April 2025, im Flugzeug auf dem Rückweg von der Kleinstadt Uummannaq im Westen Grönlands. Ich sitze neben einer einheimischen Frau mittleren Alters und wir kommen ins Gespräch. Sie interessiert sich für unser Forschungsprojekt, bei dem wir gemeinsam mit Schüler:innen der Edvard-Kruse-Schule in Uummannaq Schneeforschung betreiben. Nach einer kurzen Pause sagt sie: „So traurig, dass wir dieses Jahr kein Meereis bekommen haben … Wir lieben es, zu fischen und Fisch zu essen. Ich vermisse es!“
Dieser Winter ist der erste seit Langem, in dem es rund um die kleine Insel, auf der die 1400 Einwohner:innen Uummannaqs leben, kein stabiles Meereis gibt. Seit ein paar Jahrzehnten sind die Perioden mit stabilem Meereis schon kürzer und unvorhersehbarer geworden, doch in diesem Winter ist die Lage besonders einschneidend. Das betrübt nicht nur meine Gesprächspartnerin, sondern viele andere Menschen vor Ort. Zwar haben einige Berufsfischer mit ihren Motorbooten schmale Spuren ins Eis geschlagen, auf denen sie hinausfahren können, doch der Radius ist begrenzt. Der größte Teil der Bevölkerung muss den Winter über auf der Insel bleiben oder in teure Hubschraubertickets investieren. In vielen anderen Jahren ist die Mobilität gerade im Winter hoch. Die umliegenden Siedlungen werden mit Motorschlitten, Autos und Taxis über das Eis angefahren, und die Fischer und Jäger gehen auf dem Eis ihrer Arbeit nach. In ihrer Freizeit ist die breite Bevölkerung beim Eisfischen oder nimmt an wichtigen gesellschaftlichen Ereignissen auf dem Eis teil. Doch in diesem Jahr findet in Uummannaq kein Hundeschlittenrennen statt, und der überregional bekannte Eismarathon wurde auf den kleinen See neben dem Ort verlegt, auf dem die Läufer:innen nun beengter ihre Kreise ziehen. Die Schlittenhunde, die im Winter oft angebunden auf dem Meereis leben, bleiben dieses Jahr an Land und werden nur gelegentlich auf dem See vor die Schlitten gespannt, damit sie nicht aus dem Training kommen.
Das selbstverwaltete Territorium Grönland (Grönländisch: Kalaallit Nunaat) ist ein Teil des Königreichs Dänemark. Auf die Insel wirkt sich der Klimawandel stark aus, denn die Arktis erwärmt sich deutlich schneller als der globale Durchschnitt. Der grönländische Eisschild verliert jährlich Hunderte von Milliarden Tonnen Eis, was zum globalen Anstieg des Meeresspiegels beiträgt. Durch die auftauenden Permafrostböden werden Treibhausgase wie Methan und CO2 freigesetzt, wodurch sich der Klimawandel weiter verstärkt. Außerdem führen der Rückgang der Gletscher und des Permafrosts zu Küstenerosion und Boden- und Felsbewegungen, mit Auswirkungen auf Siedlungen und Infrastruktur. Die Temperaturerwärmung hat eine starke Abnahme des Meereises zur Folge, sodass die schnee- und eisfreien Monate länger werden. Dadurch verändern sich die Ökosysteme, und einige Tierarten, wie Eisbären, Narwale und bestimmte Fischarten, verlieren ihren Lebensraum, während gleichzeitig neue Arten zuwandern. Auch die Pflanzenwelt verändert sich, und die Vegetationsperioden werden länger.
Schnee und Eis in Uummannaq
(© Sophie Elixhauser)
(© Sophie Elixhauser)
Als Sozialanthropologin habe ich zur Wahrnehmung von Umweltveränderungen verschiedene Forschungen in Grönland durchgeführt, sowohl in Tasiilaq an der Ostküste, wo meine Beziehungen zu den Menschen 20 Jahre zurückreichen, als auch seit einigen Jahren in Uummannaq. In Bezug auf Uummannaq bin ich aktuell Teil des Forschungsprojekts Snow2School, in dem unser Team, bestehend aus Sozialanthropolog:innen der Universität Wien, Klimatolog:innen der Universität Graz und lokalen Partner:innen, die Veränderungen der Schneebedeckung im Zuge des Klimawandels und ihre Auswirkungen auf lokale Gemeinschaften untersucht. Wir verfolgen einen Citizen-Science-Ansatz und arbeiten eng mit Jugendlichen zweier Schulen in zwei unterschiedlichen Gebirgsregionen zusammen: der Atuarfik Edvard Kruse in Uummannaq und der BORG Eisenerz in der Steiermark, Österreich. Die Schüler:innen sind aktiv in die Schneeforschung involviert und tauschen sich online über die Thematik aus. In Zusammenarbeit mit unserem Team führen sie Schneemessungen und klimatologische Untersuchungen durch und betreiben qualitative Schneeforschung, indem sie beispielsweise alte und neue Schneefotos und die dazugehörigen Geschichten sammeln.
(© Sophie Elixhauser)
(© Sophie Elixhauser)
In unserem Projekt konzentrieren sich die Forschungen in erster Linie auf Schnee (Grönländisch: aput), nehmen aber auch andere Klima- und Umweltveränderungen in den Blick. Erste Ergebnisse zeigen, dass – ähnlich wie in anderen Regionen Grönlands – in Uummannaq die Zeiten mit langanhaltenden hohen Schneemengen kürzer geworden sind, der Schneefall weniger vorhersehbar ist und weniger Schnee fällt.
Der Rückgang des Meereises (Grönländisch: siku) beeinträchtigt das tägliche Leben der Menschen.
Während das grönländische Inlandeis selten erwähnt wird und in der Lebenswelt der Menschen eine untergeordnetere Rolle spielt, verdeutlichen diese Beispiele die enge Verbindung vieler Grönländer:innen zum Meereis. Für sie ist es ein wichtiger Ort für Aktivitäten, mit dem positive Gefühle wie Leichtigkeit, Vertrautheit und Entspannung verbunden sind.
Wahrnehmung von Klimawandel in Tasiilaq
(© Sophie Elixhauser)
(© Sophie Elixhauser)
Der Rückgang des Meereises und des zuweilen mit dem Ufer verbundenen Fjordeises ist in ganz Grönland spürbar. Es gibt jedoch regionale Unterschiede, da sich das Eis selbst sowie seine Bedeutung unterscheiden. In Südgrönland beispielsweise, wo generell weniger Eis vorhanden ist, bezeichnet man mit Meereis das Packeis, das mit dem Polarstrom die Ostküste hinunterzieht. In der Tasiilaq-Region an der dünn besiedelten Ostküste Grönlands ist die Landschaft gebirgig, und im Gegensatz zu Uummannaq fahren hier keine Autos auf dem Eis. Seit 2005 kehre ich alle paar Jahre in diese Region zurück, zuletzt 2022 und 2023 für das Forschungsprojekt Snow2Rain.
In diesem beschäftigten wir uns – thematisch ähnlich wie in Uummannaq – mit Umweltveränderungen im Zuge des Klimawandels, insbesondere mit dem Übergang von weniger Schnee zu mehr Regen sowie den Auswirkungen auf das tägliche Leben der Menschen. Auch hier arbeiteten wir in einem interdisziplinären Team derselben Universitäten zusammen mit lokalen Partner:innen und Personen aller Altersgruppen in Tasiilaq. Unser Ziel war es, klimatologische Messungen und lokales und Indigenes
Zu Beginn unseres Projekts startete das grönländische Sozialunternehmen Siu-Tsiu eine neue Initiative: In Tasiilaq wurde ein Gemeinschaftsgarten ins Leben gerufen, in dem Gemüse angebaut wird. Der Garten ist der erste seiner Art in Ostgrönland und wurde von der Stadtbevölkerung freudig aufgenommen. In der Region gab es zuvor keinen Gemüseanbau, da die Temperaturen dafür zu niedrig waren. Diese Initiative verdeutlicht, dass die klimatischen Veränderungen für die Einwohner:innen nicht nur negative Folgen haben.
Generell zeigte unser Projekt, dass der aktuelle Übergang von weniger Schnee hin zu mehr Regen, der für die Zukunft stark prognostiziert wird, bei den Einwohner:innen Tasiilaqs bislang kaum ein Thema ist. Auch wenn die Zunahme des Regens laut klimatologischer Daten derzeit noch eher gering ausfällt, kommt es bereits häufiger zu starken Regenereignissen.
Viele Einwohner:innen beobachten einen Trend zu weniger Schnee, den einige bedauern. Wegen des besonders schneereichen Winters 2022 waren sich einige unsicher, ob der Klimawandel hier eine Rolle spielt. Die meisten Bewohner:innen Tasiilaqs waren sich aber einig, dass die Temperaturen generell gestiegen sind, und führten dies auf den Klimawandel zurück. Es wurden auch andere Erklärungen genannt: So begründete etwa ein Mann den aktuellen Temperaturanstieg mit „natürlichen Zyklen“ und „wärmeren und kälteren Perioden, die etwa alle 100 Jahre zurückkehren“. In den letzten Jahrzehnten hat sich hier die Anzahl der Monate, in denen man auf dem Eis unterwegs sein kann, stark reduziert. Die Übergangsjahreszeiten, in denen es weder stabiles Eis noch eisfreies Wasser gibt, sind länger geworden. Während dieser Zeit sind private Motorboote meist das einzige erschwingliche Fortbewegungsmittel in der Region. Die Boote fungieren dann als „Eisbrecher“ und werden dadurch stark beansprucht, die Kosten für Reparaturen und Neuanschaffungen sind gestiegen. Ähnlich wie in anderen nördlichen Regionen Grönlands ist die Zahl der Schlittenhunde in der Region Tasiilaq aufgrund des Rückgangs von Schnee und Eis drastisch gesunken. Althergebrachtes Wissen, beispielsweise zu Routen auf dem Eis oder über Gletscher, verliert durch die Veränderungen mitunter seine Gültigkeit und muss angepasst werden.
Die Einwohner:innen von Tasiilaq berichten von einer Zunahme von Erdbeben, die indirekt mit dem Rückgang der Gletscher zusammenhängen, sowie von sich veränderten Sturmmustern. Es werden neue Tierarten beobachtet, darunter bisher seltene Wale sowie Insekten. Andere Säugetiere und Fischarten verlassen hingegen die Region.
Wissenschaftliche und Indigene Erklärungen des Klimawandels
Die Menschen in Tasiilaq und Uummannaq nehmen eine Vielzahl von Umwelt- und Klimaveränderungen wahr. Ihre Kenntnisse über die wissenschaftlichen Hintergründe des globalen Klimawandels unterscheiden sich aber je nach Bildungshintergrund und anderen biografischen Faktoren. Einige Personen in Tasiilaq äußerten beispielsweise Zweifel daran, ob der Klimawandel wirklich menschengemacht ist. Auch die niederländische Anthropologin Cunera Buijs berichtet von unterschiedlichen lokalen Erklärungsmustern. In ihrer Forschung in Tasiilaq wurden unter anderem die Umweltverschmutzung, Gottes Wille (der protestantische Glaube ist weitverbreitet) und die Prozesse von tsilar als Ursachen des Klimawandels gewertet.
Das zuvor angeführte Erklärungsmuster der „natürlichen Zyklen“ für den Klimawandel findet sich auch in den Forschungen der grönländischen Wissenschaftlerin Lene Kielsen Holm in verschiedenen Regionen Grönlands wieder. Da Grönländer:innen mit zyklenhaften und nicht immer linearen Prozessen an Land und Meer konfrontiert wären – beispielsweise bei den Routen bestimmter Säugetiere und Fische – würden sie oft verschiedene Erklärungsansätze für Veränderungen in der Umwelt miteinbeziehen.
Generell zeigen meine Forschungen, dass viele Menschen trotz des Wandels eine große Kontinuität in ihrer Interaktion mit der Umwelt sehen. Manche Veränderungen, wie der Rückgang des Meereises, werden zwar bedauert und führen zu Anpassungsstrategien. Gleichzeitig wird die Umwelt aber seit jeher als wechselhaft und veränderbar wahrgenommen. Dies steht dem in der westlichen Medienlandschaft präsenten Krisennarrativ des Klimawandels entgegen. Dieses Narrativ – oft symbolisiert durch Bilder wie den Eisbären auf der schmelzenden Scholle – stellt die Inuit-Bevölkerung als „exponierte“ Opfer an der „Frontlinie“ der globalen Erwärmung dar.
Klimapolitik in Grönland
(© Sophie Elixhauser)
(© Sophie Elixhauser)
Während der Klimawandel in ländlicheren Regionen in erster Linie vor dem Hintergrund von Veränderungen vor der eigenen Haustür thematisiert wird, stehen in der grönländischen Politik Themen wie geopolitische Interessen, Rohstoffabbau und wirtschaftliche Entwicklung im Zentrum. In der Tat sind die Begriffe „Klima“ und „Klimawandel“ relativ neu in der grönländischen Politik. Die erste Klimastrategie wurde 2009 verabschiedet – acht Jahre, nachdem Grönland zusammen mit Dänemark das Kyoto-Protokoll ratifiziert hatte.
Die grönländische Bevölkerung und Politik ist in Bezug auf den Rohstoffabbau gespalten. Einerseits bietet er die Möglichkeit, die wirtschaftliche Abhängigkeit von Dänemark zu verringern und die für die angestrebte Unabhängigkeit benötigten Ressourcen zu erwirtschaften. Andererseits gibt es Bedenken hinsichtlich der Folgen für das fragile arktische Ökosystem und die traditionelle Lebensweise der Grönländer:innen mit Blick auf das Jagen und Fischen, das für die kollektive Identität von großer Bedeutung ist. So stoppte die Partei Inuit Ataqatigiit, die von 2021 bis 2025 stärkste Regierungspartei war, beispielsweise Projekte wie die Kvanefjeld-Mine aufgrund von Umweltbedenken und der Nähe zu Uranvorkommen. Auch die Vergabe neuer Lizenzen für die Öl- und Gasexploration wurde von der grönländischen Regierung unter Hinweis auf Klimabedenken ausgesetzt.
Die Rohstoffe Grönlands sind aber nicht nur für die Insel selbst von Bedeutung. Die EU hat Kooperationen mit Grönland initiiert, um den Zugang zu kritischen Rohstoffen zu sichern und die Abhängigkeit von Ländern wie China zu verringern. Auch die USA und China zeigen Interesse an den Ressourcen Grönlands, was zu geopolitischen Spannungen führt. Die jüngsten Drohungen des US-Präsidenten Donald Trump, er wolle die Insel kaufen oder auf „die eine oder andere Weise“ übernehmen, die er in ähnlicher Form schon 2019 geäußert hatte, sind im breiteren Kontext strategischer und wirtschaftlicher Aspekte zu sehen.
Fazit
Grönland sieht sich mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert: einer sich rapide wandelnden Umwelt, multiplen geopolitischen Interessen und dem Bestreben, die eigene Wirtschaft voranzutreiben, um eine zukünftige Unabhängigkeit finanzieren zu können. Hinzu kommen gesellschaftliche Herausforderungen wie Wohnungsknappheit oder die Rolle der modernen Medien und Desinformation. Die grönländische Politik ist stark von der postkolonialen Aufarbeitung und aktuellen Debatten über Dekolonialisierung und kulturelle Identität sowie dem generellen Bestreben geprägt, einen eigenen, von Dänemark oder Großmächten wie den USA losgelösten Weg zu finden. Der Klimawandel hat starke Auswirkungen auf das Alltagsleben der Bevölkerung, so auf Mobilität, Jagd, Fischfang und kulturelle Praktiken. Zudem ist er eine Wirtschaftsquelle, da eine zunehmende Anzahl von Tourist:innen, Forscher:innen und Journalist:innen nach Grönland kommt, um das schwindende Eis zu dokumentieren oder die „letzten“ lebenden Jäger kennenzulernen. Obwohl einige einschneidende Veränderungen, wie das drastisch schwindende Meereis, starke Emotionen hervorrufen, werden die wissenschaftlichen Prognosen in Bezug auf den Klimawandel von der Bevölkerung mit relativer Gelassenheit hingenommen – gepaart mit einer generellen Vorsicht, gravierend in die Umwelt einzugreifen. Diese Vorsicht, Gelassenheit und auch die fehlende Klimaangst sind in eine Lebenswelt eingebettet, in der der Mensch keine besondere Vormachtstellung gegenüber anderen nicht-menschlichen Lebewesen und Elementen der Umwelt hat.