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Klimawandel in Grönland | Grönland | bpb.de

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Klimawandel in Grönland Gesellschaftliche Wahrnehmungen vor Ort

Sophie Elixhauser

/ 16 Minuten zu lesen

Der Klimawandel wirkt sich stark auf Grönlands Natur und Gesellschaft aus. Insbesondere der Rückgang des Meereises beeinträchtigt das Leben der Menschen. Die Bevölkerung bewertet die Umweltveränderungen jedoch unterschiedlich und sieht neben Problemen auch Potenziale.

April 2025, im Flugzeug auf dem Rückweg von der Kleinstadt Uummannaq im Westen Grönlands. Ich sitze neben einer einheimischen Frau mittleren Alters und wir kommen ins Gespräch. Sie interessiert sich für unser Forschungsprojekt, bei dem wir gemeinsam mit Schüler:innen der Edvard-Kruse-Schule in Uummannaq Schneeforschung betreiben. Nach einer kurzen Pause sagt sie: „So traurig, dass wir dieses Jahr kein Meereis bekommen haben … Wir lieben es, zu fischen und Fisch zu essen. Ich vermisse es!“

Dieser Winter ist der erste seit Langem, in dem es rund um die kleine Insel, auf der die 1400 Einwohner:innen Uummannaqs leben, kein stabiles Meereis gibt. Seit ein paar Jahrzehnten sind die Perioden mit stabilem Meereis schon kürzer und unvorhersehbarer geworden, doch in diesem Winter ist die Lage besonders einschneidend. Das betrübt nicht nur meine Gesprächspartnerin, sondern viele andere Menschen vor Ort. Zwar haben einige Berufsfischer mit ihren Motorbooten schmale Spuren ins Eis geschlagen, auf denen sie hinausfahren können, doch der Radius ist begrenzt. Der größte Teil der Bevölkerung muss den Winter über auf der Insel bleiben oder in teure Hubschraubertickets investieren. In vielen anderen Jahren ist die Mobilität gerade im Winter hoch. Die umliegenden Siedlungen werden mit Motorschlitten, Autos und Taxis über das Eis angefahren, und die Fischer und Jäger gehen auf dem Eis ihrer Arbeit nach. In ihrer Freizeit ist die breite Bevölkerung beim Eisfischen oder nimmt an wichtigen gesellschaftlichen Ereignissen auf dem Eis teil. Doch in diesem Jahr findet in Uummannaq kein Hundeschlittenrennen statt, und der überregional bekannte Eismarathon wurde auf den kleinen See neben dem Ort verlegt, auf dem die Läufer:innen nun beengter ihre Kreise ziehen. Die Schlittenhunde, die im Winter oft angebunden auf dem Meereis leben, bleiben dieses Jahr an Land und werden nur gelegentlich auf dem See vor die Schlitten gespannt, damit sie nicht aus dem Training kommen.

Das selbstverwaltete Territorium Grönland (Grönländisch: Kalaallit Nunaat) ist ein Teil des Königreichs Dänemark. Auf die Insel wirkt sich der Klimawandel stark aus, denn die Arktis erwärmt sich deutlich schneller als der globale Durchschnitt. Der grönländische Eisschild verliert jährlich Hunderte von Milliarden Tonnen Eis, was zum globalen Anstieg des Meeresspiegels beiträgt. Durch die auftauenden Permafrostböden werden Treibhausgase wie Methan und CO2 freigesetzt, wodurch sich der Klimawandel weiter verstärkt. Außerdem führen der Rückgang der Gletscher und des Permafrosts zu Küstenerosion und Boden- und Felsbewegungen, mit Auswirkungen auf Siedlungen und Infrastruktur. Die Temperaturerwärmung hat eine starke Abnahme des Meereises zur Folge, sodass die schnee- und eisfreien Monate länger werden. Dadurch verändern sich die Ökosysteme, und einige Tierarten, wie Eisbären, Narwale und bestimmte Fischarten, verlieren ihren Lebensraum, während gleichzeitig neue Arten zuwandern. Auch die Pflanzenwelt verändert sich, und die Vegetationsperioden werden länger. In diesem Beitrag stehen jedoch die Auswirkungen des Klimawandels auf das Leben der Inuitbevölkerung und ihr Blick auf diese Veränderungen im Zentrum.

Schnee und Eis in Uummannaq

(© Sophie Elixhauser)

Als Sozialanthropologin habe ich zur Wahrnehmung von Umweltveränderungen verschiedene Forschungen in Grönland durchgeführt, sowohl in Tasiilaq an der Ostküste, wo meine Beziehungen zu den Menschen 20 Jahre zurückreichen, als auch seit einigen Jahren in Uummannaq. In Bezug auf Uummannaq bin ich aktuell Teil des Forschungsprojekts Snow2School, in dem unser Team, bestehend aus Sozialanthropolog:innen der Universität Wien, Klimatolog:innen der Universität Graz und lokalen Partner:innen, die Veränderungen der Schneebedeckung im Zuge des Klimawandels und ihre Auswirkungen auf lokale Gemeinschaften untersucht. Wir verfolgen einen Citizen-Science-Ansatz und arbeiten eng mit Jugendlichen zweier Schulen in zwei unterschiedlichen Gebirgsregionen zusammen: der Atuarfik Edvard Kruse in Uummannaq und der BORG Eisenerz in der Steiermark, Österreich. Die Schüler:innen sind aktiv in die Schneeforschung involviert und tauschen sich online über die Thematik aus. In Zusammenarbeit mit unserem Team führen sie Schneemessungen und klimatologische Untersuchungen durch und betreiben qualitative Schneeforschung, indem sie beispielsweise alte und neue Schneefotos und die dazugehörigen Geschichten sammeln.

(© Sophie Elixhauser)

In unserem Projekt konzentrieren sich die Forschungen in erster Linie auf Schnee (Grönländisch: aput), nehmen aber auch andere Klima- und Umweltveränderungen in den Blick. Erste Ergebnisse zeigen, dass – ähnlich wie in anderen Regionen Grönlands – in Uummannaq die Zeiten mit langanhaltenden hohen Schneemengen kürzer geworden sind, der Schneefall weniger vorhersehbar ist und weniger Schnee fällt. Einige Bewohner:innen bedauern dies, da Aktivitäten wie Schlittenfahren oder das Bauen von Iglus und Schneehöhlen besonders bei Kindern und Jugendlichen beliebt sind. 2025 gab es allerdings einen Winter mit sehr viel Schnee, wenngleich das Meereis, wie oben beschrieben, den ganzen Winter über nicht stabil geschlossen war. Während unseres Feldaufenthalts im April 2025 merkten mehrere Einwohner:innen an, dass dieser warme Winter mit viel Schnee und zahlreichen Stürmen problematisch sei, da das Eis nicht zufrieren könne. Ein Lehrer erklärte uns: „Dieses Jahr haben wir kein Eis, das ist schlecht. Es ist warm, und wir haben viel nassen Schnee. Wir mögen dieses Wetter nicht.“ Immer wenn das Eis fast zugefroren war, kam ein Sturm und trieb es auseinander. Eine ältere Frau sagte sichtlich bewegt zu mir: „Wir vermissen das Eis und die kalte Witterung.“ Nachdem die Sonne nach den dunklen Wintermonaten Anfang Februar zurückgekehrt war, sei sie in früheren Jahren viel auf das Eis gegangen, um zu fischen und mit den Schlittenhunden herumzufahren. Wenn es diesen Winter nicht so viel geschneit hätte, wäre sicherlich Eis gekommen, ergänzte sie. In diesem Fall ist „viel Schnee“ negativ besetzt, da er gleichzeitig für das fehlende Meereis steht. Für viele Einwohner:innen sind kaltes Wetter und Eis wichtiger als der Schnee.

Der Rückgang des Meereises (Grönländisch: siku) beeinträchtigt das tägliche Leben der Menschen. Das Meereis spielt eine wichtige Rolle für die Mobilität, da es in Grönland keine durch Straßen verbundenen Siedlungen gibt. Instabile Eisverhältnisse erschweren im Winter die Fortbewegung auf und über dem Meer sowie den Transport von Gütern. So können Fische beispielsweise nicht mehr wie gewohnt mit dem Motorschlitten aus den Siedlungen in den Hauptort gebracht werden. Auch die Jagd und der Fischfang sind betroffen, und das Eisfischen ist stark eingeschränkt. Somit wird es für die Bevölkerung im Winter schwieriger, an heimische Nahrungsmittel zu gelangen. Heutzutage ernähren sich viele Menschen in Grönland sowohl von importierten als auch von lokalen Nahrungsmitteln. In den urbanen Zentren ist der Anteil der lokalen Produkte viel geringer. Der Konsum lokaler Produkte (Grönländisch: kalaalimernit), wie Fisch und das Fleisch von Meeressäugern, ist aber nach wie vor von großer Bedeutung für die kulturelle Identität. Stabiles Meereis ist eine Voraussetzung dafür, dass Hundeschlitten eingesetzt werden können – sei es für die Jagd, den Tourismus oder als Freizeitaktivität grönländischer Familien. Durch das schwindende Meereis wird diese für die Menschen bedeutende Tradition zunehmend eingeschränkt. Eine ältere Einwohnerin berichtete, es wäre früher normal gewesen, dass Kinder auf dem Eis spielten und sich dabei vom Ort entfernten. Das Eis war dick genug und verlässlich. Heutzutage dürfen Kinder nicht mehr ohne Aufsicht auf das Eis, denn es gibt gefährliche Stellen. Doch auch das stabile Meereis birgt Gefahren: Einige Schülerinnen erwähnten die halb menschlichen, halb nicht-menschlichen Wesen namens qivittut, die in Gruselgeschichten vorkommen und als gefährlich gelten. Auch an der Ostküste Grönlands höre ich immer wieder von ihnen. Laut den Schüler:innen steigt bei geschlossenem Meereis die Gefahr, einem qivittoq zu begegnen, da sie dann leichter in die Stadt gelangen können.

Während das grönländische Inlandeis selten erwähnt wird und in der Lebenswelt der Menschen eine untergeordnetere Rolle spielt, verdeutlichen diese Beispiele die enge Verbindung vieler Grönländer:innen zum Meereis. Für sie ist es ein wichtiger Ort für Aktivitäten, mit dem positive Gefühle wie Leichtigkeit, Vertrautheit und Entspannung verbunden sind. Für die Inuit-Gemeinschaften in der gesamten Arktis hat das Meereis eine große Bedeutung als Lebensraum und Heimat und ist zentral für die eigene Zugehörigkeit und Identität.

Wahrnehmung von Klimawandel in Tasiilaq

(© Sophie Elixhauser)

Der Rückgang des Meereises und des zuweilen mit dem Ufer verbundenen Fjordeises ist in ganz Grönland spürbar. Es gibt jedoch regionale Unterschiede, da sich das Eis selbst sowie seine Bedeutung unterscheiden. In Südgrönland beispielsweise, wo generell weniger Eis vorhanden ist, bezeichnet man mit Meereis das Packeis, das mit dem Polarstrom die Ostküste hinunterzieht. In der Tasiilaq-Region an der dünn besiedelten Ostküste Grönlands ist die Landschaft gebirgig, und im Gegensatz zu Uummannaq fahren hier keine Autos auf dem Eis. Seit 2005 kehre ich alle paar Jahre in diese Region zurück, zuletzt 2022 und 2023 für das Forschungsprojekt Snow2Rain.

In diesem beschäftigten wir uns – thematisch ähnlich wie in Uummannaq – mit Umweltveränderungen im Zuge des Klimawandels, insbesondere mit dem Übergang von weniger Schnee zu mehr Regen sowie den Auswirkungen auf das tägliche Leben der Menschen. Auch hier arbeiteten wir in einem interdisziplinären Team derselben Universitäten zusammen mit lokalen Partner:innen und Personen aller Altersgruppen in Tasiilaq. Unser Ziel war es, klimatologische Messungen und lokales und Indigenes Wissen zu integrieren. Neben ethnographischen Methoden wie der teilnehmenden Beobachtung und Gesprächen und Workshops mit den Einwohner:innen führte unser Team unter anderem manuelle und automatisierte Schneemessungen und Datenanalysen durch.

Zu Beginn unseres Projekts startete das grönländische Sozialunternehmen Siu-Tsiu eine neue Initiative: In Tasiilaq wurde ein Gemeinschaftsgarten ins Leben gerufen, in dem Gemüse angebaut wird. Der Garten ist der erste seiner Art in Ostgrönland und wurde von der Stadtbevölkerung freudig aufgenommen. In der Region gab es zuvor keinen Gemüseanbau, da die Temperaturen dafür zu niedrig waren. Diese Initiative verdeutlicht, dass die klimatischen Veränderungen für die Einwohner:innen nicht nur negative Folgen haben.

Generell zeigte unser Projekt, dass der aktuelle Übergang von weniger Schnee hin zu mehr Regen, der für die Zukunft stark prognostiziert wird, bei den Einwohner:innen Tasiilaqs bislang kaum ein Thema ist. Auch wenn die Zunahme des Regens laut klimatologischer Daten derzeit noch eher gering ausfällt, kommt es bereits häufiger zu starken Regenereignissen. So fiel beispielsweise im April 2023 innerhalb kurzer Zeit viel Regen auf Schnee. Der Schneematsch behinderte den Zugang zu einigen Straßen, und die Landebahn des regionalen Flughafens auf der nahegelegenen Insel Kulusuk war zwölf Tage lang gesperrt. In Kulusuk ertranken zudem vierzehn Schlittenhunde, die auf Eisschollen nicht weit von der Insel angebunden waren. Solche und ähnliche Auswirkungen von starkem Regen auf Schnee sind im gesamten arktischen Raum gut dokumentiert.

Viele Einwohner:innen beobachten einen Trend zu weniger Schnee, den einige bedauern. Wegen des besonders schneereichen Winters 2022 waren sich einige unsicher, ob der Klimawandel hier eine Rolle spielt. Die meisten Bewohner:innen Tasiilaqs waren sich aber einig, dass die Temperaturen generell gestiegen sind, und führten dies auf den Klimawandel zurück. Es wurden auch andere Erklärungen genannt: So begründete etwa ein Mann den aktuellen Temperaturanstieg mit „natürlichen Zyklen“ und „wärmeren und kälteren Perioden, die etwa alle 100 Jahre zurückkehren“. In den letzten Jahrzehnten hat sich hier die Anzahl der Monate, in denen man auf dem Eis unterwegs sein kann, stark reduziert. Die Übergangsjahreszeiten, in denen es weder stabiles Eis noch eisfreies Wasser gibt, sind länger geworden. Während dieser Zeit sind private Motorboote meist das einzige erschwingliche Fortbewegungsmittel in der Region. Die Boote fungieren dann als „Eisbrecher“ und werden dadurch stark beansprucht, die Kosten für Reparaturen und Neuanschaffungen sind gestiegen. Ähnlich wie in anderen nördlichen Regionen Grönlands ist die Zahl der Schlittenhunde in der Region Tasiilaq aufgrund des Rückgangs von Schnee und Eis drastisch gesunken. Althergebrachtes Wissen, beispielsweise zu Routen auf dem Eis oder über Gletscher, verliert durch die Veränderungen mitunter seine Gültigkeit und muss angepasst werden.

Die Einwohner:innen von Tasiilaq berichten von einer Zunahme von Erdbeben, die indirekt mit dem Rückgang der Gletscher zusammenhängen, sowie von sich veränderten Sturmmustern. Es werden neue Tierarten beobachtet, darunter bisher seltene Wale sowie Insekten. Andere Säugetiere und Fischarten verlassen hingegen die Region. Während meiner ersten Aufenthalte in den 2000er Jahren waren beispielsweise jedes Jahr große Scharen von Narwalen im Sermilik-Fjord unterwegs. In den Sommermonaten brachen die Jäger dorthin zur Jagd auf. Inzwischen sind die Narwale meist nur noch weiter nördlich entlang Grönlands Ostküste anzutreffen.

Wissenschaftliche und Indigene Erklärungen des Klimawandels

Die Menschen in Tasiilaq und Uummannaq nehmen eine Vielzahl von Umwelt- und Klimaveränderungen wahr. Ihre Kenntnisse über die wissenschaftlichen Hintergründe des globalen Klimawandels unterscheiden sich aber je nach Bildungshintergrund und anderen biografischen Faktoren. Einige Personen in Tasiilaq äußerten beispielsweise Zweifel daran, ob der Klimawandel wirklich menschengemacht ist. Auch die niederländische Anthropologin Cunera Buijs berichtet von unterschiedlichen lokalen Erklärungsmustern. In ihrer Forschung in Tasiilaq wurden unter anderem die Umweltverschmutzung, Gottes Wille (der protestantische Glaube ist weitverbreitet) und die Prozesse von tsilar als Ursachen des Klimawandels gewertet. Tsilar ist das ostgrönländische Wort für Wetter, Luft, Universum und Intelligenz. Um „Klima“ zu übersetzen und zu differenzieren, wird das Wort pitsusaa hinzugefügt (tsilar pitsusaa). In diesem Indigenen Konzept sind der Mensch und die Umwelt nicht kategorisch getrennt. Es ist Teil eines relationalen Weltbildes, in dem der Mensch weder eine Vormachtstellung noch Kontrolle über die nichtmenschliche Umwelt hat. Diese Philosophie prägte traditionell das Leben in Grönland. Zwar bildet die westliche, wissenschaftliche Epistemologie heute die Grundlage für das Gesellschaftssystem Grönlands, doch die traditionelle Lebenswelt spielt nach wie vor eine Rolle im täglichen Leben. Dies könnte die Zweifel an einem menschlichen Einfluss auf den Klimawandel erklären.

Das zuvor angeführte Erklärungsmuster der „natürlichen Zyklen“ für den Klimawandel findet sich auch in den Forschungen der grönländischen Wissenschaftlerin Lene Kielsen Holm in verschiedenen Regionen Grönlands wieder. Da Grönländer:innen mit zyklenhaften und nicht immer linearen Prozessen an Land und Meer konfrontiert wären – beispielsweise bei den Routen bestimmter Säugetiere und Fische – würden sie oft verschiedene Erklärungsansätze für Veränderungen in der Umwelt miteinbeziehen. Eine aktuelle quantitative Umfrage zur Wahrnehmung des Klimawandels in Grönland spricht von „einer Kluft zwischen dem wissenschaftlichen Konsens und den Ansichten der Küstenbewohner:innen Kalaallit Nunaats“. Diese Kluft sei in den abgelegeneren Regionen Grönlands ausgeprägter.

Generell zeigen meine Forschungen, dass viele Menschen trotz des Wandels eine große Kontinuität in ihrer Interaktion mit der Umwelt sehen. Manche Veränderungen, wie der Rückgang des Meereises, werden zwar bedauert und führen zu Anpassungsstrategien. Gleichzeitig wird die Umwelt aber seit jeher als wechselhaft und veränderbar wahrgenommen. Dies steht dem in der westlichen Medienlandschaft präsenten Krisennarrativ des Klimawandels entgegen. Dieses Narrativ – oft symbolisiert durch Bilder wie den Eisbären auf der schmelzenden Scholle – stellt die Inuit-Bevölkerung als „exponierte“ Opfer an der „Frontlinie“ der globalen Erwärmung dar. Nach meinen Beobachtungen sieht sich die Bevölkerung nicht als Opfer. Im Gegensatz zur Stimmung in vielen Ländern der westlichen Welt konnte ich bislang keine Fälle von Klimaangst feststellen. Obwohl Veränderungen wie der Rückgang des Meereises Emotionen hervorrufen, werden Fragen nach den möglichen zukünftigen Folgen des Klimawandels häufig gelassen und mitunter auch humorvoll beantwortet. Zudem gibt es immer wieder Stimmen, die die positiven Seiten des Klimawandels beleuchten. So überlegte beispielsweise ein älterer Mann bei einem Community-Workshop in Tasiilaq 2022, welche Routen sie mit dem Boot befahren könnten, wenn die Gletscher abgeschmolzen wären. Diese Beispiele veranschaulichen, dass die Menschen in Grönland aufgrund ihrer relationalen Epistemologie auch im Angesicht von Veränderungen wie dem globalen Klimawandel eine positive Handlungsfähigkeit besitzen, die ihre Resilienz prägt. Dadurch nehmen sie ihre Situation als weniger hilflos wahr als manche Menschen in der westlichen Welt.

Klimapolitik in Grönland

(© Sophie Elixhauser)

Während der Klimawandel in ländlicheren Regionen in erster Linie vor dem Hintergrund von Veränderungen vor der eigenen Haustür thematisiert wird, stehen in der grönländischen Politik Themen wie geopolitische Interessen, Rohstoffabbau und wirtschaftliche Entwicklung im Zentrum. In der Tat sind die Begriffe „Klima“ und „Klimawandel“ relativ neu in der grönländischen Politik. Die erste Klimastrategie wurde 2009 verabschiedet – acht Jahre, nachdem Grönland zusammen mit Dänemark das Kyoto-Protokoll ratifiziert hatte. Seitdem rückt der Klimawandel Grönland im Hinblick auf seine Bodenschätze und die damit verbundenen politischen, wirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen in den Fokus internationaler Diskussionen. Durch die fortschreitende Eisschmelze werden bislang unzugängliche Rohstoffvorkommen in Grönland zugänglich. Nichtsdestotrotz machen die abgelegene Lage und die fehlende Infrastruktur die Rohstoffexploration und -förderung zu einem zeit- und kostenintensiven Unterfangen. Dies bremst oft das anfängliche Interesse der Unternehmen.

Die grönländische Bevölkerung und Politik ist in Bezug auf den Rohstoffabbau gespalten. Einerseits bietet er die Möglichkeit, die wirtschaftliche Abhängigkeit von Dänemark zu verringern und die für die angestrebte Unabhängigkeit benötigten Ressourcen zu erwirtschaften. Andererseits gibt es Bedenken hinsichtlich der Folgen für das fragile arktische Ökosystem und die traditionelle Lebensweise der Grönländer:innen mit Blick auf das Jagen und Fischen, das für die kollektive Identität von großer Bedeutung ist. So stoppte die Partei Inuit Ataqatigiit, die von 2021 bis 2025 stärkste Regierungspartei war, beispielsweise Projekte wie die Kvanefjeld-Mine aufgrund von Umweltbedenken und der Nähe zu Uranvorkommen. Auch die Vergabe neuer Lizenzen für die Öl- und Gasexploration wurde von der grönländischen Regierung unter Hinweis auf Klimabedenken ausgesetzt. Grönland möchte eine nachhaltige Entwicklung vorantreiben und dabei die wirtschaftliche Eigenständigkeit erreichen. Nachhaltigkeit und wirtschaftlicher Fortschritt stehen hier jedoch zuweilen im Konflikt zueinander.

Die Rohstoffe Grönlands sind aber nicht nur für die Insel selbst von Bedeutung. Die EU hat Kooperationen mit Grönland initiiert, um den Zugang zu kritischen Rohstoffen zu sichern und die Abhängigkeit von Ländern wie China zu verringern. Auch die USA und China zeigen Interesse an den Ressourcen Grönlands, was zu geopolitischen Spannungen führt. Die jüngsten Drohungen des US-Präsidenten Donald Trump, er wolle die Insel kaufen oder auf „die eine oder andere Weise“ übernehmen, die er in ähnlicher Form schon 2019 geäußert hatte, sind im breiteren Kontext strategischer und wirtschaftlicher Aspekte zu sehen. Ironischerweise bestreitet Trump den wissenschaftlichen Konsens zum Klimawandel, möchte sich diesen aber zunutze machen.

Fazit

Grönland sieht sich mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert: einer sich rapide wandelnden Umwelt, multiplen geopolitischen Interessen und dem Bestreben, die eigene Wirtschaft voranzutreiben, um eine zukünftige Unabhängigkeit finanzieren zu können. Hinzu kommen gesellschaftliche Herausforderungen wie Wohnungsknappheit oder die Rolle der modernen Medien und Desinformation. Die grönländische Politik ist stark von der postkolonialen Aufarbeitung und aktuellen Debatten über Dekolonialisierung und kulturelle Identität sowie dem generellen Bestreben geprägt, einen eigenen, von Dänemark oder Großmächten wie den USA losgelösten Weg zu finden. Der Klimawandel hat starke Auswirkungen auf das Alltagsleben der Bevölkerung, so auf Mobilität, Jagd, Fischfang und kulturelle Praktiken. Zudem ist er eine Wirtschaftsquelle, da eine zunehmende Anzahl von Tourist:innen, Forscher:innen und Journalist:innen nach Grönland kommt, um das schwindende Eis zu dokumentieren oder die „letzten“ lebenden Jäger kennenzulernen. Obwohl einige einschneidende Veränderungen, wie das drastisch schwindende Meereis, starke Emotionen hervorrufen, werden die wissenschaftlichen Prognosen in Bezug auf den Klimawandel von der Bevölkerung mit relativer Gelassenheit hingenommen – gepaart mit einer generellen Vorsicht, gravierend in die Umwelt einzugreifen. Diese Vorsicht, Gelassenheit und auch die fehlende Klimaangst sind in eine Lebenswelt eingebettet, in der der Mensch keine besondere Vormachtstellung gegenüber anderen nicht-menschlichen Lebewesen und Elementen der Umwelt hat.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Alle persönlichen Zitate wurden von mir ins Deutsche übersetzt.

  2. Vgl. Valérie Masson-Delmotte et al., Greenland Climate Change: From the Past to the Future, in: Wiley Interdisciplinary Reviews. Climate Change 3/2012, S. 427–449.

  3. Ich danke meinen grönländischen Gesprächspartner:innen und Freund:innen für ihre Bereitschaft, ihre Lebenswelt mit mir zu teilen, sowie den Snow2Rain- und Snow2School-Teams für die gute Zusammenarbeit. Ebenso danke ich meinen Kolleginnen Anna-Maria Walter und Alexandra Meyer für ihre Kommentare zum Entwurf dieses Beitrags. Finanzielle Unterstützung für meine Forschung kommt von der Österreichischen Agentur für Bildung und Internationalisierung (OeAD).

  4. Vgl. Jorrit van der Schot et al., Seasonal Snow Cover Indicators in Coastal Greenland from In-situ Observations, a Climate Model and Reanalysis, in: The Cryosphere 12/2024, Externer Link: https://doi.org/10.5194/tc-18-5803-2024.

  5. Vgl. Juan Baztan et al., Life on Thin Ice: Insights from Uummannaq, Greenland for Connecting Climate Science with Arctic Communities, in: Polar Science 13/2017, S. 100–108.

  6. Vgl. Verena Traeger, Kalaallit Nunaat ist, was es isst: Grönlands Ernährung im Wandel, in: Frank Sowa (Hrsg.), Grönland. Kontinuitäten und Brüche im Leben der Menschen in der Arktis, Leverkusen 2022, S. 283–312.

  7. Vgl. Sophie Elixhauser, Travelling the East Greenlandic Sea- and Landscape: Encounters, Places, and Stories, in: Mobilities 4/2015, S. 531–551.

  8. Vgl. Shari Fox Gearheard et al. (Hrsg.), The Meaning of Ice. Human-Sea Ice Relationships in Three Arctic Communities, Hannover 2013.

  9. In Anlehnung an die Bewegung für die Rechte Indigener Völker schreibe ich „Indigen“ groß, um die Identität, Institutionen und kollektiven Rechte Indigener Gruppen anzuerkennen und ihnen Respekt zu zollen.

  10. Vgl. Mark Nuttal, Living in a World of Movement: Human Resilience to Environmental Instability in Greenland, in: Susan Crate/Mark Nuttal (Hrsg.), Anthropology and Climate Change: From Encounters to Actions, London 2009, S. 292–311.

  11. Vgl. Jorrit van der Schot et al., Precipitation Trends (1958–2021) on Ammassalik Island, South-East Greenland, in: Frontiers in Earth Science 10/2022, Externer Link: https://doi.org/10.3389/feart.2022.1085499.

  12. Vgl. Sophie Elixhauser/Jorrit van der Schot, Navigating Local Relevance in Transdisciplinary Research: Exploring Climatic and Environmental Changes in the Tasiilaq Region, East Greenland, in: Ambio 2025, Externer Link: https://doi.org/10.1007/s13280-025-02198-6.

  13. Vgl. Mark C. Serreze et al., Arctic Rain on Snow Events: Bridging Observations to Understand Environmental and Livelihood Impacts, in: Environmental Research Letters 10/2021, Externer Link: https://doi.org/10.1088/1748-9326/ac269b.

  14. Vgl. Elixhauser/van der Schot (Anm. 12).

  15. Vgl. Cunera Buijs, Inuit Perceptions of Climate Change in East Greenland, in: Études Inuit Studies 1/2010, S. 39–54.

  16. Vgl. Lill Rastad Bjørst, Klima som sila. Lokale klimateorier i Diskobugten, in: Tidsskriftet Antropologi 64/2011, S. 89–99.

  17. Vgl. Elixhauser/van der Schot (Anm. 12).

  18. Vgl. Lene Kielsen Holm, Sila-Inuk: Study of the Impacts of Climate Change in Greenland, in: Igor Krupnik et al. (Hrsg.), SIKU: Knowing Our Ice. Documenting Inuit Sea Ice Knowledge and Use, New York 2010, S. 145–160.

  19. Kelton Minor et al., Experience Exceeds Awareness of Anthropogenic Climate Change in Greenland, in: Nature Climate Change 13/2023, S. 661–670.

  20. Vgl. Pelle Tejsner, Living with Uncertainties: Qeqertarsuarmiut Perceptions of Changing Sea Ice, in: Polar Geography 1–2/2013, S. 47–64.

  21. Vgl. Mark Nuttall, Anticipation, Climate Change, and Movement in Greenland, in: Études Inuit Studies 1/2010, S. 21–37.

  22. Vgl. Lill Rastad Bjørst, The Right to ‚Sustainable Development‘ and Greenland’s Lack of a Climate Policy, in: Ulrik Pram Gad/Jeppe Strandsbjerg, The Politics of Sustainability in the Arctic, London 2018, S. 121–135.

  23. Vgl. Irene Henriques/Steffen Böhm, The Perils of Ecologically Unequal Exchange: Contesting Rare-earth Mining in Greenland, in: Journal of Cleaner Production 349/2022, Externer Link: https://doi.org/10.1016/j.jclepro.2022.131378.

  24. Vgl. Bjørst (Anm. 22).

  25. Vgl. Henriques/Böhm (Anm. 23).

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Sophie Elixhauser für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de

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ist Senior Researcher am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien.