Wem gehört Grönland? Die Frage nach der staatlichen Zugehörigkeit der größten Insel der Erde hat in jüngster Zeit ein ungeahntes Maß an Aktualität und Vehemenz erlangt. Das ist nicht allein den historisch unbegründeten Begehrlichkeiten des US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump geschuldet, sondern resultiert ebenso aus einer bereits seit Längerem geführten Debatte um die Unabhängigkeit der Insel. Aber auch die im Zuge des allmählich abschmelzenden Inlandeises immer offener zutage tretenden Bodenschätze spielen eine Rolle. Noch zählt Grönland zum Königreich Dänemark, wenn auch seit 2009 im Rahmen der sogenannten Selvstyre (Selbstregierung) mit weitgehenden Autonomierechten sowie eigener Regierung und eigenem Parlament. Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, in welchem historischen Zusammenhang sich der gegenwärtige staatliche Status Grönlands entwickelte. Dabei ist der Blick auf die mehr als tausendjährige gemeinsame europäisch-grönländische Vergangenheit erforderlich, bei dem sich Brüche, aber in signifikanterer Weise auch Kontinuitäten auftun. So sind die Geschichte des 20. Jahrhunderts ebenso wie der aktuelle Stand der Dinge nicht verständlich, ohne die Wikingerzeit zu berücksichtigen.
Landnahme in der Wikingerzeit
Seit dem Ende des 8. Jahrhunderts n. Chr. brachen vor allem aus Norwegen stammende skandinavische Siedler, die gemeinhin unter der Bezeichnung „Wikinger“ firmieren, in Richtung Nordatlantik auf. Die ersten Ziele waren Island sowie die Inselgruppen der Färöer, Shetlands und Orkneys. Von dort aus ging es in den 980er Jahren weiter in Richtung Grönland, und um die erste Jahrtausendwende war das heute zu Kanada gehörende Neufundland erreicht. Allenthalben entstand im Zuge dieser sogenannten Landnahme eine skandinavisch geprägte Agrarkultur. Die Gründe der Expansion waren vielfältig, dürften jedoch in erster Linie aus dem Streben nach wirtschaftlichem Gewinn und der sich verdichtenden Königsherrschaft in Norwegen herrühren: So mag nicht jeder norwegische Wikingerhäuptling den allmählichen Ausbau zentraler monarchischer Machtstrukturen gutgeheißen und stattdessen lieber das Weite gesucht haben.
Der altnordischen Sagaliteratur zufolge war der erste skandinavische Siedler auf Grönland ein Verbannter, dem das Blut seiner Verbrechen förmlich an den Händen klebte: Erik der Rote. Dieser soll sich von Island aus auf die von einem dicken Eispanzer bedeckte Nachbarinsel begeben und sich am Ende eines der tief ins Land eingeschnittenen Fjorde ganz im Südwesten niedergelassen haben. Dabei gab er seiner neuen Heimat einen verheißungsvollen Namen: „Das Land, das er entdeckt hatte, nannte er Grönland, grünes Land, weil er glaubte, dass es die Leute eher anziehen würde, wenn es einen schönen Namen hätte.“
Dabei waren die skandinavischen Kolonisten nicht die Einzigen, die auf der Insel siedelten. So hatten sich bereits seit ca. 2500 v. Chr. Angehörige arktischer Bevölkerungsgruppen, landläufig als Inuit bezeichnet, in mehreren Wellen von Alaska und dem kanadischen Raum aus in Grönland niedergelassen. Die letzte große Siedlergruppe um 1200 n. Chr. bestand aus Angehörigen der sogenannten Thule-Kultur – den direkten Vorfahren der heutigen Grönländer.
Lange Zeit behaupteten sich auf den skandinavisch besiedelten Inseln im Nordatlantik unabhängige Gemeinwesen, die allein durch Handel und den zunehmend an Bedeutung gewinnenden christlichen Glauben mit dem nordeuropäischen Festland verbunden waren. Aus den formal unabhängigen Ländern wurden schließlich aber Außenbesitzungen des Königreichs Norwegen. Seit 1261 zählte auch Grönland als sogenanntes Schatzland zur norwegischen Monarchie – ein für die weitere Entwicklung der Dinge nicht unwesentlicher Aspekt.
Eine klimatische Änderung schrieb das letzte Kapitel der mittelalterlichen skandinavischen Besiedlung. Mit Anbruch der sogenannten „kleinen Eiszeit“ im ausgehenden Mittelalter reduzierten sich die Durchschnittstemperaturen seit dem späten Mittelalter in der nördlichen Hemisphäre ganz allmählich.
Kolonialherrschaft in der Frühen Neuzeit
Die Kontakte zwischen Europa und Grönland wurden sporadisch, ohne allerdings gänzlich zu versiegen. Weiterhin liefen englische und niederländische Walfänger die Insel zumindest unregelmäßig an. Gelegentlich berichten die Quellen des 16. und 17. Jahrhunderts auch über Kontakte mit den Inuit der Westküste. Zu jener Zeit bestand eine unabhängige norwegische Krone längst nicht mehr: Norwegen war im ausgehenden 14. Jahrhundert in einer Personalunion mit dem Königreich Dänemark aufgegangen. Bis 1814 wurden die politischen Geschicke Norwegens fortan in Kopenhagen bestimmt.
Welche europäische Macht beanspruchte Grönland seit dem Aussterben der Skandinavier und dem Übergang Norwegens an die dänische Krone für sich? Auf den ersten Blick lässt sich annehmen, dass eine jahrhundertelange Reduzierung des Kontakts zu einem allmählichen Vergessen führte und Grönland für die Europäer uninteressant wurde. Dem aber war bei Weitem nicht so; es war die dänische Krone selbst, die als nunmehrige Bewahrerin des alten norwegischen Erbes die Besitzansprüche zumindest auf dem Papier weiterhin aufrechterhielt.
Ob eine gelegentlich in den Quellen erwähnte dänische Expedition unter den beiden norddeutschen Seefahrern Dietrich Pining und Hans Pothorst in Richtung Nordwestatlantik um 1470 tatsächlich stattgefunden hat, lässt sich heute nicht mehr belegen. Dokumentiert ist immerhin eine vage Erinnerung daran im politischen Gedächtnis ein knappes Jahrhundert später. So berichtete der Kieler Bürgermeister Karsten Grip an den dänischen König Christian III. 1551, er habe im Ausland eine Karte gesehen, auf der sich der Text aufgedruckt fand, „dat den beyden sceppere Pyningk und Poidthorst“ zwei Generationen zuvor ausgesandt worden seien, um im Norden „nye insulen und lande uppthosokende“.
Immer wieder tauchte seitdem der Name Grönland in Texten und Karten auf, auch wenn es einstweilen von keinem Schiff im offiziellen Auftrag angesteuert wurde.
Das unmittelbare Engagement, auch Grönland nach Jahrhunderten wieder offiziell anzusteuern, ging von Norwegen aus. Der aus dem hohen Norden des Landes stammende Geistliche Hans Egede (1686–1758) hatte eine Vision: Er glaubte, die Nachfahren Eriks des Roten lebten noch auf der Insel, sie seien aber in der Zwischenzeit vom Glauben abgefallen, zumindest aber keine Lutheraner geworden – denn die Reformation konnte dort nicht stattgefunden haben. Egede sammelte Geld, sicherte sich die Unterstützung wohlhabender Kaufleute und brach 1721 mit drei Schiffen nach Grönland auf. Die alten Wikinger fand er nicht, doch ließ sich Egede an der Westküste nieder und begründete eine lutherische Mission unter den Inuit.
Einige Jahre später folgte auf die Mission die dänische Flagge: Dänemark sandte einen Gouverneur, und neben der dänischen Hauptniederlassung Godthåb (das heutige Nuuk) gründeten sich weitere koloniale Handelsplätze an der Westküste sowie eine grönländische Handelskompanie. Der wirtschaftliche Nutzen für die Kolonialmacht blieb allerdings begrenzt und beschränkte sich auf die Gewinne aus Jagd und Fischerei sowie auf den Abbau von Mineralien. 1733 hatte auch eine Gruppe pietistischer Herrnhuter Missionare die Insel erreicht, die zunächst in Godthåb und später bis ins ausgehende 19. Jahrhundert im Süden ein eigenes Missionsprojekt begründete.
Welchen rechtlichen Status die neuzeitlichen kolonialen Besitzungen unter der dänischen Flagge besaßen, interessierte nicht. Noch bestand die Personalunion zwischen Dänemark und Norwegen fort. Niemand stellte die Frage, ob Godthåb und die anderen Handelsplätze neu gegründete dänische Besitzungen seien oder ob sie eher eine mittelalterlich-norwegische Herrschaftskontinuität fortsetzten.
1807 taumelte die dänisch-norwegische Monarchie auf Seiten Frankreichs in die Napoleonischen Kriege. Das Land war der letzte treue Verbündete des französischen Kaisers und stand mit ihm schließlich auf der Verliererseite. Schon längst hatte der nordeuropäische Konkurrent Schweden einen begehrlichen Blick auf Norwegen geworfen. Mit dem Kieler Frieden wurden das dänisch-norwegische Unionskönigtum 1814 beendet und Norwegen dem Nachbarn Schweden zugeschlagen. Während der Verhandlungen in Kiel ereignete sich etwas Bemerkenswertes: Die nordatlantischen Inseln wurden separat behandelt und blieben vom Gebietstausch mit Schweden ausgenommen. „La Grönlande, les îles de Færö et l’Islande non comprises“
Im Zeichen des arktischen Imperialismus
„Gehörte“ mit dem Kieler Frieden ganz Grönland endgültig Dänemark? Wieder erwies sich die Beantwortung einer solchen Frage (zunächst) als ohne Belang. Schweden verfolgte im Nordatlantik einstweilen keine eigenen Ambitionen, und Dänemark besaß unangefochten eindeutig dänische Handelsplätze an der Westküste. Der weitaus größere Rest des eisbedeckten Landes interessierte nicht. Die Dinge änderten sich erst, als Dänemark eine Siedlung auch an der von dichtem Packeis umgebenen Ostküste gründete und Norwegen an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert der Unabhängigkeit zustrebte. Wie konstituierte sich ein Land wie Norwegen als Nation, das erst 1905 unabhängig wurde, jahrhundertelang von fremden Königen regiert worden war und dessen Sprache mittlerweile dem Dänischen stärker ähnelte als dem einst im Land gesprochenen Alt-Norwegisch? Welche Erinnerungsorte ließen sich nutzen? Drei Aspekte boten sich in besonderer Weise an: das ländliche, bäuerliche Norwegen, die großen Erfolge der Polarforschung um Fridtjof Nansen und Roald Amundsen sowie der Rückgriff auf das mittelalterliche wikingisch-nordatlantische Erbe.
Auch in Norwegen wurden imperialistische Ideen goutiert. Einen Moment dachte die Regierung des jungen Landes wohl an den Erwerb kolonialer Besitzungen in Afrika, doch erwies sich dies rasch als undurchführbar. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges tauchte in der politischen Debatte des neutralen Landes eine andere Weltregion als mögliches Spielfeld kolonial-imperialer Interessen auf: die Arktis. Durch geschicktes Verhandeln gelang es Norwegen, 1920 im Spitzbergenvertrag Hoheitsrechte über die Inselgruppe Svalbard durchzusetzen.
Dann richtete sich die Aufmerksamkeit auf Grönland. In der öffentlichen Wahrnehmung wie in Kunst und Literatur war die Vorstellung fest verankert, dass es einmal vor vielen Jahrhunderten Norwegerinnen und Norweger gewesen waren, die in der Wikingerzeit die nordatlantischen Besitzungen kolonisiert hatten. In Konkurrenz zu den seit dem 18. Jahrhundert behaupteten dänischen Machtansprüchen nahm nun auch Norwegen Teile der Insel für sich in Anspruch. Unter der Prämisse, dänischer Kolonialbesitz erstrecke sich allein über die wenigen, kleinen, vor allem an der Westküste gelegenen Handelsplätze und der Rest der Insel sei im völkerrechtlichen Sinne „terra nullius“, veröffentlichte die norwegische Regierung im Juli 1931 eine Erklärung, mit der Teile der grönländischen Ostküste beansprucht wurden. Eine kleine Polizeitruppe nahm ein vorwiegend von Eis bedecktes Gebiet von immerhin 50.000 Quadratkilometern in Besitz. Die Neuerwerbung erhielt verheißungsvoll und in Anlehnung an die vermeintlich ruhmreiche wikingische Vergangenheit den Namen „Eirik Raudes Land“ – das Land Eriks des Roten. Repräsentant der norwegischen Staatsgewalt vor Ort wurde der norwegische Jurist und vormalige Trapper in der kanadischen Wildnis Helge Ingstad. Derselbe Helge Ingstad entdeckte als Archäologe übrigens drei Jahrzehnte später die Ruinen der alten Wikingersiedlung von L’Anse aux Meadows auf Neufundland. Dänemark klagte vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag, und am 5. April 1933 erging das Urteil.
Bemerkenswert beim Haager Rechtsstreit waren die Argumentation der Gegner und schließlich die Begründung des Gerichts. So ging es nicht um den gegenwärtigen Zustand oder den Besitz der Insel in der jüngeren Vergangenheit, sondern praktisch deren gesamte Geschichte seit den 980er Jahren wurde ausführlich ausgebreitet. Dänemark argumentierte, dass die Insel seit dem Mittelalter kontinuierlich von den Europäern beherrscht worden sei, wenn auch in den „dunklen“ Jahrhunderten zwischen 1409 und 1721 lediglich auf dem Papier. Mit dem Kieler Frieden sei das Gebiet des gesamten, mittelalterlichen Grönland auf Dänemark übergegangen. Die Norweger sahen hingegen keine historische Kontinuität und behaupteten, allein die Handelsplätze an der Westküste befänden sich seit dem 18. Jahrhundert als koloniale Neuerwerbungen in dänischem Besitz, der Rest nicht.
Schließlich wurde die altnordische Sagaliteratur bemüht. Wo galt im Mittelalter wikingisches Recht? Eine Textstelle bezeugte, jenes habe auch außerhalb der wikingischen Siedlungen gegolten – in der Interpretation des Gerichts also auf der ganzen Insel. Damit sei klar, dass bereits im Mittelalter ein einheitlicher, flächendeckender Rechtsraum Grönland existiert habe. Unter Rückgriff auf die dänische Argumentationslinie wurde im Urteil klar ausgesprochen, dass im Mittelalter ganz Grönland norwegisch gewesen und die ganze Insel damit 1814 an die dänische Krone übergegangen sei. Norwegen knickte ein, und das Urteil ist beredtes Zeugnis der Tatsache, dass die Instrumente der kollektiven Sicherheit und der internationalen Gerichtsbarkeit bis in die 1930er Jahre hinein erfolgreich der friedlichen Beilegung von Konflikten dienen konnten.
1940 wurde Dänemark von deutschen Truppen besetzt. Einmal mehr seit den Napoleonischen Kriegen entwickelte sich die Versorgung der Insel mit dem Lebensnotwendigen zu einem existenziellen Problem. Die regionale, nach wie vor dänische Verwaltung machte eine Notstandsregelung für sich geltend, wonach die beiden Landvögte als Verwaltungschefs in außergewöhnlichen Situationen selbstständig Entscheidungen treffen könnten. Gemeinsam mit dem dänischen Botschafter in Washington, Henrik von Kauffmann, der sich ebenfalls nicht mehr an die politischen Weisungen aus dem besetzten Kopenhagen gebunden fühlte, rangen die Landvögte den Vereinigten Staaten die Zusage ab, Grönland für die Dauer des Krieges mit dem Nötigsten zu versorgen. Die Zusage war allerdings nicht umsonst, denn als Gegenleistung wurde es den USA gestattet, auf der Insel zwei Flugzeugbasen zu errichten – die sich nach Eintritt der Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg als von unschätzbarem militärischem Wert erweisen sollten. 1951 folgte die Thule Air Base im äußersten Norden.
Auf dem Weg in die Gegenwart
Das Ende des Zweiten Weltkrieges brachte auf mehreren Erdteilen eine nie zuvor gesehene Welle der Dekolonisation mit sich. Diese vollzog sich nicht ganz freiwillig, denn Briten wie Franzosen und Niederländern fehlten die wirtschaftlichen Ressourcen, sich dauerhaft gegen einheimische Unabhängigkeitsbewegungen zu behaupten. Was Ende der 1940er Jahre in Asien begann, setzte sich ein gutes Jahrzehnt später in Afrika fort.
Auch in Dänemark erschien die formale Bewahrung des kolonialen Status Grönlands am Ende nicht mehr opportun. Bereits 1944 hatte sich Island von der dänischen Krone gelöst. Im Zuge einer Verfassungsreform wandelten die Dänen Grönland 1953 von einer Kolonie in ein dänisches Amt um, und die Grönländer erhielten zwei Sitze im dänischen Parlament, dem Folketing. Dass der Kontakt zwischen Insel und Mutterland allein wegen der großen Distanz prekär blieb, zeigte der Untergang des fast neuen Passagier- und Frachtdampfers „Hans Hedtoft“ im Eis vor Grönland 1959, der 95 Todesopfer forderte, einmal mehr in dramatischer Weise. Die Dänen regierten aber weiter mit harter Hand. Um jeden Preis sollten die mittlerweile enormen Versorgungskosten für die Insel reduziert werden. Viele Menschen wurden aus kleinen, an den Küsten verstreuten Dörfern in größere Orte umgesiedelt. Gerade in der Hauptstadt Godthåb (Nuuk) entstanden große Plattenbauten, die in nicht wenigen Fällen kulturelle Entwurzelung der Menschen mit sich brachte. Alkoholismus und seelische Erkrankungen waren die Folge. In einer heute scharf verurteilten Maßnahme wurden in den 1960er und 1970er Jahren zudem tausenden Mädchen und jungen Frauen zwangsweise und oftmals ohne ihr Wissen Verhütungsspiralen eingesetzt, um das aus einer verbesserten Gesundheitsversorgung resultierende hohe Bevölkerungswachstum einzudämmen.
Grönland wurde 1973 zwar gemeinsam mit Dänemark Mitglied der Europäischen Gemeinschaft, doch trat die Insel 1985 in der Auseinandersetzung um Fischereirechte nach einer knapp entschiedenen Volksabstimmung wieder aus. Schon längst waren in jener Zeit die Weichen in Richtung größerer Autonomierechte gestellt. 1979 wurde nach langen Verhandlungen die sogenannte Hjemmestyre – die innere Autonomie mit der Gründung eines eigenen, grönländischen Parlaments – verkündet und 2009 die Selvstyre einschließlich des Zugriffs auf die natürlichen Ressourcen des Landes. Seitdem entwickelte sich die Insel zu einem autonomen parlamentarisch-demokratischen Gemeinwesen an der langen Leine Dänemarks. Damit ging eine zunehmende Transformation der Gesellschaft einher. Längst war aus dänisch-grönländischen familiären Beziehungen eine multiethnische und multikulturelle Gesellschaft erwachsen. Nun löste die grönländische Sprache das Dänische des einstigen Kolonialherrn als dominierende Sprache beinahe komplett ab. Bald gehörte auch das Helikopterzeitalter, in dem die meisten Orte nur per Hubschrauber oder sommers per Schiff zu erreichen waren, der Vergangenheit an. Seit 2024 steuern Interkontinentalflüge sogar direkt die Hauptstadt Nuuk an, was das Umsteigen auf dem alten US-Stützpunkt von Kangerlussuaq überflüssig macht. Auch ein hervorragendes Bildungswesen einschließlich einer Universität macht Grönland zu einem modernen, zukunftsgewandten Gemeinwesen.
Noch sind die Dänen für Außenpolitik und Landesverteidigung zuständig. Trotz einer langen gemeinsamen Geschichte und der Jahr für Jahr auf die Insel überwiesenen gewaltigen Haushaltszuschüsse von gegenwärtig umgerechnet mehr als 500 Millionen Euro stehen die Zeichen dennoch auf Unabhängigkeit. Das lange koloniale Erbe gerät zunehmend in die Kritik. Im Jahr 2020 wurde das über Nuuk thronende Egede-Denkmal unübersehbar mit dem Graffiti „Decolonize“ versehen. Sollten die Inselbewohner eines Tages von der Ausbeutung der reichen Bodenschätze ihrer Insel leben können, würden sie nach aktuellem Stand der Dinge den Weg der vollständigen Unabhängigkeit wählen. Dabei bleibt allerdings zu bedenken, dass die Zahl der Grönländerinnen und Grönländer heute gerade einmal 56.500 beträgt. Dem steht die immens große militärstrategische und ökonomische Bedeutung gegenüber.