentlichen Verwaltung und der Politik oft überlegen ist. Dadurch kann das Unternehmen erheblichen Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse und auf die Ausgestaltung der Regelwerke ausüben. Über die Infrastruktur ergeben sich vielfältige Schnittstellen zu allen Ebenen in Politik und Verwaltung. Der Konzern nutzt dieses Wissen und die Kontakte auch für seine strategischen und wirtschaftlichen Interessen. Im Ergebnis ist der Bund zwar Eigentümer, aber faktisch kaum in der Lage, den Konzern zu steuern. Seit Jahren gibt es keine klaren Zielvorgaben der Politik, beispielsweise für Marktanteilsgewinne. Der Konzern hat sich weitgehend selbst Ziele gesetzt – insbesondere jenes, einen globalen Logistikkonzern zu schaffen. Die Besetzung der Aufsichtsräte ist nicht immer nachvollziehbar und wurde jüngst vom Bundesrechnungshof kritisiert. Aus Sicht des Verfassers wäre es sinnvoll, dass die Bundesregierung explizit Ziele für die DB AG vorgibt und deren Umsetzung durch einen entsprechend fachkundig besetzten Aufsichtsrat durchgesetzt wird. Strategisch sollte sich die DB AG auf die Schiene in Deutschland konzentrieren. Die meisten bahnfernen und ausländischen Aktivitäten sollten verkauft werden. Mit den Erlösen könnten Schulden abgebaut werden, und ein entsprechend kleinerer Konzern könnte sich auf die anstehenden Aufgaben in Deutschland konzentrieren.

Bei der Finanzlage des Konzerns besteht akuter Handlungsdruck. Seit einigen Jahren verschlechtert sich die wirtschaftliche Lage. DB Regio hat nach der Bahnreform davon profitiert, dass die Verträge erst sukzessive ausgeschrieben wurden und die Altverträge ohne Wettbewerb hochprofitabel waren. Deshalb war DB Regio lange die profitabelste Sparte des Konzerns. Inzwischen werden fast alle Verkehrsleistungen ausgeschrieben, dadurch sinken die Gewinne von DB Regio deutlich in Richtung des marktüblichen Niveaus ab. DB Cargo steckt seit Jahren in der Krise und generiert hohe Verluste. Der Fernverkehr hat in den vergangenen Jahren zwar solide Gewinne erwirtschaftet, mit der laufenden Beschaffung einer neuen Zugflotte steigen allerdings auch die Abschreibungen stark an. Die Infrastruktursparten sind bisher eine wichtige Ertragsquelle, und die Gewinne sind durch die Preisregulierung praktisch garantiert, sie werden aber auch kaum steigen. Wenn die Regelung der Koalitionsvereinbarung umgesetzt wird, wonach die Infrastruktursparten keine Gewinne mehr an den DB-Konzern ausschütten sollen, stehen dem Konzern deutlich weniger Mittel zur Verfügung. Hinzu kommt, dass die im Teilkonzern Arriva gebündelten Personenverkehrsbeteiligungen außerhalb Deutschlands über die Jahre kaum ernsthafte Gewinne erzielt haben. Durch Schlechtleistung verlor Arriva Anfang 2020 in England einen großen Vertrag, allein dadurch musste der Konzern 1,4 Milliarden Euro abschreiben. Arriva ist derzeit unverkäuflich und wird auf Jahre hinaus absehbar keine Gewinne erwirtschaften. Einzig die Logistiksparte Schenker ist nach vielen mäßigen Jahren in der aktuellen Boomphase sehr profitabel. Die Verluste der Konzernholding wachsen seit Jahren durch einen immer größeren Verwaltungsapparat (Overhead) und massive Venturecapital-Aktivitäten an. Zugleich sind die Personalkosten im Betriebsbereich in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Im DB Konzern ringen zwei Gewerkschaften um Einfluss. Dies hat in jüngerer Zeit zu harten Streiks geführt. Dabei sind nicht nur die Gehälter gestiegen, es wurden auch die Regeln zu Überstunden und Einsatzplanung so angepasst, dass die Mitarbeiterproduktivität deutlich gesunken ist.

Fasst man diese Erkenntnisse zusammen, wird offensichtlich, dass die DB AG in den kommenden Jahren weder die vereinbarten Dividenden zahlen kann noch in der Lage ist, aus eigener Kraft die erforderlichen Investitionen zu finanzieren. Ohne Gegenmaßnahmen werden die Schulden bald auf bis zu 35 Milliarden Euro ansteigen. Es besteht also Reformbedarf in vielen Bereichen des Eisenbahnsektors. Es liegt jetzt an der neuen Bundesregierung, die beschriebenen Themen zügig anzugehen, damit eine bessere Bahn geschaffen werden kann, die einen größeren Beitrag zum Klimaschutz leistet.

ist Professor für Wirtschaftsingenieurwesen an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin.
E-Mail Link: christian.boettger@htw-berlin.de